Irrwege
Morwen war etwas blass geworden, man konnte ihr den Schrecken anmerken. Trotzdem holte sie rasch ein Glas Wasser, das sie Simon anbot.
__„Vielleicht wird er sich ja wirklich zurückhalten...“
Sie redete mit sanfter Stimme auf den jungen Mann ein, aber nicht mal sie selber war sich sicher, ob sie nicht in Wirklichkeit eher sich selber beruhigen wollte.
__„ Er hat wohl was von Großen Plänen gesagt, aber wenn wir Glück haben, wird er sich so weit zurückhalten, dass sich dein leben jetzt erstmal verbessert und ohne Wutanfälle anläuft.“
Tscha näherte sich dem Tisch, und sein alarmierter Blick verhieß nichts Gutes.
Morwen drehte sich um.
__„Mit Dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen!“
Ihre Augen funkelten wütend als sie zutrat – und ihren Bruder dort traf, wo es am meisten weh tut.
Der Druide ging zu Boden wie ein gefällter Baum.
Die junge Assassin warf ihrem Bruder einen vor Verachtung triefenden Blick zu.
__„Nur weil Du es nicht schaffst, Dein Maul aufzumachen, musst Du doch nicht gleich dermaßen in die Luft gehen. Micaya weiß jetzt eh Bescheid, also gar kein Grund wegen so einer Kleinigkeit auszurasten... und die ganze Zeit den Wachhund spielen musst Du schon gar nicht!“
Joreth hatte alles beobachtet.
Er musterte den sich windenden Druiden legte dann den Kopf schief und sah Morwen an.
__„Kannst Du mir mal erklären, was diesen schüchternen kleinen Jungen dazu bringt, so auzurasten?“
Morwen rümpfte leicht die Nase.
__„Ich hab Micaya erzählt, dass er sich in sie verliebt hat.“
Joreth lachte.
__„Das war doch offensichtlich.“
Er warf dem Druiden einen Blick zu.
__„Wegen so was machst Du so einen Aufstand?“
Der Angesprochene antwortete nicht, nur ein leises Wimmern ließ sich aus seiner Richtung vernehmen.
Micaya schüttelte nur den Kopf.
Sie stand auf und holte einen Becher mit heißem Wasser, in den sie ein paar Blätter warf.
Ein paar Tropfen der dampfenden Flüssigkeit schwappten auf den Tisch, als sie den Becher vor Simon abstellte.
__„Salbei. Und Du trinkst ihn besser, nach dem Gebrüll, sonst wird Dir morgen noch der Hals wehtun.“
Sie warf einen Blick in die Runde. Dann schüttelte sie den Kopf.
__„Leute, ich brauch jetzt ne Runde frische Luft...“
__„Ich dagegen“ meinte Amaion, der inzwischen auch an diesen Tisch gekommen war, „werde mir das hier nicht entgehen lassen...“
Mit einem Grinsen setzte er sich auf den freien Stuhl.
Joreth schüttelte den Kopf und folgte Micaya.
Morwen musterte den jüngeren der beiden Necromancer, der nun neben ihr saß.
__„Dich scheint das ganze nicht wirklich zu beunruhigen.“
Amaion grinste.
__„Sollte es?“
Er warf einen Blick zu Tscha, der noch immer am Boden lag.
__„Ich meine, ich weiß, dass Micaya eine gewisse Vorliebe für Taschendiebe hat, aber Dein Bruder ist einfach nicht ihr Typ.“
Simon sah etwas beunruhigt aus, als er nun seinerseits den am Boden liegenden Druiden musterte.
__„Ich glaub, ich bin da noch ganz gut weggekommen...“ murmelte er.
Er sah Morwen an.
Die junge Assassin war plötzlich blass geworden und befühlte erschrocken ihre Stiefelspitzen.
__„Die Stahlkappen... ich habe sie ganz vergessen...“ flüsterte sie.
Joreth betrat, gefolgt von Micaya wieder die Taverne.
In der Hand des Necromancers glitzerten eine Anzahl verschiedener Amulette, die Assassin versuchte mühsam, sich ein grinsen zu verkneifen. Sie ging zu dem am Boden liegenden Druiden und streckte ihm die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Mit einem Blick auf seine schmerzerfüllte Miene winkte sie aber erstmal Joreth, der ihr eine kleine Flache gab.
Vorsichtig half sie Tscha, den Inhalt zu trinken.
Danach stützte sie den Druiden bei dem Versuch aufzustehen, und sich auf einen freien Stuhl zu setzen.
__„Es tut mir leid, dass ich gelacht habe, Tscha, das ist nichts Lächerliches...“
Micaya prustete wieder los.
Auf Morwens verständnislosen Blick hin erklärte sie keuchend:
__„Ich fürchte, ich habe mir einen großen Bruder zugezogen, jedenfalls meint Joreth, dass er mich erziehen muss!“
Amaion stimmte in ihr Gelächter ein.
Das brachte ihm einen ungehaltenen Blick von Micaya ein.
__„Du bist nur froh drüber, dass ein möglicher Konkurrent aus dem Weg geräumt ist auf die Art und Weise!“
Beide Necromancer beschlossen, diese Bemerkung besser nicht zu kommentieren.
Stattdessen fiel Joreth eine andere Frage ein, die ihn schon länger beschäftigte.
__„Micaya, wie kommst Du eigentlich zu Rynnas Hütte?“
Die Angesprochene zog die Augenbrauen hoch.
__„Ich bin dort geboren, wusstest Du das nicht?“
Ein irritiertes Kopfschütteln war Antwort genug.
__„Maurynna hat als Hebamme und Heilerin gearbeitet – für die, die es ihr erlaubt haben, sie zu berühren. Meine Mutter-“
Micaya musterte ihre Handrücken.
Die Haut war etwas dunkler als bei ihresgleichen üblich, deutlich sichtbar im Vergleich zu Morwens heller Haut.
__„Sie hat nie darüber gesprochen, wer mein Vater war. Aber ich glaube nicht, dass er aus unserem Volk kam. Die anderen waren manchmal ein wenig misstrauisch, aber es hätte ja auch sein können, dass sie einen verheirateten Mann nicht in Verlegenheit bringen will...“
Einen Augenblick hielt sie inne, vor ihrem inneren Auge das Gesicht eines kleinen Mädchens, schlammverschmiert, wie ihr Eigenes – und ihrer beiden Hände. Dabei hatte sie so viele Jahre nicht mehr an die Andere gedacht. Sie waren Freundinnen gewesen, nur an diesem Tag...
__„Als die Ältesten beschlossen, dass Rynna eine Gefahr für uns darstellte und meine Mutter ihnen erklärt hatte, dass sie nicht bereit war, Rynna zu töten, mussten wir fliehen. Meine Mutter suchte mich im Wald, aber ich hatte mich versteckt, und sie brauchte 3 Tage, bis sie mich gefunden hatte...“
Ihr Blick suchte Joreth.
__„Ich vermute, das war das erste Mal, wo wir uns fast begegnet sind, denn als wir bei der Hütte ankamen, war sie leer, nur hinten, unter den alten Weiden, da waren zwei frische Gräber zu sehen. Ich habe nie erfahren, wie Maurynnas Tochter hieß...“
__„Mara.“
Joreths abwesender Blick suchte das Fenster.
__„Amaion hat es mir gesagt – er ist ihr begegnet...“
Micaya musterte den Necromancer mit einem amüsierten Lächeln.
__„Ein schöner Name auch...“
__„Hast Du lange dort gelebt?“ fragte Morwen vorsichtig, um die Ältere zum Weitererzählen zu motivieren.
Micaya überlegte einen Moment.
__„Ich glaube, es waren 5 Jahre... eigentlich eine schöne Zeit. Ich bin dann weggegangen, für eine Weile, habe anderswo gelebt, und als ich meinen Weg zurück gefunden habe, da war meine Mutter alt und müde geworden. Sie wollte nicht mehr alleine dort leben.“
Micaya sah in Richtung Fenster und schluckte.
__„Kurze Zeit später haben sie sie erwischt, und ich habe sie dann neben Rynna begraben.“
Joreth schüttelte den Kopf.
__„Rynnas Grab ist das andere.“
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
__„Ich wusste nie, was ihr dort tut, und ich habe nichtmal bemerkt, dass das Kind damals verschwunden ist... war zu beschäftigt damit, mich vor euch zu verstecken, wenn ich die beiden besucht habe... habt ihr euch nie gewundert, dass manchmal etwas verändert war an den Gräbern?“
Micaya lachte trocken.
__„Kind? Ich war 17, als ich das erste Mal fort ging!“
Joreth runzelte die Stirn, irgendwas passte da nicht ganz zusammen.
Er nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen.
Irgendwann.
Micaya schüttelte den Kopf.
__„Würde es Dich wundern, wenn ich Dir sage, dass ich die Gräber gemieden habe?“
Sie seufzte leicht, dann fuhr sie fort.
__„Nachdem meine Mutter tot war, gab es nichts mehr, was mich an diesem Ort gehalten hätte. Manchmal wollte ich nach Hause...“ sie brach ab. „Dahin, wo ich die Jahre dazwischen gewesen war, aber andererseits...“
ein spöttischer Blick streifte Amaion und Simon.
__„Ich habe mich einem Trupp Dämonenjägern angeschlossen. Wir waren durchaus erfolgreich, bis wir eines Abends unsererseits überfallen wurden. Ich war die Einzige, der die Flucht gelang. Ich bin einfach gelaufen...“
Joreth nickte.
__„Deshalb warst Du so verstört, als Du an dem Abend in unser Lager gestolpert bist.“
Die Assassin nickte.
__„Ich hatte Angst – der Tod meiner Mutter war noch nicht lange genug her, um nicht noch zusätzliche Schatten zu werfen. Es war nicht allzu weit von Rynnas Wald entfernt, vielleicht hätte ich mich wieder dort verkrochen, wenn ihr nicht da gewesen wärt.“
Joreth biss sich auf die Lippen.
Seine Stimme klang verächtlich, als er antwortete.
__„Dorthin war ich unterwegs gewesen, aber ich wollte allein sein mit den Gräbern, und deshalb hatte ich die ein- oder andere kleine Auseinandersetzung mit meinem Bruder...“
Amaion rümpfte die Nase.
__„Ich wusste nicht, dass Maurynna tot ist...“
Micaya funkelte ihn wütend an.
__„Zu solchen Bemerkungen hattest Du trotzdem keine Berechtigung. Und wenn Joreths Schrumpfkopf Dich nicht zuerst getroffen hätte, würdest Du jetzt nicht mehr leben – meine Messer treffen immer.“
Joreth grinste spöttisch.
__„Dafür hat es aber nicht lange gedauert, bis Du ihm das ... durchaus verziehen hast...“
__„In jedem Fall bist Du dann bei uns geblieben.“
Micaya lächelte schwach.
__„Manchmal frage ich mich, warum Du es geduldet hast.“
__„Hatte ich eine Wahl? Amaion hat mich ja nicht aus den Augen gelassen...“
Amaion zog eine Augenbraue hoch.
Er fing den Blick seines Bruders ein, und noch einmal hörte dieser die Stimme des Jüngeren in seinem Kopf – eine Art Echo der Erinnerung.
_Dein Fehler, mein Gewinn...