Weltenöffner Kapitel 5
Kapitel 5
Ich ging im dem vom Schein der Spitze meines Stabs erhellten Gang weiter. Es wurde immer heißer und roch muffig. Nach einer Weile wurden die hölzernen Stützen durch behauenen Felsen ersetzt. Wenige Schritte auf dem hart gestampften Boden weiter kam ich in eine kleine Kammer. Uralte Stühle, ein Schrank und ein grober Tisch standen dort. Eine rostige und altertümlich aussehende Hellebarde lehnte an der Wand. Alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Dieser Raum musste seit Jahrhunderten nicht mehr genutzt worden sein. Jetzt waren deutlich ein paar Fußstapfen und reichlich Spuren von Hundepfoten in der Staubschicht zu sehen.
Am anderen Ende der Kammer stand eine Tür aus dicken Bohlen und mit rostigen Beschlägen versehen, halb offen. Von da kam der heiße Luftzug. Ich folgte den Spuren durch die Tür. Was ich dort sah, verschlug mir den Atem.
Eine steile Treppe aus gehauenem Stein führte in ein riesiges Rund. Es war so weit, dass die Grenzen des Raums kaum von meinem Stab erleuchtet wurden. Zwanzig Mannslängen konnte ich bisher erhellen und dies reichte nicht aus.
Als ich mich genauer umsah, überkam mich trotz der Hitze ein Frösteln. An den Rändern der Halle, direkt neben mir, waren die Wände mit Fratzen von Dämonen verziert, über und über mit ihren abscheulichen Gestalten und ihren ekelhaften Gesichtszügen. Ihre aufgedunsenen, geschuppten oder felligen Leiber vorgestreckt, reckten sie ihre Klauen oder Tatzen einem imaginären Gegner in der Mitte des Raumes entgegen, der durch eine Reihe von seltsamerweise unverzierten steinernen Spitzbögen von diesen Fratzen getrennt war.
Ich erkannte alle aus meinen Büchern wieder: Kobolde, Wendigos, Prügler, Ziegenmänner, die unheimlichen Geister verlorener Seelen, Schleimprinzen, die besonders gefährlichen Mondfürsten, Riesenechsen, Erdwürmer, Blitzkäfer und alle anderen. Sie sahen so wirklich aus, dass ich es mit der Angst bekam. Ich führte schnell den Damönenerkennungsspruch aus, doch die Fratzen begannen nicht zu leuchten. Erleichtert wandte ich mich der Mitte des Raumes zu, als ich dort ein grünliches Schimmern wahrnahm. Ein Dämon!
Ich zuckte unwilIkürlich zurück, fasste dann aber meinen Stab fester und begann mir meine Sprüche zu überlegen. Sollte ich mich zurückziehen und Hilfe herbeiholen? Als ich abermals genauer hinsah, bemerkte ich jedoch, dass dort ein Skelett lag. Daher kam das grünliche Leuchten.
Ich fasste wieder Mut. Dämonenerkennungssprüche erkannten auch die Materie von dem, was einmal ein Dämon gewesen war. Davon zehrten meine Lehrer, wenn sie gestreckten Dämonenstaub verwendeten um uns und sich die Wirksamkeit unserer Sprüche zu zeigen.
Dieser hier schien schon lange tot zu sein. Ich trat vorsichtig näher. Die Hitze, die von der Mitte ausging, war atemberaubend. Mein Mund dörrte augenblicklich aus. Ich nahm einen Schluck Wasser und schaukelte ihn wieder eine Weile in meinem Mund hin und her.
Das Skelett sah beinahe menschlich aus. Ein paar knochige Auswüchse am Kopf und ein überlanges Fingerskelett überzeugten mich jedoch, dass es sich um einen Geisterbeschwörer gehandelt haben mochte.
Eine seiner Hände berührte den großen steinernen Block, der zentral in der Mitte der Halle stand.
Dessen Seiten waren roh behauen, nur seine obere Fläche war spiegelglatt poliert. Sie sah irgendwie feucht aus. Auf ihr lag kein einziges Stäubchen und wieder in der Mitte befand sich eine konische, vielleicht handbreite Vertiefung. Hier mochte, ja musste, der seltsame Kristalldolch gesteckt haben. Ein winziger Riß ging durch den Stein. Als mein Blick diesem Riß folgte, erkannte ich ein haarfein gezeichnetes, geschlossenes Pentakrikos, so wie ich es fast fertig bei Staukan gesehen hatte. Mir wurde wieder unbehaglich zumute.
Staukan hatte einen Dämonenaltar gefunden. Was er da mitgenommen hatte, musste also damönischen Ursprungs gewesen sein. Er hätte es dort lassen oder gleich den Lehrern geben sollen. Mit Dingen dämonischen Ursprungs war nicht zu spaßen. Sie hatten oft Fähigkeiten ihren Trägern ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen. Dazu waren sie gemacht. Und Staukan hatte nichts Besseres zu tun, als selbst ein Pentakrikos zu machen. Wer weiß, was er sonst noch damit machen konnte.
Ich beschloß, schnell zurückzugehen und Staukan aufzufordern, den Kristalldolch an die Oberen herauszugeben.
Bei einem letzten Blick in das Rund sah ich jedoch, dass das noch etwas warten musste. In den Pfeilern und den Rundbögen, die sich um den Steinaltar zogen, befanden sich acht Vertiefungen. Ich trat näher und erkannte einen uralten, schwarz polierten Magierstab, einen Horadrimstab aus weißem Holz, ein Szepter, einen rotbraunen gedrehten Druidenstab, einen durchscheinenden Nekromantenstab mit einem Schrumpfschädel, einen Amazonenpfeil, eine meterlange Barbarenaxt mit Doppelschneide und ein paar metallisch glänzender , sehr gefährlich aussehender Klauenhände, wie sie die Assassinen benutzten. Diese Artefakte mussten unglaublich wertvoll sein, denn sie waren von einer so feinen Arbeit, wie ich sie noch nie gesehen hatte. An der extrem feinen, perfekten Maserung des Holzes des Magierstabs erkannte ich, dass sehr mächtige Sprüche in ihm ruhen mussten.
Ich sah, dass der Magierstab in seiner Vertiefung bewegt worden war, denn er stand nicht mehr gerade. Auch sah ich einen blauen Kristall und eine über handtellergroße, zertretene Gliederspinne zu seinen Füßen liegen. Alle andern Stäbe und Artefakte waren mit ähnlichen Kristallen versehen. Die Klauenhände waren so verschränkt, dass in ihrer Mulde ein solcher Kristall Platz fand, beim Amazonenpfeil stak der Kristall anstelle der Pfeilspitze auf dem Holz.
Was war geschehen? Warum hatte Staukan einen Stab bewegt? Warum lag der Kristall am Boden und stak nicht mehr am Magierstab? Ich überlegte und glaubte dann eine Lösung für dieses Rätsel gefunden zu haben.
Ich nahm den Kristall und steckte ihn wieder vorsichtig in die Öffnung des Magierstabs. Ich bemühte mich, nicht das Seelenauge des Stabes, die übliche Verdickung kurz unterhalb eines Endes, zu berühren. Der Kristall passte. Vorsichtig nahm ich den Stab jetzt in der Mitte und rückte ihn wieder grade. Plötzlich geblendet, trat ich zur Seite.
Ein Leuchten erfüllte den Raum und sein Mittelpunkt war die Vertiefung des Altars.
Eine Säule aus unglaublich hellem Licht bildete sich dort. Ich meinte, direkt in die Sonne zu blicken. Als ich jedoch wegsah, konnte ich nichts mehr erkennen. Ich drehte mich weg von diesem Licht und schloß die Augen für eine Weile.
Als ich sie wieder öffnete, -nichts. Ich konnte immer noch nichts erkennen. Das war interessant. Eine doppelte Blendwirkung also. Was sollte dieses Licht verbergen? Das war mir nun klar. Die Stäbe, Szepter und anderen Artefakte und die Kristalle hatten die Aufgabe, diesen dämonischen Dolch an seiner Entdeckung zu hindern, möglicherweise sogar noch mehr. Ich tastete mich zu dem Altar und streckte meine Hand vorsichtig nach der Säule aus. Ich traf auf eine scheinbar harte Fläche.
Gut. Aber warum konnte Staukan dann... Da fiel mir die Gliederspinne wieder ein. Sie musste irgendwie in diesen Raum gefunden haben und den Stab bewegt haben. Dadurch wurde die Symmetrie gestört und das Licht und damit der Schutz, hörten auf zu wirken.
In diesem Zustand musste Staukan diese riesige Höhle vorgefunden haben. Da er Angst vor Spinnen hatte, musste die Gliederspinne wohl unter seinen Füssen ihr Leben lassen. Eine andere Erklärung war kaum denkbar. Seltsam nur, dachte ich, dass ausgerechnet dann, als Staukan seinem Hund hinterherging, diese Spinne den Jahrhunderte alten Schutz ausgeschaltet hatte.
Ich tastete mich wieder zu dem Magierstab zurück und drehte ihn ein wenig. Sofort erlosch das Leuchten.
Was sollte ich nun tun?
Die ganzen Artefakte unserer Altvorderen – und zwar von allen Völkern und Gruppierungen, die sich erfolgreich gegen die Übel gewehrt hatten – waren hier nunmehr unnütz. Das was sie bewachen sollten, war verschwunden.
Ich beschloß, diese Dinge mitzunehmen und meinen Oberen zu zeigen. Meinen Kurzstab nahm ich trotzdem in die linke Hand, denn ich traute diesem Ort nicht.
Ich löste den Gürtel meiner Wasserflasche, legte ihn auf den Boden und griff die Artefakte aus ihren Vertiefungen.
Eines nach dem anderen legte ich auf den Gürtel. Der Stab der Horadrim gab mir bereits beim in die Hand nehmen ein Gefühl der unbestimmten Macht. Ich fühlte seine Stärke, doch war die in ihn gelegte Magie so alt und archaisch, dass ich kaum mehr spürte als ein fernes Zupfen an den Rändern meines Geistes und auch das deutliche Verlangen, diesen Stab aus der Hand zu legen. Ich hütete mich davor in die Nähe seines Seelenauges zu kommen. Der Nekromantenstab fühlte sich eisig an, unergründlich und erzeugte Schwindel in mir. Ich rieb mir eine Weile die Hand, als ich ihn ablegte. Das Szepter der Paladine wog schwer. Festes, geschmiedetes Eisen verschaffte mir ein Gefühl des Vertrauens, seine Schwere beruhigte mich, doch spüren konnte ich nichts. Diese Macht war mir nicht zugänglich. Fast genauso erging es mir beim Amazonenpfeil. Eine Ahnung von Wind und Tod und von uralten Riten der Kraft. Die schwere Barbarenaxt dagegen war leicht zu erkennen. Sie war bestückt mit Magie. Eine furchtbare Waffe gegen Dämonen mit diversen Elementarfähigkeiten und einer Steigerung des Kampfeswillens,und viele andere Dinge mehr, die für Barbaren äußerst nützlich waren. Sie war perfekt ausbalanciert und leicht zu schwingen. Aber gerade diese scheinbare Leichtigkeit ließ mich zögern. Für Äxte war ich nicht gemacht. Vermutlich hätte ich mir eher selber ein Bein abgehackt als einem Dämonen den Kopf, denn die Leichtigkeit war verführerisch und ich konnte mich kaum zügeln, dieses Teil wild um mich zu schwingen. Vorsichtig legte ich ihn auf den Stapel.
Der Druidenstab überraschte mich jedoch. Als meine Hände ihn umfassten, sah und roch ich plötzlich besser, spürte die Bewegungen in der Erde unter und über mir, spürte die Linien des Wassers in diesem Hang und die Kraft, die in ihm steckte. Auch fühlte ich meinen Körper so intensiv wie noch nie. Ich hatte plötzlich den Drang mit der Schnauze am Boden große Strecken zurückzulegen oder aus der Luft auf ein dämonisches Ziel zu stoßen. Wie fremdartig und auch, wie schön. Die Assassinenkrallen ließ ich fast sofort wieder fallen. Kalte, tödliche Leere umfasste mich. Ein eisiges Versprechen meine Seele zu erlösen, sollte ich auf den falschen Pfaden wandeln. Mich schauderte. Endlich kam ich zum Stab der Magier. Als ich ihn zum ersten Mal richtig in die Hand nahm, überkam mich eine Woge der Vertrautheit und ich wurde schwach.