Kapitel 24 – Die Wichtigkeit der Mission
Als ich wenig später in die Höhle zurückkehre, in der wir uns vor dem Schneesturm verkrochen hatten, bietet sich mir ein ungewöhnlicher Anblick: der Meister – ohne Rüstung! Seine etwas länger gewordenen Haare kleben ihm am Kopf, er wirkt noch blasser als gewöhnlich, und mit gewissem Entsetzen muss ich feststellen, dass er immer noch das Hemd trägt, das er als Novize in der Nekromantenstadt bekommen hat. Er muss
stinken.
Emund sieht überrascht hoch. "Dorelem – schon zurück? Ich dachte, wir wechseln die Wache erst in einer Stunde!"
"Ich habe gerade dafür gesorgt, dass wir hoffentlich in naher Zukunft gar keine Wache mehr brauchen. Wollte trotzdem nur schnell nachsehen, wie es dem Meister geht. Warum hast du ihn ausgezogen?"
Wollte er...das Set stehlen?
Mach dich nicht lächerlich, warum sollte er?
Weil es ewiges Leben schenkt?
Und das weiß er natürlich auch. Selbst wenn, wie sollte er an uns vorbeikommen?
Das Stadtportal ist schon auf Harrogath eingestellt, und das Buch war am Gürtel...
Das ist doch absurd. Deine Obsession mit dem verfluchten Krempel macht dich paranoid.
Er sollte besser eine gute Antwort auf deine Frage haben.
"Er hat so unruhig geschlafen, da dachte ich mir, das kann nicht bequem sein wenn er sich in dem Ding ständig hin- und herrollt. Dann ist mir auch noch aufgefallen, dass das Metall auch mit den Feuerskeletten direkt darüber nach wirklich warm wird – was ist das überhaupt für eine Legierung? Jetzt hat er eine Chance, tatsächlich aufzutauen."
Na also, das sind doch zwei gute Gründe.
Als hätte er sie auswendig gelernt.
Du wirst verzeihen, wenn ich diese Diskussion aus Gründen völliger Absurdität abbreche, danke.
"Jetzt schläft er aber ruhig?"
"Seit er das Zeug losgeworden ist, ja. Wurde ohnehin Zeit, dass er sich mal aus der Dose rauswindet – er hat ja schon Druckstellen an den Schultern! Und was zur Hölle hat er mit seinen
Händen angestellt?"
Tatsächlich kann man blaue Flecken durch den dünnen weißen Stoff des dreckigen Hemdes erkennen. Warum hat er sich nicht gleich noch etwas Dickeres für oben geben lassen? Kann es in der Rüstung wirklich warm genug sein? Sein Verlangen, das Set zu tragen, macht ihn kaputt, Zweiter! Kannst du das nicht sehen?
Und wenn er es nicht trägt, ist die Armee entscheidend schwächer. Zähl die Skelette!
Was meinst du...
...fehlt da eines? "Emund, waren es nicht vorher mehr Krieger?"
"Oh, ja. Irgendwann ist eins zerbröselt. Dachte, es ist vielleicht zu schnell aufgetaut? Die Dinger sehen sowieso aus, als könnte ich sie umfurzen, wobei sie natürlich in Wirklichkeit viel mehr drauf haben..."
"...gibt noch genug Leichen", beschwichtige ich ihn. So direkt hilft ihm das Set?
Aber natürlich. Jedes der Skelette ist auch entscheidend stärker. Zur Hölle, wir
sind entscheidend stärker, das hast du nur nicht mitbekommen, weil du dich überraschend lernfähig zeigst und es sicher für Erfahrung hältst.
Trotzdem...
Du willst, dass er mit einer schwächeren Armee loszieht und wenn er daran stirbt sofort in Belials Klauen landet? Hat dir dessen Erinnerung daran, dass er den Meister immer noch in der Hand hat, nicht gereicht?
Da stöhnt der Meister. Weißt du was? Wir reden einfach mit ihm darüber.
"Oh, er scheint langsam wieder zu sich zu kommen", sagt Emund. "Passt du noch einen Moment draußen auf, bis er ganz da ist? Nicht dass gerade jetzt..."
Vergiss es.
"Würde es dir was ausmachen, Rollen zu tauschen? Ich möchte gern etwas unter vier Augen mit ihm besprechen."
Emund hebt eine Augenbraue. "Wichtige, geheime Dinge?"
Ich hebe die Hand und flüstere hinter ihr vor. "Ich will ihm ans Herz legen, endlich mal sein Hemd zu wechseln. Er würde glaube ich falsch reagieren, wenn du auch dabei bist."
Emund lacht laut. "Na dann hab ich wohl keine Wahl. Ich erwarte euch draußen."
Du bist der schlechteste Golem.
Dabei hab ich noch nicht mal gelogen. Schau dir den Lumpen mal
an!
Gerade ist Emund verschwunden, da setzt sich der General auf. Mühsam auf einen Arm gestützt, reibt er sich mit dem anderen die Brust...und erstarrt. Sein Blick geht gehetzt durch den Raum. Findet mich. Bevor er etwas sagen kann, hebe ich die Hand.
"Dein geliebtes Set liegt da hinten. Bevor du böse auf mich wirst, ich habs dir nicht ausgezogen. Aber ganz unglücklich bin ich darüber auch nicht. Erst mal – wie geht es dir? Du warst total fertig!"
"Mir gehts blendend! Aber mir ist kalt, verdammt. Gib mir die Rüstung!"
"Nein", sage ist fest, und schon setzen die Schmerzen der Beherrschung ein. "Bevor du dich wieder in diesen Käfig wirfst, reden wir. Dir ist warm genug. Nimmst du
bitte den Befehl zurück?"
Er starrt mich für eine sehr lange und peinvolle Sekunde an, dann verzieht er das Gesicht, als hätte er ähnliche Schmerzen und schlägt die Faust auf den Steinboden. "Na schön. Entspann dich. Was hast du zu sagen?"
"Es ist nur so, dass du mir gerade eine Theorie bestätigst. Ich hatte nicht einmal erwartet, dass du auf meinen Wunsch eingehst. Aber es hängt wohl wirklich davon ab, ob du dich gerade in einen kranken Seelenkäfig sperrst. Wenn du das Ding anhast, wirst du zu einem kompletten
Arschloch – fällt dir das nicht auf?"
Sein Ausdruck wird ausdruckslos. Nach einer etwas unangenehmen Stille sieht er zu Boden, zerknirscht.
"Sagen wir...ich weiß davon."
"Was soll das denn jetzt heißen?"
"Nun, das ist ja nicht das erste Mal, dass wir hierüber reden, oder? Was meinst du, warum ich mich in unseren letzten Momenten in Lut Gholein von dir verabschiedet habe?"
"Ominös genug war das ja, aber ich hatte nicht gedacht, dass es bedeutet, dass offenbar unsere Freundschaft jetzt vorbei ist?"
Diesmal zuckt er wirklich zusammen.
"Dorelem...das...will ich wirklich nicht. Hör zu, es tut mir unglaublich Leid, wenn es so gewirkt hat. Was ich getan habe. Wie zum Beispiel...scheiße, ich hab dir diese Klinge in den Bauch gerammt, um zu testen, welche Verzauberung sie hat..."
"Ja, das war nicht besonders lustig!"
Er vergräbt den Kopf in den vernarbten Händen. "Warum...ach, verdammt, ich weiß es doch auch nicht."
Jetzt sieht er mich wieder an. "Du hast vollkommen Recht. Ich bin ein kolossales Arschloch, wenn ich das Zeug anhabe."
Mein Mund klappt auf. "Ja, aber wenn du das weißt – warum
ziehst du es dann an?"
Sein Blick wird verzweifelt. "Weil ich keine andere Wahl habe."
"Du hast gesagt, dass es umso schwerer wird, es auszuziehen, je mehr Teile du an hast. Aber jetzt bist du frei davon! Wir springen nach Hause, verschaffen dir ordentliche Klamotten, und werfen das hier von der nächsten Klippe!"
"Wenn es nur das wäre", seufzt er. "Zweiter, hast du es ihm nicht erklärt?"
"Gerade eben, Meister. Er weiß, welche Macht dem Avatar innewohnt, von der Unsterblichkeit einmal abgesehen."
"Ja, sobald wir das letzte Teil finden. Es
muss hier irgendwo sein..."
"
General, verdammt!", rufe ich und schüttle ihn. "Das ist es einfach nicht wert!"
"Oh doch, das ist es", redet meine Stimme fast nahtlos weiter. "Wir haben gerade Belial getroffen, Meister."
"Ihr habt
was?"
Der Zweite umreißt unser Portalabenteuer in Kürze. Ich kann nur verzweifelt mithören – was soll ich sagen? Es stimmt. Aber der Zweite nutzt die Geschichte natürlich knallhart, um den General dazu zu bringen, das Set wieder anzuziehen.
"Das muss aber nicht heißen, dass er auch nur irgendeine Macht über dich hat!", versuche ich es am Ende noch einmal. "Er hat Probleme, seine Macht zu festigen, seit wir ihm Azmodan runtergeschickt haben. Das lockert seinen Griff auf dich sicher, und...ich bin immer noch nicht überzeugt davon, dass du überhaupt in die Hölle musst!"
"Er kannte deinen Namen,
Dorelem", ätzt der Zweite. "So viel zu lockerem Griff. Er beobachtet uns ganz genau."
Der General schüttelt den Kopf. "Und genau deswegen gehe ich kein Risiko ein."
Er steht auf und nimmt die Rüstung hoch. Ich lege ihm die Hand auf die Schulter. "Tu das nicht", sage ich leise. "Ich kann nicht mit einem gefühllosen Monster befreundet sein."
Da wischt er meine Hand weg. "Und ein gefühlloses Monster nicht mit dir!", ruft er. Sein Blick ist trüb, als er zu mir herumfährt. "Denkst du, ich
will das? Alle Leute vergraulen, die mir was bedeuten? Ich vergesse ja nicht, was ich getan habe, ich bewerte es jetzt nur anders. Wenigstens zu Atma war ich freundlich, aber Deckard...Deckard muss mich ja jetzt für den größten...
Und du! Natürlich! Und du hast ja auch jedes Recht dazu! Aber Dorelem, was soll ich denn
machen? Wenn ich könnte, würde ich mit dir in bester Harmonie diesen Berg hochpilgern, und Arreat, wenn du mich hörst, meine Respektlosigkeit auch
dir gegenüber tut mir Leid, aber ich habe einfach keine Wahl! Für meine Seele, für meine Mission...ich
muss Trang-Ouls Avatar tragen. Und zwar über kurz oder lang auch vollständig."
"Spricht da deine Überzeugung oder deine Sucht?", flüstere ich.
Er wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. "Mach es nicht noch schwerer, Dorelem. Wenn es irgendwie geht, erinnere dich bitte daran, dass ich unter der Schale dieser verfluchten Rüstung noch normal bin. Und es hoffentlich auch bleibe. Und wenn wir all das überstanden haben, wenn Baal tot ist, dann reiß sie mir verdammt noch mal vom Leib und wir verbrennen sie wenn es sein muss in der Hölle selbst!"
"General..."
"Jetzt hilf mir in dieses Drecksteil! Und sei still! Ende der Diskussion!"
Siehst du, das Resultat ist das Gleiche, aber deine blöden Fragen haben es für alle Beteiligten nur schmerzhafter gemacht. Außer für mich, weil ich genau weiß, was richtig ist und ich zu tun habe. Wann wirst du es lernen?
...mach du es. Zieh ihm die Rüstung an. Ich meuchle nicht die Persönlichkeit eines wundervollen Menschen. Schon gar nicht, wenn er das will. Kann ich mich denn an die Erinnerung klammern, wie er war, bevor wir diese wahnsinnige Suche nach Trang-Ouls Teilen begonnen haben? Kann er wirklich einfach wieder zu diesem vergangenen Selbst werden, trotz der Erinnerung an all die Dinge, die er ohne das schmutzige Gold an seinem Körper nie getan hätte?
Haben wir ihn wirklich schon jetzt für immer verloren?
Und sein Hemd hat er auch immer noch nicht gewechselt! Es ist schon alles ganz schlimm im Moment.
Du bist an all dem Schuld! Was maßt du dir an, jetzt auch noch selbstzufrieden zu hämen?
Mehr als Denkansätze habe ich nie geliefert. Eine wahre Anmaßung wäre schließlich, dem Meister etwas vorzuschreiben – das Set hat er schon ganz bewusst angezogen, Teil für Teil.
Nicht den Gürtel. Und du weißt genau, wie sehr du ihn manipulierst!
Du hättest da sein können und etwas dagegen sagen, aber du hast ihn ja im Stich gelassen. Wie schon gesagt, im Gegensatz zu dir weiß ich nur, was ich zu tun habe. Befehle befolgen, und wenn es keine gibt, dennoch alles tun, um dem Meister so gut wie möglich zu dienen. Solange ich das tue, gibt es überhaupt keine Zweifel zu haben.
Du machst dir nie Sorgen, dass er völlig ohne Zutun der Hölle drauf und dran ist, einfach von sich aus böse zu werden?
Ach, was ist schon "böse". Er wird seinen Weg finden...der werden, der er schon immer bestimmt war, zu werden.
Was soll dieser kryptische Unfug jetzt bedeuten?
Nur eines: sein und garantiert nicht unser Schicksal war noch nie in unseren Händen. Nur im Gegensatz zu dir bin ich mir dessen überbewusst, und akzeptiere es. Du wirst schon noch bald genug merken, wie viel besser das ist.
...du...hasst es, komplett machtlos zu sein. Mach dir da doch nichts vor.
Ach, du meinst auf einmal mich verstehen zu können?
Wir sind seit Monaten im gleichen Körper, im gleichem
Geist gefangen! Kämen wir uns noch näher, wären wir die gleiche Person! Selbstverständlich weiß ich, wie du denkst!
Das würde mich doch schwer überraschen. Sonst, da bin ich mir ganz sicher, hättest du noch vehementer protestiert, dass der Meister das Set wieder anzieht.
Was...
Nur schade, dass es jetzt dafür zu spät ist. Ich kann es kaum erwarten,
bis er endlich das letzte Teil in Händen hält! Nun hör endlich auf, dir über Unbeeinflussbares Gedanken zu machen.
...Angst darf ich aber schon haben, genau jetzt, ja?
Der Sturm hat sich gelegt, und die Sonne überblickt friedlich ein fast so wirkendes Hochland, in dem die Leichen unter frisch gefallenem Schnee versteckt sind. Emund erwartet uns schon gleich nach dem Ausgang der Höhle. "Oh, hat er dich doch nicht dazu gebracht, das Hemd zu wechseln?", feixt er sofort.
Du hättest dir wirklich eine bessere Geschichte ausdenken sollen...
Der Meister runzelt die Stirn. "Wie soll ich das verstehen?"
"Na ja, du warst schon ein wenig...durchgeschwitzt."
"Mein Hemd ist meine Sache", erklärt der Meister. "Und für meine Rüstung gilt das um ein Vielfaches mehr."
Seine Finger schießt vor, leicht gekrümmt weil es anders ja nicht mehr geht. "Lass die Finger davon. Wenn du mich noch einmal ausziehst, fliegst du hochkant aus der Armee."
Emund blinzelt. "Ich dachte doch nur..."
"Lass auch davon die Finger", unterbricht der Meister barsch.
Findest du das etwa
gut?
Ich finde, du solltest aufhören, sein Verhalten beurteilen zu wollen. Er weiß per Definition, was er tut. Er ist der Meister.
Ja, die absolute Kontrolle über die Situation hat er ja vorhin gezeigt.
Ohne das Set, ja. Merkst du etwas?
Es ist hoffnungslos...lass uns einfach weiter den Berg erklimmen, Baal kann nicht früh genug fallen.
Siehst du, so kommen wir zusammen. Vielleicht finden wir ja sogar das letzte Setteil...sag mal, kannst du nicht den Berg fragen, ob es irgendwo hier vergraben ist?
Nein!
Wir ziehen also in ziemlicher Stille weiter, vom gelegentlich gerufenem nüchternen Befehl einmal abgesehen. Emund hat es für besser befunden, den Ausbruch des Meisters nicht weiter zu kommentieren; ob nun aus verletztem Stolz, Scham oder weil es ihm letztlich egal ist, er aber noch ein Gespür für soziale Gepflogenheiten hat, weiß ich nicht. Ich habe gerade
wirklich keine Lust, mit dem Meister zu reden, fast noch weniger mit dem Zweiten, und ich wüsste nicht, was ich Emund sagen sollte.
Die Stärke des Arreat habe ich immer noch. Abgesehen von der miesen Situation, in der sich der Meister und damit auch ich im Allgemeinem befindet, geht es mir
blendend – sicher ist der Berg dankbar dafür, dass ich zumindest diese Wunde geschlossen habe. Dank kann ich von dem Meister in Trang-Ouls Avatar sicher nicht erwarten; Emund natürlich auch nicht für dessen Hilfe bei der Rettung aus der Kälte. Es ist zum Haareraufen, und ja, ich würde mir extra dafür welche wachsen lassen.
So ist dies wirklich alles, was mir auf dem Herzen zu liegen hat, was es vielleicht sogar noch schlimmer macht. Ich würde mich ablenken, indem ich mich ins Kämpfen stürze, aber die Dämonen fallen vor unserem Ansturm wie die gebratenen Schweine im Angesicht der feiernden Barbaren neulich. Sklavensoldaten? Ich kann ihren Panzer mit bloßen Händen zerbersten lassen! Ein Peitscher treibt sie an, sich explodieren zu lassen? Ich kann meine Arme auch zu Peitschen machen und sie zünden, bevor sie auch nur ein bisschen näher kommen. Dann schneide ich den Sklaventreiber auf, mit zwei Schwertern, chirurgisch; der Zweite weiß die besten Stellen. Er formt die Hände zu Klauen, reißt an den Schnittstellen, und wir baden in Dämoneninnereien. Es macht ihm Spaß. Mir ist es egal. Andere Sorgen. Zu viele Sorgen.
Da treiben uns die Felsen auf einen Pass zu. Emund bricht sein Schweigen.
"Hier geht es vom Eishochland in die Arreat-Hochebene. Da oben ist es deutlich steiniger als hier, dafür dürften sie weniger Befestigungen gebaut haben. Der Weg durch die Felsen hier ist ausgebaut, lange Stufen, es ist nicht besonders steil. Aber es ist natürlich ein großartiger Platz für einen Hinterhalt."
"Dann wird Dorelem die Falle auslösen", erklärt der Meister.
Natürlich. Ich trenne mich von der Armee und steige die ersten Stufen hoch. Hinter diesem Felsen vielleicht...? Nein, da ist kein Dämon auf der Lauer. Aber an sich ist der Felsen keine blöde Idee. Mit einem mächten Sprung erreiche ich die Spitze und verschaffe mir etwas Überblick.
Sofort lasse ich mich fallen und luge über die Kante. Die Barbaren hatten, wie Emund richtig sagte, lange und breite Stufen über den nicht besonders steilen Pass gelegt. Nun, die Dämonen hatten andere Ideen. Nach dem ersten Angstieg ist die Erde so aufgeschüttet worden, dass sich deutlich kürzere Stufen bilden, mit gut einem Meter Höhe; grobe Holzzäune halten sie zusammen. Angespitzte Pflöcke ragen schräg heraus, um das Erklimmen noch schwieriger zu machen; nur an manchen Stellen fehlen diese, gehen die Stufen in Erdrampen über, aber diese sind schwer bewacht. Eine Horde Tentakeldämonen hat sich auf den Stufen verteilt, blickt erwartungsvoll auf die Mündung des Passes, wo die ersten Felsen eine Engstelle formen; einer von ihnen, tiefrot gefärbt, patroulliert die Reihen und brüllt barsch Befehle.
Und sie haben uns noch nicht gesehen...hervorragend. Dieser Fels ist in der Tat eine sehr gute Idee. Lass uns Emund hier hoch schaffen, er soll sich nützlich machen!
Ist er dann nicht furchtbar exponiert?
Wie sollen die hier hoch kommen? Er wird schon fähig sein, sich vor dem Tentakeln wegzuducken. Die sind eh für ihren Pfählangriff entwickelt, wenn die sich bis hier oben strecken müssen, knicken die doch lang vorher ab.
Und wie kommt Emund hier hoch?
Das lass mal meine Sorge sein. Zurück!
Ich berichte dem Meister knapp von der Lage. Dann übernimmt der Zweite. "Der Felsen dort hinten sollte gut geeignet sein, um von ihm herunter Sperrfeuer zu legen. Meister, denkt Ihr, die Skelette könnten für Emund eine Treppe formen?"
"Auf jeden Fall, und auch für die Magier, hier unten nützen sie mir überhaupt nichts. Wir marschieren mit den Fußtruppen einfach direkt hinein, sobald die Fernkämpfer oben in Stellung sind. Diskretion, bitte."
Schnell ist die Treppe geformt, während ich leicht nervös Wache halte. Sie erwarten uns sicher, warum haben sie keine Späher ihrerseits positioniert?
Sie wollen nicht das Risiko eingehen, dass wir den Hinterhalt im Voraus bemerken. Ihre Position ist so stark, dass es ihnen egal sein kann, ob sie nicht genau wissen, wann wir in die Falle tappen.
Dass wir nicht ganz dämlich sind, haben sie aber nicht bedacht, oder?
Du hast die allgemeine Organisation in ihrer Armee aber schon bemerkt bisher?
Ich schätze. Jetzt müssen sie nur noch schlecht hören, die Knochen klappern doch arg, und nach dem Sturm herrscht geradezu ehrfürchtige Stille.
Der Skelettberg entfaltet sich wieder...und da stürmen drei Dämonen zwischen den Felsen hervor. Sie haben uns bemerkt! Und die Krieger sind noch nicht wieder auf den Beinen...also liegt es an mir. Dass ich so nah am Durchgang stehe, haben sie offenbar nicht bedacht, so schmettere ich dem ersten die Faust ins Gesicht, bevor er groß reagieren kann. Die andere wird zum Schwert, spießt ihn durch den Bauch auf, und er dient mir als Schild vor dem ersten Tentakelangriff. Der hinterste der drei vergräbt seine nun im Boden, um mein Schild zu umgehen, aber ich werfe es auf ihn, die Leiche explodiert und seine Rolle in diesem Kampf ist vorüber.
Der dritte brüllt etwas Gurgelndes nach hinten, dann wird es noch unverständlicher, als sich eine Axt in seinem Rücken vergräbt. Ich köpfe ihn, um sicher zu gehen, da ein gewisser Nachteil der Äxte natürlich ist, dass sie recht schnell wieder aus ihren Opfern verschwinden.
Jetzt sind die Skelette da.
"Lasst sie nicht dazu kommen, sich da hinten zu verschanzen und die Fernkämpfer in Ruhe auszuschalten. Greift an! Überrennt sie!", befiehlt der Meister. Nun, es ist wahrscheinlich das Beste. Wir hatten eh vor, scheinbar ahnungslos in die Falle zu laufen, wenn jetzt hier klare Verhältnisse herrschen, schadet uns das nicht wirklich.
Ich bin schneller als die Skelette und damit als erster am Fuße der befestigten Stufen. Sofort schießen mir Holzpfähle entgegen, als Tentakel die Erde darunter aufwerfen. Ich trage es mit Fassung, lasse es zu, dass mich mehrere davon durchbohren, drehe sie blitzschnell in mir um und werfe zurück. Suche mir einen stabileren, ziehe mich daran hoch, gehe gegen die Dämonen auf der ersten Stufe in den Nahkampf.
Halt dich nicht mit denen auf – wir müssen den Skeletten den Weg freiräumen! Sie kommen die Stufen nicht hoch, es müssen schon die Rampen sein!
Guter Plan. Ich ignoriere einen verdutzten Gegner, der ohnehin gleich darauf von einer Detonation seines vormaligen Mitstreiters umgeworfen wird, und sprinte durch einen Hindernispfad an unter mir hervorbrechenden geschuppten Spitzen. Ist mir eine direkt im Weg, säble ich sie kurzerhand durch.
Ein Kontingent von zäher wirkenden Dämonen hat sich auf den Rampen positioniert, jeweils drei pro Aufgang. Ihre Rückenstacheln sind länger, die Schultern sind breiter, die Schuppen glänzen im Sonnenlicht. Das müssen die Diener sein!
Zwei von ihnen reißen die Arme hoch, einer von ihnen geht in die Knie, dann schwingen sie die Tentakel so schnell nach vorne, dass ihre Bewegung für mich verschwimmt; wie fleischige Peitschen zischen ihre verlängerten Unterarme heran, einer hoch, einer niedrig, und weil ich mit dieser Art von Angriff überhaupt nicht gerechnet habe, kann ich nur über den niederen springen, während mich der höhere direkt an der Brust trifft und mich meterweit zurück schleudert.
Ich lande schlitternd auf dem frisch angefeuchteten Boden, sauge rasch an mich, was ich kann, instinktiv nach diesem Schock. Die frische Delle an meiner Brust entbeult sich gerade, da fährt ein Tentakel aus ihr.
Das...hat weh getan. Ich forme den Ton um die Wunde zu zwei Klingen und lasse sie zuschnappen. Das schmerzt hoffentlich auch, mein Freund. Schnell rolle ich mich weg von weiteren Angriffen, die annahmen, dass ich festgehalten würde. Um noch mehr zu entwaffnen, hacke ich blind in das Nadelkissen, das sich geformt hat, wo ich gerade noch lag. Viel erwische ich aber nicht, weil sie sich schon wieder zurück ziehen, bereit für den nächsten Schlag aus dem Untergrund. So wird das nichts.
Versuch es einfach noch einmal – die Skelette sind jetzt auch da, nimm sie in die Zange. Du bist schon oben!
Nicht hoch genug! Weißt du was? Die haben den Vorteil, ungesehen anzugreifen. Drehen wir den Spieß doch einfach um! Wieder bohrt sich ein Tentakel hoch, und der Besitzer ist nach seinem Verfehlen schlau genug, sich sofort zurückzuziehen.
Aber das Loch, das er hinterlassen hat, ist noch frisch. Bevor die lose Erde in sich zusammenbrechen kann, verschlanke ich meinen Körper extrem, entgehe durch das geringere Profil gleich mehreren Angriffen, und stürze mich dem Tentakel hinterher! Winde mich durch den halb gefrorenen Boden des Arreat, immer dem Weg des geringsten Widerstands entlang, bis das Loch endet, direkt vor dem Füßen des Dämons, der von einer Stufe weiter oben angegriffen hat. Ich quelle vor ihm heraus, forme sofort Arme, mache diese zu Lanzen und lasse ihn spüren, wie es sich anfühlt, gepfählt zu werden. Dass ich auf einmal unter ihnen auftauche, überrumpelt die neben ihm Positionierten, und ich kann sie schnell erledigen. Immer noch sind keine Diener gefallen, aber damit bin ich sicher vor Angriffen von hinten und kann vorsichtiger vorgehen.
Die Skelette haben ihre mühe Not, die Rampen zu erklimmen. Sobald sie auch nur leichten Fortschritt machen, fegen die Diener des Dämonenhelden von den Beinen, und dies mit einer Wucht, der durchaus welche von ihnen zerstört.
Frische rennen an mir vorbei, aus den Leichen erschaffen, die ich gerade erst zu solchen gemacht habe. Der Meister schaltet schnell! Damit können wir sie auf jeden Fall flankieren. Ob das reicht? Um sicher zu gehen...
"Emund! Wir nehmen sie in die Zange, konzentrier dich auf die stärker Aussehenden!"
"Wird gemacht!", kommt die Antwort, und ja, da fliegen die Wurfäxte. Sie sind nicht ganz stark genug, um tatsächlich Schaden anzurichten – um genau zu sein fegen die Dämonen sie mit ihren Peitschenhieben einfach aus der Luft – aber das heißt, dass ich jetzt herankomme. Und das richtet Schaden an. Beide Schwerter gleichzeitig ramme ich einem von unten in den Magen, reiße ihn auseinander, bewusst blutig, damit mich seine Mitstreiter schlechter erkennen. Sie stechen daneben, weil ich
durch ihren Kameraden gehe, mich sofort nach links wende und gegen den nächsten antrete.
Er blockt meinen Schlag, indem er sich zur Seite duckt; das Schwert verfängt sich in den Stacheln seines Rückens. Schnell ziehe ich es zurück, forme die andere Hand schon jetzt zur Kralle, da durchbohrt mich ein Tentakel und bringt mich zum Stutzen. Mein Gegner vor mir nutzt das, schießt mir einen spitzen Arm auf kürzeste Distanz durch den Kopf, und ich muss gegen die Schwärze ankommen. Schnell verlagere ich mein Sehzentrum auf den Bauch, reiße die Kralle nach oben und ihm den schwach gepanzerten Bauch auf. Er stolpert zurück, ich setze nach, da schlingt sich ein Tentakel von hinten um meinen Arm, verhindert den Todesstoß. Wieder ist es nur eine Sekunde, die es mich aufhält, weil ich aus dem Griff fließen kann, aber das ist lang genug, damit der schwer Verletzte vor mir noch einen Angriff auf mich starten kann, dem ich nicht ausweichen werde.
Eine Axt reißt seinen Kopf herum. Na also! Bis er verblutet ist, steht er nicht mehr auf. Ohne die Beine zu bewegen, drehe ich mich um, lasse mein Gesicht einfach auf der anderen Seite des Körpers erscheinen, bewusst zornig auf den Diener, der mich behindert hat. Vorsichtig bewege ich mich auf ihn zu, während ich mich heile; er weicht zurück, die Arme bereit zur Verteidigung erhoben, da fallen von der Seite drei Skelette über ihn her, und das war es dann.
Die erste Stufe ist erobert. Die Magier haben ihre Flanken verbrannt, und der Meister legt Knochewände, die die Diener voneinander trennen; so sehen sie auch nicht, dass die Skelette einander über die Stufen hieven, wo sie das Klettern nicht hinbekommen.
Es läuft gut!
Aber...wo ist der Held?
Verdammt. Gehetzt sehe ich mich um. Hat er einfach Fersengeld gegeben...? Sehe ich einen Schimmer seine roten Haut irgendwo? Hinter einem Felsen, auf einer der oberen Stufen? Ist der Meister sicher?
Ja, er hat sich auf einen Wächterschild gestellt. Die Knochenrüstung schwebt um ihn, bereit, zwischen einen Tentakel und ihn zu springen. Ihm droht keine offensichtliche Gefahr...
"Emund!"
Der Schrei kommt aus meiner Kehle, gesteuert vom Zweiten. Der Barbar fährt herum, auf seinem sicheren Felsen – und tatsächlich, hinter ihm ist irgendwie der rote Held aufgetaucht. Nein! Ein Tentakel peitscht von oben heran. Gerade noch bekommt Emund seine Arme gehoben, in jeder eine Axt, fängt den Hieb dazwischen auf, aber er geht von der Wucht in die Knie. Der zweite Arm des Helden schießt heran, trifft Emund hart in der Flanke, er keucht.
Verzieht das Gesicht zur Grimasse – der Wut! Er springt auf, reißt die Äxte hoch und rammt sie nach unten.
Der Held weicht zurück. Ein Magier schießt ihm ein Feuergeschoss in den Rücken, aber er fegt ihn abwesend vom Felsen. Emund lässt nicht locker. Geht ganz dicht auf Tuchfühlung. Ich habe schon einen Schlammball in der Hand, aber kann ihn jetzt nicht werfen, sie sind zu nah beinander.
Ein Tentakel umgeht Emund, packt ihn am Rücken, zieht ihn noch näher heran. Seine Axt landet im falschen Winkel an der Schulter des anderen, dass er einen unwillkürlichen Schritt nach vorne machen musste, hat er nicht einberechnet.
Der lippenlose Mund des Helden verzieht sich zu einem grausamen Lächeln, als er den zweiten Tentakel um Emunds Hals schlingt, die Spitze hinter seinem Rücken erhebt.
Emund lässt seinen Kopf auf die Stirn des kleineren Dämons heruntersausen. Duckt sich leicht, spannt seine Muskeln an und wirft den Tentakel ab. Schon hat der andere sich wieder gefangen, aber Emund hat genug Bewegungsfreiheit, seine Axt hochzureißen und damit das Bein seines Gegners zu verletzen. Der stolpert rückwärts, Emund hebt sein Bein und tritt dem Dämon mit aller Kraft vor die Brust.
Er wird vom Felsen gefegt. Landet hart.
"Runter von meinem Berg, du Scheißefresser!", brüllt Emund, zieht die letzte Silbe als Kriegsschrei in die Länge...und springt hinterher, die Äxte bereit. Nein, nein, nein! Du warst da oben völlig sicher, und jetzt...ich sprinte noch schneller, als ich es eh die ganze Zeit schon tat...sehe ich ihn nicht. Höre, wie eine Peitsche dumpf auf Haut trifft und Emund sicher so zurückwirft, wie mich vorhin. Wenn er sein Gegner nur geschwächt genug von seinem Fall ist...
Da schreit Emund noch einmal. Ich renne um den Felsen herum.
Er hat einen Tentakel in der Schulter. An diesem zieht sich der Held nach oben; Emunds Beine sind wie Baumstämme. Jetzt wieder auf dem Boden, bohrt der Dämon den anderen Arm in die Erde...
Der Barbar lässt beide Äxte fallen, packt den Tentakel in ihm und reißt an ihm, während er sich gleichzeitig auf die Seite dreht. Mit diesem Schwung holt er den weniger fest stehenden Dämon von den Beinen, besonders weil dessen anderer Arm im Boden verankert ist. Emund hält die Hände offen zur Seite – die Äxte erscheinen wieder darin! Mit einem schnellen Schlag seines unverletzten Arms trennt er die Waffe in seiner Schulter von ihrem Besitzer. Dieser zischt, zieht seinen Stumpf zurück und weicht etwas zurück. Seinen noch intakten Tentakel lässt er wieder als Peitsche hin- und herknallen und hält Emund damit auf Distanz, während er immer schneller nach hinten schreitet.
"Du bist Abschaum, Mensch, wie deine ganze Rasse! Lass dein Blut den Anfang machen, bald tränkt der Rest ebenfalls diese Bergflanken! Wir werden euer Heiligtum damit reinwaschen von eurem Schmutz, wie wir es schon mit so vielen deiner Brüder getan haben! Und du wirst in deinen letzten Minuten an Triefauge, den Entfesselten denken!"
"Was, das ist ernsthaft dein Name?", unterbreche ich ihn, bevor er weitermachen kann. "Und du gibst das auch noch freiwillig zu?"
Er fährt herum zu mir, der sich von hinten angeschlichen hat. "Wer in den stinkenden Himmeln bist..."
Ich gebe ihm eine saftige Ohrfeige. "Dorelem."
Andere Hand. "Der."
Und die erste Hand, aber als Kralle, die seine Kehle aufreißt. "Genervte."
"He, Tonbirne!", beschwert sich da Emund mit schwacher Stimme. "Das war meiner!"
Triefauge sinkt vor mir zu Boden, und ich sehe unseren Mitstreiter. Auf einem Bein kniend, der Arm unter der verwundeten Schulter hängt nutzlos herab, aus dem Loch fließt ungehindert Blut.
Ich eile heran, reiße mit mit der einen die andere Hand ab und klebe diese als Notverband über die Wunde.
"Tut mir wirklich Leid, dass ich dir dieses Opfer geraubt habe. Können wir über Wiedergutmachung reden, sobald wir dich am Sterben gehindert haben?"
Seine Lippen zittern leicht, als er antwortet. "Du schuldest mir
mindestens zehn Liter Bier..."
"Sicher, sicher. Achtung..."
Ich nehme ihn auf die Arme; ein ganz schönes Paket, aber nichts, womit ich nicht umgehen könnte. Er protestiert schwach, aber es geht ihm offenbar wirklich schlecht. Schnell trage ich ihn zurück zum Meister, der gerade den Rest des Widerstands sprengt.
"General, Emund ist verletzt! Hast du einen Heiltrank?"
Er wirft einen raschen Blick auf uns und mir dann kommentarlos ein Fläschchen mit der roten Flüssigkeit darin zu.
Jetzt wehrt sich Emund aber deutlich.
"Was ist los? Komm schon, das schließt die Wunde im Handumdrehen!"
"Bloß nicht!", keucht er. "Ich brauch den Arm noch. Seh doch das Loch...der Trank heilt zu schnell...die Schulter kann ich danach nie wieder bewegen!"
Hilflos sehe ich den Meister an. "Was dann?"
"Reicht dir dein anderer Arm nicht? Du bist doch beidhändig", schlägt der Meister vor.
"Das ist absurd", erkläre ich.
"Ich gestehe zu, dass es dich im Kampf schwächen würde. Aber tot nützt du mir und dir selbst auch nicht, hm?"
"Wir könnten ihn auch nach Hause bringen, General..."
Er seufzt. "Wenn es sein muss. Aber nur kurz, dann musst du eben zurück bleiben, Emund. Malah kann uns ja sicher bald sagen, wann wir wieder mit dir rechnen können, aber so wie es aussieht, brauchen wir wohl leider Ersatz. Schade, du warst ausgezeichnet gegen den Helden, so wie ich das gesehen habe. Aber da kann man wohl nichts machen. KoKoMal."
Das Stadtportal öffnet sich, ich nicke ihm dankbar zu und springe hindurch.
Nicht lange darauf liegt unser Begleiter wieder im Spital. Während Malah die Wunde reinigt, grunzt sie: "Ich frage mich, warum ich das Bett überhaupt abgezogen habe..."
Emund schafft ein schwaches Lächeln. "Weil es unsauber wäre, die Laken zu behalten. Ich will keine Infektionen."
Sie hebt eine Augenbraue. "Siehst du, das ist das Problem mit dir. Du bist so schlau, aber dennoch blöd genug, um mit diesen Irren mitzulaufen. Gib mir den Heiltrank, Dorelem."
Der General, der mit verschränkten Armen gegen die Wand lehnt, kichert freudlos. "Pass auf damit, da hat er schwer was dagegen."
"Ich werde ihn das Zeug garantiert nicht trinken lassen", schnauzt Malah. Dann träufelt sie etwas von der roten Flüssigkeit auf ein weißes Tuch und beginnt, die Wunde vorsichtig einzureiben. Dabei murmelt sie mit unbekannte Runenwörter.
Nach ein paar Minuten steht Schweiß auf ihrer Stirn – und das Loch in Emunds Schulter hat aufgehört zu bluten. Sie wischt sich das Gesicht mit dem beschmutzten Tuch, was den Meister eine angewiderte Grimasse ziehen lässt, und lässt einen langen Atem aus den Lungen weichen.
"So, das Schlimmste ist überstanden. Es ist sehr gut, dass du diese Tränke dabei hast. Wenn man die sparsam anwendet, kann man lange damit auskommen! Hast du etwas dagegen, wenn ich die halbe Flasche behalte?"
Der Meister schüttelt hastig den Kopf. "Bitte, bitte..."
"Gut. Dorelem, wärst du so gut und siehst, wo Anya bleibt? Ich hab sie doch schon vor ner ganzen Weile geschickt, um was zum Essen zu holen!"
"Hm, eigentlich keine schlechte Idee. Ich könnte etwas vertragen", brummt der Meister. Malah fährt ihn an. "Das ist nicht für dich! Emunds Körper hat gerade Einiges an Muskeln und Sehnen zurückwachsen lassen, er braucht Nahrung! Nun husch!"
Bin ja schon unterwegs.
Kurz nach Verlassen des Spitals läuft mir Anya auch schon entgegen, mit einem übervollen Tablett in den Armen. "Äh, Malah sagt, du sollst dich beeilen...", druckse ich. Sie nickt. "Ja...tut mir Leid...ich wollte es eben gut machen..." und eilt vorbei.
Oho, will sie Emund mit ihren Kochkünsten beeindrucken? Oder zumindest mit ihrer Fähigkeit, die guten Rationen aus der Küche zusammenzustellen...
Wer weiß? Vielleicht hilft es ja, wenn es ihm schmeckt. Ach ja, und wenn wir schon hier draußen sind...
Es hat Vorteile, wenn einen die Krieger mögen. Nach wenigen Minuten stelle ich ein kleines Holzfässchen und einen Krug neben Emunds Bett, worin er schon das Schlemmen begonnen hat.
"Ich hab dir zehn Bier versprochen – wenn hier nicht so viele drin sind, hol ich dir gerne noch eines", erkläre ich.
Er lacht laut. "Du bist in Ordnung. Dafür kann ich dir gerade noch mal verzeihen, dass du dem Scheißer vor mir den Arsch aufgerissen hast."
Ich sehe mich um. "Wo ist der General?"
"Auch essen", bemerkt Anya abwesend, während sie dieses und jenes um Emunds Bett richtet.
Malah streckt ihren Kopf zur Tür herein. "Er kommt zurecht, Mädchen! Hilf mir mal woanders mit!"
Sie seufzt. "Ja, Mutter..." Aber zum Abschied schafft sie es noch, Emund ein strahlendes Lächeln zuzuwerfen, das er trotz vollem Mund sogar sieht.
Nachdem er diesen Umstand mit einem ordentlichen Schluck behoben hat, grinst er mir zu. "Eigentlich ist Anya doch ganz in Ordnung. Aber sag ihr bloß nicht, dass ich das gesagt habe."
Ich hebe eine Augenbraue. "Warum, wovor hast du Angst?"
"Ach, weiß nicht", brummt er. "Hatte immer das Gefühl, da läuft nichts, weißt du? Und mein Typ ist sie eigentlich auch nicht, also hab ich mir gar nicht groß...scheiß drauf." Er nimmt noch einen Schluck.
Hilflos zucke ich mit den Schultern. "Glaube, da kann ich dir nicht helfen...wie auch."
"Warum, meinst du, du kennst dich nicht genug aus mit den Weibern?"
"Daran habe ich noch wirklich nicht...ich meine, ich bin immerhin..."
"Bah, ich hab die schärfsten Gestelle schon mit hässlicheren Kerlen als dir zusammen gesehen. Du kannst deinen Körper doch formen, wie du willst, oder? Darauf stehen die Mädels sicher!"
Uh...
Oh Himmel. Entschuldige mich während ich meine Gedanken mit einem weniger abstoßendem Thema beschäftige. Hast du dir eigentlich schon mal überlegt, ob unser Verhältnis zu Isenhart nicht auch gute Seiten hatte? Ich glaube, das mache ich jetzt.
"Ich bin mir nicht sicher, ob mir die Richtung gefällt, die unser Gespräch nimmt...", gebe ich zu.
Er zwinkert mir zu. "Komm...gabs denn keine, die du gerne mal zur Seite genommen und ein wenig geküsst und gestreichelt hättest?"
"Natürlich ni..." Ich halte inne. "Zumindest das mit dem Küssen ist mir so noch nicht gekommen."
Emund schüttelt den Kopf. "Du solltest auch mal in so ne Richtung denken! Das Leben ist mehr als nur immer Kämpfen, der Arreat weiß, dass ich schon mehr als genug Blut auf ihm vergossen habe! Und zum Leben gehören die Frauen dazu! Wenn es die nicht gäbe, wäre es doch sinnlos, die Welt zu retten zu versuchen!"
Ich huste gekünstelt. "Na, wenn du meinst..."
"Hat denn der General nicht auch ein Flämmchen, für die er den Berg hochrennt?"
"Woher weißt du das denn?", entfährt mir.
Gib es halt auch noch zu!
Entschuldige, wenn ich unter Freunden nicht jedes Wort auf die Goldwaage lege.
Entschuldige, wenn ich es für wahnsinnig halte, dass du ihn seit zwei Tagen kennst aber schon als vertrauenswürdig genug für solche Informationen erachtest!
"Na ja, manchmal rede ich ja doch mit Anya...und ganz so blöd ist sie jetzt auch wieder nicht...als sie dem General gesteckt hat, dass diese Natalya vor Kurzem hier war, wie er da geguckt hat..."
Ich nicke. "Ja, er liebt sie. Aber ich weiß nicht, ob er sie nicht gerade etwas aus den Augen verloren hat. Die Mission, Baal zu töten, hat ihn komplett eingenommen. Manchmal frage ich mich...egal."
Zur Hölle, wenn du jetzt weitergeredet hättest, hätte ich den Meister persönlich gebeten, dich wegen reiner Blödheit auszulöschen.
"Ihr wisst aber beide, dass sie jetzt schon seit zwei Tagen weg ist...?"
"Weißt du, wenn wir keine Hoffnung hätten, dann wären wir gleich zuhause geblieben", erkläre ich.
Emund lächelt wohlwollend. "Siehst du, das mag ich so an dir, Dorelem. Du bist so kompromisslos optimistisch, das hatt ich fast schon verlernt."
Sein Blick wird kurz ernst. "...das ist jetzt vielleicht beschissen von mir, aber ich denke, dir ist der Gedanke auch schon gekommen. Denkst du, wenn Natalya bei Bannuk übernachtet hat und erst nach seinem Tod aufgebrochen ist, bedeutet das...na ja..."
Selbstverständlich bedeutet es das. Glücklicherweise ist der Meister geradezu schmerzhaft naiv, was Frauen angeht...ich denke, den Gedanken hat er sich fast schon bewusst nicht gemacht.
Als ob du besser über Frauen Bescheid wüsstest.
Man kann viel Theorie lernen, wenn man nur die Augen offen hält. Das ist wichtig, um Menschen einschätzen zu können, weil eine peinliche Menge von ihnen einzig und allein durch Beziehungen zum anderen oder manchmal sogar, man stelle sich das vor, dem gleichen Geschlecht motiviert sind. Gut, dass wir gegen so etwas immun sind, nicht wahr?
Nein, ist es nicht. Emund hat Recht...die Liebe gehört zum Leben. Und ich lebe.
Dein Leben ist genauso ein Luftschloss wie deine Liebe. Trifft es ganz gut.
Meine Liebe ist...
Da erpart mir ein plötzlicher Besucher, den Gedanken zu Ende zu führen, und gewisse Peinlichkeit, weil ich Emunds Frage schon seit mehreren Sekunden des Streits mit dem Zweiten nicht beantwortet habe.
"Schönen Abend, meine Freunde. Ich hörte, dir ist ein Unglück widerfahren, Emund?", sagt Nihlathak, als er herein kommt.
"Unkraut vergeht nicht, Ältester", zuckt der Verletzte mit den Schultern. Schlechte Idee, zumindest für eine von ihnen.
Nihlathak schüttelt den Kopf. "Du machst mir wirklich Sorgen. Schon das zweite Mal, dass du hier liegst...soll das so weiter gehen?"
Er sieht mich ernst an.
"Dorelem, wäre es möglich, dass der gute Emund und ich ein Gespräch unter vier Augen führen könnten? Ich glaube, das wäre uns beiden lieber so."
"Selbstverständlich, Ältester. Emund, ich wünsche dir beste Besserung. Fühl dich bitte nicht zu irgendwas verpflichtet. Du warst uns eine große Hilfe, aber ich möchte nicht noch einen Mitstreiter unserer verdammten Mission opfern müssen."
"Ist ja nicht so, als ob mir eure Mission scheißegal wär", stößt Emund überraschend aggressiv hervor. "Tut mir Leid, Ältester", entschuldigt er sich gleich darauf mit einem schrägen Blick zu Nihlathak.
"Das besprechen wir nun in aller Ruhe, nicht wahr?", gibt dieser warm zurück. "Ich wünsche dir und dem General viel Erfolg, falls wir uns nicht mehr sehen."
"Ich richte es ihm aus. Adieu!", verabschiede ich mich.
Draußen merke ich, dass es tatsächlich schon Abend geworden ist. Das Stadtportal ist natürlich bewacht...ob wir das einfach über Nacht offen lassen können und jetzt hier bleiben?
Ich mache mich auf, den Meister zu suchen, um das mit ihm zu besprechen.
Wetten, dass du ihn bei Larzuk findest?
Wie kommst du darauf?
Ach, nur so eine Ahnung...
…warum habe ich nur das Gefühl, dass du gerade nicht an ein neues Hemd denkst?