Kapitel 20 – Emunds Geschenk
Eine nicht von Dämonen, also sauber und gerade in den Stein gehauene Treppe führt von dem Plateau, wo wir gegen Schenks Truppen angetreten sind, nach oben. Der Meister lässt die Barbaren vorangehen, schlägt dankend Angebote zur Hilfe aus und stützt sich dann heimlich auf ein Skelett. Es ist etwas sehr zynisch, aber irgendwie hoffe ich, dass er unter dieser verdammten Rüstung doch so verletzt ist, dass er sie einmal vor mir ausziehen muss.
Oben öffnet sich der Bergkamm zu einer weiten Ebene, an derem Horizont das Hauptmassiv des Arreats nicht zu übersehen ist. Viel näher hingegen liegt ein Wegpunkt; Emund und seine Träger sind schon verschwunden, Qua-Kehk wartet auf uns. Schnell entfernt der Meister seine Hand von den Schulterknochen seines Unterstützers und schreitet mit geballten Fäusten aufrecht weiter. Das wirkt mäßig würdevoll, soll aber wohl vor allem eines sein: langsamer als normaler Gang.
Der Truppenführer wirkt grimmig, aber als wir näher kommen, bricht doch ein breites Grinsen aus ihm heraus. "Ich kanns einfach nicht glauben, dass wir nur eine Stunde nach Sonnenaufgang schon gewonnen haben."
Erst bleibt der Meister stehen, zuckt dann mit den Schultern, und geht dann weiter. "Ich denke, ihr habt einfach nur ein paar mehr und ersetzlichere Soldaten gebraucht."
"Und gleich zwei Dickköpfe", grunzt Qua-Kehk. "Du hast mich ganz schön auf die Palme gebracht, aber weißt du was? Ist mir völlig egal, wir haben wegen dir gewonnen, das ist halt so. Wegen dir und Emund, nicht zu vergessen. Dafür bin ich euch ehrlich dankbar."
Er streckt seinen massiven Arm aus – und hält inne, als der Meister unwillkürlich zusammenzuckt. Das Grinsen auf dem rauen Barbarengesicht wird breiter. "Du kippst aus dem Latschen, wenn ich dir auf die Schulter klopfe, oder?"
"Ich bin ganz gut gerüstet", ätzt der Meister zurück, aber erntet nur schallendes Gelächter.
"Junge, hör auf, so hart zu tun. Ich glaubs dir ja, du bist verdammt gut, aber du bist auch nur ein Mensch, der gerade ziemlich verprügelt wurde. Das macht dich nicht schwach, sondern eigentlich ganz sympathisch. Und ich wette, mit ein paar Bieren in dir wirst du sogar locker genug, dass dir der Stock aus dem Hintern fällt!"
Haha, plötzlich ist er mir sympathisch, wie kommts?
Zwei zu laute Narren, die Gemeinsamkeiten finden? Wirklich, unverständlich.
"Ich trinke recht selten...", murmelt der Meister, aber da packt ihn Qua-Kehk schon um die Schultern, sodass er nicht umfallen, aber sich auch nicht bewegen kann. "Wunderbar!", ruft der Barbar. "Dann brauchst du weniger!"
Und wir verschwinden nach Harrogath.
Eine Stunde später steht der Meister auf einem Tisch in der größten Halle der Stadt, halb voller Humpen Bier in der Hand, der Schein offener Feuer bringt das matte Schimmern seiner Rüstung perfekt heraus, und als er sich verschwörerisch nach vorne lehnt, tanzen die Schatten über die wenige freie Haut, die er hat.
"Und dann", flüstert er, "hat er mich gepackt. Da hing ich in der Pranke der gewaltigen Echse, Dorelem über den ganzen Raum verstreuter Beobachter, und ich spürte meine Rippen aneinanderreiben..."
Dramatische Pause.
"Und dann hat er sie
zerquetscht!"
Der plötzliche Ruf des Meisters setzt sich durch den Raum voller betrunken werdender Barbaren fort.
"Was? Deine Rippen?", schreit einer deutlicher als der Rest.
"Ich fühlte mich wie Hackfleisch! Mit Glassplittern drin!", röhrt der Meister.
"Aber wie hast du..."
"Aber dann!", ruft er, bückt sich und hebt eine Tomate vom Tisch auf, die sich irgendwie zwischen die Berge aus frisch geschlachtetem Fleisch verirrt hat.
"Was? Was ist dann passiert?"
Der Meister donnert die Handschuhe zusammen, und roter Saft spritzt herum. Er verdampft, als er mich trifft.
"
So hat Diablo danach ausgesehen!"
Bevor neue Fragen aufkommen, hebt der Meister den rechten Zeigefinger. Mir fällt auf, dass er ihn nicht völlig ausstrecken kann...aber die Barbaren bleiber in gespannter Erwartung stumm. Sanft schüttle ich den Kopf. Er hat sie komplett im Griff – Trang-Ouls Rüstungsteile haben seinem Charisma kein bisschen geschadet, wenn er sich Mühe gibt. Oder wirkt der Alkohol dem Einfluss des Sets entgegen? Vielleicht sollte ich ihm ab und an etwas in den Tee gießen.
Der Mittelfinger gesellt sich zum Zeigefinger. "Zwei Wörter, Leute", haucht der Meister.
Die Faust eines mir unbekannten Barbaren bringt den schweren Tisch zum Vibrieren.
"Verdammt! Eiserne Jungfrau!"
Unser Festredner fährt zu ihm herum, triumphierend deutend schießt die Hand vor. "Riiiichtig! Hört dem Mann zu, von dem könnt ihr noch was lernen!"
Der junge Krieger strahlt. Rufe von "aber natürlich!" und "wusst ichs doch!" werden laut, während der Meister schallend lacht und einen langen Schluck von seinem Bier nimmt. Ja, diese Momente sind es doch, für die wir kämpfen...
Vorsichtig, aber bestimmt springt der Meister vom Tisch herunter. Er schwankt ein wenig, und ein Barbar stützt ihn schnell, gutherzig lachend. Der Alkohol oder die Verletzung? So oder so entschuldigt er sich bei den ihn direkt umgebenden Feiernden und sucht in der Menge nach einem bestimmten. Als er ihn gefunden hat, geht er an einen anderen Tisch und setzt sich zu Larzuk.
Ich lehne mich figurativ zurück und genieße für einen Moment die euphorische Stimmung. Alle hier wissen, dass immer noch der Schatten der Zerstörung über ihnen hängt, aber die direkte Bedrohung der ständigen Belagerung ist vorerst abgewendet, und der Weg kann nur weiter nach vorne gehen. Ob mehr oder minder zufällig oder nicht, der Meister hat ihnen Hoffnung gegeben, und das kann und will ich nicht schlecht reden. Malah hat bereits eine kleine Rede gehalten, in der sie seine Verdienste und die der Krieger gewürdigt hat, dann war der erste Gang fertig gekocht, die ersten Fässer angezapft und die Versammlung versank in feuchter Fröhlichkeit.
Da setzt sich Nihlathak zu mir. Für einen Moment schweifen seine Augen über den Raum, und sein Gesicht wirkt unendlich zufrieden. Dann wird er wieder etwas ernster und spricht mich an. "Dorelem, ihr habt die Hoffnungen erfüllt, die ich in euch gesteckt habe. Vielen Dank dafür."
"Nun, es ist lange nicht vorbei, aber den Anfang haben wir sehr gerne gemacht", antworte ich. "Ist es denn schon so bekannt, dass ich reden kann?", füge ich nach kurzer Pause hinzu. Denn bei seinen Geschichten hat der Meister zwar immerhin meinen Namen erwähnt, mir aber keine Sprechrollen gestattet. Außerdem habe ich den Ältesten gar nicht gesehen bis gerade...
Er lächelt milde. "Wir sind eine enge Gemeinde in unserer kleinen Stadt, so etwas spricht sich wirklich schnell herum."
Ich trommle mit den Fingern auf den Tisch. "Dann hoffe ich, dass wir bald auch von allen akzeptiert werden können."
Ein Blick in meine nähere Umgebung zeigt den gewissen Abstand, der mir von den meisten Barbaren fast instinktiv eingeräumt wird. Nihlathak schüttelt den Kopf. "Gib ihnen etwas Zeit. Der General hat sich ihnen als Krieger bewiesen, aber seine beschworenen Diener sind eine ganz andere Hürde."
"Ich bin schon froh genug um Euere Akzeptanz, Ältester. Das hilft ungemein."
"Nicht zuletzt deswegen habe ich mich auch zu dir gesellt, Dorelem", lächelt Nihlathak verschlagen. Dann wechselt er das Thema: "Emund meinte, er könne sich vorstellen, euch beide auch weiterhin direkt zu unterstützen..."
Ach, da war der gütige Alte während der Feier bisher. Der Lebensretter des Meisters war während Malahs Rede noch zugegen, aber dann verließen ihn die Kräfte, und er wurde ins Spital gebracht. Dort kümmert sich Anya um ihn, die sich bereit erklärt hat, der Feier fern zu bleiben. Offenbar ist Emund schon wieder wach? Ein zähes Volk, diese Barbaren.
"...aber ich weiß nicht, wie viel er euch wirklich helfen kann. Meinst du, er begibt sich dabei unnötig in Gefahr, oder könnt ihr ihn wirklich brauchen – und auch beschützen?", fährt der Älteste fort.
"Der Gedanke ist mir tatsächlich auch gerade gekommen", stimme ich zu. Nach kurzer Denkpause winke ich aber ab. "Ich denke aber, dass er ein wirklich wertvoller Verbündeter wäre. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass wir einen menschlichen Mitstreiter hatten..."
Meine Pause und dass sich mein Gesicht beim Gedanken an Kaschyas und Prathams Schicksal verdunkelt hat, müssen Nihlathak auf die richtige Schlussfolgerung gebracht haben: "Aber das war...weniger erfolgreich?"
Du hast Isenhart vergessen.
Scheiß auf Isenhart.
Ich seufze. Weil ich mich nicht voll darauf konzentriere, kommt es als das Zischen einer Stichflamme aus den Tiefen meines Feuerkörpers hervor.
Der Älteste nickt. "Bedenkt gut. So oder so wünsche ich euch viel Erfolg bei der Jagd nach Baal."
Er steht auf, verabschiedet sich und schlendert zu Deckard Cain, der ein Glas Wein mit Malah genießt. Die beiden scheinen das Eis gebrochen zu haben, das ihre Beziehung ursprünglich umgeben hatte...
Nach etwa einer weiteren Stunde und zwei weiteren mit großen Gesten vorgetragenen Geschichten entschuldigt sich der Meister, obwohl ihn alle zum Bleiben drängen. Qua-Kehk springt aber für ihn in die Bresche, wohl auch, weil er als einziger der Barbaren weiß, dass der Meister nicht nur wegen zu viel Bier in zu kurzer Zeit etwas wacklig auf den Beinen ist. Anständig von ihm.
Draußen bleiben wir stumm, bis das Fest hinter einer Ecke verschwunden ist, dann bleibt der Meister stehen, atmet einmal tief durch und stützt sich dann auf meine Schulter.
"Himmel, noch so eine Runde Selbstbeweihräucherung hätte ich nicht gepackt. Mach ein wenig langsamer."
Ich gehorche gerne. "Bist du dir sicher, dass es nicht auch noch eine Runde Bier ist, die dir den Rest gegeben hätte?", necke ich. Er sieht mich mit möglicherweise gerunzelter Stirn an, wenn ich seine Stimme richtig deute. "Nein, natürlich nicht, spinnst du?"
"Dafür, dass du nicht wirklich geübt bist, hast du ganz schön viel geschluckt...", gebe ich zu bedenken, aber er lacht nur. "Dorelem, machst du hier nicht einen Fehler, den ich etwas früher heute schon begangen habe? Welche Eigenschaft hat denn der Dolch an meiner Hüfte, hm?"
Mir dämmert es. "Du bist giftimmun...dann kannst du natürlich auch nicht betrunken werden!"
"Richtig. Ich gebe zu, das
wusste ich nicht, aber es gab Sinn, also habe ich es riskiert. Hoffentlich war es das wert, aber ich glaube, ich habe die ganz gut um den Finger wickeln können."
"Und du genießt die Aufmerksamkeit und Bewunderung natürlich überhaupt nicht."
"Vielleicht ein bisschen", sagt er neutral, aber den Schatten eines Grinsens kann er sich doch nicht verkneifen.
"Ich wette, du könntest sie noch viel besser von dir einnehmen, wenn sie einmal dein Gesicht sehen würden", versuche ich es noch einmal voller Hoffnung, aber sofort verschwindet das Grinsen und damit die Hoffnung.
"Wir werden damit nicht wieder anfangen", sagt er.
Ich seufze. "Na schön, anderes Thema. Nihlathak meinte, dass Emund uns vielleicht begleiten will."
"Ernsthaft? Ist der denn überhaupt kampffähig nach seiner Vergiftung?"
"Ich weiß es nicht. Wie gesagt, aus zweiter Hand."
"Dann finde es heraus. Am besten von Emund selbst. Vielleicht kannst du ihm auch gleich ein wenig klar machen, dass es eine bescheuerte Idee ist", sagt er brüsk.
"Ich war mir da nicht ganz sicher..."
"Ich mir schon", schneidet er mich ab. "Du hast das Hochland gesehen, da kann uns gar nichts überraschen, so offen wie es ist. Aber ihn kann jederzeit ein Tentakel treffen oder ein Angreifer durch unsere Linien brechen, und dann ist er tot und ich muss den Leuten hier erklären, dass ich einen von ihnen auf dem Gewissen habe, weil ich halt nicht die ganze Zeit neben ihm stehen kann und Knochenrüstungen verteilen. Die sollen mich weiter gern haben, ich kanns nicht brauchen, wenn mir hier an der Heimatfront von ein paar Blockhirnen das Leben schwer gemacht wird."
Auf seine giftige Tirade fällt mir erst einmal keine Antwort ein, und bald sind wir bei unserem einstweiligem Heim angekommen. Er hält sich am Türknauf fest.
"Ich denke, etwas Ruhe wird mir gut tun. Vielleicht ziehen wir später heute noch weiter, je nachdem, wie es mir am Nachmittag geht."
"Gönn dir eine Pause!", rate ich ihm besorgt. Er verzieht das Gesicht. "Keine Sorge, ich will ja nicht einmal, dass du mich aufweckst. Ich lege mich ein wenig hin und wir werden ja sehen, wann ich aufwache...bis dann. Vergiss nicht, Emund die Flausen aus dem Kopf zu reden."
Und damit ist er weg.
Das Spital ist tagsüber naturgemäß ruhig, aber ich bilde mir leicht überheblich ein, dass meine Hilfe letzte Nacht auch dazu beigetragen hat, dass es den Menschen hier besser geht. Emund liegt auf einer Strohmatratze wie jeder hier, und nur ein Vorhang gibt moderate Privatssphäre. Sein Ausdruck wirkt grimmig, aber die Hasenkeule, in die er gerade beißt, scheint ihm dennoch zu schmecken. Als er mich sieht, winkt er mit dem Knochen, schluckt hastig und spült mit einem großzügigem Schluck Bier hinunter.
"Dorelem! Schön, dich zu sehen."
"Du wirkst ja schon fast wieder gesund", bemerke ich. Er winkt ab. "Ich hab nur ein wenig Ruhe gebraucht, das war mehr als genug. Jetzt wollen die mich hier noch mindestens bis morgen dalassen!"
Anyas Stimme schallt durch den Raum. "Eine Woche würde ich sagen, wenn ich nicht wüsste, dass du eh davonläufst!"
Gelächter von anderen Patienten gibt ihr Recht. Es geht relativ locker zu hier; selbst Barbaren, die einen Arm oder mehr verloren haben, lassen sich nicht unterkriegen. Ich weiß nicht, ob ihre Fröhlichkeit nur aufgesetzt ist, aber ich vermute, das ist einfach eine Sache der Einstellung. So sehr die anderen auch lästern, mir ist das extrem sympathisch. Die Härte dieses Volkes ist legendär, aber es ist weniger bekannt, dass dies nicht die Härte eines Steines ist, der bei zu viel Druck zerbricht; es ist die eines ganzen Gebirges, dem es völlig gleichgültig ist, wie lang und hart die Elemente über es hinwegwüten, ob seine Seiten zersplittern, der Gipfel in einer Lawine vergeht, am Ende steht es immer noch.
Emund hat sich mit einer gutherzigen Beleidigung revanchiert, aber lehnt sich wieder zurück. "Dann bleib ich halt über Nacht, zur Hölle." Er nimmt noch einen Bissen und Schluck.
"Wenigstens lassen sie dir dein wohlverdientes Bier", grinse ich. Als Antwort hebt er den Humpen zum Gruß, trinkt noch einmal, und brummt dann: "Die anderen mussten schon Wort halten! Wenn sie sagen, sie geben mir eins aus, dann lass ich mir auch eins ausgeben."
"Oder fünf", sage ich mit einem Auge auf das Fässchen, mit dem Emund nachfüllen kann. Sein Glucksen ist dunkel. "Ehre, wem Ehre gebührt."
Ich beschließe, meine Mission etwas nach hinten zu verschieben. Setze mich zu ihm und tue so, als würde ich es mir gemütlich machen – natürlich ist es mir in jeder Position gleich angenehm.
"Kaum in Worte zu fassen, wie froh ich bin, dass du noch lebst", gestehe ich ihm. "Nachdem du den Meister schon das zweite Mal aus der Bedrängnis gebracht hast...vielleicht noch einmal öfter, wenn ich an den Katapultplan denke."
"Dafür hat er uns allen den Arsch gerettet, ich würde sagen, das gleicht sich aus", grunzt er. "Wobei ich schon sagen muss, das war schon ne scheißgeniale Idee von mir."
"Du glaubst nicht an falsche Bescheidenheit?", scherze ich. Er lacht. "Mit sowas kann ich anfangen, wenn ich vor die Urahnen trete. Aber ne, was soll der Mist. Wenn du was leistest, kannst du auch stolz darauf sein, so funktioniert das. Werd nie überreißen, dass die Flachländler sich so oft dafür entschuldigen wollen, wenn sie was richtig machen."
"Ich glaube, das ist eine religiöse Sache", mutmaße ich. "Das Streben nach Macht und Reichtum führt in die Hölle, oder so."
"Und du glaubst an diesen Rotz?"
Ich sehe, er glaubt nicht nur nicht an Bescheidenheit, Takt gehört auch nicht zu seinem Credo.
Ich verziehe das Gesicht. "Das fällt mir aus zwei Gründen schwer: Erstens, ich
war in der Hölle. Der Weg nach da unten ist gepflastert von Willkür. Zweitens, ich bin nicht einmal ein Jahr alt. Schwer, in so kurzer Zeit absolute Überzeugungen zu erlangen."
Ha, was für ein Humbug. Du glaubst an härtere Prinzipien als die meisten hier.
Vielleicht habe ich das ein wenig falsch ausgedrückt...
Vielleicht bist du ein dreckiger Heuchler.
"Hab schon blödere Einjährige gesehen", feixt Emund, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. "Aber mal ehrlich, was hat es denn mit Geld oder Gewalt zu tun, auf seine Leistungen stolz zu sein? Für die kann man sich hier nichts kaufen. Ehre ist unsere Währung, der mit der meisten kriegt das meiste Vertrauen, dann muss er führen, das ist ein Drecksberuf. Frag Qua-Kehk, der hat sich das auch nicht gerne ausgesucht."
"Also auch nichts für dich?"
Er spuckt auf den Boden. "Niemals. Schau, ich halte mich für ein ganz schlaues Kerlchen, beweis ich auch gerne, aber das heißt für mich, Nase aus dem Feuer halten. Ich hab größten Respekt vor den Leuten, die nach vorne laufen mit zwei Schwertern in den Händen und keine Rüstung, weil ihnen das zu langsam wäre, aber das sind auch die ersten, die verrecken. Nicht mein Ding, mein Kopf ist mir zu wertvoll, um in erster Reihe zerdeppert zu werden."
"Das kommt aber sicher nicht gut an bei denen, die vor dir stehen, oder?", vermute ich.
"Scheiße, nein", gibt Emund mit bitterem Lächeln zu. "Gibt genug, die mich Feigling schimpfen."
"Aber du bist keiner."
"Wissen genug andere, und darum führ ich ja auch eine eigene Truppe. Wollt ich auch nie. Muss ich aber, und ich machs gerne, die Jungs habens verdient, was von meinem Hirn abzubekommen, bevors doch irgendwann auf den Hängen verteilt wird."
"Heute warst du kurz davor."
Emund schweigt eine Weile und füllt seinen Krug nach, trinkt ein wenig mehr. Dann: "War ich schon so oft in den letzten Wochen, ich kanns schon gar nicht mehr zählen. Scheiße..."
Er trinkt weiter.
"...manchmal dachte ich, vielleicht bin ich doch zu feige und pack den Scheiß einfach nicht mehr. Das Ganze hier...ein Krieg gegen Feinde, die uns einfach so dermaßen lächerlich überlegen sind, dass man nicht mit Kraft, nicht mit Geschick und nicht mit Intelligenz gegen sie ankommt. Man kann nur sterben, sterben, sterben und wenn man Glück hat, nimmt man einen mit und wenn man verdammt gut ist dazu, noch einen zweiten."
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Lass es, er will nur reden.
Tatsächlich spricht er bald weiter. "Das ist einfach eine Art von Krieg, auf die wir nicht mal so ein bisschen vorbereitet waren, zur Hölle, sein konnten. Unsere Art zu kämpfen hat sich seit Ewigkeiten nicht verändert. Aber Scheiße, es hat
immer funktioniert, weil wir einfach die Leute dafür haben. Mit brutaler Gewalt lassen sich Probleme lösen. Das hier? Ha! Die haben mehr Gewalt. Sind zäher, ekelhafter und schlicht besser als wir. Wir hätten nach der ersten Schlacht bereits raffen müssen, dass es so nicht gehen wird. Dass sie uns den Arsch von hier bis nach Kehjistan aufreißen, wenn wir nicht radikal umdenken."
Noch ein Schluck.
"Aber das kriegen wir nicht hin. Wir haben den Auftrag, hier Wache zu halten und jeden Sausack zu verprügeln, der versucht, auf den Arreat zu kommen. Das hat immer hingehauen,
weil wir jedes Mal, wenns brenzlig wurde, das Gleiche gemacht haben: Ignoriert, dass wir eigentlich verlieren sollten, und stattdessen gewonnen, weil wir für die Alternative viel zu stur sind. Tja, jetzt waren wir zu stur um festzustellen, dass wir das hier nicht gewinnen werden."
"Mit
wir meinst du aber nicht dich?", werfe ich ein.
Emund lacht trocken. "Hast du schon vergessen, dass ich genauso bereit war, den Scheißberg, tschuldigung Urahnen, hochzustürmen? Drecksidee, du hasts gehört, was ich davon gehalten hab. Wär trotzdem mitgelaufen. Wär trotzdem gestorben."
Ich lege mein Kinn in die Hand und blicke ihn lange an. Dann, endlich, meine Frage.
"Warum?"
Weil er ein Wilder ist – ein schlauer Wilder, aber letztlich kann er nicht aus seiner Erziehung entkommen.
Emund trinkt wieder. Isst in Ruhe sein Mittagessen auf. Er scheint kein Problem damit zu haben, länger über die Frage nachzudenken und derweil zu schweigen; mir wird es etwas unangenehm.
"Soll ich gehen?", frage ich ihn nach ein paar Minuten.
"Wenn du nicht länger auf die Antwort warten willst? Sonst frag mich meinetwegen etwas anderes."
Oh.
Kann es etwa sein, dass du ihn beleidigt hast?
Aber...
Ehre, Ehre, Ehre...ist doch immer das Gleiche.
Ich bezweifle, dass das so einfach ist. Aber gut. Emund denkt offenbar nicht nach – dann werde ich es eben tun. Wobei, wenn ich ausnahmsweise meinen Befehl befolge, kann ich möglicherweise etwas mehr Licht auf die Angelegenheit werfen...
"Emund, Nihlathak hat vorhin mit mir geredet. Er meinte, du überlegst, ob du nicht mitkommen möchtest."
"Wieder den Berg hochlaufen und den Dämonen entgegen, gegen die man nur sterben, sterben, sterben kann, meinst du?", sagt er ruhig, die Augenbrauen hochgezogen.
Ich strecke eine Hand aus. "Wirst du mir die Frage beantworten, oder nicht?"
Er lacht. "Ja. Und ja. Will ich. Werde ich. Keine Überlegung."
"Und wir haben da nichts mitzureden?"
"Du kannst dich gerne mit mir prügeln", grinst Emund.
"Aber...warum?"
"Mensch, du willst schon die Antwort auf alle Fragen, oder?"
Hilflos zucke ich mit den Schultern. Sein Grinsen wird breiter. "Aber die hier ist ganz einfach. Kannst du dir auch selbst beantworten. Ihr
braucht jemanden, der euch den Rücken freihält. Der General kann Dämonen links und rechts zerlegen, dass es nur so raucht, aber die hier haben den entscheidenden Nachteil, dass sie verdammt gut darin sind, ihm im Gegenzug auch die Fresse zu polieren. Ich weiß nicht, ob er das kapiert hat. Hast du?"
"Oh, ich denke, nach der ursprünglichen Überraschung kriegen wir das immer ganz gut hin..."
"Und wenn nicht?", unterbricht Emund mich mit erhobenem Finger. "Pass auf, Dorelem. Wir waren hier am
Arsch, bis ihr gekommen seid. Ihr habt uns aus der größten Scheiße gezogen, in der wir je waren, und das innerhalb von einem Tag. Das ist eine Leistung, die so beeindruckend ist, dass ich mich spontan entschieden habe, dass es mein Leben wert ist, wenn ich dafür sorgen kann, dass ihr sie wieder und wieder bringen könnt. Und das ist immer noch der Fall.
Ein Fehler, eine weitere Überraschung zu viel, und wir sind wieder in der genau gleichen Scheiße. Die kommen wieder, zwei Tage später sind wir alle tot."
Er hält kurz inne.
"Und dann die ganze Welt."
Sein Bier ist leer, ich fülle es ihm wieder.
"Wir werden nicht versagen", versichere ich ihm. Sein Blick wird hart. "Und dafür werde ich sorgen, ja. Ihr habt uns Hoffnung gegeben, als wir kurz davor waren, an uns selbst zu zerbrechen. Mann, ich bin gerne Barbar, ich liebe mein Land, meine Traditionen, aber ich seh doch die Wahrheit. Wir schaffen das nicht alleine, euch haben die Urahnen geschickt oder der Himmel oder was weiß ich, scheißegal."
"Ich würd es nicht ganz so blumig ausdrücken, aber man muss dir zugestehen, dass du einer der ersten warst, die das gesehen haben", sage ich.
"Wer denn noch?", fragt Emund.
"Nihlathak", antworte ich und erzähle ihm schnell von dessen Begegnung mit uns noch vor dem Kriegsrat. Danach lächelt Emund entfernt.
"Ja, der gute Älteste. Die Leute haben ihn nie wirklich gemocht, weil er so viele Sachen in Frage gestellt hat. Gehört sich doch nicht, gerade für sein Amt, meinten sie. Er ist Ältester geworden, weil es sein Vater war, weißt du das?"
Unfug, das ist kein erblicher Titel. Sag ihm das.
"Ich dachte...", beginne ich, aber Emund unterbricht mich. "Verboten ist es nicht, nur ungewöhnlich. Aber sein Alter hat ihn gut vorbereitet, ihn sein ganzes Leben lang darauf getrimmt, einmal einer der Besten zu sein. Und na ja, ich würde sagen, das ist er auch. Mir scheißegal, was die anderen nölen."
Was hat Nihlathak dem denn gefüttert?
"Ihm liegt offensichtlich viel an Harrogath", gestehe ich zu.
"So viel wie jedem von uns. Er ist bloß besser darin, das Richtige zu tun. Und ich versuche auch nur, seinem Beispiel zu folgen."
"Und darum willst du uns unterstützen?"
"Und darum werde ich das tun, exakt. Verwette deinen Arsch darauf, dass ich das machen werde."
Wie soll ich meine Antwort jetzt formulieren, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen?
So ehrlich wie möglich, natürlich.
"Emund, wir haben bisher jedem Menschen das Leben gekostet, der beschlossen hat, mit uns zu kommen. Das macht mir Gedanken."
Bevor er reagieren kann, hebe ich die Hand. "Aber wie du mir schon genug zu verstehen gegeben hast, hast du längst entschieden, dass dir unser Erfolg dein Leben wert ist. Das ist ein Geschenk, dessen Größe mir eigentlich zu hoch ist, aber es ist ein wenig zu spät, es auszuschlagen. Nicht, dass ich dir jemals das Recht absprechen würde, deine eigenen Entscheidungen zu treffen."
Er nickt knapp.
"Das Problem wird sein, den General zu überzeugen", fahre ich fort.
"Warum sollte das ein Problem sein?", schmunzelt Emund.
"Nun, er ist strikt gegen jegliche Unterstützung."
"Denkt er etwa, dass ihm eine ganze Horde schwitzender Narren den Weg zu den Dämonen versperren werden? Ich weiß schon, nach der Schau, die ihr heute abgezogen hat, wird sich der letzte Hosenscheißer darum reißen, an eurer Seite zu kämpfen. Aber das wird nicht passieren. Wie wir wieder und wieder aufs Hässlichste gelernt haben, verheizen sich unsere normalen Krieger nur sinnlos gegen die Dämonen. Nihlathak hämmert das Qua-Kehk gerade ein, wenn er ihn lang genug von seinem Bier wegzerren kann. Meine Jungs kommen nicht mit, das lasse ich nicht zu. Ich bin der beste Axtwerfer hier und weiß, wie man sich aus der tiefsten Scheiße fern hält. Meine Sache, meine Entscheidung, mein Leben für euch."
Ich seufze. "Ganz ehrlich, Emund? Ich weiß nicht, was er denkt. Mich musst du nicht mehr überzeugen. Prügel es ihm ins Hirn hinein, vielleicht schaffst du es, auch seinen Sturschädel ein wenig einzudellen. Bei deinen Landsleuten scheinst du es hinbekommen zu haben."
Er grinst. "Wird mir ein Vergnügen. Hey, es ist eine Schande, dass ich dir keinen Schluck anbieten kann."
"Ach, das kriegen wir schon hin", scherze ich, nehme den Krug und hebe ihn zum Gruß. "Auf dein Geschenk, Emund. Ich hoffe inständig, dass wir es dir am Ende dieser ganzen Angelegenheit wieder zurückgeben können."
Mein Schluck verdampft in meinem Inneren, ich lasse die Wölkchen aus meinen Nasenlöchern entweichen.
Ich habe so das dumpfe Gefühl, dass du den Befehl des Meisters ein bisschen falsch verstanden hast.
Das ist mir egal, und es war vage genug, dass ich mich nicht gezwungen fühle. Emund hat Recht, wir können ihn brauchen, und der General ist verrückt, wenn er glaubt, dass ihm ein Zacken aus der Krone bricht, falls Emund doch stirbt. Kann nicht sagen, dass ich diese Leute wirklich verstehe, aber was er sagt, reicht mir. Sein Leben ist ihm weniger wert als sein Auftrag, den Berg und damit die Welt zu schützen. Erinnert dich das nicht an jemanden?
Oh, ich bin mir sicher, der Meister hat höchstes Interesse daran, zu überleben.
Emund auch, das ist der Punkt! Wenn er mit einem Lachen in das größte Chaos stürmen würde, wäre ich auch dagegen gewesen. Und im Gegensatz zum General ist er wenigstens
ehrlich.
Du hast eine bemerkenswert simple Art, dir Leute auszusuchen, denen du vertraust. Nicht völlig geistig behindert, aber genug, um seine Meinungen offen zur Schau zu tragen. Ob er uns tatsächlich nützen oder uns sogar schaden könnte, hast du nicht bedacht?
Emund glaubt noch mehr an uns, als wir selbst das tun. Ist das nicht allein schon die Welt wert?