Kapitel 76 – Pläne und ihr Scheitern
Als es plötzlich, zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin mit dem Fürsten, an der Tür des hastig und unter hasserfüllten Blicken der Wirtin freigemachten Zimmers des Fremden in Atmas Taverne klopft, dauert es lange, bis eine Antwort erfolgt. Schon beginnen sich Schritte zaghaft zu entfernen, da schwingt das Holz auf, an die Wand knallend, und im schummrigen Ganglicht schimmernd steht der Berobte im Türstock, trotz der passiven Maske eine Aura der Wut ausstrahlend.
„Es ist zu früh!“
Hat der Knall der Tür den vorher Klopfenden nicht schon genug erschrocken, so lässt ihn diese donnernde Stimme endgültig die Fassung verlieren; sichtlich beim Zusammenreißen scheiternd, dreht er sich um; es ist der Söldner, der am Wegpunkt Wache gehalten hatte. Mit bemüht fester Stimme verkündet er den Grund seines Kommens.
„Fürst Jerhyn lässt Euch ausrichten, dass er grundsätzlich nicht Bittsteller besucht, sondern diese ihn. Der Termin in nunmehr fünf Minuten gilt noch, er rät Euch, ihn nicht zu verpassen.“
Kurze Sekunden vergehen, während derer sich im verkrampften Gesicht des Söldners Ewigkeiten voller Todesangst widerspiegeln; mühsam unterdrückter Zorn spricht aus jeder Gewandfalte des Goldenen. Schließlich rammt er den Stab auf den Boden und schüttelt den Kopf.
„Oh, die Arroganz der vermeintlich Mächtigen...geh. Geh und berichte deinem Fürst, dass ich komme!“
Der Bote flieht. Sobald er um die Ecke verschwunden ist, stürzt der Maskierte in würdeloser Hast zurück ins Zimmer.
Fürst Jerhyn von Lut Gholein, Protektor der ganzen Wüste Aranoch, Herr über die Handelsrouten bis auf halbem Wege nach Kehjistan, starrt auf die Wasseruhr auf der stilvollen Kommode an der Wand.
„Noch zehn Tropfen – das schafft er nicht.“
„Ist diese denn nach der Sonnenuhr auf dem Platz vor der Taverne gestellt? Nicht, dass die Wachen zu früh zugeschlagen haben...“
Der Blick des Mannes in den prunkvollen blau-weißen Roben fährt herum zum Sprechenden, dessen schwarze Haut einen interessanten Kontrast zum Rot und Orange seiner Gewänder bietet.
„Natürlich ist sie das! Wie könnte ich ein solches Detail übersehen, Drognan?“
Trotz seiner geäußerten Sicherheit wirkt der Fürst doch reichlich nervös. Sein Berater lehnt sich übertrieben entspannt an die Wand.
„Nun, er sollte, selbst wenn er nach Erhalt der Nachricht sofort aufgebrochen ist, nur gerade so rechtzeitig eintreffen; und dann sind die Anweisungen der Posten am Eingang ja eindeutig...er wird aufgehalten werden, bis er zu spät ist, und dann von den Wachen hierhergeführt werden; so ist er automatisch von diesen umgeben, und Ihr habt sofort die Möglichkeit, ihn für sein Zuspätkommen zu schelten und aus offensiver Position das Gespräch zu beginnen, ohne den Schutz mehrerer Männer vermissen zu müssen.“
Die Art, wie Drognan den bekannten Plan des Fürsten herunterleiert, lässt klar erkennen, was er am liebsten dazu gesagt hätte, wenn nicht seine Stelle auf dem Spiel stünde. Sein Arbeitgeber bemerkt allerdings Nichts davon und blickt weiter irritiert auf die Wasseruhr.
„Ja...da, noch drei Tropfen! Er kommt zu spät!“
Auch der vorher so betont ruhige Berater starrt zusammen mit seinem Fürsten auf die flüssigen Zeiteinheiten, von denen eine alle fünf Sekunden heruntertropft.
Platsch.
Platsch.
Pla...
„Seid gegrüßt, Fürst Jerhyn.“
Die ruhige, ölige und absolut unehrliche Stimme lässt beide Männer zusammenfahren. Langsam drehen sie sich gleichzeitig um – und vor ihnen steht ein Fremder in gold-blauen Roben, eine Alles verdeckende Gesichtsplatte vor Augen, einen Stab auf den Rücken geschnallt.
„Wie...wie seid Ihr hier hereingekommen?“
„Tut dies etwas zur Sache? Wir wollten einander sprechen, und da Ihr nicht gewillt schienet, meiner Aufforderung zu einem Besuch zu folgen, folgte ich eben Eurer, als Geste guter Gesinnung...“
Jerhyn muss sich sichtlich straffen.
„Genau. Nun, Ihr seid pünktlich, das ist zu begrüßen...damit können wir gleich zur Sache kommen. Mein Berater hier wird Euch meine Gedanken vermitteln...“
Der leisteste Hauch eines Seufzers dringt über Drognans Lippen, aber sobald der leere Blick hinter goldener Härte vollende zu ihm gewandert ist, dem er, ungleich seinem Herrn, problemlos standhält, beginnt er sofort zu sprechen.
„Ihr habt einen ehemaligen Bürger dieser Stadt getötet und bringt uns nun seine Leiche als ‚Geschenk’, ungefragt plötzlich durch den antiken Wegpunkt eindringend. Egal, was dieser Bürger getan haben mag – nach Eurer Wissenslage war er ein unwissend zufällig Eindringender in Euere Zuflucht. Dass Ihr ihn dann gefoltert und ermordet habt lässt uns ein wenig spektisch werden im Bezug auf die wahren Motive Eueres Kommens. Also, der Fürst verlangt Antworten. Weshalb seid Ihr hergekommen? Wer seid Ihr eigentlich?“
Der Fremde rührt keinen Muskel, nur seine Stimme dringt dumpf hinter der Gesichtsplatte hervor.
„Dass Ihr vorhattet, mich mit Hilfe eines so naiven wie unmäßig arroganten und lächerlichen Planes von vorneherein in diesem ‚Gespräch’ zu benachteiligen, lässt bei mir gewisse Zweifel bezüglich Euerer Motive aufkommen...also, warum stelle ich hier nicht die Fragen, oh Fürst?
Jedoch...noch immer bin ich unnötig gnädig...Ihr habt Euch zunächst den Hinweis verdient, dass mein verkündetes Kommen aus Horazons Zuflucht genug Unklarheiten bezüglich meiner Herkunft und Identität beseitigen sollte.“
Fürst Jerhyn ist der Mund aufgeklappt, als die kalte Stimme jeden Hauch von öliger Untergebenheit verloren hat. Nun jedoch verzieht er ihn missbilligend.
„Da Ihr die gleiche lächerliche Aufmachung tragt wie der selbsterklärte ‚mächtige Zauberer’, der nach eben jener Zuflucht in meinem Keller suchen wollte – und das kurz bevor dieser von Monstern überrannt wurde – kann ich diesen Hinweis in der Tat nicht ganz nachvollziehen. Ich sage Euch allerdings, was ich mir dazu gedacht habe. Ihr seid schuld an den Dämonen da unten, und dass Ihr jetzt persönlich hier seid, zeigt nur, wie verzweifelt Ihr seid, nachdem der General Euere Armeen vernichtet hat – der Keller ist jetzt frei von Monstern, das weiß ich!“
Die vollkommene Überraschung auf Drognans Gesicht lässt durchscheinen, dass ihm der Fürst gewisse Details vergangener Ereignisse vorenthalten hat, und er scheint darüber nicht wirklich erfreut zu sein.
Der goldene Fremde...lacht.
„Jener General, der nach seiner Aussage in dieser Stadt geächtet ist, wird jetzt als großer Held gesehen? Vielleicht solltet Ihr Euch mal für eine klare Linie in Euerer Propaganda entscheiden, Fürst, ständiges Wechseln zwingt Euch nur dazu, doch keine Wahlen einzuführen, um sie nicht zu verlieren.“
Drognan stößt sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und deutet mit drohendem Zeigefinger auf den Zauberer.
„Wie genau wir zu dem General stehen, den Ihr getötet hat, geht Euch Nichts an!“
In diesem Moment platzt eine Palastwache durch die Eingangstür, schwer atmend.
„Herr, er ist verschwunden, und die Leiche des Generals auch! Wir haben alle Ausgänge überwacht, aber...“
In diesem Moment sieht der Hereingestürzte, welche goldbehelmte Gestalt noch im Zimmer steht, und zuckt zurück. Jerhyn springt mehrere Schritte zurück.
„Es reicht, keine Tricks mehr von Euerer Seite! Packt ihn!“
Ein Kissenberg direkt neben dem Fremden fliegt plötzlich in alle Richtungen auseinander, als die Wache, die vorher einen Botengang zu erledigen hatte, darunter aufsteht, und sich zusammen mit der gerade hereinkommenden auf ihn stürzt. In Sekundenschnelle sind beide Arme des Zauberers fixiert. Fürst Jerhyn tritt näher an ihn heran.
„Ihr werdet meine Stadt nicht gefährden, Euere Dämonen nicht meine Herrschaft stehlen...Lut Gholein ist mein, und da pfuscht mir weder ein selbsterklärter Weltretter noch ein Störenfried wie Ihr ins Handwerk!“
Der Fürst zieht einer der Wachen das kurze Schwert aus der Scheide an ihrem Gürtel und holt damit ungeschickt aus, jedoch der Ungeschickteste kann eine Brust treffen, wenn der ganze Körper an den Armen festgehalten wird...
Da erblühen gelbe Linien über den Köpfen der Gegner des Fremden, jeweils drei an der Zahl, nie die Haare derer berührend, über denen sie tanzen, sich umeinander winden; und der Schwung des Fürsten wird zum Kampf, die beiden Festhalter tun sich sichtlich schwerer, ihre Aufgabe zu erfüllen...
Der Goldene reißt die Arme auseinander, und ist frei. Blitzschnell packt er den Fürsten am Handgelenk. Er wirbelt ihn herum, klammert ihn mit einem Arm fest und schüttelt die weite Robe von seiner anderen Hand weg...
Drei angespitzte Knochenstangen schießen, den Handschuhstoff zerreißend, aus ihrem Rücken hervor, und stoppen nur Millimeter vom Hals des Herrschers entfernt.
Der Knochenhelm schiebt sich nahe an das Ohr des Zitternden.
„So muss es sich anfühlen, wenn das Volk rebelliert, nicht wahr? Egal, wie viele man von seinen Gegnern tötet, sie kommen immer wieder zurück, denn Unzufriedenheit lässt sich vom Tod nicht stoppen...“
Drognan, von sämtlichen Wendungen der Ereignisse absolut überrascht, hat die neuste Situation dennoch als Erster erfasst, und springt vor, seinen eigenen Stab hebend.
„Halt, Schlächter unserer Hoffnung, so weit kommt es nicht! Ich bin absolut fähig, Euch in dem Moment zu töten, da Euere Klauen auch nur einen Tropfen Blut vom Halse des Fürsten ziehen!“
„Euch ist bewusst, dass es nicht bei einem Tropfen bleiben wird in diesem Falle...?“
Drognan schnaubt.
„Da ich mir keinen inkompetenteren Herrscher als ihn vorstellen kann, würdet ihr mit seinem Tod wohl wenigstens dem Volk Lut Gholeins an sich einen Gefallen tun, wenn ihr schon der Welt selbst keinen tatet, indem Ihr den einzigen tötetet, der sie hätte retten können! Nun, Mörder des Generals, bereitet Euch auf die wahre Rache des enttäuschten Volkes vor!“
Eine Eiskugel beginnt sich über der Spitze des Zauberstabes des Beraters zu formen, und Jerhyns Atem wird panisch...da blitzt Metall vor der Kehle des Beraters auf, und ein gerade murmelnd begonnener Zauberspruch stirbt in ihr.
„Nicht so hastig, mein Freund, so gerne ich diesen Ausdruck auf dem Gesicht unseres lieben Fürsten festgefroren sähe, so ungern würde ich gewisse andere Konsequenzen Euerer Tat spüren wollen.“
Als Drognan die Stimme hört, weiten sich seine Augen in Schock und der Stab fällt aus seinen Händen. Der Dolch verschwindet von seiner Kehle, und sein Führer steckt ihn beiläufig zurück an seinen Gürtel, als er aus den Schatten tritt.
„Nun, was seht ihr mich an als wäre ich ein Geist?“
Ein schelmisches Grinsen überzieht das gesamte Gesicht des Generals.