Kapitel 52 – Camouflage
Als um die Ecke ein Stöhnen ertönt, beunruhigend nah, zögere ich nicht lange und mache mich sofort davon, ohne groß nachzusehen, was die Quelle ist. Seltsame Geräusche, das habe ich auf die harte Tour gelernt, sind hier selten gut: Wir sind einer Gruppe Plünderer in die vielen Hände gelaufen, und die zu entsorgen, war problematisch genug; jedoch den davon aufgeschreckten Suchtrupps aus dem Weg zu gehen, war einfach nur eine Qual.
Nun machen wir es also so, einfach, weil ein Einzelner schwerer zu entdecken ist, dass ich vorangehe, ein wenig spähe, und dann die Anderen durchwinke. Dieser Weg ist offensichtlich schlecht, also kneife ich mich – au – in den linken Oberschenkel, um dem Meister durch die Übertragung zu zeigen, dass wir den nicht nehmen sollten.
Diese Methode hat er sich einfallen lassen, bevor er mich losgeschickt hat; ziemlich genial, muss ich sagen. Ich bin ihm auch ausnahmsweise nicht böse, dass ich es bin, der vorangeht - ich halte einfach mehr aus, wenn Probleme im Anmarsch sein sollten, und, wichtiger, ich kann nicht mit den Skeletten reden.
Ich mache mich leise, aber schnell zurück, der Rest der Gruppe ist doch ein paar Blocks weiter hinten, als plötzlich mein Fuß zu brennen anfängt – ah! Das Signal des Meisters, dass sie kurz vor der Entdeckung stehen und deswegen aus ihrem Versteck verschwinden müssen. Ich ducke mich in einen Hauseingang; in diese Richtung weiterzugehen, hat also keinen Sinn. Wie komme ich also wieder zurück...?
Ein Klappern ertönt aus der Straße, in die ich gerade einbiegen wollte, bevor ich gewarnt wurde. Sind das die, die den Meister und die Skelette zur Flucht gezwungen haben? Ich lehne mich stärker an die alte Tür – hoffentlich hält sie...
Es sind der Meister und die Skelette. Schön. Ich winke, dann trete ich erst ins „Licht“ – besser vorsichtig sein, sonst grillt mich noch ein Magier. Der Meister grinst, als er mich sieht.
„Da vorne ist schlecht? Blöd, da hinten auch. Also bleibt wohl nur eins – zur Seite! Kriegst du die Tür leise auf?“
Hm...ich winke einen Magier zu mir her; der Meister nickt dem Skelett zu, das meine Anweisung befolgt, ohne das Nicken mit den leeren Augenhöhlen „gesehen“ zu haben; er wird immer besser mit seiner Kontrolle. Ich deute auf den Bereich um die Angeln und ziehe seine Feuerkugel – ah, heiß! Damit hat der Meister seinen Fuß angesengt, um mir Bescheid zu geben – heran, um mit ihr vorsichtig die Tür vom Rahmen loszubrennen. Dimmen! Ich senke meine Hand mehrmals nach unten, der Meister versteht und gibt die Devise „weniger Hitze“ aus. Gut, es kokelt, geht aber nicht in Flammen auf – da. Die obere Angel ist frei.
Und ich höre Schritte. Mehr. Der Meister wird nervös – ich mit ihm! Schnell arbeite ich an der unteren...zum Glück ist das Holz hier vermoderter...die Tür kippt! Nach innen, weg von mir! Ich packe das Skelett, hebe es schnell hoch und verkeile seinen Körper in der Öffnung, was den Fall lange genug stoppt, damit ich das Ding aufhalten kann, ohne dass es einen Riesenlärm macht. Puh...
Ich setze sie sanft ab, sodass es bei leider nur ungenauer Betrachtung aussieht, als ob sie von selbst aus dem Rahmen gefallen wäre, und wir verschwinden schnell im Inneren des vergleichsweise intakten Hauses. Der Meister lässt die Skelette sofort auf den Boden fallen; ich arrangiere genauso hastig diverse zurückgebliebene Einrichtungsgegenstände, Mehlsäcke und sonstigen Schrott so, dass die unnatürlichen Waffen an ihren Händen verdeckt werden. Der Magier schließt einfach seine Faust – der andere ist von der Tür zerquetscht worden, hilft Alles Nichts.
Der Meister öffnet die Tür eines alten Kleiderschranks – sie kommt ihm entgegen. Kein gutes Versteck...wo dann? Er sucht mit den Augen den Raum ab...stockdunkel ist es hier...da scheinen Fackeln durch einen leeren Fensterrahmen. Verdammt!
Ein Kleiderhaufen wird in einer Ecke sichtbar, besser als Nichts. Er flüchtet sich dorthin. Ich habe mir derweil eine wohl nur zur Dekoration gedachte protzige Rüstung übergestreift, die verstaubt am Boden verteilt war, das Visier des Großhelms geschlossen, und mich in eine andere Ecke geworfen: Das sollte sie eher zum Narren halten. Dem Meister wäre sie natürlich viel zu schwer gewesen.
Wir halten kollektiv den Atem an, als eine Katzengruppe das Haus betritt. Schnell sichern sie den Eingang, zwei rennen die Treppe hoch, drei bleiben hier und gehen in jedes Zimmer des Erdgeschosses. Schnell sind sie damit fertig, als auch schon die beiden von oben herunterkommen; hatten sie vorher nicht zwei Fackeln dabei? Egal, sie sind insgesamt schon sehr lasch geworden, wie dieses Beispiel zeigt; bei einer genaueren Untersuchung hätten sie uns wohl gehabt. Einer tritt ein Skelett, das natürlich, aber trotzdem hatte ich kurz Panik, liegen bleibt, und sie gehen wieder nach draußen...
Wir verharren. Gerade mein Versteck wird laut klappern, wenn ich mich daraus entferne, und das ist nicht gut...aber der Fackelschein wandert nicht weiter...machen die da draußen Pause?
Ich erhebe mich gaaanz laaangsam und vooorsichtig...ich bin nur eine Rüstung...und sehe unschuldig aus dem Fenster gegenüber, das auf die Straße vor dem Haus hinausgeht.
Da sitzen zwei von ihnen und unterhalten sich. Sie machen Pause! Na super...
Der Kleiderhaufen bewegt sich. Nein! Nicht aufstehen! Ich bewege mich viel zu schnell, um leise zu sein, aber es scheint Niemand zu hören – immerhin unterhalten sie sich weiterhin. Trotzdem, mir scheint es viel zu laut...schmerzhaft klemmt der Handschuh ein Stück Muskel ein, und ich höre – wieder zu laut – einen scharfen Atemzug von unter dem Kleiderhaufen...aber der Meister ist wieder ruhig. Gut.
Endlose Momente später wage ich es wieder, mich zu bewegen. Dass die Rüstung plötzlich steht, muss ihnen auffallen, wenn sie herschauen – was sie bisher noch nicht gemacht haben – aber wie lange wird mein Glück halten? In höchster Anspannung wandere ich zentimeterweise in Richtung des Kleiderhaufens, weg vom Sichtfeld des Fensters, um nicht bald weg vom Fenster zu sein. Ich stolpere fast über den Arm eines Skeletts, aber endlich bin ich beim Meister. Vorsichtig tippe ich ihn unter den Lumpen an.
Er hebt langsam seinen Kopf, ich hebe sofort meinen Finger an die Lippen; er nickt, und mit ungeschickten Bewegegungen schafft er es, ohne allzuviel Aufruhr aufzustehen. Ich deute auf die Treppe, die von außen nicht einsehbar ist: Hier unten ist es viel zu nah an den Wächtern vor der Tür, wenngleich diese nicht wachsam sind. Er nickt wieder und geht voran; ich folge – langsam, weil die Rüstung sonst klappert.
Endlich auf dem Dach sehe ich, warum einer seine Fackel zurückgelassen hat; die halbe Stadt hat eine auf dem Dach! Auf diesem Weg können wir uns wohl kaum mehr davonschleichen...und sie wissen, welche Häuser sie schon untersucht haben. Ganz nett. Der Meister grinst, als ich endlich wieder klar sehen kann, weil ich den Helm los bin.
„Das ist doch mal schön, endlich Licht – da kann ich schon viel besser Pläne schmieden.“
Und in aller Seelenruhe duckt er sich hinter der Ummauerung der Dachterasse, zieht Papier und Stift hervor, und skizziert wieder munter Skelettmodelle. Seine Nerven möchte ich haben...ich setze mich dazu. Warten ist angesagt, wenn ich meinen Kopf drehe, kann ich durch ein Loch die Katzen auf der Straße sehen. Sie warten auch, auf bessere Zeiten? Wahrscheinlich nervt diese Stadt sie so wie uns.
Wieder landet ein Papier raschelnd neben meinem Fuß, ein zerknüllter Entwurf. Ich will den Meister schon mit Mimik rügen für den Lärm, als er enttäuscht seine Hand leer aus dem Rucksack zieht.
„Mist...kein Papier mehr...Moment! In der Tasche?“
Er zieht zwei ziemlich zerzauste Bögen hervor.
„Ach so – das ist da das, was du mir geschrieben hast! Na, jetzt hab ich eh gerade Nichts zu tun - wollen wir doch mal sehen, was dich so an mir stört...“
Zwei Zentimeter vor seinem Gesicht enden meine Klauen – was für ein Glück, denn genau das war es. Richtig gezielt habe ich nicht, ich wollte nur um jeden Preis verhindern, dass er es liest. Seine Augen sind groß wie Taubeneier, und sprachlos ist er noch dazu. Ich reiße ihm das Papier, das ich aufgespießt habe, aus den Händen und zerfetze es zu unleserlichen Stückchen.
„A-also, könntest du das nicht ein bisschen weniger drastisch gestalten? Letztes Mal ging das doch auch...und wenn ich mich recht entsinne, als du es geschrieben hast, hast du dich sehr über die Gelegenheit gefreut!“
Er ist natürlich geschockt, aber auch ein wenig enttäuscht – wie ich von mir. Was sollte das jetzt? So schlimm kann es doch nicht sein, wenn er es liest. Und ich hab mich vorher wirklich gefreut. Aber das war, in der Tat, vorher. Bevor wir uns sozusagen wiedergefunden haben. Trotzdem – was habe ich zu verlieren durch meine harten, aber ehrlichen Worte?
Vielleicht weiß das der Teil von mir besser, der diese eben vernichtet hat. Ich selbst habe nur eine leise Ahnung, aber eins weiß ich sicher: Die Wahrheit ist nicht immer das, was die Leute hören wollen – und vielleicht verträgt sie der Meister – vielleicht aber auch nicht. Und das muss ich, gerade im Moment, nicht riskieren. Immer noch nicht.
Er dreht sich ein wenig säuerlich weg, aber den Kopf sofort wieder um, als wir plötzlich Schreie und Kampfgeräusche hören.
Unten auf der Straße werden die Katzen angegriffen, von Gegnern, deren Geräusche ich bereits kenne – das Stöhnen, das ich um die Ecke gehört habe...es sind Untote! Was machen Zombies hier? Es sind eine ganze Menge, die gerade in die Straße strömen...langsam, aber halt viele! Die erste Reihe von ihnen liegt bereits am Boden, aber von den fünf Katzen kämpfen auch nur noch drei. Sie sind überrascht worden.
Das schafft uns zumindest das Problem der Überwachung vom Hals – Zombies töte ich ohne Probleme.
Was denke ich da eigentlich?
Ich lande auf weichem, verfaulenden Fleisch, verweile aber nicht lange dort; meine Klauen zucken nach hinten, schnell zurück, bevor sie giftiges Blut saugen können. Sie sind viel zu langsam. Ich tänzle nach hinten, ein Schlag trifft einen anderen Untoten, und wieder fallen zwei. Die Katzen starren mich an, aber getreu dem Grundsatz „der Feind meines Feindes ist mein Freund“, tun sie mir Nichts – wie gehofft. Zusammen halten wir die Stellung...verdammt, das sind aber echt viele Zombies...
Plötzlich fallen uns andere Untote in den Rücken – aber es sind unsere Skelette! Eines wird von den Katzen in blitzschneller Reaktion zerlegt – kämpfen können sie! – aber weil der Rest sich nicht um die Bepeltzen kümmert, lassen sie sie nervös vorbeirennen...natürlich nur, weil sie gleichzeitig von Zombies bedrängt werden.
Die ihrerseits von den Skeletten gnadenlos gemetzelt werden, ohne in ihrer Gehirnlosigkeit zu begreifen, was gerade passiert. Der Kampf wogt ein wenig hin und her, aber als orange Flämmchen über den Köpfen der Zombies erscheinen, ist der Fall klar: Wir haben gewonnen.
Stille senkt sich über das Kampffeld, als ich schnell mit den Skeletten zusammen zum Hauseingang zurücktrete, in dem der Meister steht. Eine der Katzen tritt vor.
„Warum hast du uns geholfen? Wir suchen nach dir. Du bist unser Feind.“
Der Meister zuckt mit den Schultern.
„Die Untoten sind eindeutig meine Feinde. Ihr seid das nicht. Ich weiß noch nicht einmal, was ihr gegen mich habt – dies schien eine gute Gelegenheit, es herauszufinden.“
Pah! Wenn ich nicht gesprungen wäre...wobei, vielleicht wollte er ihnen ja auch helfen. Egal. Die Katze redet weiter.
„Du hast unsere Brunnen vergiftet!“
Der Meister runzelt die Stirn.
„Ist die Vergiftung in letzter Zeit nicht zurückgegangen?“
Er zischt ihn an.
„Du gibst es also zu?“
„Nein – ich habe die Quelle des Giftes beseitigt.“
Die Katzen starren einander an. Der Meister tritt näher, sie treten zurück; aber er beugt sich über einen ihrer gefallenen Kameraden.
„Dieser hier ist noch am Leben...ich hoffe, das wirkt.“
Er flößt dem schwer Verwundeten einen Regenerationstrank ein – seinen Vorletzten! Aber die Wirkung ist sofort erkennbar: Der fast schon Tote schlägt die Augen wieder auf, und kann sogar aufstehen – seine Wunden bluten trotzdem noch. Der Katzenführer runzelt die Stirn.
„Ich verstehe es nicht – warum solltest du uns täuschen?“
„Vielleicht tue ich das ja nicht...wer hat euch erzählt, dass ich böse bin?“
Er schweigt, aber jetzt redet der, den der Meister geheilt hat.
„Der Clanrat.“
Der erste Sprecher fährt herum.
„Du schweigst, bis ich dir die Erlaubnis zu sprechen gebe!“
Sein Untergebener funkelt ihn an.
„Ich spreche, wann ich will, und mein Lebensretter hat das Recht, von mir zu erfahren, was er wissen will. Als die Vergiftung zurückging, gab der Clanrat bekannt, den Urheber gefunden zu haben; er sei auf dem Weg, den Clanrat zu beenden und die Katzen ins Chaos zu stürzen, deswegen müssten wir ihn um jeden Preis aufhalten.“
Der Meister nickt.
„Ich verstehe. Die Sache ist Folgende: Die Anführer euerer Clans haben sich mit dem Bösen verbündet. Sie ließen zu, dass euere Wasserversorgung vergiftet wurde, von einem Dämonenwurm, den ich vernichtet habe. Das Gift ließ euch in blinder Wut grausamen Befehlen folgen. Viele von euch wurden bei einem Angriff auf den einen Clan, der seine Vergiftung unter Kontrolle brachte und wieder zu klarem Verstand kam, getötet – im Kampf gegen euer eigenes Volk! Jetzt, wo ihr nicht mehr unter dem Einfluss des Giftes steht, müssen sie euch Lügen erzählen, um ihren Willen mit euch zu haben...“
Eine der Katzen, die noch nicht geredet haben, zieht ein Schwert.
„Ich werde nicht zulassen, dass du unser Volk mit solchen Intrigen verdirbst!“
Zwei Sekunden später hat sich die Peitsche des Anführers um seinen Hals gewickelt. Seine Augen treten hervor.
„Ich erinnere mich auch nicht, dir die Erlaubnis zum Handeln gegeben zu haben. Sprechen ist schlimm genug. Und dazu kommt...ich glaube ihm.“
Ein Ruck, und der Aufmüpfige fällt tot zu Boden. Ich höre den Meister schlucken – diese Peitsche war schnell.
Der Anführer sieht den Meister an.
„Ihr habt hier eine sehr ehrenhafte Tat vollbracht, als Ihr denen halft, die Euch töten wollten. Wir stehen in Euerer Schuld. Nehmt unsere Hilfe an, Euch aus dieser verfluchten Stadt zu führen, wo selbst die Toten wieder lebendig werden, um Euch zu stoppen – dies hat mir wirklich gezeigt, was hier auf dem Spiel steht. Mit diesen will ich nicht verbündet sein.“
Der Meister nickt.
„Ich danke Euch. Aber zunächst...pflegt euere Wunden, rastet noch ein bisschen, diesmal verdient. Ich habe etwas mit dem Müll hier vor...“
Aus der ersten Zombieleiche hebt sich amorphe Knochenmasse.