Kapitel 24 – Wiedersinniges
Wieder finden wir uns auf dem Marktplatz...wieder, und die Wieder-holung geht mir langsam auf den Geist. Besonders, weil ich wieder und wieder Nichts zu tun habe, während die Menschen reden. Ich hasse es.
Wenigstens kann ich die Schuhe anprobieren, die Fara für mich gemacht hat. Sie sind aus schwarzem Leder, müssen nicht geschnürt werden und sind auch, wie ich finde, sehr schick. Passen tun sie auch, wobei sie noch ein wenig drücken. Das merkt auch der Meister, meint aber, das ginge vorbei – „hoffentlich schnell“. Während er ein wenig mit Fara redet, teste ich gleich die ambulatorischen Eigenschaften und gehe zu Deckard, der wieder auf seine Bank sitzt. Wo schläft er eigentlich?
„Ah, mein Freund aus Fleisch und Blut! Wie geht es Euch denn heute?“
Ich deute mit meiner Hand ein schwankendes „na ja“ an.
„Ach, nicht besser? Nun, gleich geht es wohl wieder hinaus in die Wildnis zum Kämpfen, was?“
Wieder. Ja. Ich zucke die Schultern.
„Bedrückt Euch etwas Anderes?“
Ich tue so, als würde ich gähnen.
„Oh, gibt es etwa Nichts zu tun?“
Er hat Bedauern in der Miene. Ich lächle säuerlich und winke ab.
„Nein, sagt es nur, wenn Euch etwas bedrückt. Die Langeweile ist ein hartes Los, in der Tat – leider kann ich Euch nicht anbieten, eine angeregte Konversation mit mir zu führen. Aber da ich auch Nichts zu tun habe, meistens zumindest – was haltet Ihr von gelegentlichen Treffen, wenn gerade nicht auf den Meister aufgepasst werden muss?“
Dann zwinkert er mich an. Ich grinse. Das wäre ja hervorragend! Eine echte Beziehung zu einem Menschen, die über ein Meister-Diener-Verhältnis herausgeht...eine...Freundschaft?
„Hey! Golem! Was machst du da? Oh, Deckard! Willst du wohl meinen Diener klauen?“
Ach nein...ich drehe mich langsam um. Der Meister steht da, grinsend; gut! Man weiß ja nie, ob er seine Aussagen wirklich ernst meint, und so gut bin ich im Lesen von Tonfällen noch nicht.
Oder? Bis jetzt lag ich meist richtig...na ja. Deckard antwortet.
„Braucht Ihr ihn denn? Wir hatten gerade ein interessantes Gespräch.“
Nun, dies scheint er meines Erachtens komplett ernst zu meinen – der Meister lacht nur. Natürlich.
„Ja, ich muss ihn leider entführen...aber ihr könnt euch ja später unterhalten, ha!“
Er wendet sich zum Gehen. Ich fixiere noch einmal Deckard und nicke sowohl auf seine Frage als auch auf des Meisters letzte Aussage. Er lächelt und winkt; ich erwidere die Geste, dann gehe ich dem General nach.
Fara wartet schon auf uns.
„Ah, da seid ihr ja. Und, meinst du, er passt ihm?“
Wer passt mir? Äh, was?
„Schwer zu sagen. Probier ihn mal an, Golem.“
Der Meister deutet auf einen Brustpanzer, der auf einem Gestell vor Faras Hütte steht. Das ist nicht sein Ernst...
„Na los!“
In Ordnung, es ist sein Ernst. Na toll. Ich nehme den Panzer und sehe ihn relativ hilflos an.
Der Meister schüttelt den Kopf.
„Kann doch nicht so schwer sein, oder?“
Er tritt heran und packt den Brustpanzer. Ich lasse ihn los.
Kurz darauf tun mir die Füße weh, denn die Rüstung ist dem Meister auf die Zehen gefallen.
„AUA! Kannst du nicht besser aufpassen? Das Ding ist schwer!“
Ach, echt? Habe ich nicht bemerkt. Diesmal schüttelt Fara den Kopf.
„Gebt her, ihr Anfänger.“
Sie hebt den Panzer mühelos hoch, öffnet zwei Lederriemen, und streift ihn mir über. Er drückt.
„Sieht doch ganz gut aus...“
Jetzt schüttle ich den Kopf. Nein, das tut es nicht. Was will ich mit diesem Ding? Er stört meine Bewegungsfreiheit enorm, und auszuweichen ist immer noch besser als schwächer getroffen zu werden...
Außerdem scheuert das Ding. Und ich habe keine Haut, die hornig werden kann, das kann nicht gesund sein.
Ich lege den Brustpanzer wieder ab.
„He! Zieh ihn wieder an! Der war teuer!“
Nein, das mache ich nicht – auch im Interesse deiner Schultern, General.
„Du sollst das Ding tragen, weil ich keine Lust habe, tot umzufallen, wenn du einen Pfeil ins Herz bekommst!“
Ich hebe die Hand; er soll warten. Ich gehe zu Faras Hütte und sehe hinein. Drinnen hängen die Wände voller Rüstungen, Waffen, Schilder, Handschuhe aus Leder und so weiter, aber ein Gegenstand findet mein Interesse. Ich trage ihn nach draußen, wo der Meister gerade sehr wütend zu werden scheint.
„Was soll das? Eine Lederrüstung? Das hilft doch überhaupt Nichts!“
Doch, das tut sie...ich bekomme keinen Sonnenbrand auf den Schultern, ein Klingenschlag führt nicht mehr sofort zu einer tiefen Blutung, und das Ding ist zudem einfach viel bequemer.
Ich lege sie ab und gehe noch einmal hinein; der Meister ruft mir hinterher, aber ich ignoriere ihn. Zurück komme ich mit einer Kappe.
„Das ist doch...“
Fara unterbricht ihn.
„Ich denke, so sinnlos ist das nicht, was er macht. Hast du ihn dir schon einmal genauer angesehen? Wie soll er denn den Brustpanzer auf nackter Haut tragen? Halt, er hat ja gar keine Haut. Ein Untergewand wäre auf jeden Fall sinnvoll, und das sollte so dick sein, dass es seine fehlende Haut ersetzen kann.“
„Aber Fara – er kann doch unmöglich die eine Rüstung über die andere anziehen!“
Dann ziehe ich eben nur die Lederrüstung an...und genau das sagt Fara dem Meister auch. Er heult fast, als er darauf antwortet.
„Und was mache ich dann mit dem Brustpanzer?“
„Ich kaufe ihn dir für den halben Preis, den du gezahlt hast, jederzeit zurück...“
Dabei grinst sie unschuldig. Der Meister schnaubt.
„Bist du dir überhaupt sicher, dass das hier der Brustpanzer ist, für den ich gezahlt habe...mit erhöhter Verteidigung?“
Fara seufzt. Verständlich. Das bringt doch Nichts.
„Du kannst es ja nachprüfen...“
„Ich nicht. Golem, schlag den Panzer. Wenn er ein Loch hat, dann ist er minderwertig.“
Na schön – sind deine Knöchel, die dann wehtun...ich trete an das Rüstungsteil heran.
Äh...
„Was ist?“
Ich führe meine Faust Richtung Panzer. 30 Zentimeter vorher stoppt sie, weil die Klauen anstoßen.
„Ach so, kannst du die nicht einziehen...?“
Fara lacht.
„Kennst dich ja gut aus!“
„Ruhe. Na ja, das werden wir einfach verbessern, sollte kein Problem sein...“
Er hebt seinen Stab.
„Komm, streck die Hand aus...“
Moment mal. Verbessern? Siedend heiß fallen mir die Worte meines anderen Ichs ein...je näher ich seiner Gestalt komme, desto mehr Macht gewinnt er in mir.
Und jede Verbesserung hat das bisher bewirkt.
Ich ziehe meine bereits ausgestreckte Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt.
„Ja, was ist denn jetzt?“
Ich würde es dir ja gerne sagen, Meister, aber das würde wohl nur noch mehr Fragen aufwerfen...
„Streck die blöde Hand aus!“
Nein! Ich schüttle den Kopf und mache abwehrende Gesten. Der Meister starrt mich an.
„Sag mal, ich glaub, es hackt? Da will man dir schon zwei Mal was Gutes tun, und du schlägst es aus? Und überhaupt, wer sagt hier eigentlich, dass du mir nicht einfach gehorchen musst, weil ich dein verdammter Meister bin?“
Ich...und da habe ich mich schon lange von überzeugt. Ganz besonders dann, wenn es um potentiell gefährliche Psychopathen geht.
„Aber das werden wir ja sehen. Ich dulde das nicht länger, und wenn du nicht willst, dann zeig ich dir mal, was so ein bisschen Blättern in alten Büchern so an Wissen bringt!“
Äh...
Er hebt den Stab. Er beginnt zu glühen. Nein! Ich strecke meine Hand nach ihm aus...
„HelKoThulEthFal!“
Das Licht des Stabes wird zu einer Kugel, weißglühend löst sie sich vom Stab, fliegt auf mich zu. Ich halte meine Hände vors Gesicht...
...und jetzt? Die Hände herabnehmend, sehe ich mich an. Meine Klauen...?
Sie lassen sich nicht zurückziehen, oder mache ich etwas falsch?
Hallo?
...
Oh Himmel, was für ein Glück. Ich bin noch alleine in mir. Aber was...
Der Meister grinst hämisch.
„So, Golem. Gefällt mir ja schon gleich viel besser, das.“
Ich sehe sofort an mir herab. Eine ledrige Schicht bedeckt jetzt meine vorher offen liegenden Muskeln.
„Lauf auf die andere Seite des Platzes.“
Laufen? Warum? Na ja, wenn er meint...ich renne los.
Und bin da. Was zum Henker...wie schnell war ich denn bitte?
Ich sehe den Meister an, der breit grinst. Ich renne zu ihm hin. Und bin schon wieder viel schneller, als ich das von mir so kenne – sehr viel schneller!
„Das funktioniert ja hervorragend! Mehr Leben, mehr Schnelligkeit...dann funktioniert womöglich auch der dritte Teil des Zaubers, hm? Streck deine Hand aus.“
Na gut.
„Und jetzt halt still...“
Er hebt den Stab. Nein! Aber ich muss doch still halten...
Er streichelt meinen Handrücken mit dem Metallschädel. Seine Haut drückt sich an der gleichen Stelle leicht nieder. Dann zieht er ihn zurück.
„Und?“
Ich spanne Muskeln an, die ich bisher noch nicht hatte, und ziehe meine Klauen in den Körper zurück; sie verschwinden in vorher gefüllten Kanälen.
„Dann wäre das also geklärt. Bitteschön – hauen!“
Das ist doch immer noch sinnlos...aber gut. Ich verpasse dem Panzer einen Schlag.
„Au!“
Au! Das war hart. Die Rüstung hat nicht einmal eine Delle. Fara grinst.
„Na, das war ein sehr komischer Abtausch, den ihr da hattet. Bist du dir sicher, dass der dir gehorcht?“
„Jetzt schon...“
Wie? Was?
„Und, willst du den Brustpanzer immer noch wegen Mängeln reklamieren?“
„Vergiss es ganz einfach. Golem, dann nimm die verdammten Lederdinger, und werd glücklich damit; aber den Brustpanzer nehmen wir trotzdem mit.“
Als er sich zum Gehen wendet, ruft Fara uns nach.
„Und was ist mit der Bezahlung für die Ledersachen?“
Der Meister bleibt stehen und sieht so aus, als würde er gleich explodieren wollen. Dann dreht er sich langsam um und bringt ein gepresstes „wie viel?“ hervor.
Nachdem er bezahlt hat, trage ich den Brustpanzer hinter ihm her; wo will er jetzt hin?
Wieder zurück zur Taverne, scheint es; da wartet aber schon Pratham.
„Was soll das eigentlich, General? Griez hat mich rausgeworfen, das finde ich nicht besonders lustig!“
Der General winkt ab.
„Es ist Alles in Ordnung, Pratham. Wir hatten einen kleinen Streit, aber das kann dir egal sein. Du wirst weiter bezahlt, ich denke, das sollte dir genügen; du bekommst noch einen kleinen Bonus, nur zur Sicherheit, sagen wir 100 pro Tag extra?“
Pratham überlegt.
„Klingt in Ordnung.“
„Prima. Dann mach dich fertig, wir gehen gleich los; und zieh den Brustpanzer an, den unser ‚Freund‘ hier trägt, der sollte dir passen.“
Ohne ihm Zeit zum Bedanken zu lassen, geht er in Richtung der Stadtportalankunftsstelle. Pflichtbewusst folge ich.
Das Stadtportal ist nicht mehr da. Der Meister ist...wütend wäre eine Untertreibung. Wir finden einen Augenzeugen.
„Ja, Griez kam mit einem dieser Billigmagier und hat das Ding zugemacht. Dabei hat er ganz böse gegrinst. Ist Euch diese Information etwas wert?“
Der Meister wirft dem Tagelöhner ein paar Münzen zu und hält die Hand vor die Stirn. Dann seufzt er.
„Also dann gehen wir halt. Wieder die ganze Strecke. Soll ja fit halten.“
Na wunderbar...ich gehe gleich voran.
Moment mal...sollte ich nicht auf den Meister warten? Aber wenn ich gehen soll, dann gehe ich.
Aber halt, was soll das? Wo ist meine kritische Haltung geblieben? Warum bleibe ich nicht einfach stehen, wenn ich es für sinnvoller halte?
Jetzt kommt es mir erst – warum habe ich ihm beim zweiten Mal bereitwillig die Hand hingehalten?
Der Meister ist sich sicher, dass ich ihm jetzt gehorche?
Warum?
Der erste Zauber...der dritte Effekt?
Bessere Beherrschung eines rebellischen Golems?
Nein!