Ein guter Indikator für die Kompetenz und Ehrlichkeit eines Politikers liegt in der Häufigkeit der Verwendung des Wortes "gerecht".
Welcher Lohn gerecht ist, muss man nicht diskutieren. Es ist jener der beim freien Spiel zwischen Angebot und Nachfrage zustande kommt. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Schwachkopf. Wie will man bitte ohne Markt den "gerechten" Wert einer Flasche Wasser oder den "gerechten" Wert eines Kandinskys feststellen? In der Bibel nachschauen? Auf dem Markt stimmen alle beteiligten Wirtschaftssubjekte unter Berücksichtigung ihrer subjektiven Kosten/Nutzen-Einschätzung über den Preis eines Gutes ab. Das was dabei raus kommt, ist nicht nur "gerecht", es ist auch (tendenziell) das was der Ökonom "allokationsoptimal" nennt. Wenn dabei ein Lohn zustande kommt, der einem verwöhnten Gerechtigkeitsempfinden widerspricht, sollte das nicht darüber hinweg täuschen, dass das Gesamtergebnis nicht durch Eingriffe in den Preismechanismus verbessert werden kann.
Genau so kann man Einstellung und Argumentationsfähigkeit eines Menschen einschätzen, der sich nur mit persönlichen Attacken zur Wehr setzen weiß. Anstatt mich als Schwachkopf zu bezeichnen, könntest du versuchen, auf meine Thesen einzugehen und zu widerlegen, soweit das in deiner Macht steht.
Gerechtigkeit ist ein subjektiver Begriff. Genau so, wie die Ansicht, dass das derzeitige System ungerecht ist, eine subjektive Ansicht ist, ist auch deine Ansicht, dass das Ergebnis des freien Markts notwendigerweise gerecht sein muss, subjektiv. Da wir in einer Demokratie wählen, kann die Mehrheit entscheiden, welche Ansicht die ansprechendere ist. Ob sie dann auch die richtigen Maßnahmen zur Verwirklichung ergreift, ist noch mal eine andere Sache, aber grundsätzlich wird sie zumindest versuchen, dieses Gerechtigkeitsdenken auch umzusetzen, wenn es einem wichtig genug ist.
Wer über Gerechtigkeit diskutiert, muss sich also immer im Klaren sein, dass jeder Mensch seine eigenen moralischen Prinzipien hat. Man kann jetzt in einer Diskussion nur prüfen, ob die moralischen Prinzipien ähnlich sind und danach gucken, welche Maßnahmen die richtigen sind, um dieses Gerechtigkeitsverständnis umzusetzen. Wenn die moralischen Prinzipien auseinandergehen, lohnt sich eine Diskussion über Maßnahmen nicht.
Einige Ansichten meines moralischen Verständnis habe ich dargelegt, z.B., dass es ungerecht ist, dass ein Mensch, der arbeitet, nicht nennenswert mehr Geld bekommt als jemand, der nicht arbeitet (derzeit durch Dumpinglöhne und Rentenformel der Fall). Genau so ist es für meine Verständnisse ungerecht, dass Kinder, die in sozial ungünstigen Familien geboren werden, echte Nachteile in ihrer Entwicklung hinnehmen müssen im Vergleich zu sozial günstigen Familien, weil entweder das Geld für vernünftiges Beschäftigungsprogramm und Ernährung fehlt oder weil die Eltern kaum Zeit für ihr Kind haben, weil sie zu lange arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. Da du nicht auf diese Thesen eingegangen bist, weiß ich nicht, ob das mit deinem moralischen Verständnis übereinstimmt oder ob dir das gleichgültig ist? Wenn du damit übereinstimmst, sollten wir darüber diskutieren, wie man diese Probleme beseitigt und wenn nicht, können wir die Diskussion gleich stoppen. Die Zeit, auf deine weiteren Thesen einzugehen im restlichen Beitrag, nehm ich mir aber noch.
In dem du höhere Sozialleistungen einführst, erhöhst du die Opportunitätskosten Arbeitssuchender eine Arbeitsstelle anzunehmen. Und die Stellen, die Unternehmen nur deshalb geschaffen haben, weil der Staat ihnen einen ALG II-Empfänger für einen Apfel und ein Ei schickt, werden auch nicht erneut besetzt. Was du forderst ist eine Rückkehr zum alten System, was aus den von mir bereits zuvor genannten Gründen abgeschafft wurde: Zu teuer, zu hohe Arbeitslosigkeit aufgrund einer zu hohen Hemmschwelle eine Stelle anzunehmen.
Satz 1: Erst einmal sind höhere Sozialleistungen wie gesagt nicht notwendigerweise erforderlich für diesen Teil der Diskussion. Das ist ein anderes Thema. Es geht hierbei erst mal nur um die Abschaffung der Arbeitsverweigerungssanktion. Inwiefern dem Arbeitssuchenden Opportunitätskosten zur Annahme einer Arbeitsstelle entstehen, musst du mir erst erklären.
Satz 2: Stimmt. Die Arbeitssuchenden, die nicht für einen Apfel und ein Ei arbeiten wollen, wollen diese Arbeit nicht und werden dieser auch nicht hinterhertrauern. Leute, die aber auch für einen Apfel und ein Ei arbeiten wollen, weil ihnen das wichtig ist für ihr Selbstwertgefühl, können das allerdings theoretisch immer noch, wenn man es nur bei der Abschaffung des Arbeitszwangs belässt. Wenn man noch Mindestlöhne einführen würde oder Kombilöhne streicht, dann müsste man für die wegfallenden Plätze andere Beschäftigungsmöglichkeiten finden, wenn man kein Ansteigen der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen möchte. Der Staat könnte hier helfen, indem man Investitionen tätigt durch Bauaufträge oder zusätzliche staatliche Jobs, z.B. in den Bereichen Bildung oder Gesundheit. Staatliche Jobs explizit aber nur in Gebiete, die in staatlicher Hand sind oder gehören, da es schon seinen Sinn hat, dass nicht alles in staatlicher Hand ist.
Satz 3: Ja, ich fordere eine Rückkehr zum alten System. Geld würde durch Steuererhöhungen und Abschaffung von Kombilöhnen frei werden. Auch hier kann man wieder auf bestehende Systeme anderer Länder verweisen.
Nochmal: Dumpinglöhne sind das Ergebnis eines Überangebots an Arbeitskräften und nicht, weil sich eine halbe Million Arbeitgeber zufällig beim Geschäftsessen getroffen hat...
Habe ich nicht bestritten. Und was machst du solange, wie es keine Vollbeschäftigung gibt?
Am Anfang eines großzügigen Sozialstaats steht ein liberaler Leistungsstaat. Nicht umgekehrt.
Bezug? Ansonsten: wo nichts ist, kann natürlich auch nichts verteilt werden. Ist hier nichts?