Sich noch tiefer ins Gras duckend, beobachtete Maelnar die am Waldrand stehenden Dämonen. Sie schienen guter Laune zu sein, falls es so etwas bei Dämonen überhaupt gab. Nach einigen Minuten setzten sie sich ebenfalls Richtung Dorf in Bewegung, und Maelnar seufzte erleichtert auf, da er augenscheinlich der Entdeckung entgangen war. Doch ein plötzliches Geräusch direkt hinter ihm ließ ihn herumfahren. Er starrte direkt in die verzerrten Fratzen zweier hässlicher grüner Monster, die sich am Schock ihres vermeintlich wehrlosen Opfers weideten. Mit siegessicherem Gebrüll hoben sie ihre Waffen und griffen an.
Den sicheren Tod vor Augen, hatte Maelnar keine Zeit mehr, einen gewollten Spruch zu wirken. Doch aus dem Unterbewussten heraus fuhr sein Stab herum, zeichnete zwei komplizierte Zeichen in die Luft, und mit dem Ausatmen schlug eine Schockwelle aus verdichteter Luft den Dämonen entgegen. Sie war nicht wirklich heftig, genügte aber, um die Gegner zwei Schritte zurückzuwerfen, was dazu führte, dass die Schneiden der beiden Waffen Maelnar haarscharf verfehlten. Die Überraschung über dieses Ereignis währte nur einen Sekundenbruchteil, dann besann sich Maelnar auf sein Können und wirbelte erneut den Stab durch die Luft, diesmal im vollen Bewusstsein seines Handelns. Gezischte und gebrummte Wörter kamen aus seinem Mund, und aus den Fingerspitzen der linken Hand schossen kleine magische Geschosse auf eines der Monster zu. Sie trafen den Dämonen mitten in der Brust. Das Monster stieß einen schrillen Schrei aus, starrte auf seine stark blutende Wunde, und brach die Augen verdrehend zusammen. Der andere Gegner hatte sich jedoch von dem Missgeschick seines Gefährten nicht ablenken lassen, sprang mit einem riesigen Satz auf Maelnar zu und schlug mit einem gewaltigen Querhieb in Halshöhe nach ihm. Die antrainierten Kampfreflexe ließen Maelnar auf die Knie und nach vorne fallen, wobei er mit seinem Stab nach vorne auf die Kehle des Gegners, die einzige erreichbare verwundbare Stelle, zielte. Mit einem grässlichen Geräusch traf die Spitze des Stabes, und das Monster hielt sich überrascht den Hals, verzweifelt nach Luft schnappend. Maelnar ließ ihm keine Zeit zum Besinnen, sondern schoss im Knien nochmals die magischen Geschosse ab, welche auch dem Leben dieses Monsters ein Ende setzten.
Erschöpft fiel Maelnar ins Gras. Der Kampf und die Zauber hatten doch ziemlich viel von seiner Kraft verbraucht. ‚Und wie konnte ich so wie aus dem Nichts heraus diesen Spruch wirken, der die Monster zurückgeworfen hat?’, ging ihm durch den Kopf. ‚Das hat mir wohl das Leben gerettet, die Rüstung hätte die Wucht der Schläge nicht aufhalten können.’ Er dachte nach. ‚Das muss eine Art Überlebensreflex sein, der ausgelöst wurde, da ich mich in einer hoffnungslosen Situation befand. Besitze nur ich ihn? Kann ich mir andererseits nicht vorstellen, wahrscheinlich ist er allen magisch begabten Wesen inhärent…’
Nach einer Weile riss Maelnar sich aus seinen Gedanken. Er blickte noch mal zu seinen Gegnern. Diese lagen reglos am Boden, beide waren im Brustbereich blutüberströmt. Der eine hatte sogar noch seine Hand an der Kehle. Maelnar schüttelte den Kopf, so viele, ungezählte Tage war er nun schon auf der Reise, hatte keinen Dämonen zu Gesicht bekommen, und dann hätte er seine erste Begegnung mit ihnen beinahe mit dem Leben bezahlt.
Bei dem Gedanken daran fiel ihm auch wieder das angegriffene Dorf ein. ‚Was soll ich bloß tun?’, fragte sich Maelnar. ‚Soll ich Hilfe holen und von dem Überfall berichten? Aber ich weiß ja nicht mal, wo hier der nächste Ort ist, und ob der nicht auch angegriffen wird. Ich will auch nicht die Menschen hier im Stich lassen, vielleicht kommt es auf jeden Kämpfer an. Ich muss ins Dorf. Und wenn dort nichts mehr zu retten ist, kann ich ja immer noch den Rückzug antreten.’
Auf der freien Fläche vor ihm waren allerdings noch immer Dämonen, so dass der direkte Weg zum Dorf weiterhin nicht möglich war. Doch schien es Maelnar, dass die Dämonen den Ort nicht eingekreist hatten, sondern von einer Seite auf die Befestigung zu gestürmt waren. Maelnar beschloss daher, sich am Waldrand, im Schutze der Bäume, entlang zu bewegen und an einer günstigen Stelle den Übergang zu wagen.
Langsam schlich er voran, immer auf herumliegende Äste und mögliche Monster-Patrouillen achtend. Er beschrieb beinahe einen großen Halbkreis um das Dorf herum, was ziemlich viel Zeit in Anspruch nahm. Allerdings wollte er es nicht auf noch einen Kampf ankommen lassen, der vorherige steckte ihm noch in den Knochen. Nach einer Zeitspanne, die ihm wie eine halbe Ewigkeit vorkam, erreichte er eine Stelle, die ihm günstig erschien. Die Entfernung zur Palisade betrug nur wenige hundert Fuß und die Fläche wies einige Senken auf, die ihm im Falle plötzlich auftauchender Monster Schutz vor Entdeckung versprachen. Das Herz schlug Maelnar vor Aufregung wieder bis zum Hals, und eine latente Übelkeit stellte sich ein. Mehrmals tief Luft holend, versuchte er die Aufregung aus seinem Denken zu verdrängen und richtete seinen Blick auf die Palisade. Dann, sich einen Ruck gebend, stürmte Melnar los und sprintete gerade auf das nächste Loch in der Palisade zu. Aus den Augenwinkeln heraus suchte er die Umgebung auf Monster ab. Die Hälfte der Strecke hatte Maelnar schon zurückgelegt, da sah er durch ein weit größeres Loch in der Palisade weiter rechts Monster in Richtung Feld sich bewegen. Er schätzte beim Rennen rasch die Dauer bis zu ihrem Erscheinen ab; das könnte er gerade noch so schaffen. Die letzten Kraftreserven aus sich herausholend, legte Maelnar die letzten Schritte bis zur Palisade zurück und schlüpfte durch das Loch, gerade als die Monster ins Freie traten.
Geschafft! Maelnars Blut hämmerte in den Schläfen, sein Atem ging tief und stoßweise, und er stützte sich auf einem Karren ab, ansonsten wäre er in die Knie gegangen. Hektisch schaute Melnar sich um, zum Glück waren aber keine Dämonen auf seine Ankunft aufmerksam geworden. Nachdem Maelnars Herzschlag und Atem sich etwas beruhigt hatte, machte er sich vorsichtig, jeden Schatten und jeden Eingang als Deckung nutzend, auf den Weg in Richtung Ortsmitte, dorthin, wo noch Kampflärm ertönte. Mehrmals konnte er Dämonen nur knapp ausweichen, beim Verstecken war sein unförmiger Rucksack eher hinderlich. Maelnar ahnte, dass sein Gepäck ihm noch ziemliche Sorgen bereiten könnte. Zurücklassen wollte er es aber auch nicht, zu sehr hing er an seinen beiden Büchern.
Mittlererweile war er schon ziemlich weit in den Ort eingedrungen. „Wohin könnten sich die Verteidiger zurückgezogen haben? Es muss ein Gebäude sein, das gut zu verteidigen ist.“ Er sah sich um und erblickte weiter vorn über den Dächern der Wohnhäuser den Kirchturm. Und von dort erklang auch noch der meiste Lärm, auch wenn es in den Gassen links und rechts von ihm auch nicht gerade ruhig war. Maelnar linste um die nächste Ecke und zog den Kopf sofort wieder zurück. ‚Mist, so viele Dämonen!’ Seine Gedanken rasten. ‚Gegen die habe ich doch keine Chance. Und vorbeischleichen ist auch nicht. Und ein anderer Weg zur Kirche? Hmm, da sind doch gewiss genauso viele Monster…’ Mit einem Seufzen gab Maelnar vorerst seinen Plan, zum Kirchturm zu kommen, auf. Er würde schauen, ob es woanders nicht auch Überlebende gab…
Maelnar drehte sich um, lief zur letzten Kreuzung und bog um die Ecke. Sofort machte er wieder einen Satz zurück – zwei Häuser weiter stand ein Skelett-Bogenschütze, mit dem Rücken zu Maelnar, und schien auf eine Gruppe weiterer Bogenschützen und Dämonen zu warten, die sich ihm näherten. Auf den Boden gekauert, beobachtete Maelnar das weitere Geschehen. Zu seiner Verwunderung schien der einzelne Bogenschütze sich der Gruppe anzuschließen, blieb dann aber stehen. Und schien auch in Deckung zu gehen!??
Maelnar rieb sich erstaunt den Hinterkopf, irgendwie passte dieses Verhalten nicht zu dem Wissen, was er über Monster hatte. Und das nächste Ereignis warf noch mehr Fragen auf. Der Bogenschütze wurde von zwei anderen Dämonen angegriffen! Er wehrte sich ziemlich gekonnt und erledigte beide Gegner, musste dabei aber auch zwei ziemlich heftige Treffer einstecken. Einen verirrten Brandpfeil, der ihn zum Ende des Kampfes traf, entfernte das Skelett mit einem Ruck, und Maelnar glaubte in der Haltung des Skelettes einen Ausdruck großen Schmerzes zu erkennen. ’Aber wie ist das möglich? Skelette können doch keinen Schmerz empfinden?!’ Maelnar entschloss sich, dem Skelett, das sich inzwischen hinter Kisten versteckt hatte, unauffällig weiter zu folgen. Das würde noch interessant werden…