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Läuterlodern [Ich denke, also bin ich: Teil 4]

Kapitel 21 – Der Zweck der Qualen

Ein Feuerball streift einen schwarzen Lederflügel. Dessen Beschützer lässt ein Kreischen los, als er trudelnd zu Boden stürzt.

Das war fast daneben.

Ich übe!
Mit einem langen Schritt, für den ich meinen Körper strecke, setze ich dem Leiden der Kreatur ein Ende; sie vergeht in schwarzem Rauch, als mein Fuß auf ihr landet. Sofort fahre ich herum, auf der Suche nach neuen Zielen; im konstanten Dämmerlicht ist es schwer, etwas zu erkennen. War das nur ein Schatten, der durch mein eigenes Flackern erzeugt wurde, oder doch ein Gegner? Fliegen noch dutzende von ihnen durch das Dunkel, oder haben wir schon gewonnen?

Andere Sinne.

„Golem...“

Ich hebe einen Finger vor meine nicht-Lippen und lausche eindringlich. Die Skelette folgen dem Meister und verstummen komplett.
Die Höllenfledermäuse sind komplett unfähig, einfach nur zu gleiten...sie müssen flattern...Luft verdrängen, wie Schallwellen es auch tun...wenn sie denn nicht von Pfeilern, Wänden und den wenigen noch existierenden Decken hängen.
Im Moment...ist es ruhig.

„Sie sind weg, General.“

„Gut, das wollte ich...“

Her mit der Kontrolle!

Einem mittlerweile antrainierten Reflex folgend, erhält der Zweite sofort das Steuer; gleich darauf fliegt ein Feuerball direkt auf den Meister zu...dieser stolpert überrascht rückwärts...und der Schuss zischt an seinem Ohr vorbei, was ihn wegzucken lässt, wieder nur den Flügel eines Angreifers versengend, der direkt von hinter ihm kam.
Mit einer Hand an die Seite seines Kopfes gepresst flucht der Meister, wirft einen Blick über die Schulter und lässt die Skelette auf den Familiar einhacken, sobald er weiß, wo er gelandet ist.
Das war...fast daneben.

Manchmal hat das eben auch Vorteile.

„Himmel, Golem, du bringst mich noch zum Herzstillstand. Aber Danke.“

„Lob und Tadel an den Zweiten.“

„Du musst noch an deiner Aufmerksamkeit feilen, hm? Wäre mir Recht. Ich vertraue ihm einfach nicht; und ja, ich weiß, dass du zuhörst, das sollte dir sonnenklar sein.“

„Ist es, Meister.“

„Und deine Devotheit geht mir auf den Geist. Aber so ist es nunmal. Ich bin glücklich, dass du still bist und mir immer wieder den Hals rettest, Niemand muss hier den Anderen mögen. Also weiter.“

Der Meister lässt die Skelette ein wenig ausschwärmen, um Häuser zu kontrollieren, die vielleicht nicht so leer sind, wie sie scheinen, um an Säulen zu klopfen, an denen vielleicht Familiare hängen könnten, und um uns den Rücken zu decken. Ich bleibe nahe bei ihm und spitze die Ohren. Sobald ich merke, dass meine Aufmerksamkeit zu wandern beginnt, wechsle ich mich mit dem Zweiten ab; es fällt mir schwer, mich für längere Zeit völlig auf das Lauschen zu konzentrieren. Irgendwann fange ich immer an, einen plötzlich auftauchenden Gedanken zu verfolgen.

Es ist überhaupt kein Problem, sich auf eine Sache so lange, wie du willst, zu konzentrieren. Wenn du deine Gedanken etwas effizienter aussperren würdest, heißt das.

Und wie soll das gehen?

Disziplin kann man nicht lehren, die muss man haben.

Das ist ja hilfreich. Lass es mich noch einmal versuchen.
Ich versuche, mein Denken auszuschalten, und fokussiere nur eine Aufgabe in meinem Kopf: Das Achten auf Ungewöhnliches. Bewegen sich die Schatten anders, als sie durch das Magierfeuer sollten? Höre ich ein Rascheln, wo gerade kein Skelett hingeht?
Was meinte der Zweite wohl damit, dass der Meister etwas verschwiegen hätte, als ich ihn vorher gefragt habe...
Verdammt, das ist doch hoffnungslos. Wie soll ich denn mein Denken ausstellen? Will ich das denn überhaupt? Wäre doch in der gleichen Schiene wie die ständigen Sticheleien des Zweiten, dass meine Gefühle nur schädlich sind...und daran glaube ich einfach nicht.

Ich stimme der Einschätzung zu, dass du ein hoffnungsloser Fall bist. Übernimm also du wieder das Gehen, und ich passe auf.

Nein! Du hast insofern Recht, als dass ich lernen muss, immer aufmerksam zu sein. Und wenn ich mein Denken nicht ausschalten kann, dann muss eben beides gleichzeitig laufen.

Das mindert deine Effizienz aber gewaltig.

Ich blocke ihn ab. Mein Blick wandert methodisch über Mauerreste und zerbrochene Säulen. Ich lausche auf die gewohnten Schritte der Skelette, und, wie ich es mittlerweile gewohnt bin, blende sie aus.
Aufmerksamkeit...so.
Also, als ich den Meister gefragt habe, ob etwas Ungewöhnliches passiert ist, während ich von ihm getrennt war. Hat er gelogen?
...war da was? Ich rufe mein Erinnerungsbild von vor einer Sekunde auf.
...nein.
Wieder verwende ich eine Sekunde darauf, meine Überwachung der Umgebung zu fokussieren, versuche, sie zu automatisieren, und gehe dann weiter in die Vergangenheit.
War da etwas im Gesicht des Meisters, als er meine Frage verneinte...? Schwer zu sagen.
Aber definitiv...als ich sagte, dass ich Seelen befreit hatte...

Ein Stöhnen.
Ich lege dem Meister die Hand auf die Schulter; es ist ein Zeichen dessen, wie gewachsen an seinen Aufgaben er mittlerweile ist, dass er nicht einmal für einen Sekundenbruchteil zusammenzuckt.
Außerdem ha. Ich habe es gehört.

Aber zwei Komma drei vier Sekunden nach mir. Wenn du drei gebraucht hättest, hätte ich was gesagt.

Ich...

Wenn es kein Stöhnen gewesen wäre, sondern ein angreifender Gegner, wären wir längst tot, du Traumtänzer.

„Was ist, Golem?“

„Ein Geräusch, aus dieser Richtung. Klang wie ein Seufzen oder Stöhnen.“

Der Meister nickt stumm. Die verteilten Skelette nähern sich unserer Position, ohne den Rhythmus ihrer Schritte zu ändern; er berührt im Gegenzug meine darunter leicht nachgebende Feuerschulter, deutet auf die Ecke der Hausruine, hinter der das Geräusch seinen Ursprung hatte, dann hebt er drei Finger und zählt mit ihnen herunter.
Schnell begebe ich mich in Position und zähle exakt drei Sekunden ab. Einen weiteren Bruchteil später, um sicherzugehen, dass die Skelette sich auch bewegen, laufe ich um die Häuserecke.
Vor mir tut sich ein Anblick auf, der noch ein wenig bizarrer ist, als was die Stadt der Verdammten sonst zu bieten hat. Ein großes Areal, sicher fünfzig auf dreißig Meter, ist umgeben von in regelmäßigen Abständen platzierten pechschwarzen, schlanken Säulen, die allesamt komplett intakt sind, ganz im Gegensatz zum Rest der Stadt. Zwischen diesen Säulen hängen, scheinbar zufällig angebracht, dicke, schwere Metallketten, die nur wenig heller sind als ihre obsidianenen Aufhängungen. Zwischen den Gliedern ist das Innere des rechteckigen Platzes zu erkennen; der Boden ist eben, soweit ich das beurteilen kann, aber auf ihm...stehen, in krassem Kontrast zu der Regelmäßigkeit der umgebenden Säulen, völlig zufällig verteilt Pfeiler über Pfeiler, an denen jeweils eine zur Unkenntlichkeit gefolterte Seele gekettet ist.
Ab und zu lässt eine von ihnen ein Stöhnen erklingen wie das, das mich ursprünglich in diese Richtung gelockt hat; größtenteils aber sind sie ein stummes Bild des Leidens, eine einzige Anklage gegen die perversen Praktiken der Hölle.

Es sieht übrigens nicht so aus, als wären Gegner in der Nähe, falls es dich zufällig interessieren sollte.

Oh. Ja. Tut es.

„Die Luft ist rein, General!“

Er tritt zu mir. Ich versuche, seine Miene zu lesen, aber sie ist völlig ausdruckslos.
Für eine Weile starrt er nur nach vorne. Ich tue es ihm gleich, aber nach fast einer Minute wird die wachsende Unruhe in mir zu groß.
Ich drehe mich zu ihm.

„...sollen wir den Eingang suchen?“

Er zuckt zusammen. Warum jetzt?

„Warum das denn?“

Seine Stimme ist ein Krächzen. Muss er jetzt wirklich damit anfangen?

„So viele gequälte Seelen, General...du willst mir nicht wirklich sagen, dass du sie da hängen lassen willst.“

Er murmelt etwas, das ich nicht verstehe.

Das zweite Wort war sicher ein „nicht“.

„Eigentlich nicht“ vielleicht?

Zu lang...eher...

„Nein, Golem...kann man so nicht sagen...aber ich weiß nicht, ob es überhaupt einen Eingang gibt...“

„Die Monster, die sie verstümmeln, müssen doch auch zu den Seelen kommen können, oder?“

„Und wenn es nur Familiare sind?“

Der Meister wendet sich mir endlich zu.

„Ja, Zweiter, das ist gut möglich. Ich meine, es tut mir auch Leid und so, aber über diese Ketten lasse ich die Armee sicher nicht klettern, wenn es überhaupt funktionieren würde. Ich selbst käme auf keinen Fall rüber. Es wäre viel zu große Zeitverschwendung...“

Mein Mund klappt auf.

„Zeitverschwendung? Haben wir denn auf einmal Zeitdruck, von dem ich Nichts mitbekommen habe? Diese ganzen Seelen zu befreien, dauert maximal eine halbe Stunde. Mach dich nicht lächerlich.“

Plötzlich wird er wütend.

„So muss ich auch nicht mit mir reden lassen.“

Ich hingegen muss mir diesen Unfug aber auch nicht bieten lassen.

Du vergisst, wer hier ganz klar am längeren Hebel sitzt.

„Doch, General, das musst du. Du willst diese Seelen nicht befreien. Und das geht mir nicht ein. Weißt du was? Ist mir auch egal, ich brauchs nicht verstehen. Geh doch einfach eine Weile alleine weiter, ich erledige das hier ganz fix, die Ketten halten mich garantiert...“

„Das wirst du nicht!“

Was zur...er hat mich angeschrien, als hätte ich sein Leben bedroht. Ich weiche zurück, nicht sicher, was ich denken soll. Er ballt die Fäuste so stark, dass er zu zittern beginnt, und wir starren uns in peinlicher Stille an...als plötzlich etwas die Stille durchbricht.
Stöhnen aus mehr als nur eine Kehle gleichzeitig. Die Seelen haben ihn gehört, die, welche noch funktionierende Ohren haben. Und auch die anderen scheinen zu spüren, dass hier Jemand steht, der noch normal reden kann, kein Monster ist, der sie erlösen kann. Sie schreien so laut sie es können ihre Hoffnung heraus...sie betteln. Ich breite stumm die Hände aus, ein Echo des Flehens.
Der Meister lockert die Fäuste und presst die Lippen zusammen. Dann, langsam, schüttelt er den Kopf.

„Nein, Golem. Mein letztes Wort.“

Er dreht sich weg. Die Armee folgt ihm.
Ich fühle mich, als hätte er mir in den Magen geschlagen.

Na ja, das war deutlich.

Aber aber aber...

„Komm schon, Golem.“

Unwillentlich setzen sich meine Beine in Bewegung, dem direkten Befehl folgend. Ich versuche, sie daran zu hindern, aber mir fehlt die Kraft. Genauso, wie ich Nichts sagen kann.
Das Stöhnen geht weiter. Und wird scheinbar noch lauter.

Schließ es aus und lausch weiter auf Bedrohungen.

Ich...kann nicht...

Bitte, dann mach ich es eben. Wenn du den Körper wenigstens in die halbwegs richtige Richtung deuten würdest?

Wie ein Zombie folge ich, immer noch darum ringend, meine Sprache wieder zu finden. Ich wusste ja schon, dass er nicht ganz meine Meinung teilt, was die Seelen angeht. Aber er hatte mir erlaubt, sie zu befreien. Er hatte akzeptiert, dass mir die Sache extrem wichtig ist und das respektiert. Warum? Warum diese Kehrtwende? Mit ein paar Feuerbällen, wenn ich einmal einfach nur wenig isoliert durch die Reihen fließen könnte...eine halbe Stunde ist weit übertrieben.
Das flehende Stöhnen durchdringt mich. Ich lasse sie zurück. Der Meister lässt sie zurück und reißt mich mit, zwingt mich zu handeln, wie ich es niemals tun würde...es ist, als würde er mir ausdrücklich befehlen, einen Verdurstenden in der Wüste zurückzulassen. Obwohl wir doppelt so viel Wasser dabei haben, wie wir jemals brauchen werden.
Vor mir blickt der Meister zur Seite, durch den Zaun.
Mir ist, als würden seine Schritte sich verlangsamen. Ich halte die Distanz...da beißt er die Zähne zusammen, dreht sich wieder weg und stapft weiter.
Die Kakophonie lässt nicht nach.
Fast bemerke ich nicht, dass wir an dem Folterplatz vorbei sind. Die Kettenwand neben mir hat aufgehört; das rechteckige Areal liegt hinter uns. Verzweifelt drehe ich mich um, der Quelle der mich zerreißenden Hilfeschreie zuwendend...
Und sehe den Eingang. Zwei Säulen sind nicht durch Ketten verbunden.

„General.“

Er stapft weiter.

„General, es gibt einen Eingang.“

Immer noch ignoriert er mich. Obwohl wir uns entfernen, kommt es mir nicht so vor, als würde das Stöhnen leiser werden. Es hallt in meiner Seele wider.

„Bitte, gib mir nur fünf Minuten, du kannst wegsehen, aber lass mich ihr Flehen beantworten!“

Aber er wird einfach nicht langsamer.

„Hörst du es denn nicht? Wie kannst du taub sein gegenüber solchem Leid? Egal, was sie getan haben, General, du stößt Ertrinkende zurück ins Meer, die sich schon halb auf dein Schiff gezogen haben!“

Er bleibt stehen und fährt herum.

„Golem, ich weiß, also sei verdammt noch einmal still! Ich bin mir bewusst, dass ich ein Bastard bin dafür, dass ich sie ignoriere, und ja, ich gebe es zu, ich mache das willentlich und nicht, weil es uns zu viel Zeit kosten würde oder sonst etwas. Ich mache das. Meine Entscheidung. Du bist frei von Schuld. Verdamme mich, wie du willst, aber ich werde nicht anders handeln.“

Das Stöhnen beginnt abzuklingen. Die vage Hoffnung vieler Seelen, die unsere Anwesenheit geweckt hat, scheint zu schwinden. Ich starre ihn an. Er ist verzweifelt, völlig verzweifelt. Es muss etwas passiert sein, als ich ihn allein in der Hölle gelassen habe. Ich hätte darauf bestehen sollen, mitzukommen!

Dann wären wir jetzt tot.

Aber...nicht ich werde ihn verdammen, wenn er jetzt einfach geht. Er ist verdammt, wenn er es tut, wie soll er Mensch bleiben, während er gleichzeitig den Methoden der Hölle zustimmt?

„Sag mir wenigstens, warum!“

Er senkt den Blick.

„Du würdest es nicht verstehen...und mich noch mehr verurteilen.“

„Zur Hölle, General! Wer soll dich denn verstehen, wenn nicht ich? Du leidest selbst, ich sehe es doch, die Schreie nach Hilfe bohren sich in dich so wie in mich! Du bist ein guter Mensch, du hast ein Gewissen, was bringt dich dazu, es niederzukämpfen?“

„Ich glaube, in dem Fall ist meine eigene Menschlichkeit mein Untergang, Golem.“

Als wäre dies das letzte Wort, dreht er mir den Rücken zu. Verzweifelt werfe ich einen Blick über die Schulter, auf die dutzenden von Seelen, welche auf Ewigkeit gequält an ihren Pfählen hängen...und dort bleiben werden.
Ich halte das nicht aus. Nein, niemals...der Meister mag sich verdammen, warum auch immer, aber ich kann sie nicht zurücklassen, nicht solange ich meinen eigenen freien Willen habe!

Gib dich ruhig deinen Illusionen hin. Ich gebe dir drei Schritte.

Mit eiserner Entschlossenheit hebe ich einen Fuß in die Richtung, welche der Meister nicht eingeschlagen hat. Sofort durchzuckt ihn Schmerz, aufblitzend sobald ich eindeutig dem Befehl zuwiderhandle, ein konstantes Gewitter unglaublicher Agonie, welche meine nicht existenten Muskeln verkrampfen lässt und meinen Blick verschwimmen.
Der Fuß landet auf dem Boden der Hölle. Ich hebe den anderen. Die eiserne Entschlossenheit von gerade fühlt sich immer mehr an, als wäre sie stattdessen aus Holz...welches jeden Augenblick brechen kann.
Ich falle hin, die Kontrolle kurz verlierend.

Nicht einmal...ein zweiter...? Du...lässt nach...

Diese Form...braucht...keine Füße...
Mein Körper zerfließt, formt die Feuerpfütze. Zentimeter für Zentimeter nähert sie sich dem eingeketteten Platz. Jeder Millimeter purer Schmerz, der mich aufhalten will, mich zurückdrängt, in die Richtung des Meisters...in Richtung unser beider Verdammnis.

„Golem!“

Er steht über mir.

„Was tust du da? Ich sagte nein! Komm mit, ich befehle es – du bist frei von Verantwortung, es ist komplett meine Schuld. Oh Himmel, es tut mir so Leid.“

„Ich bin nicht frei von Verantwortung, General...“

Aus der Pfütze forme ich eine Hand, packe einen Fels, der hervorsteht, und ziehe mich weiter, als müsste ich gegen einen reißenden Fluss ankämpfen, der aus Rasierklingen besteht.

„Ich habe meinen eigenen Willen...und kein Befehl von dir kann das ändern...ich gehorche meiner Überzeugung...wenn dir das nicht passt...dann vernichte mich.“

„Golem...das kann ich genausowenig, wie dich die Seelen vernichten lassen...Himmel, wie schaffst du das? Verursacht die Beherrschung dir nicht unglaubliche Schmerzen?“

Wieder schaffe ich es etwas weiter. Nur...nicht...anhalten...niemals...

„Doch...aber...weniger...als wenn...ich sie zurück...lassen...würde...“

Ich sehe Nichts mehr, konzentriere Alles, was mich ausmacht, auf das Weiterkommen. Meine Schmerztoleranz ist hoch; ich habe schon viel erlitten in meinem kurzen Leben. Aber ich spüre, wie es zu viel wird. Wie die Möglichkeit lockt, einfach aufzuhören, mich in diese Richtung zu bewegen, die mir sofort Linderung verschaffen würde. Ohne Nachwirkungen. Es wäre so leicht...so unglaublich leicht...und es ist letztlich nicht meine Verantwortung. Was kann ich tun, als reines Werkzeug, als bloßer Golem? Ich bin doch nur...ich...
...habe angehalten. Habe aufgegeben.

Zur Hölle, endlich! Es waren vielleicht insgesamt keine drei Schritte, aber mir kam es vor wie eine ganze Wüste aus Dornenranken. Du weißt, dass ich das fühle – wie kannst du denn das mit deinem ach so wertvollem Gewissen vereinen?

Ich forme mich wieder zum humanoiden Golem. Mein Blick ist gesenkt. Meine Fäuste geballt. Ich kann Nichts sagen.
Der Meister berührt mein Kinn. Mein Kopf fühlt sich unendlich schwer an, als ich ihn hebe; ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Muss es aber tun.
Diese Augen sind mit Tränen gefüllt.

„Golem, du peinigst dich selbst für diese Seelen, die du nicht kennst, die es so unglaublich mehr verdient haben zu leiden als du – warum tust du es? Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass du manche Dinge nicht beeinflussen kannst?“

„Dann wäre ich nur ein Werkzeug...aber ich schätze, das ist sowieso hinfällig. Vielleicht bin ich Nichts weiter.“

Der Meister presst seine Faust auf den Mund. Seine Tränen fließen. Immer noch stöhnen vereinzelte Seelen.

„Geh.“

Sein gepresstes Wort dringt kaum durch den Schleier meiner Depression. Es dauert kurz, bis ich es begreife.

„...General, du...“

„Geh einfach, Golem! Los! Verbrenne sie alle, schick sie ins ewige Vergessen! Lass mich nicht zusehen, denke nicht darüber nach, tu es so schnell wie möglich und komm wieder zurück. Ich...ich kann dich nicht leiden sehen. Mein Herz mag noch so schreien, aber gratuliere, du hast gewonnen. Meine Entscheidung ist auf dich gefallen.“

„Was meinst du...“

„Warum bist du immer noch hier!“

Ich renne auf die Folterstätte zu, meine Gedanken am Rasen. Was könnte das bedeuten? Wem hat er mich vorgezogen? Was hat ihn dazu gebracht, gegen eine Überzeugung zu handeln, die er offenbar jetzt doch hat?
Der Eingang ist durchschritten. Das Feld der Schmerzen liegt mir offen. Jetzt ist keine Zeit für Gedanken. Ich soll schnell machen? Gut, dann werde ich das auch.

Keine Zeit für Gedanken wäre vor ein paar Sekunden gewesen...

Was...
Aus den Schatten der Säulen, versteckt bisher an Stellen vieler sich kreuzender Ketten, hinter mehreren enger zusammenstehender Seelenpfeiler, schlurfen Dämonen hervor. Pechschwarze Leichenspucker, ihre grotesken, immer weit aufgerissenen Mäuler dunkelrot schimmernd, als das vage Licht, das von überall her und nirgends kommt, sich in ihrem Sabber spiegelt.
Auf ein Geräusch reagierend drehe ich mich um...sie haben mich umzingelt.

Na toll. Direkt in eine Falle gelaufen. Gut gemacht!

Als ob uns das nicht egal sein könnte! Ich drehe mich wieder nach vorne, der Mehrheit zu, kampfbereit...
...wie um alles in der Welt habe ich den schreiend Türkisgrünen unter ihnen nicht bemerkt?

„Golem, Golem, es ist doch nicht zu fassen. Schon dachte ich, ich hätte meine Leute hier völlig umsonst positioniert, weil dein Meister sich deutlich schneller als vernünftig erwiesen hat, als ich dachte, da lässt er dich doch tatsächlich umdrehen. Nicht ohne noch ein wenig den Boden zu wässern. A-blu-blu-blu, wie herzzerreißend. Wahlweise ekelhaft.“

Du passt auf unseren Rücken auf.

Muss ich wohl, auf dich verlasse ich mich da sicher nicht.

„Kennen wir uns, Dämon?“

Seine gurgelnde Stimme versucht sich an einem Lachen.

„Kommt ganz auf deine Definition von 'kennen' an, du größenwahnsinnige Marionette. Was denkst du eigentlich, was du tust, hm?“

Das Stöhnen der Seelen ist wieder voll aufgeblüht; jetzt, wo ich weiß, dass ich sie erlösen werde, tut es mir nicht mehr weh.

„Still!“

Sofort verstummen alle, als der grüne Leichenspucker das Kommando bellt. Wer ist das?
Ich werfe einen demonstrativen Blick in die Runde.

„Wenn du so fragst, bin ich wohl drauf und dran, dir den Tag zu versauen. Liegt dir etwas an diesen Seelen, oder was? Bringt es dir perverses Vergnügen, sie immer wieder aufs Neue zu foltern? Bin ich auf deinen Spielplatz eingedrungen und werde gleich deine Sandburg zertreten?“

„So arrogant...als ginge es hier nur um dich und mich. Hast du mir nicht zugehört, oder geht es nicht in deinen Insektenverstand? Weitaus mehr als nur diese dutzend Seelen stehen auf dem Spiel, wenn du und dein Meister weiter an einer Ordnung rüttelt, die ohnehin viel zu hoch ist für euch Sterbliche.“

Meine Augenhöhlen weiten sich.

„Du warst die Seele, die mich dazu bringen wollte, sie zurückzulassen!“

„Ich würde klatschen, wenn mein jetziger Körper dazu in der Lage wäre. Welch brillianter Schluss. Wenn du schon zu solcher Logik fähig bist, warum nicht der nächste Schritt? Offenbar bin ich dir in Wissen und schierer Macht weit überlegen. Und doch stellst du dich gegen mich? Dein Meister war schlauer. Aber er ist wenigstens noch ein Mensch. Du bist nur ein Spielzeug, das seinen Platz nicht kennt.“

Er hat genug vom Reden.

Siehst du, dass gerade einer von ihnen von meiner Aura verbrannt wurde, habe sogar ich gehört.
Mein Arm schießt nach hinten, und ein Feuerball löst sich daraus. Ein schnell ersticktes Kreischen verrät mir, dass mein Ziel, der Schlund eines Spuckers, erreicht wurde.

„Ich denke, du unterschätzt mich.“

„Du scheinst dir nicht bewusst zu sein, wie viele von meinen Untergebenen dich gerade umringen, Golem.“

„Und doch können sie das hier nicht verhindern.“

Ein zweiter Schuss auf meiner Hand, er trifft eine der am nächsten bei mir hängenden Seelen in der Brust. Mit einem Schrei, der zu einem Seufzen wird, verbrennt sie.
Ein Zucken läuft durch den ganzen Körper des Grünen.

„Ein Staubkorn versucht, den Dreck zu Gold zu verwandeln? Vernichtet ihn!“

Wie mir nicht entgangen ist, sind die Dämonen hinter mir näher gerückt. Was mir allerdings noch nicht bewusst war, ist, dass er unbemerkt Verstärkung gerufen hat; hinter den Ketten, außerhalb des rechteckigen Areals, in dem ich gefangen bin, haben sich Verdammte aufgestellt, zu viele, als dass ich sie mit einem Blick zählen könnte. Kugelblitze fliegen auf mich zu, und Leichenspucker stürzen sich auf mich...
Ich zerfließe zu einer Pfütze und gleite davon. Wo ich gerade noch war, landet ein Dämon. Mein heiliges Feuer verbrennt überall um mich herum Gegner; ich forme kurz den Körper, donnere eine Faust in die Seite eines überraschten und viel zu langsamen Monsters, fühle, wie das Fett, aus dem es zum überwiegenden Anteil zu bestehen scheint, verbrennt, und verabschiede mich sofort wieder. Wie eine Feuerbrunst tanze ich über das Schlachtfeld, Nadelstiche setzend; ich bin mir bewusst, dass ich hier Nichts töten werde...aber ich kann sie verwirren. Ein heilloses Kreuzfeuer aus Kugelblitzen zischt durch die Luft, und ich bin mir sicher, dass so manch ein Dämon von seinen eigenen Kameraden gefällt wird. So erklären sich auch die schweren Geschosse aus wieder hochgewürgten Leichenteilen, die die schneckartigen Kreaturen auf mich feuern. Natürlich ohne zu treffen.

Werd nicht übermütig.

All das doch nur, um letztlich hierhin zu gelangen!
Ich habe durch mein wildes Ausweichen, das so wild gar nicht war, einen Seelenpfeiler erreicht. Stichflammenartig gleite ich daran hoch, der Gefolterte vergeht, ich forme mich wieder, auf der Säule balancierend.

„Siehst du, was ich hier tue? Was mir deine höllische Ordnung wert ist? Kette dich doch selbst an, wenn du so auf diese Art der Strafe stehst, und brenn in Ewigkeit. Einen Vorgeschmack kann ich dir geben!“

Bevor die Verdammten sich auf mich einschießen, bin ich wieder weg, aber einen Feuerball auf den Grünen lande ich noch. Er ist völlig unbeeindruckt.

„Du kannst nicht ewig entkommen, Golem! Und das ist gut so, denn du begehst einen gewaltigen Fehler!“

„Verrate mir doch einmal, warum ich dir überhaupt glauben sollte.“

Wieder brennt eine Seele. Aber langsam zielen sie besser. Was macht eigentlich der Meister?

„Immer noch hast du nicht verstanden, was diese Gefäße überhaupt sind, die du da zerstörst wie ein verzogenes Kind. Sie sind Seelen, ja, von einstmals auf Sanktuario lebenden Menschen. Um genau zu sein, Manifestationen dieser Seelen, da Seelen üblicherweise natürlich keine physische Gestalt haben. Denk nach. Wer gibt diesen Seelen ihren Körper, außer sie selbst? Bevor sie verstümmelt werden, sehen sie aus, wie sie im Leben aussahen – sie können nicht sterben, weil Seelen unsterblich sind, aber sie heilen, als hätten sie menschliche Körper. Sie sind gefangen in ihren eigenen Erwartungen! Jede Seele, die du hier siehst, hängt, weil sie unterbewusst weiß, dass sie es verdient hat. Im Moment ihres Todes wird ihr klar, dass ein Leben wie das ihre die unendliche Strafe verdient hat – und sie landen an einem Pfahl in der Hölle. Danach ist die Falle ihrer eigenen Gedanken unentrinnbar. Der Teufelskreis an Bedauern ihrer Schandtaten und dem daraus folgenden Schluss, dass die Strafe gerecht ist, hält sie hier fest! Willst du dich über diese Gerechtigkeit hinwegsetzen?“

Ich halte kurz inne – und ein Kugelblitz trifft mich.

Verdammt noch eins, warum hörst du ihm denn überhaupt zu?

Der Zweite übernimmt den Körper und konzentriert sich auf das Ausweichen. Solange er steuert, sterben keine weiteren Seelen, aber ich muss mir die Implikationen ohnehin durch den Kopf gehen lassen. Wenn er nicht lügt, dann werden die hier gefolterten Seelen nur deswegen diesen Qualen unterworfen, weil sie es wollen...dann sind wirklich nur die hier, die es verdient haben, und es herrscht keine Willkür. Habe ich also tatsächlich die schlimmsten Verbrecher befreit?
Aber Moment mal...nein, das würde auch bedeuten...

„Gerechtigkeit? Wenn stimmt was du sagst, heißt das doch, dass nur Menschen hier landen, die ihre Taten bereuen – wer aber im tiefsten Grunde seines schwarzen Herzens überzeugt ist, dass jede Schandtat richtig war, die er beging, wird nie seine Strafe erleiden!“

„Die wenigsten Sünder sind sich der Verkommenheit ihres Handelns völlig unbewusst .“

„Und noch etwas. Nur Sünder, die tatsächlich Reue zeigen, landen hier, aber weil sie das tun, entkommen sie der Falle ihrer eigenen Gedanken nicht? Einzig die, die zum Schluss kämen, dass es doch keinen Grund gibt, sich schuldig für ihre Taten zu fühlen, könnten der ewigen Qual entfliehen!“

Plötzlich hört die Barrage auf. Der Zweite formt unseren Körper und gibt mir die Kontrolle, mit der stummen Versicherung, sofort Bescheid zu geben, wenn er etwas bemerkt. Warum ist er so ohne jeden Kommentar kooperativ?
...weil er genauso gespannt ist auf das, was der grüne Leichenspuckerheld zu sagen hat!

„Also wirklich, ich muss zugeben, einen Fehler begangen zu haben. Ich habe deine Gabe unterschätzt, grundlegende Gesetze der Logik anzuwenden. Ja, eine wahrhaft verkommene Seele kann sich nur dann befreien, wenn sie zum Schluss kommt, dass das Böse ihre Natur ist und es keinen Sinn hat, sich gegen diese Natur zu wehren. Sobald eine Seele sich so befreit, heißen wir sie willkommen in unseren Reihen. Nahezu nur aus solchen Seelen setzen sich unsere Führungsränge zusammen.“

Meine Augen weiten sich. Ich habe ihn durchschaut, und mehr erfahren, als ich mir jemals vorzustellen gewagt hätte. Die Hölle nutzt ein System, das dazu gedacht ist, Sünder durch schreckliche Strafe auf den Weg der Reue zu führen...um diesen Weg komplett zu pervertieren und ihre besten Gefolgsleute daraus zu ziehen. Es ist abartig. Es ist böse. Es ist...überwältigend in der schieren Bedeutung, die diese Erkenntnis hat.
Sollte dies stimmen, kann Jeder sich Höllenqualen ersparen, wenn er mit der richtigen Einstellung stirbt. So etwas wie eine pandämonische Waagschale, auf der deine guten Taten gegen deine Sünden aufgetragen werden, existiert nicht. Es geht einzig und allein darum, wie du über deine Sünden denkst – selbst der nach außen frommste Mensch kann so in der Hölle landen, wenn er felsenfest davon überzeugt ist, es zu verdienen, weil er einst eine einzelne Sünde begangen hat, die ihn nicht mehr loslässt.
Es ist die ultimative Ungerechtigkeit. Und wenn die Welt davon erfahren würde...die Hölle wäre am Ende.
Und sämtliche Religionen auch, die die Balance aus guten Taten und Sünden predigen.
Mir schwirrt der Kopf, je mehr ich über die Ramifikationen dessen, was ich gerade erfahren habe, nachdenke.

Er könnte dich immer noch von vorne bis hinten belogen haben.

Aber es ergibt so viel Sinn!

„Habe ich deinen kleinen Verstand doch überfordert, Golem? Keine Sorge; ich werde sofort direkter. Nicht jeder einzelne Dämon ist durch den Prozess des Umarmens seiner Sünden gegangen. Wir sind die Herren der Hölle; wenn wir fünfzig neue Soldaten in unserer Armee brauchen, dann nehmen wir sie uns einfach. Identitätslose Seelen, deren Sünden nicht groß genug waren, um sie an die Pfähle zu ketten, aber signifikant genug, um sie hier landen zu lassen, gibt es wie Sand am Meer – oder, besser, wie Sünder auf der Welt. Wer einmal hier unten ankommt, ist verloren. In unserer Gewalt. Wir können tun und lassen, was wir wollen – wir können zum Beispiel auch jede Seele, die es uns wert erscheint, auf ewig in Stasis halten, sie am Vergessen hindern. Oder sie hier anketten. Dreh dich um.“

Ich kann mich nicht daran hindern.

Natalya hängt an einem der Pfeiler hinter mir.

Der reinste Schreck, den ich seit Langem gespürt habe, fährt in mich und lässt mich vollkommen erstarren. Mein ganzer Körper wird eiskalt, schrumpft in sich zusammen, als würde die Feuersubstanz das Paradoxon verstehen.
Ihr Körper ist nackt, rein, unberührt von irgendwelchen Verletzungen, aber ihr Gesicht ist unendlich traurig. Sie starrt durch mich hindurch und doch in mich hinein, meine Freundin, gefangen in der Hölle.

„Ah, und die Hauptperson in diesem Drama kommt gerade zur rechten Zeit.“

Ich kann meinen Blick nicht abwenden, aber der Teil meines Bewusstseins, der noch halbwegs kohärent arbeitet, sagt mir, dass der Meister soeben mit in den Kettenkäfig getreten sein muss; die Dämonendiener des Grünen sind höchstwahrscheinlich alle tot. Darum haben die Schüsse aufgehört. Aber...das ist...völlig egal...
Irgendwie muss ich in die Knie gegangen sein, ich weiß nicht mehr, wann.
Der Meister spricht.

„Warum habe ich nur gewusst, dass du Made hier sein wirst. Golem ebenfalls diesen Anblick antun. Verdammt, es tut mir Leid, Golem. Es genügt doch, wenn einer von uns leidet.“

Er klingt so resigniert, so leer...wie ich mich fühle...aber endlich kann ich mich von Natalyas Augen losreißen, die in diesem Moment vermutlich auch in des Meisters Seele starren, und ihn voll Bedauern ansehen, weil ich verstehe.

„Er hat dir sie gezeigt...und dich so dazu gezwungen, die Seelen in Ruhe zu lassen.“

Der Meister nickt, meinen Blick vermeidend.

„Ja. Das Schlimme ist, Golem, dass alle Einwände, die dir sicher auch gerade durch den Kopf gehen, mir genauso gekommen sind. Nichts beweist uns, dass das hier Natalyas echte Seele ist. Sie hat kein Wort gesprochen bisher, mich nur angesehen...mit diesem Blick, den ich nie auf ihrem wunderschönen Gesicht sehen wollte. Er könnte uns nach Strich und Faden belügen. Ausnutzen, dass die Liebe mich immer noch blendet.“

Das...war mir im ersten Augenblick gar nicht gekommen. Natürlich! Wer sagt, dass das hier wirklich Natalya ist?

Die gurgelnde Stimme des Leichenspuckers, der mehr ist, als er zunächst schien, ertönt wieder.

„Aber gleichzeitig kannst du dir nicht sicher sein, General. Du wirst es nie wissen. Und jede Seele, die du freisetzt, könnte im letzten Moment, nachdem es zu spät für dich ist, die Spitze deines Dolches abzuwenden, das Gesicht deiner Geliebten bekommen. Dann hättest du sie endgültig getötet.“

Der mich immer noch mit eisiger Faust packende Schock löst sich etwas in aufkochender Wut.

„Du verdammter Bastard nimmst ihre Seele als Geisel für all die, welche völlig grundlos leiden, und irgendwann unvermeidlich in eurer höllischen Armee landen werden...wenn sie nicht für immer weiter leiden wollen!“

Der Meister ist zu mir getreten und legt mir die Hand auf die Schulter.

„In der Tat, Golem. Doch selbst das wäre noch nicht genug gewesen, um mich innehalten zu lassen, um dir gerade fast den Befehl aufzuzwingen, der dir ewige Gewissenspein verursacht hätte.“

„...nicht?“

Er schüttelt den Kopf.

„Ich liebe Natalya über Alles, aber das heißt auch, dass ich sie nie als Geisel in den Händen dieser Monster lassen würde. Ich weiß, dass sie lieber sterben würde, als gegen mich benutzt zu werden. Aber...wenn wir schon dabei sind, verrate doch dein kleines Geheimnis auch Golem.“

Wieder das grollende Lachen aus dem tiefen Schlund des Dämons.

„Dein Meister ist darauf aus, Diablo zu vernichten. Er könnte es sogar schaffen – oder beim Versuch scheitern. So oder so ist er wertvoll für uns. Er könnte es zu viel bringen, als ein General...der Hölle...auch in eine Position, wo ihm ebenfalls Macht über die Seelen der Hölle übertragen wird.“

Endgültig ersetzt mein Zorn den Schock und die Trauer.

„Du baumelst die Chance, dass er Natalya als seine persönliche Seelensklavin wieder erschaffen könnte, über seinem Kopf? Gekoppelt an die Bedingung, dass er euch dient...wo habe ich so etwas Ähnliches schon gehört?“

„Dein Meister ist wohl beliebt, Golem! Ich weiß auch von den Bemühungen meines Rivalen...welche wieder und wieder scheiterten. Ich hingegen benötige keine rohe Gewalt, um mein Ziel zu erreichen. Du wirst freiwillig zu mir kommen, General, mich anbetteln, deine Freundin wiederhaben zu dürfen!“

Sein Rivale...
Natürlich!

„Du bist der Andere, vor dem Izual uns gewarnt hat!“

Das scheint den Dämon tatsächlich kurz zu verwirren...aber bevor er etwas dazu sagen kann, hat der Meister meine Schulter fester gedrückt. Ich sehe ihn an, um festzustellen, dass ein freudloses Lächeln auf seinem Gesicht erschienen ist.

„Golem, wie wichtig ist dir denn Natalya?“

Ich sehe ihm direkt in die Augen; jetzt hat er keine Angst mehr vor meinem Blick, wie es scheint.

„Sehr. Sie war eine echte Freundin in einer Zeit, als ich wirklich eine gebraucht habe. Aber...niemals so wichtig, dass ich ihren endgültigen Tod nicht akzeptieren könnte, um die Welt zu retten.“

„Dachte mir schon, dass du so denkst...“

Ein Skelett ist neben ihm aufgetaucht. Er greift sich den Schwertarm des Skeletts, und mit einem Klicken, das nicht direkt nach brechenden Knochen klingt, löst sich der Gebeinsäbel von der Hand des Kriegers. Er betrachtet die Waffe.

„Bis vorhin war es prinzipiell nur eine Entscheidung zwischen mir und Natalya. War ich bereit, meine eigene Verdammnis zu riskieren, um mir die Chance zu erhalten, sie zu retten? Ich bilde mir ein, dass ich fähig wäre, Diablo zu töten, seine Macht zu stehlen, wie auch immer – dieser hier und der Rote haben so etwas Ähnliches ja durchaus in Aussicht gestellt – und so Natalya zu retten, ja, wiederzubeleben, ohne mich selbst dabei zu verlieren.“

Die schiere Überheblichkeit in seinen Worten jagt mir kalte Schauer über den Rücken.

„Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Es ist ein wenig sehr arrogant, ich weiß. Aber ich kann Nichts gegen die Gedanken tun, die mein Ego mir schickt. Aber das ist irrelevant, weißt du? Du warst vorhin bereit, so unglaubliche Schmerzen auf dich zu nehmen, nur um diese Seelen zu retten...und du wusstest noch nicht einmal, dass sie eigentlich nur Zuchtfarmen für Höllenoffiziere sind. Das hat mir gezeigt, dass es eigentlich nicht um mich oder Natalya geht in der dieser Seelensache...“

Er entfernt sich. Was hat er vor?

Blick auf den Grünen – egal, was der Meister vorhat, er ist gefährlich und du wirst ihn nicht aus den Augen lassen!

Ich muss dem Zweiten widerstrebend zustimmen.

„...sondern um Natalya oder dich.“

Er holt tief Luft.

„Und ich habe meine Entscheidung, wie gesagt, getroffen.“

Das mir nur allzu bekannte Geräusch von Fleisch, das von einer Klinge durchdrungen wird, ertönt.
Jede Warnung des Zweiten ignorierend fahre ich herum.
Der Knochensäbel steckt in Natalyas Brust. Der Meister hat eine Hand vor seine Augen gepresst und schluchzt.

„So muss ich eben hoffen...dass das wirklich nur...eine billige Kopie war...“

Augen! Nach! Vorne!

Völlig abgelenkt durch meine Unfähigkeit, mir klarzuwerden, was ich eigentlich gerade denken soll, gebe ich dem Zweiten einfach die Kontrolle. Er dreht unseren Körper herum...gerade rechtzeitig, dass wir sehen, wie der Grüne heranstürmt, schneller, als man es von einer überdimensionierten Schnecke erwarten könnte. Ich mache mich bereit...
Er rennt geradezu in eine Wand aus Schwertern, als Skelette von überall her ihn abblocken. Blitzschnell hat der Meister sie über die Ketten und durch sie hindurch klettern lassen, deutlich rascher, als der dicke Dämon sich dann doch bewegen kann, besondere Kräfte hin oder her. Die Krieger hacken einige Zeit auf den Fleischberg ein; er zertrümmert ein paar, aber hat keine Chance.
Mit Tränen im Gesicht tritt der Meister neben mich.

„Dein Angebot ist abgelehnt, genauso wie das deines Kollegen!“

Noch lebt er, was wohl auch die Intention des Meisters war.

„Narr...ich werde wiederkommen. Ich werde dich brechen. Was denkst du, wen du vor dir hast? Dann töte ich dich eben! Deine Qual wird ohne Gleichen sein, und du wirst deine Freundin niemals wieder sehen!“

„Ich habe beschlossen, dir nicht zu glauben, Fettsack. Natalya lebt noch. Wie soll sie überhaupt gestorben sein, hm? So leicht kriegt sie kein Monster klein. Warum sollte sie hier gelandet sein? Meine Hoffnung stirbt zuletzt, und sicher nach dir!“

„Du bist ohnehin verdammt! Dein eigenes Gewissen verurteilt dich schon jetzt, ich kann es spüren...du glaubst, dass du die Höllenqualen verdienst, tief drin. Wenn du stirbst, wirst du in der Falle deiner eigenen Gedanken enden, und dann gehörst du ganz und gar uns!“

„Mein Gewissen fühlt sich ganz gut an. Aber weißt du was? Egal, was mit mir passiert – Genugtuung wirst du so oder so nicht daraus ziehen können.“

Zwei Wächter packen den aufgedunsenen Kopf des Dämons. Und der Meister zückt das Jade-Tan-Do.

„Willkommen im Vergessen, du Bastard. Kannst deinem Kollegen Hallo von mir sagen.“

Damit rammt er den Dolch dorthin, wo ich an seiner Stelle auch das Gehirn der Kreatur vermuten würde. Ein gewaltiger Schrei entrinnt dem mächtigen Schlund, die Einstichstelle der gewellten Waffe beginnt giftgrün zu glühen, wie sie es auch schon bei dem roten Ritter tat.

Seine Seele wehrt sich dagegen, aufgesaugt zu werden!

Das muss es sein! Aber sobald das Gift seinen Körper wegfrisst, wird sie hilflos sein...

Leichenspucker sind giftimmun.

Na dann...
Ich knie mich vor den an unzähligen Stellen aufgeschlitzten Leib des Dämons.

„Gib deinen Geist endlich auf!“

Mit voller Konzentration auf so heiliges Feuer wie möglich jage ich eine Stichflamme komplett durch ihn durch.
Das Glühen des Jade-Tan-Dos vergeht. Ich starre auf die Einstichstelle.

„Hat es die Seele?“

Der Meister zuckt mit den Schultern.

„Ich hoffe doch sehr...dieser hier war ja zu blöd, sich rechtzeitig zu sprengen.“

„In der Tat, das war er!“

Wir beide richten uns auf, als eine bekannte Stimme spricht.

„Das gibts doch wohl nicht.“

Auf einem Stein außerhalb der Ketten sitzt der rote Ritter, ein Bein über das andere geschlagen. Aber...er wirkt nicht komplett. Sein Körper ist halb durchscheinend. Ein Geist...in der Hölle?
Dennoch klatscht er, trotz der Knochenhände ein überzeugendes Geräusch.

„Ihr seid diesen unfähigen Idioten mit Bravour losgeworden, General. Man kann Euch nur gratulieren dazu, wie Ihr diese Situation gemeistert habt. Nicht weniger hätte ich auch erwartet nach den vielen Malen, wo Ihr mir gezeigt habt, wie sehr man sich doch auf Eueren Golem verlassen kann.“

„Was willst du.“

„Nicht mehr, als was ich gerade getan habe: Mein Lob und meinen Dank aussprechen. Ihr habt mir gerade mehr geholfen, als Ihr Euch jemals vorstellen könntet. Das macht mehr als nur wett, dass Ihr mich doch etwas...behindert habt mit diesem...darf ich es sagen?...teuflischen Dolch, den Ihr da führt.“

Der Meister richtet die Spitze der besagten Waffe auf ihn.

„Kannst gerne noch mehr davon haben.“

„Oh nein, oh nein, das Risiko ist es mir nicht wert. Tatsächlich könnt Ihr Euch sicher sein, dass ich Euch solange Ihr in der Hölle seid nicht mehr belästigen werde. Gibt auch keinen Grund mehr dazu, da ich Niemandem mehr zuvorkommen muss! Im Gegenteil – ich wünsche Euch das Beste auf Euerer Reise.“

„Womit hab ich das denn verdient...“

„Sagte ich gerade! Der Verdienst schmort gerade vor Euch. Aber keine Sorge, ich biete nicht nur salbungsvolle Worte an, werter Gegenspieler. Ihr sucht den Abgang zum Flammenfluss, nicht wahr? Nun, haltet Euch links nach dem Ausgang aus diesem geschmacklosen Käfig, dann an einer Ruine rechts vorbei, die aussieht wie eine Kirche, mitten durch ein zerstörtes Haus, dessen hintere Wand fehlt, und von da aus immer geradeaus weiter.“

Er steht auf.

„He, warte...“

„Wie gesagt, viel Erfolg.“

Er beginnt, zu verblassen...doch da formt er sich kurz wieder, um noch einen Satz zu sagen.

„Ach und übrigens – was ihr gerade zerstört habt, war in der Tat nur ein Faksimile. Also macht Euch keine Gedanken und konzentriert Euch auf die wahre Aufgabe vor Euch.“

Damit ist er verschwunden. Ich starre den Meister an, und er mich.

„Ich habe das Gefühl, als hätte ich das gerade nicht tun sollen.“

„Was?“

„Das Stehlen der Seele...“

Er wirft einen Blick in Richtung der...scheinbaren?...Leiche von Natalya, aber nicht allzu lange.

„Bei dieser Entscheidung bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich sie richtig getroffen habe.“

„General, ich...“

„Es ist trotzdem nicht schön, der Frau, die man liebt, einen Säbel in die Brust zu rammen. Golem...ich weiß, was du sagen willst. Aber du brauchst mir nicht danken, weil ich dir ohnehin für so viel andere Dinge danken sollte und meine Dankbarkeit nie zeige. Eigentlich sollte ich dir auch für das hier danken, und nicht du mir für meine Entscheidung. Jede andere wäre doch völliger Wahnsinn gewesen, oder?“

„Ja...“

Und dennoch läuft ihm noch eine Träne über das Gesicht, und sein Blick verliert sich.

„So oder so! Sie lebt noch, wie gesagt, ich bin mir ganz sicher. Ich weiß nicht, was ich vom Roten halten soll. Aber...wir werden seiner Wegbeschreibung folgen. Wenn sie stimmt, stimmt vielleicht auch, was er über das...Ding...da hinten gesagt hat.“

Er lächelt in die Ferne, wohin seine Augen sehen.

„Und das würde mich sehr glücklich machen.“

Ich lächle auch, aber ihn an, klopfe ihm auf die Schulter und belasse es dabei. Ist meine Hoffnung doch die gleiche wie seine. Ich denke, dass ich Natalya nicht so sehr liebe wie ihn. Aber es ist nahe dran. Mir tat all das auch sehr weh, und der Grüne hat mich ähnlich getroffen wie er ihn getroffen haben muss.
Wenn ich genauer darüber nachdenke...sicher hat er Natalya, wie bei mir, nur als letztes Druckmittel hervorgebracht. Heißt das, das der Meister wirklich auch ohne mich schon begonnen hat, Seelen zu befreien? Dass er die wahre Perversität der ewigen Folter auch schon ohne ihren schreckliche Sinn begriffen hat?
Heißt das aber auch, dass er auf dem Weg alleine, nachdem der Grüne ihn erpresst hatte, noch viele Seelen sah, die er töten wollte, aber nicht konnte, weil seine Liebe ihn hinderte?

Du denkst wieder einmal viel zu viel nach.

Möglich, aber...
Wie schuldig lässt ihn sich das fühlen?
 
also erstmal willkommen zurück und danke für die grandiose fortsetzung.
wenn du mal nicht schreiben kannst gib wenigstens nen lebenszeichen von dir ok? ;-)

ach ja
„Gerechtigkeit? Wenn ES stimmt was du sagst
 
und es geht weiter, jawoll :)
du hast uns ganz schön lang auf entzug gesetzt, ich kanns aber gut verstehn...bei mir stehn die tage auch viele uni-technische dinge an...so stressig wie dieses semester, wars schon lange nicht mehr -.-
 
Grausame gedanken und bilder bietest du uns


trauer und zorn



freue mich auf das nächste kapitel
 
Welcome back :hy:

Meiner Meinung nach neben dem Kampf mit Mephisto und der Rückblende in die Vergangenheit des Zweiten eines der besten und spannendsten Kapitel.
Gut das sich der Rote durchgesetzt hat... mal im Ernst, wenn man im CS auf ein Siegel drückt und dann ein Türkisgrüner Leichenspucker auftaucht wird es wirklich höchste Zeit, dass die Hölle sich neue Offiziere sucht. :lol:
Das dass eigene Gewissen darüber entscheidet ob eine Seele zur Hölle fährt oder nicht, lässt gerade in Bezug auf den General und Kaelan Interessantes vermuten. De Facto war es Mord, daran gibt es nichts zu beschönigen und der General hat sich ja inzwischen durchaus als jemand mit Gewissen herausgestellt.
Andererseits hat ja Sturmbaum bereits bewiesen, das offenbar selbst erfolgreiche Absolventen des "Höllenelite Tests" selbst danach noch ihre Sünden bereuen können.
Deutlich wird auch das Dia gut daran täte, mal in seiner eigenen Führungsebene aufzuräumen :flame:.
Der eine versucht nicht mal den General auf seinem Weg zur Höllenschmiede aufzuhalten, der andere hilft sogar noch unverhohlen, nach dem sein Konkurrent aus dem Weg geräumt ist.
Es bleibt spannend :)
 
definitiv eines der besten kapitel, vieleicht das beste, das kann aber auch an der wartezeit liegen.
in punkto hölle/himmel, da währe noch option 3, die meisten totenbeschörer scheinen ja wiedergebohren zu werden, vieleicht ist der general insofern die wiedergeburt des alten und hat deshalb den zweiten beim beschören mitbekommen
 
da sieht man nach ewigkeiten wieder rein und dann ist da sogar ein update drin :eek:
wie groß ist die chance auf ein weiteres heute? :angel:

die Story war wieder super, Natalia da unten anzutreffen hätte ich nie erwartet^^
 
Die Chance auf ein Update heute ist gleich 0, ich hab Morgen noch einmal eine letzte Klausur.

Danach werd ich erst mal ein wenig entspannen; das heißt, Freunde besuchen und so...ich schau mal, wann ich wieder was schreiben werde. Hab halt im September auch Bachelor-Prüfungen, da muss ich AUCH für lernen, aber die ganze Zeit werd ich das auch nicht machen. Sporadisch bleibts trotzdem mit den Kapiteln.

Simon
 
Dann wünsch ich dir viel Erfolg bei deinen Prüfungen!
Halt die Ohren steif.

Gruß,
Andy
 
wieder einmal ein genialles kapitel, die wirst meiner meinung nach immer besser^^
auch wenn ich deine geschichte gerne lese ist es mir lieber, dass du nur dann schreibst, wenn du zeit und lust dazu hast
ich warte einfach auf das nächste update, bis es dann da ist^^
 
Gesunde Einstellung.

Aber lustig, dass du das gerade heute erwähnst...

Prüfungen (schriftlich) liefen übrigens Alle ganz hervorragend. Bachelorprüfungen sind ab 16. (mündlich dann), das wird noch spaßig :D.

Simon
 
Kapitel 22 – Warmes Willkommen

Ein wenig vertrauenserweckendes rotes Glühen dringt aus dem Loch im Boden, in das eine gewohnt verdrehte, unregelmäßige und höchst unsichere Treppe führt. Galgenartige Aufbauten umgeben den Bruch in der sonst glatten Landschaft der Hölleplattform, auf der wir stehen, die einzige Art Markierung dafür. Soweit ich das beurteilen kann, sind wir irgendwo in der Stadt der Verdammten, nicht in der Mitte, nicht auf einer markanten Halbinsel der schwebenden Ebene...wenn wir danach hätten suchen müssen, wären wir lange beschäftigt gewesen.
Der Meister reibt sich das Kinn.

„Und da hat er uns doch tatsächlich nicht angelogen...“

„Hast du das erwartet?“

„Ich weiß nicht. Für mich ist er völlig undurchschaubar.“

„Wenn ich meine Meinung einbringen darf – er ist kompletter Opportunist, und so durchaus berechenbar. Zuerst versuchte er, Euch durch Taktik zu besiegen. Als dies nicht gelang, wandte er Fallen an, bis sie Erfolg hatten. So viel sogar, dass er Euch lebend unter Kontrolle bringen konnte. Ich denke, sein Plan, Euch direkt durch Eid an ihn zu binden, hat sich nur spontan formuliert. Zuletzt führte auch dies zu Nichts. Das Jade-Tan-Do hätte ihn fast Alles gekostet, darum ist er jetzt zu feige, direkt noch etwas zu versuchen. Stattdessen hofft er, dass Ihr das aus freiem Willen tut, was er eigentlich geplant hatte, dass Ihr unter seiner Kontrolle tut: Diablo vernichten. Er will die Macht übernehmen, koste es, was es wolle. Da Ihr vermutlich nach dem Sieg über Diablo nicht als neuer Höllenfürst hier bleiben wollt, hat er sogar eine sehr realistische Chance, das Ruder zu übernehmen. Mephisto ist aus dem Spiel...wo Baal ist, wissen wir nicht.“

Stirnrunzelnd sieht der Meister mich an.

„Gar nicht übel analysiert...aber ein rückgratsloser Opportunist ist er in diesem Fall nicht. Ich bezweifle, dass gar Nichts von dem, was er zu mir gesagt hat, zu Diablo vordringt. Wenn ich versage, wird er Einiges zu erklären haben. Also ist er entweder sehr mutig, oder sehr dumm.“

„So oder so hat er eine ganze Menge Vertrauen in dich.“

„Nun, er hat mich ja ausgiebig getestet, nicht wahr? Wenn irgendeiner unser Gegner eine akkurate Einschätzung unserer Fähigkeiten treffen kann, dann er.“

Er deutet nach unten.

„Egal, was wir von ihm halten sollen, für mich ist er aus dem Spiel. Sein mysteriöser Rivale noch mehr. Wir gehen da runter, finden die Höllenschmiede und dann reißen wir Diablo das schwarze Herz aus der Brust.“

„Darf ich vorschlagen, zumindest zunächst den Wegpunkt zu aktivieren?“

Der Meister stutzt. Ich brauche auch kurz, um das Steinquadrat zu finden; das rote Leuchten in dem ständig vorherrschenden Zwielicht macht Alles schwer erkennbar.

„Oh...oh ja, natürlich. Wir können auch eine kurze Pause in der Festung einlegen, sicherlich...“

Als er auf den Wegpunkt zugeht, sehe ich ihn besorgt an. Er hat seine Fähigkeit über die Zeit wirklich perfektioniert, seine Gefühle hinter einer Maske der Zielstrebigkeit und Hingabe an seine Mission zu verbergen. Aber nach dem, was vorhin passiert ist...muss es hinter dieser Maske rumoren. Er braucht dringend eine Pause, und ich schäme mich dafür, dass ich selbst zu verwirrt bin, um das gemerkt zu haben. Ist ja nicht so, als ob es für mich besonders leicht gewesen wäre. Sorge um Natalya klammert sich schließlich auch an mein Herz, ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es für ihn ist.

„Stadt der Verdammten...Festung des Wahnsinns.“

Wir stehen wieder in der perfekt klimatisierten Bastion des Himmels. Unenthusiastisch kündigt der Meister uns an.

„He zusammen, wir sind wieder da...“

Kurz darauf ist Tenarion da.

„Himmel, du warst lange weg...“

Der Meister verzieht den Mund.

„Es gab viel zu tun...“

„Das glaub ich dir gerne! Aber dass du hier bist, heißt ja, dass es gut lief, oder? Du hast den Wegpunkt in der Stadt der Verdammten gefunden?“

Der Meister nickt.

„Hervorragend! Gratuliere dir. Ich denke, jetzt willst du dich ein wenig ausruhen?“

Ein Kopfschütteln.

„Ich wollte nur sehen, ob Jamella einen neuen Stab für mich hat. Und den Seelenstein abholen. Der Flammenfluss ist nur eine Treppe entfernt, und mit ihm die Höllenschmiede. Mephistos Seele wird noch heute zerstreut.“

Tenarion blickt so überrascht drein, wie ich mich fühle. Ich komme ihm zuvor.

„Bist du sicher, dass du keine Pause einlegen willst?“

„Vollkommen.“

Und schon geht er die Stufen hinunter, um Jamella aufzusuchen.

„Moment!“

Ich lege ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ich denke, du solltest wirklich für einen Moment kürzer treten. Allein schon, um ein wenig nachzudenken, über was passiert ist.“

„Was ist denn passiert, Golem?“

Idiot.

Reine Sorge spiegelt sich in der Miene des anderen Totenbeschwörers. Der Meister schießt mir einen wütenden Blick zu.

„Nichts ist passiert, Tenarion. Wir ziehen weiter, Golem. Ich bin nicht im Mindesten müde, und ich bin nicht blöd genug, dem Roten auf einmal zu vertrauen. Er weiß genau, wo wir hingehen, und wenn ich jetzt eine Auszeit nehme, wartet sicher Morgen wieder eine Falle auf uns. Hol den Seelenstein.“

Kurz bleibe ich stehen, etwas hilflos, ihm zusehend, wie er mit krampfhaft festem Schritt die Treppe herabsteigt...dann spüre ich ein warnendes Zucken, das mich zwingt, seinem Befehl nachzugehen.
Tenarion folgt mir.

„Es ist etwas passiert, Golem. Etwas, das ihn sehr belastet, das sieht ein Blinder. Soll ich mit ihm reden?“

Ich seufze, ein Entweichen superheißer Luft.

„Das wäre sehr freundlich von dir, aber ich weiß nicht, was du ihm sagen könntest. Dir zu erklären, was genau ihn bedrückt, würde Stunden brauchen. Die haben wir nicht, wenn er dabei bleibt, gleich weiter zu wollen, und ich weiß auch nicht, ob ihm das Recht wäre.“

„Hm.“

„...Deckard schläft, nehme ich an?“

„Noch nicht lange, aber ja.“

„Ich bin gleich wieder da...tut mir Leid, ich kann gerade nicht gut warten.“

Lautlos fließe ich in sein Zelt – wo er hoffentlich den Seelenstein aufbewahrt, sonst verletze ich seine Privatssphäre völlig ohne Grund – und suche den verfluchten Kristall. Der Zweite, selbstverständlich, sieht ihn zuerst. Leise greife ich ihn mir und lasse den schlafenden alten Mann ungestört zurück.
Tenarion wartet ein paar Schritte weiter. Ich sehe zerknirscht auf den blauen, halb durchscheinenden Stein.

„So, da ist er, wir brauchen nicht mehr hetzen. Also...ich denke, ich wäre auf lange Sicht besser für ihn, wenn er sich Zeit zum Nachdenken nehmen würde. Aber das würde ihm auch weh tun. Vielleicht ist er einfach gerade nicht bereit, sich seiner Wut und Trauer zu stellen, und will so einfach weglaufen...“

„Du machst es mir schwer, nicht neugierig zu sein. Und ja, ich denke auch nicht, dass es auf lange Sicht gut für ihn ist, seine Probleme dadurch zu begraben, dass er sich in seine Aufgabe stürzt. Die Lektion sollte er doch langsam...“

Er verstummt, da der Meister vor uns aufgetaucht ist.

„Hast du ihn? Schön. In den Würfel damit. Jamella hat sich mal wieder als nutzlos erwiesen...von Halbu ganz zu schweigen. Bist du bereit?“

„Ich schon, aber was ist mit...“

„Wir gehen da jetzt runter und treten unheilige Mengen an Dämonenhintern. Bis später, Tenarion. Stadt der Verdammten.“

Und damit sind wir wieder inmitten der Hölle. Das ist doch...wenigstens, bis ich mich verabschieden konnte, hätte er warten können!

„General, was soll das? Ich kann respektieren, dass du nicht über die ganze Angelegenheit reden willst, aber deswegen musst du dich nicht asozial aufführen. Abgesehen davon, dass ich immer noch denke, dass deine Verschlossenheit nicht gut für dich ist.“

Er verschränkt die Arme und schießt mir einen vernichtenden Blick zu.

„Ich kann gerne so offen sein, wie du willst, Golem. Im Moment bin ich verdammt sauer auf diese ganze beschissene Hölle, ihre Methoden, wie sie versucht haben, mich zu erpressen, es fast geschafft hätten, und wozu sie mich letztlich gezwungen haben. Ich will Dämonen töten, jetzt, viele, und am liebsten gleich ihre Bosse mit den eigenen Eingeweiden erwürgen. Das ist nicht alles. Trauer ist auch ein Faktor, ja. Ich spüre, wie sie gleich um die Ecke lauert. Das kann ich ganz rational sehen. Natürlich wird sie kommen. Vielleicht heule ich später wie ein Schlosshund, aus Angst, Ungewissheit, Natalya doch für immer verloren zu haben, und dann auch noch durch meine Hand. Aber das ist im Moment noch weit entfernt. Jetzt habe ich nur Wut im Bauch, und ich will und werde sie füttern. Keine Pause, vergiss es. Wir gehen da jetzt runter und töten Alles, was sich bewegt. Wenn du eine Pause brauchst, kannst du ja gerne nach Hause gehen.“

Jetzt weißt du Bescheid.

Ohne auf eine Antwort zu warten, dreht er sich um und steigt die Treppe herab. Schnell reiße ich mich aus meine Starre und laufe ihm nach.

„Lass mich wenigstens vorangehen!“

„Na also.“

Wir steigen herab. Bald umgibt uns nur noch das rote Leuchten. Und es wird heißer. Ich versuche, mir noch eine Bemerkung zu verkneifen, aber schaffe es nicht.

„Und trotzdem rennst du vor deinen Gefühlen weg.“

Er braucht kurz, um zu antworten.

„Dann habe ich halt Angst, mich ihnen zu stellen. Wolltest du, dass ich das zugebe? Bist du jetzt glücklich?“

„...nein.“

„Warum hakst du dann nach, hm?“

Das bringt mich zum Schweigen, und ich weiß nicht so Recht, ob ich mich schämen soll oder ob wir einfach beide irgendwie Recht haben. Ich gehe noch nicht einmal so weit, zu denken, dass er komplett im Unrecht sein könnte...ich bin selbst zu aufgewühlt für rationale Gedanken.

Zur Hölle, ihr seid beide rational genug, um zu wissen, dass ihr gerade halb am Durchdrehen seid. Das ist doch eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Normalzustand.

...danke, Zweiter.

Das war eine Beleidigung! Sie verdient keinen Dank! Ich ändere meine Aussage zu „völlig am Durchdrehen“, verdammt!

Was immer du sagst.
Plötzlich tut sich unter mir ein Loch auf, als die Treppe in eine Öffnung mündet, die offenbar eine...Höhle?...unter der schwebenden Platte der Stadt der Verzweiflung darstellt. Ich erreiche den Grund.
Um mich herum ist Magma. Oder Lava. Sie fließt offen, aber unterirdisch. Was solls. „Flammenfluss“ ist ganz offensichtlich wörtlich gemeint. Der feste Boden ist nur etwa fünf Zentimeter höher als der See aus geschmolzenem Gestein, das ihn umgibt. Dieses fließt träge vor sich hin, die Richtung ist nicht eindeutig. Glühen tut es wie lichterloh brennendes Feuer, darum ist es taghell; wahrscheinlich bringt noch nicht einmal ein frisch ausbrechender Vulkan derart strahlende Lava zustande.
Was an Land da ist, ist eine sich von der Treppe aus relativ eng erstreckende Zunge, mit sehr unregelmäßigem Rand und alles andere als gerade. Es sieht so aus, als müsste der Untergrund aus demselben undefinierbaren braunen Material, aus dem auch die anderen Ebenen bestanden, innerhalb von Sekunden schmelzen, aber das tut er, soweit ich das erkennen kann, nirgendwo; auch die verstreuten Inselchen abseits des Hauptweges scheinen nicht durch abtrennende Lavaströme entstanden zu sein, sie sind einfach da, wie auch die schwebenden solchen weiter oben.
Außerdem ist es nicht annähernd so heiß, wie es sein sollte.

„Heilige Scheiße, ist das verdammt noch mal heiß hier!“

...aber trotzdem wirklich verdammt heiß, ja.

„Du hast es gut, Golem. Gah. Wenn ich bedenke, dass meine Schuhe und die Rüstung sogar noch extra Resistenz bieten...und ich trotzdem schwitze wie ein Schwein...“

„Tut mir Leid für dich.“

„Was habe ich auch erwartet von einem Ort, der 'Flammenfluss' heißt? Hat keinen Sinn, sich zu beschweren. Wir bringen das hier einfach so schnell als möglich hinter uns.“

„Wenigstens müssen wir den richtigen Weg nicht suchen...“

Damit hat die Konversation sich erschöpft.
Bald treffen wir auf Widerstand. Der Weg wird blockiert von gigantischen Muskelbergen; keine neue Erscheinung, aber das ausgewaschene hellblau ihrer Körper ist neu.
Der Zweite liefert seine Beschreibung ausnahmsweise laut; er wird mutiger im Umgang mit dem Meister.

„Das sind Urdars, die meines Wissens höchste Entwicklung der Tölpelträger. Sie sind absolute Elitetruppen.“

„Meine auch. Lasst die Vernichtung beginnen.“

Sind sie denn schneller als die anderen Varianten?

Etwas so Dickes wird sicher nicht schneller; stärker sind sie.

Na dann...
Ruhig gehe ich auf die Gruppe zu. Ihre gewaltigen Knüppel sind aus Stein geformt; Holz wäre leicht gefährdet hier unten, nehme ich an. Dann müssen sie wirklich stärker sein, sonst könnten sie die gleich gar nicht heben. Einer von ihnen ist grünlich getönt; er tritt nach vorne. Seine Stimme ist ein dunkles Donnern.

„Ihr werdet hier niemals vorbeikommen.“

„Einspruch.“

Ich zerfließe zur Pfütze, schlängle mich nach vorne, an Baumstammbeinen vorbei, zwischen zweien hindurch, und stehe plötzlich hinter ihnen, bevor sich auch nur einer von ihnen umgedreht hat.

„Seht ihr? Schon vorbei.“

Ich warte eine Sekunde, bis ich weiß, wer am schnellsten denkt und sich zuerst umdreht, dann wachse ich vor ihm in die Höhe, meinen Körper verschlankend, forme meine Arme in Flammenspeere und ramme sie dort gegen seinen gesichtslosen Kopf, wo die Augen wären.
Zunächst prallen die Flammen von ihm ab, was mich etwas überrascht. Aufheulen lässt es ihn aber trotzdem. Also packe ich seinen Nacken mit einer schnell gebildeten Hand, ziehe mich an ihm hoch und pumpe all meine Hitze in den anderen Arm.
Nach kurzer Brennzeit dringt das Feuer aus seinem Hinterkopf. Geht doch.
Noch im Fallen zerfetzt es die frische Leiche. Manche von den Urdars stolpern direkt in die Lava, was sie nicht allzusehr zu beeindrucken scheint; die auf Land gefallenen dagegen werden von Skeletten überschwärmt, als wären es Ameisen, und ein rechtes Gemetzel nimmt seinen Lauf.
Der Held hat sich auf den Beinen halten können und setzt jetzt dazu an, auf den Meister zuzustürmen.
Ich strecke meine Arme, verschränke die Hände und ziehe. Er stolpert in meiner Schlinge und stürzt wie ein gefällter Baum.

„Unten bleiben.“

„Du wirst...“

Drei Eisbolzen schlagen in ihn ein, was seine Bewegungsfreiheit deutlich behindert. Der Meister tritt vor ihn.

„Elitetruppe, hm?“

Das Jade-Tan-Do wirkt seine grausame Magie. Versuchsweise hat der Meister ein paar Skelette direkt in die Lava geschickt; es scheint ihnen überhaupt Nichts auszumachen. So ist der Rest der Gegner auch schnell Geschichte.
Jetzt, wo sie tot sind, schützt sie anscheinend Nichts mehr vor der Lava. Ihr großzügig vorhandenes Fett verbrennt in dicken, schwarzen Rauchwolken.

„Himmel, bloß weg hier.“

Ich beeile mich, der Forderung des Meisters nachzukommen; sicherlich stinkt es ganz erbärmlich.

Bald später erweitert sich der begehbare Bereich zu einer größeren Insel; es führt dennoch nur ein Weg von ihr herunter, geradeaus weiter. Dieser ist aber durch eine zuckende, schwarze Masse blockiert.

„Sind das...Felswürmer?“

„Blutwürmer. Auch mit diesen ist nicht zu spaßen.“

„Diese verdammten Wadenbeißer.“

Der Meister ruft ein Skelett und lässt es um seine Füße zerschmelzen, was ihm strahlend weiße Beinschienen liefert. Wie ich sehe, haben die Würmer schon Eier gelegt...der Meister lässt die Skelette vorlaufen.

„Schnell, bevor sie schlüpfen!“

Die pechschwarzen, von Adern überzogenen Kuppeln platzen auf, eine jede um die vier kleine Maden freigebend.

„...na toll.“

Mit überraschender Geschwindigkeit schwärmen sie auf uns zu – und die Elterninsekten legen schon neue nach. Die Skelette werden einfach umgangen; sie schlagen um sich, aber die paar zerquetschten Gegner sind nur Tropfen auf sehr heißen Steinen. Die Flut nähert sich.

„Golem, ich glaube, du musst etwas Flächenschaden beisteuern.“

„Nur zu gerne.“

Ein Feuerball löst sich aus meinem linken Arm, schlägt inmitten der nächsten Würmer auf und zerbirst. Chitinpanzerstücke fliegen in alle Richtungen. Ich schieße weiter, aber merke bald, dass die Geschosse immer schwächer werden; meine Energiereserven gehen zur Neige...

Was nun wirklich nicht sein muss hier. Lass mich mal.

Der Zweite übernimmt; sofort streckt er den Körper zur Seite und ein Bein direkt in den Lavastrom. Gewaltige Hitze von ihm schockt mich kurz, aber schnell mache ich mir klar, dass mein Temperaturempfinden in dieser Form nur theoretisch ist. Das geschmolzene Gestein ist sicher heißer als ich – aber was soll es denn verbrennen?
Beide Arme hält der Zweite jetzt vor sich, während die Wurmwand gefährlich nahe kommt...da zischen zwei dicke Feuerströme aus meinen Händen. Sicher zwei, drei Meter lang sind die Stichflammen, die er methodisch hin und her wandern lässt. Die Insekten zerplatzen in Scharen.

„Golem, das ist schön und gut, aber der Strom hört nicht auf! Die Skelette kommen nicht durch. Mach dich an die Quelle. Grill diese Gebärmaschinen.“

„Und was wird aus dir?“

„Ich komm schon zurecht. Wenn du schnell machst. Los!“

Ich bin skeptisch, aber hoffe, dass er nicht nur überheblich ist. Der Flammenteppich ist hierfür die richtige Wahl; er kann eine Schneise brennen...

Wenn du nicht über die Lava rollst, kostet dich das zu viel Energie. Mach lieber große Schritte als Feuersäule.

Da muss ich deiner Erfahrung vertrauen...aber dann kommen weit mehr zum Meister durch...

Such dir die schwärmenden Haufen, wo die Skelette begraben sind. Wenn wir von einem zum anderen springen, können wir etwas Druck von der Front ablenken.

Dem Rat folge ich sofort. Die Skelette können sich sicher nicht allzu lange halten, sobald die Würmer sich wieder an deren Position verdichten, aber dafür müssen sie ihren Strom kurz ableiten...was mir genug Zeit geben sollte.

„Nehmt das, ihr Biester...und das...ja, es ist genug für Alle da!“

Häufiges Knacken verrät mir, dass der Meister seinen Fußschutz gut zu gebrauchen weiß. Aber es sind viel zu viele...Himmel, es hat keine Minute gedauert, und die ganze Insel ist überschwärmt! Das ist Wahnsinn!

Meine Warnung war nicht aus der Luft gegriffen.

Aber jetzt haben wir die Eierleger erreicht! Sie zischen, versuchen, ihre Brut zu verteidigen. Hacken nach mir mit gifttriefenden Fängen. Ich lasse sie. Schlage zurück. Schleimige Insekteneingeweide fliegen um mich herum, klatschen gegen die dünne Hülle, die mein Feuer vor dem Ausbrechen hindert; für einen Sekundenbruchteil schalte ich diese ab und reinige mich komplett. Es ist kathartisch. Das heilige Feuer vernichtet die Dämonenbrüter ohne den Hauch einer Chance ihrerseits. Was aber ist mit der Brut selbst...? Ist der Meister sicher?
Kleine Explosionen in schneller Folge wie das Platzen von Würstchen auf dem Grill verraten mir, dass ich mir wohl unbegründet Sorgen gemacht habe.

„Und das sollte mehr als genug sein für Alle von euch!“

Die ganze Insel leuchtet auf in orangem Feuer; unzählige sich windende kleine Körper sind überstrahlt vom Halo des verstärkten Schadens. Der Meister wirft eine handvoll halbwegs intakte Wurmkadaver in die Mitte, hebt die Wand der Augenlosen vor sich und sieht weg.
Scharen von zerschmetterten Ekelwesen werden in die Lava geschleudert. Der ganze Boden ist ein einziger Schleimsee. Nichts regt sich mehr.
Ich kehre zum Meister zurück, mit gewisser Sorgfalt und schlurfendem Schritt eine saubere Schneise brennend. Das Epizentrum der Explosion hilft mir dabei.
Er wischt sich gerade Schweiß von der Stirn. Wenn er den Helm nicht aufgehabt hätte, hätte es auch etwas anderes sein können...wie ich feststelle, hat er den Fußschutz bis auf seinen Oberkörper ausgeweitet. Gut so, sonst müsste er die Haut des Vipernmagiers jetzt dringend reinigen lassen. Auch auf den glatten Knochen klebt einiges an Unaussprechlichem.

„Da ist man in einer Höhle voll sauberem, ehrlichem Feuer, und dann sowas. Mir ging die ganze Sache vorher schon gewaltig auf den Geist, aber meine Laune wird wirklich nicht besser.“

„Lass mich mal.“

Ich lass meine Hände über seine Brust wandern. Vorsichtig lockere ich dabei die Feuerbarriere.

„Ist das zu heiß?“

„Spür ich schon gar nicht mehr. Aber auch hier ist der Geruch nicht wirklich angenehm.“

„Oh, Entschuldigung...“

„Aber mach weiter. Ist mir lieber, als den Giftschleim auf der Rüstung zu haben, und die behalte ich für eine Weile. War teuer genug; aus dem Schmodder kann ich keine Skelette nachbauen. Wir sind etwas reduziert, gefällt mir nicht, aber was solls.“

„Gehen wir doch zurück und du formst welche aus Urdarleichen...“

„Damit dieser Brückenkopf erneut besetzt wird? So schlimm ist es nicht. Der Weg führt nach vorn.“

Es fehlen ja auch nur drei...zwei davon Magier. Das ist ja hoffentlich verschmerzbar.

Wieder fünf Minuten Wegs weiter, wovon jeder Schritt den Meister sichtlich Unbehagen bereitet – er trinkt ohne Pause aus seinem ewigen Milchkrug – erreichen wir die erste Kreuzung. Angedeutete Torbögen, noch ruinierter als die Gebäude auf der darüberliegenden Ebene, stehen geradeaus und links; rechts wird der Weg zu einer eng gewundenen Landzunge. Die anderen Richtungen sind, bisher hier ungesehen, begradigt, der Flammenfluss sauber eingemauert. In der Mitte eines rechteckigen Lavabeckens erhebt sich eine umwandete Struktur, als wäre der heiße Strom ein Burggraben. Dünne Brücken führen hinein.

„Sieht irgendwie wichtig aus...“

Der Meister nickt.

„Mh-hm. Aber so...beliebig. Wie Alles hier. Und nicht wirklich groß. Lass uns mal durch ein Tor blicken.“

Sobald wir den Blick über eine Brücke werfen können, wird klar, dass das Gebäude zwar wichtig aussieht, dies aber sicher nicht ist. Im Inneren, was es schon erleuchtet, ist ein quadratisches Lavabecken, sonst wenig außer wenig vertrauenerweckendem Boden; im Gegensatz zu den solide wirkenden Mauern ist er stellenweise gesplittert, und Flammen züngeln durch die Lücken.

„...also lassen wir das. Kannst du eigentlich nach rechts was erkennen?“

Ich bemühe mich, aber die Hitze lässt die Luft verschwimmen und macht Fernsicht unmöglich.

„Eine erhobene Struktur in der Weite, vielleicht?“

Der Meister überlegt.

„Das hier ist offensichtlich nicht die Höllenschmiede. Schade, ich hatte schon zu hoffen gewagt. Lass uns nachsehen, wohin dieser enge Pfad uns führt, den man offenbar nicht wirklich gehen soll. Ich traue den wahnsinnigen Architekten dieses Ortes zu, genau dahin den wichtigsten Platz gelegt zu haben.“

Der einzige Architekt, der hier zugange war, heißt Zufall.

Dann können wir auch beliebig in diese Richtung gehen...
 
Huhu :hy:

Schönes Kapitel wie immer wenn auch mit wenig Pl0t. Ich hab mir neulich nochmal "Tönerene Taufe" durchgelesen und kann nur meine Glückwünsche aussprechen. Nicht das Tönerne Taufe schlecht geschrieben wäre, aber zwischen der Qualität von TT und SS / LL liegt ein himmelweiter Unterschied :top:
Welcher, abgesehen von deinem deutlich besseren Schreibstil, die Story sich inzwischen, vom Rahmen abgesehen, komplett von Diablo 2 emanzipiert hat.
Aber zur eigentlichen Frage: Können wir heute noch mit einem Update rechnen?

Gruß
 
Nope, und auch nicht in naher Zukunft. Ich hab bald Bachelorprüfungen, das Lernen ist noch nicht ganz vorbei. Ab Ende des Monats wohl wieder!

Simon
 
Nope, und auch nicht in naher Zukunft. Ich hab bald Bachelorprüfungen, das Lernen ist noch nicht ganz vorbei.
Is okay, wenn einer die Prioritäten des Lebens richtig setzen kann, aber...
Ab Ende des Monats wohl wieder!
... von welchem Monat (in welchem Jahr) reden wir? ;)


edit: der Typ, der nachfragte von wegen
... von welchem Monat
, hatte wohl Recht mit seiner Frage... :sad:
 
Zuletzt bearbeitet:
Wahrscheinlich nicht September...
Hoch mit dem Ding :top:
 
Gab ein wenig Konfusion bezüglich meiner Prüfungen.

Hat sich zwar noch nicht ganz gelegt, dafür hab ich jetzt definitiv frei. Ein büschen was hab ich auch schon geschrieben. Vielleicht schaff ichs sogar, das in naher Zukunft auch fertig zu schreiben!

Simon
 
Tschaaaaaaaaaaaaakaaaaaaaaaaaaa du schaffst es :go: :top: :go:
 
Ich HABS geschafft!

Endlich mal wieder ein wenig der Funke übergesprungen. Schwere Geburt. Hoffentlich krieg ich mehr Enthusiasmus, wenn endlich Akt 5 startet! Wir nähern uns, wir nähern uns. Viel Spaß, Leute!

Simon
 
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