TwinYawgmoth
Champion des Hains, Storywriter of the Years
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Kapitel 27 – Weise und Wissende
„Verdammt, ists schon so spät geworden?“
Tatsächlich, als wir aus der Höhle an die frische Luft treten – welche ich natürlich weit weniger genießen kann als die beiden Menschen – ist es fast völlig dunkel, was einerseits an der dichten Wolkendecke liegen wird, aber es ist spät...der Meister ist nicht allzu früh aufgewacht, wir sind gefühlte Ewigkeiten durch den Dschungel gewandert, und in der Spinnenhöhle ist auch fast eine Stunde vergangen – dreiundfünfzig Minuten und vierzehn Sekunden, um genau zu sein. Was mich Alles nicht interessiert. Was soll das jetzt? Hättest du die Güte, mir die Kontrolle zurückzugeben? Ist ja nicht so, als ob dir das irgendetwas bringen würde, und du behinderst mich noch so, dass ich einmal den Meister nicht richtig schützen kann!
Haha, das Totschlagargument schlechthin, was? Vergiss es, das zieht nicht. Ich weiß, welche Bewegungen du ausführen wirst, bevor dein Körper den langsamen Gedanken in diesem Hohlschädel folgt. Mich daran anzupassen, ist kein Problem.
Und welchen Zweck verfolgst du damit? Ich will meine Arme wieder, jetzt sofort, sonst kannst du vergessen, dass du noch einmal Kontrolle bekommst über irgendeinen Teil von mir!
Das hast du mir schon einmal gedroht, aber es hilft dir solange Nichts, wie ich kompetenter bin als du, also immer. Geh doch beim Meister weinen.
...
Das ist nicht zu Ende.
Stimmt, ich werde sie noch eine ganze Weile behalten.
„Ich schlage vor, wir ziehen uns erst einmal in die Stadt zurück. Diesmal haben wir ja sogar etwas vorzuweisen – und ich würde mich über ein Bett freuen, so schäbig das meine auch ist...wo wohnst du eigentlich, Tees?“
Natalya blickt stumm in den Himmel, der in diesem Moment noch nicht zu regnen begonnen hat. Noch.
„Ich habe keine Hütte in Kurasts Docks. Meine Heimat ist bis zum Abschluss meiner Mission der Dschungel, da von ihr so wenig Leute wie möglich erfahren sollen.“
Der Meister verzieht das Gesicht.
„Ach komm, zieh deine Rüstung aus, und du fällst nicht weiter auf. Wir finden sicher einen Platz für dich, du musst doch nicht hier draußen schlafen, unter Dämonen und Regen...“
Ich bezweifle, dass sie das tun wird. Beides, die Rüstung ablegen und hier schlafen...tatsächlich wird ihre Stimme wütend.
„Ich habe kaum schlechtere Versuche gehört, an mein Gesicht heranzukommen. Nein, Totenbeschwörer, ich bleibe meinem Auftrag treu und hier. Mach dir nur keine Sorgen um mein zartes Selbst, wir treffen uns Morgen sicher wieder.“
Er setzt zu einer Erwiderung an, sichtlich nicht überzeugt...kannst du mal bitte die Hand auf seine Schulter...
Schon dabei. Vergessen? Ich weiß, was du vorhast.
Ich würde es gerne vergessen, ja. Gerade so unterbreche ich den Meister, bevor er etwas sagen kann.
„General, lass sie doch. Wenn sie hier draußen frieren will, ist das ihre Sache – wir sollten uns aufmachen, solange es noch hell ist, um dem Wegpunkt rechtzeitig zu erreichen. Obwohl wir jetzt den Weg kennen, wird es locker noch eine Stunde dauern, und je länger wir hier streiten, desto hässlicher wird es werden.“
Seine Schulter zuckt unter meiner Hand.
„Na schön, du hast Recht. Man soll ja Niemanden zu seinem Glück zwingen. Wobei dein Argument nichtig ist, zurück sollte es doch schneller gehen.“
Er zieht das verzierte blaue Buch aus dem Würfel. Hm, darüber habe ich schon einmal nachgedacht. Wird es funktionieren?
Nein. Die Stadtportalsrollen sind auf Lut Gholein ausgerichtet, und das ist für den schwachen Zauber viel zu weit weg.
Gerade will ich etwas sagen, als Natalya den Meister aufhält.
„Bist du schon dazu gekommen, den Folianten auf Kurast abzustimmen?“
„Öh...“
„Dachte ich mir. Hier, nimm diese Rolle und hol das dann nach.“
Aus ihrem scheinbar unerschöpflichem Gürtel holt die Assassine eine mit einem blauen Band umwickelte Pergamentrolle hervor. Der Meister zögert kurz, bevor er sie entgegen nimmt.
„Hm, Danke...der Spruch ist bei allen Rollen gleich, oder?“
Ein Nicken ist die Antwort, also intoniert er „KoKoMal“ - und das blaue Leuchten tut sich auf, darin erscheint der Leuchtturm.
„Und du bist dir sicher, dass du nicht mitkommen willst, Tees...Tees?“
Sie ist weg, und ich weiß, wohin; aber das werde ich ihm natürlich nicht verraten.
„Scheinbar hatte sie keine Lust, eventuell von der Stadt aus gesehen zu werden, General. Seien wir besser still, was sie angeht...“
„Na gut – ihr Ding. Verrücktes Weib...“
Wir betreten die Docks. Das Staunen ist groß, besonders, als die Skelette folgen; aber dass Deckard, der gerade mit Ormus ins Gespräch vertieft war, gleich sorglos herantritt, beruhigt die Leute offenbar. Und immerhin wussten sie ja schon, dass der Meister ein Totenbeschwörer ist, an den Gedanken konnten sie sich auch zwei Wochen lang gewöhnen, während er invalid war.
„Ihr seid zurück, wie schön!“
„Auch schön, dass du dich freust, Deckard.“
Ich nicke ihm zu.
„Hallo!“
„Wollen wir uns irgendwo kurz unterhalten? Ich habe ein paar Fragen und auch ein paar Antworten.“
Kryptisch, kryptisch, General. Aber schon bald sind die beiden unterwegs zu unserer Hütte; ich überlege kurz, ob ich mich aus dem Staub machen soll...unter anderem, um eine gewisse andere Sache zu klären...aber ich will das nicht verpassen. Und es ist schon zu spät.
Ha, als ob man nicht spüren würde, wie dir die Angst aus allen Poren rinnt. Du willst „diese Sache“ nicht klären. Weil du befürchtest, zu verlieren.
Hm? Ich glaube, wir reden von verschiedenen Dingen.
Du kannst deine Angst nicht verleugnen.
Tu ich das? Aber ich denke nicht an dich und meine Arme im Moment, solange ich sie nicht brauche, hat mir das doch gezwungenermaßen egal zu sein.
Aber an was...
Ich kann also meine Gedanken verschleiern, wenn ich nur wenig genug daran denke – oder tust du nur immer so, als könntest du Alles erfahren, und nutzt in Wirklichkeit deine zugegebenermaßen beträchtliche Kombinationsgabe? So oder so, gut zu wissen und Danke. Als Ausgleich kann ich dir ja sagen, was ich kurz spekuliert habe zu tun und wovor ich, ja, ein wenig Angst habe – mit Devak zu reden. Der war jetzt eine Weile völlig allein gelassen, und ich hatte ihm eigentlich versprochen, etwas zu tun.
Wir sind derweil angekommen. Ein Skelett hält die Tür auf, drei rennen voraus und als wir hineintreten, sind schon die Vorhänge geöffnet, das Bett wird gerade in Ordnung gebracht und der eine Stuhl ist schon gegenüber der Stelle aufgestellt, wo sich nun die nachströmenden Diener zu einem Knochenthron formen. Ich lasse mich auf dem Boden nieder; meine Arme legen sich ruhig auf meine Oberschenkel.
„Nun, mein Freund, ich sehe, Ihr habt Euere Kontrolle über die Knochendiener entscheidend verbessert...“
Der Meister tätschelt einen der Schädel, der ihm als Handablage dient.
„Ja, sie folgen mittlerweile ohne Probleme meinen wildesten Vorstellungen allein. Ich bin äußerst zufrieden, dieses Buch ist eine Gabe.“
„Wie beweisen sie sich im Kampf?“
Sein Gesicht verzieht sich, als der Meister den Knochenhelm abnimmt und einem Wächter übergibt.
„Mäßig. Ich verlasse mich jederzeit lieber auf Golem...“
Er nickt mir zu; ich würde gerne auch sein Grinsen erwidern, aber ich kann nur die Kopfsenkung.
„...weil sie natürlich keinerlei Eigeninitiative zeigen. Was möglich ist, ist jedem einen gedanklichen Auftrag zu geben, den sie dann auch durchführen; so können sie, wie gerade, mehrere Dinge gleichzeitig tun. Um jedoch schnell jedem gleichzeitig neue Anweisungen zu geben, müsste ich mir schon ein paar neue Gehirne wachsen lassen; ich kann nicht simultan in zehn Richtungen denken, leider.“
Seiner Schuhe hat er sich schon erledigt; nun öffnet er aufseufzend den Gürtel.
„Wenigstens habe ich nun ein Auge mehr. Hoffentlich ist das auch genau das, was wir suchen, hm?“
Ein Griff in den Würfel und ein wenig Kramen später, dann holt er den abgerissenen Augapfel hervor, den Zark bewachte. Sofort geht eine Veränderung in Deckard vor, der zwar interessiert, aber ein wenig ungeduldig gewartet hatte, als wolle er lieber selbst das Reden anfangen – zumindest stelle ich mir das als sehr wahrscheinlich vor. Nun aber weiten sich die Augen des Weisen vor Überraschung, und langsam, fast zögerlich streckt er die Hand nach dem Organ aus. Der Meister lässt einen Magier, der ohne die aktivierten Elementarkugeln um die Finger ganz normale Hände hat, die Distanz zwischen ihren Sitzplätzen überbrücken.
Sanft empfängt Deckard Cain das Auge und lässt dessen leblosen Blick den seinigen treffen. Einen langen Moment starrt er hinein, dann wandern seine Mundwinkel in einem langsamen, aber sicheren Lächeln nach oben.
„Das ist es, was Ihr sucht. Genau das. Khalims Auge, das die Schwächen unserer Feinde sieht. Ja!“
In einer für ihn geradezu euphorischen Geste hebt der Alte die freie Hand.
„Ihr habt Eueren Auftrag äußerst erfolgreich begonnen! Sucht weiter nach dem, was Khalims unbeugsamer Geist uns von seinem Körper hinterließ, und wir werden die Übel zerschmettern!“
Er ballt die Hand zur Faust. Der Meister erlaubt sich auch ein Lächeln...ein dünnes.
„Werden wir garantiert. Ich denke, ich kann dir vertrauen, dieses Ding sicher und fäulnisfrei aufzubewahren?“
„Es wird nicht faulen...“
„Gut. Was ganz Anderes. Du solltest Empfehlungsschreiben herausgeben. Habe ich doch im Dschungel glatt eine voll gepanzerte Fanatikerin getroffen, die mich sofort aufschlitzen wollte, nur, weil ich ein paar Untote mitlaufen lasse. Dein Name hat geholfen, ich würde mir Gedanken machen, wer mich so Alles kennt an deiner Stelle.“
Jetzt ist Deckard erst wirklich überrascht – und ich beuge mich unwillkürlich nach vorn. Nein, muss er von ihr erzählen? Völlig offensichtlich, dass sie nicht will, dass Jeder von ihr erfährt!
Ja, weil den Meister die Gefühle dieser Fremden kümmern, die damit anfängt, ihm eine Klinge an den Hals zu legen.
Verdammt. Es wird gefährlich, und ich bin froh, mitgekommen zu sein.
„Eine gepanzerte Fanatikerin? Ein Mensch, im Dschungel? Das ist doch...habt Ihr ihren Namen erfahren?“
„Tees Dete. Sie meinte, sie wäre...was hat sie gesagt, Golem? Manchmal ist mein Gedächtnis echt wie ein Sieb.“
Das ist ja wohl die Gelegenheit. Jetzt fang um Himmels Willen an, zu lügen!
„Nicht wörtlich, Angehörige eines alten Ordens, der darauf aus wäre, abtrünnige Zauberer zu finden – Assassinen. Genau.“
Verdammt, Deckard, schau her! Meine kurze Pause nach Nennung dieses Namens lässt ihn zu mir herumfahren.
„Hast du von dieser Gruppierung also schon mal gehört? Wir waren erst einmal ziemlich verwirrt, immerhin hatte sie als Erstes Klauen an seinen Hals gelegt und dann das Reden angefangen. Wenigstens hat sie jetzt nicht mehr vor, uns umzubringen – im Gegenteil, sie ist auf unserer Seite und hilft sogar. Aber von sich gibt sie überhaupt Nichts preis, eins ist klar, sie will nicht, dass mehr Leute von ihr erfahren als nötig.“
Hoffentlich versteht Deckard, was ich damit sagen will, hoffentlich...da stirnrunzelt mich der Meister an.
„Was soll die Betonung im letzten Satz, Golem? Willst du mir was sagen?“
Ich will...
Du Idiot, soviel zu mit Wahrheit kommt man am weitesten! Ich sollte dich Ohrfeigen! Und jetzt benutz den Hohlraum zwischen deinen Schläfen und stell fest, dass sogar ich dir sagen kann, dass deine Taktik in diesem Fall sogar die beste ist!
Wie meinst...oh. Schneller, als das gedachte Worte vermitteln könnten, flutet mein Bewusstsein, was der Zweite meint.
„Ja, ich will dir was sagen, General. Wie ich gerade sagte, Tees will nicht, dass mehr Leute von ihrer Präsenz und ihrem Auftrag erfahren, als nötig ist. Hat sie selbst auch genau so gesagt. Hast du jetzt vor, Jedem von ihr zu erzählen und damit vielleicht sogar nötige Geheimhaltung komplett zu ruinieren?“
„Du wirfst mir vor, auf die Anliegen einer völlig Fremden, die mich womöglich beim nächsten Experiment mit den Skeletten für dieses kreuzigt, nicht genügend Rücksicht zu nehmen?“
Wie ich schon sagte...
„Ich werfe dir vor, das Anliegen einer wertvollen Begleiterin, die gerade erst angefangen zu haben scheint, dir Glauben zu schenken, völlig zu ignorieren, ja, bewusst ihr Vertrauen zu brechen, ja. Egal, was sie getan hat, das ist doch kein Grund, aus Rache ihr Probleme zu machen, oder?“
Deckard hebt eine Hand.
„Störe ich?“
„Nein!“
Der Meister und ich sehen uns an, nachdem wir beide gleichzeitig gesprochen haben. Er beginnt als erster, das kurze Schweigen zu brechen.
„Bleib bitte, ich hatte noch ein Anliegen. Das sollte doch gleich erledigt sein. Denkst du, ich würde das tun, weil ich immer noch sauer auf Tees' Verhalten bin?“
„Sagte ich gerade.“
Und das stimmt, sonst würde ich es nicht sagen. Er verschränkt die Arme.
„Tu ich nicht. Ich habe sie erwähnt, ohne groß darüber nachzudenken. Du hast Recht, eigentlich sollte ich Niemandem davon erzählen. Pah, aus kindischem Trotz will ich ihr doch nicht schaden. Vergessen wir das einfach, Deckard, ich glaube ja auch, dass bisherige Probleme nur ein Missverständnis waren und damit egal sind.“
„In...Ordnung.“
Des Weisen Augen huschen zu mir; ich nicke knapp, das lief gerade noch mal gut. Nun zieht der Meister seinen blauen Folianten hervor.
„Mir...kam in den Sinn, dass die Rollen hier drin ja noch auf Lut Gholein deuten müssten, du hast ja gleich nach unserer Ankunft da sichergestellt, dass wir nicht immer wieder in Khanduras zu landen versuchen. Wärst du so gut, den Zauber auf die Docks zu ändern?“
Oh, da war ich wohl gerade nicht zugegen, als die beiden das besprochen haben...
Du warst zu abgelenkt durch deinen tollen neuen Körper. Ich habe das mitbekommen.
Soso, darum wusstest du das. Deckard hebt eine Augenbraue.
„Aber...das habe ich bereits getan, während Ihr schlieft. Wie seid Ihr sonst hierher zurück gekommen?“
„Ich...na ja, jetzt ist es ja schon gesagt worden, Tees hat mir eine Rolle geliehen, ich dachte, das Buch würde nicht funktionieren.“
„Aber das hieße ja...“
Klang. Metall auf Metall, Arm auf Schenkel von mir. Deckard wird unterbrochen.
Hoppla.
„Hoppla. Entschuldigung.“
Ein wenig ungelenk stehe ich auf – wobei ich fast nicht merke, dass meine Arme nicht genau tun, was ich will, sondern leicht verzögert und leicht falsch reagieren.
„Ich wollte ja eigentlich noch etwas erledigen heute, wenn es euch Nichts ausmacht...“
Der Meister winkt ab.
„Jaja, geh nur...was meintest du, Deckard?“
Während ich mich entferne, spanne ich mich innerlich so gut an, wie das ohne Muskeln geht.
„Nun...nur meine Erleichterung ausdrücken, dass es Nichts ausgemacht hat, dass auch ich vergaß, Euch das zu sagen. Jetzt aber zum weiteren Vorgehen...“
Stirn, bitte.
Tatsächlich gehorcht mir mein rechter Arm und ich stütze – völlig unnötig, aber ich finde die Geste gerade nur zu passend – meinen Kopf auf die Metallhand. Himmel, macht man was mit, wenn man der Einzige ist, der Ahnung von Allem hat.
Stell dir mal vor, wie lustig es wird, wenn der Meister selbst den Schluss zieht, dass „Tees“ ja dann wohl auch hier gewesen sein muss, um ihre eigenen Rollen auf die Docks auszurichten. Und sich dann einbildet, Fragen zu stellen.
Du traust ihm das zu?
Du nicht?
Muss ich mit dem Schlimmsten rechnen?
Wäre gesund, ja. Durchaus.
Verdammt.
Also als nächstes zu Natalya. Stadtportal oder Haus?
Was denkst du?
...wir bleiben in Kurast heute Nacht.
„Verdammt, ists schon so spät geworden?“
Tatsächlich, als wir aus der Höhle an die frische Luft treten – welche ich natürlich weit weniger genießen kann als die beiden Menschen – ist es fast völlig dunkel, was einerseits an der dichten Wolkendecke liegen wird, aber es ist spät...der Meister ist nicht allzu früh aufgewacht, wir sind gefühlte Ewigkeiten durch den Dschungel gewandert, und in der Spinnenhöhle ist auch fast eine Stunde vergangen – dreiundfünfzig Minuten und vierzehn Sekunden, um genau zu sein. Was mich Alles nicht interessiert. Was soll das jetzt? Hättest du die Güte, mir die Kontrolle zurückzugeben? Ist ja nicht so, als ob dir das irgendetwas bringen würde, und du behinderst mich noch so, dass ich einmal den Meister nicht richtig schützen kann!
Haha, das Totschlagargument schlechthin, was? Vergiss es, das zieht nicht. Ich weiß, welche Bewegungen du ausführen wirst, bevor dein Körper den langsamen Gedanken in diesem Hohlschädel folgt. Mich daran anzupassen, ist kein Problem.
Und welchen Zweck verfolgst du damit? Ich will meine Arme wieder, jetzt sofort, sonst kannst du vergessen, dass du noch einmal Kontrolle bekommst über irgendeinen Teil von mir!
Das hast du mir schon einmal gedroht, aber es hilft dir solange Nichts, wie ich kompetenter bin als du, also immer. Geh doch beim Meister weinen.
...
Das ist nicht zu Ende.
Stimmt, ich werde sie noch eine ganze Weile behalten.
„Ich schlage vor, wir ziehen uns erst einmal in die Stadt zurück. Diesmal haben wir ja sogar etwas vorzuweisen – und ich würde mich über ein Bett freuen, so schäbig das meine auch ist...wo wohnst du eigentlich, Tees?“
Natalya blickt stumm in den Himmel, der in diesem Moment noch nicht zu regnen begonnen hat. Noch.
„Ich habe keine Hütte in Kurasts Docks. Meine Heimat ist bis zum Abschluss meiner Mission der Dschungel, da von ihr so wenig Leute wie möglich erfahren sollen.“
Der Meister verzieht das Gesicht.
„Ach komm, zieh deine Rüstung aus, und du fällst nicht weiter auf. Wir finden sicher einen Platz für dich, du musst doch nicht hier draußen schlafen, unter Dämonen und Regen...“
Ich bezweifle, dass sie das tun wird. Beides, die Rüstung ablegen und hier schlafen...tatsächlich wird ihre Stimme wütend.
„Ich habe kaum schlechtere Versuche gehört, an mein Gesicht heranzukommen. Nein, Totenbeschwörer, ich bleibe meinem Auftrag treu und hier. Mach dir nur keine Sorgen um mein zartes Selbst, wir treffen uns Morgen sicher wieder.“
Er setzt zu einer Erwiderung an, sichtlich nicht überzeugt...kannst du mal bitte die Hand auf seine Schulter...
Schon dabei. Vergessen? Ich weiß, was du vorhast.
Ich würde es gerne vergessen, ja. Gerade so unterbreche ich den Meister, bevor er etwas sagen kann.
„General, lass sie doch. Wenn sie hier draußen frieren will, ist das ihre Sache – wir sollten uns aufmachen, solange es noch hell ist, um dem Wegpunkt rechtzeitig zu erreichen. Obwohl wir jetzt den Weg kennen, wird es locker noch eine Stunde dauern, und je länger wir hier streiten, desto hässlicher wird es werden.“
Seine Schulter zuckt unter meiner Hand.
„Na schön, du hast Recht. Man soll ja Niemanden zu seinem Glück zwingen. Wobei dein Argument nichtig ist, zurück sollte es doch schneller gehen.“
Er zieht das verzierte blaue Buch aus dem Würfel. Hm, darüber habe ich schon einmal nachgedacht. Wird es funktionieren?
Nein. Die Stadtportalsrollen sind auf Lut Gholein ausgerichtet, und das ist für den schwachen Zauber viel zu weit weg.
Gerade will ich etwas sagen, als Natalya den Meister aufhält.
„Bist du schon dazu gekommen, den Folianten auf Kurast abzustimmen?“
„Öh...“
„Dachte ich mir. Hier, nimm diese Rolle und hol das dann nach.“
Aus ihrem scheinbar unerschöpflichem Gürtel holt die Assassine eine mit einem blauen Band umwickelte Pergamentrolle hervor. Der Meister zögert kurz, bevor er sie entgegen nimmt.
„Hm, Danke...der Spruch ist bei allen Rollen gleich, oder?“
Ein Nicken ist die Antwort, also intoniert er „KoKoMal“ - und das blaue Leuchten tut sich auf, darin erscheint der Leuchtturm.
„Und du bist dir sicher, dass du nicht mitkommen willst, Tees...Tees?“
Sie ist weg, und ich weiß, wohin; aber das werde ich ihm natürlich nicht verraten.
„Scheinbar hatte sie keine Lust, eventuell von der Stadt aus gesehen zu werden, General. Seien wir besser still, was sie angeht...“
„Na gut – ihr Ding. Verrücktes Weib...“
Wir betreten die Docks. Das Staunen ist groß, besonders, als die Skelette folgen; aber dass Deckard, der gerade mit Ormus ins Gespräch vertieft war, gleich sorglos herantritt, beruhigt die Leute offenbar. Und immerhin wussten sie ja schon, dass der Meister ein Totenbeschwörer ist, an den Gedanken konnten sie sich auch zwei Wochen lang gewöhnen, während er invalid war.
„Ihr seid zurück, wie schön!“
„Auch schön, dass du dich freust, Deckard.“
Ich nicke ihm zu.
„Hallo!“
„Wollen wir uns irgendwo kurz unterhalten? Ich habe ein paar Fragen und auch ein paar Antworten.“
Kryptisch, kryptisch, General. Aber schon bald sind die beiden unterwegs zu unserer Hütte; ich überlege kurz, ob ich mich aus dem Staub machen soll...unter anderem, um eine gewisse andere Sache zu klären...aber ich will das nicht verpassen. Und es ist schon zu spät.
Ha, als ob man nicht spüren würde, wie dir die Angst aus allen Poren rinnt. Du willst „diese Sache“ nicht klären. Weil du befürchtest, zu verlieren.
Hm? Ich glaube, wir reden von verschiedenen Dingen.
Du kannst deine Angst nicht verleugnen.
Tu ich das? Aber ich denke nicht an dich und meine Arme im Moment, solange ich sie nicht brauche, hat mir das doch gezwungenermaßen egal zu sein.
Aber an was...
Ich kann also meine Gedanken verschleiern, wenn ich nur wenig genug daran denke – oder tust du nur immer so, als könntest du Alles erfahren, und nutzt in Wirklichkeit deine zugegebenermaßen beträchtliche Kombinationsgabe? So oder so, gut zu wissen und Danke. Als Ausgleich kann ich dir ja sagen, was ich kurz spekuliert habe zu tun und wovor ich, ja, ein wenig Angst habe – mit Devak zu reden. Der war jetzt eine Weile völlig allein gelassen, und ich hatte ihm eigentlich versprochen, etwas zu tun.
Wir sind derweil angekommen. Ein Skelett hält die Tür auf, drei rennen voraus und als wir hineintreten, sind schon die Vorhänge geöffnet, das Bett wird gerade in Ordnung gebracht und der eine Stuhl ist schon gegenüber der Stelle aufgestellt, wo sich nun die nachströmenden Diener zu einem Knochenthron formen. Ich lasse mich auf dem Boden nieder; meine Arme legen sich ruhig auf meine Oberschenkel.
„Nun, mein Freund, ich sehe, Ihr habt Euere Kontrolle über die Knochendiener entscheidend verbessert...“
Der Meister tätschelt einen der Schädel, der ihm als Handablage dient.
„Ja, sie folgen mittlerweile ohne Probleme meinen wildesten Vorstellungen allein. Ich bin äußerst zufrieden, dieses Buch ist eine Gabe.“
„Wie beweisen sie sich im Kampf?“
Sein Gesicht verzieht sich, als der Meister den Knochenhelm abnimmt und einem Wächter übergibt.
„Mäßig. Ich verlasse mich jederzeit lieber auf Golem...“
Er nickt mir zu; ich würde gerne auch sein Grinsen erwidern, aber ich kann nur die Kopfsenkung.
„...weil sie natürlich keinerlei Eigeninitiative zeigen. Was möglich ist, ist jedem einen gedanklichen Auftrag zu geben, den sie dann auch durchführen; so können sie, wie gerade, mehrere Dinge gleichzeitig tun. Um jedoch schnell jedem gleichzeitig neue Anweisungen zu geben, müsste ich mir schon ein paar neue Gehirne wachsen lassen; ich kann nicht simultan in zehn Richtungen denken, leider.“
Seiner Schuhe hat er sich schon erledigt; nun öffnet er aufseufzend den Gürtel.
„Wenigstens habe ich nun ein Auge mehr. Hoffentlich ist das auch genau das, was wir suchen, hm?“
Ein Griff in den Würfel und ein wenig Kramen später, dann holt er den abgerissenen Augapfel hervor, den Zark bewachte. Sofort geht eine Veränderung in Deckard vor, der zwar interessiert, aber ein wenig ungeduldig gewartet hatte, als wolle er lieber selbst das Reden anfangen – zumindest stelle ich mir das als sehr wahrscheinlich vor. Nun aber weiten sich die Augen des Weisen vor Überraschung, und langsam, fast zögerlich streckt er die Hand nach dem Organ aus. Der Meister lässt einen Magier, der ohne die aktivierten Elementarkugeln um die Finger ganz normale Hände hat, die Distanz zwischen ihren Sitzplätzen überbrücken.
Sanft empfängt Deckard Cain das Auge und lässt dessen leblosen Blick den seinigen treffen. Einen langen Moment starrt er hinein, dann wandern seine Mundwinkel in einem langsamen, aber sicheren Lächeln nach oben.
„Das ist es, was Ihr sucht. Genau das. Khalims Auge, das die Schwächen unserer Feinde sieht. Ja!“
In einer für ihn geradezu euphorischen Geste hebt der Alte die freie Hand.
„Ihr habt Eueren Auftrag äußerst erfolgreich begonnen! Sucht weiter nach dem, was Khalims unbeugsamer Geist uns von seinem Körper hinterließ, und wir werden die Übel zerschmettern!“
Er ballt die Hand zur Faust. Der Meister erlaubt sich auch ein Lächeln...ein dünnes.
„Werden wir garantiert. Ich denke, ich kann dir vertrauen, dieses Ding sicher und fäulnisfrei aufzubewahren?“
„Es wird nicht faulen...“
„Gut. Was ganz Anderes. Du solltest Empfehlungsschreiben herausgeben. Habe ich doch im Dschungel glatt eine voll gepanzerte Fanatikerin getroffen, die mich sofort aufschlitzen wollte, nur, weil ich ein paar Untote mitlaufen lasse. Dein Name hat geholfen, ich würde mir Gedanken machen, wer mich so Alles kennt an deiner Stelle.“
Jetzt ist Deckard erst wirklich überrascht – und ich beuge mich unwillkürlich nach vorn. Nein, muss er von ihr erzählen? Völlig offensichtlich, dass sie nicht will, dass Jeder von ihr erfährt!
Ja, weil den Meister die Gefühle dieser Fremden kümmern, die damit anfängt, ihm eine Klinge an den Hals zu legen.
Verdammt. Es wird gefährlich, und ich bin froh, mitgekommen zu sein.
„Eine gepanzerte Fanatikerin? Ein Mensch, im Dschungel? Das ist doch...habt Ihr ihren Namen erfahren?“
„Tees Dete. Sie meinte, sie wäre...was hat sie gesagt, Golem? Manchmal ist mein Gedächtnis echt wie ein Sieb.“
Das ist ja wohl die Gelegenheit. Jetzt fang um Himmels Willen an, zu lügen!
„Nicht wörtlich, Angehörige eines alten Ordens, der darauf aus wäre, abtrünnige Zauberer zu finden – Assassinen. Genau.“
Verdammt, Deckard, schau her! Meine kurze Pause nach Nennung dieses Namens lässt ihn zu mir herumfahren.
„Hast du von dieser Gruppierung also schon mal gehört? Wir waren erst einmal ziemlich verwirrt, immerhin hatte sie als Erstes Klauen an seinen Hals gelegt und dann das Reden angefangen. Wenigstens hat sie jetzt nicht mehr vor, uns umzubringen – im Gegenteil, sie ist auf unserer Seite und hilft sogar. Aber von sich gibt sie überhaupt Nichts preis, eins ist klar, sie will nicht, dass mehr Leute von ihr erfahren als nötig.“
Hoffentlich versteht Deckard, was ich damit sagen will, hoffentlich...da stirnrunzelt mich der Meister an.
„Was soll die Betonung im letzten Satz, Golem? Willst du mir was sagen?“
Ich will...
Du Idiot, soviel zu mit Wahrheit kommt man am weitesten! Ich sollte dich Ohrfeigen! Und jetzt benutz den Hohlraum zwischen deinen Schläfen und stell fest, dass sogar ich dir sagen kann, dass deine Taktik in diesem Fall sogar die beste ist!
Wie meinst...oh. Schneller, als das gedachte Worte vermitteln könnten, flutet mein Bewusstsein, was der Zweite meint.
„Ja, ich will dir was sagen, General. Wie ich gerade sagte, Tees will nicht, dass mehr Leute von ihrer Präsenz und ihrem Auftrag erfahren, als nötig ist. Hat sie selbst auch genau so gesagt. Hast du jetzt vor, Jedem von ihr zu erzählen und damit vielleicht sogar nötige Geheimhaltung komplett zu ruinieren?“
„Du wirfst mir vor, auf die Anliegen einer völlig Fremden, die mich womöglich beim nächsten Experiment mit den Skeletten für dieses kreuzigt, nicht genügend Rücksicht zu nehmen?“
Wie ich schon sagte...
„Ich werfe dir vor, das Anliegen einer wertvollen Begleiterin, die gerade erst angefangen zu haben scheint, dir Glauben zu schenken, völlig zu ignorieren, ja, bewusst ihr Vertrauen zu brechen, ja. Egal, was sie getan hat, das ist doch kein Grund, aus Rache ihr Probleme zu machen, oder?“
Deckard hebt eine Hand.
„Störe ich?“
„Nein!“
Der Meister und ich sehen uns an, nachdem wir beide gleichzeitig gesprochen haben. Er beginnt als erster, das kurze Schweigen zu brechen.
„Bleib bitte, ich hatte noch ein Anliegen. Das sollte doch gleich erledigt sein. Denkst du, ich würde das tun, weil ich immer noch sauer auf Tees' Verhalten bin?“
„Sagte ich gerade.“
Und das stimmt, sonst würde ich es nicht sagen. Er verschränkt die Arme.
„Tu ich nicht. Ich habe sie erwähnt, ohne groß darüber nachzudenken. Du hast Recht, eigentlich sollte ich Niemandem davon erzählen. Pah, aus kindischem Trotz will ich ihr doch nicht schaden. Vergessen wir das einfach, Deckard, ich glaube ja auch, dass bisherige Probleme nur ein Missverständnis waren und damit egal sind.“
„In...Ordnung.“
Des Weisen Augen huschen zu mir; ich nicke knapp, das lief gerade noch mal gut. Nun zieht der Meister seinen blauen Folianten hervor.
„Mir...kam in den Sinn, dass die Rollen hier drin ja noch auf Lut Gholein deuten müssten, du hast ja gleich nach unserer Ankunft da sichergestellt, dass wir nicht immer wieder in Khanduras zu landen versuchen. Wärst du so gut, den Zauber auf die Docks zu ändern?“
Oh, da war ich wohl gerade nicht zugegen, als die beiden das besprochen haben...
Du warst zu abgelenkt durch deinen tollen neuen Körper. Ich habe das mitbekommen.
Soso, darum wusstest du das. Deckard hebt eine Augenbraue.
„Aber...das habe ich bereits getan, während Ihr schlieft. Wie seid Ihr sonst hierher zurück gekommen?“
„Ich...na ja, jetzt ist es ja schon gesagt worden, Tees hat mir eine Rolle geliehen, ich dachte, das Buch würde nicht funktionieren.“
„Aber das hieße ja...“
Klang. Metall auf Metall, Arm auf Schenkel von mir. Deckard wird unterbrochen.
Hoppla.
„Hoppla. Entschuldigung.“
Ein wenig ungelenk stehe ich auf – wobei ich fast nicht merke, dass meine Arme nicht genau tun, was ich will, sondern leicht verzögert und leicht falsch reagieren.
„Ich wollte ja eigentlich noch etwas erledigen heute, wenn es euch Nichts ausmacht...“
Der Meister winkt ab.
„Jaja, geh nur...was meintest du, Deckard?“
Während ich mich entferne, spanne ich mich innerlich so gut an, wie das ohne Muskeln geht.
„Nun...nur meine Erleichterung ausdrücken, dass es Nichts ausgemacht hat, dass auch ich vergaß, Euch das zu sagen. Jetzt aber zum weiteren Vorgehen...“
Stirn, bitte.
Tatsächlich gehorcht mir mein rechter Arm und ich stütze – völlig unnötig, aber ich finde die Geste gerade nur zu passend – meinen Kopf auf die Metallhand. Himmel, macht man was mit, wenn man der Einzige ist, der Ahnung von Allem hat.
Stell dir mal vor, wie lustig es wird, wenn der Meister selbst den Schluss zieht, dass „Tees“ ja dann wohl auch hier gewesen sein muss, um ihre eigenen Rollen auf die Docks auszurichten. Und sich dann einbildet, Fragen zu stellen.
Du traust ihm das zu?
Du nicht?
Muss ich mit dem Schlimmsten rechnen?
Wäre gesund, ja. Durchaus.
Verdammt.
Also als nächstes zu Natalya. Stadtportal oder Haus?
Was denkst du?
...wir bleiben in Kurast heute Nacht.
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