Kapitel 41 – Warnschild
Gehetzt komme ich auf dem Portalsplatz an, wo unser altes von gestern und mein neueres in leichtem Abstand zueinander gleichmäßig pulsieren. Und bemerke ein Problem.
Ich hätte jetzt gerne Deckard gebeten, eines der Portale zu schließen, damit Natalya nicht das falsche nimmt, wenn sie gleich vor uns in den Dschungel geht, ungesehen natürlich. Deckard weiß immerhin über „Tees“ Bescheid, und damit wäre auch das Wechseln kein Problem.
Zu schade, dass Deckard nicht hier ist, sondern noch ein paar Tassen Tee trinkt, nicht wahr? Mehrere Tees, sozusagen.
Argh. Und was jetzt? Hoffen, dass Alles so glatt geht? Wir müssten auf Nat warten und ihr Bescheid sagen...na schön, derweil kann ich mich ja mit der Wache unterhalten.
Oh, den kenne ich ja sogar!
„Hallo, Vanji! Wie gehts dir an diesem herrlichen Morgen?“
„Haha, Golem. Ich fühle mich in strömendem Regen so gut, wie du gerade aussiehst. Und jetzt muss ich auch noch zwei Portale bewachen, statt nur ein Auge auf eines haben zu können. Was heißt, dass mein Lieblingsplatz außer Frage ist, weil sie von da aus in einer Linie liegen!“
Idee.
„Nun, eigentlich brauchen wir eines von ihnen nicht mehr, da ich heute Nacht ein wenig alleine vorgedrungen ist. Du bist doch auch ein Magier, oder?“
Er nickt.
„Und kein schlechter, möchte ich hinzufügen.“
„Na dann...kannst du doch sicher auch Stadtportale schließen, oder? Wenn ja, wäre uns beiden damit sehr geholfen. Wir kommen nicht durcheinander, und du kannst dich an deinen Lieblingsplatz stellen.“
Seine Augen hellen sich auf.
„Das ist mal eine gute Idee. Welches?“
Hm...müsste dieses sein.
Ist es auch.
Na ja, bevor die Sache umsonst war, gehe ich lieber auf Nummer sicher.
„Ich würde noch schnell nachsehen, damit wir nicht das falsche schließen.“
„Du bist dir bewusst, dass das eine schlechte Idee ist, wenn du dein eigenes zum Überprüfen benutzt?“
Warum...aah! Wenn ich das von mir geöffnete durchschreite, wird es sich schließen! Das hätte ich ja fast vergessen!
Wer hätte das gedacht.
Hättest du dich erinnert?
„Ah, vielen Dank für den Hinweis, Vanji. Ich bin noch nicht wirklich erfahren dabei. Aber nachsehen müsste reichen...“
Und vielleicht dein photographisches Gedächtnis?
Na schön. Trotzdem sehe ich noch einmal nach dem Busch, den ich als Tarnung vor meines gelegt habe – gut, dieses ist es, ich habe mich nicht geirrt, und deute dann darauf. Er nickt und stellt sich daneben.
Nervös starre ich nun in Richtung Natalyas Hütte, während Vanji lässig sein Schwert hebt und eines der beiden Portale verschwindet. Wo bleibt sie nur...
„Ah, da bist du. Ich habs zwar nicht explizit gesagt, aber wäre es zu viel verlangt gewesen, auf mich zu warten, nachdem du so gütig warst, meine Rüstungsteile griffbereit zu legen?“
Tja, damit dürfte es offiziell sein: Nat ist zu spät.
Denn der Meister steht neben mir, die Skelette im Schlepptau, und voll angekleidet mit der Haut des Vipernmagiers, seinem Stab, dem Jade-Tan-Do im Plattengürtel, der Pelta Lunata, dem Knochenhelm unter dem Arm...
Verdammt, verdammt, verdammt! Wir müssen ihn hinhalten, damit sie vor uns im Dschungel ist!
Es gibt natürlich die Möglichkeit, dass sie ungesehen durch das Portal gekommen ist, ohne Alles zu verdunkeln.
Dann hat sie womöglich in der Eile das falsche Portal genommen und wird garantiert nicht auftauchen, solange auch nur eine kleine Chance besteht, dass Jemand sieht, dass es sich öffnet.
Also nie, da der Platz immer bewacht wird.
Gah! Daran denken wir gar nicht!
„Es tut mir Leid, Meister. Ich wollte noch sichergehen, dass...Alles bereit ist an unserem neuen Ausgangspunkt. Bevor...wir verlorengehen.“
Er runzelt die Stirn.
„Neuer Ausgangspunkt?“
„...ich war gestern Nacht mehrere Stunden im Dschungel, um uns heute etwas Weg zu sparen.“
Sein Blick wandert von dem blau-weiß glühenden Oval, das ein Stück Dschungel umrahmt, zu der Stelle, an der vorher eines war, das der Eisenwolf jetzt geschlossen hat. Und zurück zu mir.
„Du hast das zweite Portal aufgemacht?“
Ich sehe mich demonstrativ um. Vanji hat sich etwas abseits gegen eine Säule gelehnt, die oben eine kleine Plattform hat und ihn vor Regen schützt – außer Hörweite, wenn wir flüstern.
„Ja. Wenn Tees das getan hätte, wäre sie doch etwas aufgefallen, und sonst ist ja – hoffentlich zumindest – Niemand, der Stadtportale nutzen kann, im Dschungel.“
Jetzt blickt er sich schnell um, aber natürlich ist Niemand in der Nähe, der mich hören könnte, das habe ich ja schon sichergestellt. Aber...er vertraut mir da nicht mehr.
„Sehr logisch, Golem, wirklich. Aber was bringt dich auf die wahnsinnige Idee, einfach Nachts allein in den Dschungel zu laufen? Und ich dachte, du wärst ins Hafenbecken gestolpert, so, wie du aussiehst, aber mehr als denken konnte ich nicht, du sagst mir ja nie was! Du wärst fast kaputt gegangen, oder?“
Ich nicke. Kleinlaut.
„Ja...“
„Und das ist ein Risiko, das du gerne eingegangen bist? Du weißt, dass dein Material uns teuer zu stehen gekommen ist.“
Und wir sind noch nicht einmal zu der Hauptsache gekommen, trotzdem fühle ich mich jetzt schon wie Dreck. Habe ich denn nur falsche Entscheidungen getroffen? Natürlich war es völlig irre, in den Dschungel zu gehen! Was habe ich mir nur gedacht?
Moment Mal. Das ist immerhin nicht das erste Mal, dass du das tust, seit du erschaffen wurdest. Wenn du nicht schon früher alleine gegangen wärst, wäre er jetzt tot. Und wir könnten lange warten, bis uns Jemand neu beschwört. Ebenfalls, wenn ich mich recht entsinne, hat er dir freie Hand gegeben, um Alles zu tun, was unserer Sache nützt, oder?
Indirekt...
Du hast eine Menge Fehler gemacht, aber mich macht es krank, dass du hier wegen jeder winzigen Sache einknickst. Dein Engagement war gut und richtig, sonst hätte ich dich auch nicht dazu getrieben, und deswegen solltest du jetzt nicht einfach zurückstecken und es über dich ergehen lassen.
Aber...das macht ihn doch nur wütender.
Kann es schlimmer werden?
...es hat bis jetzt zumindest immer so ausgesehen, als wäre der Höhepunkt erreicht, aber dann kam das nächste Desaster...
Ach, jetzt reichts mir aber.
„Das ist nicht fair, Meister. Ihr wart es, der mir gesagt hat, ich wäre frei zu tun, was ich für gut und richtig halte. Und ich halte es nicht für richtig, eine ganze Nacht ungenutzt verstreichen zu lassen, wenn ich stattdessen unseren Weg entscheidend verkürzen könnte und uns damit vielleicht die Zeit verschaffen, die wir brauchen, um die Großen Übel rechtzeitig aufzuhalten.“
He, was fällt dir ein? Du kannst nicht einfach meine Stimme übernehmen!
Wenn du uns hier untätig herumstehen lässt und sämtliches Vertrauen, das er zu uns hatte, einfach zerbröckeln lässt, kann ich das sehr wohl.
Er verschränkt die Arme...aber sein Stirnrunzeln lockert sich etwas.
„Und daran, dass du während deines Vordringens des Nachts womöglich an zwei Organen und dem Gidbinn vorbei laufen könntest, ohne etwas zu bemerken, hast du gar nicht bedacht? Ach, und was soll jetzt auf einmal die Anrede? Meinetwegen nenn mich wieder 'Meister', wenngleich du zu vergessen haben scheinst, was das eigentlich bedeutet, aber wenigstens duzen wirst du mich, das ist ja grauenhaft.“
Ich bin also immer so unvorsichtig und achte nicht auf das, was ich sage, hm?
Bloß, weil du nicht fähig warst, ihm immer den Respekt zu zollen, den er als unser Erschaffer verdient! Bekommst du jetzt den kalten Angstschweiß am Rücken, metaphorisch gesprochen? Wie leicht ich uns auffliegen lassen könnte, in der Tat...
Dann hör auf zu reden. Ich mache das.
„Es tut mir Leid...General. Schau, ich weiß, dass ich eine Menge Fehler gemacht habe, aber ich bin überzeugt, dass mein Sehvermögen gut genug ist, um offensichtliche Kellerlöcher wie die Spinnenhöhle eines war nicht zu übersehen. Oder die Ruinen einer ganzen Halle. Bitte, es gibt genug, was du mir vorwerfen kannst, muss es wirklich sein, dass du Alles, wofür ich mich ganz alleine entschieden habe, zu Tode kritisierst? Ich will mich hier nicht aus etwas herausreden oder so – aber wir verschwenden hier auch ganz einfach Zeit.“
Sein Blick wurde wieder finster...aber jetzt nickt er knapp. Und setzt den Helm auf.
„Na schön. Da hast du zumindest Recht. Und wenn du gerade für einen Transfer gesorgt hast, wartet sicher auch Jemand schon ganz ungeduldig.“
Oooh...
Großartig geredet, ja. War nicht vor ein paar Minuten noch der Gedanke, ihn hinzuhalten, damit wir jetzt nicht in leerem Dschungel stehen...?
Nun, vielleicht wäre Tees ja einfach gerade...ein wenig Privatsphäre suchen...oder so...Nat wird sich schon etwas einfallen lassen, wenn sie dann nachkommt...
Zu blöd nur, dass sich das Portal hinter uns schließen wird, du Metallhirn!
Verflucht!
Gut, dass mir etwas eingefallen ist.
„Ach, bevor ich es vergesse, ich müsste tatsächlich gleich jetzt etwas erzählen, was diese Nacht passiert ist. Eine Gruppe Stacheldrescher hat mir aufgelauert, zum Glück konnte ich entkommen...“
Die gerade schon heranmarschierten Skelette halten inne.
„Und inwiefern ist das wichtig?“
Hör auf, das zu tun!
Ist ja wohl mehr in deinem als in meinem Interesse, oder? Und jetzt sei still, ich kann mich nicht konzentrieren.
„Nun, einerseits bedeutet es, dass ich mein Schild verloren habe. Das ist recht tragisch, aber nicht allzu schlimm. Es ist nur eines deiner Skelette, was heißt, dass du eines weniger beschwören kannst, wenn ich mich nicht verzählt habe, fehlen aber ohnehin noch ein paar, um die Armee zu vervollständigen, also ist das auch kein Problem. Zweitens, weitaus wichtiger, ist die kleine Information, dass zumindest diese Gruppe von fünf Monstern weiß, dass ich in der Nähe war, was bedeutet, dass sie bald auf uns warten könnten, womöglich mit Verstärkung, denn es besteht eine gewisse Möglichkeit, dass verschiedene Gruppen von Monstern zusammenarbeiten. Was natürlich etwas bedenklich ist. Drittens, wieder weniger wichtig, immerhin ist es nicht das volle halbe Dutzend, das auf uns wartet, denn einer von ihnen war so gnädig, mich alleine zu konfrontieren, ich habe darum ein Ersatzskelett in Rohform in der Truhe. Fast vergessen, wie gesagt.“
Sein Blick schießt kurz zu der in der nähe befindlichen schweren Holzkiste, in der unsere Sachen sind.
„Jetzt, wo du es sagst, spüre ich es auch. Schön. Aber...du hast den Schild verloren?“
„Ja, aber wie ich sagte, ich komme schon ohne zurecht...“
„Nein, Golem, wirst du nicht. Ich hoffe, das geschah nicht zu tief im Unterholz.“
„Tat es nicht...ein wenig ab vom Pfad schon, ja, aber nicht allzu...“
Er verschränkt die Arme.
„Gut. Vor Kurzem hatte ich nämlich eine Idee, und diese Idee besagt, dass du heute Nacht nicht deinen Schild verloren hast, sondern meinen. Wenn du verstehst, was ich meine.“
Na ja, natürlich ist es seiner, ist ja auch einmal sein Skelett gewesen, aber so richtig verstehen...
Und darum führe ich dieses Gespräch.
„Du willst ihn selbst tragen? Eine tatsächlich gute Idee...würde auf jeden Fall gut zu dem Helm passen...aber können wir uns das wirklich erlauben? Wird es nicht zu viel Zeit kosten?“
„Unfug, Golem! Ich komme lieber lebend an als etwas später, hast du schon mal darüber nachgedacht, wie effektiv man diese vielen Geschosse mit der Untertasse hier abblocken kann? Die erhöhte Fläche ist unglaublich praktisch! Außerdem, es wird kaum Zeit kosten. Ich kann ihn sicher spüren.“
Und immer noch ist Natalya nicht aufgetaucht...wo bleibt unsere Assassine?
„Wollen wir denn nun endlich?“
„Sicher, sicher! Ich hole nur noch schnell die Leiche des Stacheldreschers.“
„Komischer Name, eigentlich. Die Dinger haben doch Dornen wie Rosen, oder?“
Na siehst du.
Der Meister hat genauso wenig Ahnung von Botanik wie du!
Plötzlich wird Alles monochrom. Der Meister flucht. Na endlich! Ich drehe mich um.
„Was ist los? Bist du in Ordnung, Meister? Ich sehe Nichts!“
Innerlich zucke ich zusammen, da es sich einfach nicht gut anhört, wenn aus meinem Mund Lügen dringen, selbst, wenn ich die nicht selbst ausspreche. Denn ich sehe ja klar, wie Natalya in voller Montur mir kurz zuwinkt und dann im Portal verschwindet. Vanji ist dahinter in die Knie gegangen, sein Schwert erhoben, und blickt blind in alle Richtungen, Drohungen schreiend.
Und es wird wieder heller.
„Was...was war das?“
Die Augen des Meisters unter dem Helm sind furchterfüllt; er ist härter geworden, aber das hat ihn doch mehr überrascht, als er wohl zugeben würde.
„...es ist nicht das erste Mal, dass das passiert, zumindest habe ich davon schon einmal gehört. Man fürchtet, dass es ein Zeichen dafür sein könnte, dass die Barriere am Schwächeln ist.“
Vanji und der Meister werfen sich einen schnellen Blick zu. Derweil hole ich das Holzoval.
„In Ordnung, verlieren wir keine weitere Zeit.“
„Der Himmel sei mit Euch, Totenbeschwörer...“
Auch der Söldner ist erschüttert. Wenn ich es nicht besser wüsste...
„Nach dir, Meister...ich darf nicht durch das Portal, sonst schließt es.“
„Stimmt wohl.“
Vanji zwinkert mir zu, ich winke hinter dem Rücken des Meisters zurück an Stelle eines Grinsens. Und nachdem die ganze Armee hindurch gegangen ist, schließt sich das Portal nach mir.
„Tees“ wartet, scheinbar ungeduldig.
„Na, heute warst du aber noch langsamer als sonst, General. Wie kommts?“
Er kratzt sich am Kinn.
„Du hast einen Teil des Grundes sicher gerade mitgehört, Tees.“
Seinen Blick in meine Richtung kann man nur als „unheilvoll“ beschreiben.
„Um ehrlich zu sein, nein. Ich habe lieber die Umgebung gesichert, statt darauf zu warten, dass ihr beide endlich hier ankommt. War allerdings unnötig, da war wohl Jemand recht gründlich.“
Gut, dass ich für die Erklärung nicht einmal lügen muss.
„Ja, wie ich schon sagte, das war ja im Grunde der ganze Sinn meines kleinen Soloausflugs heute Nacht. Dass wir jetzt weniger Probleme haben...“
Sie blickt mich schief an. Ich rieche sie richtig überlegen. Aber was muss sie sich einfallen lassen?
Das fällt mir ein.
„Leider war es dann doch ein wenig problematisch, dich von einem in das andere Portal zu bekommen, ohne dass es der Wächter merkt. Aber zum Glück kannte ich ihn ja schon.“
Das lässt sie gleich erleichterter wirken, wenn man weiß, worauf man achten muss. Der Meister hat mich derweil von oben bis unten angesehen.
„Dir haben sie allerdings Nichts geschenkt...“
Mürrisch lässt er seinen Stab über meine vielen Dellen, Kratzer und Schrammen gleiten, die sich mit gelegentlich lautem Klicken wieder geradebügeln. Natalya verschränkt die Arme.
„Du hattest auch etwas erwähnt von einer anderen Sache, die ihr heute Morgen noch erfahren konntet, Golem. Viel Zeit blieb aber nicht, mir das zu sagen, also wäre es nett, wenn du mich aufklären könntest, General.“
Er lässt sich noch kurz Zeit, um mich fertig zu erneuern – fühlt sich doch gleich weitaus besser an – dann erzählt er ihr, was nutzlos ist, da sie es schon weiß, aber ich verstehe schon, warum sie fragt – was wir über den Gidbinn herausgefunden haben. Derweil gehen wir schon los. Ich führe den Konvoi an, da ich die nächsten paar hundert Meter ja auch schon kenne.
„...also müssen wir nicht nur die Organe finden, sondern auch noch einen kleinen Dolch. Na herrlich.“
„Und meinen Schild! Aber den spüre ich schon ganz deutlich. War es denn nicht langsam hier in der Nähe, dass du in die Falle getappt bist, Golem?“
Ich bleibe kurz stehen, um mich zu ihm umzudrehen.
„...eigentlich dauert es noch ein paar Minuten, bis wir an die Stelle kommen.“
Er legt den Kopf schief, dann blickt er gerade senkrecht zu unserem aktuellen Pfad an einen bestimmten Punkt im Dschungel.
„Dann wundert mich das. Wenigstens in dieser Richtung?“
Nein, oder?
Nein.
Der Zweite sagt es dem Meister auch gleich.
„Der Schild ist dort hinten, ohne Zweifel. Hm...gehen wir mal weiter...“
Etwas nervöser geworden, betrachte ich den Dschungel, der uns links und rechts einschließt, öfter als normal – besonders die Seite, wohin sich unser untoter Schild bewegt haben soll.
„Ja, ganz sicher. Er bewegt sich.“
Ich bleibe wieder stehen, als der Meister uns das mitteilt.
„Das heißt, sie folgen uns?“
Natalya lässt ihren unlesbaren Blick auch zwischen die Bäume schweifen.
„Davon ist wohl auszugehen. Sie werden nur auf eine Gelegenheit warten.“
„Nicht mit mir. Wenn die uns eine Falle stellen wollen, dann lösen wir die gerne aus, aber wann wir wollen. Also, Zeit, ein paar Bäume niederzubrennen.“
Ich wende meinen Kopf zum Himmel.
„Ein wenig feucht dafür, oder?“
„Für unsere dornigen Freunde wird es reichen, oder? Die brennen ja von selbst. Bloß ihr Herz bleibt übrig, ein kalter, schwerer Klumpen...aber sie sind dann wenigstens noch als Dekoration gut, oder man könnte Zahnstocher daraus schnitzen, nehme ich an...“
Natalya nimmt das Holzoval an sich und dreht es in den Händen hin und her.
„Wenn man bedenkt, dass das die Leiche eines Dämons ist...erstaunlich leicht. Eigentlich sollte das Böse in ihm das Ding so nach unten ziehen, dass man es als Briefbeschwerer benutzen könnte.“
...warum unterhalten sie sich jetzt über so Belanglosigkeiten?
„Der Plan ist doch, in den Dschungel zu gehen und sie gleich zu konfrontieren, wenn ich das richtig verstanden habe, oder? Warum stehen wir denn dann noch hier herum? Die merken das doch, wenn wir zu lange zögern!“
Ich glaube, Natalya hat einfach verstanden, was der Meister vorhat, wie ich und im Gegensatz zu dir.
Der Meister sieht mich lange an. Er hat etwas vor?
„Golem, das ist doch egal. Diese Dämonen sind doch viel zu dumm, um sich Gedanken zu machen, warum wir hier herumstehen. Verdammt, wahrscheinlich könnten wir in aller Ruhe etwas essen und sie würden immer noch geduldig warten, bis wir an einer offenen Stelle vorbeigehen, damit sie angreifen können, weil mehr als der ursprüngliche Plan nicht in ihre kleinen Hirne passt.“
„Das würde ich so nicht...“
Himmel! Er versucht, sie zu provozieren, damit sie gleich angreifen, indem er ihren toten Kollegen und sie direkt beleidigt! Denk halt einmal nach! Natürlich hören die gerade mit!
„...abstreiten, Meister, da hast du allerdings Recht. Mir geht es nur darum, dass wir hier wegen ein paar unfähigen Dämonen unnötig Zeit verschwenden. Eigentlich könnten sie uns nicht einmal bei einem direkten Angriff etwas anhaben; wenn man bedenkt, dass ich heute Nacht ganz alleine einen von ihnen abgeschlachtet habe, der blöd genug war, nicht um Hilfe zu rufen, das kann nicht viel über ihre Intelligenz aussagen. Oder ihren Mut, er hat noch versucht, wegzurennen, aber ich war gnadenlos. Leider konnte ich ihn nicht länger leiden lassen dafür, was seine dreckigen Freunde mit mir anstellen wollten, immerhin habe ich einem aber sein Auge nehmen können...oh, das war ihnen jetzt aber genug. Sie kommen.“
Natalya nickt mir zu und nimmt Kampfposition ein, nachdem sie dem Meister das Holzherz zurückgeworfen hat.
„Gut geschaltet, Golem.“
„Gerade noch rechtzeitig, wie eine Eingebung von innen, Tees.“
Ehre, wem Ehre gebührt.
Die Bäume brechen auseinander, als gigantische Keulenarme sie zur Seite fetzen. Wie ein Wirbelsturm aus Holz brechen die Drescher hervor.
Oh, da muss ich mich korrigieren. Die sind ja pechschwarz, das sind Prügler, keine Drescher. Und der hellgrüne...genau, nur ein Auge. Du hast den Helden erwischt!
Zwischen den Beinen der dunklen Baummonster strömen Schinder in Massen hindurch. Die müssen den halben Dschungel für diese Falle zusammengetrommelt haben! Aber dass der Meister längst die Skelette in einer guten Verteidigungsstellung aufgereiht hat, haben sie nicht bemerkt.
„Du wirst für deine Arroganz bezahlen, kleiner Golem!“
Sieh an, er hat doch eine normale Stimme.
„Und du für deine mangelnde Selbstbeherrschung, wer-auch-immer-interessiert-mich-nicht.“
Der Held ist stehen geblieben, während seine Truppen auf unsere Armee treffen. Sie sind weit mehr und fluten um sie herum, aber ich stehe bereit, den Meister zu verteidigen; Natalya hat keine Probleme, alleine zurecht zu kommen gegen die, die durchdringen. Das eine rote Auge in dem hellgrünen Holz glüht stärker auf.
„Ihr habt bereits verloren, ihr wisst es nur noch nicht.“
„Zu schade, dass du unseren Tod nicht mitbekommen wirst. Siehst du das? Das ist dein toter Freund, den ich hier in der Hand halte. Wir hatten uns schon über ihn unterhalten.“
Erstaunlich schnell stürmt der riesenhafte Dämonenbaum los.
„Du wirst in den Feuern der Hölle schmoren, Mensch!“
Ich mache mich bereit.
„Runter, Golem.“
Was?
Tus. Ich glaube, jetzt ist gerade ein guter Zeitpunkt, ihm ohne Fragen zu gehorchen.
Meine Knie knicken wie eingetreten zusammen und ich ducke mich zusätzlich, aber bereit, aufzuspringen. Der wütende Prügler saust heran. Der Meister...lacht.
„Du wolltest sicher die Leiche zurück, um damit sicherlich sehr heilige dämonische Rituale anzustellen, was? Dann bitte, nimm.“
Über meinen Kopf segelt ein Holzoval. Verdutzt hält der Held inne, gerade noch rechtzeitig, und schafft es sogar, das Stück zu fangen, indem er beide Arme benutzt. Vorsichtig klemmt er es sich unter eine Achsel.
„Was...?“
„Kannst du Runen, Dämon?“
Ich stehe derweil wieder auf, recht sicher, dass ich mich nur ducken musste, damit ich nicht im Weg stehe für den Wurf des Meisters. Sein freier Arm schießt vor, auf uns deutend.
„Ich werde euer HelElVexOrtGul sein, wenn du das meinst!“
Tod. Eine gebildete Seele in diesem.
„Fast, Dämon. Ich dachte mehr an...VexLoBerJahKo!“
Nach den ersten zwei Silben ist mir klar, was gleich passieren wird – nicht, dass ich das nicht schon länger geahnt hätte – und ich renne schon auf ihn zu. Er hat keine Zeit, zu reagieren, bevor die letzte Silbe von „Zerstörung“ den Mund des Meisters verlässt. Nicht, dass er das Wort hätte aussprechen müssen, aber anscheinend verlangte das seine Vorstellung von einem perfekten Vernichten dieses Dämons.
Vielleicht mag er es auch nicht, wenn einer wie der seine Spielzeuge beschädigt. Womit ich dich meine.
Ob das jetzt gut ist? So oder so, ich habe schon meine ersten Schritte zurückgelegt, als die Explosion der Holzscheibe den linken Arm des Prüglerheldens glatt abreißt und ein gewaltiges Loch in seiner Seite zurücklässt. Eines muss man ihm allerdings zugestehen, er ist aus anderem Holz geschnitzt als die meisten seiner Dämonenbrüder...das vernichtet ihn nicht.
Dafür bin ich aber schon losgelaufen. Er ist zu überrascht und geschockt, um groß ausweichen zu können, als ich mit gezücktem Schwert auf ihn zufliege und sein zweites Auge genau mittig treffe. Was immer noch nicht genügt, also ramme ich ihm meine freie Faust in die schon von der Explosion zerschundene Schläfe...und endlich zerfällt er unter mir.
Das Feuer ist diesmal aber überraschend heiß.
Das ist nicht seines!
Ah! Ich rolle mich zur Seite. Ein Schinderschamane hat sein Inferno gestartet...das muss ich nicht haben, wir haben genug andere Kräfte zur Verfügung. Ich springe auf und weg, zurück zum Meister, der seinen Stab immer wieder in die Luft schlagen lässt, dabei ertönen hinter mir ständig neue Explosionen. Schon ist er ziemlich geschwächt vom Manamangel.
„Alles in Ordnung, Meister?“
„Mir geht es gut. Warum rennst du zurück?“
„Ich bin nicht besonders gut im Kampf gegen Schamanen...und ich war mir nicht sicher, ob die kleinen nicht durchdringen werden.“
Er runzelt die schweißgeperlte Stirn.
„Dafür gibt es doch die Armee. Der Kampf läuft super, diese Drescher sorgen für eine überraschend harte Explosion, sobald die Holzscheiben in Splitter aufgehen. Kümmer dich um den Schamanen! Er hat meinen Schild!“
Ach? Ich werfe der Schlacht einen Blick zu. Natalya lässt eine Gruppe Schinder hoch in den Himmel fliegen, als sie ihre Fußexplosion an einem von ihnen voll aufgeladen auslöst. Die Wächter kämpfen gegen mehrere kleine Schinder gleichzeitig; die Püppchen werden von insgesamt drei Schamanen unterstützt, die die von den Explosionen weggeschleuderten Gegner ständig wiederbeleben. Und tatsächlich, der nächste von ihnen hat den Skelettschild an seinen Totemkopf geschnallt, was ihn durchaus gut schützen sollte...Moment.
„Haben sie ihn...mit Schädeln verziert?“
„Sieht so aus, oder? Das können wir aber wieder rückgängig machen, jetzt erledige ihn endlich, wenn die Wiederbelebungen so weitergehen, weiß ich nicht, ob ich ihre Leichen alle vernichten kann, bevor mein Mana ausgeht. Ich habe eh schon zwei Tränke verschwendet.“
„In Ordnung.“
Dann mal sehen...am besten schalten wir ihn aus der Ferne aus, aber wie am besten? Er hat ja jetzt diesen Schutz.
Du könntest seine Beine erwischen, wenn das Inferno über dich hinweggeht, müsste das...hast du das gehört?
Was denn? Hier ist die auditorische Hölle los!
Dreh dich um!
„Ducken, Meister!“
Ich hoffe, du hast einen guten Grund, meine Stimme schon wieder zu stehlen! Trotzdem fahre ich herum...und mir präsentiert sich ein grotesker Anblick. Einen halben Meter große orange-schwarze Monster, grob kugelförmig mit schleimigen Hautkämmen, die sich über ihr Rückgrat ziehen und langen Froschbeinen treten aus dem Wasser an Land, unnatürlich große Münder weit öffnend und laut...quakend? Es wäre fast komisch, wenn sie nicht für meinen Geschmack viel zu nahe am Meister wären, den ich schon zwei Meter hinter mir zurückgelassen habe. Welcher mich gerade skeptisch ansieht.
„Was willst du, Golem? Der Kampf ist da vorne!“
Eines der Froschmonster duckt sich zurück und hält sein Maul offen. In der tiefen Kehle beginnt ein Glühen.
Lauf.
Ich springe. Der Meister weicht überrascht zurück, seine Augen, gerade noch in Konzentration zusammengekniffen, schießen ungläubig auf...
Bevor mein Arm ihn quer über die Brust trifft und er mit einem lauten Schrei, der ihm abrupt aus den Lungen getrieben wird, äußerst unsanft auf den Boden geschleudert wird.
Der Feuerball, den das Vieh gespuckt hat, trifft mich voll an der Brust. Wenn der Meister stehen geblieben wäre, hätte er seinem Rücken adieu sagen können. Jetzt ist es aber an mir, zurückgeschleudert zu werden, die Wucht, die hinter diesem Magiegeschoß steckt, ist unglaublich. Gerade so kann ich mich auf den Beinen halten...aber ich muss feststellen, dass ich zwar ein paar Schmelzwunden und rußige Stellen habe, der tatsächliche Feuerschaden aber weit geringer war, als ich dachte. Der Aufprall hat den Ball sofort zerbersten lassen.
Mit einem Ausdruck purster Agonie im Gesicht versucht der Meister, sich aufzurichten, den Arm über die Brust gepresst; ich habe ihm sicher mehrere Rippen gebrochen...ich ziehe mich innerlich zusammen.
Mach das später. Die Schlammkreaturen sind fast bei ihm!
Also...wieder springen. Über ihn hinweg. Gerade so schaffe ich es, meine Beine nicht die Stirn des Meisters berühren zu lassen, was äußerst unangenehm geworden wäre.
Für meine Mühe fange ich mir zwei weitere Feuerbälle. Ich reiße meine Arme in die Höhe, aber es hilft Nichts, der Schlammboden hilft auch nicht...ich falle.
Du landest auf ihm!
Gerade so schaffe ich es, mich zur Seite zu drehen, und hebe meinen Arm, als ich am Boden lande...der Kopf des Meisters ist direkt unter diesem.
Die Frösche kommen näher...ich rolle mich das Ufer entlang auf sie zu. Ein Feuerball verfehlt mich, dann treffe ich auf glatte Amphibienhaut. Meine Rückendornen bohren sich in ihn, und mein blind nach hinten gestoßenes Schwert trifft auf Widerstand. Ein Zischen antwortet, und plötzlich winden sich lange Arme mit Häuten zwischen den Fingern in mein Sichtfeld. Erstaunlich kräftig packen sie meinen Kopf. Aber nicht kräftig genug für mich...zumal ich eine Hand problemlos frei habe. Froschknochen brechen wie Streichhölzer, stelle ich fest. Drei von ihnen wenden sich mir zu...zwei weitere hüpfen auf das Schlachtfeld. Ich sehe, dass Natalya bemerkt hat, was vor sich geht – aber sie kann uns nicht helfen, es ist zu viel los, da die Wiederbeleber nicht aufhören und der Meister nun keine Leichen mehr sprengen kann. Ich versuche, mich vor ihm aufzubauen, aber ich bin nicht der breiteste...für eine kurze Weile starre ich in scheinbar augenlose Gesichter, dann rennen zwei auf mich zu, während der dritte die Artillerie beisteuert. Dem Schuss kann ich ausweichen, aber die anderen kommen derweil zu nahe heran. Schon springt einer an mir hoch, und ich kann nur einen Biss blocken – seit wann haben Frösche derart viele Zähne? - während der zweite meine Knöchel packt. Er macht sich bereit, mich umzuwerfen – und hinter mir liegt der Meister!
Plötzlich schießt eine Klinge zwischen meinen Beinen hindurch und bohrt sich in die lange, dünne Hand an meinem linken Fuß. Die Schlammkreatur kreischt und lässt mich los, während das Gift des Jade-Tan-Dos ihren ganzen Arm zerfrisst...und dort nicht aufhören wird.
Die Ablenkung ausnutzend, zersäble ich den, der versucht hat, mich zu beißen, in zwei Stücke.
Zwischen diesen hindurch trifft mich ein Feuerball direkt ins Gesicht. Ohne Kontrolle falle ich um. Nein!
Schlamm begrüßt mich. Der Meister ist weg! Dafür sehe ich jetzt Nichts mehr...meine Augen...
Ein Schlag landet auf meinem Gesicht. Plötzlich springt mich wieder ein Bild an; der Stab des Meisters direkt über mir, er kauert, schmutzig, darüber.
„Nicht schlapp machen, Golem.“
Fast sofort schießt die Pelta Lunata nach oben, und ein Magiegeschoß trifft sie frontal. Ein lautes Knacken, und er brüllt. Das waren zumindest zwei Finger, wenn nicht der ganze Arm...jetzt reicht es. Ich stehe auf.
Drei Frösche quaken mich hämisch an. Was zur Hölle...
Du weißt nicht, wie viele in diesem verfluchten Fluss sind...
Wie sollen wir...?
Da zischt ein schwarzer Schatten von rechts heran und trifft den mittleren Frosch. Mit den Füßen zuerst.
Das ist natürlich eine Möglichkeit.
Ich bin bereits losgerannt. Natalyas Klauen fordern gerade ein weiteres Opfer, aber der dritte Frosch macht sich bereit, zu schießen...Himmel, wir kommen zu spät! Der Feuerball löst sich...
Meine Faust lässt Schleim in alle Richtungen spritzen. Nachdem mein Schwert das Vieh schon durchbohrt hat. Aber er konnte noch schießen...fast wage ich es nicht, nach Natalya zu sehen...
Sie hat die Hände um ihre Brust geklammert und steht zusammengekrümmt da.
„Au...“
Ich renne zu ihr.
„Ist Alles in Ordnung?“
Ihr Helm hebt sich.
„Ich werde es...überleben...gut gemacht...du hast den Bastard erledigt...“
Ich nicke.
„Der Kampf wartet. Bleib uns erhalten...Tees.“
Damit stürze ich mich ins Getümmel. Die Menschen sind gerade außer Gefecht, aber unsere Untoten kämpfen unbeeindruckt weiter. Zwei Schamanen fokussieren jedoch gerade ihre Feuerstrahlen, und am Kreuzungspunkt zerspringt das Schild eines Wächters, Knochensplitter in alle Richtungen schleudernd. Kurz steht er noch wie überrascht da, dann zerfällt sein Körper zu Staub.
Ich packe einen Ast. Diese beiden haben keine Schilde. Und ich werde auch immer besser im Werfen.
Holz wirbelt durch die Luft und trifft den linken Gegner wunderschön in der Körpermitte, also zwischen beiden Schindern. Der obere wird nach hinten geschleudert, der untere gleich getötet; ich stürze hinzu, und erwische den anderen Totemträger gerade, als er sich leicht bückt, um seinen Lebensatem auf ein Opfer des zerstörten Wächter zu hauchen; mein Schwert dringt in die Augenhöhlen der getragenen Maske ein, und ich dresche mit der Faust auf den Schädel ein; der zweite wird zerquetscht.
Fehlt einer; natürlich der wichtigste. Er wartet auf mich, von vier Messerträgern umgeben. Ich blicke den Schild an, über dem das Totem aufragt, mit lächerlich hohem Federputz geschmückt...das sind Menschenschädel. Kein Zweifel möglich.
„He, du Gaukler. Du hast meinem Meister etwas gestohlen, das er zurück haben will. Bereite dich darauf vor, es aus deinen kalten, toten Fingern gerissen zu bekommen.“
Musste das sein?
Selbstverständlich.
Du musst es ja wissen mit deiner Kampferfahrung. Als ich losrenne, heben die Schinder ihre Messer, nur der Schamane bleibt völlig ruhig.