Kapitel 40 – Ein guter Plan für einen schlechten Tag
Verdammt, verdammt, verdammt, wie erklär ich ihm das jetzt...das Schlimmste ist doch, dass es diesmal überhaupt kein Missverständnis gibt – ich habe ihm schlicht und einfach nicht vertraut!
Konzentrier dich! Wir brauchen ganze Stühle, keine kaputten.
Ja...ach, was soll das überhaupt. Ich wollte doch nur meinen Teil beitragen, die Welt zu retten, und was ich mache, ist falsch. Die ganze Aufregung hätte ich mir sparen können! Warum habe ich nicht mit dem Meister geredet? Als ob das je ein Problem gewesen wäre...
Fünf! Nicht vier!
Jetzt hör auf! So verwirrt bin ich jetzt auch wieder nicht. Der Meister sitzt doch auf seinen Skeletten!
Na schön, wenn du das meinst.
Tu ich. Gah, wenn ich nur daran denke, dass ich ihm bald Rede und Antwort stehen muss...
Die vier einfachen Holzstühle, die ich aus einem kleinen Lager geholt habe, sind nicht allzu leicht zu tragen. Einen fünften hätte ich gar nicht mehr mitnehmen können, würde ich sagen...die Menschen stehen derweil sich nervös über Belanglosigkeiten unterhaltend auf dem Leuchtturmplatz. Hratli hatte gemeint, dies wäre ein sehr guter Ort, das weitere Vorgehen zu planen. Und mich hat man geschickt, um für Bequemlichkeit zu sorgen. Wenn das keine Strafe ist, weiß ich auch nicht.
„Ah, da kommst du ja endlich...aber ist das nicht einer zu wenig?“
„Ich dachte, du würdest auf deinen Skeletten sitzen...“
„Denk nicht, Golem, tu, was ich dir sage! Wie oft denn noch!“
Ich hab dich gewarnt.
Ach, muss das denn sein. Kann ich nicht einmal was richtig machen heute?
„Ich konnte gar nicht mehr tragen...“
„Ja, klar. Schon gut, dann hol ich die Dinger eben. Verteil die Stühle jetzt!“
Niedergeschlagen stelle ich einen kleinen Kreis vor dem Leuchtturm auf. Der dritte Stuhl will nicht gerade stehen – ich rücke ihn hin und her, aber immer ist der Boden zu uneben. Na komm schon! Ich komme mir immer blöder vor, je länger er sich weigert, das Wackeln zu lassen...und Alle starren mich an...
„Lass es, Golem. Ich habe einen guten Gleichgewichtssinn.“
Dankbar sehe ich Natalya an, die zu mir getreten ist und sich grazil auf das peinliche Objekt niederlässt. Der Stuhl steht felsenfest unter ihr.
Mach den Kreis breiter, der Meister will doch sicher neben ihr sitzen.
Ach, die eine Stelle muss ja frei...oh, wenn mich das nicht so ablenken würde. Geradezu Bauchweh bekomme ich, wann immer ich mich an den Gesichtsausdruck des Meisters erinnere, als er herausfand, dass ich ihm nicht zugetraut hatte, an die unmittelbare Gefahr hier zu denken. Seine Enttäuschung versetzt mir Schlag um Schlag in die Magengrube...wie genau man hinter seinen Augen lesen kann, was er in diesem Moment dachte: Dass er das nie gedacht hätte.
Die Skelette klappern heran und formen sofort ihren Thron. Natalya schiebt ihren Stuhl daran und nachdem der Meister sich niedergelassen hat, die Arme auf Beinknochen ruhend, legt sie ihre Hand auf seine, darunter eine Ferse. Er lächelt kurz, dann blickt er wieder finster. Mittlerweise sitzt Jeder. Er hebt zu sprechen an.
„Nun, damit sind wir Alle zusammen, was ja reibungsloser ging, als die Meisten von uns dachten. Freut mich natürlich sehr, dann können wir ja sofort beginnen.“
„Wenn Ihr noch einen Moment entbehren könntet...“
Seine Stirn runzelt sich in Richtung der Sprecherin; dann weiten sich seine Augen, als er sie sieht. Natalya lächelt spöttisch, und wenn ich mich nicht irre, festigt sich ihr Griff um den Handrücken des Meisters.
„Es sieht nach Regen aus, Aschara. Habt Ihr keine Angst, Euch zu erkälten?“
Die eben aufgetauchte und tatsächlich wie üblich außer mit einer Schlange äußerst knapp bekleidete Söldnerführerin lächelt so lieblich zurück, dass es schon fast aufgesetzt wirkt.
Nein, wirklich.
Hm?
Selbstverständlich ist das aufgesetzt!
Verstehe ich nicht.
Dachte ich mir. Schau nur zu, vielleicht lernst du was.
„Ich bin mir sicher, einer meiner Männer ist so freundlich, mir einen Schirm zu halten, falls es denn anfangen sollte...Ihr habt Euch ja auch schon Jemand geholt, der das im Zweifelsfall tun kann. Dürfte ich mich denn zu Euch gesellen? Mir scheint, es würden Sachen besprochen, bei denen sicherlich meine bescheidene Meinung nicht schaden dürfte...“
Der Meister verzieht das Gesicht, als Aschara ihn beleidigt, aber sagt Nichts. Stattdessen steht er auf und deutet auf eine gerade ihre Hütte verlassende Frau. Sie erschrickt, als sie ihn bemerkt, aber er grinst sie nur gewinnend an und winkt sie her.
„Keine Angst vor uns! Wir sind eine offene Runde! Wenn Sie wollen, gesellen Sie sich zu uns! Wir besprechen nur Dinge von höchster Wichtigkeit, da ist doch Jeder willkommen, der dazwischenreden darf! Sogar Reptilien!“
Schnell ist sie zurück in ihrem Haus. Er dreht sich wieder in die Runde.
„Zu schade, hatte offenbar keine Lust, unser Gespräch zu bereichern. Aber wir finden sicher noch Jemand, der gerade Nichts zu tun hat! Laden wir einfach Alle ein!“
Ascharas Lächeln hat sich keinen Millimeter bewegt.
„Seid Ihr fertig? Das ist schön. Eine lustige Vorstellung, General, sicherlich schadet es nicht, zufällige Bürger einzuschüchtern und sich seltsam zu benehmen. So wenig, wie es schaden würde, sich in aller Ruhe über ‚Dinge höchster Wichtigkeit’ zu unterhalten, und dazu tatsächlich Jeden einzuladen, der Ohren hat.“
Es beginnt, leicht zu tröpfeln.
„Oh.“
Die eine Silbe reicht, dass ein Eisenwolf, der sie begleitet hat und sich bis jetzt sehr dezent zurückgehalten hat, vorspringt und sich wortlos hinter sie stellt, einen Schirm hochhaltend.
Als der Meister die Arme verschränkt, beginnt der Knochenthron, sich aufzulösen, da die Skelette aufstehen.
Kurz, bevor er etwas sagt, was womöglich keine gute Idee gewesen wäre, erhebt sich Deckard Cain mit ruhiger Würde.
„Nun, ich muss zugeben, dass unsere werte Dame hier, wenn ich mir einen Titel aus Unwissenheit sparen darf, durchaus nicht Unrecht hat mit ihren leise geäußerten Bedenken. Selbige kamen mir ebenfalls, aber aus Platzmangel dachte ich, hinnehmen zu müssen, dass ein gewisses Abhörrisiko besteht. Was sich nun wohl gelöst haben dürfte, nicht wahr? Es spricht sicher Nichts dagegen, unsere Diskussion unter dem Dach der Kaserne zu führen, zumal wir uns ja wohl einig sind, nicht nass werden zu wollen.“
Der Meister wird das nicht, denn ein Wächter hat seinen Schild über ihn und Natalya ausgebreitet, was sie sehr eng zusammen stehen lässt. Gerade will er wieder etwas beitragen, als ihn diesmal Aschara unterbricht.
„Selbstverständlich spricht Nichts dagegen. Tatsächlich habe ich schon eine entsprechende Anzahl an Stühlen holen lassen – und persönlich Tee gekocht.“
Darum waren so wenige im Lager?
Wie schnell hat sie bitteschön reagiert?
Wenn man bedenkt, dass die Eisenwölfe ihr bedingungslos gehorchen und ihre Augen überall haben...schnell genug ist nicht so unmöglich, wie der Unglauben in deiner Frage an Überzeugung deinerseits verrät.
...was?
Vergiss es.
„Sehr vorausschauend von Euch, aber ich muss ganz grob gestehen, dass es mir eigentlich nicht Recht ist, wenn der Gegenstand unserer Gespräche mehr Leuten als nötig bekannt wird. Mal ganz abgesehen davon, dass wir noch nicht einmal vorgestellt wurden, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt...?“
Das...läuft aus dem Ruder.
Dachte gar nicht, dass das noch mehr ginge.
Wenn das so weiter geht, weiß er bis heute Abend, dass du existierst und ich werde auf kleiner Flamme geröstet...okay, auf großer, die kleine wartet jetzt schon.
„Äh, General, sie weiß aber schon Bescheid über das, was wir gleich erörtern wollen. Tut mir Leid, dass ich das noch nicht erwähnt hatte...gestern Abend war ich schon in der Kaserne. Wenn ich die Vorstellung übernehmen darf...der General, mein Meister, Aschara, die Anführerin der Eisenwölfe.“
Mit halb offenem Mund und ausgestrecktem Finger steht der Meister einen Moment da, dann blinzelt er kurz.
„Golem...“
Natalyas Hand legt sich auf seine Schulter, und sie flüstert ihm etwas ins Ohr. Kurz spannt er sich an, dann schließt er kurz die Augen und atmet bewusst ruhig. Aschara scheint die Situation zu genießen.
„Ja, du hattest schon erwähnt, dass du auf eigene Faust bei mir bist, aber für so eigen hätte ich dich gar nicht gehalten, Golem. Na denn, wollen wir uns ins Trockene begeben?“
„Ja. Ja, tun wir das.“
Der Meister hat die Augen noch nicht geöffnet. Die drei Magier folgen Aschara und ihrem Schirmträger – es ist Jelani, wie ich sehe. Vorsichtig trete ich zu ihm.
„General...soll ich etwas Anderes tun...während ihr redet?“
Zwischen zusammengepressten Lippen dringt seine Antwort hervor.
„Du kommst jetzt mit, Golem. Ich hätte gut Lust, dir auch nicht zu erzählen, was wir gleich herausfinden werden, aber das wäre...irrational. Räum die blöden Stühle auf und wir treffen uns bei Aschara, du weißt ja schon, wo du hinmusst, wie es scheint.“
„Ich...“
„Und sei einfach still.“
Er dreht sich weg, ohne die Augen in meine Richtung geöffnet zu haben. Natalya wirft mir einen unleserlichen Blick zu und folgt ihm dann schnell.
Ich lasse mir Zeit mit dem Aufräumen. Am liebsten würde ich mich jetzt in eine Ecke setzen und einfach verschwinden.
Gut, dass du die Sache nur schlimmer machen wirst, wenn du jetzt trödelst.
...die Stühle sind schnell verstaut, und ich beeile mich, in die Kaserne zu kommen. Die Eisenwölfe lassen mich kommentarlos durch. Gerade wird noch Tee ausgeschenkt, also bin ich rechtzeitig, um nicht zu stören – schnell stelle ich mich hinter den Stuhl des Meisters, der seine Skelette im Regen hat stehen lassen, und bin, wie verlangt, still.
Der Meister nimmt einen Schluck aus seiner Tasse, hustet, weil er noch zu heiß ist, und winkt ab, als Natalya sich zu ihm beugt.
„Können wir dann beginnen? Hratli, ich bin mir sicher, du hast am Meisten beizutragen für den Anfang.“
„In der Tat! Mein Grund, zunächst den Leuchtturmplatz als Treffpunkt vorzuschlagen, war, dass dort der Kern unseres Problems liegt. Als ich nämlich unter den ersten Überlebenden hier ankam, galt es, so schnell als möglich für den Schutz unser aller Leben zu sorgen, weswegen ich mich des erstbesten Nexus’ magischer Energie bediente, den ich fand, um die Barriere aufzubauen. Trotz meiner durchaus beachtlichen natürlichen Begabung wäre ich nämlich ohne Hilfe von einer äußeren Quelle nicht dazu in der Lage gewesen, den Schutzschirm aufzubauen; ich benötigte einen Fokus, einen zentralen Punkt, und vor Allem Mana, eine ganze Menge Mana. Und über all das gleichzeitig stolperte ich in glücklichster Fügung!“
„Ormus ist sich sicher, dass das der einzige Grund war, dass mein geschätzter Kollege nicht einfach gewartet hat, bis mögliche Hilfe ankam – wie ich selbst, beispielsweise – und nicht etwa, dass er Ansehen und Anerkennung dafür wollte, das Problem alleine zu ‚lösen’...“
Der Blick des Schmieds schießt verärgert zum Taan-Magier. Aschara kichert. Deckard hustet und stupst Ormus an, neben dem er sitzt. Dessen dunkelhäutiger Kopf legt sich irritiert schief, dann lehnt er sich in seinen Stuhl zurück.
„Eigentlich wollte Ormus nur anmerken, dass ein langsames Auf-den-Punkt-Kommen erstrebenswert wäre.“
Nicht, dass er mit seiner anderen Anmerkung wohl groß Unrecht hatte.
Was allerdings nicht heißt, dass er durch Provokationen wie diese die ganze Unterhaltung riskieren sollte.
Zu wahr. Zum Glück hat sich Hratli wieder unter Kontrolle.
„Gerade war ich dabei, als ich rüde unterbrochen wurde, alter Mann. Erwähnter Nexus magischer Energie also bot sich mir dar wie ein Geschenk des Himmels, ein alter, vergessener, aber seltsamerweise noch erstaunlich gut erhaltener Altar – direkt neben dem Leuchtturm befindlich. Jeder von Euch wird schon hunderte Male an ihm vorbeigelaufen sein, ohne ihn groß zu bemerken.“
Man sieht genau, wie manche aus unserer Runde versuchen, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er meint. Ich gehöre auch dazu, aber bin schneller als die meisten: Tatsächlich, dieses Steinornament in einer nicht einmal recht abgeschiedenen Ecke des Platzes wäre gut dafür geeignet, darauf Opfergaben darzubringen. Und der Altar ist mir auch noch nicht recht aufgefallen. Interessant, wer überlegt: Natalya, Aschara, eventuell der Meister, dessen Gesicht ich aber als einziges nicht sehen kann, Deckard nickt dagegen nur versonnen. Und Ormus ist überhaupt nicht überrascht. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihn auch oft gesehen, wie er einfach nur dastand – und den Altar betrachtete. Minutenlang.
Hratli fährt fort.
„Als ich das Potential dieses Reliktes erkannte, musste ich sofort handeln. Nach nur kurzer Vorbereitung konnte ich den Schildzauber wirken, eine effektive Barriere gegen alles Übel – und es ging weitaus leichter, als ich dachte, denn als die Energien durch mich flossen, stellte ich Erstaunliches fest: Nichts anderes als den Ort, an dem jetzt die Docks stehen, zu beschützen, war einst die Aufgabe dieses Altares gewesen. Er wurde errichtet an einer idealen Stelle für heilige Handlungen, mit ohnehin schon hohem Magiepotential, und die Rituale, die dort wohl über Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte durchgeführt wurden, steigerten dies nur noch. Ich musste nicht viel mehr tun, als den alten Schutzzauber zu erneuern.“
„Seltsam, vor ein paar Wochen hörte sich das noch nach der allergrößten Anstrengung an, die wohl nur einer der größten Zauberer vollbringen konnte. Ormus’ Ohren müssen sich geirrt haben.“
„Es reicht, Ormus.“
Des Meisters Stimme ist eisig, seine Teetasse völlig zitterfrei, als er sie zum Trinken hebt, der Rand wohl noch ein hartes Starren frei lassend, so abrupt, wie Ormus wieder still wird.
Vielleicht solltest du ihn öfter wütend machen, er ist auf jeden Fall weitaus effektiver in diesem Zustand.
Um Himmels Willen!
„Danke, General...nun, damit wären meine Beiträge zur Diskussion erst einmal erschöpft. Ich war sehr zufrieden mit der Barriere, als ich sie erschaffen hatte, und sie erfüllte ihre Aufgabe perfekt; jedoch, ihr Schwächerwerden ist unbezweifelbarer Fakt, und ich habe keine Erklärung dafür, noch weniger eine Lösung. Eigentlich müsste die gespeicherte Energie, die ich gespürt hatte, als ich den Altar das erste Mal sah, noch für Jahrzehnte des Schutzes reichen.“
Deckard sieht sich bedächtig um, ob Niemand sonst sprechen will, dann füllt seine ruhige und angenehme Stimme den Raum ohne Anstrengung.
„Ich danke Euch für die ehrliche Darstellung des Geschehenen, Hratli. Ormus! Wie ich nicht umhin kam zu bemerken, hattet Ihr schon länger Interesse an dem Objekt, um das es geht, gezeigt. Sicher könnt Ihr uns wertvolle Informationen dazu liefern.“
„Tatsächlich kann Ormus das. Worüber unser sehr geschätzter Eisenarbeiter hier wohl überhaupt nicht Bescheid weiß, ist der komplexe Hintergrund, der Kurast umgibt, und die wahre Bedeutung der Relikte, die sich direkt vor unseren Augen in Vielzahl verstecken. Dem modernen Menschen ist klar, dass seine Vorstellung des Himmels und der Hölle nicht nur auf blindem Glauben beruht, sondern auf harten Fakten, wie uns immer wieder überdeutlich durch die Existenz von Dämonen vor Augen geführt wird.“
„Und Engeln.“
Der Meister und Deckard Cain sehen sich an, nachdem sie gemeinsam gesprochen haben. Der Rest blickt größtenteils recht überrascht, sogar Aschara; Natalya lächelt schlau. Ormus räuspert sich schließlich.
„Nun, um zurück zum Thema zu kommen. Früher war Sanktuario glücklicher, da die großen Übel sich noch darauf beschränkten, unsere schöne Welt mit dem Aussenden von Dämonen allein zu quälen, statt selbst fleischliche Form anzunehmen und hier zu wandeln. Und diese Erscheinungen waren sporadisch. Das Wirken des Himmels, so...indirekt es manch Einem auch erscheinen mag, blieb allerdings ebenfalls nicht verborgen, wenngleich die wahren Ursachen allein der Vorstellung der Menschen vorbehalten blieben. So bildeten sich die frühen Religionen, Naturgottheiten anbetend und basierend auf Opfergaben in Gruppenritualen. Dabei nicht einmal zwingend Menschenopfer, wie Viele den primitiveren Kulturen nachsagen, aber natürlich reichlich fehlgeleitet.“
Als ob der Glaube der heutigen Religionen nicht auch in den allermeisten Fällen völliger Unfug wäre!
...du schließt Fälle aus? Was ich bisher vom Glauben des Meisters und Deckards mitbekommen habe, klang doch ganz vernünftig: Die Hoffnung darauf, dass der Himmel und seine Engel die Welt erlösen werden...
Nein, das ist Unfug. Die Erlösung, Unfug. Die Welt ist nicht dafür geschaffen, dass ihre Seelen irgendwann einen anderen Zustand erreichen als den des Lebens selbst. Hölle, Himmel, egal, wohin eine Seele nach dem Tod kommt, über kurz oder lang ist es unvermeidbar, dass sie wiedergeboren wird als neuer Mensch auf Sanktuarios Boden, immer wieder und wieder. Ein ewiger Zyklus des Lebens und des Todes.
Das klingt...grausam.
Nein. Das ist der gerechteste Zustand, den man sich vorstellen kann. Hältst du es denn für gerecht, dass ein Jeder nur ein Leben haben soll, eine einzige Chance, zu zeigen, was er kann? Und wenn das vorbei ist, ob es kurz war oder lang, kommt die Seele nach oben oder nach unten, unwiderruflich, auf ewig in hellster, freudiger Langeweile oder dunkelster, verzweifeltster Qual gefangen?
Das würde aber bedeuten, dass nicht einmal die Möglichkeit besteht, das ewige Glück zu erreichen.
Wer will das schon? Eine Ewigkeit ist vor Allem eines: Verdammt lang.
„Nichtsdestoweniger hatten die alten Religionen beträchtliche Macht. Das Gruppenerlebnis, Gesänge, Rituale waren schon immer am besten dafür geeignet, Energien vieler Menschen auf ein Ziel zu fokussieren. Dazu noch einige Ingredienzien, die schon damals als magisch bekannt waren, und die ersten Zauber entstanden. Eben solche, die die alten Götter schützen sollten, ihre Stätten, und die Menschen, die sich an ihnen trafen.
Lange hatte Ormus überlegt, warum der Altar hier so...leer schien. Nun erhielt ich die Antwort: Sein gesamtes magisches Potential wird in diesem Moment genutzt, um die Barriere aufrecht zu erhalten. So konnten auch die Magiefähigen unter uns seine Macht nicht erkennen; ich bemerkte ihn nur aufgrund seiner Form, nicht aufgrund irgendeiner Art von Ausstrahlung.
Und jetzt ist auch offensichtlich, was das Problem darstellt: Der Schutzzauber ist ein guter Zauber, keine Frage, überaus bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie lange es schon her ist, dass er das erste Mal angewandt wurde.
Aber: Jetzt zeigt sich sein Alter – seine Überholtheit. Denn wie wir schon festgestellt haben, gab es nie eine so starke Bedrohung der Welt und speziell dieses Fleckchens auf ihr durch die Mächte des Bösen. Sicher hätte die Barriere keine Schwierigkeiten, eine beliebige Anzahl von niederen Dämonen eine beliebig lange Zeit fern zu halten. Vielleicht ist gerade sie der Grund, weswegen Kurasts Handelshafen immer wie von Zakarums Hand geschützt schien, was zumindest die Paladine stets behaupteten.
Die Situation, die sich im Moment allerdings bietet, ist nicht im Mindesten vergleichbar mit irgendeiner, die es je zuvor gegeben hätte – die Kräfte, die auf den Schutzzauber einschlagen, sind unglaublich. Alle drei Großen Übel befinden sich in nicht allzu großer Entfernung – es ist ein Wunder, ein wahrhaftes Geschenk des Himmels, dass der alte Zauber überhaupt bis jetzt diesem bösen Einfluss standhalten konnte.“
Kurz breitet sich Schweigen über die Kaserne. Mehrere Eisenwölfe, darunter auch meine Bekannten Vanji und Jelani, hören uns gespannt zu.
Der Meister zeigt sich pragmatisch, als er das Schweigen bricht.
„Ich muss gestehen, recht beeindruckt von euerem Wissen zu sein. Aber...das hilft uns doch Alles nicht weiter, zumindest habe ich in der Richtung noch Nichts gehört. Die Frage ist: Kann sich einer von euch eine Möglichkeit vorstellen, die Sache in den Griff zu bekommen? Wenn nicht, verschwenden wir hier unsere Zeit, Nichts gegen euere versammelte Präsenz, aber dann sollte ich sofort aufbrechen und tatsächlich versuchen, die Übel zu schlagen, bevor hier das Chaos hereinbricht.“
Wohl gesprochen.
Ormus faltet seine Hände über den Mund, Hratli blickt etwas nervös zu den Anderen in der Runde, die insgesamt sehr ernst scheint. Nicht einmal Aschara lächelt, und streichelt automatisch ihre Schlange.
„Eine mögliche Lösung würde mir tatsächlich einfallen.“
Aller Augen richten sich auf Ormus.
„Es ist ein wenig weit hergeholt, aber könnte funktionieren. Wie Ormus schon sagte, ist der Altar als Quelle der Barriere ein Relikt einer Religion, die nicht mehr existiert und diesen Zustand schon seit sehr langer Zeit inne hat. Jedoch, wie wir ja klar festgestellt haben, sind diese Relikte noch vorhanden und besitzen trotz ihres Alters teils unglaubliche Macht.“
„...wenn wir an ein solches kommen könnten, müssten wir in der Lage sein, eine neue Barriere aufzubauen!“
Ormus hebt eine Augenbraue in Hratlis Richtung.
„’Wir’, tatsächlich? Nein, darauf wollte ich nicht einmal hinaus. Um meine These allerdings zu vervollständigen, benötigt Ormus noch eine Information. Kam es meinem großzügigen Kollegen denn so vor, als würde der Altar als Nexus tatsächlich seine volle Macht entfalten, die er schon immer hatte, bevor er diese Macht in selbstloser Weise dazu zwang, uns Alle zu schützen?“
Hratli springt auf und wirft seinen Stuhl um.
„Mir reichen jetzt deine ständigen Sticheleien, Ormus! Wenn du nicht in der Lage bist, mit mir wie ein vernünftiger Mensch zu reden, der über seine persönlichen Ansichten hinwegblicken kann, dann sehe ich nicht, was mich dazu bringen sollte, dir auch nur zu sagen, was ich plane, zu mir zu nehmen, sobald ich diesen Raum verlassen habe – was jetzt sofort der Fall ist!“
„Hratli, bitte.“
Deckards leise Worte halten den Schmied auf, als hätte der Horadrim-Weise statt ihrer ein Lasso benutzt.
„Erstens bin ich mir sicher, dass Ormus sich als vernünftiger Mensch, der er ja ist, gleich für höchstwahrscheinlich ungewollte, aber wohl leider doch geschehene Unstimmigkeiten entschuldigen wird. Zweitens wäre es doch höchst unvernünftig von Euch selbst, schon angesprochene persönliche Ansichten über ein anderes Mitglied unserer Runde dafür sorgen zu lassen, dass heute kein Ergebnis erreicht wird.“
Die roten Roben kommen langsam zum Stillstand, wo sie gerade doch noch in Wallung waren wie ihr Träger. Ein paar Herzschläge bewegt sich Nichts...dann dreht Hratli sich um.
„Na schön. Mehr als diese Information kann ich dann aber wirklich nicht mehr liefern, und will auch nicht mehr. Nein, ich war überrascht, wie viel von der Energie dieses Ortes tatsächlich ungenutzt blieb. Es schien, als sei in den Stein selbst eine Unmenge davon gespeichert worden, aber mir erschloss sich keine Möglichkeit, diese zu nutzen.
Ich hoffe, das half. Nun gehabt Euch wohl! Die Entschuldigung kannst du dir sparen, alter Mann. Du hast dir heute einen Feind gemacht, und ich werde sicher gehen, dass du dich noch einmal daran erinnerst und es dir bitter Leid tut, bevor dein wertloses, verbrauchtes Leben von selbst endet.“
Und weg ist er. Betretenes Schweigen herrscht.
Deckard hustet verhalten.
„Es tut mir Leid. Ich dachte, ich könnte ihn zum Bleiben bewegen mit diesem Argument, aber die Macht des Hasses ist stärker als ich geworden.“
Schwer zu sagen ob seiner Hautfarbe, aber Ormus wirkt...bleich.
„Es...es tut auch Ormus Leid...es hätte...nicht so weit kommen dürfen.“
Plötzlich trifft mich eine Faust an der Brust. Ein verhaltener Gong übertönt einen gleich darauf halblaut geäußerten Fluch, als winzige, unsichtbare Stacheln sich an mehreren Stellen durch die schlagende Hand bohren. Die dem Meister gehört.
„Unwichtig! Deine Schuld, aber daran können wir jetzt auch Nichts mehr ändern. Machen wir das Beste daraus. Kannst du diese Information brauchen, Ormus? Wenn nicht, dann sind wir gleich weg.“
Er ist nun das Zentrum der Aufmerksamkeit, aber seine Arme sind stur verschränkt und seine Lippen versiegelt. Ormus senkt den Kopf.
„Die Information...war genau, was ich brauchte. Ja, das bestätigt meine Theorie. Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass der Altar tatsächlich benutzt wurde – aber nur durch Benutzung wurde er zu dem, was er ist. Ormus hat schon versucht, zu ihm zu beten, auch bereits Opfergaben dargebracht, heimlich des Nachts, seit er erkannte, worum es sich bei diesem Steingebilde handelt, aber all das hat seine Kraft nicht erweckt. Ich glaube aber fest daran, dass es möglich wäre, die Energie, die in dem Altar schlummert, zu erwecken, wenn wir ein weiteres Relikt der alten Religion hätten.“
Der Meister beugt sich vor.
„Was wäre das denn zum Beispiel?“
Ormus überlegt.
„Eine Trommel, mit der der Takt der Gesänge geschlagen wurde...andere Musikinstrumente natürlich auch...Schalen, in denen geweihte Kräuter verbrannt wurden...ein Opferdolch...“
„Das ist es!“
Wieder hat der Raum einen neuen Fokus...Jelani? Er zieht sich ein wenig zusammen, als die Blicke auf ihm landen. Aschara hebt eine Augenbraue.
„Du hast uns etwas zu sagen, Jelani?“
Beim Klang ihrer Stimme schlägt er sofort die Hacken zusammen und hebt den Kopf hoch.
„Ja, Madame. Ich erinnere mich gleichzeitig sehr gern und ungern an Kurast, da jedes schöne Bild nur neue Trauer herbeiruft, aber gerade ist mir etwas eingefallen. Als Kind nahm mich mein Vater...“
Er schluckt kurz.
„...oft in die Halle der Vergangenheit mit. Äh, dort waren Fundstücke vergangener Zeiten ausgestellt. Und eines von ihnen sah ich mir immer besonders gerne an, denn es war das älteste, und trotzdem von unglaublicher Schönheit: Ein herrlich gearbeiteter Dolch aus Stein, mit völlig gerader und durchaus scharfer Klinge, die nur etwa zehn Zentimeter lang war.“
Einen Moment lang überlegt er.
„Der Gidbinn. So hatten sie ihn genannt. Ein uralter Opferdolch. Das müsste genau das sein, was ihr benötigt – und dieses Ding hat bereits Jahrhunderte, womöglich Jahrtausende heil überstanden, eine kleine Dämoneninvasion dürfte da auch keinen Unterschied mehr gemacht haben.“
Ormus...strahlt.
„Das ist es! Genau so etwas benötigen wir! Wenn Ihr diesen Gidbinn finden könntet, wäre die Barriere wiederherzustellen und auf Dauer zu stärken, nur eine Frage von ein paar wenigen Versuchen.“
Relativ unbeeindruckt tippt sich der Meister mit einem Finger ins Gesicht.
„Schön und gut, aber wie soll ich einen etwa zwanzig Zentimeter langen Dolch im ganzen Dschungel finden? Womöglich sind wir schon längst vorbeigelaufen.“
Jelani schüttelt den Kopf.
„Die Halle der Vergangenheit war recht weit von den Docks entfernt. Bald nach ihr stadteinwärts begann der Basar, und bald nach dem schon Travincal. In diesem Dschungel könnt ihr auf die paar Tage nicht so weit gekommen sein.“
„Golem!“
Ich zucke zusammen, als der Meister mich ruft, ohne mich auch nur anzusehen.
„Ja, Meister?“
Hoppla, das ist mir so rausgerutscht. Ihn scheint es nicht zu stören.
„Wie viel Weg haben wir ungefähr zurückgelegt? Luftlinie!“
Oh, Himmel, die ganzen Kurven...wie soll ich das beurteilen?
Du sollst mich machen lassen. Ich habe ja nichts Besseres zu tun, wenn du gerade dabei bist, in Selbstmitleid zu ertrinken, also ist unsere interne Umgebungskarte mittlerweile nicht nur äußerst detailliert, sondern hat sogar einen gedanklichen Maßstab. Bitte, einfach ablesen.
Informationen fluten mein Hirn. Wahnsinn, wie viel Zeit hast du damit verbracht, das auszurechnen?
Weniger, als du vielleicht denkst. Ich habe festgestellt, dass egal, wie fokussiert er gebaut ist, ein Körper immer eine gewisse Ablenkung darstellt. Das ist der einzige Vorteil meines aktuellen Zustands: Ich habe die ultimative Konzentrationsmöglichkeit.
Na dann...Danke für die Mühe, würde ich sagen...
„Etwa...fünf Kilometer.“
„Was?“
Jetzt sieht er mich aber an. Völlig ungläubig.
„Wir...hatten ein paar Umwege, jetzt, wo ich darüber nachdenke.“
„Oh Himmel. Oh, heiliger Himmel.“
Jelani dagegen scheint die Nachricht nicht zu stören.
„Dann seid ihr ganz nah! Die Halle der Vergangenheit war noch etwas weiter von den Docks entfernt, aber nicht viel weiter.“
Des Meisters Blick alterniert zwischen mir und dem Söldner.
„Na dann...“
Er legt den Kopf schief und presst die Fingerspitzen wiederholt zusammen und lockert sie wieder.
„...trotzdem, wie finde ich einen kleinen Dolch in den völlig zerstörten Ruinen einer Halle?“
Ormus winkt ab.
„Ihr solltet in der Lage sein, ihn zu spüren, wie Hratli den Altar hier spürte; Ihr seid genauso in der Lage, Magie zu wirken, wie er und ich es sind.“
Mein weißhaariger Erschaffer breitet die Arme aus.
„Alles klar!“
Er steht auf.
„Dann suchen wir eben nach noch einem leicht tragbaren Gegenstand, wir haben ja noch nicht genug von denen zu finden. Vielleicht bewahren die Dämonen jetzt ja Khalims Leber oder so in den Schränken euerer Halle auf, das würde die Sache doch erleichtern. Danke für den Tee, und Abmarsch.“
Auch Natalya verabschiedet sich. Aschara bittet die beiden älteren Männer, noch eine Weile zu bleiben. Als wir nach draußen treten, warten die Skelette schon darauf, die Menschen vor dem Regen zu schützen.
„Hast du Alles dabei, mein Lieber?“
Ein endlich wirklich ehrliches und auf diesen Lippen einfach durch die Seltenheit wunderschön wirkendes Grinsen erscheint im Gesicht des Meisters.
„Ich muss noch ein paar Dinge mitnehmen, heute Morgen habe ich nicht gleich Alles angezogen. Kommst du noch kurz mit zu mir?“
Sie streicht ihm durchs Haar.
„Tut mir Leid, ich würde gern, aber ich muss dringend gewisse Menschen überzeugen, dass ich noch existiere. Ich wünsche dir alles Gute! Komm heil zurück, ich brauch dich noch! Tschüss...“
Ein langer Kuss, dann verschwindet sie. Hm, wer das wohl ist, den sie von „ihrer“ Existenz überzeugen muss...
Der Meister wendet sich mir zu. Meine Angst vor dem, was folgen wird, kehrt mit voller Wucht zurück.
„Ich habe nicht vergessen, dass wir uns noch lange unterhalten werden, aber jetzt ist keine Zeit dafür. Leg meine Sachen bereit, ich frage derweil Alkor, ob er meine Bestellung von Tränken schon zurecht gebraucht hat.“
Und weg ist er. Ich bin allein.
Nicht ganz. Hm, das erklärt, warum Alkor ständig am Köcheln ist.
Ja...ach, ich weiß nicht. Jetzt habe ich doch noch keine mündliche Abreibung bekommen, und mir wäre es fast lieber, wenn es gleich passiert wäre.
Darauf zu warten macht mich nur nervöser. Und ich will nicht wirklich mit ihm in einer solchen Stimmung zusammenarbeiten.
Tja, dein Problem. Aber ich versteh dich nicht. Was fokussierst du dich schon wieder auf diese triviale Sache? Konstant hast du gebangt, dass wir die Heimatfront verlieren, weil er Nichts tut, weil Ormus und Hratli nicht miteinander reden, jetzt haben wir die Lösung nur wenige Schritte entfernt, und du weinst, weil er deine nicht-ganz-Lügen aufgedeckt hat, und dann auch nur in dieser einen Sache?
Ich weiß auch nicht...eigentlich sollte ich mich freuen, stimmt.
Jetzt aber erst einmal beeilen, Alles herzurichten, und dann „Tees Bescheid sagen“, dass wir ein Stadtportal weiter sind, bevor er dabei sein kann...
Wie oft muss ich mir noch denken, dass heute ein grauenhafter Tag ist?