Kapitel 6 - In corpore ferreo
Ich bleibe stocksteif stehen. Oh, Himmel. Der Zweite ist noch da, nicht besiegt von seiner eigenen Gier nach Kontrolle, meine Dornen hielten ihn nur auf...und wenn er sich wieder gesammelt hat...dann ist er erneut so stark wie ich...nein! Nein, ist er nicht! Ich bin stark! Stärker! Ich muss es sein. Ich muss gewinnen.
Erneut spiele ich mit dem Gedanken, einfach dem Meister zu sagen, er solle meinen Körper verändern, mich wieder weiter von dieser Monströsität aus Schlamm, Metall und Feuer entfernen, die sein groteskes Idealbild ist, aber nein...es ist nicht nur die Mühe, die er in diesen Körper gesteckt hat, das Geld, der Schmerz, die Demütigung, die es ihn gekostet haben, mich wiederauferstehen zu lassen, nur, weil er der Überzeugung ist, mich zu brauchen...ich kann das nicht wegwischen, ich darf ihn nicht wissen lassen, wie sehr ich diesen Körper hasse.
Nein, darum geht es nicht allein. Es ist zu spät, viel zu spät, dieses Geheimnis zu verraten. Und doch hatte ich immer gute Gründe, es zu verschweigen: Als er auftauchte, konnte ich nicht reden, der Meister wusste nicht einmal, dass ich denken konnte, wie hätte ich ihm da sagen können, dass in mir Gefahr darauf wartet, hervorzubrechen? Dann, die Zeit als Blutgolem, anfangs völlig ohne Einflüsse von ihm, bis zuletzt, als zeitgleich mit meiner Fähigkeit zu sprechen unsere Freundschaft gefestigt wurde - wie hätte ich ihm da sagen sollen, dass er mir eben nicht vertrauen kann, dass ich keine Sicherheit für ihn darstelle, weil ich selbst nicht sicher bin, wann ich von wem gesteuert werde?
Und jetzt, da diese Freundschaft besteht - wage ich es, sie dadurch zu gefährden, dass ich ihm gestehe, wie lange ich ihn schon betrogen habe? Ich kann es nicht, ich darf es nicht. Ich will es nicht. Ich bin gefangen in meiner Schuld, mein Schweigen verdammt mich, ohne, dass ich wirklich etwas dafür kann - ich weiß, dass ich Nichts dafür kann! Aber warum tut es so weh?
So lass mich doch in Ruhe, Dämon in mir! Verschwinde, treib dein finsteres Spiel um die Macht mit jemand Anderen, du kannst deinen Körper haben, aber nimm nicht meinen, nicht diesen, der der Freund des Generals ist, um diese Freundschaft zu pervertieren...und doch, und doch...du kannst es nicht, egal, wie ich flehe. Wir sind zu zweit in diese Hülle geboren worden. Ist es unser Schicksal, auf ewig um sie zu streiten?
Ich ramme meine Fäuste an meine Augen, meinen Blick nicht auslöschend, ein Stahlklang dringt an mein Gehör. Lass mich in mich hinein sehen! Die Ebene unseres Kampfes erneut erblicken! Es muss enden!
Aber kein Feld aus Grau entsteht, keine schwarzen und weißen Avatare, von denen einer ich bin und der andere er. Er schweigt, wohl wissend, wie sein einer Satz meine gerade gefasste Überzeugung, jegliche Zweifel überwinden zu können, zerschmetterte. Ich hasse dich...ich hasse dich! Warum kämpfst du nicht fair? Warum redest du nicht mit mir? Warum, warum, warum...
Ich nehme die Hände wieder herunter. Kurast umgibt mich. Diese Stadt voller Intrigen, voller kaputter, korrupter Menschen, voll Wahnsinn. Ich muss hier raus. Jetzt.
Ich fliehe, über den Hauptplatz auf den Steg voller Barrikaden, den wir so hastig überquerten, als wir Marius nachjagten. Den Blick starr in den Dschungel gerichtet, seinen kleinen Rundschild missmutig über den Kopf als Schirm gehoben, hält ein triefender Soldat Wache am Ausgang der Docks. Seine leuchtend rote Uniform, Roben unter einem Brustpanzer, Eisenhelm und Breitschwert, habe ich schon einmal gesehen, wie Ormus am Rande meines Blickfeldes beim Rennen vor Kurzem...beziehungsweise vor zwei Wochen, die ich nicht miterlebt habe. Ich verlangsame meinen Schritt, als ich näher herantrete, die metallenen Sohlen deutlich hörbar auf dem Holzuntergrund. Er spricht, ohne sich umzudrehen.
"Ists endlich Zeit für meine Ablösung, Devak? Hast ja lange genug dafür gebraucht."
"Es tut mir Leid, aber den Regen müsst Ihr noch eine Weile länger ertragen."
Sein Kopf schießt zu mir herum, und sein Schwert aus der Scheide.
"Monster! Dämon! Keinen Schritt weiter!"
Ich sehe, es ist nicht der, der meine Blutgolemform gesehen hat. Seine dunklen Augen in einem ebenfalls dunklem Gesicht sind leicht schräggestellt und geweitet, aber er zeigt seine Furcht nicht durch ein Zittern im Schwertarm oder sonstige körperliche Anzeichen. Das ist gut. Ich bleibe stehen und hebe beschwichtigend die Hände.
"Ruhig. Bitte, greift mich nicht an. Ihr werdet bemerken, dass ich von drinnen komme. Ich wollte nur in den Dschungel."
Er starrt mich lange an, sein Schwert nicht senkend, dann ziehen sich seine Augenbrauen zusammen.
"Gehörst du etwa zu diesem Totenbeschwörer, der jetzt schon seit Wochen flach liegt?"
Ich nicke. Er steckt sein Schwert verärgert zurück.
"Verdammt, dann schulde ich Yaschid ein Glas, der hatte wohl doch Recht mit seinem Monster in menschlicher Begleitung, das er gesehen haben will. Ich bin übrigens Vanji. Also, du kannst durch, ich sag Devak, er soll dich wieder reinlassen, wenn du zurückkommst...falls er sich bis dahin bequemt hat, aufzutauchen.
Du willst doch wieder zurück, oder?"
Ich nicke wieder, und er tritt zur Seite. Als ich an ihm vorbei gehe, schüttelt er den Kopf.
"So richtig gesprächig bist du nicht, was?"
Meine Schritte halten neben ihm inne und ich muss kurz gegen eine Welle der Verzweiflung ankämpfen.
"Ich hasse meine Stimme."
Er lacht!
"Bist du nicht der Einzige hier! Na dann, viel "Spaß" im Dschungel...völliger Wahn..."
Sein Kichern begleitet mich bis zur Baumgrenze, genau wie sein Blick, aber sobald ich beides los bin, renne ich los. Mein Zeitgefühl ist perfekt wie mein Gedächtnis, aber ich verliere es, während ich die Grenzen dieses furchtbaren Körpers austeste. Mechanisch laufe ich, über Wurzeln springend, unter Schlingpflanzen hindurch duckend, an Bäumen vorbei und durch zwei hindurch, niemals langsamer werdend...wo sind die Grenzen? Wo?
Vergiss das Suchen, du hast keine.
Ich stolpere, rolle mich unbewusst ab und lande hart an einem Baum. An ihn gelehnt stütze ich meinen Kopf auf meine rechte Hand und die an mein Knie. Könnte ich mir sparen, genauso wie das Sitzen selbst - aber ich will mir nicht eingestehen, dass Beine, die vom Laufen nicht müde werden, auch ewig stehen können. Von den Blättern über mir tropft Wasser auf meinen Kopf, fließt über meine Augenplatten, verschleiert meine Sicht; es kümmert mich nicht. Mein Blick geht nach innen.
Warum bist du nicht tot? Du bist doch nur hier, um mich zu quälen, oder?
Ich bin hier, um zu fordern, was das meine ist. Denkst du, so ein kleiner Rückschlag auf rein geistiger Ebene hält mich auf? Wenn du deine Hülle so hasst, gib sie doch ihrem rechtmäßigen Besitzer. Ich mag sie.
Niemals! Ich habe gesehen, was passiert, wenn du den Körper besitzt! Du bist ein Mörder, ein Psychopath, ein Wahnsinniger! Der General hat einen besseren Begleiter als dich verdient!
Ach, und das bist du?
...
So schweige nur...und lass mich in den Tiefen deiner schwarzen Seele...ich kann warten, Kampfmaschine.
Du...ich...nein! Es ist deine Seele, die schwarz ist! Es ist...
sinnlos. Der Zweite ist weg. Still, heißt das. Wie eine Spinne in ihrem Netz verborgen in mir, nur darauf lauernd, zuzuschlagen...
Ich vergrabe meinen Kopf in meinen Händen, aber wieder dient dies nur der Verdeutlichung, was ich am liebsten nicht mehr sehen möchte, als die Flächen mein Blickfeld füllen. Ich bin eine Kampfmaschine. Was ich nie werden wollte, ist jetzt Wirklichkeit. Emotionen, Gedanken, was ich bin, begraben unter der kalten Schale metallischer Funktionalität. Diese Hände...die plumpen Finger...wofür sind sie gebaut? Die Stacheln, die Aura, Alles für den Kampf. Ich bin Stahl gewordener Tod. Und ich hasse jede Sekunde meiner Existenz. Wie kann er nur diesen Körper wollen? Das gibt keinen Sinn! Ja, die Blutgolemform war beherrscht von Schmerzen, aber eben auch von diesem besonderen Bund zwischen mir und dem Meister, ein körperlicher, den wir zu Freundschaft erweiterten...
ich schrecke auf, als mir die schönen Erinnerungen zumindest ein wenig die Trübsinnigkeit lindern und endlich wieder ein logischer Gedanke meinen Kopf durchdringt. Freundschaft. Darauf läuft es doch immer wieder hinaus! Du hattest nie einen Freund, oder? Du warst immer nur die Tötungsmaschine. Dein Meister hat dich nicht verstanden, nicht deine Intelligenz gewürdigt, nie mehr als die Funktion in dir gesehen. Und um nicht wahnsinnig zu werden, hast du dich voll darauf eingelassen! Du wurdest bewusst zu dem seelenlosen Killer, der du bist!
Ich weiß, dass du mir nicht antworten wirst. Aber denk darüber nach, wie viel von deinem Handeln nur von Neid auf unsere Beziehung motiviert ist.
Womit wir beim Thema wären - was sitze ich hier rum? Mühelos stehe ich auf, ohne Krämpfe, Druckstellen...
Ich habe einen Auftrag, und ich werde ihn erfüllen. Zurück zu den Docks! Diesmal gehe ich langsamer, dafür bestimmter. Eigentlich kommt es nicht einmal auf die Mission an sich an. Es geht um den Inhalt! Der General braucht mich, und ich werde ihm helfen. Um jeden Preis, denn in diesem Körper bin ich bereit, ihn zu zahlen!
Diese Gedanken helfen, meine Entschlossenheit zu stärken - fast so sehr wie es mich beflügelt, den Zweiten einmal seine eigenen Methoden kosten zu lassen. Nicht nur er kann beunruhigende Fragen stellen.
Ich kam doch von da...nicht wahr? Mein Gedächtnis sagt mir...
Ich drehe mich um. Wenn ich ihn diese Richtung gelaufen bin, muss ich den Abschnitt kennen. Hm...Bäume, Äste, Blätter...na toll! Was nützt eidetische Erinnerung, wenn Alles gleich aussieht? Nein, dieser Dschungel ist nicht natürlich. Die Bäume lassen ihre Äste tief hängen, auch die langen Blätter fallen teils bis auf den Boden...stellenweise bildet sich durch die unglaubliche Nähe der Pflanzen zueinander eine regelrechte Wand aus Holz, durch die man einfach nicht kommt. Das ist kein Wald - es ist ein Labyrinth! Lianen, die überall hinunterhängen, erschweren auch auf den seltsamerweise vegetationslosen Pfaden das Gehen, tückisch unter faulendem Belag aus Moosen und Baumteilen verstecke Wurzeln laden, wie ich erfahren habe, zum Stolpern ein...neben mir fließt träge ein schlammiges Bächlein, und kaum können die stehen Regentropfen die fast ölige Oberfläche stören.
Ich gehe zögerlich weiter...kam ich über eine Brücke? Ich kann mich nicht wirklich erinnern, als ich rannte, muss ich komplett meine Umgebung ausgeschaltet haben. Moment...eine Brücke...aus Stein? Mitten im Dschungel? Wer hat die gebaut?
Da wird mir bewusst, dass diese Formation rechts von mir kein Baumstumpf ist - unter zahlreichem Pflanzenbewuchs liegt Stein. Ich streiche ein paar Lianen weg...und vor mir steht eine behauene, mit Fresken verzierte Säule.
Ich blicke mich um. Diese Erhebung, da, zu gerade die Felsen arrangiert! Und unter mir...die Schicht aus Schlamm teilt sich vor meinen hastig grabenden Händen...ja, nur knapp unter der Fäule, ein Weg, gepflastert.
Unsanft lande ich auf meinem Rumpf, als mich die Erkenntnis überwältigt von etwas, das ich zwar wusste, aber das mir jetzt erst richtig klar wird: Ich bin in Kurast! Die Stadt, von der ich nur die Docks kenne, ist um mich herum, unter mir, neben mir, über mir...und der Dschungel hat sie verschlungen. Komplett. Häuser, Straßen, Säulen, Plätze, Gassen, Alles einfach weg.
Unsicher erhebe ich mich wieder. Das Böse liegt überall...und als ich einen Ast zertrete, mein unnachgiebiger Fuß morsches Holz laut splittern lässt, bemerke ich, was hier einfach fehlt: Geräusche. Keine Grillen zirpen, keine Mücken surren, geschweige denn Vögel zwitschern. Nichts bewegt sich außer Blättern. Der Dschungel ist tot, ein natürlich Ort der blühenden Lebens, der Regenwald, in seiner Funktion komplett auf den Kopf gestellt und als Mittel zur Auslöschung eines kompletten Volkes benutzt - die schiere Bösartigkeit dieser Methode bringt mich fast um den Verstand. Wie konnten sie es wagen...das Prasseln des Regens ist wie der Rhythmus einer Melodie, die einfach nicht einsetzt, ein stetes Vorspiel ohne Sinn. Man wartet, und wartet...und: Nichts. Es ist nervenaufreibend. Ein Geräusch wenn doch käme...
"Kommt doch und holt mich!"
Ich fahre zusammen, so weit ich kann. Eine menschliche Stimme, weiblich, und zwar von - da! Ich luge um einen Stamm herum, nach einem kurzen Lauf der Quelle des Schreis nah.
Auf einer kleinen Lichtung steht sie, in einen relativ leichten schwarzen Schuppenpanzer gehüllt, kurze, ebenfalls schwarze Haare, ein blasses Gesicht, das ich im Profil sehe; ungewöhnliche Färbung für diese Gegend, die Meisten sind hier farbig, Ormus, die Soldaten...meine Augen wandern nach unten; am unbedeckten Arm entlang an ihre rechte Hand, die andere sehe ich nicht, ist eine kurze Klinge geschnallt, die über ihre Finger hinausragt, die sie locker nach unten hängen lässt; tropfenförmig verjüngt sie sich zum Ansatzpunkt an ihrem Handgelenk hin, wo ein Ledergeschirr die Waffe fixiert. Ihre Beine sind nackt bis auf einen Kettenrock, der über kurzen, ebenfalls schwarzen und hautengen Hosen hängt, jedoch nur bis knapp unter die Hüften; die Feuchtigkeit daran lässt ihre muskulösen Schenkel glänzen, die in schlichten, ebenfalls schwarzen Kettenstiefeln enden, hinter denen etwas liegt, das ich nicht klar erkenne. Sie hebt die linke Hand - ah, auch an sie ist eine Waffe geschnallt, diese aus drei einzelnen, miteinander verbundenen Klingen bestehend, wie meine Klauen von früher - und krümmt einen Finger lockend in Richtung der anderen Seite der Lichtung. Dort - ah! Ihr gegenüber, eine unbestimmbare größere Anzahl vom Dschungel verborgen, stehen mehrere kleine Gestalten, vielleicht so groß wie mein Arm lang ist, grundsätzlich humanoid, aber mir einem viel zu groß proportioniertem Kopf, dessen Mund zugenäht ist und der keine Augen hat...verstörend, da könnte man fast die Messer vergessen, von denen jeder eines führt, die einschneidige Klinge halb so lang wie einer von ihnen und sich am Ende auf die viertelte Dicke der Länge erweiternd...gefährlich. Ihre Haut ist gräulich, die Haare hängen fettig und verfilzt herab, die winzigen Ärmchen und Beinchen scheinen gar nicht in der Lage, diese grotesken Püppchen am Umfallen zu hindern - aber sie tun es.
Da, noch ein Schrei, diesmal aus ihrer Richtung, ein ersticktes Röcheln mehr, aber voller Hunger, und sie stürzen sich auf die Frau. Ich muss...
"Willst du dir etwa erst ansehen, ob es spannend wird, Kleiner?"
Schreck durchzuckt mich, als die rasselnde Stimme ertönt. Schnell blicke ich auf und hätte gleich darauf am liebsten weggesehen. Ein Monster, locker noch einmal halb so groß wie ich, der ganze Körper bestehend aus...Holz? Jedoch mit Grünstich...die handlosen Arme sind Baumstämme, Äste spärliche, spitze Haare, ein Brustkorb und Schultern wie gigantische Wurzelknoten, so breit wie das Ding hoch ist. Das Gesicht ein Holzklotz, ohne Züge bis auf zwei kleine, rot glühende Augen, Kohlen, eingebettet in unverbranntem Grundmaterial. Und Alles überzogen mit Dornen, gewaltig wie sicherlich schmerzhaft zugleich. Was zum Herrn des Schreckens...
"Ach, ihr folgt? Brave Kerlchen. Als Belohnung - ein Tanz!"
Die Frau stiehlt wieder meine Aufmerksamkeit mit ihrem Hohn, als sie allein gegen ein Dutzend der Mörderpüppchen steht - da zieht sie ihren linken Fuß zurück und flippt mit ihm ein Objekt in die Höhe, das, was neben ihm lag. Sie fängt es mit einer Hand auf und setzt es dann auf, ein Helm, nicht unähnlich dem Schädel, den der Meister vom Geist...Gespensterbeschwörer bekommen hat. Aber schwarz...und da, als sein Saum, der ihren Nacken schützt, die Rüstung berührt, wird ihr ganzer Körper durchsichtig! Wie...?
Zwei Baumarme packen meinen Kopf wie einen Schraubstock, und ohne es wirklich zu spüren, weiß ich, dass ein wenig mehr Druck ihn wie eine Stahlnuss zerquetschen wird.
"Ich hab dich gerade was gefragt. Nicht ablenken lassen."
Meine Gedanken schießen schnell durch ihr gepresstes Behältnis. Was soll ich tun?
Erzähl ihm was!
Du...egal! Was?
Egal, das wie zählt!
Ohne, dass er dafür Worte verschwendet, lässt der Zweite genau in meine Gedanken fließen, was er damit meint, wie früher die Kampfaktionen, für die ich nicht erfahren genug war, als wir noch zusammenarbeiteten. Sofort lege ich so viel Sicherheit und Arroganz in meine Stimme, wie hineinpasst - leider nicht viel.
"Ganz offensichtlich bin ich ein Späher, du Holzkopf. Lass sofort meinen Kopf los, sonst wird Jemand noch ungemütlich."
Späher? Wie kommst du auf so einen Unfug?
"Welcher Späher? Ich habe noch nie einen so kleinen Dornendrescher wie dich gesehen..."
Die Frau schießt plötzlich vor und spießt auf eine Klaue einen, auf die zweite Klaue einen anderen Gegner auf, und in einer fließenden Bewegung tritt sie einen dritten in hohem Bogen von sich weg, der in das Messer eines Kameraden fliegt. Wahnsinn!
Red weiter, du Idiot!
Oh, da war was...aber was...egal, jetzt ist es zu spät, und ich bin bekanntermaßen weit besser als du im Improvisieren, hm?
"Hättest du einen von uns vorher gesehen, wären wir schlechte Späher, immerhin sollen uns die Lebenden so nahe an ihrem Rattenloch auch nicht sehen, oder? Was machst du eigentlich hier?"
Noch mehr Arroganz, fordernder!
Es tut mir aufrichtig Leid, dass in diese Stimme kein Hauch von Betonung passt!
Da lösen sich langsam die Klammern von meinem Kopf, während die Durchscheinende weiterhin ihre Gegner vernichtet. Sofort wende ich mich davon ab, um herumzufahren, widerwillig, weil ihr Kampfstil mich absolut fasziniert, aber das hier ist wichtiger. Ich stutze kurz, als ich weitere sechs Exemplare der Baumdämonen - Dornendrescher also, passend - hinter dem sehe, mit dem ich gerade rede...sie sind hellbraun, nicht so grünlich wie er: toll, ein Held - aber mein kurzes Zögern sollte er hoffentlich nicht bemerkt haben. Seine sowieso schon schwierig zu verstehende Stimme wird betont neutral, als er sich noch ein wenig mehr aufrichtet...als würde er nicht ohnehin über mir türmen! Auch gespielte Autorität hat offenbar Effekt bei Dämonen.
Und schlecht gespielte noch dazu.
"Befehl von ganz oben. Sag bloß, du weißt Nichts davon?"
"Ich bin hier komplett abgeschottet, und das soll auch so sein. Klär mich auf."
"Na gut. Wir sind die Vorhut, für die du wohl auch spähst, weil bald...he, sie ist fertig! Schnappen wir sie uns, bevor sie noch abhaut!"
Nein! Diese Information wäre vielleicht...nein, sicher von höchster Wichtigkeit gewesen! Das ist doch zum...
Baumkrieger stürzen an mir vorbei. Er sieht mich schief an.
"Kommst du auch mit?"
"Menschen schlachten? Immer."
Und Bäume niederbrennen. Ha! Wie tief bin ich gesunken, dass Diener des Bösen mich automatisch als einen der ihren akzeptieren? Immerhin praktisch...
Exakt. Hilf ihnen jetzt, verbreite falsche Informationen, spioniere sie aus!
Eine gute Idee...Moment, helfen? Ich muss ihr helfen gegen diese Übermacht!
Bist du wahnsinnig? Halt, bist du, ich vergaß. Aber so? Auch zu zweit haben wir keine Chance! Wenn du sie eigenhändig tötest, können wir überleben!
Du...sei still! Geh wieder zurück in deine dunkle Höhle, wo auch immer du dich versteckst! Ich werde Nichts dergleichen tun! Für wie verkommen hältst du mich?
Du bist hoffnungslos. Unglaublich. Na dann, viel Spaß bei deinem Doppelselbstmord, von mir kannst du keine Hilfe erwarten.
Ich zittere.
Sie hatte gerade, wie der Meister es immer tut, die toten Püppchen nach Wertvollem durchsucht, als sie gerade noch rechtzeitig den ersten Dornendrescher herandonnern hörte. Bevor er die Stelle, an der sie kniete, mit einem Hieb zerschmetterte, ist sie weggesprungen. Kleine Leichen fliegen durch die Luft. Sie knurrt.
"Habt ihr nicht gelernt, eine Frau nie bei etwas zu unterbrechen?"
Während der erste noch schwerfällig seinen Keulenarm hebt, rammt sie ihm eine Klaue in die Brust, springt, und die zweite landet höher in ihm. Zwei weiß glühende Kugeln beginnen, schnell um sie herum zu wirbeln. Hm...? Da stößt sie sich ab, krümmt den Rücken fast ganz durch, und tritt ihm kopfüber ins Gesicht. Da - eine kleine Explosion entweicht ihren Sohlen, und Späne fliegen überall hin, als die Kugeln verschwinden! Der Körper ihres Gegners zuckt, und als sie mit einem halben Salto auf dem Boden landet, geht er urplötzlich in irrsinnig schnell brennenden Flammen auf, die in weniger als einer Sekunde Nichts zurücklassen...doch, eine seltsamerweise völlig ungeschwärzte ovale Holzscheibe, die auf dem Boden liegen bleibt. Ich bin beeindruckter denn je.
"Verdammt, das wird nicht leicht - komm, wir verhindern, dass sie abhaut, falls meine Diener es nicht schaffen!"
Der Anführer, mit mir noch zurückgeblieben, rennt um die Frau herum, und ich folge zögerlich - sie scheint zurecht zu kommen...die Baumwände verengen sich hier zu einem schmalen Durchgang, der einzig andere Weg aus der Lichtung neben dem, über den die Drescher und ich kamen.
"Versteck dich in diesem Gebüsch, du bist meine Rückendeckung, falls was schief läuft. Ah - aber die Jungs haben sie eigentlich unter Kontrolle."
Mit Entsetzen sehe ich, wie drei Dornendrescher sie umzingeln und ihre Keulen heben. Ich hätte sofort eingreifen sollen! Jetzt ist es zu spät...sie blickt gehetzt um sich...und springt im letzten Moment zwischen des Einen Beinen hindurch. Sofort rollt sie sich aufrecht, während ich innerlich aufatme...und blickt auf eine Wunde an ihrem Oberarm: Da kam ein Dorn zu nah.
"Tja, Kinder, war schön, mit euch zu spielen, aber wir raufen ein ander Mal, ja?"
Sie streckt kniend ihre rechte Hand aus und hält die Klinge daran senkrecht nach oben; auf einmal...verdunkelt sich die Sonne. Was? Das erinnert mich zu sehr an...aber nein, sie ist nicht überrascht, es war ihr Werk. Die Drescher sind verwirrt, über ihren Köpfen schweben graue Wölkchen, Symbole der Blindheit, die sie überfallen hat, wie die orangen Flämmchen ein Symbol für den Verstärkten Schaden sind, den der Meister flucht. Ohne Orientierung stolpern sie herum, sie nutzt die Gunst der Stunde - und rennt direkt auf mich zu.
Da tritt der Anführer in ihrem Weg, und sie kann gerade noch ihren Sprint abbrechen, bevor sein Arm direkt vor ihr niederfährt. Ein Grinsen liegt in seiner Stimme.
"Netter Trick, aber damit beeindruckst du höchstens meine Diener..."
So, das reicht jetzt. Ich stehe auf.
"Also, ich bin beeindruckt..."
Alles liegt klar und deutlich vor mir, jedoch in schwarz-weiß; ich kann im Dunkeln sehen - klar, so sehe ich auch meine Handflächen, wenn ich sie vor die Augen lege.
"Du solltest doch in Deckung..."
"Ich sollte dir auch nicht in den Rücken fallen, tue ich aber."
Bevor er kapiert, was Sache ist, forme ich meine plumpen Finger zur Faust - was ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte: so ungeeignet sie für Feinarbeit zu sein scheinen, so perfekt formen sie einen Keil mit Dornen an den Spitzen, den Knöcheln - und ramme sie mit voller Wucht über den Hüften in seinen Körper. Das gewaltige Krachen, das mich belohnt, verrät mir, dass hinter dieser glänzenden, nichtssagenden Hülle eine gewaltige Kraft steckt, und Splitter sprühen. Ein keuchender Schrei entweicht ihm, da zuckt er noch einmal mehr, zweimal...und plötzlich überzieht mich ein Spanregen, als sein Torso explodiert. Kurz darauf brennt das Holz, das meine Faust umgibt, blitzschnell ab und ich starre der Frau in die klar sichtbaren Augen im halb durchscheinenden Helm, die sich gerade von einer Landung aufrichtet.
"Danke, dass du ihn abgelenkt hast. Darf ich fragen, warum?"
"Er hat eine Frage nicht beantwortet. Verschieben wir den Rest auf später? Die Anderen kommen."
Noch vier überlebende Dornendrescher stürmen auf uns zu, sichtlich wütend und offenbar nicht mehr blind - ja, die Welt hat wieder Farbe, und die Wölkchen haben sich aufgelöst.
"Na dann - zeig, was du kannst!"
Damit wirbelt sie herum und rennt den Gegnern entgegen. Die-ist-doch-irre...
Ich renne hinterher.