Kapitel 67 – Die Macht des Glaubens
„Ach du Scheiße...“
Isenhart trifft den Nagel gut auf den Kopf. Wie viele sind das...? Ich überschlage kurz im Kopf: siebenundzwanzig. Drei in bauschigen roten Roben mit weißen Schulterverzierungen und ohne Waffen, und drei Achtergruppen mit langen Knüppeln, Hellebarden und Bardiken; zwei davon haben blaue Haut, eine rote wie der erste von ihnen, den ich vorher verscheucht habe.
Der steht sogar dabei.
Der Zweite hat scharfe Augen; gut, die gleichen wie ich...aber er weiß sie immer noch besser einzusetzen. Die Mutationen durch den Einfluss des Bösen verzerren die Gesichtszüge der Gläubigen stark, aber sie sind immer noch gut individuell unterscheidbar. Das aber nur äußerlich. Als die Menschen nach draußen treten, herrscht für wenige Sekunden Stille, dann dringt ein Ruf aus allen Kehlen gleichzeitig.
„Ungläubige!“
„Moment mal hier!“
Der Meister stellt sich vor mich und breitet beschwichtigend die Arme aus.
„Wir sind keine Ungläubigen. Euere Religion ist uns heilig, wir haben größten Respekt vor euerer Überzeugung. Alles, was wir hier wollten, war Herold unsere Verehrung zu erweisen. Leider sind seine Tempel offenbar von den Schergen des Bösen überrannt worden; wir verabscheuen diese Monster so sehr, wie ihr es sicher ebenfalls tut, die Mächte, die euch diese Veränderungen angetan haben, sind unsere erklärten Feinde! Lasst euch nicht von meinem gewählten Pfad täuschen...mein vorrangiges Ziel ist es, Mephistos schwarze Herrschaft zu brechen und Jeden hier von seinem Joch zu befreien!“
Ich halte innerlich den Atem an. Wird seine eigene Magie, das Talent, die Herzen einer Menge mitzureißen, gegen diese gequälten Diener eines uns fremden Gottes wirken? Sind sie überhaupt bereit, uns zuzuhören, oder geht es ihnen wie den Jägerinnen, die ihren eigenen Willen völlig verloren hatten?
Hm...dafür, dass sie gerade sehr unisono waren, wirken Einige von ihnen doch deutlich mehr beeindruckt von der kleinen Rede, als sie sein sollten.
Tatsächlich blicken manche der Zakarumiten wie hilfesuchend nach hinten zu den rotberobten, deren Mienen absolut unlesbar sind. Ein leises Murmeln kommt auf in der Menge unter uns. Isenhart flüstert dem Meister etwas zu.
„Denkt Ihr wirklich, dass das was bringt? Die sin doch Alle irre geworden!“
Ich sehe eine Schweißperle den Nacken des Totenbeschwörers hinunterlaufen. Leicht neigt er seinen Kopf nach hinten, die Menge immer im Auge behaltend.
„Das sind Menschen wie du und ich, die ein schreckliches Schicksal getroffen hat! Ich weigere mich zu glauben, dass sie verloren sind – schau nur, sie zweifeln.“
Da wechseln die Waffenlosen Blicke, und der mittlere von ihnen, der die rothäutige Gruppe anführt, tritt einen Schritt nach vorne.
„Blasphemie! Deine Worte sind wie das Gift des Dolches, den du an deinem Gürtel trägst, Totenbeschwörer! Viel kannst du uns erzählen, doch gleich brackigem Wasser wäscht durch unsere Ohren der Inhalt dessen, was du sagst. Beweist nicht deine Bindung einer armen Seele an deiner Seite in Knechtschaft, was du wirklich von Freiheit hältst? Lächerlich, dein Versuch, uns zu beeinflussen! Und schamlos! Du wagst es, im Namen des Heiligsten an uns zu appellieren? Eine Perversion! Dafür kann es nur eine einzige Strafe geben. Tötet den Ketzer!“
Mich trifft fast nicht, wie sehr der Meister gerade in seinem Versuch, Überzeugungsarbeit zu leisten, gescheitert ist, weil mir ein Teil der Anklage noch immer in den Ohren widerhallt.
Die Bindung einer armen Seele...
Du wirst doch nicht diesen Verblendeten...
„Halt! Es ist nicht so, wie ihr denkt! Ich bin nicht gebunden, ich bin mein eigener Herr! Aus freien Stücken helfe ich dem General bei seiner Mission, der wichtigsten überhaupt. Bitte zieht keine übereilten Schlüsse...mir könnte es nicht besser gehen als an seiner Seite!“
Ich stelle mich an diese. Der Meister wirft mir einen schnellen Blick und eines der dankbarsten Lächeln zu, das ich je gesehen habe. Das Gesicht des Sprechers der Gläubigen verzerrt sich in unverkennbarer Wut...aber nur für einen Augenblick. Mit deutlicher Bemühung glättet er seinen Ausdruck.
„Oh, wie grausam! Seht, wie sehr der schreckliche Meister seinen Golem unter Kontrolle hat. Er zwingt ihn, seine widernatürliche, gequälte Existenz offen zu preisen, welch ekelhafte Tat! Verzage nicht, du arme Kreatur...wir werden dich von deinen Leiden erlösen.“
Flehend streckt der Meister die Hand aus.
„Bitte, wir wollen keinen Streit...“
„Schweig!“
Wie in einer Parodie geboren aus schwärzestem Humor streckt der Gegner dem Meister von der Ferne die Hand entgegen...aber aus ihr spricht kein verzweifelter Versuch, eine Geste der Einigkeit zu zeigen, stattdessen formen sich Funken darum, und ein in gerade Linie fokussierter Blitzstrahl schießt direkt auf den Meister zu.
Schnell reiße ich die Hand hoch, ohne nachzudenken, was Elektrizität für mich bedeutet, um sie in den Weg des Zaubers zu bringen...aber ich handle nur aus Reflex, und statt meinen Arm vor der Brust des Meisters hochschießen zu lassen, treffe ich ihn an der Seite. Er zuckt zusammen...und der Blitz streift nur seine Schulter. Schlimm genug...mit einem Aufschrei krümmt sich sein Rücken, und er geht in die Knie.
„Nein...“
„Für das Licht!“
Gegner kommen die Treppe hochgestürmt. Ich stütze den Meister auf, der unter dem Knochenhelm die Zähne zusammengebissen hat. Da stellt sich, was mich sehr überrascht, Isenhart auf seine andere Seite.
„Für das Licht, ha, ihr kleinen Bastarde? Das ich nich lache, Mephi hat euer Hirn noch mehr verdreht, als eure machtgierigen Führer vorher, jetzt mach ich das Gleiche mit euren Körpern! Hätte man längst schon machen solln!“
Die Skelette strömen an uns vorbei uns bauen sich drohend auf. Der Meister kommt zum Stehen.
„Bitte...versucht, so wenig wie möglich zu töten.“
„Okay, jetzt bin ich überzeugt, dass Ihr irre seid. Das isn Schwert. Mit dem kann man nur töten. Was soll ichn, den Knauf gegen die Riesenäxte da nehmen? Wollt ihr, dass ich kämpf, oder nich?“
„...ja. Wir brauchen jeden Arm. Und wir haben...keine Wahl. Tu...was du kannst.“
Das schmerzt. Mich auch. Aber was sollen wir tun? Sie stürmen heran, in pervertiertem Fanatismus, von den umgedrehten geistigen Anführern gelenkt wie eine Horde Schafe...mit tödlichen Waffen. Ich werde tun, was ich kann, aber ich bin auch nur ein Schwert...eine tödliche Waffe. In dieser Form mehr als je zuvor.
Eine Axtklinge knallt auf einen Wächterschild, der gekonnt ablenkt; noch ist der Meister gut dazu in der Lage, solche Bewegungen zu koordinieren, aber schon bald werden wir so geflutet sein von Gegnern, dass jedes einzelne Skelett nur noch zu rudimentären Kampfleistungen fähig sein wird. Und dann ist auch nicht mehr möglich, was der Wächter jetzt tut: Seinen Gegner die Faust in die Magengrube zu rammen. Gefolgt von einem gewaltigen Hieb des Schildrandes auf den Hinterkopf; der Zakarumit geht wie ein nasser Sack zu Boden.
Ich dränge mich zwischen zwei normalen Skeletten durch, fange einen Hieb ab, der auf eines von ihnen gerichtet war, indem ich einfach die Keule knapp unterhalb des garstigen Morgensternkopfes packe, reiße das Ding aus den Händen des überraschten Gegners und ziehe es ihm über.
Hm, so gehts natürlich auch. Ich behalte das Ding.
Nur braucht das ein wenig mehr Platz, nicht? Und so was wie...Fähigkeit.
Worauf willst du hinaus?
Schwing deinen Metallhintern mitten ins Getümmel, wenn die uns schlagen, sind sie eh selbst schuld, und dann lass mich dir mal zeigen, wie man so etwas bedient.
...du tötest Niemanden.
Wenn mir einer in den Schlag läuft, kann ich da Nichts machen. Aber ich verspreche, nicht aktiv mit dem stachligen Ende auf die Gegner zu zielen.
Bist schon sehr scharf drauf, ein paar Köpfe einzuschlagen, oder?
Im Gegensatz zu dir, ich weiß. Setzt du dich jetzt in Bewegung, oder was?
Ich stürze mich ins Getümmel. Neben mir rammt Isenhart sein Schwert in die Magengrube eines Rothäutigen. Der Meister hält Schwäche auf allen Gegnern aufrecht, was diese völlig aus dem Konzept bringt – gut. Kurz kalkuliere ich die Freifläche, die uns auf den knappen Absatz der Tempelspitze bleibt zwischen dem Eingang in den Steinquader und dem Beginn der Treppen...die geflutet sind von Gegnern...das müsste klappen.
Stehst du das?
Wenn nicht, steht von denen auch keiner mehr, also ist es einen Versuch wert. Ich trete ein paar Schritte zurück, hebe die schwere Keule mühelos auf Schulterhöhe, laufe nach vorne, ramme den Stachelkopf in den Boden und katapultiere mich über die Frontlinie hinweg.
„Aus dem Weg!“
Die Gläubigen unter mir gehen so weit, sich gegenseitig die Seiten der Treppe hinunterzuschubsen, als ich von oben komme. Irgendwie habe ich die Fallhöhe doch unterschätzt...so steil ist der Aufgang zwar nicht, aber...gah. Mit lauten Klirren komme ich auf einer Stufe auf, rudere ein wenig mit einem Arm, aber mein improvisierter Sprungstab ist zum Glück schwer genug, mich zu stabilisieren.
Zeit für ein Tänzchen!
Der Zweite erhält Kontrolle, und sofort packt er die Waffe anders, besser balanciert, die ersten Gegner haben sich schon gefangen und beginnen, auf uns zuzustürmen...nur um festzustellen, dass sie keine Chance haben.
Mit kurzen, präzisen Schlägen bringt der Zweite jeden Angreifer methodisch zu Fall, der in Reichweite kommt, reißt einen von den Beinen, der anfängt, die Treppe herab zu purzeln, lässt plötzlich den Keulengriff über seinen Kopf nach hinten sausen und direkt auf den Kopf eines Gegners, den er gar nicht gesehen haben kann...
Aber gehört.
...und eine kleine Pirouette auf der Stelle bricht einige Rippen, noch ein Gegner geht zu Boden. Wie ein Derwisch wirbelt mein ungelenk geglaubter Körper herum, bildet eine effiziente Blockade für jeden nachströmenden Gegner, da die Treppe gerade so breit ist, dass die Waffe sie vollständig abdeckt. Und ohnmächtige oder sich windende Gegner tragen zusätzlich zur Behinderung der übrigen bei...
Moment Mal.
Ein Schmetterer gegen eine Schläfe, ein Stoß in die Magengrube, und da löst sich eine Hand von der Waffe, um eine herabsausende Klinge zur Seite zu schlagen...
Das kann doch nicht...
„Lernt ihr es nicht?“
Um seinen Satz zu unterstreichen, donnert der Zweite unsere Stahlknöchel in eine Schulter, die mit einem ekelhaften Knacken zersplittert.
Lernst du es nicht? Mach mal die Augen auf!
Ruhe auf den billigen Plätzen!
Du hast den Kerl gerade das dritte Mal zu Boden geschickt!
...oh.
Ja, „oh“. Meine Gesichtserkennung funktioniert noch. Was zur Hölle geht hier vor sich?
Wir bekommen eine Keule an den Hinterkopf. Der Gegner brüllt, und der Zweite reagiert, indem er ihm den Kopf von den Schultern fegt.
Was machst du da?
Entschuldigung, ein Reflex. Also, warum sind diese...
Als er sich wieder zu dem auf dem Boden liegenden Gegner mit der zertrümmerten Schulter umgedreht hat, müssen wir beide feststellen, dass dieser putzmunter vor uns steht und gerade ausholt.
Das gibt es nicht.
Deine Schläge sind auch nicht mehr, was sie mal waren, oder?
Ruhe!
Er duckt sich vor dem Schlag weg – offenbar hat der Kerl noch leichte Schulterprobleme – und versenkt unser Schwert in dessen Bauch. Kannst du jetzt mal aufhören mit dem Töten?
Die Alternative hat sich ja auch als sehr nützlich erwiesen bisher, genau, machen wir damit weiter!
Da tönt von oben die Stimme des Meisters durch den Kampflärm.
„Golem, die Zauberer heilen die Kämpfer ständig! Wir können sie nicht ausschalten, ohne sie zu töten, wenn wir uns nicht zuerst um die kümmern!“
Könnte ich es, würde ich scharf Luft einsaugen. Das ist eine gute Erklärung. Und eine sehr schlechte Nachricht gleichzeitig. Wir sind fast gezwungen, den Gegnern das Lebenslicht endgültig auszublasen...
Ohnehin viel logischer. Dann machen wir uns mal dran.
Nein! Wir kümmern uns um die Heiler!
Du denkst mal wieder unpraktisch. Und was ist mit den ganzen Gestalten hier auf der Treppe?
Lass die Gestalten Gestalten sein! Wenn die Heiler ausgeschaltet sind, können wir verschonen!
Du bist – leider – der Boss.
Er packt wieder eine fallen gelassene Stangenwaffe.
„Aus dem Weg!“
Scheinbar wild, in Wirklichkeit sehr präzise um sich schlagend, schreitet der Zweite zügig die Treppe herab. Bald sind die Gläubigen und Zakarumiten – was sie schon die ganze Zeit versucht hatten, aber bisher einfach nicht geschafft – an uns vorbeigelaufen, um oben mit gegen die Skelette zu kämpfen, und nur noch ein Wache steht vor jedem Heiler.
Das dürften ehemalige Küster sein.
Soso. Also mit gewisser geistlicher Macht?
In der Tat. Darum hören die anderen auf die.
Klingt logisch...die Wachen rennen auf uns zu. Drei gegen einen Golem vom Format des Zweiten? Keine gute Idee. Er weicht aus, nimmt einen Schlag hin, den er harmlos an unserer Hüfte abprallen lässt, und stößt unser Schwert in eine ungeschützte Brust. Diese Zweihandwaffen lassen einen schon sehr offen für Gegenangriffe...der nächste Gegner fällt schon, mit nur noch einem Arm.
Das reicht aber nicht. Schon stemmt er sich wieder hoch, mit beiden Ellenbogen...und das erste Schwertopfer steht ebenfalls wieder.
Gah, zu kurz gestoßen mit deinem Zahnstocher...
Meine freie Hand schießt vor, und ein gerade waffenloser Gegner sieht mir auf einmal ganz nah in die Augen.
„Ob die das wohl auch heilen können?“
Beim betonten Wort stößt der Zweite das Schwert blitzschnell nach vorne und dreht es direkt im Herzen des blauhäutigen verwirrten Zakarumiten um neunzig Grad. Eine definitiv nicht mehr lebendige Leiche sinkt zu Boden, uns mit Blut besprühend.
Agil duckt sich der Zweite dann unter weiteren Schlägen weg und sorgt mit etwas weniger Gehabe für nicht mehr aufstehende Feinde. Tropfendes Schwert ausgefahren wendet er sich den Küstern zu.
„Ihr seid dran.“
Der Anführer wechselt einen Blick mit den beiden neben sich wie zuvor, von der Ansage des Zweiten völlig unbeeindruckt. Äh, du solltest...
Drei Blitze treffen zeitgleich unsere Brust, viel zu schnell, um ihnen ausweichen zu können. Ich schreie laut auf, unwillkürlich die Kontrolle dafür an mich reißend, und klappe ohne Kontrolle über meine magischen Muskeln zusammen.
„Welch bedrohliche Ankündigung, kleiner Golem.“
Weitere Blitze treffen mich. Ich kann nicht mal mehr schreien, als die Agonie durch meinen Körper fährt. Es ist wie der Beschuss durch die Seelen...unaufhörlich überspülen mich Schmerzwellen, und ich versinke...langsam...in...Dunkelheit...
Nein! Mühsam raffe ich meinen Rest Konzentration zusammen. Auch gegen die Seelen...war ich...siegreich...
Mein erster Schritt lässt mich fast wieder umfallen, als die Landung meines Fußes mit zwei Treffern in den Kopf korreliert, aber ich schaffe...es...der Schmerz dringt in mein Bewusstsein ein, versucht meine Gedanken abzuschalten, aber mit gewissem Entsetzen muss ich feststellen, dass er mir weniger ausmacht als zuvor, weil ich langsam, aber sicher daran gewöhnt bin. Schritt um Schritt setze ich meinen Weg auf die Gegner zu fort, und die schon zurückgewichenen Unterstützungsküster werden langsam nervös...nur der Anführer bleibt standhaft, mit einem Grinsen im Gesicht.
Was soll das bringen? Sie müssen nur langsam zurückweichen, und dein Schlurfen ist sinnlos!
Ich...gebe...nicht...auf...was soll ich denn sonst...tun...mich hinlegen und...sterben?
Noch ein Schritt...noch einer...meine Gelenke beginnen, miteinander zu verschmelzen...ich werde steifer...und da habe ich den Anführer erreicht. Er ist nicht zurückgewichen. Das...ist...dein letzter...Fehler...weil ich...leite...
Meine Hand packt seine Schulter. Er müsste sich selbst grillen! Zu mehr als dieser Geste habe ich keine Kraft...
Sein Grinsen trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht, als es über mir aufscheint. Völlig unbeeindruckt ist er von den Funken, die über seine Schulterzierden tanzen.
„Nicht übel, schwacher Diener des Guten, aber unser neuer Herr ist wohl doch stärker, als du dachtest, hm?“
Betont sanft legt er seine Hand auf meine Stirn und schubst mich mühelos um. Meine Kräfte schwinden rapide.
„Und diese Kraft zu besitzen fühlt sich gut an...ungleich dem Gefühl, das du offenbar gerade spürst, aber keine Sorge. Das geht vorbei...“
Funken umtanzen seine erhobene Hand...da schreit er auf. Etwas fällt zu Boden. Er starrt auf einen kleinen Schnitt an seinem rechten Arm. Grinsend hebt er seinen Kopf nach oben.
„Der beste Werfer seid Ihr nicht, Totenbeschwörer! Das rettet Eueren Golem ni...“
Sein Grinsen wird zu blankem Entsetzen, als von der winzigen Wunde ausgehend unter dem Stoff seiner Robe bis in die Hand und in der anderen Richtung ähnlich das Fleisch an seinen Knochen zu verfaulen beginnt, schon nach dieser kurzen Zeit von seinen Fingern tropft.
„Heilt mich!“
Seine Stimme ist ein unmenschliches Kreischen reinster Todesangst. Schnell reagieren seine zwei Untergebenen, heben beide Hände, die von kränklich wirkendem Licht umspielt werden, und seine Muskeln verfestigen sich wieder dort, wo sie hingehören. Schwer atmet der Küster, mit Hass auf das Objekt starrend, das ihn getroffen hat – das Jade-Tan-Do. Natürlich.
„Was für ein schönes Instrument, das. Man sollte es...besseren Zwecken zuführen...hab ich gesagt, ihr sollt aufhören? Gah!“
Immer noch fließt das Gift durch sein System, und die beiden Unterstützer müssen nunmehr konstant dafür sorgen, dass ihr Anführer ihnen nicht vor den Augen zerfällt. Er zittert vor Schmerz und Wut.
„Es ist nur...eine Frage der Zeit...bis das Gift aufhört zu wirken...aber davor kann ich dir schon gute Nacht sagen...“
Wieder hebt sich sein Arm, und die Funken setzen ein. Ich habe keine Kraft mehr...mein Ende wartet. Vorerst. Wenn nur der Meister überlebt! Ich starre meinem Mörder ins Gesicht. Dich werde ich mir merken. Und ich komme zurück für deinen Kopf. Warte nur.
Der Blitz fliegt los...an mir vorbei, über meinen Kopf hinweg. Was...?
„Nein! Zurück! Ihr verdammten...“
„Kümmer dich um seine Gehilfen, er ist schon tot!“
„Ihr werdet in der Hölle schmoren!“
Wieder ein Blitz, ein Schrei, aus Meisters Kehle. Sind sie...hier unten?
Natürlich, die Küster waren gerade die ganze Zeit mit uns beschäftigt, die konnten ihre Diener nicht mehr heilen...und wenn ich mich nicht verhört habe, hat der Meister gerade mit zwei Sprengungen vollendete Tatsachen geschaffen.
Das habe ich nicht gehört, aber es wird schon stimmen...noch ein Blitz trifft den Menschen, der irgendwo hinter mir steht...oder liegt. Nein! Wenn dieser Bastard jetzt den Meister tötet, ist Alles...da verschwinden die Funken um dessen Hand, ein hohes Quietschen tönt aus seiner Kehle, und er bricht in die Knie, aschfahl werdend.
„Mephisto...meine Seele...gehört Euch...ich fahre in die Hölle...Eueren Namen preisend...“
Die Fäulnis erreicht die blasphemischen Lippen, und er ist still. Ich teste meine Gelenke und schaffe es, mit viel Anstrengung auf die Ellenbogen zu kommen. Hinter der völlig ruinierten Leiche steht Isenhart und putzt sein Schwert an der Robe des zweiten Küsters; der Kopf des anderen liegt vor seinem Körper, auch diese Verletzung einem Schwerthieb geschuldet. Mich völlig ignorierend geht des Söldner dann nach vorne, das Jade-Tan-Do aufhebend und weiterschlendernd.
„Is Eures, ne? Guter Wurf.“
„Danke...“
„Nur meine Pflicht oder so, nech? War mirn Vergnügen...“
Scheint so, als wäre sein Nutzen doch nicht so nicht vorhanden, wie du dachtest...
Bring erst mal deine Gedanken in Ordnung, du klingst ja verquaster als Deckard zu schlimmsten Zeiten. Aber ja, vielleicht hätte das ohne ihn auf andere Art eklig werden können.
Wie viel ekliger als „tot“ geht es denn?
Es hätte nur uns erwischt. Der Meister wäre doch nicht so ein Risiko eingegangen wie gerade, nur um uns beide zu retten, hm? Er kann uns immerhin jederzeit wieder beschwören, was sogar du gerade bedacht hast. Isenharts Präsenz hat ihn dazu gebracht, gerade diesen Angriff zu starten, und es hat ihm zwei Blitze eingebracht. Es ist möglich, dass er alleine mit den Skeletten ein Problem gehabt haben könnte gegen die noch lebendigen Küster – aber mehr will ich hier nicht zugestehen.
Ich für meinen Teil bin dankbar, dass wir das überstanden haben...
Doch wie nur! Nachdem wir Alle wieder auf den Beinen sind, muss ich bei einer schnell angeordneten Suche feststellen, dass von den siebenundzwanzig Gegnern dreiundzwanzig als Leichen auf dem Boden liegen...und die restlichen vier sind in einem bedauernswerten Zustand, mit fehlenden Gliedmaßen durch eine Kadaverexplosion, gebrochenem Rückgrat durch einen Fall vom Tempel wegen der Druckwelle, einer sieht so aus, als könnte er es ohne Probleme überleben – ein Wächterschlag hat ihn ohnmächtig gemacht – aber der Rest hat keine Chance...ohne einen lebenden Küster in der Nähe.
„Hast du Überlebende gefunden?“
Ich deute auf sie, ihren Zustand erklärend. Der Meister schneidet eine Grimasse der Schuld. Dann schließt er die Augen und atmet tief durch.
„Ich hoffe, dass wir nicht zu spät dran sind hierfür...“
Er greift an seinen Gürtel und zieht zwei Heiltränke hervor.
„Du nimmst die beiden da links. Ich kümmere mich um die hier.“
Er will was tun?
„General, was solln das jetz? Die ham versucht, uns zu töten!“
„Schuld der Küster! Die haben verdient, was sie erhalten haben. Diese verwirrten Diener einer falschen Klasse von Anführern verdienen Nichts als Mitleid...und jede Hilfe, die wir ihnen geben können. Es ist nicht ihre Schuld, und ich will nicht mehr Blut von Unschuldigen an meinen Händen haben, als ich irgendwie vermeiden kann...“
Er schluckt mit einem Blick über das Schlachtfeld.
„...es sind eh schon viel zu viele.“
Wir zwingen rote Flüssigkeit schwache Kehlen hinunter. Ich spare mir den ohnmächtigen ohne größere Verletzungen – wir müssen wirklich nicht Heiltrank bewusst verschwenden, wenngleich ich mit dem Meister übereinstimme, dass die Heilung derer, die nur den Anweisungen von machtgierigen Verrätern folgen, ein Gebot unserer Menschlichkeit ist.
Langsam richten sich zwei der Geheilten auf. Der dritte Trankempfänger...hat ihn zu spät bekommen. Ich sehe, dass einer der Geretteten der ist, den ich als Ersten getroffen hatte. Er ist es auch, der zitternd den Blick des Meisters sucht.
„...warum?“
„Ich bin nicht euer Feind. Was ich vorher sagte...es stimmt. Meine Mission ist es, Mephistos Einfluss über Kurast zu brechen und euch die Freiheit wiederzugeben.“
Der Andere zuckt zurück.
„Welcher Einfluss? Wovon redet Ihr, Nekromant? Seid ihr verwirrt? Was fällt Euch überhaupt ein, hier in diese heilige Tempelstadt einzudringen, unschuldige Gläubige in Scharen zu töten, und etwas von einer Mission zu faseln...ich...das ist abscheulich! So viele Tote! Wollt Ihr mich verspotten, weil Ihr mich verschont?“
„Aber...“
„Kein Wort mehr! Ihr...Ihr seid krank! Hebt Euch hinweg von hier, wir werden Alles tun, um Euch Monster von hier zu vertreiben! Wenn Ihr noch einen Funken Verstand habt...verschwindet!“
Damit springt er auf, sein Mitgläubiger tut es ihm nach, und sie rennen weg.
„Wartet...!“
Aber sie sind verschwunden, verloren für uns. Der Meister lässt sich zu Boden fallen.
„...wie können sie das nicht bemerken...“
Ich weiß es.
Sprich.
„Die hypnotische Kugel, Meister. Sie verwirrt ihren Geist – offenbar glauben sie, sich immer noch in einem völlig normalen Kurast zu befinden, in dessen Tempeln brav Herold angebetet wird. Wir sind für sie nicht mehr als wahnsinnige, mörderische Eindringlinge, die ins Gesicht ihrer Religion spucken.“
Seine Miene entgleist. Isenhart legt den Kopf schief; die Frage, was die hypnotische Kugel ist, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Gleich wird der Meister – mit meiner Unterstützung, denn ich denke, die Erkenntnis des Ausmaßes des Bösen, das gegen uns steht, hat uns schwer getroffen – dem Söldner erklären, was es damit auf sich hat.
Bis die Worte beginnen, erlaube ich mir ein paar Momente tiefster Betroffenheit.
Für die Zakarumiten sind wir böse Eindringlinge – sie handeln aus reinster Überzeugung gegen uns. Und wir müssen sie töten, solange die Küster als Heiler dabei sind...
Wie sollen wir mit diesem Dilemma umgehen?