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[Story] Göttertraum

cool du kannst auf der ,aloche deine "arbeit machen :cool:

auf jeden nen tolles kap :)
 
Naja, so ein oder zwei Seiten kann ich an manchen Tagen schon hinkritzeln. Abhängig davon, wieviel Leerlauf gerade ist, und, ob meine Kollegen gerade quatschen wollen. :p
 
Da ist man mal einen Monat in Cuba, kommt zurück und stellt dann fest, dass sich die kapitelanzahl in etwa verdoppelt hat. Gefällt mir irgendwie :D

werd mich heut abend mal ans lesen machen, sinnvolle Kommentare gibts danach.
Grüße Krauth

€: joa, gefällt. besonders das letzte kapitel mit maro fand ich spitze, richtig schön irreal und auch leicht fatalistisch.
Außerdem gefällt mir noch die schöne parallele zwischen aradeia und akara, beide hauchen in gewisser weise mittels magie ihren untergebenen leben ein und beeinflussen sie dahingehend, dass sie ihnen ohne zögern und verstand folgen. Ich denke, das hat jilis erkannt und ist deswegen abgehauen. (Oder sie wollte nicht als Marionette einer Seite missbraucht werden.) Beide Parteien gehen eben mit ähnlichen Mitteln vor, wer da gut und böse ist, lässt sich nicht mehr sagen.

Wo du denke ich aufpassen musst, ist bei den Kampfsequenzen. Da tendierst du für mich zu sehr dazu, jede Kampfhandlung akribisch zu erläutern. Ich fände es da schöner, wenn du mehr die Eindrücke der Akteure darstellen würdest, als von jeder einzelnen Bewegung zu berichten. (Aber das Thema hatten wir ja schonmal :D )
 
Zuletzt bearbeitet:
schönes kapitel, man kommt ja kaum mit dem lesen nach ;)


nicht mal wieder lsut auf ein spielbericht :hy:
die fand ich auch immer toll.
 
Das ist mein diabolisches Vergnügen, dass ihr mit dem Lesen nicht nachkommt.:lol: ;)
Spielberichte... Wohl eher nicht, ehrlich gesagt. Es gibt im Moment noch ca. 50 andere Spiele, die ich mal spielen will, Final Fantasy Dissidia habe ich nicht einmal zu einem Viertel durch, und dann will ich noch noch bei Devil May Cry 3 meinen SS-Rank-Run durchkriegen... :rolleyes:
Und dann muss ich noch 9 Stunden jeden Tag arbeiten, gehe 2 Mal in der Woche ins Fitnessstudio, und ohne meine 20 Seiten in der Woche + 1 Roman durchgelesen bin ich auch nicht glücklich. Wird schwer.

Schön, dass du wieder dabei bist, martini!
Dass die Kampfsequenzen immernoch so lahm sind, das muss ich mal untersuchen, wenn ich die Geschichte fertig habe und sie "verdaut" habe, und den subjektiven Blickwinkel überwunden.
Dass dir das Maro-Kapitel gefällt, ist wieder lustig. Den anderen gefällt es nicht. :D

Auf die Schnelle(und trotzdem durchkontrolliert) kommt hier erst einmal das nächste Kapitel. Der Titel bedeutet nicht unbedingt, dass es das bedeutendste der Geschichte ist... Aber es kommt eben die Szene drin vor, die der Geschichte zu ihrem Namen verholfen hat. ;)





XVI Göttertraum

Tyreé prüfte die Spannung ihres Bogens. Bald schon würde die Waffe Leben fordern – nicht mehr als nötig, wie sie hoffte.
Die dichten Haselsträucher verdeckten die rastenden Kriegerinnen vor ihnen. Es war jetzt die letzte Chance.
„Wieso gehst du nicht zurück zu deiner Einheit?“, fragte Kaschya. Durch das Blätterdach drang nur ein schwacher Hauch Mondlicht zu ihr. Sie kauerte im Schatten wie ein Wolf.
Aber nicht wie ein Wolf, der auf sein Opfer lauerte, sondern wie einer, der selbst Opfer geworden war und sich jetzt vor den Blicken verbarg.
„Ist das ein Befehl?“
Tyreé spähte hinaus zu den rastenden Grüppchen. Auch ihre war darunter. Eine Dutzendschaft, die sie anführen würde. Als Speerspitze würden sie durch einen Spalt im Westtor dringen, das die Späher ausgemacht hatten. Kaschyas Schlachtplan stand... aber es gab noch mehr, das den Ausgang dieses Kampfs bestimmen würde.
„Als wäre ich noch im Stande, Befehle auszugeben, Tyreé.“
„Das bist du. Du hast den Haufen, der von uns übrig war, zu einem Heer geformt.“
„Ja, auf den Befehl von Akara hin. Siehst du das nicht? Ihr seid das Eisen, ich bin der Schmiedehammer, und sie ist diejenige, die den Hammer führt. Sie ist auch diejenige, die das Schwert schwingen wird, wenn es fertig geschmiedet ist.“
„Gefallen dir die Bilder, die du dir da malst? Vielleicht ja, weil du dir dann einreden kannst, dass du zumindest darin einen schönen Platz hast. Den und nämlich das ganze, hübsche Bild würdest du zerstören, wenn du dich daraus erheben würdest.“
Die Gräser raschelten, und Kaschya trat unter den Ästen hervor. Ihr Kettenhemd spiegelte Streifen von Mondlicht.
„Wie sprichst du mit deinem Hauptmann?“
„Verzeih, Kaschya. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, mit einer Geringeren zu reden, als du es bist.“
Ihr Hauptmann seufzte.
„Was soll ich tun? Egal, was ich versuchen würde - Akara ist eine Zauberin, und im Alter lässt die Kraft der Magie nicht eben nach. Wenn sie mich nicht niederstreckt, dann tut es eine von euch, die sich danach sehnt, ein ‚Hauptmann’ vor ihrem Namen zu hören.“
„Ich kann auch gut ohne eine Höflichkeitsform auskommen.“
„Du schon–“
Tyreé nahm sie an der Schulter und zog sie zu sich heran. Sie musste wieder Leben in diese tote Hülle bringen.
„Genau, ich. Ich weiß nicht, was die anderen aushecken, aber du hast zumindest eine Verbündete.“
Kaschya schob ihre Hand fort und ging mit gemessenen Schritten auf die Lagernden zu.
„Eine Verbündete in welchem Kampf denn? Ich habe nicht vor, noch einen zu schlagen.“
Tyreé befeuchtete die Lippen. Sie wusste ja nicht einmal, ob Vega und Jilis sich im Kloster befanden. Aber wenn, dann konnte sie etwas tun.
Ich will aber noch einen Kampf schlagen“, sagte sie. „Ich glaube, dass Jilis und Vega im Kloster sind, und wenn wir sie nicht hinausschaffen, wird Akara sie richten lassen. Mit meinen zwölf Jägerinnen werde ich sie suchen gehen, und versuchen, sie zu retten.“
Unvermittelt blieb Kaschya stehen.
„Rette lieber dich selbst. Wenn du versuchst, was du da vorhast, wird Akara dich genau so beseitigen, und du wirst auch die Last der verlorenen Leben deiner Kriegerinnen tragen müssen. Egal, ob du Jilis retten kannst oder nicht.“
Tyreé wartete mit den nächsten Worten ab. Die Zweige raschelten an ihrer Leinenhose.
„Es ist ein Tanz mit dem Teufel. Aber ich will nicht dieses Schwert sein, das Akara da aus uns schmiedet, um es dann nach ihrem Willen zu schwingen. Ich bin mein eigenes Schwert.“
„Hm“, machte Kaschya. Langsam drehte sie sich um, und in ihren Zügen malte sich Unsicherheit ab. „Ein Schwert hat zwei Schneiden. Mit einer kraftvollen Parade treibt dir dein Gegner es ins eigene Fleisch.“
Was hieß das wieder?
„Du hast immer noch Macht, Kaschya. Wenn du dir zwanzig Schwestern zusammensuchst und sie selbst in die Schlacht führst, dann wird dich niemand aufhalten. Und im Kampfgetümmel hören sie wieder auf deine Kommandos. Akaras hehrer Glaube an den Sieg ist für die Säue, wenn die Feinde euch in die Zange nehmen.“
Kaschyas Finger tasteten über das Holz ihres Bogens. „Wohin soll ich meine Kriegerinnen dann führen?“, fragte sie halblaut. Eher sich selbst als Tyreé.
„Das kannst du dann entscheiden.“
Mehr als das konnte sie nicht tun. Wenn Kaschya sich nicht selbst entschied, ihr zu folgen, dann würde sie mehr Gefahr als Hilfe sein.
„Wie nennt sich deine Einheit?“
„Wir sind die Wolfszähne. Selbst ein Welpe hat schon achtundzwanzig Zähne im Maul, wir füllen ihm mit unseren Kriegerinnen also leider nicht einmal den Oberkiefer...“
„Er sollte zumindest ein paar Zähne auch in den Unterkiefer bekommen, damit sein Biss den Feind auch schmerzt.“ Kaschya schwieg kurz. Sah sie zum Mond auf? Dann setzte sie sich in Bewegung, in Richtung des Lagerplatzes. „Wir werden nicht mehr reden können, bevor ich den Sturm ausrufe. Aber wenn ich mir eine Einheit nehme, dann wirst du am Namen erkennen, wie ich mich entschieden habe.“
Ihre Silhouette wanderte durch die Bäume am Waldrand und hielt auf das Lager zu.
Tyreé lehnte sich an den Baum, in dessen Schatten Kaschya sich verborgen hatte.
Für die nächsten Stunden lag es nicht mehr in ihren Händen, was geschah. Erst am Morgen wieder, wenn die Wolfszähne sich durch die Tore des Klosters des verborgenen Auges beißen würden. Oder bei dem Versuch zerbrachen.

*

Die Stange der Hellebarde fegte über den Tisch und riss eine Tonschale voller Äpfel mit sich. Jilis setzte einen Fuß auf die Tischkante und stieß sich ab. Das Axtblatt fegte ihr unter den Füßen vorbei. Sie riss ein Knie hoch und schmetterte es gegen die Bronzerüstung der Dämonin. Die Glieder klirrten und sprangen durcheinander, und Taubheit rammte sich in Jilis’ Bein. Sie zog das zweite nach und warf sich nach vorn. Ihr Knie prallte gegen das Kinn ihrer Gegnerin und schleuderte ihr den Kopf nach hinten.
Wie Blitze zischten die Äxte aus ihren Händen. Eine prallte von der Brust der Dämonin ab und sprengte zwei Bronzeglieder heraus, die andere wirbelte auf ihren Hals zu.
Die Luft erzitterte wie unter dem Stoß eines Sturmwinds, dann verschwamm sie um das geflügelte Mädchen. Ihr Körper wurde blass wie Äther, verschwand gänzlich, und die Axt klirrte gegen die steinerne Wand.
Ein Hieb traf Jilis in den Rücken, streckte sie lang über den Tisch hin. Sie rollte sich zur Seite auf eine gepolsterte Liege. Über ihr schwebte ihre Gegnerin, schlug ruhig mit den Flügeln.
Offenbar verzerrte sie den Raum und wechselte ihre Position...
Dann waberte die Luft wieder, und neben ihr erschien aus dem Luftzittern eine zweite Dämonin, die ihr bis aufs Haar glich.
„Du hast lang gebraucht, Lia.“
Die zweite schwieg, und aus einer schimmernden Scheide an ihrer Seite zog sie ein Rapier, dünn wie eine gestreckte Nadel.
Jilis sprang auf, die Rapierträgerin stürzte sich mit angelegten Flügeln auf sie. Mit zwei Dolchmessern in den Händen machte sie sich zur Parade bereit. Die Rapierspitze zielte auf ihre Brust, doch plötzlich zitterte die Luft wieder, und die Gestalt vor ihr verschwamm.
Sie rollte sich zur Seite über den Tisch und hörte noch, wie der Stoßdegen über den Stoff ratschte und in das Polster fuhr.
Für diesen Kampf brauchte sie auch Augen am Hinterkopf.
Aus der leeren Luft heraus fuhr die erste Dämonin, die Hellebarde zu einem Überkopfhieb erhoben. Jilis ließ das Messer in ihrer verkrüppelten Hand fallen und legte die Finger um die Tischkante hinter sich. Das zweite Messer schleuderte sie auf das Gesicht der Dämonin.
Die Hellebarde verschwamm zusammen mit der Kriegerin, das Messer sauste durch zitternde Luft.
Jilis reagierte sofort. Sie pumpte Kraft in den magischen Arm und riss mit der Hand den Tisch hoch. Als sie sich umdrehte, manifestierten sich eben die schwarzen Schwingen, und die Tischplatte krachte gegen das, was sich dort zwischen ihr und der Steinwand befand. Ein schriller Schrei gellte durch den Thronsaal. Es klang, als seien gläserne Glocken zersprungen. Die Flügel klappten nach unten, und als der Tisch über die Liege nach unten rutschte, rollte ein Körper aus Elfenbein darüber hinweg zu Boden.
„Mireh!“, rief die zweite Dämonin. In ihren Augen flackerten Flammen auf. „Das büßt du mir, Jägerin!“
Jilis nutzte die Kampfpause und klemmte sich drei schmale Wurfklingen zwischen die Finger jeder Hand.
Fauchend raste die Dämonin zu ihr, der Stoßdegen tänzelte in einer Sturmflut aus Hieben auf ihre Rüstung zu. Jilis tauchte unter einem Ausfallstoß hindurch und sprang hinter die Gegnerin. Sie zielte erst gar nicht. Auf einem Bein wirbelte sie herum, entließ die Flugdolche in alle Richtungen, indem sie die Finger spreizte. Ein Luftzittern, dann erneut ein Schrei.
Hinter ihr sank die Dämonin auf die Knie. In ihrem einen Flügel klaffte ein Loch, im anderen zwei, und die Fetzen wehten im warmen Höllenwind.
„Spar dir deine Zauberei“, sagte Jilis. „Noch einmal täuschst du mich nicht. Komm, und wir kämpfen wie in meiner Welt.“
Der Atem der Dämonin rasselte. Ein hässlicher Missklang. „Deine Welt ist bald Asche, Menschenkind!“, fauchte sie.
"Ich bin nicht hier, um eine ganze Welt zu retten. Nur, um dich aus dem Weg zu schaffen, wenn du nicht von allein verschwindest."
Wieder zitterte die Luft um ihre Gegnerin. Ihre Gestalt tauchte vor dem beinernen Thron auf. Sie streckte die Hand nach dem Herrschersitz aus und ballte eine Faust. Die Schädel auf den Lehnen schüttelten sich und klapperten gegeneinander, dann sprangen sie in die Luft und sammelten sich um die Hand der Dämonin. Kieferknochen griffen ineinander und formten sich zusammen zu einem Wall, einen Schritt in Höhe und Breite. Ein Schild aus Gebein.
Jilis zog ein Breitschwert zur Parade und tastete an ihrem Gürtel nach einer Waffe zum Angriff. Ihre Finger glitten über die leeren Gürtelschlaufen und blieben am Griff ihres Jagdmessers hängen. Besser, als mit bloßer Hand zu kämpfen. Sie zog die Klinge.
In der Ferne brodelten die Lavaströme eines Bergs, und Lia, die Dämonin, stürmte an.
Jilis lenkte einen Rapierstoß mit der Breitklinge an sich vorüber und riss mit einem Messerstreich Knochensplitter aus dem grässlichen Schild. Dann schoss die Wand aus Gebein vor und rammte sich in sie hinein.
Sie stolperte zurück, Knochenscherben ritzten und schabten über die nackte Haut an ihren Armen und über ihr Gesicht. Ihre Gegnerin schob sie vor sich her, auf die Brüstung des Saals zu. Sie verlor immer mehr Boden. In ihren Nacken schlug eine Hitzewelle aus der glühenden Einöde.
Noch zwei Schritte bis zur Brüstung. Sie ließ ihr Breitschwert fallen und stemmte sich gegen den Schild, stieß sich zu einem Rückwärtssprung ab. Als sie sich zur Seite drehte und der Knochenwand entkam, biss der Stoßdegen nach ihrer Brust. Sie griff mit den Widerhaken ihres Messers in die schmale Klinge. Eine Drehung des Handgelenks, und beide Waffen klirrten auf den Steinboden. Die Dämonin stieß gegen die Brüstung und riss den Schild herum – ihre letzte Waffe.
Jilis nahm mit einer Drehung Schwung. Der Wall aus toten Gesichtern schoss auf sie zu.
Jetzt brauchte sie Maros Kraft, um nicht zu versagen... Sie spannte ihre Faust an, und die körperlose Macht, die ihren Arm beweglich hielt, strömte hinein. Mit aller Stärke, die sie noch in sich trug, setzte sie einen Rückhandhieb an.
Ihre Hand durchdrang den Knochenpanzer, schlug die Schädel in Stücke, und rammte sich ins Gesicht der Dämonin. Krachend brach ein Horn, und die Knochensplitter des Schilds spritzten wie Wassertropfen fort. Lia zuckte unter dem Aufprall auf der Brüstung. Sie riss Gesteinsscherben mit sich und brach hindurch. Ihr Kopf knickte nach hinten und die Flügel flatterten hinter ihr wie ein dunkler Mantel, während sie in den Abgrund fiel.
Vor dem Hintergrund des Lavagesteins verschwand sie bald.
Ein Trümmerfeld aus Knochen breitete sich um Jilis herum aus. Sie schlurfte über das Gebein und stützte sich auf die Brüstung, neben der Stelle, durch die Lia hindurchgestürzt war.
Schon der Schlag musste ihr das Bewusstsein genommen haben. Sonst hätte sie womöglich wieder den Raum verzerrt und sich vor dem Sturz gerettet.
Auf jedem Meter des Raums glitzerten Klingen, aber Jilis hob nur das Jagdmesser wieder auf. Gegen was alles hatten die Dämonen sie schon anrennen lassen, und ihr Messer hatte sie stets vor Prankenhieben und Huftritten bewahrt.
Ja, es ging nichts über ein gutes Messer.
Sie steckte es ein.
Wächter hatte die Dämonin sich genannt. Wächter des Nekromanten. Sie war hier also nahe bei ihm... Wenn sie nur durch Wände hindurchschauen könnte, so, wie er es immer getan hatte.
Sie folgte einem der Gänge, die vom Thronsaal abgingen. Schon an einer Biegung strömte ihr ein fauliger Geruch entgegen. Als der Gang endete und in einen Raum mündete, blieb sie stehen. Für einen Sekundenbruchteil sah sie, dass etwas feucht und fleischfarben im Kerzenlicht glänzte, geformt wie ein kleiner Berg. Dann kniff sie die Augen zusammen und tastete sich den Gang zurück. Nein, es blieb nur zu hoffen, dass der Nekromant nicht Teil dieses Haufens geworden war. Und das war er auch nicht. Sie drehte ihren verkrüppelten Arm und ballte die Hand zur Faust. Das ging nur, solange er noch unter den Lebenden weilte und ihr seine Kraft gab.
Im nächsten Gang war es wieder ein Geruch, der ihr als erstes verriet, was sie erwarten konnte. Kräuter. Einige, deren Duft sie aus den Wäldern kannte, und einige, die ihr fremd waren. Je näher sie der Quelle kam, desto mehr verschwammen die Düfte ineinander. Seltsam, das Gemisch kannte sie... irgendwoher.

In dem Raum bedeckten seidene Kissen den Boden, schillerten in allen Farben des Regenbogens. Mitten dazwischen, wie eingesunken in ein Meer der Farben, breitete sich das weiße Haar des Nekromanten aus. Seine Augen waren geschlossen, und das Gesicht zuckte nur manchmal, wie von einem dunklen Traum.
Endlich hatte sie ihn gefunden.
Sie schlich näher heran, über die Kissen. Auf einem goldglänzenden Tischchen stand ein Krug, in dem eine Flüssigkeit schillerte. Sie hob das Gefäß an einem Henkel und steckte die Nase hinein. Der Geruch kitzelte sie in der Nase und schien von dort ihren ganzen Körper zu durchfluten. Die Lider wurden ihr schwer... Abrupt schleuderte sie den Krug fort. Er prallte gegen die Wand und färbte die Kissen dunkel mit seiner Flüssigkeit.
Traumsud.
Akara hatte damals alle Jägerinnen vor dem Gebräu gewarnt. Es war ein Geheimnis der Mark, und dennoch fast so leicht anzufertigen wie ein heißer Tee. Jeder zweitklassige Geistseher konnte sich den Trunk zubereiten, und dann in die Welt der Träume reisen. In eine Welt, die sich nach seinen Wünschen formte.
Sie krabbelte über die Kissen zu Maro hin. Was würde geschehen, wenn jemand den Trank einnahm, der von den Wirkungen keine Ahnung hatte? Zu was würde er seinen Traum formen?
„Wach auf“, sagte sie.
Sie zog ihn an den Schultern aus den Kissenbergen und schüttelte ihn herum, dass sein Kopf von vorn nach hinten und wieder zurück flog.
Zumindest würde er irgendwann auf jeden Fall erwachen – wenn ihm niemand mehr den Trank einflößte, dann musste die Wirkung nachlassen. Früher oder später.
Sie verpasste ihm eine Backpfeife und rüttelte weiter an ihm herum.
Was für ein feiner Plan, den Nekromanten in Rausch zu versetzen, ihn aber vorher die Armee der untoten Jägerinnen mit einem Schutzzauber belegen zu lassen.
„Komm schon, du Hund!“
Sie versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust und brüllte ihm ins Ohr.
Vielleicht hatte das alles keinen Sinn bei einem, der unter der Wirkung von Traumsud stand. Aber etwas stimmte nicht. Akara hatte ihnen eingebläut, dass die Betroffenen daran zu erkennen waren, dass ihnen ein schwachsinniges Lächeln auf dem Gesicht stand. Kein Wunder, sie erlebten ihre Wunschträume in einer Welt, die sie für die Wirklichkeit hielten.
Doch Maros Gesicht zeigte den gleichen, gefrorenen Ausdruck wie stets, und beizeiten zuckte er wie unter Schmerzen zusammen.
Dann rannen Tränen aus seinen Augenwinkeln, und Jilis erstarrte. Wieso weinte er ausgerechnet jetzt, wo jeder andere dümmlich gegrinst hätte?
Ihr selbst liefen die Tränen über die Wangen.
„Du sollst aufwachen, wenn du mich hörst!“
Sie schlug ihm noch einmal mit der flachen Hand den Kopf zur Seite. Da öffneten sich seine Augen, und die Qual stand ihm auf die Züge geschrieben.
„Ein... Traum?“, fragte er schläfrig.
„Ja, du dummer Kerl. Ist nur ein Traum gewesen“, sagte sie, zog die Nase hoch und schleuderte ihm noch eine Ohrfeige ins Gesicht.
Das ist für die Sorgen, die du mir gebracht hast...

*

Der Sturm aus Pfeilen erhob sich von den Mauern des Klosters und ging auf sie nieder wie ein wütender Vogelschwarm. Tyreé rollte sich hinter den Stamm einer Eiche. Die Pfeilspitzen stürzten sich mit dumpfem Stoß in das Holz und in die Heide.
Einer Schwester aus ihrer Einheit schossen im Hechtsprung zwei Pfeile in die Seite und warfen sie ins hohe Gras, wo sie reglos liegen blieb.
„Wo bleibt das verfluchte Feuer von den Sturmschwingen?“, fragte Tyreé. Zwei Schwestern kauerten sich hinter ihr ebenfalls in die Deckung des Baumstamms.
„Sie sind noch nicht in Position, es hat zu plötzlich begonnen“, sagte eine von ihnen und hielt sich den Oberarm, aus dem ein Pfeilschaft ragte.
„Dann sollen sie eben ohne Position feuern! Hauptsache, die Schützen auf der Mauer müssen kurz die Köpfe einziehen.“
Schon ein paar Sekunden würden genügen. Das geborstene Tor lag keine zwanzig Schritt vor ihnen. Ein kurzer Sprint, und sie waren mitten unter den Schützen.
Ein Ast über ihr brach unter dem Aufprall eines Pfeils und stürzte zu ihr herunter.
Die nächsten Geschosse kamen nicht von vorn, sondern hagelten auf sie herab wie ein Gewitter. Die Schützen lernten schnell.
Tyreé presste sich mit den anderen an den Stamm. Ein Pfeil bohrte sich zwischen ihre gespreizten Finger, einige weitere Geschosse verhakten sich im Geäst und prasselten wirbelnd zu ihr nach unten.
Die nächsten Schüsse würden besser gezielt sein.
Tyreé spannte ihren Bogen.
„Bevor die Sturmschwingen in ihrer Deckung sind und sich trauen, endlich Pfeile fliegen zu lassen, sind wir längst Hackfleisch.“
Eine Jüngere aus ihrer Einheit schüttelte den Kopf, und das Blut von einer Schürfwunde rann ihr ins Schläfenhaaar.
„Sollen wir die Schützen selbst niederhalten? Wir haben nur noch neun Arme, die eine Sehne spannen können. Auf der Mauer sind zehnmal so viele Schützen.“
„Wir halten so viele nieder, wie wir können. In dieser Deckung sterben wir jämmerlich. Dann lieber bei dem Ansturm auf das Tor. Los! Spannt, Wolfszähne.“
Widerspruchslos zog ihre Einheit die Bögen und machte die Köcher auf den Rücken frei. Selbst die Schwester mit dem blutigen Haar nickte und machte sich bereit.
Es roch nach Tod. Wenn sie den ersten Schritt aus der Deckung heraus getan hatten, würde es kein Zurück mehr geben, nicht einmal zu ihren eigenen Leuten.
Tyreé atmete durch.
Nach allen Seiten spie das Kloster die Pfeilstürme aus. Wenn es auch nur an einem der Tore gelang, durchzubrechen, konnte ein Trupp Plänkler ins Kloster eindringen und die restlichen Pforten öffnen. Und die besten Chancen darauf hatten sie, die Wolfszähne.
Sie wartete, bis alle die Pfeilschäfte an den Wangen hatten. Dann spannte sie selbst.
„Beißen wir ihnen ein Stück aus ihren Reihen! Gebt Feuer!“
Neun Pfeile peitschten von den Sehnen, und im selben Augenblick stürmten die Wolfszähne aus der Deckung. Tyreé hielt den Kopf gesenkt. Wenn eine der Eisenspitzen aus der Pfeilflut dazu bestimmt war, sie zu treffen, dann würde sie sich ohnehin nicht davor retten können.
Die Luft sirrte vor Geschossen, die an ihr vorübergingen, und zwei Schreie aus ihrer Einheit drangen von hinten zu ihr. Nicht anhalten. Noch zehn Schritt. Sie blickte auf.
Vor dem Rot der Morgensonne zog eine Unzahl von Pfeilen vorüber. Ein Vogelschwarm, der mal aus den Wällen des Klosters nach außen zog, dann einem zweiten Schwarm Platz machte, der sich in die andere Richtung erhob. Und ein Schwarm hielt direkt auf sie zu.
Lezali, die direkt neben ihr in gestrecktem Sprint zum Tor eilte, trafen zwei Spitzen in die Brust und ließen sie ohne einen Schrei in die Grasdecke vor sich stürzen. Nicht anhalten.
Jetzt sah sie die Gesichter der Schützen. Ihre alten Schwestern, mit denen sie gemeinsam die Jahre der Ausbildung durchlaufen hatte... Sie spannten die Bögen für eine nächste Salve. Als sie die Finger von den Pfeilschäften lösten, rollte sich Tyreé nach vorn. Die Pfeile warfen sich in die Erde hinter ihr, und jetzt spannte sich der Torbogen über ihrem Kopf. Ein toter Winkel für die Schützen.
Der Spalt im Tor lag vor ihr – doch dunkles Holz versperrte die Sicht in den Innenhof. Tyreé warf sich gegen die Blockade, aber sie rührte sich keinen Millimeter. Die Schwestern mussten einen ganzen Haufen aus Unrat hinter dem Tor deponiert haben, um die Barrikade zu stützen...
„Sie haben ihn wieder verschlossen“, fluchte eine der sechs Jägerinnen, die hinter ihr das Tor erreichten.
Tyreé zog ihre beiden Langmesser.
„Dann fressen wir uns durch.“
Der Atem pfiff ihr vom Lauf noch in den Lungen. Beidhändig hieb sie auf das Holz hinter dem Spalt ein und versenkte die Messer darin. Vier Messer gesellten sich zu ihrem und rissen Stücke aus der Oberfläche. Immer wieder blieben sie stecken, aber auch immer mehr geborstenes Holz häufte sich vor ihren Füßen auf.
„Weiter, los, weiter!“, drängte Tyreé, obwohl jeder Messerstoß sie schmerzte, als ob sie ihn sich selbst zufügte.
Hinter der hölzernen Oberfläche leuchteten in Samt gebundene Einbände auf. Ein Bücherregal.
Tyreé stieß ihr Messer so ins Holz, dass die Klingenzacken sich verkeilten, und zerrte mit aller Macht. Das Holz quietschte über den Boden, unter all dem Lärm der tosenden Schlacht. Neben dem Regal öffnete sich ein schmaler Spalt, hinter dem die verbrannte Erde des Innenhofs sich zeigte.
„Wir können das Ding zu Fall bringen“, ächzte eine Stimme neben ihr.
Tyreé nickte.
Blieb nur zu hoffen, dass das Regal nicht auch noch an den Seiten gestützt würde.
„Tun wir es.“
Hände krampften sich um die Regalwand und zogen. Tyreé glaubte, die Muskeln müssten ihr die Arme sprengen. Um sie herum keuchten ihre Schwestern, die Gesichter krampften sich zusammen. Dann wankte das Regal.
Die Bücher purzelten aus den Fächern, und das das Regal neigte sich, krachte auf den Boden. Dahinter türmten sich Vorratskisten, Bänke und Haufen von steinernen Trümmern. Aber sie würden darüberklettern können.
„Zehn Sekunden zum Atem holen“, sagte Tyreé und lachte. Sie zog wieder die Messer und streckte die Arme. Schmerz brannte sich hindurch, von den Handgelenken bis hinauf zur Schulter. Aber für ein paar Hiebe würde es noch reichen. „Seht ihnen nicht ins Gesicht, sonst zögert ihr.“
Die Wolfszähne nickten.
Hatte sie es nicht eigentlich zu sich selbst gesagt?
Ihre Füße trugen sie wie von selbst durch den Türspalt. Steinstaub wirbelte unter ihr in einer Wolke hoch. Getrampel drang von den Wachhäusern her, und die Treppen zu ihren beiden Seiten füllten sich mit Kriegerinnen in blutroten Lederpanzern.
Eine aus den Wolfszähnen streckte eine Säbelklinge aus und zeigte auf die anrückenden Jägerinnen.
„Gebt das Kloster auf! Wir haben am Tag des Untergangs genau so gekämpft wie ihr, und diese Stätte ist für die Lebenden, nicht für die Toten!“
Der Ansturm hielt inne, aber die Jägerinnen sammelten sich am Treppenabsatz.
„Aradeia ist nicht engherzig. Wenn ihr erst gefallen seid, wird sie auch euch neues Leben schenken – und das Kloster wird wieder euch gehören“, rief eine aus der ersten Reihe der Angreifer.
Die Wolfszähne formierten sich in einem Halbkreis um den freigeschlagenen Eingang, eine einzige Sammlung von blitzenden Klingen.
„Das Kloster wird uns wieder gehören“, rief Tyreé, „aber das erreichen wir auf einem anderen Weg.“
Dann brach die Hölle los.
Tyreé raste voran und schlug mit einem Tritt aus der Drehung der letzten Sprecherin die Beine weg. Sie stürzte mit dem Gesicht direkt in Tyreés Klingen. Ein dunkler Schauer durchlief sie, und sie zerrte die Messer aus dem Leichnam. Die Welt um sie herum verschwamm in Bewegung, hundert Klingen klirrten und hundert Füße scharrten über die Barrikaden.
Eine Kriegerin warf sich über das gestürzte Regal hinweg auf sie. Tyreé stieß eine Klinge mit ihrer eigenen beiseite und fing den Vorstoß der Gegnerin mit einem Ellbogen ab. Eine Kämpferin der Wolfszähne richtete die Gefallene mit einem Schwerthieb, und kurz darauf ragte aus ihrer eigenen Kehle eine Schwertspitze. Tyreé stürzte sich auf die Mörderin, parierte einen Stoß, packte den Schwertarm, der die Breitklinge hielt, und rammte ihn ihr zusammen mit der Waffe in den Bauch. Fünf Wolfszähne standen noch.
Eine von ihnen warf einer blutroten Kriegerin eine handvoll Staub in die Augen, aber ein blindgeführter Stoß zuckte heran und durchbohrte ihr die Achselhöhle.
Der Platz kochte, und die Morgensonne färbte den untoten Schwestern die Rüstung in noch tieferem Rot.
Klingen stießen von allen Seiten her, kein Unterschied mehr zwischen Freund und Feind. Alles parieren, was in die Nähe des eigenen Körpers zuckte, dann einen eigenen Schlag in die blutrot Gerüsteten hinein.
Tyreé sah ihrem Körper zu, wie er focht. Kein Atem mehr, keine Erschöpfung, nur ein brodelndes Drängen in ihrem Innern. Würde der Körper weiterkämpfen, wenn sie längst das Bewusstsein verloren hatte?
Ihre Klinge schnitt einen blutigen Zirkel in die Jägerinnen um sie herum. Sie stemmte sich gegen einen Überkopfhieb mit beiden Klingen, aber es war, als kämpfe sie gegen zwei Kriegerinnen zugleich an. Eine unsichtbare, unhörbare und unfühlbare Macht, die sich auf die Seite des Feindes gestellt hatte.
Mit einem Mal verdampfte der Rausch. Ihre Gegnerin fegte ihr eine Klinge aus der Hand, dann die zweite, und die Waffen bohrten sich in die Spalten des Mosaikbodens.
Grausam kehrte der Schmerz zu ihr zurück, als flössen Dolche quer durch ihre Adern.
Um sie, noch immer in einem Halbkreis, lagen die Schwestern ihrer Einheit. Die Wolfszähne waren keinen Schritt zurückgewichen, bis die Untoten ihnen das Lebenslicht gelöscht hatten.
Eine Wand aus blutroten Rüstungen rückte immer näher um sie zusammen.
„Wir haben alle die gleichen Prüfungen durchlaufen, Tyreé“, sagte eine Jägerin mit kahlrasiertem Schädel. „Aber dir und deinem kleinen Trupp, euch fehlt die Macht, die uns gegeben wurde. Ihr habt nie eine Chance gehabt.“
Mit einem schaurigen Grinsen hob die Schwester das Schwert auf Brusthöhe und zielte mit der Spitze auf Tyreés Herz.
Gut, es war vorbei… Aber sie waren weit gekommen. Weiter, als die Jägerinnen an den anderen Toren wahrscheinlich kommen würden.
Kriegerinnen packten sie an den Armen.
„Ich habe noch eine andere Prüfung durchlaufen, damals, als ihr euch schon in die Arme eurer dunklen Herrin geworfen hattet“, sagte Tyreé. Auf ihrer Haut glühte das Blut und färbte sie fast so rot wie die Rüstungen ihrer Gegnerinnen.
„So?“, fragte die Kahlgeschorene, und machte einen Schritt auf sie zu, dass ihre Gesichter sich fast berührten. „Dann wirst du uns sicher gern verraten, wovon du sprichst.“
Tyreé hatte erwartet, den Atem zu spüren… aber die Toten hatten keinen Atem mehr.
„Gern.“
Sie legte den Kopf in den Nacken. Immernoch flitzten Pfeilschwärme vor dem Sonnenrot dahin. Der Kampf würde weitergehen, und sie würde vielleicht auf der anderen Seite weiter an ihm teilnehmen…
Mit einem Ruck warf sie den Kopf nach vorn und schlug ihrer Henkerin die Stirn auf die Nase. Fluchend prallte die Jägerin gegen eine der Vorratskisten.
Ja, zumindest das hatte sie von Jilis noch gelernt.
Tyreés Arme wurden von den Jägerinnen neben ihr so hart gepackt, dass sie glaubte, die Glieder müssten jeden Augenblick aus den Gelenken springen.
Eine Hand vor dem Gesicht, trat die Henkerin wieder näher heran und stieß das Schwert nach vorn.
Tyreé lächelte.
So weit, wie sie gekommen war…
Dann schob sich Dunkelheit über sie.
Sie wartete darauf, dass auch die Laute verstummten, aber etwas prallte laut auf die Dunkelheit, die sie einschloss. Die Klinge der Henkerin.
Die Dunkelheit wich – jemand hob den Turmschild fort, der sie vor dem Hieb bewahrt hatte. Die gefallenen Schwestern neben ihr ließen ihre Arme los.
Metall schepperte hinter ihr, und eine Horde aus Schildträgern brach durch den Torspalt und in den verbarrikadierten Hof. Auf den pfeilgespickten Schilden glänzte frische Farbe, die einen Wolfsschädel formte.
„Fenris’ Töchter!“, rief jemand hinter ihr, und Kaschyas Kettenhemd zog an ihr vorüber.
Ein eiserner Hammer rammte die Henkerin durch die Platte eines Holztischs und schickte ihr Splitter hinterher.
Kaschya hob die Waffe auf ihre Schulter, und um sie herum fielen ihre Schildträger über die dunklen Jägerinnen her.
Tyreé atmete auf. Fenris’ Töchter. Auf einen so klangvollen Namen war sie bei ihrer Einheit natürlich nicht gekommen. Aber es lebte auch niemand mehr, der sich daran hätte stören können.
„Beeil dich besser“, sagte Kaschya. „Unsere Schwestern sind im Süden mit Fanghaken über die Mauern geklettert, und im Norden haben sie mit Böcken Löcher in die Tore gerammt. Wenn sie dich im Kloster finden, und sehen, dass du nicht kämpfst...“
"Böcke und Fanghaken? Teufel, und wir hatten nur unsere Messer."
Im nächsten Moment schossen zwei Kriegerinnen auf den Hauptmann zu. Kaschya parierte mit einem einzigen Hammerstoß die Klinge der einen Gegnerin und zerquetschte den Waffenarm der anderen an der Klostermauer.
Tyreé sammelte ihre Klingen ein und steuerte auf die Schneise zu, die Kaschyas Schildträger für sie geschlagen hatten.
„Ich habe genug gekämpft“, murmelte sie, und das sengende Zerren in ihren Armen stimmte ihr zu.
Die Jägerinnen fielen wie Raubtiere über die Schildträger her, stürzten sich mit gezückten Messern von den Zinnen und warfen sich auf ihre Opfer. Doch die schweren Metallschilde ließen die Klingen abgleiten wie Regentropfen, und alle paar Sekunden biss ein Hammer aus der Deckung hervor und zertrümmerte mit einem Stoß Knochen und untotes Fleisch.
Wer wusste schon, welche Chance sie hatten?
Tyreé fiel in einen leichten Trab und ließ das Klirren der Kämpfe hinter sich.
Sie wusste nur, dass Kaschya ihr Wort gehalten hatte. Jetzt musste sie Vega und Jilis finden. Sonst wären nicht nur die Wolfszähne umsonst gestorben, sondern auch Fenris’ Töchter würden es tun.

Neuer Schlachtenlärm löste den alten ab, denn auf jeder Terrasse und in jedem Gemach rangen die Jägerinnen miteinander. Ein Leichnam stürzte im verbrannten Garten vor ihre Füße, und sie wendete nicht einmal den Blick auf ihn. Ob es nun die Lebenden oder die Untoten waren, die ihre Streitkräfte einbüßten – beides konnte ihr nur recht sein.
In einem Säulengang stellte sich ihr noch einmal eine der bleichen Dienerinnen der Aradeia entgegen, und noch einmal musste sie die Arme heben, um die Feindin niederzustrecken.
Krustiges Blut klebte ihr die Hände an die Griffe der Langmesser. Aus eigener Kraft hätte sie die Waffen wohl auch nicht mehr halten können.
Vor den Toren der Kathedrale drängte eine der Untoten eine Gegnerin mit raschen Schwerthieben zurück. Tyreé blieb stehen. Blondes Haar und Sommersprossen bei der Schwester, die in die Ecke gedrängt wurde. Sie hielt ein unförmig langes Schwert vor sich wie ein Schild, und die Schläge der Untoten brachen es mit jedem Hieb weiter aus ihren Fingern.
Vega!
Tyreé rannte, so schnell, wie ihre Beine es ihr erlaubten.
Die Untote stieß ein letztes Mal zu, und in einem Bogen torkelte die Waffe Vega aus den Fingern. Die junge Jägerin wich gegen die Wand zurück, und übergangslos holte ihre Gegnerin zu einem Hieb aus.
Tyreé warf sich mit einem Sprung nach vorn, beide Messer vorgestreckt. Die zwei Klingen fingen die andere im Angriffsschwung auf, und eine Erschütterung vibrierte durch Tyreés Arme.
„Schau dir das an“, sagte die Untote. „Es ist wie eine große Familienzusammenkunft.“ Ein Mundwinkel war zu einem grimmigen Lächeln verzogen, der andere verlor sich in einem Netz aus Brandnarbengewebe. Falke.
„Wenn noch irgendetwas von dir in dieser Hülle steckt, dann gib den Kampf auf“, sagte Tyreé. Sie hörte selbst, wie ihre Stimme unter der Anstrengung des Zweikampfs zitterte. Ein Flehen, mehr nicht. „Wir wollen Jilis helfen!“
Vega regte sich hinter ihr und tastete ungelenk nach ihrem Riesenschwert. „Das weiß sie längst.“
„Ja.“ Falke nickte, und ihre Narbenmaske verzog sich wie im Schmerz. „Und nun, bitte: sterbt.“

*

Der Thron zersplitterte in tausend Scherben. Risse durchliefen die Kristallwände des Schlosses, die Stufen der Treppe hinter ihm stürzten fort. Die Welt ging in Splitter. Maro selbst ging in Splitter.
Gläserne Scherben prasselten nieder und hackten seinen Körper in tausend Stücke, durchdrangen Muskeln und Fleisch, und dann endete es.

„...Traum gewesen“, flüsterte eine vertraute Stimme zu ihm. Seine Gedanken kämpften sich aus einem dumpfen Schlamm hervor, folgten der Stimme und einem wabernden Bild. Einem Raum, in dem sich sein Körper befand.
Ein Ruck schüttelte ihn, und seine Augen und Ohren waren wieder wirklich seine. Die Geräusche hallten, und die Mauern um ihn wankten noch. Es war ihm, als ruhte ein Felsblock auf seiner Brust.
„Ich bring dich hier weg“, sagte die Stimme.
War es die Göttin, die ihn erlöste? Aus dieser grausamen Nachtmahr?
Die Konturen wurden schärfer, und um ihn wölbten sich die Mauern des Raumes, in dem er in seinen Schlummer hinübergeglitten war.
Nein... das kann nicht sein!
Die Gestalt vor ihm gehörte nicht der Göttin. Der Arm, aus dem das Yata-Gift die Muskeln gesogen hatte, griff nach ihm und schüttelte ihn.
„Hörst du? Wir verschwinden jetzt gemeinsam aus dieser Hölle.“
Seine Gedanken krochen dahin, aber sie kamen bis zu dem einzig möglichen Schluss.
„Du hast mich... geweckt?“, fragte er, und seine Zunge war so schwer wie ein Eisenbarren.
Auf dem verweinten Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab.
„Endlich sagst du etwas. Ich dachte schon, jetzt säße ein Dämon in deinem Körper.“
Die Worte glitten an ihm vorüber.
„Wieso hast du das getan?“
In der Ecke des Raums glitzerte das Gold des Krugs, aus dem er getrunken hatte. Er streckte die Hand aus. Noch einen Schluck, und er würde vielleicht zurückkehren können.
„Kannst du dir das nicht langsam denken? Diese Königin hat dir Gift in den Rachen schütten lassen, damit du nie wieder aufwachst.“
Die Wut rollte langsam in ihm hoch, wie eine Welle, die sich irgendwann an der Brandung brechen musste.
„Das wollte ich auch nicht!“, sagte er. Er wollte, dass seine Stimme donnerte, den ganzen Raum zerbrach und die hirnlose Jägerin auch noch. Aber es war kaum ein Krächzen, das aus ihm drang. „Gift? Du hast mich einmal gefragt, wieso ich den ganzen Weg in Euer Land gemacht habe. Da hast du deine Antwort: wegen diesem Gift!“
Sie verstand einfach nicht. Natürlich nicht. Wie konnte ein so einfaches Mädchen verstehen, dass es erstrebenswert sein könnte, den Geist vom Körper zu befreien? Wie sollte sie verstehen, dass es Dinge ohne Körper gab, nach denen man sich sehnen konnte?
„Du redest ziemlich wirr. Das muss der Sud sein... Ich habe noch nie gehört, dass er abhängig macht, aber bei dir scheint das der Fall zu sein.“
Seine Hände streckten sich langsam nach ihrem Hals aus, dann packte er sie am Kragen.
„Ich wäre fast bei ihr gewesen! Fast-“
Er hielt inne. Die Erinnerung an die andere Welt strömte in sein Bewusstsein zurück. Der leere Thron, den er gefunden hatte, und das zusammenstürzende Schloss. Wie tausend Maden fraß es sich in sein Herz. Er war nicht fast bei ihr gewesen. Er war dort gewesen, wo sie hätte sein sollen, wohin die Bestimmung und das Schicksal in dieser Götterwelt ihn geführt hatten. Ja, er hatte das ihm bestimmte Ende erreicht, und es war das Schrecklichste gewesen, das er sich hätte ausmalen können. Ein leerer Thron.
Ein Schluchzer brach sich aus seiner Kehle Bahn.
„Bei wem?“, fragte Jilis. Sie strich seine Hände von sich fort und zog ihn aus seinem Grab aus Kissen heraus. „Hauptsache, du bist jetzt hier.“
„Nein, ich-“ Die Erinnerungsbilder überschlugen sich, verschwammen ineinander. Der Wurm, die Wüste, ein Feuer bis zum Horizont, der Palast aus Kristall.
Evra war nicht dort gewesen. Das war es, was wichtig war. Was die Wut in ihm schürte wie kochendes Öl einen Brand. Und nur Jilis war da. Die Närrin.
Sein Körper versagte ihm. Er schob einen Arm über die Kissen, doch heben konnte er ihn nicht. Die Hand blieb liegen wie taub. Aber sein Geist. Sein Geist war scharf. Er packte mit einem Gedankenstrahl Jilis’ Arm.
Ein Zucken lief hindurch, dann bewegten sich die Finger, wie er es befahl. Verblüfft sah Jilis an sich herunter, da schloss sich ihr die eigene Hand um die Kehle.
„Die Göttin“, schluchzte Maro, und er schickte all seine Lebenskraft fort und lenkte sie in Jilis’ Arm. Ein Strom aus klarem Silber in der Astralwelt, der von ihm auf sie überging. Er würde sie töten. Und er würde sich töten, mit der Kraft, die er selbst aufgab.
„Was für eine verfluchte Göt- … hör auf!“, presste sie hervor. Sie fasste das Gelenk der würgenden Hand und zerrte daran, aber der Griff, der sie hielt, war fester als der jeder Eisenkette. Sie würde ihn nicht lösen können.
Wenn es seine Bestimmung gewesen war, wie der Wurm gesagt hatte… Dann war es wahrhaftig die Bestimmung gewesen, nur an ein Ende voller Verzweiflung zu gelangen.
Er zog die Kraft wieder zu sich, die er den hundert Kriegerinnen des Klosters geschenkt hatte, und ließ sie in Jilis Arm hineinfließen. Hundert Silberfäden, die aus allen Richtungen heransickerten und sich vereinigten. Niemand würde sich aus diesem Griff befreien.
Du bist verflucht“, sagte er. Die Tränen brannten auf seinen Wangen heiß wie Ströme aus geschmolzenem Stahl. „Nicht die Göttin. Sie ist schöner und größer, als du es dir ausmalen könntest. Sie ist-“
Ein Krächzen von Jilis unterbrach ihn. „…nur ein Traum.“ Ihre Füße verfingen sich in den Kissen, und sie stürzte rücklings gegen die Wand, riss den goldenen Tisch mit sich. Das Metall schepperte. Irgendetwas hallte in seinem Kopf wider, und plötzlich sah er, was er tat.
Jilis pochten die Adern an den Schläfen, und sie schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Mit vorgequollenen Augen starrte sie an die Decke.
Maro ließ los. Die zahllosen Aurenfäden, die sich um Jilis’ Arm wanden, jagte er fort in alle Richtungen. Sie schossen davon wie Strahlen einer Sonne, wickelten sich ab, Strang um Strang. Bis ein dunkles, lebloses Körperteil zurückblieb und über Jilis’ Brust hinunterrutschte.
„Nur ein Traum?“, wiederholte er. Er fiel zurück in die Kissen, und sein Kopf fühlte sich leer an.
„Ja.“ Jilis’ Stimme hallte schwach in der kleinen Kammer. Die Jägerin lehnte schräg mit dem Kopf in einer Ecke, als könne sie nie wieder eine Bewegung tun. Die roten Streifen der Druckmale zeichneten sich an ihrem Hals ab. „Keine Ahnung… wer diese Göttin ist, aber…“ Jedes Wort kämpfte sie mit unendlicher Mühe hervor. „…sie ist dir nur durch das Gift des Tranks in den Kopf gekrochen. In deinen Traum.“
„Es ist kein Traum gewesen!“
„Nein? Was hat die Hexe dir erzählt?“
Maro schluckte. Wut und Trauer sanken nieder in ihm. Langsam konnte er wieder sehen. Sehen, ohne den Schleier, mit dem er sich selbst blind gemacht hatte.
„Dass mich der Trank ins Reich der Götter bringen wird.“
Dafür also wolltest du mich umbringen.“ Jilis rieb sich den Hals und hustete noch einmal, dann stand sie auf und fischte mit den Fingerspitzen nach dem Krug. „Dann hat sie so sehr nicht gelogen. Wenn du ins Götterreich wolltest, dann muss der Trunk dir zumindest einen… Göttertraum beschert haben.“
Darauf hätte er selbst kommen können… Dämonen spielten nach niemandes Regeln, hielten keinen Eid und brachen ihre Versprechen. Wieso hatte er es nur geglaubt?
„Einen Göttertraum - aber was hat das damit zu tun, was ich wollte?“
Jilis watete durch die Kissen hindurch und setzte sich zu ihm. Erst jetzt sah er die Spuren, die sie trug. Es waren nicht nur die Tränen auf ihren Wangen. An den Armen spalteten Risse die Haut, und Fugen klafften in ihrer Lederrüstung auf.
„Wir haben nicht viel Zeit.“ Sie sah sich um wie ein gejagter Wolf. „Eigentlich gar keine. Aber ich will es dir erklären, dummer Totenbeschwörer. Wer vom Traumsud trinkt, dem werden Träume beschert, und sie sind die lebendig gewordenen Wünsche des Träumenden. So passiert es bei denen, die den Trank mit Absicht trinken und seine Wirkung kennen. Was bei dir passiert ist, das weiß ich nicht.“
Er hätte um ein Haar das Atmen vergessen. Jilis hatte keinen Grund, ihn zu belügen.
Wünsche? Seine Wünsche hatten den Traum geformt?
Er senkte den Blick, und an die Stelle der seidenen Kissen trat die Wüste, die er durchquert hatte.
Also hatte er sich gewünscht, dass er der Auserwählte war, der als Einziger in allen Zeitaltern der Menschen an dem Wächter der Götter vorübertreten durfte… Er hatte sich gewünscht, dass ihn eine für jeden anderen Menschen unmögliche Prüfung erwarten würde, die nur er allein bestehen konnte.
Sein Hals brannte, als hätte er leibhaftige Flammen geschluckt.
Ja, und er hatte sich gewünscht, dass er in einem Schloss aus silbernem Kristall auf einen leeren Thron stieß. Dass es keine Göttin gab, die auf ihn wartete.
Das habe ich mir gewünscht?
„Das ist unmöglich“, murmelte er.
„Träume können Wahrheiten in sich tragen, die wir noch nicht sehen, weil wir uns selbst geblendet haben.“ Jilis stützte sich auf mit einem Arm auf die Kissen vor ihm. Der andere hing so nutzlos herab wie eh und je.
Wahrheiten?
Er nickte.
Vielleicht hatte er es gewusst. Dass er nie ankommen würde. Nie ankommen konnte, nie in allen Zeitaltern. Dass die Menschen nicht in das Reich der Götter steigen konnten, weil für sie die Erde gemacht worden war.
Eine seltsame Ruhe breitete sich in ihm aus. Als decke sich über ihn Raureif, der dann wieder schmolz.
Jilis machte eine wegwerfende Geste und stand auf.
„Das hat Akara einmal gesagt. Aber du weißt ja, was sie sonst noch alles gesagt hat – und dafür sollte ich ihr die Zunge herausschneiden.“
Wieder nickte er nur.
„Du hast geweint.“
Ihre Blicke gingen zu den Spuren auf ihrer Wange, und sie rieb sich mit der Hand darüber.
„Und das bei dir ist wohl Wasser, das dir aus den Ohren heraus und über das Gesicht gelaufen ist.“ Sie streckte ihm eine Hand entgegen.
„Ja, das kann man bei den Schlangen aus dem Osten nie wissen.“
„Ich hoffe, du hast nicht nur mir meinen Arm genommen, sondern auch meinen bösartigen Schwestern ihre Kräfte, mit denen sie sich so gebrüstet haben.“
Er tastete sich mit den Fingern über die Kissen hinweg, bis er ihre Hand zu fassen bekam.
„Niemand hier hat mehr Kräfte von mir… Ich ja nicht einmal selbst.“
Mit einem Lächeln, das halb das eines Wolfs war, und halb das eines Mädchens, festigte sie den Griff um seine Hand. „Dann lass nur los, wenn ich mein Schwert greifen muss, um einen Dämon das Weinen zu lehren.“
Er erwiderte den Druck mit seiner Hand, so gut er konnte, und taumelte ihr hinterher, aus dem Raum heraus.

Erst am Thronsaal blieb Jilis abrupt stehen, und Maro neigte den Kopf zur Seite, um zu sehen, warum.
Ein weißes Kleid flatterte unter einem goldenen Brustschutz, und rotes Haar züngelte wie Feuer um einen Körper, dessen Haut weiß glänzte.
Jilis bog den Kopf ein Stück zu ihm. „Aradeia?“, flüsterte sie.
„Ja“, grollte eine Stimme von unendlicher Gewalt zu ihnen, bevor Maro antworten konnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal wieder spannend, wie üblich.
Beim Kampf gegen Mireh musste ich an eine überdimensionale Fliegenklatsche denken :D

Warum ziehen die an dem Bücherregal? Das steht doch von innen vor dem Spalt. Dagegen drücken und umschubsen wäre logischer.


Als sie sie zur Seite drehte - sie sich?

die aus allen Richtung - Richtungen
 
Ist klar, die einen Klettern mit Haken über die Mauer, die anderen machen Löcher mit nem Rammbock. Nur Tyree muss mit einem kleinen Messerchen nen Schrank zerhacken ^^ :D

-> nimm das nicht zu ernst, soll keine Kritik sein - passt schon. Mir gefällt das Kapitel jedenfalls.


„Ja, du dummer Kerl. Ist nur ein Traum gewesen“, sagte sie, zog die Nase hoch und schleuderte ihm noch eine Ohrfeige ins Gesicht.
Wofür war die letzte denn wenn er schon wach ist?


Tyreé rollte sich hinter den Stamm einer Birke.
...
Zwei Schwestern kauerten sich hinter ihr ebenfalls in die Deckung des Baumstamms.
Also ich bin kein Botaniker aber die Birken die ich kenne haben nicht grade so unglaublich dicke Stämme, als dass man sich da zu dritt hinter verstecken könnte.
Zumal die Story ja damit begann, dass die Jägerinnen Wache halten um ihr Kloster zu verteidigen - und die wohnten da ja schon nen Weilchen länger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ihn Bogenreichweite ihres Klosters Bäume stehen lassen die einem Angreifer Deckung bieten könnten - wäre zumindest blöd. Also eigentlich sollte da in direktem Umkreis nichts höheres als kleine Büsche stehen.
Wir wärs alternativ mit einem Angriff aus dem Osten, direkt aus der aufgehenden Sonne die die Verteidiger blendet?

Langer Rede kurzer Sinn.
Du kannst vielleicht einfach einen anderen Baum nehmen, nur grade mit Birken assoziiert man irgendwie schmale Stämme und das passt halt nicht soooo gut.
 
Ihr habt mal wieder recht. :p

Was mir bei der Birke im Kopf herumgegangen ist, kann ich jetzt gar nicht mehr nachvollziehen. Ich glaube, ich hatte anfangs die Idee, dass nur zwei Jägerinnen sich hinter den Baum kauern, die anderen in anderen Deckungen sitzen.
Das habe ich dann aber irgendwie nicht ganz realisiert. Die Birke wurde jetzt zu einer Eiche.
Das Ausstattungsverhältnis der Schwestern wird jetzt auch von Tyreé ironisch kommentiert: "Böcke und Fanghaken? Teufel, und wir hatten nur unsere Messer." Denn ich mag die Stelle, aber ich sehe ein, dass es etwas seltsam rüberkommen kann. Deshalb etwas Selbstironie!
Das Abholzen der Bäume wäre mir nicht unbedingt in den Sinn gekommen. Es ist sicher eine sinnvolle Strategie... Aber auch nach nochmaligem Nachdenken glaube ich, dass das nicht unbedingt sein muss.

Die kleinen Fehler, die Esme entdeckt hat, sind auch beseitigt. ;)
Das mit dem Regal ist ähnlich wie mit den Bäumen - ich habe die Szene im Kopf gehabt, aber ich habe sie nicht ganz beschrieben.
Der restliche Müll blockiert das Regal nämlich hinten, sodass Schieben sinnlos ist. Ich habe es jetzt (hoffentlich) etwas klarer gemacht, indem sich Tyreé anfangs mit Schieben abrackert und den Schluss zieht, dass wohl etwas den Schrank blockiert.

Also, danke für die Aufmerksamkeit!
Bin schon wieder fleißig am nächsten Kapitel. ;)
 
So, Überraschung!
Ich hole meine eine Woche langsam wieder auf, die ich ausgesetzt hatte. :D
Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich gerade jetzt gegen Ende etwas nachlasse, weil ich Angst davor habe, Die Geschichte zu beenden. Zur Planung einer neuen ist bisher nämlich noch nichts geschehen, und so falle ich dann wohl bald erstmal in ein Schreib-Loch. :p

Ach ja... wie die Geschichte endet, weiß ich immernoch nicht. :rolleyes: Ich bin gespannt, in welche Richtung meine lieben Charaktere wollen, und dann gehe ich einfach mit.

XVII Zwei Königinnen

Jilis löste sich vorsichtig von der Hand des Nekromanten. Er stützte sich an der Wand, und sie konnte den Zweihänder fassen. Mit nur einer Hand am Griff wackelte die Waffe. Die Balance fehlte, aber sie würde die Stoßkraft eines Zweihänders benötigen.
Als Aradeia einige Schritte zu ihr machte, füllte ihr wehendes Haar fast den ganzen Gang aus. Dann legte es sich über ihren Nacken und reichte bis zu den Hüften hinab.
Eine Königin. Die Dämonenkönigin, die sich den Weg in das Kloster geschlagen hatte. Sie war das Böse, das sich in diesem Land ausgebreitet hatte.
Jilis umklammerte den Schwertgriff.
„Du hast den Tod über die Mark gebracht.“
Es war ein Lächeln, das auf den Lippen der Königin spielte.
„Ich habe mir nur diese Mauern genommen, weil ich sie gebraucht habe. Ihr Menschen mit euren Vorstellungen von… Besitz. Du glaubst, es ist dein Kloster, das ich genommen habe.“
Nein. Akara glaubte das, und ihre Getreuen glaubten es vielleicht auch.
Jilis senkte die Klinge etwas.
Die Königin, die vor ihr stand, war die Betrügerin, die Maro gelockt und gefangen hatte.
„Du hast mir nicht das Kloster weggenommen. Es hat mir nicht gehört. Aber du stehst mir im Weg, und mein Schwert macht bei Dämonen und Göttern keinen Unterschied.“
Welche Chance hatte sie, gegen dieses Wesen zu kämpfen? Sie musste es dennoch, wenn es keinen Ausweg gab.
„Ich werde weder dich noch dein Schwert herauszufordern, und ich werde auch keine Herausforderung annehmen.“
Aradeia trat beiseite und öffnete den Weg in den Thronsaal. Jilis runzelte die Stirn, schleppte sich aber in den Raum hinein. Eine Dämonenkönigin musste Listen kennen, um sich lästiger Wesen zu entledigen...
„Aber du hast Zerstörung über das Land gebracht, und Dörfer niederbrennen lassen!“
Die Königin beugte sich über den leblosen Leib im Saal. Mireh, die mit blauen Druckflecken am Körper neben dem umgestürzten Tisch lag.
„Es hat jetzt ein Ende, wenn dich das beruhigt. Meine Töchter sind gefallen, und mein Heer ist zerschlagen. Einer meiner Verbündeten hat mich in der letzten Sekunde verlassen…“
Sie legte ihrer Tochter die dunklen Flügel wie ein Leichentuch über den Körper.
„Einen Verbündeten nennst du mich noch?“ Maro stützte sich auf die Lehne des Sofas, sein gesamter Körper bebte. „Du hast unser Bündnis verraten.“
„Dir hat nicht gefallen, was dir im Reich der Götter begegnet ist?“
„Nein! Denn es ist nur ein Traum gewesen, dem ich dort begegnet bin. Ihr habt mich in ein Traumland geschickt, statt in die Götterwelt!“
Aradeias Blick huschte von ihm hinüber zu Jilis, dann wieder zurück.
„Es tut mir Leid, dass du davon erfahren hast. Ich hätte es dir nicht offenbart, und du hättest ewig in deinem Traum weiterleben können.“ In ihren Augen funkelte es plötzlich, und wieder sah sie zu Jilis. „Ich habe dir dein Glück nicht zerstört. Das ist dieses Mädchen gewesen.“
Das also plante sie!
Jilis machte einen Schritt nach vorn und richtete das Schwert auf die Dämonin. Maros Arm hielt sie zurück, und der Nekromant richtete sich hoch auf.
„Nein“, sagte Maro. „Sie hat mich geweckt. Aus einem Traum, aus dem ich schon lange vorher hätte aufwachen sollen. Ihr habt mich nur vergiftet… damit ich Euch dienlich sein konnte!“
Seine Hand fasste den Ritualdolch am Gürtel, und er stürzte sich auf die Dämonin.
Jilis griff nach seinem Mantel, um ihn zurückzuhalten, aber die Winde ließen den Stoff durch ihre Finger gleiten.
Kurz schien Aradeia überrascht, fixierte den Nekromanten in seinem Ansturm. Dann riss sie die Hand wie ein Schild nach vorn, und die Luft erzitterte. Ein Druck zog an Jilis Ohren vorüber, als befände sie sich im Herzen eines Orkans. Eine unsichtbare Macht packte den Nekromanten und riss ihm die Beine unter dem Körper weg.
Jilis sprang, um ihn aufzufangen, und zusammen prallten sie gegen die Wand. Das Gestein rammte sich ihr in die Rippen, und die Luft wurde ihr in einem Schwall aus den Lungen getrieben.
„Bist du…“, flüsterte sie.
Maro wand sich in ihrem Griff.
Zum Glück, er regte sich noch. Aradeia hätte seinen Körper sicher zu Asche zerstäuben können, mit einem einzigen Gedanken.
Jilis griff ihren verkrüppelten Arm am Handgelenk und schloss den Griff um Maro. Noch einmal würde er nicht gehen.
Traurig schüttelte Aradeia den Kopf und ließ die Hand sinken.
„Ich habe dir soviel gegeben, wie ich konnte, närrischer Mensch. Hast du nicht selbst geahnt, dass dir eine Göttin niemals ihre Zeit widmen würde? Dich in einen Traum schicken, in dem du zumindest glauben konntest, dass sie bei dir wäre; mehr konnte ich nicht für dich tun.“
„Ich will keinen Traum mehr! Diese hier ist die Menschenwelt. Sie gehört zu mir. Nicht die der Götter.“
Er atmete ruhiger, und Jilis gab ihn frei. Sie stand auf und trat der Dämonin gegenüber.
„Geh zurück in deine Hölle! Du hast es gehört, diese Welt gehört den Menschen. Verschwinde in die, aus der du gekommen bist.“
Als hätte sie kein Wort gehört, beugte Aradeia sich zu ihrer Tochter hinab und nahm den leblosen Körper auf den Arm.
„Das werde ich. Ihr Menschen erfüllt die Aufgabe, die mir zugekommen ist, schon ganz von allein. Niemand wird den Schatten im Osten bemerken, wenn ihr euch mit Mord und Tod gegenseitig beschäftigt.“
„Wovon sprichst du?“, fragte Jilis.
„Du wirst es sehen, wenn du in die Oberwelt zurückkehrst – um dann dort zu sterben.“
Aradeia hielt vor dem gebrochenen Geländer an. Ein Sog aus der Einöde schien sie zu packen, Kleider und Haar wehten ihr in Richtung der Vulkane. Dann zog eine kreischende Böe sie in die Luft und trug sie über die brennenden Abgründe hinweg.
Jilis sah ihr nach, wie sie in der Feuerwelt verschwand.
Was hatte sie gemeint? Du wirst es sehen. Den Schatten im Osten? Oder das, was die Menschen einander schenkten – Mord und Tod?
Eigentlich hatte sie genug gesehen. Von allem. Für immer.
Maro krümmte sich noch immer in der Ecke zusammen.
Ein warmes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, und sie half ihm auf.
„Komm schon. Ich weiß selbst nicht, ob wir nicht beide nur einen verdammt seltsamen Traum gehabt haben. Mit Höllenwesen und Toten, die aus der Erde gekrochen sind…“
„Ich weiß es auch nicht“, sagte Maro mit schwacher Stimme. „Ich auch nicht.“
Ein Grollen ging durch den Stein um sie herum, der Boden zitterte. Steinbrocken prasselten neben der Brüstung aus der Decke. Ein Stein schlug das Gerippe von der Lehne des Throns und zermalmte es, ein zweiter riss die gesamte Lehne vom Thron. Steinmassen prasselten in einer Flut nahe des Abgrunds herab. Der Blick in die Höllenwelt verschloss sich.
Jilis stützte Maro, damit er nicht fiel.
Es war, als schlösse sich das Maul eines Riesen. Selbst den letzten Spalt, der einen Blick in die Öde erlaubt hätte, versiegelten die Gesteinsmengen.
Dann hallte nur noch das Echo des Steinschlags, und Stille kehrte ein. Licht drang nur noch aus dem Treppengang, der nach oben führte.
„Die Hölle haben wir hinter uns“, sagte Jilis. „Jetzt müssen wir nur noch ein Schlupfloch finden, das aus dem Kloster hinausführt.“
„Wohin werden wir denn gehen?“
Ja, wohin?
„Nach Osten. Was auch immer dieser Schatten ist, von dem Aradeia gesprochen hat… Akara ist gefährlicher.“

Sie folgten dem Gang bis wieder hinauf zum Altar.
In die Unterwelt führte nun kein Weg mehr hinein... höchstens hinaus. Wenn die gleiche Macht, die den Steinhagel beschworen hatte, ihn wieder rückgängig machen würde.
Immer wieder stöhnte Maro, und Jilis meinte, die Schulter müsste ihr bei dem Gewicht, das sie stützte und zog, bald brechen.
Sie half dem Nekromanten auf eine der Bänke in der Kirche.
Plötzlich hallten Schritte hinter ihr. War der Dämon zurückgekehrt?
„Jilis?“, fragte eine dünne Stimme.
Vega.
Jilis drehte sich in die Richtung um, aus der die Stimme gekommen war. Ihre Freundin trat aus dem Seitenschiff, Blutrinnsale flossen ihr den Arm herab, und sie hielt ein zerbrochenes Schwert.
„Vega! Du hast gekämpft. Ich dachte, das würde ich nicht mehr erleben.“
„Ich bin froh, dass du noch lebst. Jetzt kämpfen nur noch die anderen, draußen.“ Sie lächelte müde und setzte sich neben den Nekromanten. Mit einem Nicken grüßte er sie, und sie nickte zurück.
„Welche anderen?“
Jilis horchte auf. Keine Geräusche. Aber hinter den Kirchenfenstern zum Hof hin bewegten sich Schatten.
„Die Schwestern. Sie kämpfen gegeneinander. Akara will das Kloster zurück... Aber das ist nicht so wichtig.“ Vega blickte sie besorgt an. „Sie will dich tot sehen. Und dich auch.“ Sie sah zum Nekromanten.
Maro lachte ein trockenes Lachen.
„Das habe ich schon seit dem ersten Tag gewusst. Die Hexe hat sich einige schöne Gerissenheiten zusammengekocht.“
Vegas traurige Augen schlossen sich.
„Sie wird nach euch suchen und euch beide hinrichten lassen. Ihr müsst fort von hier, solange Akaras Heer noch mit dem Kampf beschäftigt ist.“
„Du hast den ganzen Weg vom Lager gemacht, durch eine Schlacht, um uns das zu sagen?“
Jilis setzte sich neben sie und legte ihr einen Arm um die Schultern. War das noch die Vega, die sie gekannt hatte? Die wollte, dass sie nie wieder einen Bogen in die Hand nahm?
Das zerbrochene Schwert in der Hand, sah Vega sie ernst an.
„Ja. Wir sind doch Schwestern.“
Jilis zog sie an sich und stieß Maro mit dem Knie an. Das Sonnenlicht fiel durch das Kirchenfenster und legte sich mit einem hundertfachen Farbenmosaik auf die Haut des Nekromanten.
„Das hier ist nicht deine Schlacht gewesen“, sagte Jilis. „Da draußen steht eine Irre mit einer Übermacht, und sie will dein Leben, weil sie keinen Schimmer hat...“
„Deins will sie auch.“
„Ja, aber sie hat einen Grund dafür. Eine Eisenstange, die ich ihr in den Bauch gerammt habe.“
Vega umschloss ihren verkrüppelten Arm. Das Gliedmaß war wieder so nutzlos wie eh und je.
„Du hast nicht mehr die Kraft, ihn zu bewegen?“
„Vielleicht will mir das sagen, dass ich jetzt genug gekämpft habe.“
„Oder es will dir gar nichts sagen. Du entscheidest doch selbst.“
Jilis stand auf und betastete ihren Gürtel. Das Jagdmesser steckte noch darin, und einige Speere hingen noch in dem Köcher auf dem Rücken.
„Wie du siehst, habe ich auch fast keine von den Waffen mehr, die du mir überlassen hast. Ich bin sehr verschwenderisch gewesen...“
Vega zuckte mit den Schultern.
„Du hast sie alle gebraucht. Dann ist es gut.“
„Tja, ich werde sie noch einmal brauchen.“
Am Altar fuhr sie mit der Hand über die steinernen Beine der Göttinnenstatue. Gefiel der Herrin, was hier geschah? Dass ihre Kinder sich gegenseitig abschlachteten? Die einen glaubten sich nur im Recht aufgrund eines Zaubers, der über sie gelegt worden war. Aber die anderen?
Jilis lehnte die Stirn an den Fuß der Statue.
Keine der Schwestern erfüllte mehr die Aufgabe, die in den Schriften der Göttin niedergelegt war. Keine war noch das wachsame Auge, das das Übel ausspähte, wenn es kam, um die Mark zu bedrängen.
Aber sie, sie hatte es gesehen. Das ganze Grauen. Und sie würde es vertreiben, damit ihre Schwestern wieder frei würden.
Außerdem gab es da noch den Nekromanten.
Er fixierte sie durch das bunte Lichtspiel der Fenster hindurch.
Der dumme Junge mit seinem Traum. Sie wollte nicht, dass er starb. Wenn sie sich an einem anderen Ort kennengelernt hätten, in einer anderen Zeit...
Das Gelübde der Schwestern, auf einen Gefährten zu verzichten, band sie jetzt nicht mehr. Doch auch ihr Körper würde sie nicht mehr lange binden.
Sie wusste, was sie zu tun hatte. Für die Göttin, für Vega und Maro, für die Schwestern. Für sich selbst.
„Ich halte Akara auf“, sagte sie. „Ihr sucht euch euren Weg in den Osten.“
Das Echo ihrer Stimme in dem hohen Raum verklang, und der Staub tanzte in den Säulen aus Sonnenlicht.
Nach einer Weile senkte Vega den Kopf. „Wenn es das ist, was du willst-“
Maro richtete sich auf und krallte eine Hand um die Lehne der Bank. „Das ist die größte Torheit, von der ich je gehört habe. Wir... wir wollten nach Osten. Gemeinsam.“
„Erzähl du mir etwas über Torheit, bitte.“ Jilis lachte so laut, dass das Lachen von allen Wänden widerhallte. „Manchmal geht es nicht darum, dass wir etwas wollen. Sondern, dass wir es tun müssen. Akara hat lange genug die Geister meiner Schwestern vergiftet. Sie haben an sie geglaubt, und an den Weg der Göttin. Akara hat alles in Trümmer geschlagen.“
Vielleicht wollte auch Maro lachen, aber aus seiner Kehle kam nur ein unartikuliertes Knurren.
„Dafür willst du nun Akara selbst in Trümmer schlagen.“
„Zum Wohle aller.“
„Du willst keine Rache?“
Sie überlegte kurz. Rache wollte die alte Zauberin.
Nein, wenn sie selbst aus einem Gefühl heraus handeln würde... dann wäre da ein anderes Gefühl, das sie treiben würde – und es würde sie in den Osten treiben.
„Ich will sie nur töten.“
„Ganz allein.“
„Ich bin nicht von deinem magischen Arm abhängig, um Akara ein Messer in die Kehle zu stoßen.“
Wieder knurrte Maro.
„Hältst du dich für eine Retterin deines Volks?“
Nein... Für deine Retterin.
In ihrem Hals drückte es, als hätte sie einen Fleischbrocken quer und ohne zu kauen verschluckt.
Dann klirrte eines der Fenster zum Hof hin, und das farbige Kristallglas goss sich in einer Splitterwelle in die Kathedrale. Zusammen mit einem Schatten, der zu ihnen hereinfiel.

*

Der Kerzenleuchter in Tyreés Hand strahlte auf die toten Gesichter am Boden der Kaserne. In ihnen stand noch die Überraschung des Moments, in dem ihnen die Kraft versiegt war.
Erst hatte ein Schauer sie durchlaufen, und die Arme der untoten Schwestern waren plötzlich wieder so schwach wie die der lebendigen geworden. Wie ein Inferno hatten die Lebenden sich über sie gewälzt und sie niedergemacht. Die, die danach noch standen, hatten in einem einzigen Moment alle gemeinsam das Leuchten in den Augen verloren. Dann waren sie gefallen, eine nach der anderen. Die Quelle ihrer Kraft musste versiegt sein. Selbst Falke hatte sich nicht mehr auf den Beinen halten können.
Sie ließ die Waffenkammern hinter sich und kehrte zurück auf den Kasernenhof.
Kaschya lehnte sich an eine der Zielpuppen aus Stroh für den Bogenkampf, während Akara auf sie einredete. Als Tyreé sich näherte, verstummte die Zauberin und sah in ihre Richtung. Auch Fenris‘ Töchter wendeten sich ihr zu, Beulen und Schlitze in den Turmschilden.
Tyreé schüttelte den Kopf.
„Kein Zeichen von Leben in der Kaserne?“, fragte Akara, und ihre Stimme schnitt wie ein Schwert. Aber sie bedurfte keiner Antwort.
„Sie sind alle unter deiner Zauberei gefallen“, sagte Kaschya und rieb sich über eine Schwellung im Gesicht. Das Fleisch über den Augen war angeschwollen von einem Hieb, der ihr den Schild eingedellt und ins Gesicht geschmettert hatte. „Schätze dich doch glücklich. Bis auf die Letzte ist das Kloster gereinigt.“
Gereinigt…
Tyreé ballte eine Faust in der Hosentasche. Kaschya musste ja so sprechen, um die Gunst der Anführerin nicht zu verlieren. Es ging nur noch darum, soviel Zeit für Vega und Jilis herauszuschinden, wie irgend möglich. Und darum, vielleicht doch lebendig diese Mauern zu verlassen.
„Es ist nicht meine Zauberei gewesen.“ Unter Akaras Fingerspitzen schwelten die Strohhalme einer der Übungspuppen. „Es muss die Magie gewesen sein, die sie am Leben erhalten hat – plötzlich ist sie versiegt.“
„Einerlei. Wenn sie sich selbst vernichtet haben, dann soll es uns umso mehr recht sein.“ Kaschya betastete ihre Beule über dem Auge und wies auf die zahllosen Toten, die allein den Kasernenhof bedeckten. Eine war über eine der Übungspuppen hingestreckt worden, dass sie jetzt wie das eigenartigste Tanzpärchen dieser Welt wirkten. „Wir können damit beginnen, die Trümmer fortzuräumen und die verbrannten Plätze wieder zu bepflanzen.“
Wie gerne wollte Tyreé das glauben. Aber sie wusste, dass nicht einmal Kaschya selbst es glaubte.
Akaras Blick war düster, als sie um sich blickte.
„Es gibt noch ein letztes Pestgeschwür. Was aus der Hexe geworden ist, die uns das Kloster entrissen hat, das kann ich nur mutmaßen. Aber wenn ihre Totenbeherrschung gebrochen worden ist, dann haben die Mächte, mit denen sie im Bündnis gesteckt hat, vielleicht ihren Preis gefordert. Damit bleibt aber noch immer der Totenkünstler, der sich in unser Lager geschlichen hat, und Jilis, die sich an seinen Rocksaum gehängt hat. Sie selbst benutzt die Nekromantie, um ihren vergifteten Körper aufrecht zu halten. Ihre Existenz allein verleugnet den Willen der Göttin, verleugnet die Gesetze der Welt.“
Neben den Fenristöchtern sammelten sich nun auch andere Einheiten im Kasernenhof. Die Anführer jeder einzelnen traten vor und verkündeten Akara, dass sie keine Lebenden mehr in den Mauern des Klosters gefunden hatten.
Kaschyas Blick huschte zu ihr herüber, rief nach Hilfe.
Aber Tyreé konnte nicht helfen.
Akaras Gesicht verzerrte sich, und im Rot der Morgensonne wirkte es wie eine grausame Fratzenmaske aus Ton.
„Denkt an den Lohn! Die Ehre der Hohen Jägerin für die, die mir den kalten Körper von Jilis oder dem Nekromanten bringt! Der Frevel, den sie an der Schwesternschaft getan haben, darf nicht vergessen werden!“
Ein Feuerstoß füllte den Hof mit seinem Licht, und eine Stichflamme fauchte hoch bis zu den Wachtürmen. Tyreé bedeckte die Augen mit den Unterarmen, und eine Hitzewelle brandete gegen sie.
Um die Strohpuppe, an der Akara gestanden hatte, wand sich eine Säule aus Feuer empor und sprühte Funken in den Hof.
Gluthabichte zu mir“, forderte Akara und winkte zu einem der Truppenverbände, die sich auf dem Hof versammelt hatten. „Wildlanzen… und Kinder der Göttin.“
Zögernd trat zuerst die Führerin der Wildlanzen an die Flammen; die Spitzen ihrer zwei Eisenlanzen ragten ihr schräg über die Schultern. Dann folgten die Führerinnen der zwei anderen Trupps.
„Wir durchsuchen die Kathedrale“, sagte Akara. Sie hob die Arme. „Die restlichen Scharen forschen in den Quartieren, den Lazaretten – in jedem Winkel, in den wir bisher noch nicht geblickt haben.“
Die drei Truppen, die Akara aufgerufen hatte, schlossen sich zusammen und strömten durch die Kasernentore. Die restlichen Jägerinnen teilten sich in kleinere Gruppen auf und glitten im Dämmerlicht durch Seitenausgänge davon.
Zurück blieben Fenris‘ Töchter… und sie, die letzte der Wolfszähne.
Neben Kaschya brannten noch die letzten Reste des Strohs. Die Arme der Puppe brachen ab, und in dem Strohgeflecht wimmelten noch einige Glutpunkte umher.
„Es ist fast so, als hätte sie gewusst, wohin Vega gegangen ist“, sagte Tyreé.
„Die beiden werden längst aus den Fenstern geflohen sein. So wie damals der ganze Orden.“
Tyreé stocherte mit der Klinge in der Glut. Irgendetwas stimmte nicht.
„Sie sind geflohen, meinst du…“
„Dafür ist Vega doch hier eingedrungen. Um Jilis zu warnen, damit sie gemeinsam-“ Kaschya hielt im Satz inne. Neben ihr stürzte der verkohlte Rumpf der Puppe vom Haltestock. „Du meinst, dass sie nicht geflohen sind? Was für einen Grund sollten sie haben, sich Akara noch in den Weg zu stellen?“
Ungläubig starrte Kaschya sie an.
Tyreé blies die Glut von ihrer Klinge und steckte sie wieder in die Scheide.
„Hast du jedes Mal einen Brief mit erzgräflichem Siegel und einen hochherrschaftlichen Grund gebraucht, um dein Schwert zu ziehen?“

*

Der Schatten stürzte durch den Splitterregen in die Kathedrale hinein und zog einen Umhang aus Fetzen hinter sich her.
Jilis hielt ihn mit einem Fuß am Boden fest und setzte die gezackte Klinge dorthin, wo weißes Fleisch aufblitzte.
Winzige Scherben steckten in den vernarbten Wangen der Gefallenen.
Blutrabe?
Jilis wich zurück, und ein Arm streckte sich nach ihr aus. Die Bewegung stoppte kurz vor ihrer Brust, die Finger erstarrten wie bei einer Toten.
„Bring mich… der Nekromant“, flüsterte Blutrabe. Ihr Mund bewegte sich kaum noch, und in ihren Augen glomm der Lebensfunke nur noch dünn.
Sie musste sich entscheiden. Schnell. Jetzt.
Stöhnend hievte sie Blutrabe um die Taille hoch und rief nach Maro.
Der Nekromant ging ihr durch die Bankreihen entgegen, eine Hand an die Seite gepresst, als bereite ihm das Gehen Schmerzen.
„Hilf ihr, wenn du kannst.“
Jilis lud ihre Last auf einer Bank ab. Blutrabes Körper war kalt wie Stein. Aber den Tod hatte sie ohnehin schon hinter sich.
„Ich soll ihr helfen? Sie hatte ein Leben, und sie hat es verloren. Das zweite hat sie nur durch Dämonenkraft bekommen.“
„Kannst du diese Dämonenkraft ersetzen, die ihr jetzt entzogen worden ist?“
Maro sah sie verblüfft an.
„Ja, ich könnte…“
„Dann tu es.“
Maro war schon ohnehin geschwächt, und Blutrabe würde vielleicht nichts anderes tun, als sich mit blanken Klingen auf sie zu stürzen… Dennoch. Aradeias Ableben mochte den Bann gelöst haben, der die Jägerinnen sämtlich zu ihren Sklaven gemacht hatte.
Er widersprach nicht und legte einen Arm an Blutrabes Schulter.
„Mit diesem Rest Kraft hätte ich dir vielleicht deinen Arm wiederherstellen können, aber so…“
In diesem Augenblick schlug die Tote die Augen auf und öffnete den Mund, als wolle sie nach Luft schnappen.
Jilis setzte sich neben sie und schlug die Beine übereinander.
„Du kommst zu uns zurück, Falke?“
Die Jägerin starrte an die Decke, und ihre Pupillen rasten. Als flogen Hunderte von Bildern vor ihr entlang.
Maro verschränkte die Arme und stand auf. Vega kam ihm entgegen, aber sie wechselte nur einen kurzen Blick mit Jilis und führte Maro dann fort.
„Ich weiß nicht, wie lange ich ihren Geist noch im Körper halten kann. Er strebt in die Jenseitswelt… dorthin, wo er hingehört“, sagte er und drehte sich dann um.
Sie verstand. Es war ein Akt der Dämonenmagie, Falke noch länger in dieser Welt zu halten. Aber wen kümmerte es, woher die Magie kam?
Falkes Blick beruhigte sich. Dann blieb er stehen, und ein Ruck lief vom Scheitel bis zur Ferse des Körpers. Die Augen blickten in die von Jilis.
„Ich... habe dich verraten.“
Jilis schob die Lippen auf den Zähnen hin und her.
„Ja“, sagte sie. „Du hast mich zum Krüppel gemacht, und den Dämon, der mich töten sollte, den hast du auch geschickt.“
„Ich habe sie alle verraten, die ganze Schwesternschaft.“
Jilis nahm Falkes Hand und drückte sie. Die Beine überkreuzte sie und legte sie über die Lehne der Bank vor ihr.
„Es ist niemand im Raum, den das interessiert. Es gibt die Schwesternschaft nicht mehr. Eigentlich hat es sie nie gegeben, wie ich sie mir gedacht habe.“ Sie holte Luft. „Aber du hast versucht, mich umzubringen. Nur wegen dem Fluch, mit dem Aradeia sich in deine Gedanken geschlichen hat? Du bist doch Falke, nicht wahr? Oder spreche ich noch mit Blutrabe?“
Falke schüttelte den Kopf. Ihre Hand drückte zurück.
„Ich wollte nur noch ein Mal mit dir zusammen kämpfen. Aber du hattest dir diesen Gefährten genommen...“
„Unsinn, Falke. Damit hätte ich das Gelöbnis der Schwestern gebrochen. Und da, auf dem Friedhof, habe ich noch an die Schwestern geglaubt.“
„Das heißt, ihr seid nicht...?“
„Du hast das auch dem Ziegendämon erzählt. Sein Schauspiel ist leider wenig überzeugend gewesen. Es hat ihn das Leben gekostet, dass du ihm deine Annahmen als Leitfaden mitgegeben hast.“
Langsam begriff sie. Falke war ebenso sehr Opfer geworden von Aradeias Gedankenfluch wie von der einfachsten menschlichen Leidenschaft. Eifersucht, Falke? Das hat uns also in den Untergang getrieben.
Falke wand den Kopf herum, als könne sie irgendwie entkommen.
„Ich wollte das nicht... das alles.“ Sie verschloss die Augen.
Jilis erhob sich und setzte sich auf die Lehne einer der Bänke.
„Gut, du hast es nicht gewollt. Aber was willst du dann, Falke? Es ist so wichtig wie ein Rattendreck, was genau geschehen ist, und wieso. Jetzt sind wir jedenfalls hier, und du hast noch einige Stunden. Wahrscheinlich nicht sehr viel weniger als ich.“
„Was hast du vor?“
Falke setzte sich auf, und langsam kehrte das Leben in sie zurück. Machte aus dem untoten Wrack wieder die Kriegerin, die sie gekannt hatte.
„Ich töte Akara. Wenn ich es nicht schaffe, gebe ich zumindest Maro und Vega mehr Zeit zum Fliehen.“
„Du riskierst doch dein Leben, um ihn zu beschützen?“
„Ich bin jetzt keine Schwester mehr, Falke. Ich hätte den Segen der Hohen Jägerin bekommen sollen, aber stattdessen hat Akara nur einen kräftigen Hieb in den Magen bekommen.“ Sie lachte. „Jetzt tue ich, was ich will. Um diesen dummen Kerl dort zu heiraten, brauche ich ein zweites Leben. Aber ich werde es mir verdienen.“
Falke stand auf. Ihre Gesichter berührten sich fast.
„Du willst ihn gleich heiraten? ...Du trägst den Wahnsinn eines Dämons in dir.“ Falke lächelte das erste Mal wieder, seit langer Zeit. Seit dem Spiel im Wachturm. „Dann bin ich bei dir, Jilis, wenn du dich Akara in den Weg stellst. Mein Schwert ist noch scharf.“
Jilis umarmte sie.
Das war die Falke, die sie vermisst hatte.
„Es wird eine Himmelfahrt“, sagte Jilis und drückte den kalten Körper Falkes an sich.
„Dann wäre ich glücklich. Nach dem, was ich getan habe, ist mir eher eine Reise in die Hölle beschieden, fürchte ich.“
„Besorg uns ein paar Waffen. Im Saal unter dem Altar dürftest du noch einige finden, die ich dort gelassen habe.“
In Falkes Augen glomm ein heller Funke.
„Wie groß siehst du unsere Chancen?“
„Zu zweit gegen ein Heer, das aus dem gesamten Lager besteht? Die Frage ist eben, wann wir untergehen, nicht ob.“ In ihrem Kopf erschien das Bild des Schachbretts, das Falke damals vor ihnen im Turm ausgebreitet hatte. „Wir sind zwei Bauern, die es mit der ganzen Garde der Königin aufnehmen.“
„Es gibt noch eine Regel, die ich dir damals nicht erklärt habe. Der Bauer ist die einzige Figur, die nicht wieder zurück kann, sondern immer nur vorwärts...“
„Ja, das weiß ich. So ähnlich wie wir. Ziemlich dumm.“
„...aber wenn er es bis ans Ende des Bretts schafft, dann wird er zu einer Königin.“ Falke schwieg einen Moment, dann ging sie in Richtung des Altars. „Und an welchem anderen Ort sind wir hier, als am Ende des Bretts?“
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr schöne Überraschung. Und ich hoffe, dass du bald eine ganz tolle Idee für eine neue Geschichte hast, sonst fallen wir in ein Lese-Loch ;)

Die Schach-Metapher am Ende passt gut. Außerdem ist die männliche Hauptfigur (von König kann man wohl nicht sprechen) ziemlich schlapp und sollte sich besser raushalten wenn die Fetzen fliegen :D

Weiß Maro auch schon dass sie ihn heiraten will? Der arme Kerl wird ja völlig überfahren.


Kinder des Göttin - der

Es ist so wichtig wie ein Rattendreck - irgendwas fehlt, ein Haufen?
 
Hey,

bin gerade aus dem Urlaub zurück und siehe da - 3 neue Kapitel und was für welche... Wunderbar. Hätte gehofft, dass er Aradaias schwester wirklich noch begegnet. Na ja nette Wendung. Ich freue mich auf die Fortsetzung :)

lg, Gandalf
 
argh, schon zu ende...kam mir das nur so vor, oder war dieses kapitel etwas kürzer?^^

egal! es war klasse!!! ich schau jedentag vorbei und warte auf update, weiterso :hy:
 
Beim Rattendreck fehlt meiner Meinung nach nichts... Ob nun noch als Haufen spezifiziert oder nicht, ein Rattendreck bleibt ein Rattendreck. :p
Ein kleines Leseloch wird es auf jeden Fall geben, denn 1 bis 2 Monate Planung brauche ich mindestens für etwas Neues...

Das Kapitel war in der Tat etwas kürzer. Eher ~16 Seiten als die ~26 des letzten Kapitels. Aber es war alles drin, was drin sein sollte. :)

Schön, dass ihr alle noch dabei seid und Spaß habt. Ich beackere die leeren Seiten für euch weiter! :D
 
du willst uns 1-2 monate auf entzug setzen?!?!
gibts da nicht n gesetz gegen?;)

..wird ne harte zeit...^^

bin aber schon gespannt auf die weiteren kapitel, vorrausgesetzt du meinst mit "etwas Neues" neue kapitel und nicht ein neues projekt.

mfg

Edit: oha, 99 beiträge, bin mir fast sicher bei 100 gibts n neues pic^^
 
Hmm, also ich hätte einen harten Kampf mit Aradeia erwartet, immerhin hat Jillis ihre beiden Töchter auf dem Gewissen da kann die alte doch nicht einfach abhauen ^^
Aber du wirst schon wissen wie du deine Geschichte erzählen willst.

Die Metapher mit dem Schachbrett hat mir auch sehr gut gefallen.
 
Hey Jyroshi,
noch ein Endkampf wäre zuviel gewesen. ;) Aber du hast natürlich recht mit deinem Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Ich habe leider Aradeia zu spät als Charakter ausgearbeitet... Das hat mir arge Probleme bereitet, als ich ihre Rolle in der Geschichte irgendwie abschließen musste, und nach langem Grübeln ist mir diese Lösung als die beste erschienen. Optimal ist sie natürlich nicht. Aber ich habe das Beste aus der Scheiße gemacht, in die ich mir den Karren gelenkt habe, denke ich. ;)

Hey Rayn,
ohne Pause wird es nicht gehen... Denn ich habe nicht vor, eine Fortsetzung zu 'Göttertraum' zu schreiben. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es eine geben wird.
Und für eine neue Geschichte braucht es neue Charaktere, eine neue 'Welt', und die müssen reifen. Und ich habe, um ehrlich zu sein, noch keinen Gedanken an das nächste Projekt verwendet. 5 Wochen dauert es mindestens, sonst kommt nur Unsinn heraus. Siehe Aradeia...
4 Wochen dauert allein das "Konkretmachen" des Konzepts mit der Methode, die ich verwende. Mal sehen, wie schnell ich ein Konzept beisammen habe. ;)

Die Schach-Metapher ist auch eine der ersten Sachen gewesen, die für mich in dieser Geschichte fest standen. Auf die habe ich hingeschrieben. ;) Schön, dass sie gefällt.

Das Ende ist selbst mir als Schreibendem übrigens erst eine eine Szene davor klar geworden.
Der Epilog folgt aber noch! ...und schon jetzt sind wir bei ca. 410 Manuskriptseiten. Ganz ansehnlich, würde ich sagen.







XVIII Unsterblich

Maro sah noch einmal zurück, aber Jilis besprach sich mit Blutrabe für den folgenden Angriff.
Für den Wahnsinn, den die beiden entfesseln würden.
Er stieg hinter der blonden Jägerin her, aus einem der Fenster, die nach Osten wiesen.
Die Sonne warf einen langen Schatten vor ihn hin – ein Fuhrwerk mit zwei Ochsen stand halb versteckt zwischen den Büschen.
Der Wind rauschte durch Gheeds Gewänder, die um ihn flatterten wie Bettlaken. Mager war er geworden, von dem mageren Pferdefleisch in der Mark, oder, weil er sich jetzt im Verzicht übte.
Das passt nicht zu Euch.
Der Händler zog den Gürtel etwas höher, aber er rutschte sofort wieder hinunter zur Taille.
„Eine Freude, dich noch lebendig wiederzusehen“, sagte er und öffnete die Arme. Aber die joviale Geste passte jetzt so wenig zu der Gestalt wie die Worte. Der Mann war wieder zu dem Schakal geworden, der einst Maros Säbel geführt hatte. Er wusste es nur noch nicht. „Du würdest genug von diesen Landen haben, hat mir deine Freundin erzählt.“ Er wies mit einer Reitgerte auf Vega. „Ich habe auch genug. Schwerter und Äxte sind bei mir aus, und ich will nicht wissen, wessen Seelen mit ihnen gefällt werden.“
Die junge Jägerin nickte Maro zu. Alles war vorbereitet für die Flucht.
Er löste den Schwertgurt und reichte Gheed seinen Säbel.
„Ihr lasst Euren Bauch wohl in der Mark zurück?“
Der Händler strich den Stoff über dem Gürtel glatt und lachte.
„Und deswegen könnte ich mein Falchion wieder brauchen, meinst du.“
„Ich brauche es jedenfalls nicht mehr.“
„Aha… Du hast dir schon erkämpft, auf was du es abgesehen hattest. Aber ich werde wohl nicht aus dir herausbeko-“
„Nein“, sagte Maro. Ein warmer Wind fuhr ihm von Osten her entgegen und trug die ersten Schleier von Wüstensand heran. „Ich habe es mir nicht erkämpfen können. Trotzdem.“
Vega trat zwischen sie und nahm Maro die Schwertscheide aus der Hand, um sie an Gheed weiterzureichen.
„Wir haben keine Zeit! Bitte. Jilis kämpft für jede unserer Sekunden.“
Sie hatte Recht. Auch, wenn er nicht verstand, nie verstehen würde, was genau die Kriegerin antrieb.
Maro schwang sich auf die Ladefläche des Wagens unter der Plane und half dann Vega hinein, während Gheed sich auf den Kutschbock setzte. Als er die Zügel anzog, grunzten die Ochsen in ihrem Joch und trampelten die Büsche vor sich nieder.
Der Wagen rumpelte unter Maro über den unebenen Boden.
Das Gefühl, in Bewegung zu sein. Die letzten Wochen hatte er immer auf Reise zugebracht, hatte Täler und Berge durchwandert, blutende Blasen an den Füßen, und doch… erst jetzt wieder kam dieses Gefühl, dass er sich wirklich bewegte. Obwohl er keinen Muskel rührte.
Die Türme des Klosters entfernten sich, und die grasbewachsenen Hügel wichen bald einer dünnen Schicht aus Sand.
„Wir halten uns an der Wüstengrenze und versuchen, die Anauroch möglichst in Küstennähe zu durchqueren“, rief Gheed zu ihnen nach hinten. „dann ersparen wir den Rädern die Dünen, und unser Wasser können wir uns aus dem Meer abkochen.“
Maro murmelte eine Zustimmung.
Vielleicht würde er tatsächlich zu Varn zurückkehren. Zumindest Orestar würde sich dafür interessieren, was er von dem Tor ins Dämonenreich erzählen konnte.
Sein Traum war verloren. War es von dem Moment an gewesen, in dem er ihn gefasst hatte. Er hatte es nur erst begreifen müssen.
Dass Evra ein Schatten war, der ihm seine Magie schenkte… und, dass sie nie mehr sein würde. Es gab jetzt andere Wege, andere Orte, an die er gehen konnte.
Rotes Licht der Morgensonne durchdrang die Plane des Wagens und machte seine Haut und die der jungen Jägerin fleischfarben.
Das Kloster war bald nur noch ein Umriss, der sich kaum mehr von Wäldern der Mark abhob.
Er ertappte sich dabei, wie er an seinem Gürtel nestelte.
Etwas stimmte nicht.
Ein Blick auf seine Aura.
Die Flämmchen am äußersten Rand wirbelten wild umher, während die des Mädchens neben ihm ruhig da lagen, fast wie ein ausgebreiteter Kranz von Pfauenfedern.
„Kann ich dich etwas fragen?“
Sie sah auf und deutete mit den Mundwinkeln ein Lächeln an.

*

„Wieviele Legionen, Falke?“, fragte Jilis.
Sie nahm den Zweihänder entgegen und umwickelte den Griff mit den Zähnen mit einem Lederband. Die Waffe sollte in der Schlacht nicht rutschig von ihrem eigenen Blut oder Schweiß werdens.
„Ich habe nicht ihr gesamtes Heer gesehen und gehört. Nur einige Verbände. Klingenherz, Wildlanzer, einige Namen habe ich aufgeschnappt. Aber es ist uninteressant. Eine Truppe allein würde genügen, uns umzubringen.“
Jilis schärfte die Klinge am Rand des Taufbeckens. Nie waren hier Kinder getauft worden. So würde zumindest ihre Waffe hier eine Taufe erhalten.
Sie wusch Reste von Erde und getrocknetem Blut von der Schneide und lud sich die Waffe dann auf die Schulter.
„Es ist eben doch interessant“, sagte sie. „Akara wird all diese Namen nennen, wenn sie von ihrem Sieg erzählen wird. Oh, wie heldenhaft warfen sich drei Dutzend auf die zwei der Göttin lästernden, grässlichen Kriegerinnen.“
Falke zog die Sehne ihres Bogens fest und lächelte dabei.
„Königinnen“, sagte sie. „Es waren zwei Königinnen.“
Jilis prüfte die Wurfbeile und Dolche an ihrem Gürtel. Einzig für Akara selbst war eine scharfe Waffe bestimmt, nicht für die armen Seelen, die ihr folgten. Aber schon die untoten Jägerinnen hatten sie für eine Wahnsinnige gehalten, weil sie ein halbes Kaserneninventar am Körper mit sich getragen hatte – und für noch wahnsinniger gehalten zu werden, würde ihnen in diesem Kampf nur nützen.
„Wir sind unsterblich“, sagte Jilis.
„Nun ja, fast. Jedenfalls, bis sich fünfzig Pfeilschäfte in unserem Brustkorb tummeln.“
„Nein. Wir sind wirklich unsterblich.“ Jilis stellte sich vor der Göttinnenstatue auf. Solche Gedanken hatten sich nie in ihr Bewusstsein gedrängt, aber jetzt… Vielleicht, weil da draußen Vega und Maro waren, die sie liebte, und auf sie selbst in diesen Mauern der Tod lauerte. „Sie können nicht gewinnen. Weil wir nicht verlieren können. Alles, was ich erwarte, ist, dass wir sterben. Kein Gott wird eingreifen und uns helfen, Akara zu erreichen und zu töten. Wir sind nur hier, um Zeit zu kaufen, und das tun wir, wenn wir sterben.“
Falkes Hand legte sich ihr auf die Schulter.
„Wusste gar nicht, über was du so alles nachdenkst. Kommt das davon, dass du zu lange mit diesem Zauberer umhergezogen bist?“
„Wäre das schlimm?“
„Nein. Das hier wird unser letzter Tag, und ich habe alles, was ich mir gewünscht habe.“
„Unseren Kampf?“
„Nur dafür habe ich all das getan, was ich jetzt bereue. Du kannst nur mit einem Arm kämpfen...“
„Und hätte ich drei – sie würden ja trotzdem nicht ausreichen.“
„Kannst du mir verzeihen?“
„Wenn du mir verzeihst, dass ich damals nicht nach den zehn Minuten zu dir zurückgekehrt bin, die ich dir versprochen hatte.“
„Ich war tot, als du zurückkamst. Du hast dich an dein Versprechen gehalten. Nur ich, ich war nicht mehr da. Es gibt nichts zu verzeihen.“
Der Klang von Marschschritten auf Stein drang durch das gebrochene Fenster hinein, und Fackellicht glühte durch die bunten Glasscheiben daneben hindurch.
Jilis trat neben das Kathedralenportal und stützte sich auf ihr Schwert.
„Wir benutzen die scharfe Seite der Waffe nur zum Parieren. Du kannst auch ohne eine Klinge angreifen, nicht wahr?“
Falke nickte. Sie steckte ein Messer zurück in die Scheide.
„Den Nahkampf haben wir doch alle eingeprügelt bekommen. Alle. Die anderen leider auch.“
Die Schritte zogen näher zum Kathedralentor heran. Dann verstummten sie.
Jilis senkte ihre Stimme.
„Sie sollen von uns erzählen, Falke. Von den zwei Unsterblichen, die ihnen einen Empfang wie hinter den Toren der Hölle gemacht haben.“
Die Haare an den Armen stellten sich ihr auf, und ihr Magen drehte sich in einem wilden Tanz.
Sie würden sterben. Maro würde leben, und Vega auch.
Sie spannte ihren gesamten Körper an. Nur noch ein Netz aus Sehnen und Muskeln.
Knarrend öffneten sich beide Flügel des Portals.
Falke presste sich an die Wand und formte Worte mit dem Mund.
Ich liebe dich, Schwester.
Jilis lächelte, und formte die gleichen Worte.
Sie würden für einige Momente das gleiche tödliche Gespann sein wie damals, bevor diese grausame Zeit gekommen war.
Zwei Schwestern traten voran in die Kirche, Fackeln in der Hand, und sahen sich um.
Jilis genoss den letzten Augenblick.
Dann drehte sich die Schwester zu ihr um. Ihr Mund öffnete sich, dann rammte sich Jilis’ Knie gegen das Kinn und verschloss ihn wieder. Die Pupillen rollten ihr nach oben weg, und sie kippte nach hinten, in die Arme der nächsten Schwester. Falke erschien hinter ihr, und ihr Schwertgriff schlug der zweiten Kriegerin in die Schläfe.
Zwei. Von Hundert.
Waffen glitten kreischend aus den Scheiden, und Rüstungsglieder klapperten aneinander, als die Schwesternschaft Formation annahmen. Über allem erhob sich ein Ruf von Akara, und Kriegerinnen quollen in die Kirche.
Falke verschwand hinter den Rücken zweier Schwestern, aber eine taumelte wie von einem Hammerschlag zurück und die zweite stürzte lang auf die Erde hin. Ein Mädchen drängte sich vorbei, um Platz für die Truppen hinter sich zu machen. Jilis stieß ihr die Ferse in die Kniekehlen und rammte ihr den eisernen Schwertknauf in den Magen.
Zwischen zwei Atemzügen erhaschte sie einen Blick auf das Heer, das sich im Hof sammelte. Lanzen und Schwerter funkelten rot im Morgenlicht. Eine dieser Waffen war für sie bestimmt. Fragte sich nur, welche.
Sie warf sich gegen die nächste Welle.

*

„Wieso bist du hier?“, fragte Maro.
Vega zupfte an den Zipfeln des weißen Burnus, den Gheed ihr gegeben hatte.
„Stellt ihr Totenbeschwörer alle so seltsame Fragen?“
„Ich meine… sogar Blutrabe ist bei Jilis geblieben.“
„Willst du sagen, ich wäre feige?“
Maro schüttelte rasch den Kopf. Neben ihm klirrten einige Speere in einer Vorratskiste.
Aus einem Beutel holte die Jägerin eine Tonschale mit Kuchenstücken darin hervor.
„Jeder Mensch ist gut in einer besonderen Sache“, sagte sie, „und das Kämpfen ist es bei mir nicht.“
„Ich weiß nicht“, sagte Maro. Er kam sich dumm vor. „Sie sind deine Schwestern gewesen.“
Vega schob ihm den Kuchen hin.
„Das sind sie immer noch, und ich will nicht, dass sie sterben. Aber Jilis hat gewollt, dass ich dich begleite.“
„In den Osten, fort von hier. Weil sie will, dass du überlebst.“
Maro versuchte einen Bissen von dem Kuchen. Die Schicht aus Beeren zerging auf seiner Zunge wie schmelzendes Eis.
„Nein, nicht deswegen.“
Er hustete, und fast hätte er sich an dem Teig verschluckt.
„Ihr seid wirklich seltsam. Nicht die Totenbeschwörer.“
In Vegas Augen funkelte Grimm. Hatte er etwas Falsches gesagt?
Sie beugte sich über die Kuchenschale und bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust.
„Vielleicht nicht, aber du bist es auf jeden Fall. Bist du so schwer von Begriff, Maro aus dem Osten?“
Maro sah nach vorn zu Gheed, der den Wagen an der Küstenlinie entlang steuerte.
„Ja, das bin ich wohl. Ich habe lange gebraucht, zu verstehen, dass es keine Göttin gibt, die auf mich wartet“, sagte er, mehr zu sich selbst.
„Hohlkopf“, sagte Vega. Ihre Sommersprossen leuchteten im Sonnenlicht. „Ein großer Hohlkopf bist du! Ich weiß nicht, wovon du sprichst, aber es gibt auf jeden Fall ein Mädchen, das auf dich warten würde, eine ganze Ewigkeit lang. Undzwar hier auf der Erde. Jilis will, dass ich bei dir bin, weil sie es nicht sein kann!“
Es dauerte. Dann fiel ihm das Kuchenstück aus der Hand. Die Beeren zerfielen zu einer blauen Pfütze.
„Sie…“
Vega stemmte die Fäuste gegen den Boden des Wagens, dass ihr die Knöchel schlohweiß wurden, und beugte sich vor.
„Großer, großer Hohlkopf! Hast du das nicht verstanden, wieso sie dort stirbt? Sind dir deine Sümpfe ins Hirn gesickert?“
Langsam richtete Maro sich auf.
Seine Gedanken rasten ineinander, zerbarsten und wurden neu geboren.
Jilis...
Zuviel, um es schon zu verstehen. Aber ein Blitz leuchtete auf, eine einzige Eingebung. Er wusste, was er zu tun hatte, so sicher wie noch nie – obwohl ihm die Knie weich wie Gummi waren, und seine Gedanken sich in sich selbst verstrickten.
Sie sehen. Bevor es endete... alles.
Sein Körper machte die Schritte, hielt sich nicht an den Gedankenwirren auf.
„Ich habe es nicht verstanden, bis jetzt“, sagte er, und ging auf das offene Heck des Wagens zu.
Entsetzen trat auf Vegas Antlitz.
„Was hast du vor?“
„Sie ist vielleicht noch am Leben.“
Die Räderspuren im Sand gingen höchstens eine Fingerbreite tief. Der Aufschlag würde schmerzen.
Maro setzte einen Fuß über den Wagenrand hinweg, da schloss sich ein Gewicht um seinen Arm und riss ihn zurück ins Wageninnere. Er schlug auf die Bretter auf und keuchte.
„Du gehst nicht“, sagte Vega. Sie setzte ihm die Knie auf die Brust und zog ihr Messer.
Sie hatte gelogen, als sie gesagt hatte, sie könnte nicht kämpfen. Kämpfen war mehr als nur Schwertkunst. „Wenn du jetzt gehst, dann machst du sie unglücklich. Das lasse ich nicht zu.“ Ihre Augen funkelten. Sie war die Wölfin, die für die Letzte aus ihrem Rudel kämpfte.
Maro wand sich zu den Seiten, aber das Gewicht des Mädchens hielt ihn nieder. Gheed lenkte ungerührt den Wagen an der Küste entlang. Was hätte er auch verstanden von dem, was hier geschah?
Ächzend schob sich Maro ein Stück nach oben, in die Nähe der Waffenkisten. Seine Hand ertastete einen Griff und zog daran.
„Sie glaubt zu wissen, was für mich gut ist?“, fragte er. Mit einem schmalen Dolch stemmte er sich gegen Vegas Waffe. Er war schwach, ja, aber er bündelte den letzten Rest an Kraft, um sich zu befreien.
„Ist der Tod gut für dich?“
Sie verkantete die Zähne des Messers in der Dolchklinge und drehte ihm das Handgelenk zur Seite. Dann erreichte die konzentrierte Lebenskraft seine Hand, und mit einem mächtigen Ruck hebelte er ihr das Messer aus den Fingern. Er bäumte sich auf und stieß das Mädchen von sich hinunter. Sie stürzte gegen einen Sack mit Gewürzen und stöhnte auf.
Zwei Schritte, und er stand wieder am Wagenheck.
„Vielleicht muss ich das erst herausfinden.“
Er sprang. Der Sand spritzte bei seinem Aufprall zur Seite. Er ignorierte die Taubheit in seiner Schulter und rollte sich ab. Neben ihm ein zweiter Aufprall, der Sand stob zur Seite. Vega setzte ihm nach und richtete sich auf.
„Nicht, solange ich noch stehen kann. Ich habe es Jilis versprochen!“
Einen Moment, der ihm unendlich schien, standen sie sich gegenüber.
Wahrscheinlich verstand sie ihn sogar. Es war ja nicht schwer, seinen Hohlkopf zu durchschauen. Aber das half nichts.
„Ihr entscheidet, was ich zu tun und zu lassen habe? Sag mir, wo das gerecht ist.“
Maro löste sich aus der Starre und sprintete los, durch den Sand.
Zu Tod, zu Untergang, zu was auch immer ihn erwarten würde.

*

Ein Schwert schlug eine Kerbe in die Bank neben ihr. Jilis stützte sich auf die Lehne und hämmerte die Angreiferin mit einem Fußtritt zurück in die Reihen, aus denen sie getreten war.
Falke setzte schon über die Bankreihen hinweg, in Richtung des Altars.
Wir brauchen Distanz.
Drei Einheiten strömten in die Kirche – die einen mit Lanzen, deren Spitzen immer wieder durch die Fugen der ersten Reihe hindurchstießen. Die nächsten stürmten mit Messern und Schwertern vor, und die letzten... trugen ihre Bögen auf dem Rücken. Aber noch hatte niemand ihnen einen Feuerbefehl erteilt.
Während Jilis über die Bänke hechtete, schoss ein Schwertarm von der Seite heran. Sie fing sich ab und packte das Handgelenk der Schwester, zog sie zu sich und warf ihr einen Haken entgegen. Ihre Faust prallte auf die Wange, und die Schwester wankte zurück.
„In die Sakristei!“, rief Falke ihr zu. Jeder in der Kirche konnte ihre Schlachtpläne belauschen – aber was machte das noch.
Sie holte Falke bei den Orgelpfeifen ein, hinter sich eine Flut aus Schwertern, die die Luft durchschnitten. Sie duckte sich unter einem Hieb, der dann in ein Pfeifenrohr fuhr. Der Treffer hallte wie ein schwacher, schriller Gongstoß durch die Kathedrale.
„Sie behindern sich selbst mit ihrer Masse“, rief Blutrabe. „Wenn wir auf die Galerie kommen, dann erst recht.“
Sie ging in die Sakristei hinab und deutete auf die Treppe, die die Empore hinaufführte.
Eben drängte sich eine ihrer Verfolgerinnen durch die Tür. Ein Dolchstoß – Falke parierte ihn in Richtung Wand. Ein Schwertstreich – Falke lenkte ihn zum Boden hin. Jilis packte einen Besen und rammte den Stiel der Schwester tief in den Bauch, dass ihr die Klingen aus der Hand fielen und sie sich in dem schmalen Durchlass krümmte.
Falke rannte bereits die Stufen hinauf und winkte. Die nächsten Wellen fluteten in die Sakristei.
Jilis folgte Falke auf die Galerie.
Wo hielt sich nur Akara auf? Würde sie einfach vor dem Kirchenportal warten, bis die Schwestern sie beide überrollt hatten?
Zwischen den Bankreihen ging die letzte Einheit in Position. Die Mädchen nahmen die Bögen von den Schultern, und Jilis hielt den Atem an. Sie waren in eine Todesfalle geraten. Die Kriegerinnen stürmten aus dem Galerieaufgang auf sie zu. Kein Weg zurück.
Jilis zog Falke am Arm, und die nickte. „Schon gesehen. Schön, dich gekannt zu haben.“
Langsam zogen die Schützen die Pfeile aus dem Köcher. Aber die Schwertkämpfer rannten ungebremst an – wussten sie nichts von dem Hagel aus Tod, der kommen würde?
Mit Falke zusammen wich sie über die Galerie zurück, Hunderte von Schwertern und Piken hinter sich. Die Welle ihrer Feinde strömte heran, und eigentlich würde es keinen Unterschied machen, ob Klingen oder Pfeilen sie richteten.
Plötzlich wandten sich die in der ersten Reihe um, und hinter ihnen stürzten Kriegerinnen über das Geländer, um dann wie Insekten unten auf den Kirchenbänken zu zerschellen.
Dann brach die Schlachtreihe.
Turmschilder rammten die Frauen beiseite, und die Schildträger stürzten nach vorn. Jilis suchte sich ein Beil aus dem Gürtel, und Falke brachte ihre Messer hervor.
„Köpfe runter!“, rief eine der Angreiferinnen, und Jilis stutzte.
Hinter dem Turmschild offenbarte sich ein Gesicht mit verwachsener Nase. Tyreé?
Die Jägerin rutschte auf ihren Stiefeln zu Jilis herüber. Das Schild kreischte über den Boden, Tyreé stellte es wie einen Schutzwall vor sich auf. Gleichzeitig sirrten die Pfeile los.
Wie erstarrt stand Jilis da, da zog Falke sie nach unten. Ein zweites Turmschild fügte sich in den Wall.
„Fast zu spät.“
Kaschyas Stimme. Der Hauptmann duckte sich hinter das Schild.
Noch vier weitere Schildträger reihten sich zu ihnen, und die Pfeile prallten wie Hagelkörner gegen das Metall.
Sie waren doch nicht allein.
„Weswegen seid ihr hier?“, fragte Jilis.
„Tja, ich weiß nicht. Vielleicht, um mich für das hier zu revanchieren?“ Tyreé zeigte auf ihre krumme Nase.
„Es tut mir Leid...“
Zwischen den Worten klapperten Pfeilspitzen gegen die Schildwände.
„Nein, das glaube ich dir nicht“, sagte Tyreé. „Aber es geht jetzt auch nur darum, dass wir alle hier sind... und Akara dort unten. Blutrabe kämpft auch wieder auf unserer Seite?“
Falke fiel ihr ins Wort. „Ich heiße nicht so.“
Jilis nickte. „Also kämpfen wir alle dafür, die Schwesternschaft von Akara zu befreien.“ Maro und Vega hatten jetzt genug Vorsprung bekommen, um schon die halbe Wüste durchquert zu haben. Dann konnte jetzt kommen, was wollte. „Wir sind fast so etwas wie Helden.“
„Auf jeden Fall“, sagte Falke, „Helden werden erst welche, wenn sie es ins Grab geschafft haben. Und dort kommen wir auch bald an.“
Durch den Aufgang zur Galerie strömten die nächsten Truppen der Schwertträger. Die Pfeile hagelten weiter, und zwei der Kriegerinnen stürzten, gefällt von den Geschossen ihrer eigenen Schwestern.
Jilis duckte sich in Verteidigungshaltung.
„Akara ist nicht einmal das Leben von denen etwas wert, die für sie kämpfen...“
Neben ihr nahm Falke Aufstellung. Blut klebte ihr an der Rüstung, und ihr eigenes konnte es nicht sein – das war längst geronnen.
Kaschya wuchtete ihren Kriegshammer vor sich in den Boden. „Was hast du erwartet? Sie ist nur noch ein wütendes Tier, und ihre Klauen sind die Kriegerinnen der Schwesternschaft.“
„Dann locken wir sie her. Akara soll sich zeigen, und dann erhält sie den Lohn für ihre Machenschaften.“ Jilis machte sich bereit für die nächsten Angreifer.
Sie wusste nicht, wie lange sie noch würden standhalten können. Die Wand aus Schilden bewahrte sie vor dem Pfeilregen der Schützen, aber nur vier Mann konnten sich am Rand des Walls den Schwert- und Messerkämpfern entgegenstellen.
„Das ist das Ende“, flüsterte Kaschya.
„Noch nicht“, sagte Jilis. „Noch nicht.“

*

Als sich Vega ihm von hinten in die Beine warf, stürzte Maro und schlug lang in den Sand hin. Die Sandkörner brannten ihm in Nase und Mund, und er keuchte und hustete.
Noch zwei Dünentäler lagen vor ihm, dann flachte die Wüste ab. In der Ferne standen schon die Schatten der ersten Laubbäume.
„Es ist auch nicht gerecht, dass du dich umbringen lassen willst, wo sie doch dafür kämpft, dass du lebst!“, rief Vega.
Maro nahm Schwung und rollte sich den Abhang hinunter. Die Welt wirbelte um ihn, und Sand rieb zwischen Haut und Kleidern. Er strampelte mit den Beinen, und erst löste sich der Griff um sein eines, dann um sein anderes Fußgelenk.
„Ich habe sie nicht darum gebeten, für mich zu sterben!“
Schnaufend kam er wieder auf die Beine, und Meter hinter ihm richtete sich auch die Jägerin wieder auf.
Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich bergauf, über die letzte Düne. Ein langer Schatten fiel über ihn, und ein wütender Schrei gellte heran. Er sprang zur Seite, und neben ihm stürzte die blonde Kriegerin in den Sand. Augenblicklich stemmte sie sich hoch und stand wieder aufrecht. Ihre Augen glühten wie die eines Berserkers, der nur noch den Tod kannte – den der Feinde, oder seinen eigenen.
Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie gerade darum kämpfte, dass er am Leben blieb...
Er riss sich los und nutzte den winzigen Vorsprung, den er hatte. Er wollte das Mädchen nicht niederschlagen. Wenn er das überhaupt geschafft hätte.
Die ersten Gräser federten seine Schritte, und er sprang über Sträucher und Äste. Sein Atem pfiff wie von selbst hinein und wieder hinaus aus ihm.
Zwischen dem Geäst neben ihm tauchte das Gesicht der Jägerin auf. Geduckt hetzte sie ihm nach. Vier oder fünf Schritt von ihm entfernt, auf gleicher Höhe. Ihr Hecheln drang hin bis zu ihm. „Ich... lasse nicht zu...“
Maro quälte die letzte Energie aus seinem Körper. Es machte nichts, wenn er danach zu Boden ging und vielleicht niemals mehr hochkam.
Den Wind im Rücken, setzte er über schmale Bachläufe hinweg, über sumpfige Senken, immer hin zu den Mauern, die sich bis über die Baumwipfel erhoben.
„Es macht jetzt keinen Unterschied mehr!“, keuchte er, „wir sind schon zu nah. Sie kriegen uns hier, oder im Kloster!“
Vega jagte weiter neben ihm her. Sie brauchte keine Magie, um die letzten Reserven aus ihrem Körper zu pressen. Sie tat es einfach. Den Blick auf ihn fixiert, flog sie über die Ebene hinweg.
Dann fiel sie zurück, Schritt um Schritt.
Vielleicht, weil seine Worte sie erreicht hatten und sie sich endlich in den Wahnsinn fügte, wegen dem er diesen Weg nahm. Vielleicht, weil ihre Ausdauer sie dazu zwang.
Sie verschwamm zu einem Blitz, der nach hinten an ihm vorbeiglitt, wie die Weidenstämme und die Beerensträucher.
Er lief weiter.
Wenn er jetzt anhielt, musste er sterben. Und auch Jilis musste sterben. Die Welt musste zerfallen.
Sein Körper war nur noch eine Hülle, die seinen Geist vorantrug. Zu welchem Ende auch immer.
Wenn er es nur früher begriffen hätte. Dass die Göttin nie auf ihn gewartet hatte, aber dafür ein anderes Mädchen.
Vor seinem Auge sah er den Dämon, der auf dem Gebirgspfad zu ihm gestürmt war. Dann der Bolzen, der den Geflügelten gefällt hatte. Selbst mit nur noch einem Arm beschützte sie ihn. Jetzt, wie sie es damals getan hatte.
Sie war mit ihm durch die Hölle gegangen, hatte ihn wieder herausgeholt. Sie hatte soviel von einer Göttin an sich, wie es eine Sterbliche haben konnte.
Auf den letzten Metern spürte er, wie sein Körper nachgab.
Aber noch nicht ganz.
Sein Schatten reichte schon fast bis zu den geborstenen Fenstern der Klosterkathedrale, und er setzte den letzten Schub Lebenskraft ein, um nicht zusammenzubrechen.
Jilis!

*

Am Rande des Schildwalls prallten die letzten Fenristöchter auf die Gluthabichte. Namen, die Kaschya genannt hatte, die jetzt nichts mehr bedeuteten. Schwester kämpfte gegen Schwester.
Eine mit gebrochenem Arm wurde aus der ersten Reihe nach hinten gerissen, um die Schilde aufrecht zu halten, und eine mit nur einem leichten Schnitt in der Seite ersetzte sie in der Schlacht.
Tyreé verband sich eine tiefe Wunde am Arm, und Jilis selbst schöpfte einige Sekunden lang neuen Atem. Nur einige Sekunden...
Falke, die keine Erschöpfung kannte, stritt neben zwei Fenristöchtern auf der gesamten Breite der Galerie. Um sie herum schnauften die Kriegerinnen vor Anstrengung und kämpften mit zitternden Armen, nur Falke schlug noch mit vollendeter Präzision zu, durchtrennte hölzerne Rundschilder zu Splitterhageln und warf Gegnerinnen mit Kniestößen auf die Erde nieder.
Neben ihr fiel eine Fenristochter unter einem Schwertstich, der ihr bis durch den Rücken drang. Falke entwaffnete ihre Mörderin und setzte zu einem Ellenbogenstoß an, aber mitten in der Bewegung verharrte sie.
Jilis ahnte es. Wie sehr hatte sie den Moment gefürchtet.
Die Schlacht gerann zu einem einzigen Bild, zu einem Augenblick des Schreckens. Mit zwei Schritten eilte Jilis nach vorn und war bei ihrer Freundin. Die Gluthabicht-Kriegerin vor ihr zog ihre zwei Klingen aus der Brust von Falke.
„Hätte... früher oder... später...“, stammelte sie und fiel in Jilis’ Arme.
Jilis schluckte die Tränen herunter. Hätte sie nicht froh sein sollen, dass sie in diesem Wahnwitz überhaupt noch Tränen hatte?
Falkes Augen waren bereits erstarrt, als Jilis sie auf den Boden bettete.
Akara…”, murmelte Jilis, und obwohl sie die Nase hochzog, flossen ihr Tränen und Rotz über das Gesicht.
Um sie war es still geworden. Zwei weitere Fenristöchter lagen in Lachen ihres Bluts am Boden, und vor Tyreé krümmte sich die letzte der Gluthabichte.
Das Blut tränkte die Luft mit saurem Geruch, aber da war noch etwas anderes. Eine unsagbare Schwere, als drückten Tonnen von Wasser auf sie herab.
Sie... ist in der Kirche“, sagte Kaschya schwach.
Akara? Würde Akara sich die Mühe machen, sie nun selbst zu töten?
Zu dem Gewicht, das sie niederhielt, kam Hitze dazu. Der Schweiß drängte sich Jilis aus allen Poren.
Sie stemmte sich gegen die Schwere, stand auf, und im selben Augenblick wallten dunkle Gewänder die Treppe hinauf.
Akara.
Die Robe griff um sich wie die Arme eines Tintenfischs, getrieben vielleicht von dem selben Wind, der gegen jede von Jilis’ Bewegungen arbeitete.
Mit ungeheurer Mühe zog sie das Jagdmesser aus der Scheide und trat an den Rand des Schildwalls.
„Nicht“, schallte eine dünne Stimme von hinten heran.
Sie war unwichtig.
Akara hatte die Arme ausgebreitet, um ihren dürren Leib flatterte das Tuch wie ein Wesen mit eigenem Willen.
„Eure Anwesenheit in dieser Halle ist ein Frevel, gegen alles, für das wir stehen“, hauchte Akara, aber ihre Stimme hallte von einer Wand bis zur anderen.
Die Macht einer Zauberin.
Jilis hatte nur die Macht einer einarmigen Kriegerin.
Sie machte einen Schritt auf Akara zu. Die Zauberin riss die Augen auf, und ein Druck, als würden Wände sie zermalmen wollen, drängte sich von allen Seiten gegen Jilis’ Körper.
„Näher kommst du nicht“, sagte die Hexe.
Es war, als würden ihr die Knochen von innen heraus langsam zu Staub zermahlen. Dann ein Stich in die Seite. Ein Pfeil ragte aus ihrer Hüfte. Ein lächerlicher Schmerz, verglichen mit der Magie.
Jilis setzte einen Fuß vor den anderen.
Sie würde sterben, aber sie würde soweit gegangen sein, wie es möglich gewesen war.
Das Messer streckte sie nach vorn, konzentrierte ihr gesamtes Sein in diesem Moment, strebte dem Glitzern der Klinge nach.
Zwei Pfeile bohrten sich ihr in den Hals, und sie spürte ihre Zunge im Mund nicht mehr.
Ein Treffer in die Wade. Sie zog das Bein nach, ging in die Knie. Weiter vorwärts. Langsam.
Akaras Augen glühten wie Bernstein, und wieder verstärkte sich der Druck.
Ihr Körper war ein Tempel, der einstürzen musste. In ihren Ohren lag das Krachen ihrer Knochen. Ihr Kiefer verschob sich, und ein scharfes Splittern sprengte ihr beinahe den Schädel.
Ein Pfeil drang schräg in ihre Brust. Ein zweiter prallte gegen die Rippen, ein dritter drang mit dem halben Schaft ein.
Sie war nicht mehr Jilis. All ihr Sein gab sie in den gestreckten Arm, in die Klinge in ihrer Hand. Sie war die Klinge. Deswegen würde sie siegen. Weil Akaras Klinge nur die Schwestern waren, die sie missbrauchte.
Sie war ihre eigene Waffe.
Unsicherheit lief über das faltige Gesicht der Hexe.
„Du bist tot!“, zischte sie, und ihre Hände machten hilflose Gesten, als wolle sie die Luft kneten.
„Ja“, sagte Jilis, und der Laut kam nur als ein Stöhnen aus ihrem gebrochenen Kiefer.
Eine Pfeilsalve schüttelte ihren Körper. Mindestens zwei waren durch den Brustkorb in ihr Herz gedrungen, und durch eine andere Wunde wich ihr die Atemluft aus der Lunge.
Sie machte den letzten Schritt, und das Jagdmesser verschwand zwischen den tanzenden Stoffschichten von Akaras Umhang und grub sich in ihre Brust.
Jilis’ Finger glitten ab von dem Messergriff. Die Farben wichen aus der Welt, zusammen mit dem Gewicht ihrer Glieder, dem Gewicht ihres ganzen Körpers. Sie sank auf die Knie, und Akara mit ihr. Die Geräusche um sie verstummten, die Welt verblasste.
Und alles war gut.

*

Ein Strom aus reiner Magie rollte auf Maro zu. Entfesselte Macht, wie sie nur beim Tod eines Zauberers wirken konnte.
Er sprang hinter einen Strauch in Deckung, und im nächsten Augenblick explodierten die Fenster der Kathedrale. Es klirrte, als wären hundert Hämmer gleichzeitig auf das Glas getroffen, und ein Regen aus bunten Scherben ging auf ihn nieder. Stechender Schmerz senkte sich zwischen seinen Schulterblättern ins Fleisch.
Beim Versuch, sich aufzurichten, sank er zurück auf den Boden. Der letzte Rest an Kraft war verbraucht. Mit zitternden Händen zerrte er sich zwei faustgroße Splitter aus dem Rücken und schleuderte sie in die gläserne Decke, die sich auf dem Gras ausbreitete.
Für Sekunden schloss er die Augen, dann kämpfte er wieder. Jaulte und schrie gegen Schmerz und Erschöpfung an, und schließlich stand er wieder. Flecken tanzten vor seinen Augen, und er quälte sich vorwärts. Unter seinen Stiefeln knirschte das Glas, und irgendwie zog er sich durch das Fenster in die Kathedrale hinein.
Es war still.
Die Morgensonne färbte die Rüstungen von hundert Kriegerinnen, die wie Statuen entlang der Bankreihen standen. Weitere hundert lagen zu ihren Füßen und führten in einem grausigen Pfad hinter dem Altar vorbei.
Er ging vorüber an den Kriegerinnen. Keine von ihnen sagte ein Wort, nur mit den Blicken folgten ihm manche.
Nicht einmal in den Hallen der Meister der Nekromantie hatte er ein solch... absurdes Schauspiel erlebt.
„Jilis“, sagte er plötzlich, und seine Stimme war die einzige in dem leeren Raum.
Sie musste es geschafft haben, Akara zu töten. Deshalb die magische Entladung. Ja, so musste es gewesen sein. Sein Herz schlug schneller.
Er drängte sich durch die Kriegerinnen, und bereitwillig wichen sie beiseite. Manche trugen Klingen, an denen Blut haftete.
Eine Treppe ging er hinauf, folgte den Gefallenen, dann blieb er in einem schmalen Durchlass stehen.
Akaras dunkler Umhang breitete sich als ein Leichentuch über sie, bedeckte sie bis zu den Beinen.
Maro suchte in den Gesichtern auf der Empore nach dem von Jilis. Wo war sie?
Schritte tappten auf den Stufen der Treppe hinter ihm, und eine Hand umschloss seine Schulter. Erst zögernd, dann fasste sie fest zu.
„Komm weg“, sagte Vega, noch immer außer Atem.
Er sah den Körper, der ebenfalls zur Hälfte von dem Tuch Akaras verdeckt wurde, gespickt mit Pfeilschäften.
„Nein“, sagte er. Nur wozu genau, das wusste er nicht.
 
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XIX Epilog: Das Ende des Traums

Vega schlang sich den Schal noch zwei Male um den Hals.
Wie tückisch die Kälte der Berge schon im November sein konnte.
Mit einem Becher Kakao in der Hand setzte sie sich auf einen Felsvorsprung und ließ die Beine baumeln.
Aus den grauen Wolken würde bald der erste Schnee fallen, und er würde Blut und Tod, all die Überbleibsel der Schlachten, gnädig verdecken. Wenn erst eine Decke über den Dörfern lag, würden die Menschen bis zum Frühling vielleicht die Verheerung vergessen können, die sich in die Nordmark gestürzt hatte.
Aber sie würde nicht vergessen.
Die Begräbnisprozession, die Jilis erhalten hatte, hatte sie nur aus der Ferne verfolgt. Sie war sich nicht einmal sicher, ob die meisten der Jägerinnen verstanden hatten, weshalb Jilis dieser Trauerzug gewährt worden war.
Neben sie trat ein Gespenst, mit schneeweißem Haar und gehüllt in schwarze Stoffe.
Der Nekromant beugte sich über den Grabhügel auf dem schmalen Stück Wiesengrund und pflückte eine Blume dicht neben dem Grabstein.
„Es ist Edelherz.“ Er hielt ihr die Blüte mit den gezackten, weißen Blättern hin und setzte sich neben sie. „Die Nordmänner sagen, es wächst auf den Gräbern ihrer größten Helden.“
Wie lange hatte sie den jungen Mann nicht mehr gesehen? Wochen, Monate, schätzte sie. Und dann war Tyreé mit der Botschaft zu ihr gekommen, dass er sie treffen wollte.
Sie reichte ihm auch einen Becher und schenkte ihm ein.
„Das machen sie so. Sie vergraben die, die sie für Helden halten, einfach über der Schneegrenze – dort wächst keine andere Blume mehr als Edelherz.“
„Schade, dass du das weißt. Manchmal können Illusionen schöner sein als die Wahrheit dahinter.“ Lächelnd nahm er den Becher entgegen. „Wieso habt ihr sie hier begraben?“
„Den Friedhof halten nun Viele für einen verfluchten Ort. Es ist dann Tyreé gewesen, glaube ich, die diese Idee hatte. Sie hatte die Nordmänner vielleicht im Sinn, als sie sich das ausgedacht hat.“
Maro nahm einen Schluck aus dem dampfenden Becher und machte ein fragendes Gesicht. „Tyreé?“
„Hauptmann Hakennase sagen alle zu ihr. Jilis hat ihr einmal die Nase gebrochen, und das sieht man...“
„Dann lebt sie bei euch weiter durch eine gebrochene Nase. Das passt, glaube ich.“
Unter ihnen verschwanden die Wälder im Frühnebel.
Es stimmte. Keiner würde Jilis vergessen. Schon, wenn er nur gesehen hatte, wie sie Akara gegenübergetreten war. Sie selbst hatte es ja nur von Kaschya gehört. Aber sie glaubte die Geschichte gern, in der Jilis sich mit zermalmten Knochen zu Akara vorgekämpft hatte, um sie dann mit sich in den Tod zu nehmen.
„Bei uns lebt sie weiter, ja“, sagte Vega. Sie nahm noch einen Schluck, um noch einen Moment Bedenkzeit zu haben. „Und... bei dir?“
Der Nekromant stieß die Luft aus, und ein Dunstgespinst stieg in die Höhe. Er hielt sich an dem Kakaobecher mit beiden Händen fest, als müsse er sonst in die Tiefe stürzen.
„Sie hat mir etwas gegeben, an das ich mich erinnern werde.“
Sie wartete einen Augenblick. Aber er sprach nicht weiter.
„Es ist richtig gewesen, dass du Gheed aus dem Wagen gesprungen und zum Kloster zurückgelaufen bist.“
„Dabei hat es doch nichts geändert.“
„Nein, aber vielleicht hast du es... gebraucht, in diesem Augenblick.“
Er wandte den Blick ab.
„Ich frage mich, wann Gheed bemerkt hat, dass er allein mit den Ochsen gewesen ist.“
„Er ist sicher längst zurück im Osten.“
„Nein, er wartet. Darauf, dass ich zurückkomme. Er steht am Waldrand.“
„Hast du die ganze Zeit bis jetzt in der Mark verbracht?“
An seiner Schulter hing noch immer der Totenschädel. Voll von Rissen zwar und ohne Unterkiefer, aber das Zeichen blieb. Maro war noch immer ein Beschwörer der Toten, kein Bauernjunge aus einem der nächsten Dörfer. Vielleicht deshalb hatte sich Jilis in ihn verliebt.
„In meinen Künsten kann ich mich überall üben. Dazu muss ich nicht in meine Heimat zurück.“
„Aber du wirst doch zurückkehren, oder?“
„Ich wüsste nicht, wer oder was dort auf mich warten würde. Aber auch hier ist nichts mehr, nach dem es mich noch verlangen würde.“ Er seufzte, und nach dem letzten Schluck stellte er den Becher ab. „Für dich ist die Wahl leichter.“
„Ja, das stimmt“, sagte sie. Sie lächelte. „Ich komme mit.“
Entgeistert starrte er sie an.
„So meinte ich das nicht, ich dachte...“
„Dass es mich hier noch nach etwas verlangen würde? Die Schwesternschaft baut ihr Kloster wieder auf, und das Land erholt sich vielleicht langsam von diesem Krieg... Aber ich habe nichts mehr hier. Meine Freundinnen haben sich für diesen Frieden geopfert, doch ohne sie ist es ein Frieden, der mir nicht behagt. Es ist kalt in den Gemäuern, wenn draußen der Schnee stürmt, und allein ist es einsam. Tyreé ist eine Kriegsheldin geworden, und selbst die Schwestern, die im Kloster gegeneinander gekämpft haben, können sich jetzt Geschichten von der großen Schlacht erzählen. Aber ich habe nicht gekämpft, und ich bin wie eine Fremde für die anderen. Nimm mich mit. Auch, wenn ich nicht kämpfen kann.“
Er lachte leise.
„Du kannst nicht kämpfen, sagst du? Als du mich verfolgt hast, in der Wüste, dachte ich, ein reißender Wolfshund wäre mir auf den Fersen. Vielleicht hast du nur noch nicht herausgefunden, für was du kämpfen willst.“
Erst kletterte er von dem Vorsprung herunter, dann half er ihr.
Sie stiegen den gewundenen Bergpfad hinab, und langsam wich der Nebel vor ihnen.
Für was sie kämpfte? Der Nekromant verstand sich darauf, unangenehme Fragen zu stellen.
Vielleicht kämpfte sie dagegen, allein zu sein.
„Für was kämpfst denn du?“, fragte sie.
„Die Aufgabe der Nekromanten ist es, das Gleichgewicht zu wahren. Dafür kämpft meine Kaste.“
„Und wofür kämpfst du?“
Diesmal lachte er lauter.
„Vorerst für einen vollen Mittagsteller und ein trockenes Unterbett.“
„Hm“, machte Vega und setzte über einen Felsspalt hinweg. „Ich kenne dich kaum, aber das klingt nicht nach dir.“
„Ich sagte ja. Vorerst.“
„Dann bin ich dabei. Gegen ein trockenes Unterbett gibt es wenig einzuwenden. Vorerst.
Sie mochte ihn. Er war keiner der lauten Handwerksburschen oder Tagelöhner, die durch die Lande zogen, und er ging nicht verschwenderisch mit seinem Lächeln um.
Auf einem Pfad neben der Straße stand das Ochsengespann des Händlers, und diesmal verhüllte ein Fuchspelz seine schmächtige Gestalt.
„Ah, die üblichen Passagiere“, grüßte er sie vom Kutschbock aus. „Diesmal wollt ihr mir nicht hinten von der Ladefläche springen, um euch im Sand zu wälzen, hoffe ich. Es wird nämlich Abend sein, bis wir die Wüste erreicht haben, und dann sind die Dünengipfel so kalt wie die eurer Berge.“
Sie nahmen Platz zwischen den Gepäckkisten und einigen zusammengerollten Teppichen, die der Händler noch erworben haben musste.
„Fahrt schon zu“, sagte Maro.
„Es soll geschehen, junger Kaiser!“, rief Gheed nach hinten, und grunzend spazierten die Ochsen los, lenkten den Wagen wieder auf die Hauptstraße nach Osten. „Leider habe ich weder Platz noch Geld für einen Kamin, also rückt etwas zusammen, dort hinten.“
Ein eisiger Wind fuhr Vega in den Nacken, und sie rückte ein Stück näher zu Maro heran.
„Und gäbe es doch irgendwie die Möglichkeit, einen Kamin auf einem Lastkarren zu transportieren...“, sagte er und sah sich nach hinten zu dem Händler um, „...dann wäre Gheed ohnehin schlicht zu geizig, um sich einen zu besorgen.“
Vega lächelte.
„Du hast doch vorhin gesagt, dass Jilis dir etwas gegeben hätte. Zeigst du es mir?“
„Es lässt sich nicht zeigen. Nur begreifen. Das... Ende des Traums.“ Mit gesenktem Blick hielt er kurz inne, bevor er weitersprach. „Wahrscheinlich brauchen wir alle Träume. Sogar der alte Gheed hat welche. Aber ich habe über den Träumen vergessen... dass es tatsächlich noch eine Welt gibt, die ich mit meinen eigenen Händen greifen kann.“
Der Nebel schlang sich um das Kloster und verschluckte Stück für Stück den Weg, den sie gekommen waren.
„Das klingt eher nach dir“, sagte Vega nach einer Weile, und sie mussten beide lachen.


















Und damit endet die Geschichte. :)
Es hat viel Spaß gemacht, das ganze Ding zu schreiben, und ich gehe jetzt mit einem hohlen Gefühl im Magen davon. Maro, Jilis, Vega... alles irgendwie meine Kinder, und sie haben wahrscheinlich alle einen viel größeren Teil von mir in sich, als ich selbst erkenne.
Aber die ersten Ideen für das nächste Projekt fließen schon!
Wie ihr mir jetzt helfen könnt: Lasst noch einmal das ganze Abenteuer Revue passieren und sagt mir, was euch gut gefallen hat, und was nicht.
Ich habe mir natürlich auch schon einige Notizen gemacht, die ihr auch gerne kommentieren könnt.

-Kämpfe lieber dicht statt ausufernd beschreiben
-Charaktere die ganze Zeit über fordern(siehe Maro, der leider erst sehr spät wirklich seine Prüfungen bekommen hat, obwohl er doch der Hauptcharakter ist)
-auch Nebencharaktere im Voraus planen, samt Entwicklung(siehe Aradeia, die am Ende leider nahezu überflüssig gewesen ist und besser von Beginn an als namenloses Grauen verblieben wäre)
-keinen künstlichen Einstieg in die Geschichte(denn genau das ist das erste Kapitel, was ich hiermit auch endgültig entferne)
-weniger Action und mehr Raum für die Charaktere

Ansonsten habe ich vor, Göttertraum noch einmal zu überarbeiten, also zunächst die Rechtschreibfehler herauszupicken, und die ganze Geschichte dann noch einmal in einem neuen Thread zusammenhängend zu veröffentlichen.

Ein großes Danke an euch alle für eure aufmerksamen Augen, denn ihr helft mir mit euren Kommentaren und Entdeckungen sehr viel weiter. :)
 
Zuletzt bearbeitet:
als absoluter häppi-end-fän, find ich es sehr schade dass Jilis sterben musste, jetzt wo doch alles klar war für die beiden *g*
und als blutrabe starb, hätte Maro doch egtl einen gehörigen schub an lebenskraft erhalten sollen, welcher es im dann schließlich ermöglicht hätte, alle zu retten^^

die story war klasse, hat mir echt gut gefallen, da hab ich sogar meine starwars bücher links liegen lassen :P
freu mich schon auf dein nächstes projekt.

Maro hättest du einwenig "männlicher" gestalten können, der hat für mich von anfang an wie ein weich-ei auf schlaftabletten gewirkt^^zB hätte er diverse pfeile an einer schicken knochenrüstung zerschellen lassen können, oder die kraft mit der er so manches zum leben erweckte (jilis' arm, golem, dunkle jägerinnen,etc) auf sich selbst an wenden. In kombination mit besagter (etwas abgeänderter - das liegt im ermessen des autors *g* -) knochenrüstung wäre das dann der necro-beserk-mode :p

ansonsten fand ich egtl alles echt gut gelungen^^

mfg
 
:cry: Das mit dem Heldentod hätte echt nicht sein müssen für meinen Geschmack. Ich mag keine Damenopfer, weder beim Schach noch in Geschichten. Und erst recht nicht wenn es Jilis ist, die war mein Lieblingscharakter in der Geschichte.

Falls ich es noch nicht oft genug erwähnt habe: Die Geschichte ist ganz große Klasse, ich freu mich schon auf die Nächste. Aber bitte lass zumindest die Wichtigsten leben, wir mögen deine Charaktere auch ;)

Zu den Charakteren:

Akara wirkt im Nachhinein so übermächtig, dass es seltsam ist, dass sie aus der Bibliothek gerettet werden musste. Am Anfang wirkt sie so schwach und harmlos, obwohl sie keinen Grund hatte, ihre Macht vor den eigenen Leuten zu verbergen.

Was war mit Vega und Falke? Ist eigentlich nicht so wichtig, das fiel mir nur grade so auf. Vega wirkt wie eine richtige kleine Schwester von Jilis (nicht im Sinne von Schwesternschaft), Falke ist die beste Freundin, da wäre es logisch, dass die beiden sich auch ziemlich nahe stehen. Das hast du glaub ich gar nicht erwähnt, oder ich hab es überlesen.


die letzten Reserven aus ihren Körper - ihrem

Die Zauberin riss die Agen auf - Augen
 
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