Das ist mein diabolisches Vergnügen, dass ihr mit dem Lesen nicht nachkommt.
Spielberichte... Wohl eher nicht, ehrlich gesagt. Es gibt im Moment noch ca. 50 andere Spiele, die ich mal spielen will, Final Fantasy Dissidia habe ich nicht einmal zu einem Viertel durch, und dann will ich noch noch bei Devil May Cry 3 meinen SS-Rank-Run durchkriegen...
Und dann muss ich noch 9 Stunden jeden Tag arbeiten, gehe 2 Mal in der Woche ins Fitnessstudio, und ohne meine 20 Seiten in der Woche + 1 Roman durchgelesen bin ich auch nicht glücklich. Wird schwer.
Schön, dass du wieder dabei bist, martini!
Dass die Kampfsequenzen immernoch so lahm sind, das muss ich mal untersuchen, wenn ich die Geschichte fertig habe und sie "verdaut" habe, und den subjektiven Blickwinkel überwunden.
Dass dir das Maro-Kapitel gefällt, ist wieder lustig. Den anderen gefällt es nicht.
Auf die Schnelle(und trotzdem durchkontrolliert) kommt hier erst einmal das nächste Kapitel. Der Titel bedeutet nicht unbedingt, dass es das bedeutendste der Geschichte ist... Aber es kommt eben die Szene drin vor, die der Geschichte zu ihrem Namen verholfen hat.
XVI Göttertraum
Tyreé prüfte die Spannung ihres Bogens. Bald schon würde die Waffe Leben fordern – nicht mehr als nötig, wie sie hoffte.
Die dichten Haselsträucher verdeckten die rastenden Kriegerinnen vor ihnen. Es war jetzt die letzte Chance.
„Wieso gehst du nicht zurück zu deiner Einheit?“, fragte Kaschya. Durch das Blätterdach drang nur ein schwacher Hauch Mondlicht zu ihr. Sie kauerte im Schatten wie ein Wolf.
Aber nicht wie ein Wolf, der auf sein Opfer lauerte, sondern wie einer, der selbst Opfer geworden war und sich jetzt vor den Blicken verbarg.
„Ist das ein Befehl?“
Tyreé spähte hinaus zu den rastenden Grüppchen. Auch ihre war darunter. Eine Dutzendschaft, die sie anführen würde. Als Speerspitze würden sie durch einen Spalt im Westtor dringen, das die Späher ausgemacht hatten. Kaschyas Schlachtplan stand... aber es gab noch mehr, das den Ausgang dieses Kampfs bestimmen würde.
„Als wäre ich noch im Stande, Befehle auszugeben, Tyreé.“
„Das bist du. Du hast den Haufen, der von uns übrig war, zu einem Heer geformt.“
„Ja, auf den Befehl von Akara hin. Siehst du das nicht? Ihr seid das Eisen, ich bin der Schmiedehammer, und
sie ist diejenige, die den Hammer führt. Sie ist auch diejenige, die das Schwert schwingen wird, wenn es fertig geschmiedet ist.“
„Gefallen dir die Bilder, die du dir da malst? Vielleicht ja, weil du dir dann einreden kannst, dass du zumindest darin einen schönen Platz hast. Den und nämlich das ganze, hübsche Bild würdest du zerstören, wenn du dich daraus erheben würdest.“
Die Gräser raschelten, und Kaschya trat unter den Ästen hervor. Ihr Kettenhemd spiegelte Streifen von Mondlicht.
„Wie sprichst du mit deinem Hauptmann?“
„Verzeih, Kaschya. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, mit einer Geringeren zu reden, als du es bist.“
Ihr Hauptmann seufzte.
„Was soll ich tun? Egal, was ich versuchen würde - Akara ist eine Zauberin, und im Alter lässt die Kraft der Magie nicht eben nach. Wenn sie mich nicht niederstreckt, dann tut es eine von euch, die sich danach sehnt, ein ‚
Hauptmann’ vor ihrem Namen zu hören.“
„Ich kann auch gut ohne eine Höflichkeitsform auskommen.“
„Du schon–“
Tyreé nahm sie an der Schulter und zog sie zu sich heran. Sie musste wieder Leben in diese tote Hülle bringen.
„Genau,
ich. Ich weiß nicht, was die anderen aushecken, aber du hast zumindest
eine Verbündete.“
Kaschya schob ihre Hand fort und ging mit gemessenen Schritten auf die Lagernden zu.
„Eine Verbündete in welchem Kampf denn? Ich habe nicht vor, noch einen zu schlagen.“
Tyreé befeuchtete die Lippen. Sie wusste ja nicht einmal, ob Vega und Jilis sich im Kloster befanden. Aber
wenn, dann konnte sie etwas tun.
„
Ich will aber noch einen Kampf schlagen“, sagte sie. „Ich glaube, dass Jilis und Vega im Kloster sind, und wenn wir sie nicht hinausschaffen, wird Akara sie richten lassen. Mit meinen zwölf Jägerinnen werde ich sie suchen gehen, und versuchen, sie zu retten.“
Unvermittelt blieb Kaschya stehen.
„Rette lieber dich selbst. Wenn du versuchst, was du da vorhast, wird Akara dich genau so beseitigen, und du wirst auch die Last der verlorenen Leben deiner Kriegerinnen tragen müssen. Egal, ob du Jilis retten kannst oder nicht.“
Tyreé wartete mit den nächsten Worten ab. Die Zweige raschelten an ihrer Leinenhose.
„Es ist ein Tanz mit dem Teufel. Aber ich will nicht dieses Schwert sein, das Akara da aus uns schmiedet, um es dann nach ihrem Willen zu schwingen. Ich bin mein eigenes Schwert.“
„Hm“, machte Kaschya. Langsam drehte sie sich um, und in ihren Zügen malte sich Unsicherheit ab. „Ein Schwert hat zwei Schneiden. Mit einer kraftvollen Parade treibt dir dein Gegner es ins eigene Fleisch.“
Was hieß das wieder?
„Du hast immer noch Macht, Kaschya. Wenn du dir zwanzig Schwestern zusammensuchst und sie selbst in die Schlacht führst, dann wird dich niemand aufhalten. Und im Kampfgetümmel hören sie wieder auf deine Kommandos. Akaras hehrer Glaube an den Sieg ist für die Säue, wenn die Feinde euch in die Zange nehmen.“
Kaschyas Finger tasteten über das Holz ihres Bogens. „Wohin soll ich meine Kriegerinnen dann führen?“, fragte sie halblaut. Eher sich selbst als Tyreé.
„Das kannst du dann entscheiden.“
Mehr als das konnte sie nicht tun. Wenn Kaschya sich nicht selbst entschied, ihr zu folgen, dann würde sie mehr Gefahr als Hilfe sein.
„Wie nennt sich deine Einheit?“
„Wir sind die
Wolfszähne. Selbst ein Welpe hat schon achtundzwanzig Zähne im Maul, wir füllen ihm mit unseren Kriegerinnen also leider nicht einmal den Oberkiefer...“
„Er sollte zumindest ein paar Zähne auch in den Unterkiefer bekommen, damit sein Biss den Feind auch schmerzt.“ Kaschya schwieg kurz. Sah sie zum Mond auf? Dann setzte sie sich in Bewegung, in Richtung des Lagerplatzes. „Wir werden nicht mehr reden können, bevor ich den Sturm ausrufe. Aber wenn ich mir eine Einheit nehme, dann wirst du am Namen erkennen, wie ich mich entschieden habe.“
Ihre Silhouette wanderte durch die Bäume am Waldrand und hielt auf das Lager zu.
Tyreé lehnte sich an den Baum, in dessen Schatten Kaschya sich verborgen hatte.
Für die nächsten Stunden lag es nicht mehr in ihren Händen, was geschah. Erst am Morgen wieder, wenn die Wolfszähne sich durch die Tore des Klosters des verborgenen Auges beißen würden. Oder bei dem Versuch zerbrachen.
*
Die Stange der Hellebarde fegte über den Tisch und riss eine Tonschale voller Äpfel mit sich. Jilis setzte einen Fuß auf die Tischkante und stieß sich ab. Das Axtblatt fegte ihr unter den Füßen vorbei. Sie riss ein Knie hoch und schmetterte es gegen die Bronzerüstung der Dämonin. Die Glieder klirrten und sprangen durcheinander, und Taubheit rammte sich in Jilis’ Bein. Sie zog das zweite nach und warf sich nach vorn. Ihr Knie prallte gegen das Kinn ihrer Gegnerin und schleuderte ihr den Kopf nach hinten.
Wie Blitze zischten die Äxte aus ihren Händen. Eine prallte von der Brust der Dämonin ab und sprengte zwei Bronzeglieder heraus, die andere wirbelte auf ihren Hals zu.
Die Luft erzitterte wie unter dem Stoß eines Sturmwinds, dann verschwamm sie um das geflügelte Mädchen. Ihr Körper wurde blass wie Äther, verschwand gänzlich, und die Axt klirrte gegen die steinerne Wand.
Ein Hieb traf Jilis in den Rücken, streckte sie lang über den Tisch hin. Sie rollte sich zur Seite auf eine gepolsterte Liege. Über ihr schwebte ihre Gegnerin, schlug ruhig mit den Flügeln.
Offenbar verzerrte sie den Raum und wechselte ihre Position...
Dann waberte die Luft wieder, und neben ihr erschien aus dem Luftzittern eine zweite Dämonin, die ihr bis aufs Haar glich.
„Du hast lang gebraucht, Lia.“
Die zweite schwieg, und aus einer schimmernden Scheide an ihrer Seite zog sie ein Rapier, dünn wie eine gestreckte Nadel.
Jilis sprang auf, die Rapierträgerin stürzte sich mit angelegten Flügeln auf sie. Mit zwei Dolchmessern in den Händen machte sie sich zur Parade bereit. Die Rapierspitze zielte auf ihre Brust, doch plötzlich zitterte die Luft wieder, und die Gestalt vor ihr verschwamm.
Sie rollte sich zur Seite über den Tisch und hörte noch, wie der Stoßdegen über den Stoff ratschte und in das Polster fuhr.
Für diesen Kampf brauchte sie auch Augen am Hinterkopf.
Aus der leeren Luft heraus fuhr die erste Dämonin, die Hellebarde zu einem Überkopfhieb erhoben. Jilis ließ das Messer in ihrer verkrüppelten Hand fallen und legte die Finger um die Tischkante hinter sich. Das zweite Messer schleuderte sie auf das Gesicht der Dämonin.
Die Hellebarde verschwamm zusammen mit der Kriegerin, das Messer sauste durch zitternde Luft.
Jilis reagierte sofort. Sie pumpte Kraft in den magischen Arm und riss mit der Hand den Tisch hoch. Als sie sich umdrehte, manifestierten sich eben die schwarzen Schwingen, und die Tischplatte krachte gegen das, was sich dort zwischen ihr und der Steinwand befand. Ein schriller Schrei gellte durch den Thronsaal. Es klang, als seien gläserne Glocken zersprungen. Die Flügel klappten nach unten, und als der Tisch über die Liege nach unten rutschte, rollte ein Körper aus Elfenbein darüber hinweg zu Boden.
„Mireh!“, rief die zweite Dämonin. In ihren Augen flackerten Flammen auf. „Das büßt du mir, Jägerin!“
Jilis nutzte die Kampfpause und klemmte sich drei schmale Wurfklingen zwischen die Finger jeder Hand.
Fauchend raste die Dämonin zu ihr, der Stoßdegen tänzelte in einer Sturmflut aus Hieben auf ihre Rüstung zu. Jilis tauchte unter einem Ausfallstoß hindurch und sprang hinter die Gegnerin. Sie zielte erst gar nicht. Auf einem Bein wirbelte sie herum, entließ die Flugdolche in alle Richtungen, indem sie die Finger spreizte. Ein Luftzittern, dann erneut ein Schrei.
Hinter ihr sank die Dämonin auf die Knie. In ihrem einen Flügel klaffte ein Loch, im anderen zwei, und die Fetzen wehten im warmen Höllenwind.
„Spar dir deine Zauberei“, sagte Jilis. „Noch einmal täuschst du mich nicht. Komm, und wir kämpfen wie in
meiner Welt.“
Der Atem der Dämonin rasselte. Ein hässlicher Missklang. „Deine Welt ist bald Asche, Menschenkind!“, fauchte sie.
"Ich bin nicht hier, um eine ganze Welt zu retten. Nur, um dich aus dem Weg zu schaffen, wenn du nicht von allein verschwindest."
Wieder zitterte die Luft um ihre Gegnerin. Ihre Gestalt tauchte vor dem beinernen Thron auf. Sie streckte die Hand nach dem Herrschersitz aus und ballte eine Faust. Die Schädel auf den Lehnen schüttelten sich und klapperten gegeneinander, dann sprangen sie in die Luft und sammelten sich um die Hand der Dämonin. Kieferknochen griffen ineinander und formten sich zusammen zu einem Wall, einen Schritt in Höhe und Breite. Ein Schild aus Gebein.
Jilis zog ein Breitschwert zur Parade und tastete an ihrem Gürtel nach einer Waffe zum Angriff. Ihre Finger glitten über die leeren Gürtelschlaufen und blieben am Griff ihres Jagdmessers hängen. Besser, als mit bloßer Hand zu kämpfen. Sie zog die Klinge.
In der Ferne brodelten die Lavaströme eines Bergs, und Lia, die Dämonin, stürmte an.
Jilis lenkte einen Rapierstoß mit der Breitklinge an sich vorüber und riss mit einem Messerstreich Knochensplitter aus dem grässlichen Schild. Dann schoss die Wand aus Gebein vor und rammte sich in sie hinein.
Sie stolperte zurück, Knochenscherben ritzten und schabten über die nackte Haut an ihren Armen und über ihr Gesicht. Ihre Gegnerin schob sie vor sich her, auf die Brüstung des Saals zu. Sie verlor immer mehr Boden. In ihren Nacken schlug eine Hitzewelle aus der glühenden Einöde.
Noch zwei Schritte bis zur Brüstung. Sie ließ ihr Breitschwert fallen und stemmte sich gegen den Schild, stieß sich zu einem Rückwärtssprung ab. Als sie sich zur Seite drehte und der Knochenwand entkam, biss der Stoßdegen nach ihrer Brust. Sie griff mit den Widerhaken ihres Messers in die schmale Klinge. Eine Drehung des Handgelenks, und beide Waffen klirrten auf den Steinboden. Die Dämonin stieß gegen die Brüstung und riss den Schild herum – ihre letzte Waffe.
Jilis nahm mit einer Drehung Schwung. Der Wall aus toten Gesichtern schoss auf sie zu.
Jetzt brauchte sie Maros Kraft, um nicht zu versagen... Sie spannte ihre Faust an, und die körperlose Macht, die ihren Arm beweglich hielt, strömte hinein. Mit aller Stärke, die sie noch in sich trug, setzte sie einen Rückhandhieb an.
Ihre Hand durchdrang den Knochenpanzer, schlug die Schädel in Stücke, und rammte sich ins Gesicht der Dämonin. Krachend brach ein Horn, und die Knochensplitter des Schilds spritzten wie Wassertropfen fort. Lia zuckte unter dem Aufprall auf der Brüstung. Sie riss Gesteinsscherben mit sich und brach hindurch. Ihr Kopf knickte nach hinten und die Flügel flatterten hinter ihr wie ein dunkler Mantel, während sie in den Abgrund fiel.
Vor dem Hintergrund des Lavagesteins verschwand sie bald.
Ein Trümmerfeld aus Knochen breitete sich um Jilis herum aus. Sie schlurfte über das Gebein und stützte sich auf die Brüstung, neben der Stelle, durch die Lia hindurchgestürzt war.
Schon der Schlag musste ihr das Bewusstsein genommen haben. Sonst hätte sie womöglich wieder den Raum verzerrt und sich vor dem Sturz gerettet.
Auf jedem Meter des Raums glitzerten Klingen, aber Jilis hob nur das Jagdmesser wieder auf. Gegen was alles hatten die Dämonen sie schon anrennen lassen, und ihr Messer hatte sie stets vor Prankenhieben und Huftritten bewahrt.
Ja, es ging nichts über ein gutes Messer.
Sie steckte es ein.
Wächter hatte die Dämonin sich genannt. Wächter des Nekromanten. Sie war hier also nahe bei ihm... Wenn sie nur durch Wände hindurchschauen könnte, so, wie
er es immer getan hatte.
Sie folgte einem der Gänge, die vom Thronsaal abgingen. Schon an einer Biegung strömte ihr ein fauliger Geruch entgegen. Als der Gang endete und in einen Raum mündete, blieb sie stehen. Für einen Sekundenbruchteil sah sie, dass etwas feucht und fleischfarben im Kerzenlicht glänzte, geformt wie ein kleiner Berg. Dann kniff sie die Augen zusammen und tastete sich den Gang zurück. Nein, es blieb nur zu hoffen, dass der Nekromant nicht Teil dieses Haufens geworden war. Und das war er auch nicht. Sie drehte ihren verkrüppelten Arm und ballte die Hand zur Faust.
Das ging nur, solange er noch unter den Lebenden weilte und ihr seine Kraft gab.
Im nächsten Gang war es wieder ein Geruch, der ihr als erstes verriet, was sie erwarten konnte. Kräuter. Einige, deren Duft sie aus den Wäldern kannte, und einige, die ihr fremd waren. Je näher sie der Quelle kam, desto mehr verschwammen die Düfte ineinander. Seltsam, das Gemisch kannte sie... irgendwoher.
In dem Raum bedeckten seidene Kissen den Boden, schillerten in allen Farben des Regenbogens. Mitten dazwischen, wie eingesunken in ein Meer der Farben, breitete sich das weiße Haar des Nekromanten aus. Seine Augen waren geschlossen, und das Gesicht zuckte nur manchmal, wie von einem dunklen Traum.
Endlich hatte sie ihn gefunden.
Sie schlich näher heran, über die Kissen. Auf einem goldglänzenden Tischchen stand ein Krug, in dem eine Flüssigkeit schillerte. Sie hob das Gefäß an einem Henkel und steckte die Nase hinein. Der Geruch kitzelte sie in der Nase und schien von dort ihren ganzen Körper zu durchfluten. Die Lider wurden ihr schwer... Abrupt schleuderte sie den Krug fort. Er prallte gegen die Wand und färbte die Kissen dunkel mit seiner Flüssigkeit.
Traumsud.
Akara hatte damals alle Jägerinnen vor dem Gebräu gewarnt. Es war ein Geheimnis der Mark, und dennoch fast so leicht anzufertigen wie ein heißer Tee. Jeder zweitklassige Geistseher konnte sich den Trunk zubereiten, und dann in die Welt der Träume reisen. In eine Welt, die sich nach seinen Wünschen formte.
Sie krabbelte über die Kissen zu Maro hin. Was würde geschehen, wenn jemand den Trank einnahm, der von den Wirkungen keine Ahnung hatte? Zu was würde er seinen Traum formen?
„Wach auf“, sagte sie.
Sie zog ihn an den Schultern aus den Kissenbergen und schüttelte ihn herum, dass sein Kopf von vorn nach hinten und wieder zurück flog.
Zumindest würde er irgendwann auf jeden Fall erwachen – wenn ihm niemand mehr den Trank einflößte, dann musste die Wirkung nachlassen. Früher oder später.
Sie verpasste ihm eine Backpfeife und rüttelte weiter an ihm herum.
Was für ein feiner Plan, den Nekromanten in Rausch zu versetzen, ihn aber vorher die Armee der untoten Jägerinnen mit einem Schutzzauber belegen zu lassen.
„Komm schon, du Hund!“
Sie versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust und brüllte ihm ins Ohr.
Vielleicht hatte das alles keinen Sinn bei einem, der unter der Wirkung von Traumsud stand. Aber etwas stimmte nicht. Akara hatte ihnen eingebläut, dass die Betroffenen daran zu erkennen waren, dass ihnen ein schwachsinniges Lächeln auf dem Gesicht stand. Kein Wunder, sie erlebten ihre Wunschträume in einer Welt, die sie für die Wirklichkeit hielten.
Doch Maros Gesicht zeigte den gleichen, gefrorenen Ausdruck wie stets, und beizeiten zuckte er wie unter Schmerzen zusammen.
Dann rannen Tränen aus seinen Augenwinkeln, und Jilis erstarrte. Wieso weinte er ausgerechnet
jetzt, wo jeder andere dümmlich gegrinst hätte?
Ihr selbst liefen die Tränen über die Wangen.
„Du sollst aufwachen, wenn du mich hörst!“
Sie schlug ihm noch einmal mit der flachen Hand den Kopf zur Seite. Da öffneten sich seine Augen, und die Qual stand ihm auf die Züge geschrieben.
„Ein... Traum?“, fragte er schläfrig.
„Ja, du dummer Kerl. Ist nur ein Traum gewesen“, sagte sie, zog die Nase hoch und schleuderte ihm noch eine Ohrfeige ins Gesicht.
Das ist für die Sorgen, die du mir gebracht hast...
*
Der Sturm aus Pfeilen erhob sich von den Mauern des Klosters und ging auf sie nieder wie ein wütender Vogelschwarm. Tyreé rollte sich hinter den Stamm einer Eiche. Die Pfeilspitzen stürzten sich mit dumpfem Stoß in das Holz und in die Heide.
Einer Schwester aus ihrer Einheit schossen im Hechtsprung zwei Pfeile in die Seite und warfen sie ins hohe Gras, wo sie reglos liegen blieb.
„Wo bleibt das verfluchte Feuer von den Sturmschwingen?“, fragte Tyreé. Zwei Schwestern kauerten sich hinter ihr ebenfalls in die Deckung des Baumstamms.
„Sie sind noch nicht in Position, es hat zu plötzlich begonnen“, sagte eine von ihnen und hielt sich den Oberarm, aus dem ein Pfeilschaft ragte.
„Dann sollen sie eben
ohne Position feuern! Hauptsache, die Schützen auf der Mauer müssen kurz die Köpfe einziehen.“
Schon ein paar Sekunden würden genügen. Das geborstene Tor lag keine zwanzig Schritt vor ihnen. Ein kurzer Sprint, und sie waren mitten unter den Schützen.
Ein Ast über ihr brach unter dem Aufprall eines Pfeils und stürzte zu ihr herunter.
Die nächsten Geschosse kamen nicht von vorn, sondern hagelten auf sie herab wie ein Gewitter. Die Schützen lernten schnell.
Tyreé presste sich mit den anderen an den Stamm. Ein Pfeil bohrte sich zwischen ihre gespreizten Finger, einige weitere Geschosse verhakten sich im Geäst und prasselten wirbelnd zu ihr nach unten.
Die nächsten Schüsse würden besser gezielt sein.
Tyreé spannte ihren Bogen.
„Bevor die Sturmschwingen in ihrer Deckung sind und sich trauen, endlich Pfeile fliegen zu lassen, sind wir längst Hackfleisch.“
Eine Jüngere aus ihrer Einheit schüttelte den Kopf, und das Blut von einer Schürfwunde rann ihr ins Schläfenhaaar.
„Sollen wir die Schützen selbst niederhalten? Wir haben nur noch neun Arme, die eine Sehne spannen können. Auf der Mauer sind zehnmal so viele Schützen.“
„Wir halten so viele nieder, wie wir können. In dieser Deckung sterben wir jämmerlich. Dann lieber bei dem Ansturm auf das Tor. Los!
Spannt, Wolfszähne.“
Widerspruchslos zog ihre Einheit die Bögen und machte die Köcher auf den Rücken frei. Selbst die Schwester mit dem blutigen Haar nickte und machte sich bereit.
Es roch nach Tod. Wenn sie den ersten Schritt aus der Deckung heraus getan hatten, würde es kein Zurück mehr geben, nicht einmal zu ihren eigenen Leuten.
Tyreé atmete durch.
Nach allen Seiten spie das Kloster die Pfeilstürme aus. Wenn es auch nur an einem der Tore gelang, durchzubrechen, konnte ein Trupp Plänkler ins Kloster eindringen und die restlichen Pforten öffnen. Und die besten Chancen darauf hatten
sie, die Wolfszähne.
Sie wartete, bis alle die Pfeilschäfte an den Wangen hatten. Dann spannte sie selbst.
„Beißen wir ihnen ein Stück aus ihren Reihen! Gebt Feuer!“
Neun Pfeile peitschten von den Sehnen, und im selben Augenblick stürmten die Wolfszähne aus der Deckung. Tyreé hielt den Kopf gesenkt. Wenn eine der Eisenspitzen aus der Pfeilflut dazu bestimmt war, sie zu treffen, dann würde sie sich ohnehin nicht davor retten können.
Die Luft sirrte vor Geschossen, die an ihr vorübergingen, und zwei Schreie aus ihrer Einheit drangen von hinten zu ihr. Nicht anhalten. Noch zehn Schritt. Sie blickte auf.
Vor dem Rot der Morgensonne zog eine Unzahl von Pfeilen vorüber. Ein Vogelschwarm, der mal aus den Wällen des Klosters nach außen zog, dann einem zweiten Schwarm Platz machte, der sich in die andere Richtung erhob. Und ein Schwarm hielt direkt auf sie zu.
Lezali, die direkt neben ihr in gestrecktem Sprint zum Tor eilte, trafen zwei Spitzen in die Brust und ließen sie ohne einen Schrei in die Grasdecke vor sich stürzen. Nicht anhalten.
Jetzt sah sie die Gesichter der Schützen. Ihre alten Schwestern, mit denen sie gemeinsam die Jahre der Ausbildung durchlaufen hatte... Sie spannten die Bögen für eine nächste Salve. Als sie die Finger von den Pfeilschäften lösten, rollte sich Tyreé nach vorn. Die Pfeile warfen sich in die Erde hinter ihr, und jetzt spannte sich der Torbogen über ihrem Kopf. Ein toter Winkel für die Schützen.
Der Spalt im Tor lag vor ihr – doch dunkles Holz versperrte die Sicht in den Innenhof. Tyreé warf sich gegen die Blockade, aber sie rührte sich keinen Millimeter. Die Schwestern mussten einen ganzen Haufen aus Unrat hinter dem Tor deponiert haben, um die Barrikade zu stützen...
„Sie haben ihn wieder verschlossen“, fluchte eine der sechs Jägerinnen, die hinter ihr das Tor erreichten.
Tyreé zog ihre beiden Langmesser.
„Dann fressen wir uns durch.“
Der Atem pfiff ihr vom Lauf noch in den Lungen. Beidhändig hieb sie auf das Holz hinter dem Spalt ein und versenkte die Messer darin. Vier Messer gesellten sich zu ihrem und rissen Stücke aus der Oberfläche. Immer wieder blieben sie stecken, aber auch immer mehr geborstenes Holz häufte sich vor ihren Füßen auf.
„Weiter, los, weiter!“, drängte Tyreé, obwohl jeder Messerstoß sie schmerzte, als ob sie ihn sich selbst zufügte.
Hinter der hölzernen Oberfläche leuchteten in Samt gebundene Einbände auf. Ein Bücherregal.
Tyreé stieß ihr Messer so ins Holz, dass die Klingenzacken sich verkeilten, und zerrte mit aller Macht. Das Holz quietschte über den Boden, unter all dem Lärm der tosenden Schlacht. Neben dem Regal öffnete sich ein schmaler Spalt, hinter dem die verbrannte Erde des Innenhofs sich zeigte.
„Wir können das Ding zu Fall bringen“, ächzte eine Stimme neben ihr.
Tyreé nickte.
Blieb nur zu hoffen, dass das Regal nicht auch noch an den Seiten gestützt würde.
„Tun wir es.“
Hände krampften sich um die Regalwand und zogen. Tyreé glaubte, die Muskeln müssten ihr die Arme sprengen. Um sie herum keuchten ihre Schwestern, die Gesichter krampften sich zusammen. Dann wankte das Regal.
Die Bücher purzelten aus den Fächern, und das das Regal neigte sich, krachte auf den Boden. Dahinter türmten sich Vorratskisten, Bänke und Haufen von steinernen Trümmern. Aber sie würden darüberklettern können.
„Zehn Sekunden zum Atem holen“, sagte Tyreé und lachte. Sie zog wieder die Messer und streckte die Arme. Schmerz brannte sich hindurch, von den Handgelenken bis hinauf zur Schulter. Aber für ein paar Hiebe würde es noch reichen. „Seht ihnen nicht ins Gesicht, sonst zögert ihr.“
Die Wolfszähne nickten.
Hatte sie es nicht eigentlich zu sich selbst gesagt?
Ihre Füße trugen sie wie von selbst durch den Türspalt. Steinstaub wirbelte unter ihr in einer Wolke hoch. Getrampel drang von den Wachhäusern her, und die Treppen zu ihren beiden Seiten füllten sich mit Kriegerinnen in blutroten Lederpanzern.
Eine aus den Wolfszähnen streckte eine Säbelklinge aus und zeigte auf die anrückenden Jägerinnen.
„Gebt das Kloster auf! Wir haben am Tag des Untergangs genau so gekämpft wie ihr, und diese Stätte ist für die Lebenden, nicht für die Toten!“
Der Ansturm hielt inne, aber die Jägerinnen sammelten sich am Treppenabsatz.
„Aradeia ist nicht engherzig. Wenn ihr erst gefallen seid, wird sie auch euch neues Leben schenken – und das Kloster wird wieder euch gehören“, rief eine aus der ersten Reihe der Angreifer.
Die Wolfszähne formierten sich in einem Halbkreis um den freigeschlagenen Eingang, eine einzige Sammlung von blitzenden Klingen.
„Das Kloster
wird uns wieder gehören“, rief Tyreé, „aber das erreichen wir auf einem anderen Weg.“
Dann brach die Hölle los.
Tyreé raste voran und schlug mit einem Tritt aus der Drehung der letzten Sprecherin die Beine weg. Sie stürzte mit dem Gesicht direkt in Tyreés Klingen. Ein dunkler Schauer durchlief sie, und sie zerrte die Messer aus dem Leichnam. Die Welt um sie herum verschwamm in Bewegung, hundert Klingen klirrten und hundert Füße scharrten über die Barrikaden.
Eine Kriegerin warf sich über das gestürzte Regal hinweg auf sie. Tyreé stieß eine Klinge mit ihrer eigenen beiseite und fing den Vorstoß der Gegnerin mit einem Ellbogen ab. Eine Kämpferin der Wolfszähne richtete die Gefallene mit einem Schwerthieb, und kurz darauf ragte aus ihrer eigenen Kehle eine Schwertspitze. Tyreé stürzte sich auf die Mörderin, parierte einen Stoß, packte den Schwertarm, der die Breitklinge hielt, und rammte ihn ihr zusammen mit der Waffe in den Bauch. Fünf Wolfszähne standen noch.
Eine von ihnen warf einer blutroten Kriegerin eine handvoll Staub in die Augen, aber ein blindgeführter Stoß zuckte heran und durchbohrte ihr die Achselhöhle.
Der Platz kochte, und die Morgensonne färbte den untoten Schwestern die Rüstung in noch tieferem Rot.
Klingen stießen von allen Seiten her, kein Unterschied mehr zwischen Freund und Feind. Alles parieren, was in die Nähe des eigenen Körpers zuckte, dann einen eigenen Schlag in die blutrot Gerüsteten hinein.
Tyreé sah ihrem Körper zu, wie er focht. Kein Atem mehr, keine Erschöpfung, nur ein brodelndes Drängen in ihrem Innern. Würde der Körper weiterkämpfen, wenn sie längst das Bewusstsein verloren hatte?
Ihre Klinge schnitt einen blutigen Zirkel in die Jägerinnen um sie herum. Sie stemmte sich gegen einen Überkopfhieb mit beiden Klingen, aber es war, als kämpfe sie gegen zwei Kriegerinnen zugleich an. Eine unsichtbare, unhörbare und unfühlbare Macht, die sich auf die Seite des Feindes gestellt hatte.
Mit einem Mal verdampfte der Rausch. Ihre Gegnerin fegte ihr eine Klinge aus der Hand, dann die zweite, und die Waffen bohrten sich in die Spalten des Mosaikbodens.
Grausam kehrte der Schmerz zu ihr zurück, als flössen Dolche quer durch ihre Adern.
Um sie, noch immer in einem Halbkreis, lagen die Schwestern ihrer Einheit. Die Wolfszähne waren keinen Schritt zurückgewichen, bis die Untoten ihnen das Lebenslicht gelöscht hatten.
Eine Wand aus blutroten Rüstungen rückte immer näher um sie zusammen.
„Wir haben alle die gleichen Prüfungen durchlaufen, Tyreé“, sagte eine Jägerin mit kahlrasiertem Schädel. „Aber dir und deinem kleinen Trupp, euch fehlt die Macht, die
uns gegeben wurde. Ihr habt nie eine Chance gehabt.“
Mit einem schaurigen Grinsen hob die Schwester das Schwert auf Brusthöhe und zielte mit der Spitze auf Tyreés Herz.
Gut, es war vorbei… Aber sie waren weit gekommen. Weiter, als die Jägerinnen an den anderen Toren wahrscheinlich kommen würden.
Kriegerinnen packten sie an den Armen.
„Ich habe noch eine andere Prüfung durchlaufen, damals, als ihr euch schon in die Arme eurer dunklen Herrin geworfen hattet“, sagte Tyreé. Auf ihrer Haut glühte das Blut und färbte sie fast so rot wie die Rüstungen ihrer Gegnerinnen.
„So?“, fragte die Kahlgeschorene, und machte einen Schritt auf sie zu, dass ihre Gesichter sich fast berührten. „Dann wirst du uns sicher gern verraten, wovon du sprichst.“
Tyreé hatte erwartet, den Atem zu spüren… aber die Toten hatten keinen Atem mehr.
„Gern.“
Sie legte den Kopf in den Nacken. Immernoch flitzten Pfeilschwärme vor dem Sonnenrot dahin. Der Kampf würde weitergehen, und sie würde vielleicht auf der anderen Seite weiter an ihm teilnehmen…
Mit einem Ruck warf sie den Kopf nach vorn und schlug ihrer Henkerin die Stirn auf die Nase. Fluchend prallte die Jägerin gegen eine der Vorratskisten.
Ja, zumindest
das hatte sie von Jilis noch gelernt.
Tyreés Arme wurden von den Jägerinnen neben ihr so hart gepackt, dass sie glaubte, die Glieder müssten jeden Augenblick aus den Gelenken springen.
Eine Hand vor dem Gesicht, trat die Henkerin wieder näher heran und stieß das Schwert nach vorn.
Tyreé lächelte.
So weit, wie sie gekommen war…
Dann schob sich Dunkelheit über sie.
Sie wartete darauf, dass auch die Laute verstummten, aber etwas prallte laut auf die Dunkelheit, die sie einschloss. Die Klinge der Henkerin.
Die Dunkelheit wich – jemand hob den Turmschild fort, der sie vor dem Hieb bewahrt hatte. Die gefallenen Schwestern neben ihr ließen ihre Arme los.
Metall schepperte hinter ihr, und eine Horde aus Schildträgern brach durch den Torspalt und in den verbarrikadierten Hof. Auf den pfeilgespickten Schilden glänzte frische Farbe, die einen Wolfsschädel formte.
„Fenris’ Töchter!“, rief jemand hinter ihr, und Kaschyas Kettenhemd zog an ihr vorüber.
Ein eiserner Hammer rammte die Henkerin durch die Platte eines Holztischs und schickte ihr Splitter hinterher.
Kaschya hob die Waffe auf ihre Schulter, und um sie herum fielen ihre Schildträger über die dunklen Jägerinnen her.
Tyreé atmete auf.
Fenris’ Töchter. Auf einen so klangvollen Namen war sie bei ihrer Einheit natürlich nicht gekommen. Aber es lebte auch niemand mehr, der sich daran hätte stören können.
„Beeil dich besser“, sagte Kaschya. „Unsere Schwestern sind im Süden mit Fanghaken über die Mauern geklettert, und im Norden haben sie mit Böcken Löcher in die Tore gerammt. Wenn sie dich im Kloster finden, und sehen, dass du nicht kämpfst...“
"Böcke und Fanghaken? Teufel, und wir hatten nur unsere Messer."
Im nächsten Moment schossen zwei Kriegerinnen auf den Hauptmann zu. Kaschya parierte mit einem einzigen Hammerstoß die Klinge der einen Gegnerin und zerquetschte den Waffenarm der anderen an der Klostermauer.
Tyreé sammelte ihre Klingen ein und steuerte auf die Schneise zu, die Kaschyas Schildträger für sie geschlagen hatten.
„Ich habe genug gekämpft“, murmelte sie, und das sengende Zerren in ihren Armen stimmte ihr zu.
Die Jägerinnen fielen wie Raubtiere über die Schildträger her, stürzten sich mit gezückten Messern von den Zinnen und warfen sich auf ihre Opfer. Doch die schweren Metallschilde ließen die Klingen abgleiten wie Regentropfen, und alle paar Sekunden biss ein Hammer aus der Deckung hervor und zertrümmerte mit einem Stoß Knochen und untotes Fleisch.
Wer wusste schon, welche Chance sie hatten?
Tyreé fiel in einen leichten Trab und ließ das Klirren der Kämpfe hinter sich.
Sie wusste nur, dass Kaschya ihr Wort gehalten hatte. Jetzt
musste sie Vega und Jilis finden. Sonst wären nicht nur die Wolfszähne umsonst gestorben, sondern auch Fenris’ Töchter würden es tun.
Neuer Schlachtenlärm löste den alten ab, denn auf jeder Terrasse und in jedem Gemach rangen die Jägerinnen miteinander. Ein Leichnam stürzte im verbrannten Garten vor ihre Füße, und sie wendete nicht einmal den Blick auf ihn. Ob es nun die Lebenden oder die Untoten waren, die ihre Streitkräfte einbüßten – beides konnte ihr nur recht sein.
In einem Säulengang stellte sich ihr noch einmal eine der bleichen Dienerinnen der Aradeia entgegen, und noch einmal musste sie die Arme heben, um die Feindin niederzustrecken.
Krustiges Blut klebte ihr die Hände an die Griffe der Langmesser. Aus eigener Kraft hätte sie die Waffen wohl auch nicht mehr halten können.
Vor den Toren der Kathedrale drängte eine der Untoten eine Gegnerin mit raschen Schwerthieben zurück. Tyreé blieb stehen. Blondes Haar und Sommersprossen bei der Schwester, die in die Ecke gedrängt wurde. Sie hielt ein unförmig langes Schwert vor sich wie ein Schild, und die Schläge der Untoten brachen es mit jedem Hieb weiter aus ihren Fingern.
Vega!
Tyreé rannte, so schnell, wie ihre Beine es ihr erlaubten.
Die Untote stieß ein letztes Mal zu, und in einem Bogen torkelte die Waffe Vega aus den Fingern. Die junge Jägerin wich gegen die Wand zurück, und übergangslos holte ihre Gegnerin zu einem Hieb aus.
Tyreé warf sich mit einem Sprung nach vorn, beide Messer vorgestreckt. Die zwei Klingen fingen die andere im Angriffsschwung auf, und eine Erschütterung vibrierte durch Tyreés Arme.
„Schau dir das an“, sagte die Untote. „Es ist wie eine große Familienzusammenkunft.“ Ein Mundwinkel war zu einem grimmigen Lächeln verzogen, der andere verlor sich in einem Netz aus Brandnarbengewebe.
Falke.
„Wenn noch irgendetwas von dir in dieser Hülle steckt, dann gib den Kampf auf“, sagte Tyreé. Sie hörte selbst, wie ihre Stimme unter der Anstrengung des Zweikampfs zitterte. Ein Flehen, mehr nicht. „Wir wollen Jilis helfen!“
Vega regte sich hinter ihr und tastete ungelenk nach ihrem Riesenschwert. „Das weiß sie längst.“
„Ja.“ Falke nickte, und ihre Narbenmaske verzog sich wie im Schmerz. „Und nun, bitte:
sterbt.“
*
Der Thron zersplitterte in tausend Scherben. Risse durchliefen die Kristallwände des Schlosses, die Stufen der Treppe hinter ihm stürzten fort. Die Welt ging in Splitter. Maro selbst ging in Splitter.
Gläserne Scherben prasselten nieder und hackten seinen Körper in tausend Stücke, durchdrangen Muskeln und Fleisch, und dann endete es.
„...Traum gewesen“, flüsterte eine vertraute Stimme zu ihm. Seine Gedanken kämpften sich aus einem dumpfen Schlamm hervor, folgten der Stimme und einem wabernden Bild. Einem Raum, in dem sich sein Körper befand.
Ein Ruck schüttelte ihn, und seine Augen und Ohren waren wieder wirklich
seine. Die Geräusche hallten, und die Mauern um ihn wankten noch. Es war ihm, als ruhte ein Felsblock auf seiner Brust.
„Ich bring dich hier weg“, sagte die Stimme.
War es die Göttin, die ihn erlöste? Aus dieser grausamen Nachtmahr?
Die Konturen wurden schärfer, und um ihn wölbten sich die Mauern des Raumes, in dem er in seinen Schlummer hinübergeglitten war.
Nein... das kann nicht sein!
Die Gestalt vor ihm gehörte nicht der Göttin. Der Arm, aus dem das Yata-Gift die Muskeln gesogen hatte, griff nach ihm und schüttelte ihn.
„Hörst du? Wir verschwinden jetzt gemeinsam aus dieser Hölle.“
Seine Gedanken krochen dahin, aber sie kamen bis zu dem einzig möglichen Schluss.
„Du hast mich... geweckt?“, fragte er, und seine Zunge war so schwer wie ein Eisenbarren.
Auf dem verweinten Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab.
„Endlich sagst du etwas. Ich dachte schon, jetzt säße ein Dämon in deinem Körper.“
Die Worte glitten an ihm vorüber.
„Wieso hast du das getan?“
In der Ecke des Raums glitzerte das Gold des Krugs, aus dem er getrunken hatte. Er streckte die Hand aus. Noch einen Schluck, und er würde vielleicht zurückkehren können.
„Kannst du dir das nicht langsam denken? Diese Königin hat dir Gift in den Rachen schütten lassen, damit du nie wieder aufwachst.“
Die Wut rollte langsam in ihm hoch, wie eine Welle, die sich irgendwann an der Brandung brechen musste.
„Das wollte ich auch nicht!“, sagte er. Er wollte, dass seine Stimme donnerte, den ganzen Raum zerbrach und die hirnlose Jägerin auch noch. Aber es war kaum ein Krächzen, das aus ihm drang. „Gift? Du hast mich einmal gefragt, wieso ich den ganzen Weg in Euer Land gemacht habe. Da hast du deine Antwort: wegen diesem
Gift!“
Sie verstand einfach nicht. Natürlich nicht. Wie konnte ein so einfaches Mädchen verstehen, dass es erstrebenswert sein könnte, den Geist vom Körper zu befreien? Wie sollte
sie verstehen, dass es Dinge ohne Körper gab, nach denen man sich sehnen konnte?
„Du redest ziemlich wirr. Das muss der Sud sein... Ich habe noch nie gehört, dass er abhängig macht, aber bei dir scheint das der Fall zu sein.“
Seine Hände streckten sich langsam nach ihrem Hals aus, dann packte er sie am Kragen.
„Ich wäre fast bei
ihr gewesen! Fast-“
Er hielt inne. Die Erinnerung an die andere Welt strömte in sein Bewusstsein zurück. Der leere Thron, den er gefunden hatte, und das zusammenstürzende Schloss. Wie tausend Maden fraß es sich in sein Herz. Er war nicht
fast bei ihr gewesen. Er war dort gewesen, wo sie hätte sein sollen, wohin die Bestimmung und das Schicksal in dieser Götterwelt ihn geführt hatten. Ja, er hatte das ihm bestimmte Ende erreicht, und es war das Schrecklichste gewesen, das er sich hätte ausmalen können.
Ein leerer Thron.
Ein Schluchzer brach sich aus seiner Kehle Bahn.
„Bei wem?“, fragte Jilis. Sie strich seine Hände von sich fort und zog ihn aus seinem Grab aus Kissen heraus. „Hauptsache, du bist jetzt hier.“
„Nein, ich-“ Die Erinnerungsbilder überschlugen sich, verschwammen ineinander. Der Wurm, die Wüste, ein Feuer bis zum Horizont, der Palast aus Kristall.
Evra war nicht dort gewesen. Das war es, was wichtig war. Was die Wut in ihm schürte wie kochendes Öl einen Brand. Und nur Jilis war da. Die Närrin.
Sein Körper versagte ihm. Er schob einen Arm über die Kissen, doch heben konnte er ihn nicht. Die Hand blieb liegen wie taub. Aber sein Geist. Sein Geist war scharf. Er packte mit einem Gedankenstrahl Jilis’ Arm.
Ein Zucken lief hindurch, dann bewegten sich die Finger, wie er es befahl. Verblüfft sah Jilis an sich herunter, da schloss sich ihr die eigene Hand um die Kehle.
„Die Göttin“, schluchzte Maro, und er schickte all seine Lebenskraft fort und lenkte sie in Jilis’ Arm. Ein Strom aus klarem Silber in der Astralwelt, der von ihm auf sie überging. Er würde sie töten. Und er würde
sich töten, mit der Kraft, die er selbst aufgab.
„Was für eine verfluchte Göt- … hör auf!“, presste sie hervor. Sie fasste das Gelenk der würgenden Hand und zerrte daran, aber der Griff, der sie hielt, war fester als der jeder Eisenkette. Sie würde ihn nicht lösen können.
Wenn es seine Bestimmung gewesen war, wie der Wurm gesagt hatte… Dann war es wahrhaftig die Bestimmung gewesen, nur an ein Ende voller Verzweiflung zu gelangen.
Er zog die Kraft wieder zu sich, die er den hundert Kriegerinnen des Klosters geschenkt hatte, und ließ sie in Jilis Arm hineinfließen. Hundert Silberfäden, die aus allen Richtungen heransickerten und sich vereinigten.
Niemand würde sich aus diesem Griff befreien.
„
Du bist verflucht“, sagte er. Die Tränen brannten auf seinen Wangen heiß wie Ströme aus geschmolzenem Stahl. „
Nicht die Göttin. Sie ist schöner und größer, als du es dir ausmalen könntest. Sie ist-“
Ein Krächzen von Jilis unterbrach ihn. „…nur ein Traum.“ Ihre Füße verfingen sich in den Kissen, und sie stürzte rücklings gegen die Wand, riss den goldenen Tisch mit sich. Das Metall schepperte. Irgendetwas hallte in seinem Kopf wider, und plötzlich sah er, was er tat.
Jilis pochten die Adern an den Schläfen, und sie schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Mit vorgequollenen Augen starrte sie an die Decke.
Maro ließ los. Die zahllosen Aurenfäden, die sich um Jilis’ Arm wanden, jagte er fort in alle Richtungen. Sie schossen davon wie Strahlen einer Sonne, wickelten sich ab, Strang um Strang. Bis ein dunkles, lebloses Körperteil zurückblieb und über Jilis’ Brust hinunterrutschte.
„Nur ein Traum?“, wiederholte er. Er fiel zurück in die Kissen, und sein Kopf fühlte sich leer an.
„Ja.“ Jilis’ Stimme hallte schwach in der kleinen Kammer. Die Jägerin lehnte schräg mit dem Kopf in einer Ecke, als könne sie nie wieder eine Bewegung tun. Die roten Streifen der Druckmale zeichneten sich an ihrem Hals ab. „Keine Ahnung… wer diese Göttin ist, aber…“ Jedes Wort kämpfte sie mit unendlicher Mühe hervor. „…sie ist dir nur durch das Gift des Tranks in den Kopf gekrochen. In deinen Traum.“
„Es ist kein Traum gewesen!“
„Nein? Was hat die Hexe dir erzählt?“
Maro schluckte. Wut und Trauer sanken nieder in ihm. Langsam konnte er wieder sehen. Sehen, ohne den Schleier, mit dem er sich selbst blind gemacht hatte.
„Dass mich der Trank ins Reich der Götter bringen wird.“
„
Dafür also wolltest du mich umbringen.“ Jilis rieb sich den Hals und hustete noch einmal, dann stand sie auf und fischte mit den Fingerspitzen nach dem Krug. „Dann hat sie so sehr nicht gelogen. Wenn du ins Götterreich wolltest, dann muss der Trunk dir zumindest einen…
Göttertraum beschert haben.“
Darauf hätte er selbst kommen können… Dämonen spielten nach niemandes Regeln, hielten keinen Eid und brachen ihre Versprechen. Wieso hatte er es nur geglaubt?
„Einen Göttertraum - aber was hat das damit zu tun, was ich
wollte?“
Jilis watete durch die Kissen hindurch und setzte sich zu ihm. Erst jetzt sah er die Spuren, die sie trug. Es waren nicht nur die Tränen auf ihren Wangen. An den Armen spalteten Risse die Haut, und Fugen klafften in ihrer Lederrüstung auf.
„Wir haben nicht viel Zeit.“ Sie sah sich um wie ein gejagter Wolf. „Eigentlich gar keine. Aber ich will es dir erklären, dummer Totenbeschwörer. Wer vom Traumsud trinkt, dem werden Träume beschert, und sie sind die lebendig gewordenen Wünsche des Träumenden. So passiert es bei denen, die den Trank mit Absicht trinken und seine Wirkung kennen. Was bei
dir passiert ist, das weiß ich nicht.“
Er hätte um ein Haar das Atmen vergessen. Jilis hatte keinen Grund, ihn zu belügen.
Wünsche? Seine Wünsche hatten den Traum geformt?
Er senkte den Blick, und an die Stelle der seidenen Kissen trat die Wüste, die er durchquert hatte.
Also hatte er sich
gewünscht, dass er der Auserwählte war, der als Einziger in allen Zeitaltern der Menschen an dem Wächter der Götter vorübertreten durfte… Er hatte sich
gewünscht, dass ihn eine für jeden anderen Menschen unmögliche Prüfung erwarten würde, die nur er allein bestehen konnte.
Sein Hals brannte, als hätte er leibhaftige Flammen geschluckt.
Ja,
und er hatte sich gewünscht, dass er in einem Schloss aus silbernem Kristall auf einen leeren Thron stieß. Dass es keine Göttin gab, die auf ihn wartete.
Das
habe ich mir gewünscht?
„Das ist unmöglich“, murmelte er.
„Träume können Wahrheiten in sich tragen, die wir noch nicht sehen, weil wir uns selbst geblendet haben.“ Jilis stützte sich auf mit einem Arm auf die Kissen vor ihm. Der andere hing so nutzlos herab wie eh und je.
Wahrheiten?
Er nickte.
Vielleicht hatte er es gewusst. Dass er nie ankommen würde. Nie ankommen konnte, nie in allen Zeitaltern. Dass die Menschen nicht in das Reich der Götter steigen konnten, weil für sie die Erde gemacht worden war.
Eine seltsame Ruhe breitete sich in ihm aus. Als decke sich über ihn Raureif, der dann wieder schmolz.
Jilis machte eine wegwerfende Geste und stand auf.
„Das hat Akara einmal gesagt. Aber du weißt ja, was sie sonst noch alles gesagt hat – und dafür sollte ich ihr die Zunge herausschneiden.“
Wieder nickte er nur.
„Du hast geweint.“
Ihre Blicke gingen zu den Spuren auf ihrer Wange, und sie rieb sich mit der Hand darüber.
„Und das bei dir ist wohl Wasser, das dir aus den Ohren heraus und über das Gesicht gelaufen ist.“ Sie streckte ihm eine Hand entgegen.
„Ja, das kann man bei den Schlangen aus dem Osten nie wissen.“
„Ich hoffe, du hast nicht nur mir meinen Arm genommen, sondern auch meinen bösartigen Schwestern ihre Kräfte, mit denen sie sich so gebrüstet haben.“
Er tastete sich mit den Fingern über die Kissen hinweg, bis er ihre Hand zu fassen bekam.
„Niemand hier hat mehr Kräfte von mir… Ich ja nicht einmal selbst.“
Mit einem Lächeln, das halb das eines Wolfs war, und halb das eines Mädchens, festigte sie den Griff um seine Hand. „Dann lass nur los, wenn ich mein Schwert greifen muss, um einen Dämon das Weinen zu lehren.“
Er erwiderte den Druck mit seiner Hand, so gut er konnte, und taumelte ihr hinterher, aus dem Raum heraus.
Erst am Thronsaal blieb Jilis abrupt stehen, und Maro neigte den Kopf zur Seite, um zu sehen, warum.
Ein weißes Kleid flatterte unter einem goldenen Brustschutz, und rotes Haar züngelte wie Feuer um einen Körper, dessen Haut weiß glänzte.
Jilis bog den Kopf ein Stück zu ihm. „Aradeia?“, flüsterte sie.
„Ja“, grollte eine Stimme von unendlicher Gewalt zu ihnen, bevor Maro antworten konnte.