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[Story] Göttertraum

Jo Evra ist Aradeias Schwester - nur denke ich sind das Maros gedanken gewesen - der letzte satz.

kleiner logischer fehler:
steinerne Wand und verbarg das Gesicht in den Händen. -> kann höchstens in einer Hand :) etwas unglücklich.

Es gefällt mir wie immer sehr sehr gut. Danke :)

lg, Gandalf
 
Ich finds auch super gelungen.
Ein paar Kleinigkeiten:

"einige wenige Vögel zogen weiter gen Osten in seine Rüstung. "
->in seine Richtung

"mit den Vogelklauen in die Bretter der Brücke dich hinter ihm"
-> dicht

"Der nächste Bolzen ging ihm in den Schädel, der zweite in die Brust"
eigentlich -> der dritte

"Die toten Arme stärken, die die Schwesternschaft"
-> Armee??
 
Uff, ich sehe schon, in dem Kapitel hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen, Prüfungszeit, dir sei gedankt. Mein Favorit - danke, Jyroshi(und auch Esme und Gandalf) - ist der Vogelflug in Maros Rüstung. :D
Einzig beabsichtigt sind die "Arme", die der Schwesternschaft Verhängnis bringen. Im Sinne von: Die Untoten haben Arme, die die Schwestern umbringen, und Maro stärkt die Untoten.

Bin im Stress, aber ich halte mich wie immer ran. ;)
Nächste Woche vorerst letzte Prüfung und letztes Gespräch bei meiner Games-Firma(dann eventuell Praktikum und doch wieder weniger Zeit für das außer-berufliche Schreiben...).
 
Knapp dem Super-GAU, nämlich dem verlorenen USB-Stick, entgangen. ;)
Deshalb hier schon einmal die erste Hälfte des neuen Kapitels.








XI Baphomet

Der Arm eines Gottes... Jilis ballte die Hand zur Faust. Nicht die leiseste Anstrengung, aber die Finger schlossen sich dennoch. Als sei sie ein Geist – ein Gott –, der dem Gliedmaß Befehle gab, ohne selbst damit verbunden zu sein.
„Den Kopf runter!“, brüllte jemand und warf sich von hinten auf sie, dass sie vornüber ins Gras stürzte. Die Erde war warm unter ihren Händen, und die Luft flimmerte vor Hitze. Ein Junge, dem die Locken aus dem Spitzhelm quollen, rollte sich von ihr hinunter und wies mit einem viel zu großen Handschuh in den Himmel. „Die Teufel wollten Euch holen, Schwester.“ Eine der Nadelzahnbestien drehte eben ab und steuerte wieder auf das Dorf zu.
„Das haben sie sich zur Gewohnheit gemacht“, sagte Jilis und richtete sich wieder auf.
„Wann werden die anderen Eures Ordens eintreffen?“
Hoffnung flackerte in den Augen des jungen Wächters.
„Wenn diese Häuser hier längst zu einer Schicht aus Asche geworden sind. Ich bin die einzige in einem Umkreis von zwei Tagesmärschen.“
„Das verborgene Auge gefällt sich darin, verborgen zu bleiben, aye?“, fragte ein älterer Wachsoldat, dem Rußflecken den Brustharnisch verzierten. Er lehnte gegen das erbärmliche Bollwerk, das die Wächter zwischen den letzten Häusern aufgeschichtet hatten. Eine Mauer aus Karren, darin verkeilten Wagenrändern, sogar Kinderkrippen und gebrochenen Tischen.
„Diese Höllenwesen haben uns genau so geschlagen wie Euch.“
„Geschlagen sind wir noch nicht“, rief ihr ein Alter zu, der einen Zaunpfahl mit hindurchgehämmerten Nägeln und Dolchspitzen trug. Ein Schatten erklomm die Barriere aus Unrat, hangelte sich über die Spitze aus Stuhlbeinen herüber, da ging die Waffe des Manns auf ihn nieder. Die Feuer verbargen die Gestalt nicht länger, als sie den Turm hinabrollte und zwei Waschzuber mitriss. „Hab ihm ein paar Nasenlöcher mehr gemacht!“, sagte der Alte und lachte. Blut färbte die Spitzen seiner Waffe dunkel.
Jilis beugte sich nieder. Spielte ihr die flimmernde Luft einen Streich? Sie kniff die Augen zusammen, die vom Rauch brannten. Der Erschlagene vor ihr trug die Schuppen eines Reptils, und sein Kiefer streckte sich lang wie der einer Schlange, mit Reihen aus Raubtierzähnen im Maul.
Maros Mantel tauchte neben ihr auf, und mit der flachen Seite seiner Klinge hob der Nekromant den Schädel des Ungetüms an.
„Tierköpfe haben sie alle“, sagte der Lockige.
Der mit der rußigen Rüstung drückte dem Jungen den Morgenstern des Toten in die Hand.
„Das ist die Strafe der Götter. Wer hurt und spielt, dem zerkneten sie im Tode das Gesicht und ziehen ihm Tierhäute an, und dann muss er zurück auf die Erde.“
Maro sah sie an. Die Dörfler verstanden nichts, und noch vor dem Abend würde es für sie vorüber sein. Armbrustschützen flankierten die Barrikade zu beiden Seiten und zielten auf die Gassen, durch die die Dämonen kommen mochten, wenn sie den Schutzwall umgehen wollten. Doch die Nadelzahnbestien schwebten weit über ihnen, und kein Wall – und wäre er aus Stein gewesen statt aus Schrankschubladen und Wassereimern – hielt sie auf. In Abständen sanken sie nieder, entzündeten an den Flammen der Strohdächer neue Fackeln und warfen sie in Teile des Dorfs, in denen noch kein Feuer wütete. Wie leicht hätten sie die Dorfmiliz aus den Lüften jagen und Mann für Mann zerreißen können. Wie leicht die Barrikade niederbrennen, obwohl das Holz dunkel von Wasser war, das die Männer zum Schutz vor Bränden darübergeschüttet haben mussten. Die Dämonen suchten etwas anderes.
„Sie kommen nicht nur deswegen, weil sie zuviel beim Glücksspiel gewonnen haben und die Götter ihnen das neiden“, sagte Maro, als hätte er in ihren Gedanken gelesen.
„Oh“, sagte der in der Rußrüstung, „dann kommen sie, um mit uns ein gewaltiges Fest zu feiern. Seht Euch nur die Freudenfeuer an, Herr Kleriker.“
Jilis stellte sich zwischen die beiden, an das Fenster eines Kasernenbaus, dessen steinernes Dach die Feuer abwehrte.
„Ihr verlangt nach der Schwesternschaft, aber die Größte von uns sollte sich hier im Dorf aufhalten. Wo ist Zethys, die Dämonenjägerin?“
Eine Legende wie sie hatte ihren Platz zwischen den Kriegern, die den Horden der Hölle standhielten. Aber vielleicht nicht unter dem Haufen Dorfwächter, der sich außerhalb verschanzte, während die Bestien nach Willkür im Inneren der Siedlung Frauen und Kinder holen konnten. Vielleicht war Zethys im Herzen der Schlacht.
„Dämonenjägerin?“, fragte einer der Armbrustschützen und stützte sich mit der Waffe auf dem Boden ab. „Zethys hat ihr Heim gegenüber dem Ratshaus auf dem Dorfplatz gehabt. Aber der letzte Dämon, den sie gejagt hat, war der Staub auf ihrer Fensterbank.“
Die Männer um ihn herum verfielen in Gelächter. Nichts als Narren. Nur die Toten schwiegen, die Dutzenden von Kriegern mit verbeulten Harnischen und dem rot gefärbtem Gras um sich herum. Einige von ihnen stützten mit ihren Körpern den aufgeschichteten Wall. Die Besten von ihnen. Die Besten fielen zuerst.
„Keiner von euch hat den Mumm, uns zu ihrem Haus zu führen, wette ich“, sagte Jilis.
Der Alte mit der Stabwaffe schichtete den Echsenköpfigen in eine Lücke der Barrikade.
„Ich werfe mein Leben nicht gern weg. Wenn die Feuer sie noch nicht verzehrt haben, dann die Mäuler dieser Höllengesandten.“
Auch der mit der Rußrüstung stimmte zu. „Diese da“, er zeigte auf den geschuppten Leichnam, „sind nicht alles, was durch unsere Gassen rennt. Da ist etwas, das einen Schatten von der Größe eines Tempels wirft.“
„Dass ihr selbst Schatten fürchtet, hatte ich bereits vermutet”, sagte Jilis. “Dann werden wir allein gehen.” Sie fing einen ernsten Blick von Maro auf.
Sie selbst hatte genug Grund, die Schatten zu fürchten. Jeder von ihnen konnte Blutrabe gehören. Das Gift würde ihr nicht mehr schaden, wenn sie bereits durch diese eine Dosis dagegen immun geworden war... Aber gegen den Moment, in dem sie ihre Schwester zwischen den Flammen wiedersehen würde, dagegen konnte kein Antidot sie immun machen.
Der Mann in der rußigen Rüstung richtete Holzstäbe in der Barrikade. Spaten und Harken, Feldgerät in diesem Wall aus Unrat.
„Wir können Euch leider kein Grab ausheben, unsere Schaufeln dienen zu unserem eigenen Schutz.“
“Die Mühe könntet Ihr Euch ohnehin sparen. Wir haben nicht vor, den Tod dort zu finden.“
Flammen umkränzten das Innere des Orts wie eine Krone. Ein Kirchturm wankte, brach vom Kirchdach herunter wie ein Stück trockene Brotkruste. Ein Dröhnen füllte die Gassen und brandete bis zu der hölzernen Festung der Krieger hin.
„In der Tat nicht“, sagte Maro, „ich gehe ihn an einem anderen Ort suchen. Wir werden uns nicht wiedersehen.“
Das Feuer spiegelte sich in seinen bleichen Haaren wie in Glas. Jilis spuckte einige Rußflocken aus und nickte.
„Das hätte ich auch gedacht, nachdem ich dort auf dem Friedhof zusammengesunken bin.“
„Noch einmal wird dir das nicht passieren, jetzt ist das Gift gegen dich wirkungslos. Tu, was du hier tun willst.“
Sie zog die Nase hoch.
„Du auch, zäher Hund. An deinem Leder hacken sich die Geier die Schnäbel wund.“
Das Klirren von Klingen und das Klappern von Rüstungen füllte den winzigen Stützpunkt der Krieger, der Mann mit der verrußten Rüstung brüllte Befehle. Niemand interessierte sich mehr für sie oder den Nekromanten. Er war fremd in diesem Land. Aber vielleicht war er damit nicht allein.
„Natternköpfe von Süden“, riefen die Schützen, und die Sehnen ihrer Armbrüste sangen. Am Nordende des Verteidigungswalls rutschten die Kreaturen vom niedrigen Kasernendach und rollten sich unter einem Bolzenhagel hindurch, von Süden her sprangen sie aus Hausfenstern und stürmten aus schattigen Passagen hervor.
Maro, der Nekromant, schloss die Augen und hielt seine Klinge mit der schmalen Seite vor das Gesicht, sodass die Waffe dünn wie ein silberner Faden erschien.
„Noch ein letztes Geschenk aus dem Osten.“
Die heißen Feuerwinde hielten inne, dann stießen zwei Flammenarme aus dem Dorfinneren himmelwärts. Sie wirbelten ineinander zu einer Sphärengestalt und lösten sich von den Lagerdächern, aus denen sie entsprangen waren.
Dann waren die Magiermeister aus den Wüsten nicht die einzigen, die sich die Glut zum Diener machen konnten.
„Fahre wohl“, sagte Jilis, während das Geklirr von Eisen auf Eisen sich näherte. Die Kugel aus Hitze stand am Himmel wie eine Sternschnuppe, die im Fall innegehalten hatte. Damals hatte sie diesen Zauber des Todes und des Lebens nicht verstanden, und sie tat es auch jetzt nicht. Sie brauchte es nicht.
Schweißperlen glänzten auf Maros Gesicht, als er sich ohne ein Wort abwandte und nach Norden in den Seitenstraßen verschwand, vor denen die Miliz gegen die Tiergesichter stritt.
Ein Dutzend Grüße kannte die Schwesternschaft für Ranghöhere und –niedrigere, für Gleichrangige, aber sie kannte keinen für einen Fremden, der keiner mehr war.
„Einer für Euch, Schwester“, rief der Junge mit dem Lockenkopf, während er mit dem Morgenstern den eines dunkel Geschuppten parierte. Ein weiterer kletterte über die Barrikade und hielt die geschlitzten Reptilienaugen auf Jilis gerichtet. Er kam mit den Beinen auf dem Boden auf und richtete die Spitze einer Hellebarde auf ihre Brust.
Jilis spannte ihren Arm an, bis er sich anfühlte wie ein Strang aus Stahl an ihrer Schulter. Stahl, der ihren Bewegungen gehorchte, besser als jedes Schwert.
Der Hellebardenkopf suchte nach ihrem Herzen, der Echsenmann riss das Maul auf, als wolle er es verspeisen. Jilis bog sich zur Seite weg, das Axtblatt schnitt durch die Luft neben ihrem Ohr. Sie packte die Waffe am Schaft und rammte ihrem Gegner das stumpfe Ende in den Bauch. Ein Krächzen drang aus seiner Kehle, die lange Zunge wirbelte um sein Maul herum wie ein sich windender Wurm. Sie brach den Axtkopf seitlich von der Stange und jagte dem Krieger die Schneide seiner Waffe in den Hals. Seine Augen zitterten, dann klappte der Reptilienkiefer zu. Auch diese starben wie Menschen. Schlaff ging der gepanzerte Körper zu Boden, fiel zu den anderen, deren Panzer keine geschuppte Haut, sondern Harnisch und Schild waren.
Die Echsenköpfe bildeten eine Zange von zwei Seiten, und ein Keil strömte in die Mitte. Ein Trichter, durch den Wasser in eine Flasche strömte. Und wenn die Flasche sich gefüllt hatte, war von ihnen allen nur noch Staub übrig und schwelendes Fleisch.
Zwei Echsenmänner kamen auf einen Wachmann, und von denen trug mehr als die Hälfte noch nicht einmal einen Bartflaum im Gesicht. Ein Stoß mit einer Stachelkeule ließ dem mit dem Rußpanzer die Platten seiner Rüstung wegspringen. Er fiel, die Hände zum Himmel gereckt, und er schrie gegen das Feuerknistern an, bis ein Axthieb ihm die Lippen teilte.
Die Schützen hatten ihre Waffen getauscht gegen Kurzklingen, um die der Echsen parieren zu können.
Jilis schleuderte ihre Hellebardenspitze in den vielköpfigen Ansturm, die Waffe fuhr dem Vordersten in die Brust und warf ihn in die Arme der ihm Folgenden. Sie kaufte sich Sekunden. Lud die Armbrust und richtete sie auf den Schwarm. Einer bekam einen Bolzen durch die Nüstern zu fressen, stürzte mit den Beinen voran, als sei er im Matsch ausgeglitten. Ein Speerträger schwang sich vom Barrikadengipfel und hielt die Waffe wie einen Flock, den er in sie treiben wollte. Sie wechselte die Waffenhand, spannte ihren Götterarm zu stählerner Härte, legte die Finger der Hand aneinander zu einer geraden Fläche. Mit der Bewegung eines Aufwärtshakens empfing sie den Speerkämpfer. Ihre Fingerspitzen drangen durch das Fleisch und brachen die Halswirbel, stießen im Nacken wieder aus der Haut heraus. Das Blut wärmte ihr die Hand, und die letzten Herzschläge bebten an ihr vorüber. Das Schlangengesicht hing über ihrem Arm mit stillem Blick. Dieses hier hatte nicht einmal begriffen, wie es verendet war.
Aber die Zahlen verringerten sich nicht. Zu dritt gingen die Geschuppten auf den Lockenkopf los, zertrümmerten ihm mit Kriegshämmern die Beine und dann den Brustkorb. Sie sprachen nicht, konnten vielleicht nicht sprechen. Sie kamen und töteten, und nur das Todesgebrüll der Männer erhob sich über die Dächer. Befehle gab längst niemand mehr.
Jilis zog ihre Hand aus der Kehle des Wesens und packte dessen Speer, drosch ihm einen der Angreifer in den Oberschenkel und durchdrang dann sein Auge mit einem Bolzen. Die Schuppigen schlossen sich zu einer Wand aus Schatten zusammen, umringten sie und einen der Krieger des Dorfes. Für Sekunden stritten sie Rücken an Rücken, parierten Klauenhiebe und brachen Kiefer, dann war es der Krieger, der brach. Jilis nahm sein Schild und zerschlug mit einem Vorstoß die Ringformation um sich herum. Ein Schwertstreich suchte nach ihrer Kniekehle, sie schlug mit ihrem Messer den Arm nieder, der die Klinge führte.
Die Schlacht barst in ein Inferno, dem die Flammen des brennenden Dorfes nie gleichkommen würden. Ein Krieger, der die Hand auf seinen Armstumpf hielt, taumelte in den Echsentrupp hinein und ging in einem Reigen aus niederfahrenden Klingen unter. Die Schützen legten einen Teppich aus Bolzen über die Gegner, die sich von den Dächern auf sie niederschwangen. Dunkle Klauen reckten sich nach Schäften in Schuppenhälsen, brachen sie ab und rissen dann Rüstung und Haut der Schützen in Fetzen.
Die Wächter starben in Scharen. Abseits der Menschen, die sie schützen sollten – aber statt hier ihr Leben fortzuwerfen, hätten sie ebenso gut den Weg in die Berge und fort von diesem Schlachtfeld nehmen können. Möglich, dass sie schlicht den Ort und die Zeit für ihren Tod hatten bestimmen wollen, statt einen Versuch zu machen, ihm zu entrinnen.
Nur sie, sie durfte nicht fallen.
Über den schwarzen Schädeln ragte die Bretterkonstruktion noch immer auf, obwohl eine schwelende Bresche in der höchsten Lage von Wagenrädern klaffte. Das Herz der Hölle wartete dahinter, und mit ihm auch der Schlüssel zu seinem Untergang.
Sie zog einem Biest das Messer über die Kehle, das Menschentier stürzte rücklings in ein Fenster und verschwand aus ihrer Sicht. Ein Schildstoß zielte auf ihre Nase, sie huschte geduckt darunter hindurch und durchstieß mit der Hand die Brustschuppen und Rippen des Angreifers. Den Leichnam schüttelte sie von ihrem Arm und sprang auf eine Treppe aus Kommodenschubladen, die aus dem Bollwerk ragte. Beim Aufstieg blendete sie Maros seltsamer Zauber wie eine zweite Sonne; ein Schatten schob sich davor, mit Armen, Beinen, einer dünnen Klinge. Sie beschirmte die Augen mit dem Arm. Schwarzes Blut peitschte auf das niedrige Dach neben ihr, der Echsenmann klatschte gegen die Fassade, als wäre er ein feuchtes Tuch.
Der Weißhaarige mit der Nagellatte reckte eine Faust in die Höhe und zerrte seine Waffe aus dem Kadaver.
„Nie zu alt, noch eine Jungfer zu retten.“
„Und wer rettet Euch?“, fragte Jilis. „Ihr habt Euch mit diesem Scheusal nun lebendig eingemauert.“
In dem kärglichen Schutzwall schwelten die ersten Brände und kitzelten Jilis mit ihren heißen Fingern an den Ellbogen.
Wir sind die Mauer, M’lady. Wacht von Karmhang, bis zum Untergang.“
„Ein schöner Reim.“
„Schwingt Eure Gazellenbeine von unserem Scheusal und geht, bevor diese Bastarde es einreißen. Sonst kann ich den Teufeln in den Höllen nicht ins Gesicht speien und behaupten, ich hätte an meinem letzten Tag mit meiner Hand noch für etwas gestritten, das mich überdauert.“
Eine Aschewehe schob sich zwischen sie, und Jilis taumelte den Trümmerturm rückwärts hinab.
Die Schlacht tobte weiter, ohne sie. Keine Schlacht, ein Schlachten.
Wenn dies der Kampf war, auf den sie im Kloster so lange gewartet hatte, dann war sie der ausgemachte Dummkopf, den Falke sie immer genannt hatte.
In der Marktgasse vor ihr schlugen Flammen aus den Fenstern, gesprungene Teller und Tontöpfe bedeckten den Weg mit ihren Scherben. Markisen flatterten als brennende Fetzen vor den Läden – das Banner eines Lords, dessen Zeichen das Höllenfeuer war.
Jilis lief geduckt, um das Gesicht vor dem Wind zu schützen, der die Hitze der Flammen von links aus den Wohnhäusern, dann von rechts aus der Ladengasse trieb. Auch Blutrabe würde keinen Schutz vor der Hitze haben. Höchstens der Nekromant, der sich die Flammen zum Diener gemacht hatte, wie ein Tier.
Der Ratsplatz musste im Westen liegen, wo die Gässchen zusammenliefen. Aber wie weit noch? Die Welt zitterte in der heißen Luft, und aus Fensterläden strömten Flammenstöße, als verbargen sich Drachenmäuler dahinter.
Es war das Gleiche wie damals im Kloster. Sie ging durch das Feuer, um ein Leben zu retten... Nur, dass sie es dieses Mal im Namen der Schwestern tat; dass sich das Leben, das sie damals nicht hatte retten können, ebenfalls in dieser Hölle befand. Und, dass dieses Leben ihnen diese Hölle erst beschert hatte. Zehn Minuten, die alles entschieden hatten.
Die Brände auf der Straße nährten sich vom Kleid eines Mädchens und von seinem Körper, nährten sich auch vom Leib eines Schuppenträgers, dessen Arm aus einem Fenster hing. Sein Schädel war bis zu den Lippen gespalten, und das Feuer verbrannte zischend Fleisch und Hirn.
Der Schweiß rann Jilis über den Griff ihres Messers, machte ihn glitschig.
Holzsplitter, spitz wie Speere, flogen an ihr vorbei. Unter einem der Marktstände bäumte sich ein Schuppenkrieger auf, brüllte sein Gebrüll aus einer anderen Welt und wirbelte einen Morgenstern um den Kopf.
Jilis sprang vor und durchschlug das Holz, das die Balken des Stands hielt. Die Echse riss das Maul auf, da rammte sich ihr das Stützholz in Genick und zwischen die Schultern. Brennende Fetzen des Sonnendachs bedeckten sie, und sie zischte ein letztes Mal.
Die Höllendiener waren auch in der Stadt, und sie suchten das Gleiche wie Jilis. Sie begegnete zweien, die einen Karren durchstöberten und schoss ihnen in die Köpfe. Ein dritter stürmte ihr um eine Hausecke entgegen und empfing einen Messerstich in die Brust.
Es brauchte ein Wunder, damit dieses Heer Zethys noch nicht entdeckt hatte. Aber Zethys war eine Legende, und Wunder gehörten zu Legenden.
Über dem Platz in der Ortsmitte kreisten die Nadelzahnbestien, ließen sich fallen und packten zappelnde Menschenkörper aus den Straßen, die sie in die Luft zogen und dort zerrissen – aber dann kreisten sie weiter, suchten.
Dann hatten sie also noch nichts gefunden.
Jilis sprintete zu den Trümmern eines Springbrunnens in der Mitte des Platzes. Ihre Haut leuchtete in wundem Rot, brannte und trug einen Schweißfilm, dass sie sich wie ein Reptil vorkam. Sie schöpfte die letzten Tropfen aus dem Brunnen und benetzte Gesicht und Arme. Als sie aufsah, kniete ein Mann im dunklen Umhang, mit weißem Haar, neben dem zerbrochenen Fischschwanz einer Nixenstatue.
„Du hättest verschwinden sollen“, sagte Maro. Seine Wangen glänzten wie Wachs, aber kein Schweißtropfen blitzte darauf.
„Das habe ich vor. Ich will kein Bratferkel werden. Dein Zauber macht es aber auch nicht angenehmer. Oder hältst du diese Echsen für umgekehrte Wermenschen und willst ihnen ihre Gestalt mit einer zweiten Sonne austreiben?“
Sie setzte zum nächsten Wort an, aber hielt inne. In den Flammen des Rathauses stand eine Menschengestalt, dunkel vor dem Hintergrund des Feuers und wabernd in der heißen Luft. Doch eine Echsenschnauze konnte sie nicht erkennen.
„Geh jetzt, los.“
Maro wich rückwärts fort und wies mit der Spitze seiner Klinge auf ihre Brust. War es Zethys, die in den Flammen wartete?
„Was soll das?“, fragte sie.
Maro antwortete nicht, ging weiter auf das Rathaus zu, den Blick in sie gebohrt. Sie machte einen Schritt, da schnitt seine Stimme durch die Flammen.
„In die andere Richtung, dummes Mädchen. Noch einen Schritt-“
„Dummes…“
Es war, als drangen Finger in das Fleisch ihres Arms und spielten auf den Muskelsträngen wie auf einer Mandoline. Ihre Hand ballte sich zu einer Faust… Etwas wollte, dass ihre Hand sich zu einer Faust ballte. Sie stemmte sich dagegen, drückte die Finger wieder nach außen. Dann brach ihr Widerstand. Das Gefühl wich ihr aus dem Arm, und das nächste, was sie fühlte, war der Fauststoß, den sie sich selbst in die Magengrube gab. Ihre Eingeweide krümmten sich und sie sank auf den Rand des Brunnens.
Maros Zauber… Sie schnaufte gegen die Ohnmacht an und zwang sich, die Augen offen zu halten.
„Ich hab es gewusst, deine Worte sind auch nicht mehr als ein schönes Märchen gewesen. Dreckiger…“
Sie fluchte und schlug auf die Statue eines Fischmannes ein, kämpfte gegen die Ohnmacht mit Schmerzen an.
Zethys war es nicht, die dort in den Flammen stand. Der Gedanke drang mit erbarmungsloser Klarheit in sie.
„Eine Hure der Dämonen bist du!“, rief sie. Falke. Falke, die diesen Namen vergessen hatte und mit ihm alles.
Asche legte sich ihr in den Mund und sie hustete, hustete Blut und Staub. Auch Maro hatten sie jetzt, hatten ihn vielleicht die ganze Zeit gehabt. Sie schüttelte die Flecken ab, die sich ihr vor die Augen legten, und stemmte sich hoch – ihr Arm gehorchte ihr wieder.
Sie rannte zu dem Rathaus hinüber, in dessen klaffendes Dach der Uhrenturm eingebrochen war. Wie ein Vorhang schlossen sich die Feuerwalzen um die beiden Menschen, die mitten im Inferno standen.
Dann glitt ein Schatten über sie hinweg, breit wie eine Wolke. Vor ihr bohrte sich eine Wand aus Eisen in den Boden, wie ein übergroßes Turmschild der Rittersmänner aus Zakarum. Sie bedeckte das Gesicht mit den Armen. Erde und Trümmer eines Wagenrads spritzten hoch und schlugen ihr gegen die Schenkel. Ihr Blick wanderte das Schild hinauf – es verbreiterte sich nach oben hin, und ein Holzschaft, dick wie zwei Baumstämme, ragte oben heraus. Sie verstand erst, als eine Pranke sich um den Schaft schloss. Ein Speer, und das Schild war die Spitze. Ein Grollen donnerte über den Platz und peitschte die Flammen beiseite.
„Das Auge!“, bellte eine Stimme über ihr. „Du trägst das Auge.“
Der Kopf eines Ziegenbocks hing über dem Trümmerfeld, zehn Schritt hoch. Sein Körper war es, der vom Berg aus hoch wie eine Scheune erschienen war. Die Schultern ragten über die Schornsteine von einstöckigen Häusern hinaus und dort, wo bei einem gewöhnlichen Bock der Hals ansetzen musste, schloss sich bei diesem Wesen ein menschlicher Oberkörper mit zwei Armen an. Es war, als hätte ein grausamer Wille einen der legendären Zentauren dadurch entstellt, dass er ihm einen Ziegenbock zum Vater gegeben hatte.
Die Hufe zermalmten verschüttete Früchte und Markttheken. Jilis wich zurück in den Trümmerhaufen des Springbrunnens. Diese Bestie musste von allen Zicklein und Böcken dieser Welt die Mutter sein – und der Vater noch dazu.
Aber vielleicht hatte es neben seiner Riesengestalt nur das Hirn eines Zuchttiers.
„Ganz recht, du großer Narr! Zethys hast du gesucht und gefunden.“ Sie holte den Bogen vom Rücken und legte einen Pfeil in die Sehne. Seltsam, wie fremd sich die Waffe anfühlte. „Aber du wirst Blutrabe nicht mehr von deinem Fund berichten können – ich bin nicht umsonst unter den Menschen zur Legende geworden.“
Der Riese fuhr sich mit der Spitze des Speers durch den Gamsbart an seinem Kinn.
„Ihr Menschen macht Legenden und Sagen aus Prinzessinnen in Seidenkleidern. Verzeih mir, wenn ich keine Furcht empfinde. Außerdem hatte ich gedacht, dass Menschen noch immer mit der Last des Alterns zu kämpfen haben. Du dagegen siehst jünger aus als noch vor Jahren.“
Ein grausamer Zug spielte um seine Schnauze. Er war es gewesen... Er, der Zethys und ihren Jägerinnen begegnet war. Jilis sah sich nach Deckung um. Aber weder die Karren, noch die schwelenden Trümmer – noch die Häuser konnten Schutz vor diesem Koloss bieten.
„Ja“, sagte er, „du solltest Runzeln und Falten im Gesicht tragen. Oder ist dies hier dein Jungbrunnen gewesen?“ Die Spitze seines Speers durchfurchte die Trümmer des Brunnens wie lockere Felderde. „Vielleicht haben auch die anderen Menschen davon getrunken und deshalb sind es vor allem Kinder gewesen, die mir unter die Hufen gekommen sind.“
Monster. Vor allen anderen Wesen, die ihr begegnet waren, war dies das scheußlichste... Weil es sprach und dachte wie ein Mensch und dabei verdorben war wie die Nadelzähne und die Echsenköpfigen. Zethys würde den Riesen vernichten, wenn sie sich nur endlich zeigte... Das Haus gegenüber den Rathaustrümmern stand unversehrt, aber die Flammen der Kaufmannsläden daneben sprangen schon auf das Dach über.
„Für jedes Leben, das du ausgelöscht hast, wird sich eine Pfeilspitze in dein Herz bohren!“, rief sie. „Zethys wird kommen und dir dein Grinsen aus dem Gesicht stoßen.“
Der Ziegenkoloss strich sich mit den Händen über die Hörner und trabte um den Brunnenplatz.
„Seltsam. Ich hatte gehört, dass euch Menschen im Alter auch die Kraft in den Armen abhanden kommt. Wird Zethys die nicht brauchen, um mir ihre Pfeile zu schenken?“
Jilis stutzte. Die Legende kannte keine Jahreszahlen... Doch die Wirklichkeit sehr wohl. So alt konnte Zethys nicht sein. Sie durfte es nicht.
„Dann werde ich es tun“, sagte sie. „An ihrer Stelle.“
„Was soll dich dazu befähigen? Der Stempel des Auges auf deiner Stirn, den du mit Zethys gemeinsam hast? Du bist sterblich, kleine Puppe.“
Aus seiner Kehle drang ein grausames Gelächter, ein Gemisch aus dem Gelächter eines Irren und dem Meckern einer Ziege.
„Und du ebenso“, zischte Jilis. Der Pfeil zitterte in ihren Fingern. Wohin sollte sie ihn lenken? Das winzige Geschoss würde schon im Fell des Dämons hängen bleiben.
„Wenn du das glaubst. Wo du doch so an den Legenden hängst, sieh es als einen Trost, dass die meisten Legenden aus Toten gemacht werden. Ich gebe dir die Gelegenheit, eine zu werden – du zehrst an meiner Zeit schon zu lange.“
Der Dämon ließ seinen Speer über dem Kopf kreisen. Über dem Wirbel aus Metall stand noch immer Maros Sonne.
Ein letztes Geschenk, das hatte er gesagt.
Im Licht dieses Geschenks würde sie noch deutlicher mitansehen können, wie der Gigant sie zerriss.
Sie zielte auf den Kopf. Der verwundbarste Punkt der meisten Kreaturen. Der Pfeil flog von der Sehne, und der Riese nahm eine Hand von seiner Waffe und wischte das Geschoss beiseite wie ein lästiges Insekt.
Versucht hatte sie es...
Eine Pranke schoss durch die Luft zu ihr und breitete die Finger aus, um sie zu umschließen.
Plötzlich fehlte Maros Sonne. Sie stand nicht mehr. Sie fiel. Ein Ball aus Feuer, der in die Flanke des Ziegenmannes stürzte. Der Dämon heulte auf und sprang zur Seite, seine Schulter riss den Giebel eines Hauses fort. Wo der Feuerball getroffen hatte, glomm das Fell hell über dunkel verbranntem Fleisch. Die Flammen tropften auf die Erde und liefen ineinander. Im nächsten Augenblick loderten sie wieder hoch, doch nicht in einer einzigen Flamme, sondern in vielen verzweigten. Sie formten eine Gestalt – Oram, den Riesen, der Maro gedient hatte.
Der Ziegendämon hob einen Huf und ließ ihn auf den Golem niedergehen – die Kreatur des Nekromanten hob beide Arme und stemmte sich gegen den Huf. Flammenschlangen wanden sich über das Horn und krochen das Bein des Giganten hinauf. Wieder heulte er auf und schlug mit dem Speer um sich, zerriss mit dem stumpfen Ende des Schafts eine Fensterfront.
Hatte sich der Diener des Totenbeschwörers von ihm losgerissen und nach seinem Verrat auf ihre Seite geschlagen? Oder...
Sie schnallte den Bogen auf den Rücken und wandte sich um. Keine Zeit für Hirngespinste. Akaras Befehl stand noch – Zethys wartete auf sie. Die Feuer tasteten sich schon über den Dachfirst des Hauses.
Sie klopfte gegen die Holztür und lauschte eine halbe Sekunde lang. Sinnlos, zu warten. In einer Stunde würde die Tür zusammen mit dem gesamten Haus, mit dem gesamten Dorf, zu Asche geworden sein. Jilis warf sich gegen das Holz und riss die Pforte aus den Angeln, die untere Hälfte brach in der Mitte entzwei.
Eine Woge aus kühler Luft strich über sie, dann wallte die Hitze an ihr vorbei in das Haus hinein. Sie verharrte. Konnte sie den Namen so einfach aussprechen? Nach der Legende rufen wie nach einem Waschweib? Nun, immerhin hatte sie sich schon selbst als die alte Jägerin ausgegeben. Sie holte Luft.
„Zethys? Seid Ihr hier?“
Auch Legenden mussten sich in der Nacht zudecken.
In der Küche fand sie eine Schale mit den Resten von Haferbrei und Fruchtgelee, im Zimmer daneben ein Bett mit zerknitterter Decke. Über all dem lag der Geruch, den sie aus den Krankenlagern kannte, in denen nicht die Wunden des Kampfes, sondern die des Alters versorgt wurden.
„Zethys“, rief sie noch einmal und nahm die Treppe ins obere Stockwerk. Auf den letzten Stufen verlangsamte sie ihre Schritte. Durch ein einziges Fenster fiel der Flammenschein von draußen herein, tanzte in den Falten eines Gesichts. Die Haut schien wie Pergament, gezeichnet von Wetter und Sonne. Auf der Stirn verzerrten Runzeln das eingebrannte Abbild des verborgenen Auges.
Jilis nahm die beiden letzten Stufen mit einem Satz und ging auf die Knie.
„Verzeiht mir, Zethys.“
Die alte Frau saß in ihrem Korbstuhl, eine Decke über den Knien. In ihrem Auge flackerte der Feuerschein und gab ihren Händen die Farbe von glühendem Vulkangestein.
Sie war alt, bei den Göttern. Bei der Herrin. Ihre letzte Schlacht mochte sie geschlagen haben, als Jilis noch in der Wiege gelegen hatte.
Zethys bewegte den Mund, als würde sie sprechen, unsagbar leise.
Jilis erhob sich langsam und kniete auf dem Teppich neben dem Stuhl nieder, das Ohr fast an den Lippen der Alten. Der Legende.
“Ich habe Euch nicht verstanden“, sagte sie. Wie ein dummes Kind, für das die Worte der Mutter die ganze Welt waren.
„Niemand versteht die Ziege, und die Ziege versteht niemanden“, flüsterte Zethys. Sie wiegte sich langsam vor und zurück.
Ziege? Den Riesen vor dem Fenster meinte sie nicht...
„Die Ziege? Ihr?“
„In diesem Zimmer gibt es nur eine alte Ziege und ein junges Mädchen.“
Der Dämon hatte mehr als nur Recht behalten. Nicht nur die Kraft der Arme, sondern auch die des Geistes begann schon, aus Zethys zu weichen. Wenn diese alte Frau tatsächlich Zethys war. Und natürlich war sie es nicht, nicht die Dämonenbezwingerin aus den Legenden.
„Aber es gibt etwas außerhalb des Zimmers“, begann sie, und in ihrem Magen fühlte es sich an, als würden sich Karpfen darin wälzen. Sie sprach mit der Legende wie mit einem Kind, musste es tun. „Könnt Ihr es sehen?“
Statt einer Antwort fiel die Alte in einen Singsang.
„Glutgeboren lustig tanze,
auf der Welten dürrer Lanze,
sieh nur deinen Feuerreigen,
alle andern müssen schweigen...“
Wieder wiegte sie sich hin und her, und die Flammen machten ihr graues Haar schimmern wie Gold.
„Zethys, Ihr erkennt zumindest mich. Seht Ihr das Auge?“
Keine Antwort, aber die Frau streckte ihre Hand aus und fuhr mit rauen Fingern über Jilis Stirn. Berührt von einer Legende... oder einer alten Frau. Zethys berührte ihre eigene Stirn und legte die Hand wieder ab. Ihre Augen starrten so trübe an die Wand wie zuvor.
„Ein junges Mädchen“, sagte sie.
Jilis schüttelte den Kopf.
„Die Welt besteht nicht nur aus diesem Zimmer. Was ist dort draußen?“
Mit einem Mal spiegelte sich Sorge und Furcht in ihrem Blick. Sie beugte sich tiefer zu Jilis hinunter.
„Der Teufel sagt, ich darf nicht sprechen, sonst schlägt er mich tot. Baphometbaphometbaphometbaphomet.“
„Das ist sein Name?“
„Nein, die alte Ziege darf nicht sprechen“, sagte Zethys hastig. „Schweige, Mädchen, auch dich schlägt er tot.“
Auf dem Brunnenplatz tobte der Zweikampf. Bis zu den Knien stand der Dämon in den Trümmern einer Häuserreihe, schob gebrochene Schornsteine vor sich her. Die Aura des Golems ließ die Luft stärker flimmern als jedes Feuer und begleitete den Körper, der sich dem Bock in die Kniekehlen warf.
„Ich bin kein Mädchen. Ich bin eine Jägerin der Schwesternschaft des verborgenen Auges. Und Ihr?“
Zethys rang die Hände über der Decke und klopfte sich auf die Oberschenkel.
„Es ist so kalt hier. Du musst frieren.“
Jilis schloss die Augen. Mit dem Verstand war ihr nicht beizukommen. Wie es bei allen Legenden war.
„Niemand friert hier, nicht einmal Ihr. Es ist heiß wie auf einer Feuerstelle. Draußen brennt es, und bald brennt das ganze Zimmer und die alte Ziege brennt...“
„Die alte Ziege wartet schon viele Stunden lang, und sie wird brennen oder frieren, es ist dasselbe, solange sie nicht mehr warten muss.“
Jilis baute sich vor ihr auf und verstellte ihr die Sicht aus dem Fenster.
„Für Akara ist es nicht dasselbe, sie will die alte Ziege an ihrem Feuer sehen. Akara. Ihr versteht?“
„Akara hat viel Sand und Staub gebracht. Akara... Akara will die alte Ziege in ihrem Feuer sehen.“
„Nein, bei den Himmeln! Nicht darin!“
„Akara. Staub. Nein. Aber das junge Mädchen ist schön, nur ein Auge zuviel hat es. Die alte Ziege hätte gern seine Haare.“
Wie stur die Menschen im Alter wurden. In Sturheit konnte Zethys sich mit der Oberin messen. Einfach auf die Schultern laden und sie durch die Flammen hinaustragen konnte sie Zethys jedenfalls leider nicht.
„Das junge Mädchen will der alten Ziege helfen...“, sagte sie, weil ihr sonst nichts einfiel.
„Dann verschwendet es seine Stunden. Es soll tanzen und lebendig sein, wie ein junges Zicklein. Es soll jetzt gehen, denn die alte Ziege liebt es sehr.“
Jilis stöhnte auf. Wäre es nicht besser gewesen, unter den Fäusten des Dämons, der sich Baphomet nannte, zerdrückt zu werden? Besser, als hier langsam dem Wahnsinn zu erliegen, den die Legende in ihrem Zimmer wie ein Spinnennetz ausgebreitet hatte...
Von der Schlacht auf dem Hof drang ein Tosen und Krachen herein, als stürme ein Unwetter über das Land.
Plötzlich blitzte eine Idee in ihr auf.
„Die alte Ziege liebt das Mädchen?“, fragte sie.
„Haare aus Seide wie das Mädchen hat sie auch einmal gehabt, und Haut glatt wie Kristall. Das Mädchen soll nicht so böse schauen, dann faltet sich die Haut zusammen und es wird älter, viel älter.“
„So...“, begann Jiis. Die Bresche für den letzten Stoß war geschlagen. „Weiß die alte Ziege, was geschieht, wenn das Feuer kommt? Seidenhaar und Kristallhaut schützen nicht davor. Das Zimmer wird brennen, die alte Ziege wird brennen. Und das junge Mädchen wird brennen – lichterloh.“
„Oh“, machte Zethys und schloss den Mund nicht mehr.
„Es wird ein schöner Haufen aus Seiden- und Kristallasche übrig bleiben, denn das Mädchen kann nicht fort – es hat sich den Arm verletzt.“ Jilis krempelte den Ärmel ihres Hemds hoch und zeigte ihren vergifteten Arm, der noch um Zentimeter dürrer war als der der Schwester. „Kann die alte Ziege ihm nicht helfen, von hier fortzukommen?“
Zethys öffnete ihre Augen. Als sähe sie die List, mit der Jilis sie bezwingen wollte. Sie erhob sich aus ihrem Sessel, die Decke rutschte ihr über die Knie. Sofort legte Jilis ihr einen Arm um die Taille, aber Zethys drückte gegen ihre Hand.
„Nein, nein“, flüsterte sie, „gehen kann die Ziege noch. Wenn das Mädchen es aber nicht mehr kann, wird sie ihm helfen.“
Sie spazierte aus Jilis Griff und zog die Schublade einer Kommode heraus, in der Papyrusrollen sich stapelte. Als Zethys die Hände hineinsteckte, purzelten die Rollen zu allen Seiten aus der Schublade. Nur um eine einzige schloss sie die Finger und zog den Siegelring ab.
„Was tut Ihr?“, fragte Jilis.
„Ihr? Ich?“ Zethys strich die Schriftrolle glatt. „Es ist niemand hier als ein junges Mädchen und eine alte Ziege. Die alte Ziege schreibt nun einen Brief an Akara.“
Jilis wollte widersprechen, da breiteten sich Symbole auf dem Papyrus aus. Reihen aus Gebilden, die mal mit Buchstaben verschmolzene Zahlen waren, mal geometrische Formen, mal verschlungene Schlangennester. Zethys setzte ihren Finger an das erste Symbol und zeichnete seine Form nach. Dort, wo ihr Finger die Oberfläche berührte, leuchteten die Linien des Zeichens. Dann ging Zethys zum nächsten über, und zum nächsten.
„Es wird eine Weile der Zeit des Mädchens stehlen. So viel hat es noch?“
Einige Minuten, nicht länger würde Zethys brauchen, bis sie am Ende des Blatts angekommen war. Was auch immer dann geschehen würde. Ein Brief an Akara jedenfalls war das nicht.
„Die alte Ziege kann soviel Zeit haben, wie sie braucht.“
In diesem Moment erschütterte etwas den Boden unter ihren Füßen, und auf den Wandregalen klapperten Tassen, stürzten auf Schreibtische und zerbrachen zu Scherben. Ein Windstoß stob durch das Fenster in das Zimmer. Wind, der nach Aas und Schwefel roch.
Ein Paar gewaltiger Nüstern erschien draußen und sog bebend die Luft ein.
„Ah“, donnerte die Stimme Baphomets, „Sogar am Geruch erkennt man bei euch Menschenwesen, wenn Ihr bald unter der Erde liegen werdet.“
Für einen Moment war das Fenster wieder frei, dann verstellte ein riesenhaftes Auge die Aussicht nach draußen.
Jilis zog das Messer. Drei oder vier Minuten, länger musste sie den Dämon nicht aufhalten.
„Deinen Geruch brauche ich erst gar nicht zu riechen, um festzustellen, dass du bald nichts anderes mehr sein wirst als ein Haufen Schlamm und Kehricht!“
„Oh? Ein Zustand, den ich dir zu verdanken haben werde, wie du meinst?“
Erneut stimmte Zethys ihren Singsang an, während sie weiter die Symbole auf dem Papyrus nachzeichnete.
„Dass dort all die Träume lagen,
keinen Krieger, es zu wagen,
Trümmer in der Wirklichkeit,
kein’ Frau, kein Manne ist bereit...“
Alles, was der Dämon damals von ihr gelassen hatte, war diese Hülle, die ihren eigenen Namen nicht mehr sprechen wollte und die Dichtsprüche aus der Kindheit wiederkäute.
„vorn der Glanz von Ewigem,
fortgespült von weiß nicht wem,
lass es nicht zu...“
Jilis sprang über die Kante des Schreibtisches auf das Fenster zu und setzte zu einem Messerhieb an.
Nein, ich lasse es nicht zu. Sorgt Euch nicht.
Die Klinge drang bis zum dritten Zacken in die Pupille ein. Ein Ruck durchfuhr das Monster, und ein Schrei röhrte über den Platz. Jilis grub ihre Finger in das obere Augenlid und zog sich hinauf. Der Schädel bog sich nach hinten und schüttelte sich. Die Hand rutschte ihr ab, aber sie bekam ein Ohr zu packen und zerrte ihr Messer weiter durch den Augapfel hindurch, bis hoch in das Weiße hinein. Eine Linie aus Blut zog sich über das halbe Auge, und flüssiges Rot strömte hinaus. Jilis zog das Messer zurück und schlug es in das Fell des Schädels, hielt sich mit den Widerhaken der Klinge im Fleisch fest. Der Körper unter ihr bog und wand sich, schüttelte sie herum wie ein winziges Ungeziefer. Es gab kein oben mehr, kein unten, nur die Richtung, in die Baphomet sich warf und ihr Magen mit ihm. Die Häuser verwischten zu einer einzigen unscharfen Gestalt, und das Feuer zu einem Fluss aus heller Farbe.
„Ich bin die Zecke in deinem Pelz, die du bis zu deinem Ende nicht loswirst!“, rief sie in das Ohr hinein und packte noch härter zu. Die Höllenfahrt endete mit einem Mal, Baphomet verharrte.
Die Pupille des unverletzten Auges zuckte in ihre Richtung, suchte sie. Ein Schatten legte sich über sie. Mit einem Hechtsprung warf sie sich an den Hörnern vorbei und rutschte den Nacken hinab. Seine gewaltige Hand griff an Baphomets Hinterkopf und tastete vergeblich nach ihr. Die zweite Hand raste ihr von den Schultern her entgegen. Jilis setzte einen Fuß auf den Handballen und stieß sich ab. Die Pranke schloss sich dicht unter ihrem Stiefel, während sie auf dem Rücken des Riesen landete. An seiner Flanke waren mehr kahle, verbrannte Stellen als unversehrte. Wo war das Geschenk von Maro? Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn es ihr noch etwas Freude gemacht hätte.
Zwanzig Schritt rannte sie, bis sie das Hinterteil des Dämons erreicht hatte. Zwischen brennenden Markisen ragte etwas auf, das ein Wappenmast hätte sein können. Doch am unteren Ende drang die Speerspitze der Riesenwaffe in den Boden – durch eine Gestalt hindurch, die aus flüssigem Feuer bestand und die Arme gegen die Waffe reckte, die sie an den Boden fesselte.
Der Rücken des Giganten erbebte, seine Hufe donnerten auf den Boden. Jilis streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Das Messer zwischen die Zähne geklemmt, lief sie zu dem Schwanz, der um sich peitschte. Wenn sie den Speer erreichen konnte... Und wenn nicht, würde sie ohnehin in den Tod stürzen. Sie quälte die letzte Kraft aus sich heraus und sprang vom Hinterteil des Bocks ab.
Die Speerstange kam näher, Jilis schlang beide Arme darum. Sie rutschte das Holz hinunter, bis ihre Füße auf der breiten Seite der Spitze Halt fanden. Der Feuermann, den die Waffe festhielt, konnte als Einziger in diesem Dorf dem Dämon trotzen. Sie rammte mit ihrem magischen Arm das Messer in den hölzernen Schaft und zerriss das Material mit der gezackten Klinge. Ein Mal, zwei Mal, und kaum eine Kerbe. Die Holzspäne flogen um sie.
„Was treibst du, kleiner Schädling?“, donnerte Baphomets Stimme, als er sich umwandte und auf sie zu trabte.
Sie stieß das Messer in das Holz, Mal um Mal. Die Fasern brachen, und der Speerschaft neigte sich zu einer Seite. Sie setzte die Hiebe auf der anderen fort.
Baphomet legte eine Hand um den Schaft, die Finger schlossen sich. Jilis führte einen letzten Streich und riss einen ganzen Brocken aus dem Holz. Baphomet zog den Speerschaft nach oben. Die Holzfasern an der Stelle, die Jilis bearbeitet hatte, brachen entzwei. Der Dämon hielt eine hölzerne Stange in die Höhe, und nur der Keil der Spitze steckte noch in der verbrannten Erde. Jilis legte die Arme um das letzte Stück Schaft und sprang. Die Speerspitze senkte sich zur Seite, herausgehebelt von Jilis Gewicht. Sie landete neben der Kreatur aus Flammen, aber nicht ein Hauch des Feuers verbrannte ihr die Haut. Als könnten die Flammen entscheiden, von wessen Fleisch sie sich nährten.
Der Golem warf die Speerspitze beiseite und bäumte sich auf. Baphomet stieß ein Brüllen aus und schwang den hölzernen Rest seiner Waffe wie eine Keule, die Stein und Holz zermalmte. Jilis warf sich in die Deckung eines Zackens des Brunnenbeckens, und der Golem stoppte den Schwung der Waffe mit seinen Händen aus Glut. Sein Gesicht verriet keine Regung, aber Baphomet fletschte seine Zähne und stöhnte. Aus dem rechten Auge rann ein Bach aus Blut in seinen Mundwinkel.
Sie hatte getan, was sie konnte. Jetzt mussten diese beiden Gewalten gegeneinander antreten.
„Du kommst nicht davon“, heulte der Dämon, während er mit dem Diener des Nekromanten rang. „Für mein Auge zahlst du, und nicht nur mit einem von deinen!“
Jilis verlor keine Zeit. Mit einem einzigen Finger konnte der Gigant sie vom Antlitz der Welt fegen.
Sie sprang auf und hielt auf das Haus von Zethys zu. Gebe die Herrin, dass sie ihren Brief vollendet hat...
Das Heulen des Dämons begleitete sie, als sie durch die zerschmetterte Tür eintrat. Ein brennender Balken polterte ihr vor die Füße. Auch ohne Zutun Baphomets würde es sehr bald sein, wie sie gesagt hatte. Die alte Ziege und das Mädchen brennen.
Im Zimmer des Obergeschosses legte Zethys die Finger auf die letzten Symbole des Briefs.
„Nebel, du hängst an den Tannen,
wo die Tropfen Tau zerrannen...“
„Eilt Euch! Baphomet will nicht länger nur Euer Blut.“
Zethys nickte leicht und vollendete das letzte Zeichen. Das Leuchten durchzitterte das gesamte Schriftstück und wurde zu einer blauen Flamme, die den Papyrus verzehrte und sich an Zethys Fingerspitzen niederließ.
„Das Mädchen wird mich jetzt verlassen“, sagte sie.
Ihre Finger zeichneten auf die hölzerne Wand ein Oval, das einen menschlichen Körper fassen konnte. Die Flammenlinien schlossen sich zusammen, und das Holz in der Mitte des Ovals verschwand. An seine Stelle trat eine glatte Oberfläche, wie die eines Spiegels. Dann aber erschien ein Bild auf der Oberfläche. Palisaden hinter einem Fluss, Zelte und ein Planwagen... Jilis stockte der Atem.
„Es kann eintreten. Akara wartet.“
Zethys faltete die Hände zusammen und lehnte sich auf das Fensterbrett. Baphomet musste sich losgerissen haben. Seine Speerstange trug er nicht mehr, aber er steuerte in vollem Galopp auf das Haus zu. Den Kopf hielt er gesenkt, sodass die Hörner geradewegs in das Obergeschoss dringen würden, und sein Auge funkelte sie an.
Das Bild des Lagers waberte. Jilis streckte eine Hand hinein, und sie verschwand mitten zwischen den Zelten.
„Akara wartet nicht nur auf mich“, sagte sie und packte Zethys an der Schulter, riss sie mit sich.
Die Spitze des gewellten Horns drang in die Fensteröffnung, schlitzte die Decke auf und schlug den Schreibtisch in zwei Stücke.
Dann verschluckte eine warme Flüssigkeit Jilis, verschluckte ihren Körper und ihre Gedanken.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal wieder sehr spannend.
Maro ist doof, der kann die doch nicht alleine da sitzen lassen, und das mit der Faust ist auch fies. Ich hoffe die beiden sehen sich bald wieder :D


bis er sich anfühlte wie Strang aus Stahl - wie ein Strang

Zehn Minuten, die alles entschieden hatte. - hatten
 
Ha da bin ich direkt froh das ich erst jetzt dazu komme das zu lesen und es an einem Stück bekomme :)

Maro hat Jilis doch gar nicht allein da gelassen sondern seinen Feuergolem beschworen, der wird ihr ja wohl kaum auf eigene Faust helfen...

Der Däfmon hatte mehr als nur Recht behalten
-f

Erneut stimmte Zethys ihren Singsang erneut an,
-> ein erneut zu viel

"Das Messer zwischen die Zähne geklemmt, lief sie"
Bäh, wenn man mal dran denkt wo das Messer vorher gesteckt hat und was da alles dran kleben muss
 
Danke für eure Kommentare! Ich werde mich in Zukunft übrigens bemühen, doch noch einmal genauer nach diesen kleinen Fehlern zu suchen... Da bin ich sehr nachlässig und könnte noch etwas besser schauen, gebe ich zu.
Den zweiten Kapitelteil habe ich heute erst reingestellt - deshalb, Jyroshi, wusste Esme noch nichts von dem Feuergolem.
Das mit dem Messer ist in der Tat Bäh, darauf habe ich nicht geachtet. Aber Jilis wird das schon vertragen. :D
Übrigens habe ich mein Praktikum, und dank 9 Stunden Arbeit am Tag ab diesen Montag wird diese Geschichte hier vielleicht etwas leiden... Ich hänge ja sowieso schon eine Woche zurück. Aber an Motivation fehlts nicht, deshalb: Mal sehen. Ich gehe vielleicht dazu über, unabhängig vom Wochenrhythmus die Kapitel einfach immer in zwei Teilen zu veröffentlichen.

Und noch nachträglich - sorry - die Antwort auf Esmes Frage, ob Aradeia und Evra und der Bruder alles Nekromanten sind: Wer weiß? :p Zumindest Aradeia scheint nicht so fit zu sein, da sie ja auf Evras (unfreiwillige) Unterstützung in Sachen Nekromantie hofft.

Diese over-the-top-Kampfsequenzen werden mir übrigens langsam langweilig... Ich merke, dass in den Dialogen und "Atmosphäre-Szenen" viel mehr, naja, Wumms, Power, Esprit, was auch immer, ist. Ein bisschen ausgetobt habe ich mich jetzt, aber langsam wirds Zeit, erwachsen zu werden. :D
Würde mich freuen, wenn ihr meine Entwicklung weiter beobachtet - ich freue mich über euch als Leser. ;)
 
Und ich dachte, nen Haufen tote Jägerinnen in nen Haufen mehr-oder-weniger-lebendige Jägerinnen zu verwandeln, geht schon als ganz gute Nekromantie durch :p

Auch wenn du die Kapitel in zwei Teilen rausbringst, hat man bei der Länge noch ordentlich was zu lesen, aber dann gibts ja ständig Unterbrechungen an spannenden Stellen. Ich mag einfach keine Cliffhanger ;)


in der Papyrusrollen sich stapelte - stapelten
 
Hab gerade das zweite Kap gelesen ... öhhmmm :top:

... jetzt weiß ich warum du fünf Sterne hast. Zum ersten Eindruck ... eher ... rund und etwas ... vorhersebar (*untersteinenwegduck*). Na ja, ich hab noch nicht die anderen Kaps gelesen.

lg
Thor
:hy:
 
Ja, das erste Kapitel ist einfach... naja. Ich habe jetzt extra einen roten Warntext vor das erste Kapitel gestellt. ;) Und eine "back cover copy" gibt es da jetzt auch.

Esme, du hast da tatsächlich einen Punkt in der Geschichte aufgespürt, der problematisch ist... Inwiefern braucht Aradeia Maros Hilfe tatsächlich? Aradeia hat auch als Charakter etwas unter dem berüchtigten ersten Kapitel und seinen Folgen gelitten... Jetzt so am Ende zeigen sich die Lücken in meiner Planung immer mehr.
Dafür ist es zumindest ein ganzes Kapitel, was du kriegst, und kein halbes mit Cliffhanger. :P

Das Praktikum ist sehr zeitraubend, und unter der Woche bin ich neben der Arbeit nur noch Nekromant und Jägerin. Mal sehen, ob ich das weiter so durchhalte.








XII Ein gerechter Preis

Mit der Hitze der Flammen wich auch die Kontrolle, die Maro über einige von ihnen gewonnen hatte. Die Verbindung zu Oram in seiner neuen Flammengestalt riss ab. Ein Faden, der sich aus seinem Herzen löste. Entweder, weil der Golem in mehr als zwei Teile gespalten worden war, oder, weil die flüchtigen Flammen sich endlich der Beherrschung entzogen hatten.
„Jetzt ist es an Baphomet“, sagte Blutrabe und wandte ihm die Wange mit dem Narbengewebe zu.
Sie marschierten die Ebene nach Osten, umflogen von einem Geschwader der Nadelzahndämonen. Jene, die Maro noch vor Stunden nach dem Leben getrachtet hatten. Ob sie auf den Befehl ihrer Gebieterin nun von ihm abließen – oder ob stattdessen der Befehl nötig gewesen war, um sie erst gegen ihn zu hetzen?
„Sind es seine Diener, diese Schlangenköpfe, die die Stadt in einen Schutthaufen verwandeln?“
„Der Schutthaufen ist weder nötig, noch ist es ihre Anweisung, die Stadt zu vernichten.“
„Und doch werden sie nichts übrig lassen. Was ist mit Jilis?“
Das Narbengewebe verzog sich. Unmöglich, darin ein Lächeln zu sehen.
„Oh, dort sind deine Gedanken. Nun, was soll mit ihr sein? Du hast sie in den brennenden Gassen zurückgelassen.“
Er krallte sich mit den Händen in seinen Gürtel.
„Ich habe mein Heimatland zurückgelassen, meine Lehrmeister, und die, die ich Brüder genannt habe. Viel. Nicht das erste Mal.“
„Du bist ihr Gefährte gewesen...“
Oram hatte Jilis einen weit besseren Schutz geboten als es sein eigener, schmächtiger Körper mit der viel zu großen Wüstenklinge je gekonnt hätte.
„Meine einzigen Gefährten sind die, die ich mir selbst erschaffe und die ich mit meiner Energie nähre. Die Jägerinnen würden über meinem Leichnam nicht mehr Tränen vergießen als über deinem.“
Blutrabe presste ein trockenes Lachen heraus.
„Ihre Trauer würde reichen, mir ein Grab unter freiem Himmel zu geben... bei den Raben.“
„Weshalb soll es dann an mir sein, deine Freundin zu schützen? Wenn wir doch beide Rabenfraß sind. Diese Schachfigur-“
Die Nadelzähne zogen engere Kreise um sie, und Blutrabe knurrte.
„Diese Schachfigur. Du hast sie ihr gegeben?“
„Das war deine Bedingung. Die andere, dass ich ihr Leben bewahre.“
„Und du hast gut daran getan. Danke“, sagte Blutrabe, aber es klang so brüchig und hohl wie die Worte, die Akara für ihn übrig hatte. „Ich sollte dir nicht einmal danken. Du hast es getan, weil es meine Bedingung war, nicht wahr? Was würdest du noch tun, wenn es meine Bedingung wäre? Mir eine Suppe aus den Knochen deines Vaters kochen?“
Ja, würde er das?
Maro spähte in die Ferne, wo sich das Kloster hinter den Waldwipfeln verbarg. Sein Tor zur Hölle, Tor zum Himmel. Wenn die Dämonen nicht eben so hervorragende Intrigen sponnen, wie es die Menschen taten.
„Stell deine Forderungen, dann wirst du es herausfinden.“
„Du bist wirklich ein Teufel.“
„Wenn ich nicht bereit wäre, jeden Preis zu zahlen, weshalb hätte ich dann den Weg hierher machen sollen? Deine Herrin soll verlangen, was sie für nötig hält.“
„Sie wird von den Menschen dieses Landes für eine Schinderin gehalten, doch was bist du dann?“
Genug davon, dass er sich mit Dämonen vergleichen lassen musste.
„Das solltest du sie fragen, diese Menschen. Wenn sie nicht schon auf hundert Schritt erkennen, dass du eine von denen bist, die aus dem Grab gekommen sind, um ihnen den Tod zu bringen.“
Blutrabe hielt inne, und ihr geflügeltes Gefolge bildete einen Kreis um sie und Maro. Gier lag in den Augen der blutroten Kreaturen.
„Hältst du dich für besser, menschlicher? – und du bist doch der Herr der Wesen, die den Gräbern entfliehen.“
„Und du die Herrin dieser Missgeburten.“ Maro ging zu einer der Höllenbestien, so nah, dass ihr Atem an seinen Ohren vorbeistrich. „Meine Diener töten nicht. Sie hören auf mein Wort, meine Gedanken. Würden deine hier widerstehen können, wenn wir auf Menschen stießen?“
Natürlich kannte er die Antwort. Sie kämpften wie Krieger, aber sie jagten wie Tiere.
„Deine Worte klingen, als würdest du dir herbeisehnen, dass ich sie loslasse. Zufall, dass gerade jetzt ein Mensch nur eine Armeslänge entfernt ist.“
Was für eine leere Drohung.
„Sehnt deine Herrin das ebenfalls herbei?“
Denn du bist selbst nur eine Dienerin...
Über diese Wesen hatte Blutrabe nicht mehr Macht als er – nicht einen Funken.
Die Dämonen stützten die Fäuste auf den Boden, wie die Affen in den Dschungeln von Kejistan. Mehr waren sie nicht. Blutdürstende, geflügelte Affen ohne Fell. Und wenn sie jemandem gehorchen mochten, dann Aradeia.
Blutrabe senkte den Kopf und trottete weiter, auch die Geflügelten schlugen wieder mit den Flügeln und kehrten in ihre Formation zurück.
„Dass niemand diese Jäger halten kann, damit wirst du dich abfinden müssen. Hast du nicht gelernt, Blut zu sehen, in deinen Schulen der Zauberei?“
Maro leckte sich über die Lippen.
„Dort habe ich gelernt, einen Stoß Moorschlamm darauf zu geben, für wie menschlich mich die Menschen halten – oder ich mich selbst. Das ist doch deine Frage gewesen: für wie menschlich ich mich halte. Für wie menschlich hältst du dich?“
Einen winzigen Moment lang dauerte es, dann zuckten Blutrabes Augen zusammen. Als würde Glas zerspringen.
Maro überholte sie und ihre Dämonenvasallen.
Nein, ein Mensch war er seit den ersten Trimestern in den Händen der Maester schon nicht mehr. Nicht nach den Maßstäben, die die Menschen der Mark anlegen mochten.
Er sah zurück auf die untote Jägerin, die wie zufällig den Weg ging, den auch er nahm. Sie verachtete das Wesen, das sie nun war. Verachtete vielleicht den letzten Rest ihres Selbst, und klammerte sich an das Leben, das sie verkauft hatte. An Schachfiguren.
Blutrabe ließ ihm seine Position an der Spitze und folgte, während ihre Getreuen weitere Kreise zogen und auch Maro noch umschlossen. Jede Stunde brach ein anderer aus der Formation aus und setzte sich ab. Mochten die Dämonen verstanden haben, was er über sie gesagt hatte, oder auch nicht – sie zogen außer Sichtweite und kehrten erst wieder, wenn ihre Zähne rot von Blut waren, wie der Rest ihres Körpers.
Sie rasteten nur auf Maros Bitte. Wenn er aus seinen Träumen erwachte, stand Blutrabe noch eben so neben seinem Rastplatz wie zur Stunde, da er sich niedergelegt hatte. Schlaf brauchte sie so wenig wie Atem. Die blutroten Dämonen zeigten sich erst am späten Morgen wieder, und es war nicht zu ahnen, welcher Art ihre Rast war.
In der letzten Nacht verzichtete Maro auf eine Pause. Die Fackeln auf den Zinnen des Klosters erhellten die Nacht in der Ferne wie winzige Sterne. Es würden die letzten Schritte sein, die er tun musste.
An seinem Arm zerrte es wie mit Garnfäden. Jilis forderte mehr Kraft... Das Inferno von Karmhang hatte sie also überstanden. Bald würde sie die Horden überstehen müssen, die ihr von seiner Kraft gestärkt entgegentraten. Ohnehin würde er in ihren Augen längst zum Verräter geworden sein – nachdem er sie mit ihrem eigenen Arm aufgehalten hatte. Aber das machte es leichter. So viel leichter, als wenn sie ihm womöglich gefolgt wäre.
Das dumme Mädchen, das diesem Orden aus Wilden nachlief...
„Nekromant“, sagte Blutrabe, während sie ein Signal zu den Fackelträgern auf den Zinnen gab, „die Tore öffnen sich, du wirst nicht mehr umkehren können.“
Als hätte er das je vorgehabt.
Die Dämonen schwärmten aus und senkten sich von oben in die Innenhöfe. Mit Blutrabe zusammen schritt er durch das Tor, das zwei Jägerinnen für sie geöffnet hielten. Auch auf dem Hof, der sich an das Tor anschloss, waren nur jene, die halb lebend und halb tot waren. Sie saßen auf Heuwagen, steinernen Beetumzäunungen, hielten Wacht auf Terrassen und Wehrgängen, die um den Hof herumführten. Und alle starrten ihn an. Also hatte das Kloster kaum den Besitzer gewechselt, sondern nur die Besitzer verändert...
„Sind sie neidisch darauf, dass du den größten Fisch im Netz hast?“, fragte er.
„Dazu hätten sie jedenfalls keinen Grund. Es ist ein widerlicher Fisch, mit einem zu großen Maul, und ungenießbar ist er dazu auch noch.“
In ihren Worten ähnelte sie Jilis, aber nicht im Ton. Bitterkalt klang sie, und, als ob sie sich aus großer Höhe dazu herablassen müsste, mit ihm Worte zu wechseln.
Sie erreichten einen toten Garten, in dem von Bäumen und Büschen nur noch dunkle Gerippe standen. Dazwischen mischten sich Statuen eines Engels mit vier Flügeln – von denen zumeist mindestens zwei der Schwingen zerbrochen in den Beeten lagen. Über den Gesichtern der Engel lag eine Schicht dunkler Ruß. Ähnlich musste das Feuer hier gewütet haben wie in Karmhang.
Am anderen Ende des Gartens, unter einem verwitterten Torbogen, kniete eine Gestalt in roter Robe. Auf den Wehrgängen gingen einige Schatten Patrouille – nur Blutrabe fehlte. Er drehte sich um, aber nirgendwo in den Gärten mehr eine Spur.
„Selten kommen Gäste hierher, die meinen Garten bewundern wollen.“
War sie das? Aradeia, die Königin, die aus der Dunkelheit der Hölle in diese Welt gestiegen war?
Aus der Nähe erkannte er, dass sie keine Robe trug, sondern nur eine Fülle von Schleiern. Rot wie Blut, rot wie Karmesin, rot wie ein Sonnenuntergang. Eine einzige Flamme war sie, und ihr Haar leuchtete, als wäre es eine Garbe rotes Herbstlaub.
Menschen“, sagte Maro, „finden wenig Schönheit an Asche und Zerstörung.“
„Weil sie nicht genug darin suchen.“
Aradeia drückte ihre Fingerspitzen in eines der Beete, und eine pechschwarze Blätterknospe brach aus der Erde hervor, streckte sich zusammen mit dem Stengel aus der Erde. Dann öffnete sich die Blüte. Acht pechschwarze Blütenblätter, die Maro nur zu gut kannte. Eine Pflanze, die sich nicht die Mühe machte, Fressgierige durch bunte Farben abzuschrecken.
„Selbst schwarze Yata wächst nicht in einem Aschefeld.“
„Wie schade, dass du meinen Zaubergarten mit deinem Wissen zerstören musst.“ Aradeia strich über den geöffneten Blütenkelch, und von einem Moment zum anderen zerfiel die Pflanze zu Asche. Die Königin erhob sich. „Willkommen im Kloster, Nekromant. Von dem Land, in dem die schwarze Yata gedeiht, ist es ein langer Weg bis hierher.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Wenn der Weg länger wird, dauert es lediglich länger, bis man ankommt.“
„Dass du dir über Beschwerlichkeit Gedanken machst, hätte ich auch nicht erwartet. Doch lass dir sagen, dass es für die meisten der Menschen leichter erscheint, bis zu ihrem traurigen Ende die immer gleichen Wege auf und ab zu gehen, den gleichen Brei zu essen und sich am ewig gleichen Handwerk zu verbrauchen. Du solltest mir erzählen, weshalb du die halbe Welt durchmessen hast.“
Mit einer sanften Bewegung gebot sie ihm, ihr zu folgen. Sie öffnete die Pforte zu einer Kathedrale, in der nur der schwache Schein einiger Kerzen sich ausbreitete und grob die Umrisse der Bänke und des Altars nachzeichnete.
Dich habe ich gesucht“, sagte Maro.
Aradeia ging voran und breitete die Arme über Felder von unentzündeten Kerzen, die neben dem Hauptschiff zu Dutzenden standen. Ein Teppich aus Lichtern entflammte hinter ihr.
„Einen Dämon hast du gesucht?“, fragte sie. „Dann begehrst du nur einen der üblichen Händel – deine Seele tauschst du ein gegen einen Heuschober voller Gold oder einen Rattenschwanz von Adelstiteln?“
„Nein“, rief Maro, und seine Stimme hallte durch die Kathedrale zu ihm zurück. Vergaß er die Farbe des Haars und der Schleier, wie leicht tauchte da wieder das Bild aus seinen Träumen auf... Evra. Aber wie schnell verblasste es wieder, wenn Aradeia den Mund öffnete. „Für ein so billiges Geschäft hätte ich auch einen der Affendämonen im Dschungel aufsuchen können.“
Erneut machte Aradeia eine einladende Geste und wies hinter den Altar.
„Also treibt dich doch Größeres. Sieh, das dachte ich mir. Tritt ein in das Heiligtum. Von den Sterblichen bist du der Erste, den ich dazu auswähle.“
Hinter dem Altar endete der Boden abrupt, und eine Treppe führte nach unten. Weiße Säulen stützten die Treppe und die unterirdische Decke. Für einen Sekundenbruchteil betrachtete Maro sie mit dem zweiten Gesicht – die schwache Aura des einst Lebendigen haftete daran. Knochen. Aradeia hatte das Heiligtum der Schwestern geschändet und ihr eigenes daraus geschmiedet.
Maro nahm einen der Leuchter vom Altartisch und ging voran.
„Wenn dieser Weg hinab in die Hölle führt, dann ist er der Grund, weshalb ich hier bin.“
Aradeias Lachen hallte dumpf durch den engen Treppengang.
„Einen Blick in den Abgrund zu werfen, dazu also bist du gekommen!“
„Im Gegenteil. In Abgründe habe ich genug geblickt.“
„Du bist noch interessanter, als ich vermutet hatte.“
Das Mauerwerk des Klosterfundament über und neben ihnen wich bald einer glatten, dunklen Fläche. Auf den ersten Blick sah sie aus wie erstarrte Erde, doch der Geruch fehlte.
Obsidianstein?
Die Treppe verbreiterte sich und mündete in einen unterirdischen Saal. Schwarz wie die Nacht. Nur Obsidian konnte es sein. Auf ovalen Tischen glänzten silberne Schalen mit Honigbananen, Pfirsichen und Mangos. Der gesamte Saal hätte aus einem Tempel in Kejistan stammen können.
„Die Hölle hat die gleiche Art, zu bauen, wie die Architekten in meiner Heimat.“
„Wenn du das so empfindest...“
Aradeia ließ sich auf einen seidenbezogenen Diwan neben einem der Obsidiantische nieder. Dabei stand ein Thron am anderen Ende des Saals, gefertigt aus Elfenbein... oder Menschenbein. Dahinter spannte sich das Panorama einer Landschaft, die von innen heraus zu glühen schien. Vulkane, Flüsse aus Feuer, brennendes Gestein. Ein Hauch der Hitze wehte bis in den dunklen Saal. Was hatte sie gemeint – wenn er es so empfand?
„Es ist nur eine Illusion?“, fragte er.
„Beileibe nicht.“ Aradeia griff nach einem Pfirsich und biss hinein, der Saft tropfte ihr von den Fingern. „Jedem, der hier eintritt, erscheint der Saal mit einem anderen Gesicht, und dieses Gesicht ist für ihn Wirklichkeit.“
Das war eine Magie, die jenseits von der lag, die ihm gelehrt worden war.
„Was esst Ihr da?“
Aradeia schlug die Zähne noch einmal in den Pfirsich.
„Möglicherweise willst du es nicht wissen. Wir sind auch nicht hier, um über die Genüsse unserer Vaterländer zu sprechen. Aber da du es noch vorziehst, dich in Geheimnis zu hüllen, werde ich beginnen. Du wärst nicht hier, wenn ich keine Verwendung für deine Kraft hätte.“
„Sagt mir, was ich tun muss. Was Ihr mit meiner Kraft tun werdet, das ist einerlei.“
„Hm.“ Aradeia warf den Pfirsichkern in ein tönernes Schälchen und leckte sich die Finger. „Entweder, du bist eine gerissene Schlange, oder tatsächlich so gedankenlos wie ein Kind. Doch selbst ein Kind ist neugierig.“
„Das bin ich auch, doch nicht auf Eure Pläne. Die sind Eure Angelegenheit.“
„Nun gut. Was ich von dir verlange, würde Vielen ein zu hoher Preis sein, deshalb...“
Er schüttelte statt einer Antwort nur den Kopf.
„Du trägst die Kräfte der Nekromantie mit dir, kannst Leben und Tod beherrschen. Was ich tue – und was ich durch Blutrabe tue –, das kann sich damit leider nicht messen. Wir erkaufen den Toten nur einige Stunden und Tage, in denen sie glauben dürfen, sie wären wieder lebendig... und das machen sie auch alle glauben, die ihrer ansichtig werden. Du brauchst keinen Geist, der die toten Körper füllt und sich an ihn erinnert. Weil deine eigene Lebenskraft auf sie übergeht, mit zehnfacher Stärke. Ist es so?“
Maro verschränkte die Arme und lehnte sich zurück.
„Ihr habt es nicht nötig, mir zu schmeicheln. Wenn Ihr wollt, reicht ein Wink, und ich zerbreche in diesen Hallen hier wie ein trockener Ast unter Euren Füßen.“
„Wenn du zugehört hättest, wüsstest du, dass es eine Narrheit wäre, dich zu zerbrechen. Sterblich bist du, aber auf deine Weise mächtiger als ein Unsterblicher. Die Macht, mit der du Blutrabe und ihre Schar vom Friedhof vertrieben hast, die brauche ich. In den Körpern der Jägerinnen, die mir jetzt dienen. Gib ihnen die Energie, mit denen du deine Kreaturen versiehst. Du gibst ihnen Kraft und Schnelligkeit, ich halte sie im Bann.“
Ein Bann. Deshalb also konnte Blutrabe noch denken und sprechen wie eine Lebende, und kämpfte doch gegen Jilis und die Schwesternschaft.
„Einverstanden. Nur behaltet Eure Pläne für Euch.“
Die Pläne konnte er nicht brauchen. Er musste nicht wissen, wem er half, was zu tun...
„Es wäre nur gerecht, wenn du davon erfährst. Denn du wirst mir erzählen müssen, was dich treibt. Aber dann sei es so. Lass es dir genügen, dass ich einen Sturm aus dem Osten, aus dem Norden und aus dem Süden erwarte, und mit ihrer Stärke allein werden meine Jägerinnen fortgefegt werden. Selbst, wenn meine Leibdiener ihnen beistehen. Diese Festung hier soll sie überdauern, die Nordmänner, die Wüstenreiter, und die Krieger der geschmolzenen Inseln. Mein Bruder verlässt sich darauf.“
Maro griff nach dem Obstkelch. Ein Hitzestoß entlud sich in den Saal hinein und er zog die Hand wieder zurück. Aradeia konnte ihre ganze Familie zu sich holen, wenn es ihr lieb war. Die ganze Welt verzehren, wenn dies das war, nach dem es sie verlangte.
„Euer Bruder ist also fähig, die Grenzen der Welten zu überschreiten. Und Ihr nicht weniger.“
„Sicherlich. Die Menschen fürchten ihn, und welchen Grund hätten sie, wenn er nicht unter ihnen wandeln könnte.“
„Sagt mir, wie.“
„Wie er...“ Aradeia stoppte und lachte. „Oh, wir kommen wieder auf den Kern deines Anliegens. Nun, den Höchsten von uns sind die Weltengrenzen nicht mehr als ein Schleier, den wir beiseite rücken müssen. Den Vorgang einem Sterblichen... selbst dir... zu erklären, wäre am Rande des Möglichen.“
Seine Hände krallten sich um seine Knie und zitterten. So lange hatte er darauf gewartet.
„Wir wandeln stets am Rande des Möglichen. Den Weg, den Ihr beschritten habt, könnte auch ein Sterblicher gehen. Aus dem Reich der Menschen hinein in das der Götter.“
„Das glaubst du?“ Sie lehnte sich zurück und strich über die Lehnen des Diwans. „Ein Gott willst du werden? Es gibt bei euch genügend Geschichten über Heilige und Schufte, die für ihre Taten in den Himmel hinaufgehoben werden oder in die Hölle hinabgezogen. Aber diese Geschichten... Sag mir nicht, dass du sie für wahr hältst.“
„Wenn sie nicht wahr sind, dann bin ich wohl der erste, der über die Menschenwelt hinausgeht.“
Er zeigte auf die zerklüftete Landschaft, in der Rauch sich kräuselte und Feuerlohen aufflackerten.
„Als Gast mag ich dich zu mir geladen haben... Doch ein Dämon oder ein Gott bist du noch lange nicht, und in meiner Macht steht es nicht, dich dazu zu machen.“
„Das will ich auch nicht! Das Spiel der Götter ist nicht meins, und weder interessiert es mich, noch will ich daran teilhaben.“ Wollte sie ihn einlullen, bis er seine Kraft von selbst hergab und vergaß, was er im Gegenzug forderte? Maro erhob sich und stützte sich auf die Balustrade, die den Saal von den Flammenfluten unter ihm trennte. Gedämpft rauschten die Flüsse aus Feuer, und ihre Wärme reichte bis hoch zu Maros Gesicht. „Nur eine Göttin will ich treffen. Deshalb bin ich hier. Du hast den Weg aus deinem Reich auf die Kontinente der Erde geschafft, und ich will einen Weg in das Reich von Evra.“
Wie leicht ihm der Name über die Lippen gegangen war. Nichts ging es Aradeia an, aber er musste ihr zumindest den Namen geben.
Plötzlich stand sie neben ihm, und ihre Schleier flatterten in den warmen Böen wild um sie, wie leibhafte Flammen.
„Ah, meine Schwester. Kein Zufall, sicher, dass du von ihr deine Kräfte erhalten hast.“
Sein Atem stockte. Deshalb die Ähnlichkeit. Doch Evra würde er nicht in dieser vulkanischen Öde finden – niemals hätte sie sich an einem solchen Ort niedergelassen.
„Zufall oder nicht. Öffnet mir ein Tor in ihre Welt. Das ist der Preis für meine Unterstützung.“
Aradeia schritt um ihn herum, die Schleier legten sich wieder, und sie nahm Platz auf dem Thron. Bleiche Menschenschädel starrten ihn an, auf der Lehne saß ein ganzes Skelett wie ein zweiter Herrscher.
„Ein Preis, der zu hoch ist, leider. So wie sie keinen Tunnel in mein Reich öffnen kann, so wenig kann ich einen in ihres schlagen.“
Ein eiskalter Blitz ging ihm durch die Glieder. Seine Reise konnte nicht umsonst gewesen sein. Unmöglich.
Auf ihrem Thron war Aradeia die Königin der Hölle, nicht mehr die Schmeichlerin, der er im Garten begegnet war. Er handelte mit einer Dämonin, oh ja.
„Es muss einen Weg geben. Ich...“ Seine Hände krallten sich ineinander. Wie ein Bittsteller stand er vor dem Thron. „Ich will nur zu Evra. An welchem Ort ich sie treffe, das ist bedeutungslos.“
„Eine Göttin treffen, so? Du musst dir Einiges davon versprechen.“
„Ist es möglich? Sagt.“
„Das kommt darauf an, wie viel Zeit du benötigen wirst.“
Maro schüttelte den Kopf. Benötigen, ein falscheres Wort hätte sie nicht wählen können. Er schwieg.
Aradeia lachte ein Lachen, das die Felsen wanken machte. Es schallte durch den Saal, mochte die Treppen der Unterwelt hinauf und bis in das Kloster hinaufreichen und von dort aus weiter in die Welt, die ganze Welt.
Als sie verstummte, hallte ihre Stimme noch fort.
„Du besitzt die Gabe, in das Geisterreich zu blicken, oder?“
Maro nickte. Seine Wangen glühten, und es war nicht von der Hitze.
„Den Geist vom Körper trennen. Ja.“
„Das ist gut. Denn nur dieser Gabe wegen kann ich dir helfen. Deinen Körper kann ich nicht in eine andere Ebene befördern. Aber deinem Geist ist diese Reise möglich.“
Also doch. Er hatte es gewusst, die ganze Zeit über. Nur, dass Aradeia sich nicht um das Einverständnis ihrer Schwester kümmerte... Seltsam war es. Aber die Bande des Blutes verbanden nicht immer untrennbar. Wer wusste schon, ob diese Schwestern überhaupt durch Blut verbunden waren, oder ob die Götter anderen Gesetzen folgten.
„Auf welche Art auch immer ich dort hingelange...“
„Ich werde dir zeigen, wie es funktioniert. Doch wenn du erst dort bist, wird dich nichts mehr an dein Wort binden, mir zu helfen. Deshalb erfülle zuerst du deinen Teil der Abmachung.“
„Dann soll es so sein.“

Er stand wieder unter dem Sternenhimmel. Für diese letzte Nacht, die er sehen würde, strahlten die Sterne. Ein Netz mit diamantenen Knoten.
Varn und Merek, Orestar... Sie würden noch hunderte von Nächten erleben, und in all ihrer Weisheit würden sie in keiner dieser Nächte auch nur mit einer Faser ihres Seins wirklich verstehen. So, wie er es tat.
Die Jägerinnen füllten den Hof als eine endlose Garde. Es würde sein wie in den Legenden, in denen die Frostdrachen sich mit ihren Klauen die Adern öffneten, um die Ahnen der Nordmänner daraus Blut und Unsterblichkeit trinken zu lassen.
Es war die erste Nacht seit langem, in der der Atem wieder als Dampf aus Mund und Nase stieg. Und in den Mauern des Klosters war er der Einzige, der überhaupt Atem schöpfen musste.
Aus der Legion traten die Jägerinnen vor ihn und reichten ihm ihren Arm. An die Reihe kam eine Verstümmelte, der eine stumpfe Waffe das Gesicht unterhalb der Nase genommen hatte. Erstarrte Fleischfetzen hingen über die in Trümmer geschlagenen Kieferknochen herunter. Ihre Augen blinzelten. Er nahm ihre Hand und knüpfte ihrer beider Auren zusammen. Gab einen Hauch von Energie ab. Gerade soviel, dass die Jägerin spüren würde, dass etwas geschehen war.
„Wie heißt sie?“, rief er. Eine Schwester mit zurückgebundenem Blondhaar verließ die Menge und rief ihm zu: „Marie.“
Nicht, dass er sich die Namen mit wachem Geist merken konnte. Aber er verwob sie in die Verbindung, die er zwischen sich und die Jägerinnen spannte. Namen hielten die astralen Stränge zusammen. Keine einzige würde ihm so in dem gewaltigen Netz, das er flocht, verloren gehen.
„Marie“, wiederholte er.
Dann kam die nächste heran und nahm den Platz der Versehrten ein. „Mach mich unbesiegbar“, sagte sie. Ein schlankes Mädchen mit Haaren bis über die Schultern und einem Gesicht, glatt wie ein geschliffener Edelstein. Ihre Schönheit hatte sie nicht verloren. Dennoch, wie weit war sie entfernt von einer Göttin. Dem Leben entrückt, blieb ihr doch trotzdem nur ein Abbild ihrer sterblichen Hülle.
„Aimee“, sagte sie und streckte ihm ihre Hand hin. Kalte Finger, kalte Haut. Er zog Feuerbänder aus ihrer Aura und schloss sie mit seiner eigenen zusammen.
„Unbesiegbar wirst du nie sein. Wenn du dich entschließt, für etwas zu kämpfen, dann wirst du besiegbar.“
Seltsam, wie er vor Monaten noch die Lehren der Maester angehört hatte. Nun stand er selbst vor solchen, die von ihm zehrten.
Die Schöne verließ ihn ohne eine Regung, und das nächste Mädchen kam heran. Ein Schnitt lief ihr von ihrer Wange bis zum Kinn, aber ein Tuch verdeckte die Wunde von dort ab.
„Iolea“, sagte sie, und er schenkte ihr seine Kraft.
Alle trugen sie in sich nur die Stärke, die ihr Leib vom Leben mit in den Tod genommen hatte. Durchtrennte Sehnen und gebrochene Knochen behinderten sie wie Lebende... Nicht mehr so mit seiner Hilfe, durch die ihre Körper zu einer Einheit wurden. Eine Einheit, die nicht mehr durch die vor dem Verfall bewahrten Funktionen weiterhin Bewegung hervorbrachte – sondern durch reinen Willen.
Die nächsten kamen, und er reinigte ihre Aura und goss sie zu einem Ganzen zusammen.
Nein, Unbesiegbarkeit konnte er ihnen nicht geben, und das würde er nicht. Sie würden so stark sein, dass sie zwei oder gar drei ihrer lebenden Schwestern überwinden konnten – aber nicht Jilis.
Als die Hälfte der Menge unter seinem Zauber stand, pochten seine Glieder. Schwäche. Er setzte sich auf die Treppe und hielt die Jägerinnen kurz mit der Hand zurück. Wenn ihn die Ohnmacht jetzt holte, dann konnte sein Band zu Jilis brechen, und er würde es nicht neu binden können.
Dann kamen sie wieder, und er nahm sie in sich auf und ging in ihnen auf. Ein Acker aus Seelen vor ihm, die miteinander und mit ihm verknüpft waren. Alle trugen sein Zeichen, und er trug ihrer aller Zeichen.
Für die Letzten der Schwestern musste er die Kraft aus sich hinauszwingen, damit sein geschwächter Körper sie hergab. Die Nacht wurde vor seinen Augen schummrig, und die Vielzahl der Namen hallte in seinem Kopf wieder. Blutrabe, sie war nicht dabei gewesen, nicht mit ihrem Namen und nicht mit ihrem Gesicht. Wenn sie um ihre Menschlichkeit fürchtete, hatte sie vielleicht gut daran getan, nicht zu erscheinen. Eine leise Stimme in seinem Innern flüsterte ihm dennoch zu, dass er diesen Namen nicht zum letzten Mal gehört haben würde. Blutrabe.
Die letzten beiden Jägerinnen traten zusammen auf ihn zu. Erst, als sie vor ihm standen, erkannte er, dass es keine waren. Hörner zierten ihre Stirn, und auf den Rücken lagen lederne Schwingen zusammengefaltet. Panzer mit bronzenen Gliedern schützten sie bis zu den Handgelenken. Hinter ihnen erschien Aradeia mit ihrem Flammenhaar.
Die beiden Dämonenmädchen griffen ihm unter die Arme und führten ihn.
Für einen Moment fürchtete er. Wusste Aradeia, dass sein Zauber nur Bestand haben würde, solange er lebte?
Sie lächelte und winkte ihn und seine Begleiterinnen in Richtung der Kathedrale.
„Du hast deinen Teil getan, Nekromant. Jetzt sollst du bekommen, was du begehrst.“
Ein Schauer der Erleichterung durchzitterte ihn.
Endlich. Und nicht mehr hatte es gekostet, als seine Lebenskraft abzugeben wie einen Silberschmuck beim Pfandhaus. Ein gerechter Preis.
Seine Schritte waren wie durch Watte hindurch. Bald würde er keine Schritte mehr tun müssen. Nie wieder.

Als sie in den Obsidiansaal zurückkehrten, gingen hinter dem Diwan Seitengänge ab. Die Dämonenmädchen führten ihn stumm. Ihre Körper kannten weder Atem, noch Hitze oder Kälte. Die Hände der Jägerinnen waren kalt gewesen wie Stein, doch die Haut der Mädchen, die ihn jetzt hielten, fühlte sich auf sonderbare Weise an, als wäre es seine eigene. Vielleicht, weil er auf dem Weg war, so zu werden wie sie.
An den Gang schloss sich eine schmale Kammer an. Glänzende Seidenkissen bedeckten den Boden, nur das Bein und die Platte eines Tischs aus schwarzem Stein ragte heraus. Der Geruch von Kräutern durchzog die Luft. Als wäre dies hier nicht eine winzige Zelle, sondern ein Platz auf einer der Sumpfwiesen von Kejistan.
Die Dämoninnen trugen ihn in eine Ecke des Raumes und betteten ihn auf die Kissen. Er ließ die Blicke über sie schweifen. Schön waren sie. Puppen aus Porzellan und Elfenbein, die Leben besaßen. Evras Töchter – oder eher die von Aradeia.
Er sank in das samtene Meer und lehnte den Kopf in die Kissen.
Aus dem Gang trat nun auch Aradeia, in ihrer Hand einen Krug in der Farbe von Honig. Durchsichtiges Gold, in dessen Innerem eine graue Flüssigkeit wogte.
„Das ist dein Schlüssel“, sagte sie und stellte den Krug auf dem Tisch neben Maro ab. „Es ist ein Sud, den nicht einmal deine Meister hätten brauen können. Wenn du von ihm trinkst, wird dein Geist mächtig werden. So sehr, dass er deinen Körper nicht mehr braucht. Wände und Abgründe werden dich nicht mehr aufhalten, und auch nicht die Grenzen der Welt. Wenn du-“
„Was ist“, unterbrach Maro sie, „wenn mein Körper stirbt?“
„Nein“, sagte Aradeia, und ihre Töchter nahmen neben Maro in den Kissen Platz. „Sterben wird er nicht, denn dafür werden Lia und Mireh sorgen. Sie werden deinem Körper geben, was er an Nahrung braucht, und sie werden ihn mit ihrem eigenen Leben verteidigen.“
Die Schwäche machte ihm die Zunge schwer, nur seine Gedanken bewegten sich noch glasklar.
„Wenn doch? Wenn ich doch sterbe? Wenn der Sturm kommt, von dem Ihr geredet habt, und er diese Unterwelt und Euch und mich mit sich nimmt?“
Eine der Dämoninnen – äußerlich glichen sie sich bis auf das Haar - streckte die Hand aus, und die Luft begann zu zittern. Sie formte sich zu einer durchsichtigen Kontur, dann kroch dunkle Farbe hinein. Ein metallener Schaft, den an der Spitze eine Klinge mit grausamen Zacken und Widerhaken krönte.
„Wir geben Acht“, sagte sie und lächelte unergründlich.
„Wenn dein Körper verloren geht... Dann kannst du nicht mehr zurück“, sagte Aradeia.
Maro nickte. Dann war diese Hülle tatsächlich nur noch interessant für die Dämonenkönigin. Er selbst würde sie nicht mehr brauchen, nie wieder. Aber das musste sie nicht wissen.
Er griff nach dem Krug auf dem Tisch. Feiner Dampf erhob sich aus dem Innern.
„Alles?“, fragte er.
„Trink es langsam. Der Schlaf wird über dich kommen, wenn du den Krug ganz geleert hast. Meine Töchter werden dir mehr davon einflößen, wenn du erst schläfst. Der Trunk erhält deinen Körper, und deinem Geist erhält er seine Freiheit."
Maro nahm den ersten Schluck. Die Flüssigkeit brannte an seinen Lippen. Auf seiner Zunge breitete sich ein Geschmack aus, der dem Geruch des Raums glich. Kräuter, Gewürze. Einige davon jenseits dieser Welt. Er blickte in die Fackellichter, die sich auf dem glatten, schwarzen Stein spiegelten.
„Habt Dank“, sagte Maro.
„Ein Handel zu unserer beider Nutzen, Nekromant.“
„Wir sehen uns in einem nächsten Leben wieder.“
„Weder du noch ich werden ein nächstes Leben haben. Dieses wird dauern.“
In der Tat. Niemals werden wir uns wiedersehen, wenn ich Glück habe.
Er nahm noch einen Schluck, diesmal einen größeren. Die Wärme des Getränks rauschte durch sein Innerstes. Er hatte die beste Versicherung, dass Aradeia ihm kein Gift einflößte – ihr lag an seinem Überleben.
Wolken legten sich vor seinen Geist, und der Raum verschleierte sich. Aradeia wandte sich um, und ihre Haare loderten im Fackelschein wie Feuer.
„Dann verlasse ich euch jetzt.“
Die beiden Mädchen lehnten neben ihm an der Wand, und auch in der Hand der Zweiten formte sich aus leerer Luft eine Waffe. Eine Klinge, dünn wie ein Faden, mit einem Parierkorb aus Gold.
Maro nahm den letzten Schluck. Wärme floss in ihn, und Wärme floss aus seinem Innersten nach außen, als würde sein Körper dem Getränk eine Antwort geben.
Hinter einem Schleier aus Diamantenglanz ließ er die beiden Dämonenmädchen zurück. Allein.
Bald würde er sie finden. Die, deren Namen er hundert Nächte lang sprechen konnte, und der ihm doch nie schal wurde.
Seine Welt verschwand, und gab eine neue frei. Was noch übrig war von dem Maro, der sich in Kleider hüllte und in den Händen einen Wüstensäbel trug, das floss fort über die Bahnen, die er gespannt hatte. Floss in Dutzendschaften von Seelenfeuern - und in das eine, mit dem er sich zuerst verbunden hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein sehr schönes (ganzes ;)) Kapitel.

Hat Maro dann über die ganzen untoten Jägerinnen so viel Macht wie über Jilis Arm? Jeder Summoner wäre neidisch ;)

Er platzt bei Evra einfach so rein, wenn alles glatt geht, oder? Macht er sich gar keine Sorgen, dass sie ihn vielleicht wieder rausschmeißt, oder dass Aradeia ihn nur ausgenutzt hat?
 
Ah, Esme, du stellst die richtigen Fragen. :)
Nein, Maro macht sich keine Sorgen darüber, rausgeschmissen zu werden. Aber ich habe ihn etwas vernachlässigt. Dazu hätte es eine Szene geben können, die verrät, wie er darüber denkt. Wird nachgeholt, obwohl es jetzt natürlich eigentlich schon zu spät ist.

Die Macht, die Maro über die Jägerinnen hat, ist abhängig davon, wieviel von seiner Energie sie in sich tragen. Bei Jilis kann er mehr kontrollieren, bei den untoten Damen weniger.
Und die Frage, ob er ausgenutzt wird... Wie genau meinst du das? Er hat seinen Willen bekommen, und jetzt bekommt Aradeia, was immer das auch sein mag. Er hat doch schon "gewonnen". ;)
 
Schönes Kapitel. Die Dialoge sind irgendwie von der Sprache her ein bißchen komisch passen aber grade deshalb super rein :top:
 
Ich meinte ausnutzen im Sinne von ihn die Arbeit machen lassen und ihn dann mit der angeblichen Gegenleistung abschießen. Maro hat doch keine Ahnung was das für ein Trank war und er wäre hirntot genauso nützlich für Aradeia.
Kann doch nicht sein, dass beim Pakt mit dem Teufel alles läuft wie vereinbart ;)
 
Was ist denn genau komisch, Jyroshi? Ich kenn das nämlich von mir, dass ich bei Adligen(oder hochrangigen Dämonen ;)) in eine ziemlich tote, langweilige Sprache verfalle... Weil mir irgendein Geist im Hinterkopf zuflüstert, das müsste in der Fantasy so sein. Zuviel Hohlbein gelesen... Und weil ich nicht gerade konzentriert war, diese Woche, mag das gut und gerne passiert sein.

@Esme: Gesteh mir zu, dass ich mich erst einmal in Schweigen hülle. :D
 
Mit "komisch" meinte ich eine etwas merkwürdige Wortwahl. Z.b. der Fussmarsch von Maro und Blutrabe, stellenweise ist das keine echte Umgangssprache sondern eben etwas merkwürdig - aber wie du sagtest für Fantasie an bestimmten Stellen durchaus passend.
Ich hatte das aber auch gar nicht negativ gemeint, im Gegenteil stell ich es mir schwer vor sowas zu schreiben eben weil es nicht "normal" ist
 
Nette Geschichte, habe mir gerade einmal alles in einem Rutsch durchgelesen ;)

Liest sich alles sehr gut, auch wenn hier und da noch ein paar kleinere Rechtschreibfehler drinn sind.

Ich frage mich nur, ob du noch so nah an der Diablo Geschichte bleiben willst .... aber da wirst du ja deine eigenen Vorstellungen haben ^^
 
Hallo fuma!
Schön, dass du mitliest. Die Rechtschreibfehler, ach ja... :rolleyes: Ich werde sie wohl erst am Ende ausmerzen, da ich gerade noch so schön im Fluss der Geschichte bin.
Eigentlich hätte ich mich schon am Anfang etwas von dem Diablo-Hintergrund distanzieren sollen, ich habe mich damit etwas selbst behindert. Aber jetzt mache ich das Beste draus. :D

Hey Jyroshi,
ich denke, ich weiß, was du meinst. Ob es nun schwer zu schreiben ist oder nicht - solange es nicht unangenehm auffällt, dürfte alles in Butter sein. Mal schauen, was noch kommt. ;)

Hier erst einmal ein Kapitel, bei dem ich einmal wieder zwiespältig bin... Bin ich ja eigentlich immer.





XIII Das größte Geschenk

„Betrogen.“
Die Haare hingen der alten Frau über Augen und Nase herab, wie sie dort auf dem Krankenlager saß.
„Es hat sie betrogen.“
Jilis atmete den Geruch der Tinkturen in Akaras Schränkchen ein und musste husten. Für die Rötungen ihrer Haut hätte sie nicht in das Lazarettzelt geschafft werden müssen. Die Stellen juckten, aber das Gejammer von Zethys...
„Es hat sie nicht betrogen. Sie wird noch bald genug sehen, was ihr erspart geblieben ist.“
„Aber sie hat gewartet...“
Jilis stöhnte. Auch wegen der Übelkeit, die ihr den Magen schüttelte, hätte sie nicht in das Zelt gemusst. Die Übelkeit war auch das Einzige, das ihr als Erinnerung an die höllische Fahrt geblieben war. Ein Zucken in den Gliedern, dann war die Welt an ihr vorübergerast. Einer ihrer Pfeile musste sich so fühlen, wenn sie ihn von der Sehne ließ. Uralte Zauberei.
„Aber die Schwesternschaft wartet nicht, weiß sie das, die alte Ziege? Da gibt es noch mehr Häuser und noch mehr Mädchen in diesem Land, und die Flammen haben erst Appetit bekommen.“
Zethys summte. Eines ihrer Lieder, das sie vergessen ließ, was geschah, in der Welt um sie herum.
Seufzend senkte Jilis den Kopf. Eine wirre Frau hatte sie ins Lager gebracht. Nicht die großartige Kämpferin, von der die Legenden sprachen. Zethys, Dämonenjägerin... Sie hockte auf ihrer Pritsche und zitterte wie ein Kind.
Doch es war nicht ihre Schuld. Es war nicht ihre Schuld, dass sie eine alte Frau vorgefunden hatte. Und die Schuld der alten Frau war es auch nicht. Verfluchte Zeiten, in denen niemand die Schuld trug.
Die Zeltplane schwang auf, und die dunkle Robe Akaras wehte herein. In der Hand trug sie ein Fläschchen, das sie Jilis reichte.
„Kannst du die Salbe selbst auftragen?“
„Natürlich, ich bin noch in einem Stück.“
Jilis nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es neben sich auf die Pritsche.
„Das sehe ich wohl, aber mit deinem Arm, da dachte ich...“
Akaras Blick durchdrang sie. Der Arm, natürlich. Wollte sie nur helfen, oder ahnte sie etwas?
„Es wird schon gehen. Wenn ich Hilfe brauche, rufe ich. Geht lieber zu Zethys. Ihr... es tut mir Leid.“
„Was soll dir Leid tun?“
Akara legte Zethys einen Arm um die Schultern, und das Gesicht der Legende tauchte hinter dem Vorhang aus Haaren auf.
Ein Kloß steckte ihr in der Kehle und hielt die Worte auf, die sie sagen wollte. Sie schraubte das Gläschen auf und tauchte die Fingerspitzen in die Salbe.
„Akara, es ist... ich sollte eine... Legende zu Euch bringen.“
Hoffentlich verstand die Legende nicht, was sie hier sagte... sagen wollte.
„Keine leichte Aufgabe für eine Kriegerin mit nur einem Arm, ja. Aber jetzt schau, du hast uns Zethys zurückgebracht, und du trägst deinen Bogen stolz wie eine Jungfer nach der Initiation.“
Der Bogen, ja. Sie hätte ihn benutzen können, aber schließlich hing er doch vergebens auf ihrem Rücken – und vergebens saß diese alte Frau jetzt in einem anderen Haus als vorher, klagte aber noch auf die gleiche Weise. Die Augen der alten Frau stierten zu Jilis herüber. „Wie der Fuchs die Hühner holt. Sie hat mich bestohlen. Akara.“
Jilis runzelte die Stirn. Wollte sie Akara sagen, dass Jilis sie bestohlen hatte, oder... dass Akara sie bestohlen hatte?
Aber vielleicht wollte sie auch gar nichts sagen. Nur Worte hervorbringen, um die Gedanken zu unterdrücken.
Die Oberin tätschelte ihr den Rücken, und so nebeneinander glichen sie sich sehr. Die Runzeln, die das eingebrannte Auge auf ihrer Stirn verzerrten.
„Akara“, sagte Jilis, „ich habe es nicht geschafft, das seht Ihr. Sie wird uns nicht helfen können.“
Nicht mehr als die tapferen Narren, die am Dorfrand unrühmlich zu Grunde gegangen waren.
Jilis tupfte sich die weiße Paste auf Beine und Gesicht und verrieb sie.
„Du hast die Aufgabe erfüllt, für die du dich gemeldet hast“, beharrte Akara. Ihre Stimme senkte sich. „Zethys ist die Legende. Für jeden im Lager, der sie erblicken wird.“
Die Salbe kühlte ihre Verbrennungen wie ein sanfter Lufthauch. Aber was waren Verbrennungen gegen dieses Versagen? Dass Akara das nicht begriff.
„Niemandem wird das helfen.“
„Du bist jung, Jilis, und so gut du dich auf das Spiel mit Bogen und Klinge verstehst, so wenig verstehst du von den Menschen.“
„Ich verstehe genug, um zu sehen, was...“ Sie biss sich auf die Lippen. Sie konnten nicht von Zethys sprechen, als ob sie ein Objekt war – ein Tisch, ein Schrank, eine Pritsche, die zufällig im selben Raum stand.
Akara hockte sich vor Jilis hin. Etwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. „Ruh dich aus, Jilis. Du hast mehr getan, als jeder hätte erwarten können. Nur noch am Abend dein Bericht in der großen Runde der Jägerinnen, und dann, wirst du deine Ehre bekommen. Die ewige Ehre.“
Jilis hob die Hand vor den Mund. Die Ehre? Die höchste, für die allein sie all die Pfeile geschossen hatte und all die Zucht und Übung immer ertragen?
„Das habt Ihr vor?“, fragte sie. Ihre Gedanken kreisten wie ein Mahlstrom.
„Wenn es eine von den Jägerinnen verdient hat, das Zeichen des Auges auf ewig zu tragen, dann bist es du. Im Feindesland mit nur einem Arm: Niemand, der mir einfällt, hätte sich auf diese Prüfung überhaupt eingelassen.“
Langsam fand sie ihren Atem wieder. Nur Akara selbst, und jetzt auch Zethys, trugen im Lager das ewige Zeichen des Auges. Nicht einmal Kaschya. Und nun würde Jilis es auch tragen. Noch immer schwindelte ihr.
Sie lachte trocken.
„Ja“, murmelte sie.
Akara strich ihr von der Salbe auf ihren Arm, den sie nicht selbst einreiben konnte. Nicht hier, vor Ihr.
„Einen höheren Dienst als du wird uns in dieser Schlacht niemand mehr erweisen können.“
Jilis schloss die Augen und konzentrierte sich. Das war jenseits von allem, was sie hätte erwarten dürfen. Aber das war es nicht, das sie störte... Es pochte in ihrem Kopf. Nein, sie hätte sich freuen sollen. Zu Vega laufen und ihr davon erzählen. Aber etwas fesselte sie.
Sie nickte wieder zustimmend. Etwas fehlte. So, wie ihr der Arm gefehlt hatte.
„Heute Abend schon?“
„Bevor über den nächsten Plänen in Vergessenheit gerät, was du getan hast.“
War es dann überhaupt richtig, dass sie dafür das Brandzeichen erhielt? Wenn das Zeichen als Gedankenstütze dienen musste; wenn ohne es sie und ihre Taten wieder vergessen würden?
Verflucht, wie sehr sie sich mit Falke zusammen danach gesehnt hatte, das Auge tragen zu dürfen...
Sie erhob sich, stand auf Beinen wie aus weichem Wachs.
„Danke... Lasst mich bis dahin nach draußen. Eine Jägerin zu lange von den Wäldern fernzuhalten, ist nicht gut.“
Ein kleines Lächeln zwang sie sich auf die Lippen.
„Bevor du gehst: Den Nekromanten hast du nicht wieder mit dir gebracht. Haben sich die Dämonen seine Seele genommen?“
„Nein, er...“ Wo blieben ihr nur an diesem Tag die Worte? „Er ist in den Flammen verschwunden. Doch er lebt noch, das weiß ich.“
Nicht zuletzt, weil es ihr Arm noch genau so tat.
Akara schloss das Salbentöpfchen und kehrte an die Seite von Zethys zurück.
„Wenn du dir darin sicher bist... dann hat er sich wohl von uns abgekehrt. Schon seit seiner Ankunft habe ich das befürchtet. Sag mir nicht, dass du etwas anderes erwartet hast von einer Schlange aus dem Osten. Doch durch dich wissen wir zumindest von seinem Verrat, und wir kennen seine Zauberkünste, wenn er sie dann gegen uns nutzt.“
Jilis wollte einsetzen, schon beim ersten Satz. Aber die Worte blieben ihr ungesprochen in der Kehle stecken. Maro... was war er?
Mit einem Ruck stand sie auf und steuerte auf den Zelteingang zu.
„Wir sehen uns bei der Versammlung“, sagte sie und drehte sich nicht noch einmal um.
Draußen schlug ihr ein kühler Nachmittagswind entgegen und strich über ihre Haut. Die Jägerinnen im Lager spannten neue Sehnen in die Bögen, drechselten Pfeile und richteten die Strohpuppen zur Übung auf. Immer taten sie das. Auch am Tag, an dem sie erst zu Blutrabes Friedhof aufgebrochen war, hatten die Jägerinnen sich schon für eine Schlacht gerüstet. Obwohl sie nicht wussten, wann sie kommen würde. Vielleicht wussten sie es auch jetzt nicht. Das Leben im Lager lief getrieben von der Hoffnung, in die alten Mauern zurückkehren zu können. Wie immer.
Aber längst war nichts mehr wie immer.
Das Brandzeichen des verborgenen Auges dafür erhalten, eine Greisin für einen Schlachtplan herbeigeholt und einen Verräter bespitzelt zu haben... für dessen Verrat es keinen Beweis gab.
Ihre Eingeweide krümmten sich jetzt noch, wenn sie an den Stoß zurückdachte, den er ihr versetzt hatte. Mit ihrem eigenen Arm. Aber das konnte sie sich genau so wenig erklären wie alles andere.
Verdammte Zeiten.
Sie ging hinüber zu ihrem Zelt. Vega würde da sein, wie sie immer da war.
Sie lächelte, und diesmal fiel es nicht schwer.

Die Bäume flüsterten einander mit ihren Blättern zu. Zwischen den Stämmen schimmerte das Weiß der Mauern in der Ferne hindurch. Ihre Heimstatt war so nah – und so fern.
Vega lag ausgestreckt auf einem flachen Stein neben einem Quell, die letzten Sonnenstrahlen tanzten auf ihrem Körper.
„Falke und du, ihr habt immer nur davon gesprochen, irgendwann das Auge zu tragen. Du hast doch gewonnen, Jilis. Schau etwas fröhlicher.“
„Gewonnen? Fühlt sich nicht so an.“ Jilis schüttelte ihr nasses Haar, und die Tropfen spritzten bis zu den Büschen, in denen ihre Kleider hingen. Sie wrang sich das Wasser aus den Spitzen und zeigte in Richtung des Klosters. „Sie sitzt dort hinter diesen Mauern. Sie hat schon lange beschlossen, nicht mehr dem Titel der Hohen Jägerin nachzujagen.“
Vega drehte sich mit vor der Sonne zusammengekniffenen Augen zu ihr um.
„Akara hat früher einmal gesagt, dass es keinen Sieg gibt. Solange der Sieger ihn nicht akzeptiert.“
Jilis tippte mit den Fingern auf den Stein. Das Quellwasser hatte ihren Körper erfrischt, aber um ihren Geist krochen noch die selben dunklen Wolken wie zuvor.
„Du glaubst doch nicht ernsthaft an Akaras Worte.“
„Eigentlich nicht. Aber du hast es immer getan.“
Jilis setzte sich auf. Nur der vergiftete Arm hing an ihr herab.
„Also gut... Dann kann ich das wohl nicht akzeptieren, nein. Ich habe nicht gesiegt. Das ist kein verdammtes Spiel mehr. Den Sieg erkenne ich daran, dass vor mir ein Körper liegt, der in den Himmel starrt und dem die Glieder steif geworden sind.“
„Ach. Liegen da nicht bald genug Körper herum?“
Mit einem Tuch rieb Vega sich die Haare trocken und schlüpfte wieder in ihre Kleider.
Wahrscheinlich lagen genug Körper herum, ja.
„Wer sagt mir, dass es genug sind?“
An ihren Armen stellte sich eine Gänsehaut auf. Ein viel zu kühler Tag, um an der Quelle zu liegen. Aber nur hierhin hatte sie flüchten können.
Ein Schatten fiel über sie, dann erschien Vegas Gesicht über ihrem, mit einem strengeren Ausdruck als je zuvor.
„Ich, wenn es sein muss“, sagte sie nur, während sie sich einen Pferdeschwanz band.
„So einfach ist das?“
Jilis rückte ein Stück auf dem Stein nach vorn und ließ die Füße in das plätschernde Wasser baumeln. Eiskalt umspülte es ihre Zehen.
„Ja, das ist es. Wenn du es willst. Und das solltest du.“
„Die anderen jagen weiter. Sie haben ihre Legende zurück, und Akara meint, dass ich diese alte, zitternde Frau unterschätze.“
„Dann lass sie jagen. Wenn du dein Auge endlich auf der Stirn hast, dann bist du ihnen so weit voraus, wie du es nur sein kannst! Sie können dich nicht mehr überbieten.“
„Überbieten...“, murmelte sie. Kein Spiel mehr, das hatte sie doch eben gesagt... Aber all die zerstörten Körper waren nur Teil dieses Spiels gewesen. Ohne das Spiel, was für eine Bedeutung hatten sie?
„Es ist eben doch wie bei einem Brettspiel. Du bist am Ziel, und die anderen werfen noch fleißig ihre Würfel und rücken dir nach. Du sitzt daneben und wartest, dass sie auch fertig werden.“ Vega faltete die Finger von Jilis vergifteter Hand auseinander und legte eine Brombeere hinein, dann noch eine. Ihre Stimme wurde leiser. „Jilis... Es ist nicht so, dass du das Spiel noch weiterspielen könntest. Selbst, wenn du wolltest.“
Jilis starrte in das Wasser, auf der Suche nach einem Spiegelbild. Aber die Strömung zerriss jedes Bild. Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Es ist eine Sache des Willens?“
Sie schloss ihre Hand um die Beere und hob eine Faust in die Höhe. Der Saft troff wie schwarzes Blut zwischen ihren Fingern hervor und auf den Stein hinunter.
Vega rückte von ihr ab, Sorgenfurchen in der Stirn.
„Aber das geht nicht“, sagte sie leise.
„Nein, natürlich nicht. Kein Gramm Muskeln sitzt darin mehr. Aber wenn es eine Sache des Willens ist – dann ist das hier offenbar der Wille, das Spiel noch weiter zu spielen.“
„Was für eine Magie hast du dafür gebraucht?“
Der Kummer schnitt sich ihr ins Gesicht. Weswegen grämst du dich... Weil ich den Arm nicht verloren habe und noch weiter kämpfen kann?
„Ich bin keine Hexe. Akara ist noch immer allein mit ihrer Zauberkunst in unserem Lager.“ Aber es stimmte. Willen. Sie hätte den Nekromanten zu seinen Teufeln jagen können, statt seine Gabe anzunehmen. „Erinnerst du dich an Maro?“
Sie beugte sich nach vorn und wusch den Beerensaft im Wasser von ihrer Hand.
„Natürlich“, sagte Vega, und ihre Stimme fiel zu einem Flüstern zusammen, „er ist jetzt im Heer der dunklen Königin, geht das Gerücht im Lager.“
„Hätte er mir dann das hier gegeben?“ Sie hätte die Frage selbst nicht beantworten können. Hätte er?
„Das ist mir egal. Was wirst du damit jetzt tun? Du wirst deine Ehrung haben. Es ist sinnlos, Jilis! Du musst nicht mehr kämpfen.“
„Für die Jägerinnen“, sagte sie vorsichtig. „Für die kann ich kämpfen. Sie brauchen jeden Arm, der einen Bogen spannen kann.“
„Auch deinen, der von einem Nekromanten ver... verzaubert wurde?“
„Gerade den. Er ist so stark wie zwei Arme.“
„Und das wird alles sein, was sie dazu sagen werden? Er ist so stark wie zwei?
Jilis sprang von dem Stein hinunter. „Drei Höllen! Das werden wir sehen und hören, was sie dazu sagen werden!“
Sie zerrte ihre Kleider aus den Büschen und knöpfte sich ihr Hemd zu. Der Stoff klebte ihr an der Haut, und für eine Sekunde stand sie wieder in den Feuern, wo der Schweiß ihr die Kleider durchdrungen hatte.
Du wirst es sehen, Jilis. Weil ich nicht dabei sein werde, bei deinem Fest. Lass dich ehren und mit Blüten überschütten, und dann zeig ihnen deinen Arm und sag ihnen, wer ihn wieder lebendig gemacht hat!“
Den Kopf gesenkt, drückte Vega die zitternden Fäuste aneinander.
„Dann geh, im Namen der Teufel. Du bist nicht meine Mutter und nicht meine Schwester.“
„Fein“, sagte Vega, und ihre schmale Gestalt huschte hinter die Bäume. Ihre Schritte raschelten auf dem Laub und ein Mal noch glitzerten ihre Haare in der Sonne, die durch die Baumstämme drang. Dann verschluckten die Schatten sie.
Jilis schnürte sich ihre Stiefel und starrte zu dem durchbrochenen Halbrund der Sonne hin.
Natürlich würde sie es nicht tun, vor den versammelten Jägerinnen die Kraft zeigen, die sie erhalten hatte... Wieso sprudelten ihr zur falschen Zeit die falschen Worte aus dem Mund? Wie einfach war es damals gewesen, als die Dämonen nur in Sagen und Erzählungen gelebt hatten. Hätte es nicht einfacher werden müssen, dadurch, dass die Höllenkreaturen in die Wirklichkeit krochen? Hundert Bögen, die sich auf die Bestien richteten, wie von einer einzigen Kriegerin getragen... Aber es war nicht nur eine einzige Kriegerin, und es war nicht nur eine einzige Bestie.
Es waren nicht die Dämonen, die ihr Vega raubten. Etwas anderes. Als strömte ein Atem durch das Land, der Hirn und Herz verwirrte.
Der Einzige, der ohne Zaudern seinen Weg gegangen war, das war der verfluchte Nekromant. Und gerade ihn nannten alle nun einen Verräter.
Wenn die Sonne sich hinter den Horizont senkte, würde die Versammlung beginnen. Jilis band sich den Gürtel um und suchte ihren Weg zurück durch den dämmrigen Wald. Die feuchte Luft saugte sie in sich auf, auch das Rascheln der Blätter, und den Geruch von Moos.
Es war die letzte Ruhe, die sie für lange Zeit finden würde.

Als wollte sie den Dämonen spotten, wand sich die Flamme des Lagerfeuers von einem Hügel aus in den Nachthimmel. Ein Kreis aus unbehauenen, steinernen Stelen säumte den Versammlungsplatz. Immer wieder durchbrachen Mädchen den Rand des Steinkreises und trugen Scheite vom Waldrand her heran. Das Feuer würde lange brennen müssen, heute Nacht.
Jilis kam zusammen mit den letzten Nachzüglern den Hügel hinauf. Die ersten Reihen um das Feuer waren schon besetzt. Ein Halbkreis, der sich um das Feuer zog. Die Stimmen der Vielen füllten die Abendluft wie das Zirpen von Grillen.
Jilis hatte keine Decke mit sich gebracht, auf die sie sich im feuchten Gras setzen konnte, wie es Viele der Sitzenden getan hatten. Sie umrundete den Platz. Um einen Platz in der Nähe des Feuers zu finden. Aber ihre Blicke gingen auf die Suche nach einem blonden Haarschopf, der irgendwo zwischen den anderen sein konnte, allein.
Sie machte einen freien Platz an den Stelen aus, an denen schon einige Jägerinnen lehnten. Fernab von dem Feuer, vor das sich zwei Schatten mit wehenden Gewändern schoben. Akara, Zethys. Nur noch Kaschya fehlte.
Langsam dämmerte es Jilis, dass sie ebenso am Feuer dort stehen würde, die Augen aller ihrer Schwestern auf sich gerichtet. Was würde sie sagen? Was würde sie sagen müssen?
Längst hatten die Schwestern doch von ihr erfahren – von der Einarmigen, die durch Gräber und Flammen gegangen war, um eine Legende zu bewahren. Und um jetzt selbst zu einer zu werden. Sie wartete auf etwas. Ein wohliges Kribbeln, das sie durchlaufen sollte. Ein Signal ihres Körpers, das ihr sagte, dass sie am Ziel war. Am Ziel, so hatte Vega es gesagt. Vielleicht würde das Kribbeln kommen, wenn sie das Auge erst trug. Wenn die Blicke kamen, voll Neid, voll Anerkennung...
Sie lehnte sich gegen die Stele, die Gedanken noch in der Ferne.
„Jilis?“, fragte die Schwester, die neben ihr an der Stele lehnte.
Sie brummte eine Zustimmung. „Was ist?“
Kaschyas Kettenhemd schimmerte auf ihrer Brust wie immer. Das Zeichen dafür, dass sie den Kampf stets erwartete, und ihn auch willkommen heißen konnte.
Jilis richtete sich auf und nahm Haltung an. „Hauptmann, Ihr verzeiht...“
„Sofort auf den Boden, Anfänger. Es werden nur zwanzig Liegestütze. Oder sagen wir, dreißig, weil ich in der Dunkelheit nicht sehen kann, ob du wirklich mit der Nasenspitze den Erdboden berührst.“ Mit geöffnetem Mund stand Jilis da. Dann lachte Kaschya laut auf, dass sich einige Jüngere in den Reihen vor ihr umdrehten. „Lass die Anrede, Jilis. Wir brauchen keine Höflichkeitsformen mehr. Mich reden die Schwestern mit einem schönen Titel an. Du dagegen bekommst heute ein Zeichen, dem sie auch Tribut zollen werden, wenn sie keine Worte mit dir wechseln.“
„Ich... ich verstehe.“
„Gut. Dann mach jetzt aus Ihr, Hauptmann ein Du, Kaschya.“
Jilis räusperte sich und entspannte sich wieder. Wieso musste alles so plötzlich geschehen?
„Verzeih, ähm... Kaschya. Lass uns nachher reden.“
„Ja, du wirst wohl noch genug erzählen müssen an diesem Abend. Ich werde mir kein Wort von deiner Geschichte entgehen lassen.“
Soweit es ging, wich Jilis dem Blick Kaschyas aus. Mit sich selbst hatte sie doch schon genug... Weshalb dieses Tohuwabohu um ein Lagerfeuer in der Herbstkälte?
Von der Sonne blieb nur noch ein Saum über den Bergeskronen, und das Gemurmel unter den Schwestern sank in sich zusammen. Vor den Flammen zeichnete sich Akaras Gestalt ab, und sie hob ihre Arme.
„Kaschya?“, fragte Jilis. „Du bist nicht dort vorn bei Akara?“
Die Glieder des Kettenhemdes klirrten, als Kaschya die Schultern senkte.
„Ah, ich weiß nicht... Es gibt eine Zeit für Hauptmänner, und dann kommt irgendwann wieder eine Zeit für Legenden.“ In diesem Moment schob sich auch Zethys vor das Feuer. Es gab nur eine im Lager, die so gebeugt ging, und der man bei jedem Schritt anmerkte, dass sie hoffte, es sei ihr letzter. „Rate, welche Zeit es jetzt ist. Wir kämpfen gegen Feinde mit Flügeln und Wunderkräften, gegen die Formation und Schlachtreihe keine Strategie, sondern Mittel zu ihrer Unterhaltung sind.“
„Wovon sprichst du?“
Sie wusste es, wusste es nur zu gut. Aber vielleicht nützte es etwas, es aus einem anderen Mund zu hören, da doch ihr eigener schon nicht die Worte fand.
Kaschya straffte sich wieder und schloss kurz die Augen.
„Ich weiß nicht. Sagte ich doch schon.“
Wieder schwiegen sie, und mit ihnen die Reihen vor ihnen. Akara und Zethys schmolzen vor den Flammen zusammen zu einem einzigen Umriss.
„Es ist diese eine der letzten Nächte, in der wir so zusammenkommen können, Schwestern“, sagte Akara. Ihre Stimme hallte, als stünde sie zwischen den Wänden einer gewaltigen Halle. Und es begann.
Mehr als eine Rede war es die Geschichte, die damals in der letzten Nacht des Klosters ihren Anfang genommen hatte. Akara malte die Erzählung mit Bildern, die den jungen Frauen Tränen über die Wangen schickte. Sie malte so farbenfroh, dass die Nacht verschwand... um die Schrecken erneut zu beschwören, die sie durchlitten hatten. Auch in Jilis' Geist flammten die Bilder auf, aber sie schüttelte sie unwillig fort. Wenn es Akaras Zauberkräfte waren, die die Bilder woben, dann verschloss sie ihren Geist wohl unbewusst davor. Wenn es nur einfacher Pathos war - in dieser Nacht war sie für diesen ohnehin unangreifbar.
Kaschya, die in der Kathedrale damals eine flammende Rede gehalten hatte, stand neben ihr. Mit verschränkten Armen und einem leeren Blick, als stünde sie nur dort, um nicht durch ihre Abwesenheit aufzufallen.
Der Nachthimmel mit seinen Sternen spannte sich schon über der Versammlung, als Akara zum Ende kam. Das Leid der Schwesternschaft des verborgenen Auges würde enden.
„Durch die Tat einer einzigen von uns, die in Mut und Selbstaufgabe uns alle übertrifft.“
Ein Raunen lief durch die Menge, und Jilis Herz schlug um zwei Takte schneller. Wieso ausgerechnet ich?, fragte sie sich plötzlich. War das nicht eine andere gewesen, die sich vor den Flammen von Karmhang eine letzte Chance von einem Sohn der Hölle hatte geben lassen – eine Chance, ihr Leben für die Schwesternschaft herzugeben?
Vor ihr tat sich eine Gasse auf, die Sitzenden rückten beiseite, um ihr einen Gang zu öffnen.
„...die uns die Legende der Dämonenschlächterin wiedergebracht hat.“
Die Decken ihrer Schwestern waren der Teppich, der sie zum Thron führte, um den Ritterschlag zu erhalten. Unsinn, dachte sie. Grotesker Unsinn.
Akara zog die Kapuze von Zethys Gesicht, und das Antlitz der Uralten erschien. Hätte nicht jemand lachen können? Sagen können: Das ist eine alte Frau, was tut sie hier? Soll sie uns die Legende erzählen? Dann spute dich, Mütterchen!
Aber aus der Masse hoben sich Arme, als wollten sie zu den Sternen greifen, und Stimmen riefen: „Zethys!“
„Es ist Zethys!“
„Wirklich und vor der Herrin!“
„Ein Ende mit dem Leid!“
Hände klatschten ineinander, Jubelrufe erhoben sich. Waren sie alle Puppen? Geschreinert von Akaras alten Händen?
Jilis erreichte die erste Reihe und trat hinein in den leeren Platz in der Mitte. Akara streckte die Arme aus, als wollte sie sie umarmen.
„Und dafür gilt unser Dank Jilis, die heute als erste ihren Teil an der Legende haben wird.“
In Zethys' Gesicht flackerten die Augen wie die eines gehetzten Tiers. Sicher verstand sie nicht einmal zur Hälfte, was geschah. Aber die einzige, die alles verstand, war ohnehin Akara.
Das Feuer stieß Funken in die Nacht, und eine Welle von Wärme strich über Jilis Haut. In den Flammen lag das Ende des Werkzeugs, das den Namen einer Jägerin ewig machen konnte. Ein Eisenstab, an dessen abgeflachter Spitze ein filigranes Muster das Auge formte.
Akara fasste sie an den Schultern und drehte sie der Menge zu.
„Die Taten von einer – das Schicksal von uns allen.“
Eine Weile lang hörte sie nicht zu, und sie wusste danach nicht, ob Akara wirklich etwas von Bedeutung gesagt hatte. Durch die Miene der alten Kriegerin neben ihr zogen sich die Furchen jetzt noch tiefer. Waren sie beide sich nicht schrecklich ähnlich? Standen vor dem Feuer und ließen sich bescheinen, als wäre daran ein Glanz der Götter – und sie hätten ihn verdient. Wenn es nach Akaras Worten ging, dann hatten sie es verdient.
„Deshalb erzähl uns nun, wie es dir ergangen ist“, bat Akara.
Hunderte von Augenpaaren waren ihr gegenüber. Jilis schluckte. Geriet sie jetzt auch unter Akaras Bann? Ihre Gedanken kreisten, suchten nach einem Anfang, sprangen hinweg über das Gesicht des Nekromanten, und dann stand sie wieder unter den tapferen Dummköpfen, die den brennenden Stadtrand von Karmhang verteidigten, um dort ihren Tod zu finden.
Die Worte kamen zu ihr und legten sich auf ihre Zunge, dann entwischten sie wieder. Wahrscheinlich stotterte sie und verhaspelte sich, aber dann merkte sie es nicht. Und ohnehin war es egal. Sie sah sich wie von außerhalb ihres Körpers, wie sie dort die abgehackten Sätze herauswürgte, die über die Menge hinwegstrichen. Am Ende hatte sie von dem Dämon gestammelt, und von den Tiergesichtigen. Nur der Nekromant war mit keinem Wort aufgetaucht.
Die Augen starrten zu ihr. Sie hätte irgendetwas erzählen können. Davon, wie man einem Kitz das Fell abzog, oder, wie man einen Frosch würzen musste, damit man sich von dem Geschmack nicht übergab.
Alles hätten ihre Schwestern sich angehört. Ja, und alles würden sie sich von Zethys anhören.
Und doch war es ihr, als wäre mit den Worten zusammen ihre ganze Kraft aus ihr geflossen. Als hätte man sie leergetrunken wie einen Wasserschlauch.
Irgendwann sprach Akara wieder, und ein warmes Gefühl goss sich in sie hinein. Es füllte sie wie ein leeres Gefäß und trieb ihre Gedanken fort.
„Dafür erhält sie nun ihren Lohn“, sagte Akara.
Die Wärme um sie wich für einen kurzen Herzschlag, und als sie wiederkehrte, war sie schal und widerlich, als flößte ihr jemand dicken Brei ein. Magie. Die Zeit erstarrte, als die Erkenntnis in ihr aufzuckte. Akaras Magie schuf keine Feuerräder am Himmel, und rief keine Gebeine zum Tanz auf die Erde zurück. Ihre Stimme ganz allein war die Magie.
Plötzlich sah sie klar. Die Nacht, die Sterne, jede einzelne ihrer Schwestern vor sich. Ihr Körper war starr, wie mit eisernen Ketten festgeschmiedet.
Akara hob den Eisenstab, an dessen Spitze das Siegel des verborgenen Auges weiß glühte. Das erste Mal an diesem Abend sprach sie so leise, dass nur Jilis sie hören konnte. „Ich danke dir. Das hier ist das größte Geschenk, das ich dir geben kann.“ Das weißglühende Siegel kam auf sie zu, strahlte Hitze auf ihre Arme und Beine.
Nein, Akara spielte kein Spiel für all die Zuschauer. Das größte Geschenk. Dieses Mal meinte sie es ehrlich. Sie nutzte ihre Magie nicht, um den Schwestern zu schaden. Es brauchte keine Legende, die noch Messer und Bogen führen konnte, um den Kriegerinnen den Glauben wiederzugeben. Legende, ein gehauchtes Wort genügte. Deshalb stand Zethys hier, und deshalb stand sie hier.
Um so schwerer war es, dass sie gegen die Ketten ankämpfen musste, die sich um sie legten. Sie konnte den Weg nicht gehen, den ihr das Glühen des Siegels wies.
Die Kraft brandete hoch in ihr und bäumte sich auf gegen die Starre, die ihren Leib einschloss.
„Wenn du lächelst, hat deine Stirn keine Falten, und der Abdruck wird glatt und ebenmäßig sein.“
So nah war der glühende Stab, dass ihre Augen vor Helligkeit tränten. Sie roch das Eisen.
Ihre Kraft genügte nicht. Sie kämpfte an gegen eine Wand aus festen Ziegeln. Nicht einmal den kleinen Finger konnte sie rühren. Nur eines blieb noch. Maro, dachte sie, schickte den Gedanken aus wie eine Brieftaube.
Der Wind trieb ihr ein Haar gegen das heiße Eisen, und kurz leuchtete es auf, dann kräuselte es sich und zerfiel unter der Hitze.
Keine Stimme auf dem ganzen Hügel. Keine Bewegung, außer der von Akara, die den letzten Schritt auf sie zu tat. Das glühende Metall stand vor ihrem Gesicht wie eine Sonne, hell und schmerzend. Dann kam ihr Arm frei, durchbrach die Erstarrung. Sie packte die Eisenstange in der Mitte, dicht neben Akaras Hand, und riss sie los. Die Alte ächzte, stolperte auf sie zu wie einer der Untoten, und Jilis hieb ihr die andere Seite des Metalls in die Magengrube. Sie ließ die Waffe fallen, das Eisen zischte bei der Berührung mit dem hohen Gras des Hügels. Die Betäubung aus ihren Gliedern schwand. Doch sie stand noch Sekunden lang regungslos da.
„Nein, Jilis, nein, nein“, hauchte Akara, die sich unter Schmerzen wand, und in diesem Moment war sie so schwach wie Zethys. Die legendäre Jägerin stand neben ihr und überragte sie.
Keine von den beiden würde ihr auf ihrem Weg noch helfen können, und keine von den hundert versammelten Jägerinnen.
Die ersten erstaunten Rufe wurden laut, und Jilis lief rückwärts, fort von dem Feuer.
Sie musste verschwunden sein, bevor die Schwestern begriffen, was geschehen war: Sie hatte ihren Arm noch, und entgegen allen Gesetzen der Natur ließ er sich bewegen.
Hände packten sie an den Schultern, und sie schmetterte ihren Ellbogen gegen einen Kiefer. Eine Gestalt in der Dunkelheit jaulte auf und torkelte davon. Jilis lief. Den Hügel hinab, und hinein in den Dunkelwald. Das Gras kitzelte sie an den Beinen, dann ritzten Ästchen an ihren Wangen vorüber, und nasser Waldboden stöhnte unter ihren Schritten auf. Das Feuer der Versammlung brannte wie eine winzige Laterne. Weit, weit entfernt.
Sie lauschte auf Schritte. Nur Vogelrufe drangen aus den Ästen zu ihr.
Dann schöpfte sie Atem und ging wieder ein normales Tempo.
Ihrer aller Anführerin hatte sie niedergeschlagen. Gut, dachte sie. Das war ein Anfang. Hätte er es gekonnt, dann hätte der Nekromant es auch getan. Und letztlich war es doch seine Kraft gewesen, mit der sie sich befreit hatte.
In diesem Krieg war er der Einzige, der seinen Kopf behalten hatte. Wenn die anderen ihn einen Verräter schimpften - wohlan, dann passte diese Bezeichnung auf sie selbst nicht weniger. Was war noch übrig von der Schwesternschaft... Von dem Willen der Herrin des verborgenen Auges? Eine alte Frau, die ihren eigenen Willen zu dem des Ordens machte. Eine alte Frau, die nicht den Fragen nachging, die die Ankunft der Dämonen aufgeworfen hatte. Wie sie sich sogar mühte, die Antworten zu ersticken. Stumm für alle Zeiten, so wäre ihr der Nekromant am liebsten gewesen. In einer bodenlosen Hölle, in die er seine Wahrheiten mitnahm.
Vielleicht war das zuviel, vielleicht kannte auch er keine Wahrheit. Vielleicht war er falsch, vielleicht ein Narr. Aber er war nicht der Feind, zu dem Akara ihn gemacht hatte.
Und in den Mauern des Klosters würde sie ihn finden. Wenn die dunkle Königin ihre Ketten um ihn gelegt hatte, dann würde sie sie zersprengen. So, wie er ihr geholfen hatte, ihre zu brechen.
Fast stolperte sie über die kleine Quelle, an der sie mit Vega immer saß. Ihre Beine mussten sie instinktiv geführt haben.
Ruhiger floss das Wasser jetzt dahin. Ihr Atem rasselte noch, als sie sich an den Rand des Felsens setzte und darüberbeugte. Das Mondlicht schüttete genug Licht über das Flüsschen, um darin Jilis ihr Spiegelbild zu zeigen. Eine Irre starrte sie an. Und den Nekromanten hatte sie wahnsinnig genannt... Das war er auch, doch kein Verräter. Nein, da gab es etwas anderes.
Sie starrte ins Wasser, bis der Mond hoch stand.
Mit einer Hand schöpfte sie Wasser und ließ es durch die Finger rinnen. Die nächste Handvoll schüttete sie sich auf die Stirn und rieb. Das Auge saß noch da. Bedeutungslose Striche, gezogen mit der Farbe von Beerensaft. Sie rieb über die Haut, bis sie wund war und es weh tat, die Stirn in Runzeln zu ziehen. Seufzend setzte sie sich auf.
„Nur mit Blut kannst du es abwaschen“, sagte eine Stimme. Ein Messerklinge funkelte im Mondlicht, und jemand packte ihr Handgelenk. Etwas Warmes tropfte ihr in den Handteller. Sie fuhr herum, und Vegas Pferdeschwanz kitzelte sie an der Nase.
Aus einem Schnitt an ihrem Arm rann das Blut und fiel in Jilis Hand.
„Du...? Woher hast du es gewusst?“
„Dass du hier bist? Ich habe dich rennen sehen, alle haben das.“
„Alle, die bei der Versammlung gewesen sind, jedenfalls.“
„Genau.“
Jilis lächelte.
Vega war doch dort gewesen.
Sie verrieb das Blut auf ihren Fingern und wischte sich über die Stirn, dann wusch sie sich die Hände.
„Ist es weg?“
„Ich kann es nicht sehen, unter dem Blut.“
Vega wand sich eine Mullbinde um den Arm und tauchte ihre Finger ins Wasser, um Jilis damit über die Stirn zu wischen.
„Danke“, murmelte Jilis.
„Im Blut muss etwas sein, dass diesen Saft aufsaugt.“
„Also ist es...“
„...weg. Du hast nur noch zwei Augen.“
Vegas Arme schlangen sich um ihre Brust. Jilis atmete flach unter der Berührung. Sie würde alles zurücklassen, auch ihre letzte Freundin.
„Ich dachte schon, ein Monster wäre aus mir geworden.“
„Du bist ein Monster. Du kannst nicht leben, ohne zu töten. Aber dann ist es eben so. Ich bleibe bei dir, Monster. Und wenn du wieder gehst, dann warte ich.“
Sie strich der Jüngeren über die Haare. Die Wärme, die sie fühlte. Vielleicht würde sie nie wieder einen anderen Körper an sich spüren, außer den eines Gerichteten, der im Todeskampf gegen sie sank.
„Ich wäre längst nur noch ein Haufen Knochen ohne dich...“
Vega hob einen Hanfsack vom Waldboden und wuchtete ihn auf den Stein. Darin klirrte Metall.
„Nimm dir, was du brauchst. Damit du nicht doch noch zu einem Haufen Knochen wirst.“
Klingenspitzen und Axtschneiden funkelten ihr entgegen, als seien sie die verbotenen Schätze eines dunklen Königs.
Heller und näher als das Versammlungsfeuer brannten nun die Fackeln auf den Zinnen des Klosters. Danke, dass Ihr mir den Weg weist, ihr Narren.
Irgendwo dahinter steckte Maro, der Teufelskerl. Und ob er wartete, oder nicht - es machte keinen Unterschied.
Jilis stand auf und legte Vega einen Arm um die Taille.
„Ich sehe nach, was ich brauchen kann.“
„Du musst auch nicht verhungern. Ich habe Eisbeerenkuchen und etwas Brot und Käse für dich eingepackt.“
„Da, wo ich hingehe, wird das Verhungern die geringste Gefahr sein. Aber... hab Dank.“
Noch einmal schloss sie Vega in die Arme, dann wandte sie sich den Waffen zu.
 
Zuletzt bearbeitet:
ich kam mir gestern nen ganz kleines bisschen so vor wie jilis als ich gestern vorm ganzen betrieb verabschiedet wurde udn auch noch total dreist offen udn laut bezweifelt hab das ich vermisst werde :D (war für den chef auch fast sowas wie nen schlag inner magengrube da er das mal garnich erwartet hat :D)

aber geile kaps beisher (hatte in letzter zeit viele inetprobleme deswegen konnt ich nit immer lesen...:()
 
Ich versteh nicht, warum Jilis wegläuft. Klar dass das ne ziemlich komische Situation für sie ist, aber bei ihrer Reaktion hab ich gedacht ich hab irgendwas verpasst.


Nur noch Kaschya fehlte - und der Punkt am Satzende ;)

dann kräuselte es sich und zerfiel es unter der Hitze - ein "es" zuviel

Sie packte die Eisenstange in der Mitte, dicht neben Akaras Hand, und riss ihn los - "ihn" passt nicht
 
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