• Herzlich Willkommen!

    Nach der Schließung von inDiablo.de wurden die Inhalte und eure Accounts in dieses Forum konvertiert. Ihr könnt euch hier mit eurem alten Account weiterhin einloggen, müsst euch dafür allerdings über die "Passwort vergessen" Funktion ein neues Passwort setzen lassen.

    Solltet ihr keinen Zugriff mehr auf die mit eurem Account verknüpfte Emailadresse haben, so könnt ihr euch unter Angabe eures Accountnamens, eurer alten Emailadresse sowie eurer gewünschten neuen Emailadresse an einen Administrator wenden.

[Story] Saqqara

Mach dir nix draus^^
<- Regelmäßiger Schweiz-besucher:D
Aber wo haste den Dialekt den gelernt? haste da einen Buchtipp für mich?^^

mfg
Lordamul
 
wi me i de schwiiz so schön säit: schriibe wie äime d'schnöre gwachse esch.

Für diejenigen, welche des Schweizerdeutschen nicht mächtig sind: Schreiben wie einem das Maul gewachsen ist. :D

PS: Das kann man in keinem Buch lernen, daher schreibt auch jeder Schweizer auf eine andere Art. Da es ganz einfach keine Schweizerdeutsche Rechtschreibung, geschweige denn Gramatik gibt.

mfg holy


Hab hier gerade noch ne schöne Vorlage für das Berndeutsche gefunden. Natürlich blos, weil du so lieb gefragt hast. Totemügerli Viel Spass beim lesen :angel:
 
*Laut Schrei* Du Hasts Gehört Reeba. WIr wollen mehr Intertextualiblb und Ambigguasisa und weitere fortgeschrittene literarische Stärken!!!!



P.s. Was isn das?? Intertextualität und Ambiguität

sry bin nur ein kleiner Gymnasler außer 10.ten die sind eh alle so blöd :D
 
Ich denke, Palpatine meint zwei Qualitätsmerkmale großer literarischer Werke: Erstens die Mehrdeutigkeit eines Textes, also ob man ihn auf mehr als eine Weise lesen und auslegen kann, und zweitens gewisse Anleihen an - oder Querverweise auf - bereits bestehende und sehr bekannte Literatur.
Also, 'Ambiguität' musste ich auch nachschlagen :D
Und ich habe mir beim Schreiben von Saqqara nie ernsthafte Gedanken über solche Qualitäten gemacht. Es ist einfach nur eine Geschichte.

@Palpatine: Ich lass mir dein Angebot mal durch den Kopf gehen.
@LpUnderground: :lol: Göttlich, gleich mal in die Sig gepackt.
@lordamul und the_holyman: Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, wenn ich euch darum ersuche, den Austausch über Dialekte und anderes per PM fortzuführen.

Grüße an alle, und danke für eure Geduld.
 
Das Ganze wäre nicht so schwer zu ertragen, wenn bald ein neues up kommt;(
haste da nen Tipp wanns mit der Story weitergeht?

Ich will :read: :read: :read:
 
lordamul schrieb:
Das Ganze wäre nicht so schwer zu ertragen, wenn bald ein neues up kommt;(
haste da nen Tipp wanns mit der Story weitergeht?

Ich will :read: :read: :read:

Merke: niemals eine vollbeschäftigte Autorin festnageln...wenn sie das nicht von selbst tut, wird das niemand tun :D
 
@Reeba: Wie könnte ich dir böse sein, da wir dir ja diese grossartige Geschichte zu verdanken haben :D Ist klar, ist mir einfach ein bisschen aus dem Ruder gelaufen.
Freu mich auf jedenfall auf einen weiteren Teil, auch wenn ich dafür noch ein halbes Jahre warten muss.

mfg holy
 
Tja, ich muss gestehn dass meine vorherige Antwort net ganz gelungen war:rolleyes: .

Tschuldigung deswegen @ reeba.
Das war eher so gemeint von wegen: Die Story hat Suchtfaktor ;D
 
So, es geht weiter.
Mit nochmals einem dicken 'Entschuldigung' für die Verzögerung wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen. Danke, dass ihr so geduldig gewartet habt.
Gruß, Reeba



********




LIX. Saqqara






Der Mann näherte sich ihrem Lager, als es dämmerte.
Er war in ein reinweißes Gewand mit blauer Schärpe gekleidet. Den blauen Turban hielt eine goldene Brosche zusammen, und an der Hüfte trug er einen Dolch, kaum groß genug, um damit Briefe zu öffnen. Mehr noch als seine makellose Kleidung wiesen ihn vier Palastwachen als Beauftragten der neuen Stadtobrigkeit aus, breitschultrige, grimmig dreinblickende Kerle mit langen Lanzen.
Vor Herlac aber verlor ihre Körpergröße schnell alles Bedrohliche. Der Fünfertrupp hatte wenige Schritte vom Feuer entfernt angehalten, und der Barbarenführer, zur Stunde selbst wiederum Gast am Lager der Gefährten, trat ihm als Erster entgegen.
„Siehe da, eine Gesandtschaft“, brummte er und verschränkte die Arme vor der gewölbten Brust. „Nicht eben unerwartet, aber eilig hatte es Lut Gholein wohl nicht?“
„Was wünscht der Palast?“ Ifrah, aufgestanden wie alle Anderen, trat rasch zwischen den Barbaren und den Gesandten.
Herlacs Ungehaltenheit war verständlich. Seit Ende der Schlacht war niemand zu den Fremden gekommen – niemand von Rang, nur einfaches Volk mit schütteren Dankesworten und scheuen Hilfsangeboten. Die Barbaren, die an die offenen Aussprachen ihrer Clans gewohnt waren, musste das Schweigen der Stadt verdrießen, oder sogar, bedachte man die Toten auf ihrer Seite, beleidigen.
Die Magierin war seit Tagen nahe daran, sich für Lut Gholein zu schämen. Doch war man hier, und das hatte sie Herlac behutsam zu bedenken gegeben, in keiner einfachen Lage. Verwirrt, schwer gebeutelt und geschwächt von ihren Herzen bis hin zu ihren sandigen Grundfesten, in Angst vor neuerlicher Bedrohung, hielt die Stadt sich nur mit Mühe aufrecht. Den Hilfstruppen aus anderen Weltgegenden noch nicht angemessen gedankt zu haben, musste somit nicht unbedingt Hochmut oder Misstrauen entspringen.
Ifrah konnte beiden Seiten nachfühlen.
Der Palastbeauftragte, der mit gerunzelter Stirn zu Herlac empor gesehen hatte, wandte sich nun ihr zu. „Magierin, unser neuer Fürst und seine Berater wünschen, dich und deine Gefährten zu sprechen.“ Er straffte sich ein wenig, die Hand würdevoll am Griff seiner Zierwaffe. „Der Palast hat keineswegs vergessen, welche Dienste ihr in Schlacht und Schrecken geleistet habt, und Ehre und Lob sollen euch zuteil werden. Doch wird dies in unseren schönen Hallen, die Dank Badr und Junah noch stehen, auch eine Beratung sein.“
Hadan und die Anderen waren herangekommen.
Die Augen des Gesandten gingen flüchtig zu ihnen.
„Vor allem dich, Hexer, wünschen die Stadträte zu sprechen“, sagte er mit einer knappen Verbeugung, die deutlich von Vorsicht sprach.
„So werde ich folgen“, gab Hadan höflich zurück. „Gestattet mit indes eine Frage, hoher Gesandter: Da Ihr Stadträte ebenso erwähnt habt wie Euren Fürsten – wem davon werden und müssen wir, die wir doch fremd her sind, vorrangig unsere Aufwartung machen?“
Ifrah verkniff sich ein Schmunzeln.
Der Gesandte sah verwirrt und ein wenig verärgert aus – beides darüber, den offensichtlichen Bruch in der Jahrhunderte alten Hoheit des Fürstenhauses nicht geschickter vor Außenstehenden verborgen zu haben. Hadan hatte den Finger auf die wunde Stelle gelegt, und Ifrah war froh, dass es sie erheiterte anstatt sie zu bekümmern. Zumindest in dieser Stunde.
Die Brüche in unserer Welt, die Schwächen und Versäumnisse, sind so wenig ein Geheimnis. Selbst die Ärmsten und Rechtlosesten wissen davon und erspüren sie.
Wenn wir nur lernen wollten, sie auszusprechen. Wenn die Mächtigen es uns nur gestatten wollten.
Vielleicht würden wir dann noch leidenschaftlicher kämpfen – auch für die Obrigkeiten, die voller Fehler stecken.

„Der junge Fürst“, sagte der Gesandte nun, „wird der Beratung beiwohnen. Doch er ist... noch sehr gering an Jahren, Junah schütze ihn. So wird es unseres verstorbenen Fürsten Jerhyns Berater sein, Mulham, der die Rede führt.“
„Erwartet der Fürst uns sofort?“, fragte Ifrah.
Der blaue Turban nickte gewichtig. Bei genauerem Hinsehen fiel der Magierin auf, dass der Mann trotz seines würdevollen Gebarens und seiner Aufmachung zerfahren und müde aussah. Die Beratungen um das Los Lut Gholeins mochten mit dem Ende der ersten Schlacht eingesetzt haben und seitdem ohne Unterbrechung andauern.
Der Beauftragte machte eine Geste, die alle Gefährten einschloss.
Marej, Maysan neben sich, tauschte einen fragenden Blick mit Ifrah. Auch wir?
Ifrah hob die Schultern, dann nickte sie. „Du bist Vertreterin deines Volkes“, sagte sie zu der Druidin. „Was wir im Palast hören, kann von großer Bedeutung sein, und was jeder von uns zu sagen hat, vielleicht ebenso. Kleiner Stern“, sie schaute lächelnd auf ihre Tochter, „möchtest du auch mitkommen?“
Maysan hatte den Palast nie von innen sehen dürfen, so vertraut ihr die Wüstenstadt aus früheren Reisen auch war. Sie antwortete mit einem Nicken. Es war schwer zu sagen, ob Scheu oder kindliche Neugierde auf ihren Zügen überwog.
Vom Palastbeauftragten kam keine Ablehnung. Er hatte vermutlich Anweisung, all jene einzuladen, die sich als Vertreter ihrer Klassen oder Truppen zu erkennen gaben.
Nun musterte er Menrad. Der Paladin verstand den prüfenden Blick. Steif sagte er: „Wiewohl es eine große Ehre ist, abermals in den Palast vorgelassen zu werden, kann ich schlecht allein für die Westmarsch sprechen. Ein Kommandant der fadraîschen Schar sollte zugegen sein.“
„Gewiss.“ Der Beauftragte hatte sich nicht gerührt. „So holt denn einen solchen herbei, Paladin, wenn es beliebt.“
Wir werden eine große Gruppe sein. Ifrah schaute Menrad hinterher, der nach einem Zögern in Richtung der Gassen davoneilte, in denen der Hauptteil der Westmarschtruppen lagerte. Eine sonderbare Gruppe auch. Nicht viel anders wird es vor anderthalb Jahren gewesen sein, da Hadan und die alten Gefährten auf der Suche nach den Erzübeln erstmals in Lut Gholein vorsprachen.
Sie stand nun, Maysan an der Hand, zwischen dem Nekromanten, Eya, Marej und Herlac. Der Barbarenführer hatte kurz und rau einen Befehl über den überfüllten Marktplatz gebellt, und zwei weitere Barbaren waren aufgetaucht – Anführer jener Clans gewiss, die sich vor Monaten zu einem einzigen Zug gen Süden zusammengetan hatten.
Das Volk ringsum bedachte die Menschenansammlung mit vorsichtigen, misstrauischen oder neugierigen Blicken. Spätestens jetzt, ging der Magierin auf, musste sich das Auge Lut Gholeins ein für allemal auf die Fremden richten, die unter seltsamen Vorzeichen hier eingetroffen waren. Ob man den Gefährten, die nun durch die Gesellschaft eines Palastgesandten geadelt waren, hernach ruhiger begegnen würde, war unmöglich vorherzusagen.
Menrad kehrte zurück, begleitet von zwei Paladinen. Ifrah erinnerte sich nicht an diese Gesichter. Dazu war keine Zeit.
„Nun“, blickte der Palastgesandte in die Runde, die jetzt sieben Männer, drei Frauen und ein Kind zählte, „gehen wir also. Der Fürst erwartet uns.“
Auf dem kurzen Weg zum Palast bemühte Ifrah sich, alle Aufmerksamkeit auf den Zustand der Stadt zu richten.
Das ungewisse Warten, die Hoffnung auf Schonung, war ebenso spürbar wie die Zerrüttung durch die neue Zeit. Allerorts sah man Menschen arbeiten, als gelte es, den hundert Fragen die einzige Antwort, die sie wussten, entgegenzusetzen. Überleben.
Verhüllte Frauen trugen Wasser, bahnten sich mit leisen Stimmen einen Weg durch die Menge. Soldaten standen umher, Pfeiler einer Ordnung, die dem Chaos des Krieges beizukommen versucht. Männer, die dem letzten Ansturm entronnen waren – unter ihnen viele Greise und Jünglinge mit kaum mehr als einem Flaum auf den Wangen – werkelten an Häusern, die noch zu retten waren, oder bildeten bewaffnete Grüppchen.
Und da, eben als der Vorplatz des gewaltigen Palastes erreicht war, konnte man wieder einen Gebetsrufer hören, eine herzzerreißend schöne, durch Gesang und Rezitation geschulte Männerstimme, einsam, aber unbeirrt über den Dächern.
Ifrah fasste Maysans schmale Hand fester. Die Verse gingen ihr nicht ein. Vielmehr war ihr, als formten die Worte, die seit Jahrhunderten in der Dämmerung zu vernehmen gewesen waren, ein einziges Lied. Ein wenig traurig klang es, aber diese Traurigkeit täuschte.
Wir leben.
Mit frohen Gedanken tat sie sich allerdings schwer.
Hadans Worte, Verlautbarung ihrer eigenen Befürchtungen, wollten ihr nicht aus dem Kopf.
Der Fall der Grenzen Sanktuarios war zuvorderst, Auge in Auge mit den Dämonen, Auftakt zu einer Ära der Verteidigung. Welche Auswirkungen er aber wirklich für das Menschengeschlecht haben mochte, ließ sich nicht abschätzen.
Sie selbst hatte erfahren, wie stark die Magie und wie dünn die Trennwand zwischen menschlichem Dasein und anderen Ebenen geworden war - Ebenen, dicht bevölkert mit Lichtwesen, Geschöpfen der Gewalt und anderen Kreaturen, die sich bislang vielleicht nur noch nicht gezeigt hatten.
Was die Magie anbetraf, so war diese eine Gabe. Magie bedeutete Verantwortung. So hatte sie, Ifrah, es gelernt, und so hatte sie es tief in ihr Inneres versenkt, selbst nach dem Verweis von der Magierschule, in welcher die Älteren ihr nichts mehr hatten beibringen können. Magie bedurfte der Schulung. Doch wie die Verantwortung, so brauchte auch die Schulung – die Zusammenfassung und Ausbildung Begabter – eine friedlichere Zeit.
Die Barbaren haben gesehen, wie ich gegen die Dämonen stritt. Der Osten hat mich mit seiner Göttin des Krieges verglichen.
Ich will keine Vorreiterin meiner Klasse in dieser Zeit sein.
Was aber, wenn Andere daherkommen, die Solchem nicht abgeneigt sind? Wer wacht über sie, wer schaut darauf, dass sie dem Guten verpflichtet bleiben? Und wer entscheidet, was das Gute ist – oder das Notwendige?

Unwillkürlich huschte Ifrahs Blick zu Hadan, der zusammen mit Eya und Marej vor ihr und Maysan herging. Wir dürfen uns glücklich nennen, dass er auf unserer Seite steht. Er hat aus seiner Anfälligkeit für Macht und Gewalt nie ein Hehl gemacht. Aber er hat sich gegen die Macht entschieden, und der Dank dafür gebührt vielleicht Eya, vielleicht uns allen, vielleicht auch dem Kern des Guten in ihm. Die Weisen sprechen davon, dass ein solcher Kern in uns wohnt.
Aber sie wissen so wenig.
Sie können die Wendepunkte und Versuchungen, die jedem von uns begegnen, nicht vorhersagen.

Im Palastinnern empfing die Gruppe das blaue Licht, das die Glasfenster schufen, völlig ohne Veränderung. Hier sah man auch nichts von Brand und zerschmettertem Stein, keine Verwundeten und keine Asche, wie sie die Stadt draußen mit einer dünnen Schicht verunzierte.
Doch Jerhyns Abwesenheit war spürbar, die Gesichter der Wachen, an denen die Gefährten vorbeikamen, noch ernster als gewohnt.
Im obersten Gebäude Lut Gholeins herrschte nun eine Zeitlosigkeit in Schritt und Atem, so als zähle nicht, dass die Sonne erst in einer kleinen Weile über dem Horizont erscheinen würde.
Vor dem Thronsaal nahmen zwei Wachen ihre überkreuz gehaltenen Lanzen fort, und die Gruppe, allen voran der Palastbeauftragte, trat ein.
Der Knabe in dem alten Marmorsitz des Wüstenfürstentums war so klein, dass seine Beine ausgestreckt über die Sitzkante ragten – ein Zwerg auf dem Stuhl eines Riesen, kostbar gekleidet und mit runden Wangen und großen, verschlafenen Augen unter einem schmucken Turban.
„Oh“, flüsterte Maysan. Ihre Hand drückte die Ifrahs kurz. „Madji, sieh doch, der Prinz.“
Ja, ich sehe es.
Ein Kind auf einem Thron. Wieder einmal.

Bis auf das Stiefelscharren der Gruppe und das unvermeidliche, dumpfe Klingen barbarischen Rüstzeugs war es still.
Ohne sich abgesprochen zu haben und ohne auf eine Aufforderung zu warten, beugte die gesamte Gruppe das Knie vor dem kindlichen Fürsten. Sie machten wieder etwas mehr Lärm dabei, und Ifrah gewahrte, dass Menrad und zwei oder drei Andere, die noch unter ihren Wunden litten, unterdrückt ächzten.
Maysan senkte wie die Erwachsenen artig den Kopf, aber ihre Augen und ihr Gesichtsausdruck verrieten die Faszination, die der Ort auf sie ausübte. Wie fröhlich sie geworden ist. Ifrahs Herz regte sich warm.
„Erhebt euch, Krieger aus allen Winkeln der Welt.“ Der Berater Jerhyns, Mulham, nun zum Berater von Jerhyns Sohn geworden, nickte ihnen zu. Anders als neun von zehn Männern draußen in den Straßen trug er keine Binden. Ifrah vermutete mit einem Anflug ruhiger Geringschätzung, dass er sich zu keinem Zeitpunkt in den vergangenen Tagen aufs Schlachtfeld hinausgewagt hatte. „Erhebt euch und seht unseren jungen Fürsten, Kahil Abd Jerhyn Abd Falal, der seines Vaters Erbe angetreten hat in dieser schweren Zeit, mögen Badr und Junah seinen Weg beleuchten.“
Die Gruppe stand auf. Ifrah, die eine der langen und verschnörkelten Reden ihrer Heimat befürchtete, fasste sich seufzend in Geduld.
Aber es schien, dass der Krieg selbst an den Gepflogenheiten innerhalb des Palastes nicht spurlos vorbeigegangen war.
Mulham wechselte einen zeremoniellen Blick mit dem Kind im Thron, neben dem er stand, dann begann er geradeheraus: „Seit mehr als zwei Tagen wartet Lut Gholein nun auf ein Zeichen aus der Wüste. Aber wir sehen kein Zeichen unseres neuen und furchtbaren Gegners. Auch die Späher der Nomaden, eure Männer“ – er nickte zu Herlac und den Barbaren hin – „und die Sandläufer berichten nichts, und die Ruhe dünkt uns trügerisch.“ Er sprach gelassen, aber nicht ohne Bewegung in der Stimme. „Was dies bedeutet... was es bedeuten kann nach zwei Angriffen solchen Ausmaßes, wagen wir nicht zu enträtseln.“
Die wenigen, im Blauschatten des Raums halb verborgenen Wachen standen starr. Die Gruppe wartete schweigend.
„Die seltsamen Geschicke der letzten Schlacht und der Stunden danach aber“, fuhr der Berater fort, „erfüllen die Herzen unserer Räte und unseres jungen Herrschers mit der Hoffnung, Jene, die früher vielleicht bereits klarer sahen als wir, möchten auch jetzt einen Rat für Lut Gholein haben.“
Vorsichtig war es ausgedrückt, weit weniger hochmütig als noch zur Stunde der Begegnung mit dem Heer der Säbelkatzen – ein Herrscherhaus, das sich notgedrungen in die Einsicht bequemt, die Ansichten Fremder könnten von Wert sein.
Ifrah vernahm es ohne Genugtuung. Es war nur eine Bitte um Hilfe. Die ganze Welt hatte Hilfe verzweifelt nötig.
Der Berater indes wirkte unsicher, ob er deutlicher werden sollte.
Wie angekündigt, beteiligte sich Jerhyns kleiner Sohn nicht an der Unterredung. Er saß da und hörte zu, und womöglich war es der Anblick dieses Kindes, dieses in einer Notlage hervorgezerrten Ersatzes für einen volljährigen Herrscher, der die Mitglieder der Gruppe seltsam anrührte.
Ein Seitenblick zeigte Ifrah nachdenkliche Gesichter. Einzig Herlac schaute finster drein. Er hatte der Stadt ihren Stolz noch nicht vergeben.
Alle engeren Gefährten blinzelten zudem flüchtig, aber vielsagend zu Hadan hinüber, so als sei klar, wer hier das Wort führen musste und als wagten sie es dennoch nicht, den Nekromanten bloßzustellen.
Hadan zögerte. Dann trat er vor.
„Hoher Berater, junger Fürst“, er neigte den Kopf vor Mulham und, etwas tiefer, vor dem Thron, „die Anführer unserer so verschiedenartigen Truppen haben, dies darf Lut Gholein uns glauben, kaum Anderes im Sinn als die Klärung der Frage, was weiterhin aus der Wüste droht.“ Seine tiefe Stimme mit der östlichen Färbung stand einsam in der Weite und Kühle des Thronsaals. „Einige von uns haben das Tor der Dämonen mit eigenen Augen erblickt. Und alle Männer und Frauen hier, wage ich zu behaupten, konnten spüren, dass die Vertreibung der Gegner nach der letzten Schlacht nicht wieder von einer Androhung ihrer Rückkehr begleitet war.“
Aus der Gruppe, selbst von den fremden Paladinen, kam zustimmendes Gebrumm.
„Wahr“, sagte der Berater. „Sprich weiter, Hexer.“
„Die Dämonen wurden verjagt“, fuhr Hadan fort. Nur wer ihm sehr nahe war, bemerkte, dass er nun stockte, dass er abwog. „Damit verrate ich dir nichts Neues, edler Mulham.“
Kurz blieb es still. „Gewiss“, ließ sich der Berater dann vernehmen. „Doch nicht Menschen vertrieben sie.“
Ifrah hielt den Atem an.
„Nein“, gab Hadan zu. Das bläuliche Licht offenbarte kaum noch Schatten in seinem weißen Gesicht. Er hatte sich schnell erholt – ein wenig zu schnell, bedachte man sein Alter und das Unaussprechbare, das ihm widerfahren sein musste. Er war wahrhaftig der Begünstigte Pakhras, ein Sterblicher mit der halben Seele eines Minotauren in der Brust und wiederaufgerichtet von der Klauenhand seines ziegenköpfigen Gottes. „Nicht Menschen, sondern eine Gottheit.“
Selbst über die Entfernung zwischen Tür und Thron hinweg war zu sehen, dass Mulham bedenklich den wohlgenährten Leib straffte. „Eine Gottheit, ja“, sagte er tastend. „Eine des Ostens. Und du bist ein Mann des Ostens, Hexer.“
Sogar die anwesenden Paladine, bildete Ifrah sich ein, lauschten angespannt.
Die Magierin musterte die Miene ihres alten Mitstreiters aus dem Augenwinkel. Sie war ungerührt. „Die Bedrohung durch die Dämonen ist längst auch dem Osten bekannt“, gab Hadan geschmeidig zurück. „Ich weiß nicht, welche Macht die Erscheinung gerufen hat, doch sie war da, unerklärlich uns allen.“
Wie du lügen kannst, dachte Ifrah. Eine unsichtbare Hand schien ihre Haut entlang der Linie ihres Rückgrats zusammenzuziehen. Inständig hoffend, der Palast möge die Betretenheit der Gruppe nicht wahrnehmen, behielt sie Hadan im Blick.
Er lächelte.
Doch dies war nicht das eigentlich Erstaunliche. Neben ihm stand Menrad, und er, auch wenn Ifrah es nicht glauben wollte, lächelte ebenfalls, dünn, fast ein wenig verschmitzt.
In diesem Moment fiel es schwer, sich an die beiden Männer zu erinnern, die einander über die gesamte Reise zwischen Kurast und der Wüste hinweg belauert und bekrittelt hatten.
„Nun“, sagte der Berater unsicher, „wenn du uns mehr darüber nicht sagen kannst, wollen wir es dabei belassen, Hexer.“
...weil du dich in der Schlacht und davor und danach um Lut Gholeins Dank verdient gemacht hast, ergänzte Ifrah im Stillen. Und weil niemand es wagen würde, dir den Weg zu vertreten.
Lut Gholein hatte keine Wahl. Es musste nicht nur Hadan gewähren lassen. Immer noch waren es der Barbaren an die Hundert, immer noch konnten sich allein die verbliebenen Paladine mühelos mit den überlebenden Soldaten der Stadt messen. Selbst Einzelne – Eya, Marej, sie selbst – waren durch das Fremdsein nun unangreifbar, waren die einzig Freien in der schicksalsgebeutelten Stadt.
„Eine andere Frage jedoch“, sagte der Berater nun, „vermögt ihr uns vielleicht zu beantworten, die ihr unsere Gäste seid.“ Das Wort ‚Gäste’ war nicht zufällig gewählt. Es bedeutete den Wunsch nach friedlichem Miteinander, nach Verständigung. „Oder eher ist es eure geschätzte Meinung, die Lut Gholein zu erfahren wünscht – da nun zugegeben wurde, dass niemand in diesen Tagen wissend genannt werden kann.“
Er druckste merklich herum. Ifrah neidete ihm sein Amt nicht.
„Glauben jene, die für euch sprechen, dass die Bedrohung wiederkehrt?“, fragte er schließlich.
Wortlos schauten die Gefährten sich an.
Niemand wurde aus den Blickwechseln ausgespart – nicht die zwei fremden Paladine, und auch nicht die zwei Barbarenanführer. Selbst Maysan hob die Augen zu denen der Großen, die nachdenklich auf sie hinunterblickten, als könne eine Kinderseele ihnen Antworten bieten.
Hadan lächelte und legte dem Mädchen die Hand auf den Kopf. „Ich glaube, unsere Antwort steht fest“, sagte er leise zu allen, und niemand widersprach.
Der Berater zeigte sich kaum überrascht über die offenbarte Unwissenheit der Gruppe, was die Zukunft anbetraf. Höchstens war da ein ganz schwaches Zusammensacken seiner rundlichen, gesunden Gestalt, vielleicht ein Anflug von Mutlosigkeit. Doch er fasste sich rasch.
„So gehen wir also ohne Klarheit ins Morgen“, unterstrich er den Stand der Dinge. „Weder erlangen wir sie darüber, ob der Gegner sich dauerhaft zurückgezogen hat, noch darüber, was mit jenem furchtbaren Tor hinter den Steinernen Flammen sein wird. Möge Badr uns leiten.“
Die Gruppe wartete, angespannter jetzt.
Ob die Stadt sie bat, zu bleiben und die hiesigen Truppen weiter zu unterstützen, oder ob Lut Gholein es lieber sah, wenn sie abzogen – nicht bloß wegen der knapper werdenden Nahrung – musste sich hier und in dieser Stunde entscheiden.
Da der Berater, der vielleicht noch Worte abwog, eine kleine Weile schwieg, regte sich schließlich Herlac.
Er hatte bis hierhin keinen Ton von sich gegeben und sich darauf beschränkt, nach außen hin ein Anführer unter vielen zu sein. Nun jedoch, erriet Ifrah, die ob seiner tiefen, brummenden Stimme ein wenig erschrak, war seine Geduld am Ende. Nicht aus mangelndem Mitgefühl mit der Wüste, sondern der Notwendigkeit wegen, auch für seine Männer – und für die barbarische Heimat – Entscheidungen zu treffen.
„Ihr nennt uns Gäste“, sagte der Barbar direkt an Mulham gewandt, „doch du hast offenbar vergessen, dass wir hier weit mehr als Gäste sind, Berater, und dass wir auch nicht kamen, um solche zu sein.“ Er sprach ohne Drohung, aber auch ohne Gleichmut. „Lut Gholein mag denken, es sei die einzige Siedlung, der böse Zeiten bevorstehen. Es war die erste, das sahen wir nun. Doch in anderen Winkeln der Welt hat der Friede die Menschen ebenfalls geflohen – oder sie haben ihn ihren Nachbarn geraubt.“
Die Paladine versteiften sich merklich. Menrad war der einzige von ihnen, der locker stehen blieb und Herlac geradeheraus ansah.
Der Krieg zwischen dem Fadraîs unter Armon Celestin, dem inzwischen gestürzten Bewahrer des Lichts, und den Clans der Barbaren, die Buhlerei um einige der Letzteren seitens der Westmarsch, das Säen von Zwietracht, der wiederangestachelte Zwist zwischen Druiden und Barbaren – all dies war noch nicht verziehen. Aber hier standen Männer der fadraîschen Revolte neben Barbaren, die die Hintergründe der Zeit besser durchschauten als ihre Brüder daheim, und so blieb es bei einem kurzen Augenblick des Unbehagens.
„Darum also, Berater“, sprach Herlac weiter, „verlangen auch wir etwas von Lut Gholein.“ Den Knaben auf dem Thron schien er dabei nicht anzureden, und Ifrah erinnerte sich an seine Worte: Das kann nur ein Symbol sein. „Was wir verlangen, ist eine offene Antwort. Wünscht die Stadt, dass wir bleiben? Ist sie bereit, uns weiterhin freizuhalten im Austausch gegen unsere Augen und Schwerter?
Ihr solltet euch rasch entscheiden. Denn als ich an diesem Morgen erwachte und die furchtsamen Gesichter der Menschen ringsum sah, wurde mir klar, dass in meiner und meiner Männer Heimat, die auch die Heimat dieser Frau ist“ – hiermit wies er auf Marej, die bislang unbeachtet dagestanden hatte – „ebensolches Unheil heraufzieht wie hier.“ Er unterbrach sich kurz, um grimmiger und bestimmter fortzufahren: „Unsere Herzen wünschen, zu gehen. Der Norden ruft uns. Bittet Lut Gholein nicht um unsere Hilfe, so werden wir abziehen.“
Gut. Ifrah nahm die Endgültigkeit der Stunde in sich auf. Die Winde sind wieder erwacht, und sie wehen in alle Himmelsrichtungen.
Für eine Weile erweckte der Berater den Anschein, als wolle er die Schar der Nordleute tatsächlich zum Bleiben auffordern. Doch als er wieder sprach, sah Ifrah ein, dass dieses Zögern lediglich der allgemeinen Unsicherheit entsprungen war.
„Lut Gholein verlangt nicht, dass deine Krieger hier ausharren, Barbar“, sagte Mulham mit Bedacht. „Die Heere des Nordens und des Westens haben viel für uns getan. Das soll nicht vergessen werden.“ Er wandte sich um und bedeutete zwei Wachen, heranzukommen.
Ifrah gewahrte, dass sie verhüllte Gegenstände trugen. Von Mulham begleitet, schritten sie bis zur Mitte des Thronsaals. Dort angelangt, entfernten sie die Tücher, und Waffen, Schwerter vor allem, und Rüstungsteile und Schmuckstücke wurden enthüllt.
Es war sorgfältig und schön gearbeitetes Zeug. Es war für die Lebensart des Nordens, für den Unfrieden in allen Himmelsrichtungen, entzückend nutzlos.
„Diese Dinge“, wies der Berater auf die Gaben, „verehrt Lut Gholein den tapferen Kriegern aus dem Norden und aus der Marsch als Geschenk.“
Ifrah sah zu Herlac. Der Barbarenführer runzelte die breite Stirn.
Kaum zwei Atemzüge vergingen, in denen die Gruppe auf die Gaben blickte, da polterte er: „Was soll das sein? Wir sind keine Söldner. Wir haben den Weg nach Lut Gholein nicht irgendwelchen Lohns wegen angetreten, und wir erwarten auch keine Entlohung.“ Es kam bestimmt, aufbrausend, mit allem Hohn beleidigter Barbaren.
Die Luft im großen Raum verdichtete sich schlagartig.
Herrje. Die Magierin schüttelte, nur für sich, sacht den Kopf. Da haben wir es wieder. Dutzende von Heeren unserer gemeinsamen Feinde werden uns nicht enger zusammenbringen.
Sie schaute auf, als Hadan eingriff.
Der Nekromant hob die Rechte wie entschuldigend gegen den erbleichten Berater und kehrte dem Thron, der ganzen verbliebenen Hoheit der Wüste, den Rücken. Er sprach so gedämpft, dass ihn nur die Gruppe verstehen konnte.
„Herlac“, sagte er. Aber weiter kam er nicht.
Er begann zu lachen.
Es war seltsam, den großen, bleichen Nekromanten lachen zu sehen, vergeblich um Fassung bemüht.
Gegen ihren Willen kräuselten sich die Lippen der Magierin. Sie schluckte das Auflachen, dessen Ursprung ihr rätselhaft war, hinunter und blinzelte zu den Gefährten. Eyas blasses, blau beleuchtetes Gesicht hatte sich aufgehellt. Menrad drehte den Kopf zur Seite, aber seine Schultern zuckten, und selbst die zwei fremden Paladine hatten die Augen niedergeschlagen, als fürchteten sie, für närrisch gehalten zu werden, bemerkte einer der Umstehenden ihr Schmunzeln.
Warum lachen wir?
Und war irgendetwas auf der Welt unwichtiger als eben das?
„Herlac, nimm die Geschenke an“, ließ sich Hadan endlich vernehmen. Die Blickbahn zwischen seinen weißen Augen und den düsteren, stolzen des Barbaren hielt. „Nimm sie, um aller Ahnen und guten Götter willen.“ Er sagte es vorsichtig, aber immer noch mit einem bezwungenen Lachen. „Was schadet es? Kann euch irgendeine Macht auf Sanktuario für die vergangenen Wochen entschädigen? Der Weg in den Norden ist weit, da magst du mit deinen Kriegern diesen Tand gegen Nahrung eintauschen, so du willst.“ Das bleiche Gesicht bat um Verständnis – darum, dass die Barbarenseele den Handel nicht als weitere Beleidigung einstufte.
Und gegen jede Wahrscheinlichkeit, gerade hier, gab Herlac nach.
Sich vorzustellen, welche Lasten auf seinen Schultern ruhten, kostete nicht viel Mühe. Er hatte übernommen, was dem toten Urel aus den Händen gerissen worden war, und er hatte nicht darum gebeten.
Nun bemerkte Ifrah mit ungeheurer Erleichterung, dass seine strenge Miene sich löste. „Nun gut“, brummte er, „so soll es sein. Wende dich um, Nekromant. Unsere Gastgeber schauen schon.“ Er wies versteckt mit dem Kopf auf die Wachen und Hohen Lut Gholeins, die die Gruppe argwöhnisch beäugten.
Sie ließen sich die Geschenke Lut Gholeins geben.
Eine Sammlung von Rüstzeug und Waffen ging jeweils an die Barbaren und die Westmarschener. Die Gefährten erhielten ein Säckel Gold, schwer und leicht zugleich, wog man es in der kriegsmüden Hand, und etwas Geschmeide, aus Silber und mit Schmucksteinen übersät. Ganz nutzlos auch dies.
Damit, in halber Verlegenheit, endete die Zusammenkunft im Thronsaal des Fürstenhauses.
Rasch wurden sie wieder hinausgeleitet, durch die von flüsternden, huschenden Bewegungen erfüllten Gänge gebracht und bis vor das Tor des Palastes, wo die Morgensonne sie empfing.
Die merkwürdige Gruppe sammelte sich auf den flachen Stufen. Das Lachen war ihnen noch nicht vollständig vergangen.
Herlac, sichtlich zerrissen zwischen Würde und Nachgiebigkeit, sagte: „So endet unser Aufenthalt hier also.“
Übergangslos, ungeachtet ihrer Herkunft und ihrer Verpflichtungen, wurden sie alle wieder ernster.
„Lut Gholein wünscht sich von nun an selbst zu verteidigen“, fühlte sich Ifrah bemüßigt, zu sagen. „Ein Freibrief für alle, die es von hier fortzieht, nicht wahr?“
Sie schaute in die Runde. Da waren die Gesichter der alten Gefährten. Eya, Hadan, Menrad. Sie starrten wie auf Befehl zu Boden. Die Paladine und Barbaren aber wirkten sonderbar und unbehaglich erlöst.
Die Winde aus den Winkeln der Welt rufen uns wieder. Die Magierin wechselte einen Blick mit Marej. Nichts ist vollbracht.
Es liegt an der Zeit. Es ist keine Zeit, um irgendetwas abzuschließen. Wir können nur Pfade einschlagen, wir, die Überlebenden, die ein ganz klein wenig mehr wissen als die Menschen in unserer Heimat.
Gebe Junah, dass unsere Entscheidungen sich nicht als falsch erweisen. Gebe Badr, dass alles, was wir getan haben, nicht vergebens war.






Der Mittagswind, die gierigen Möwen, der Geruch der See fanden sie am Hafen.
Hier - merkwürdigerweise, erwog ihr Geist ihr Misstrauen dem Meer gegenüber - lag in diesen Tagen für sie das einzige geringe Heil.
Unverändert tappte Lut Gholein durch sein eigenes Wundfieber. Die Menschen, die nah am brackigen Hafenwasser ihre Häuser hatten, ließen sie hier sitzen, beachteten sie kaum – eine einsame Frau, mit nichts angetan als ihrem inzwischen fadenscheinigen Lederkleid und ihrem langen, kraftlosen Haar.
Der östliche Horizont schob sich ihr fest, fast freundlich, in den Blick, wenn sie ihn gelegentlich aufhob. Aber du bleibst mir fremd. Marej zupfte geistesabwesend an den Säumen ihres Hemdes. Es war weitgereist, so wie sie, schmutzig, schweißgetränkt. Dabei habe ich hier nicht gefochten. Nicht auf dem Schlachtfeld wenigstens.
Geduldig und voller Sorge warteten die Anderen auf sie – darin so freundlich und unverwandt sacht wie diese Wellenfläche, über der sich seit ein paar Augenblicken Wolken anzusammeln begannen. Und geduldig hatten sie sie gehen lassen, hierher zum Hafen, obgleich sie wussten, dass für sie, Marej, hier kein Weg abzweigte. Ihr Weg führte nordwärts an der Küste entlang, zurück in die Heimat und in die Umarmung der Wälder und Geschicke ihres Volkes.
Überlegte sie sorgfältig, so war sie aus ihrer Verantwortung als Sippenführerin gänzlich herausgetreten – damals, beim Einzug der Barbarenstämme. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, lauschend am Holz ihres Verschlages, Zeugin der Uneinigkeit der nordischen Krieger.
Es hätte damals schon alles enden können. Der Wald hätte unseren Kampf geschluckt, ohne Urteil wie seit Anbeginn der Zeiten, und nichts wäre übrig geblieben von unserer Siedlung als ein Aufflackern von Schuld im Geist der Männer, die kamen, um uns vom Boden unserer Heimat zu vertreiben.
Doch solch ein Ende hatte es nicht genommen. Nichts war so einfach geblieben, für sie selbst vor allem nicht mit jener Nacht am Rand der Marsch, da Urel die Felldecke über sie Beide gebreitet hatte. Leicht zu begreifen war es kaum.
Dann und wann musste sie die Hände flach auf den Bauch legen, der sich jetzt drängender wölbte, um sich sicher zu sein, was ihr geschenkt worden war.
Und ein Geschenk ist es. Ganz so, wie jede Geste des Vertrauens und jede Handlung ohne Plan zwischen Urels alten Gefährten ein Geschenk bedeutet. Urel hat mich eingeweiht. Nur kann ich nicht bei ihnen bleiben. Auch sie werden mir immer fremd sein.
Die Druidin erwachte erst aus ihrem benommenen Nachsinnen, als Stimmen von hinten, Wüstenstimmen, jemanden ansprachen. ‚Kind, wo willst du hin?’, wurde da gefragt, und auch barsch gefordert, ‚treib dich nicht hier herum.’
Doch die kleine Gestalt hatte die Hafenwachen bereits umlaufen. Diese, sehend, dass das Kind wohl zu der allein Dasitzenden gehörte, wandten sich ab.
Marej wischte sich rasch mit dem Handrücken über die Augen. Plötzlich war sie nicht länger allein. Ifrahs Tochter suchte, wieder einmal, scheinbar ganz aus eigenem Antrieb ihre Nähe.
Die Druidin wusste, dieses Kind war vaterlos, ein Flüchtlings- und Kriegskind, und aller Aufmerksamkeit wert.
Das Mädchen forderte diese Aufmerksamkeit nicht ein. Schmal, zurückhaltend, glitt es nun an Marejs Seite und schaute ernst aufs Meer. Die jungen Lippen waren bedenklich gespitzt, vielleicht in einer bloßen Nachahmung der Gesichter ringsum, ganz in der Art, mit der Kinder Ältere spielen, und das, unwissend, oft trefflich.
Als Marej wieder aufs Meer schaute, wurde ihre flüchtige Erheiterung schlagartig vom Gewicht ihres Loses verdrängt.
Der Palast der großen Wüstenstadt hatte die Freiwilligen entlassen – wohin sie gehen wollten, hing nun vom Gewissen jedes Einzelnen ab. Wohin würden die alten Gefährten ihre Schritte lenken? Wohin würden sie wandern – Ifrah mit ihrer Tochter, Herlac, der Großzügige, Menrad, der ehemals abtrünnige Paladin, und Hadan und Eya?
Die Druidin rief sich die Erscheinung des östlichen Gottes in Erinnerung. Es lag so viel mehr leibhaftige Gegenwart in einer Verkörperung wie dieser als in dem Glauben an eine allwissende Natur, ein beruhigendes, körperloses Wachen von Wald und Wetter. Beizeiten war sie bereit gewesen anzuerkennen, dass die Begegnung mit Urel und seinen Gefährten nicht anderes bedeutet hatte als die Begegnung mit dem Niedergang der druidischen Lebensweise. Doch sie irrte sich, das wusste sie nun.
Kein Volk ging rascher nieder als die anderen. Noch nicht. Nach Jahrhunderten waren sie, wenn vielleicht auch nur darin, alle gleich, auch die Gefährten.
Sie sind zerfahren, rastlos, greifen rasch zu den Waffen. Sie stehen für Vieles, was mein Volk ablehnt und hasst, aber in ihnen zeigt sich die letzte Hoffnung unserer Tage, im Herbst des Zeitalters der Großen Übel. Wenn die Dämonen oder die Engel sich wieder blicken lassen, werden vielleicht auch sie aus der Weite der Welt wieder auftauchen.
Doch vorerst führten die Wege von ihnen allen in andere Richtungen.
Gelegentlich verspürte Marej den Wunsch, sich ihnen anzuschließen, vielleicht Ifrah, vielleicht auch Hadan und Eya, um den Westen und ihre eigene Geschichte ganz verlassen zu dürfen. Sie ahnte, dass der Nekromant sie nicht aus den Augen ließ, auf seine steife Weise versuchte, Urels beschützende Hand zu ersetzen.
Ja, der Wunsch, sich ihnen anzuschließen, sich treiben zu lassen und nicht nach dem Morgen zu fragen, war da. Die Gefährten würden nicht ablehnen, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.
Indes pochte aus den Fasern ihres Herzens der Norden an Knochen und Seele. Er forderte seine Tochter zurück.
Dafür vor allem musste sie dankbar sein. In einer Zeit, die Männer und Frauen in den Staub stampfte, ihre Schicksale umstürzte und sogar ihre Bindungen zur eigenen Klasse kappte, hatte sie, Marej, ihren Wesenskern und ihre wahre Verpflichtung noch nicht verloren.
Die Druidin ließ ihre Augen über den Horizont schweifen. Da sie zu brennen begannen, lehnte sie sich nach vorn, hinein ins Schicksal, wie sie es schon einmal getan hatte, und anstatt sie zu vernichten, streckte der Schmerz ihr eine Hand entgegen.
Urel. Wo weilte sein Geist jetzt? Wohin soll ich ohne dich gehen, wenn nicht in die Wälder?
Sie bat die Erde und den Himmel darum, dass sie den Toten die Gründe für ihre Entscheidung schauen ließen.
Ich will unser Kind im Wald gebären, wie es vor mir schon meine Mutter und meine Großmutter getan haben, unaufdringlich bewacht von den Spähern des Dorfes. Ich will diese Gemeinschaft wieder suchen und erneut ihre Führerin werden. Ich kann es, ich habe viel gesehen, das uns nützt. Und die Erzählung deiner Taten wird uns Lehre und Warnung zugleich sein.
Womöglich hatte sie, ohne es zu merken, aufgeseufzt.
Nun schob sich eine dünne, kühle Schulter an ihren Oberarm, Haut gegen Haut. Maysan war an sie herangerückt, mochte sie eigenen Gedanken folgen oder nur auf der Suche nach einer verwandten Seele sein.
Marejs Augen fanden das Doppelpaar von Knien – ihre eigenen, etwas brauneren, und die kleinen, helleren des Mädchens – das über die Mauerkante vorragte.
Ohne einander sehr gut zu kennen, saßen sie in stillem Einvernehmen da und ließen die Beine baumeln, und der Druidin wurde es allmählich, wie bei einer großen Reinigung und im Erwarten des Weges hinauf über den Kontinent, leichter ums Herz.





Der Nekromant hatte damit gerechnet, der Besucher werde sich in den Stunden der Nacht oder der Dämmerung in die brummende Dichte der Stadt wagen.
Doch die Gestalt, wenngleich in einen weiten Mantel gehüllt, die schlecht nachgeahmte Menschlichkeit an ihr ein Zugeständnis an die Not des Trägers, kam zum Rastplatz der Gefährten, als die Sonne noch hoch am Himmel stand.
Lut Gholein war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um der Gestalt besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Das Fürstenhaus hatte zu weiteren Aufräumarbeiten angehalten wie auch zur Vorbereitung einer Feier anlässlich der Besteigung des Throns. Zwischen dem Einen, Selbstverständlichen, und dem Anderen, Überraschenden, fanden all die immer noch tief Erschütterten keine Zeit für Blicke auf die Gäste. Es galt, die Mauern und Häuser herzurichten, die Trauer in lebenstüchtige Bahnen zu lenken.
So schritt die Gestalt unbehelligt bis an den Winkel zu Seiten des Marktplatzes heran, und sie war ganz allein.
Mit fragenden Gesichtern standen alle auf, die gesessen hatten: Eya, Ifrah, Menrad und auch der letzte lebende Druide aus Marejs kleiner Gefolgschaft. Hadan erhob sich mit den Anderen.
Die Gestalt verharrte. Vierzehige Hinterläufe schauten verräterisch unter dem Mantelsaum hervor. Die Form eines mageren Leibes mit gewölbtem Brustkasten lugte durch abgetragenen Stoff. Ein geliehenes Kleidungsstück. Die geborgte Haut der anderen Seite.
Der Nekromant wechselte Blicke mit den Gefährten, ehe er dem Besucher entgegentrat. Die Zeit für den letzten Gang in die Wüste ist gekommen.
Sie begriffen und blieben schweigend stehen.
Aus dem Schatten der Kapuze leuchteten orangefarbene Augen hervor.
„Harebnash“, grüßte Hadan das Oberhaupt der Säbelkatzen.
„Du folgst“, erwiderte die verzerrte Stimme. Es war weder klare Aufforderung noch klare Frage. „Du musst verstehen.“
„Ja, ich weiß“, gab der Nekromant zurück. „Ich werde mit dir kommen. Geh voran.“
Er überprüfte seine Wasserflasche, den Sitz der Dolche und des Kurzschwerts. Dann nahm er seinen eigenen Mantel vom Boden auf und wandte sich zu den Gefährten um. Ihre Gesichter spiegelten unterschiedliche Empfindungen wider, aber sie getrauten sich offenbar nicht, ihnen durch ein Wort Ausdruck zu verleihen.
„Harebnash und ich haben etwas zu bereden“, unterrichtete er sie. „Es wird nicht übermäßig viel Zeit in Anspruch nehmen. Bevor es dämmert, bin ich zurück.“
Einige nickten. Der Nekromant erwog, ihnen mehr von seinen Vermutungen über diesen letzten Austausch mit den heimlichen Wächtern zu sagen – so wenig er davon auch erraten konnte – doch der Säbelkater, Eile von Kopf bis Fuß, war bereits in Richtung der Gassen unterwegs, die zum Haupttor führten.
Hadan zögerte, lächelte Eya aufmunternd zu und folgte der verhüllten Gestalt dann. In seinen Zweifeln, ob er diese Sonderstellung wahrhaftig verdiente, glitt ihm Lut Gholein wie ein Reigen verblasster Töne und Bewegungen an den Sinnen vorbei, und das Tor war erreicht, ehe er es recht bemerkt hatte.
Der Anblick der Ebene ließ ihn innehalten.
Barmherzige Götter. Verfluchtes Schicksal, was für einen Vorgarten hast du den Menschen hier an die Türen gebaut. Unter der Sonne, dem fahlen, hitzig hellblauen Himmel, besaß das Schwarz und Grau der verbrannten, versteinerten Fläche vielfache Widerlichkeit. Ein eingestürzter Tempel in Kurast lässt sich wieder errichten. Hier aber können sie noch ihre Enkel mit Hacken hinausschicken – sie werden die Hinterlassenschaft unserer Feinde nicht abtragen.
Harebnash, der gespürt hatte, dass der Mensch ihm nicht weiter folgte, drehte sich um.
Hadan hob eine Hand. Ihn schwindelte plötzlich. Warte. Bitte warte kurz, Harebnash.
Am Tor hielten sich nur ein paar Soldaten auf. Müde und besorgt, wie sie waren, kümmerten sie sich nicht um die Säbelkatze und den dunklen Magier, und auch nicht um den weiteren Mann, der den noch leidlich hellen Platz am Fuße der Mauern einen Augenblick später betrat.
Menrad näherte sich Hadan mit einer Vorsicht, die bis in sein hageres Gesicht vorgedrungen war. Die Wüstensonne hatte ihn gebräunt, doch unter dem stoppeligen Bart saß eine unvergängliche Blässe, eher Blässe der Nachdenklichkeit als der Haut.
„Was hat es hiermit auf sich?“, sprach der Lichtkrieger den Nekromanten gedämpft an. „Ich begreife nicht, dass Ihr noch einmal dort hinaus gehen wollt.“
„Von Wollen kann keine Rede sein“, antwortete Hadan. Ich sehe Pakhra in deinen Augen, hätte er dem ernsten Gegenüber sagen mögen, aber stattdessen warf er ihm eine Gegenfrage hin. „Warum kümmert Euch das, Paladin? Misstraut Ihr mir?“
Sie wechselten die Worte rascher, als sie es zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht getan hätten, denn auch Menrad spürte zweifellos Harebnashs Unruhe – und die Dringlichkeit der Stunde.
Der Paladin blinzelte Hadan forschend an. „Ich glaube nicht, dass ich Euch jemals gänzlich trauen werde“, sagte er dann, und als sei er außerstande, es zu verstecken, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.
Sie musterten einander.
„Nur gerecht.“ Der Nekromant erwiderte das sonderbar ehrliche, beinahe ein wenig verlegene Lächeln. „Doch falls Ihr meint, ich ginge ohne guten Grund in diese Hitze, oder gar freiwillig in eine zweite Begegnung mit meinem Gott, so täuscht Ihr Euch sehr, Menrad.“ Er wurde ernst. „Ich sagte der Gruppe bereits, dass ich Pakhra nicht verlassen kann. Darüber hinaus bindet mich der Pakt.“
Die Brauen zusammengezogen, lauschte der Lichtkrieger, sorgfältig, voller Bedacht.
Es mochte sein, überlegte der Nekromant, dass Menrad zu verstehen versuchte, was zu verstehen ihm seine Ordensherkunft und sein Glaube untersagten – die wahre Natur der Beziehung zwischen dem anfangs so verhassten Pakhrajünger und seinem Gott.
Du bringst es noch so weit, dass ich dich als Freund betrachten muss, Paladin. Oder ich bin einfach nur dankbar dafür, dass du mich nicht länger hasst.
„So stehen wir also wieder an dem Punkt“, äußerte Menrad schließlich langsam, „an dem wir vor Kurast oder nach der Schlacht um Travincal schon standen, oder meinethalben auch in der Stunde nach der Offenbarung. Die alten Grenzen der Welt sind dahin, Dämonen bedrängen uns und trachten uns nach Land und Leben, die Engel verwehren uns ihre Hilfe und die Völker sind zerstritten.“ Seine grauen Augen hingen starr an denen des Nekromanten. „Und Eure Götter scheinen gewillter, einzugreifen, als es auf das Licht zutrifft.“
Hadan sann. „Ich möchte Euch nicht ständig widersprechen“, sagte er dann vorsichtig. „Ich weiß nicht mehr über die tieferen Zusammenhänge und die Zukunft als Ihr. Verwechselt aber unsere Götter nicht mit einer Kraft, die uns über Recht und Unrecht oder über den Erfolg unserer Entscheidungen Auskunft geben könnte. Sie sind kein Leuchtfeuer und keine Lösung.“
Der Paladin tat einen Schritt auf ihn zu. „Was habt Ihr gefühlt, vor zwei Tagen?“, fragte er leise, fast wie bittend. „Wie war es für Euch, eins zu sein mit der Macht, die Quelle Eures Glaubens und Eurer Fähigkeiten ist?“
Er wirkte wiederum, wenn auch gefestigter als vor Wochen noch, wie ein Mann, dem die Essenz seines geistigen Lebens abhanden gekommen ist und der sich mittlerweile dazu bereit findet, sie in der größten Not auf dem Markt anderer Religionen zurückzukaufen.
Der Nekromant runzelte die Stirn.
Menrad war ihm inzwischen teuer und darum erhaben über billiges Mitleid oder unnützen Rat. Wenn es je eine Stunde gegeben hatte, um offen zueinander zu sprechen, so war es diese.
„Lasst davon ab, Paladin“, sagte er ruhig und sah sein Gegenüber kaum merklich zusammenzucken, vielleicht zu sich kommend. „Vergesst nicht, wie fremd sich unser beider Welten sind. Vor der Bedrohung durch die Dämonen müssen wir uns an ihre Gemeinsamkeiten sicherlich erinnern, aber wenn es um die Suche nach unserer Bestimmung geht... nein, Menrad. Mutet Eurem Licht keine Herabwürdigung zu, indem ihr es dem Osten unterordnet, nur weil dessen Götter sich zu einem sichtbareren Eingreifen bequemt haben. Nehmt meinen Pakt mit Pakhra nicht als Ausdruck eines mächtigeren Glaubens. Macht nicht diesen Fehler.“ Er zögerte, setzte dann hinzu: „Ich bitte Euch. Als einen Freund... trotz allem.“
Menrad war stehen geblieben, das noch junge Gesicht aufgebrochen durch Gedankenströme. Weder der struppige Bart noch die Schatten unter seinen Augen oder die zu straff über die kantigen Wangen gespannte Haut konnten diesem Schauspiel etwas anhaben. Er setzte sich dem Blick des älteren Mannes aus, hier und jetzt verzichtend auf das Geschirr des Zweifels und der schon gefällten Urteile, das er sonst so stolz getragen hatte.
Hadan erwog, ihm zu berichten, was ihm in Pakhras Gegenwart widerfahren war – die Entselbstung, der Ekel vor Rauch und Gestank und verrinnenden Formen, vermischt mit einem anhebenden Sturm grenzenloser Empfindungen von Macht und Gier, der sich schließlich in eine Spirale aus Ergebenheit und Entsetzen hineingedreht hatte, eine Spirale, für einen Menschen nicht zu ertragen und glücklicherweise zerstört durch das Ende dieses Teils ihres Paktes.
Doch dann sagte er schlicht: „Um Eure Frage zu beantworten... Es war widerwärtig, Menrad.“ Da der Paladin ihn zweifelnd musterte, fügte er hinzu: „Das ist mein Ernst. Ich möchte es kein zweites Mal erleben.“
Pakhra ist und bleibt etwas, das nicht vollends in unsere Welt gehört. Seine Macht darf nie weiter als durch einen schwachen Abglanz in uns walten.
„Wie Ihr meint“, gab der Paladin zurück. Sein Stirnrunzeln verschwand. „Ich glaube Euch. Und ich bin froh darüber, dass ich es kann.“
Die Männer sahen zu dem ungeduldig wartenden Säbelkater hinüber. Harebnash erahnte womöglich, dass ihre Unterredung Gewicht besaß, doch seine wachsame Aura scharrte nachgerade mit den Füßen.
„Was will er?“, fragte Menrad leise.
„Mir etwas zeigen.“ Der Nekromant reckte die Schultern unter dem wiederangelegten Harnisch. „Doch ich denke, dass ich ihn werde umstimmen müssen. Diese Sache geht nicht nur mich etwas an.“
Noch bevor er den Namen des Tierwesens rufen konnte, eilte es herbei – erneut ein Zeichen dafür, dass auch seine Art mit Fähigkeiten jenseits der fünf Sinne ausgestattet war.
„Mensch“, kam die verzerrte Stimme. „Eile, nicht warten. Du musst folgen, in die Wüste.“
„Ja“, sagte Hadan fest. „Aber nicht allein.“
Widerwille und etwas wie empörter Ernst ließen die Augen in dem Katzenschädel aufleuchten, von dem sein Besitzer die Kapuze abgestreift hatte. „Allein“, beharrte Harebnash.
„Nein.“ Hadan maß sich mit dem orangefarbenen Blick. „Meine Gefährten sollten uns begleiten, Führer der heimlichen Wächter. Bitte, gewähre es ihnen.“
Harebnash war verärgert, man las an den sich sacht anlegenden Ohren ab. Doch zögerte er sichtlich. Menrad bewies zum Glück das Feingefühl, den Mund nicht zu öffnen. Die großen Augen streiften den Paladin. Dann erwiderte der Säbelkater: „Wir begreifen die Bitte. Doch Eile ist notwendig.“
Hadan verbeugte sich zum Zeichen des Dankes.
„Ich hole die Anderen“, bot sich der Lichtkrieger an.
Nachdem Hadan auch ihm gedankt hatte und mit Harebnash ein paar Schritte von den Mauern weggetreten war, verschwand Menrads hagere Gestalt rasch in der Stadt.
Sie hier draußen wechselten während des Wartens kein weiteres Wort mehr.
Hadan blinzelte in den Himmel, der sich so nachdrücklich vom Himmel des Ostens unterschied. Ein dünner, grauer Schleier hatte sich in den vergangenen Stunden darüber ausgebreitet und beschenkte das ausgedörrte Land mit auffrischendem Wind und einer vorübergehenden Entmachtung der Sonnengewalt. Ohne die schwarze Ebene, an deren Rand er und Harebnash nun standen, hätte man beinahe an einen neuen Tag der alten Jahre glauben mögen, einen Tag wie tausend andere vor den Augen des Wanderers.
Der Nekromant schickte seine innere Sicht aus. Er ahnte, dass Harebnash neben ihm beständig Dasselbe tat.
Die Bedrohung durch die Dämonen war gebannt, doch nur vorübergehend. Hinter dem Glast des Weltenspalts warteten sie gewiss auf eine nächste Gelegenheit, Sanktuario einzunehmen – wozu und auf welche Weise, war nur ihnen selbst bekannt.
Bald kehrte Menrad aus der Stadt zurück.
Neben ihm gingen Eya, Ifrah, Herlac und – stellvertretend für die schwangere Marej – der letzte lebende Druide der kleinen Schar, die sich in den Süden gewagt hatte.
Das Bild prägte sich dem Nekromanten ein. Schwer gerüstet schritten die fünf Menschen auf ihn zu, die Mienen ernst und abgezehrt von den harten Entbehrungen, die Augen ohne seelenlose Angst. Ifrah kam im matt gewordenen Goldgefunkel und mit ihrem Stab, Eya im schwarzen Leder, Menrad als zähere und verwahrlostere Ausgabe seiner Brüder, der wortkarge Druide einträchtig und mit nackter Brust neben dem barbarischen Hünen in seiner waffenstarrenden Aufmachung.
Glauben zu dürfen, dass diese Menschen und die Völker, die sie vertraten, vielleicht überdauern würden, wog jeden Schrecken und jeden Kampf auf.
Schweigend fand sich die Gruppe zusammen. Schweigend führte Harebnash sie in die Wüste hinaus.
Der Säbelkater überquerte die schwarze Ebene, als gebe es da kein Grauen, das den Menschen die schnell austretenden Beine hinaufkroch. Unterwegs ließ er den Mantel fallen, den er getragen hatte.
Hadan atmete auf, als die Hügel erreicht waren. Er starrte geradeaus, sah nicht nach links, wo Pakhra über die Felsenschwelle hinweggestiegen war. Zwischen den beiden Frauen klomm er in Harebnashs Spur bis zum Hügelkamm.
Die Wüste lag still da. Falls es noch Mutige gab, die sich zur Wache hier draußen hatten überreden lassen, so hielten sie sich verborgen. Die Ziegenherden, die Nomaden, selbst die huschenden Eidechsen – alles fehlte.
Durch die verstreuten Haufen großer Felsbrocken ging es weiter und hinaus auf den platten Leib der Wüste. Sand sackte unter den Stiefeln der Menschen weg, die Mühe hatten, dem voraneilenden Halbtier zu folgen. Doch niemand beklagte sich oder fragte auch nur, wie weit Harebnash sie von Lut Gholein fortzuführen gedachte.
Hadan nahm das beharrliche, tapfere Schweigen der Gefährten als Äußerung ihres Willens – als Forderung nach mehr Antworten. Die Wege würden sich bald trennen. Jeder wollte etwas mitnehmen, und sei es nur ein weiterer Fingerzeig, ganz gleich wie undeutlich, Hauptsache ins Morgen.
Denn unser Vertrauen in viele Dinge ist zerstört, dachte er. Vor allem das Vertrauen in die Ruhe. Zu oft haben wir diese Ruhe nach einer Schlacht erlebt, die doch wieder in einen neuen Kampf mündete.
Wir werden lange nach unserer eigenen Ruhe suchen müssen, lange und vielleicht ohne Ergebnis.

Nach einer Weile bog Harebnash merklich nach Süden ab. Er geleitete sie nicht in die Richtung der Steinernen Flammen, der aufgescheuchten Grabheimstätten seiner Art oder des Dämonentors.
Bald bemerkten die Menschen auch, dass ihr Gang durch die Wüste Begleiter gefunden hatte. Kaum sichtbar, ein gelbes Hasten und Huschen nur, waren Harebnashs Säbelkatzenspäher gekommen, zweifellos, um ihren Anführer und das Kommende im Auge zu behalten.
Keuchend in der Mittagshitze hielten die Gefährten schließlich dankbar inne, als der Säbelkater stehen blieb und sich zu ihnen umwandte.
Die Sonne blinkte auf einem Kupferarmreif. Harebnash hatte den rechten Vorderlauf gehoben.
„Dort.“ Mehr sagte er vorerst nicht.
Sie schauten.
Vor ihnen erstreckte sich, eine Wegstunde von Lut Gholein, aber nur eine halbe von der Küste entfernt, ein Tal. Auf drei Seiten war es niedrig eingerahmt. Bedeutungslose Steinzäune, flache Hügel, formten eine Art Kessel, doch nach Westen hin – zum Tor hin – war das Tal offen. Es ähnelte einem Vorhof.
Dies ist kein beliebiger Ort.
Hadans Augen glitten zu dem Hügel in der Mitte des Tals. Sein Herz schlug wuchtig, und das rührte nicht nur von der Anstrengung der Wanderung her.
Der Säbelkater beobachtete ihn. Das kaum zu einem Ausdruck fähige Antlitz schien zu locken, zu fordern, und ja, er verstand.
„Harebnash und ich werden auf diesen Hügel steigen“, sagte Hadan zu den Gefährten. „Bis zu seinem Fuß könnt ihr uns begleiten. Hinaufgehen mit ihm muss ich indes allein.“
Die Gesichter der Frauen waren besorgt, aber sie äußerten keinen Einwand. Herlac nickte stumm. Nur Menrad und der Druide machten die Augen misstrauisch schmal, sich wohl wundernd, warum ihnen dieses letzte Stück Wegs verwehrt wurde.
„Wenn ich wieder herunterkomme, werde ich ohnehin alles mit euch teilen“, versicherte Hadan ihnen.
In Gedanken, hoffend, dass sie es selbst erwogen, fügte er hinzu: Es ist ein Vertrauensbeweis, dass er uns alle hat mitgehen lassen. Es mag sein, dass er wegen des Gottes allein mit mir sprechen will – oder auch, weil er es vorzieht, die Mühe der Verständigung mit den Menschen auf einen einzigen von uns zu beschränken.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss der Nekromant zu Harebnash auf, der bereits wieder voranging. Die Gefährten hefteten sich an ihre Fersen, doch am Fuß der Erhebung blieben sie zurück. Alle, auch Eya.
Oben auf dem Hügel empfing den Nekromanten ein Luftzug wie eine Segnung, fast als gefalle es der Wüste, sich eine Krone erahnter Weite aufs ausgedörrte Haupt zu setzen. Und Weite eröffnete sich an diesem Ort wirklich, eben hier, fünfzig Fuß über dem Sand, zwischen der Drohung des Dämonentors und dem Küstenstreifen, an dem Lut Gholein kauerte.
Spähte man angestrengt ostwärts, zwinkerte von dort die See hinüber.
Du weißt, wo du bist.
Hadan drehte sich zu Harebnash um. Der Luftzug strich durch die feinen Haare im Antlitz des Säbelkaters und trug den Tierdunst her, der kein Tierdunst war sondern der Geruch unverhoffter Verbrüderung mit dem ehemaligen Feind.
„Hier“, knurrte Harebnash. „Nun verstehst du.“
Hadan nickte zu ihm hinunter. Verglich man sie nur anhand ihrer Körpergröße, reichte ihm das Geschöpf eben bis an die Schulter, doch auch solche närrischen Messungen bedeuteten von heute an nichts weiter als überkommene Wertigkeiten einer aus den Angeln gehobenen Welt.
„Du baust an diesem Ort das Haus“, fuhr Harebnash fort. „Die Steine, die dein Herrscher haben will.“
„Woher weißt du von dem Plan für den Tempel?“, hörte Hadan sich fragen, schlicht aus der Verwunderung der Kreatur heraus, die noch ein wenig ans Gestern gekettet bleibt.
Welches Wissen die Säbelkatzen der Begegnung mit dem Menschengott abgepresst hatten und ob sich dieses Wissen womöglich mit älteren Vorhersagen ihres wunderlichen Volkes deckte, würde Harebnash ihm kaum verraten.
So antwortete Harebnash auch nur: „Wir haben Kunde davon. Wir lesen die Zeichen, wir denken in den Wegen deiner Art, Sohn des Gottes aus einem anderen Land.“
Trotz seiner Anspannung konnte Hadan nicht anders, als den Grad zu bewundern, in dem sich die Sprache seines Gegenübers weiterentwickelt hatte. Die Säbelkatzen lernten rasch. Die Not zwang sie dazu, und ungeachtet ihres streng abgeschiedenen Daseins verfügten sie über einen Vorteil - das völlige Fehlen all jener Dinge, die die Menschen Sanktuarios so vereinnahmten: Uneinigkeit, Handel, brüchige Verträge, Gold und Gier.
„Es ist wahr“, bestätigte der Nekromant, „ich habe meinem Gott versprochen, ihm hier ein Haus zu errichten.“ Er musterte Harebnash. „Und was, wenn ich wiederkehre, um es zu tun? Wird dein Volk es dulden?“
Der Säbelkater gab den Blick lange und gelassen zurück. „Wir haben keine Wahl, Mensch. So entscheidet das Leben über uns.“
Er hatte mit vollendeter Würde geantwortet.
Der erste Schlag gegen die Feinde ist wahrlich teuer erkauft. Hadan schwieg. Nun auch noch mit der Geduld der Geschöpfe, die hier schon hausten, als das Reich Menesh in der Wüste entstand.
Ihm war nicht nach Reden zumute, doch der Anlass erforderte ein Wort. „Ich weiß nicht, wie ich dir und deinem Volk danken soll, Harebnash“. Es klang noch armseliger, als die Geschenke Lut Gholeins an die Überlebenden es waren.
Der Säbelkater ließ seine Äußerung einfach davon wehen. Stattdessen wies sein rechter Vorderlauf erneut auf das Tal, doch diesmal nach Westen. „Das Haus ist ein Haus der Wachen, ein...“. Er zögerte. Die verzerrte Stimme aus dem Gatter spitzer Zähne klickte.
„Ein Posten“, half Hadan nach. „Ein Bollwerk.“
Meinte Harebnash dies?
„Bollwerk.“ Der Katzenschädel ruckte in Nachahmung eines Nickens. „Du wirst befehlen, dass Menschen es besetzen, Augen für das Tor.“
Aus dieser Sicht habe ich den Tempel noch nicht betrachtet. Der Nekromant straffte sich. Gewiss, Harebnash hatte Recht. Mit solchen Hintergedanken errichtet, kann Pakhras Tempel mehr sein als steingewordene göttliche Eitelkeit.
„Ich werde dafür sorgen, dass es geschieht“, versprach er, die Frage, wie er das anstellen sollte, auf einen späteren Zeitpunkt verschiebend. „Ich werde Männer hierher bringen, die den Stein bearbeiten, und ein Tempel verlässt sich auf viele Diener. Sie werden über dieses Tal wachen.“
„Sie“, bekräftigte Harebnash. „Und wir.“
Durch ein einziges Wort, wir, erklärte das Wesen sich und sein Volk dazu bereit, auch fortan heimliche Wächter zu sein, seinem selbstgewählten Namen Ehre zu machen, und nur ein Narr konnte annehmen, dass jene Bereitschaft in der eben beginnenden Ära noch dasselbe bedeutete wie in der vergangenen.
Innerlich erschüttert stand Hadan vor der lebendigen Verkörperung des Bündnisses der einstigen Todfeinde auf Sanktuario.
Hier reichte keine noch so umsichtig gewählte und mit tönenden Begriffen ausgekleidete Rede mehr. Er schaute nach unten, auf den schmalen Streifen Felsen zwischen den schwarzen Stiefelspitzen und den vierzehigen Füßen, dann ließ er sich auf ein Knie nieder.
Die Macht der Ereignisse, gleich wie stark der eigene Einfluss gewesen war, zu erfahren und sich selbst als atmendes Sandkorn darin, war das Eine – am Wendepunkt, am dem Ort zu stehen, wo die Dinge wie in einer Flussenge zusammenströmten, um hernach gewandelt in ein Delta und in ein Meer auszubrechen, war etwas ganz Anderes.
Der Blick seines Gegenübers hing eine Weile an seinem gebeugten Kopf, er spürte die Verwunderung, den Stolz, der keine Genugtuung über solche Gesten kennt.
„Verbündete“, richtete ihn die verzerrte Stimme wieder auf. „Wir müssen klug sein, auf beiden Seiten.“
Die Stille pochte in Hadans Ohren. Endgültig hatte sich die Entscheidung von ihm freigemacht, losgerissen, und Pakhra bekam, was er wollte: Ein Instrument.
„Gut.“ Er atmete den staubigen Geruch der Wüste ein und wiederholte leiser: „Gut. Jetzt brauche ich nur noch einen Namen.“
Wenn ihn nicht alles täuschte, glomm in den glasigen Augenspiegeln seines Gegenübers etwas auf. Erheiterung?
„Hände brauchst du“, sagte Harebnash. „Aber keinen Namen. Das Tal hat einen Namen, es braucht dich dafür nicht, Mensch.“
Vor solch einer Übermacht fremder Bestimmtheit, fand der Nekromant, war mit einem fragenden Gesichtsausdruck genug getan.
„Saqqara“, kam die Antwort.
Harebnash wandte sich nach Westen und dem offenen Tal zu, das trügerisch leer vor ihnen lag, und in diesem Augenblick gerann in seiner Zwittergestalt das Flüstern kommender Zeiten, erniedrigte sie beide zu Trägern einer Wendung, über deren Ausgang nächste Generationen bestimmen würden, die Einen jetzt wieder Reisende auf ehemals heimatlichem Boden, die Anderen Hofhalter mit Kupfer im Fell.
Saqqara.
„Was bedeutet der Name?”, hörte der Nekromant seine eigene Stimme, unfähig, sich von der Weite der Wüste hinter seiner Stirn, wo sich gegenwärtige Formen auflösten, loszureißen.
Erst der Verdruss, der von Harebnash auf ihn abstrahlte, bewog ihn, den Säbelkater wieder anzusehen.
Ihm war es, als verstehe er nun auch das. Der Andere hatte genug Fragen beantwortet – weniger, weil seine Geduld mit dem Menschen sich erschöpfte als vielmehr, weil es an ihm, Hadan, war, die drei Silben, Saqqara, mit Bedeutung zu füllen. Genaugenommen war es nicht an ihm allein, sondern an allen Vertretern der menschlichen Gattung.
„Der Name ist alt“, sagte er in das wartende Katzengesicht. „Ich weiß, dass er bereits den Weisen von Menesh bekannt war, weil sie beständig auch nach Osten schauten, und dein Volk hat ihn tief im Bauch der Gräber gelesen, irgendwo.“ Kurz kam er sich vor, als stehe er wie in seiner Jugend wieder vor einem nekromantischen Lehrmeister. Sogar das eifrige Bestreben, bereits Gewusstes mit erforderlichem Weiterdenken zu vereinigen, war beinahe dasselbe. „Aber seine Bedeutung im Pacrann, wo er soviel heißt wie ‚Stadt der Toten’... das kann nicht alles sein, nicht wahr?“
Keine Antwort. Harebnash blinzelte nicht einmal.
Endlich begriff er vollends.
Aus dem Namen, der in der Sprache einer geistigen Region, in welcher der Tod lediglich als Übergang in neues Dasein betrachtet wurde, für eine bisher nie wirklich erbaute Kultstätte stand, wurde im Sog der Veränderung der Name für das Dahinsterben ihrer aller Zeit.
Für das Gestern bedeutete er unweigerlich das Ende. Für die Zukunft ließ er alles offen, so wie diese hart erkämpfte Stunde ruhender Waffen aus zwei Welten vorerst alles offen ließ.
„Der Zeitenwandel“, sprach er es aus. „Natürlich. Der Wegstein einer neuen Epoche.“ Er lächelte schwach. „Danke, Harebnash – dafür und für so Vieles Andere.“
Es ist gut, antwortete das Katzengesicht. Du verstehst, und nur das zählt – und, dass ihr es nicht wieder vergesst.
Ach, wie hätten sie es vergessen können: Die Heerscharen leichtfüßiger Grabbewohner, dahingerafft im ersten Bündniskrieg, die aufspringenden Klagegesänge zu Asche zerstäubender Menschen und Säbelkatzen, die in Angst versteinerten Zufluchtsstätten hinter weißen oder sandfarbenen Mauern und das Mahnmal schwarzer Hufabdrücke eines Gottes im Sand der westlichen Wüste?
Dieses Angedenkens wegen mussten auch die Steine des Tempels mit einer ganz anderen Ehrerbietung aufgeschichtet werden, musste ein Nekromant zum Baumeister werden, ganz gleich wie früh ihn sein angestammtes Wissen dabei im Stich lassen mochte.
Nach einem letzten Blick schließlich machten sie sich zum Fuß des Hügels auf, wo die Gefährten warteten, in den Schatten der Erhebung geduckt.
Harebnash spähte geschäftig rings über die Kämme aus Fels, trat zur Seite, ein von seiner Vermittlerrolle befreiter Katzenfürst, der sich nun den Belangen seiner Untergebenen widmen konnte, und die Erleichterung war ihm anzusehen. Gleichzeitig gewährte er somit Hadan die Gelegenheit, den Fragen seiner Mitstreiter zu begegnen.
Im Vollbewusstsein der Tatsache, dass er ihnen weder Hoffnung noch wahre Antworten brachte, schritt Hadan nicht ohne Bedenken auf sie zu. Das Rund der verschwitzten, sonnenverbrannten Gesichter begrüßte ihn mit höflichem, aber dünnem Schweigen.
Eya, sein Schwarzer Vogel, verzog sacht die Lippen. Sie war unleugbar froh darüber, dass sich die Wanderung bloß als Erkundungsgang herausstellte.
„Alsdann...“ Der Nekromant holte Luft in der angespannten Stille. „Unsere Rolle in diesem Teil der Welt scheint vorerst ausgespielt.“ ... oder wenigstens fast. Es war ein närrischer Anfang, doch er fühlte sich plötzlich müde.
Bevor Menrad und Herlac, die schon den Mund öffneten, mit Fragen aufwarten konnten, hob Hadan die Hand. „Harebnash hat mich und euch in dieses Tal geführt... nun, nicht weil hier eine Lösung für die Gefahr des Tores oder der jenseitigen Welten schlummert, sondern weil die Stätte, die ich Pakhra versprochen habe, hier erbaut werden soll.“ Er bemerkte das Stirnrunzeln von vielen Seiten. „Ja, es ist nur ein Ort. Aber er wird neben Lut Gholein, so es denn mit Glück und Klugheit fortbesteht, ein Wachturm sein – ein Bollwerk, so sagte Harebnash selbst. Ein Bollwerk im Gewand eines Tempels. Ich werde seinen Bau beaufsichtigen, willige Jünger meiner Kaste werden ihn bevölkern, und die Säbelkatzen haben sich dazu bereit erklärt, die Kundschafter des Umlands zu bleiben.“
Wie viel oder wie wenig das heißt, müssen die Jahre zeigen. Bedauern streifte Hadan. Es ist und bleibt ein Nichts, ein lächerlicher Plan, gemessen an den Opfern, die ihr alle zu tragen bereit wart.
Er nannte ihnen den Namen.
„Saqqara“, wiederholte Ifrah. Die Anderen murmelten die drei Silben nach, wie bei einer Beschwörung. „Das klingt nicht völlig unvertraut.“
„Nur ein Wort“, sagte Hadan. „Harebnashs Volk hat es aus einer uralten Begegnung des Westens mit dem Osten genommen. Immerhin“, er lächelte versuchshalber, „steht damit zumindest das Wort schon einmal für eine Art Zusammenhalt.“
Ermutigt durch die flüchtige Heiterkeit in den Mienen ringsum, erläuterte er ihnen die verschwommenen Gedanken, die ihn oben auf dem Hügel bewegt hatten – die Last, die drei Silben ja nur unzureichend stemmen konnten.
„Es ist wirklich nichts weiter als ein Name“, schloss er. „Das alles bedeutet für uns vielleicht nur sehr wenig.“
Herlac regte sich brummend. „Nichts ist nur ein Name“, meldete sich der bärtige Hüne zu Wort. In der Anstrengung des Grübelns ähnelte er Urel plötzlich so sehr, dass es dem Betrachter wehtat. „Das Katzenvolk weiß viele Dinge, die sich uns nicht erschlossen haben. Und mit dir“, seine braunen Augen fanden die Hadans, „ist es dasselbe. Was hier gebaut wird, mag in kommenden Tagen einen Klang haben, wie ihn andere Stätten besaßen.“ Seine Stimme wurde leiser. „Stätten der Vergangenheit... Der Arreat. Harrogath.”
„Ja, vielleicht”, gab Hadan zu. „Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.“
Die kleine Menschenansammlung schwieg wieder.
„Das also ist Saqqara“, sagte Ifrah schließlich.
Sie schauten sich um, wie um sich etwas erst zu Erahnendes einzuprägen, und hierbei beließen sie es.
Das ist Saqqara.
Keine mit den helfenden Händen anderer Sphären errichtete Trutzburg, kein Ort der Weisheit, zu dem die leitenden Geister der großen Städte pilgern könnten, um Rat zu erhalten, und auch keine neue Richtung für den Glauben und die Hoffnung. Nur ein Steinbau, der wachsam auf das Dämonentor schauen wird, und eine Taufe des Nichts mitten im Ungewissen.

Sie sannen und rätselten immer noch, als Harebnash zu ihnen zurückschlich, und sie brauchten eine Weile um zu verstehen, dass der Säbelkater sich von ihnen verabschiedete.
Hadan würde ihm womöglich wieder begegnen, und durch ihn wohl auch Eya, doch die Anderen höchstwahrscheinlich nicht.
Selbst Menrad wirkte verlegen um Worte und verlegener noch um eine Geste der Hochachtung vor dem Wagemut des Halbtiervolkes.
Nach ein paar ausgetauschten Segenswünschen sahen die Gefährten dem Säbelkater nach, wie er davoneilte. Sein leichter Schritt weg über den Sand des Tals und hin zu seinen wartenden Artgenossen machte ihn wieder zu dem gelben Schemen, dem Fußtappen schlafloser Nächte nahe der Steinernen Flammen, bis die Wüste ihn schließlich schluckte.
Wohin er seine Späher zurückführte, wie viele von ihnen den Sturm überdauert hatten und welches Schicksal den heimlichen Wächtern blühte, entzog sich dem Wissen der Menschen.
Sie ihrerseits machten sich auf den Weg nach Lut Gholein.
Für diese kurze Strecke war ein Führer nicht mehr notwendig.
Als sie das Tal verließen, wandte Hadan noch einmal den Kopf. In seiner Nähe, den Schritt dem seinen angepasst, die besten Wächter, die ein Mann wie er sich nur denken konnte, warteten Eya und Ifrah.
Ihre Gegenwart formte ein stetes Leuchten in seinem Geist, aber er stand mit schmerzenden Schläfen, oben auf den Felsen, die das Tal einrahmten. Für einen Augenblick war er sich fast sicher, auf der Erhebung, mitten in der Wüste dort, die Umrisse eines gewaltigen Bauwerks sehen zu können, die Bewegungen noch unsichtbarer Asketen im noch unsichtbaren Schatten dunklen Steins.
Er wusste, er schaute voraus – auf den Tempel zu Saqqara, auf die wache Seele des ersten Tempels auf Sanktuario, der mehr sein würde als der Kniefall vor einem menschlichen Gott.
 
Jippie, es geht endlich weiter.....! <hier bitte Party-Smilie einfügen>

Sehr schönes Up, keine Kritik meinerseits. Und wegen der 'Verspätung': Gut Ding will Weile haben!

Just my 2 cents

scir
 
Schwupp, gleich mal lesen. Kommentare folgen später. :)

Edit: Sehr ruhiges Kapitel, viele schöne Beschreibungen. Ich bekomme fast den Eindruck, dass der nächste Kapitel der letzte wird, sozusagen ein Epilog...
 
Jipppiiiieeee ein Up.... und dann habe ich es auch noch verpasst *schäm*

Ich finde es auch ruhig, aber nach all der Aufregung tut das auch mal Not ;)

Und leider kann ich aus einer sehr sehr glaubwürdigen Quelle bestätigen dass es nur noch ein Kapitel geben wird :cry:

LG

Liska
 
Alles hat ein Ende, doch ein Ende ist auch ein neuer Anfang.....

Oh mein Gott ich muss ins Bett, ich geb schon Plattitüden von mir

Just my 2 cents

scir
 
Moinsen ihr,
ich kann bestätigen, dass 'Saqqara' jetzt im Galopp auf sein Ende zueilt. Es fehlt nur noch ein Kapitel.
Vielen Dank für die Rückmeldungen :)
LG, Reeba
 
Hi Reeba,

ich wollte dir nur mitteilen, dass du auch außerhalb der Diablo-Fangemeinde Leser hast. Da ich selber gerne schreibe und um Kritiken bitte, wenn ich etwas ausstelle, hat mir jemand aus dem inwow-Forum den Tipp gegeben, mal deine Geschichten zu lesen.

Hab endlich Gipfel der Welt durch, und selbst wenn ich Diablo weit hinter mir gelassen habe, ich finde sie einfach Klasse!! Saqqara wird da wohl kein Ausbruch sein, im Gegenteil! Ich werd mich drüber hermachen, sobald ich wieder mehr Zeit habe.

Don't give up, und ich würde mich sehr freuen, wenn du Saqqara und Gipfel der Welt mal dem ein oder anderen Verlag vorstellen würdest (mit Genehmigung von Blizzard, versteht sich). Richtige Bücher lesen sich immer noch besser als die knapp 600 DinA4-Seiten, die ich jetzt an Saqqara kopiert hab, um sie offline lesen zu können, auf dem Rechner anzustarren (Augenkrebs nicht ausgeschlossen ;)). Keine Angst an dieser Stelle, Ideen, Stil o.Ä. werde ich dir nicht klauen!!

Jedenfalls hoffe ich, auch zukünftig noch weitere Werke von dir bewundern zu dürfen!

MfG,
Dia
 
Was das Unterbreiten bei einem Verlag angeht: Das wird schwierig. Die Geschichte müsste dafür so überarbeitet werden, dass es keinen direkten Bezug mehr zum Diablo-Universum gibt und auch keine Charaktere aus dem Diablo-Universum direkt oder indirekt auftreten. Das liegt daran, dass Blizzard absolut keine Veröffentlichungen von Fanfictions akzeptiert - ohne Ausnahme. Alles, was zum Diablo-Universum veröffentlicht werden darf, kommt von Blizzard selbst, bzw. von Leuten, die sie explizit dazu angeworben haben, solches Material herzustellen.
 
Zurück
Oben