11. Juni 2004, 10:16
Drogenrepression kostet mehr, als sie bringt
Am Montag dürfte der Nationalrat wohl verhindern, dass die Schweiz Cannabis entkriminalisiert. Aber: In strengen Ländern wird kaum weniger gekifft als in liberalen.
Von Jean-Martin Büttner, Bern
Aufgeputschte Parlamentarier in Bern, Aufregung in den Gängen: Am Montag entscheidet der Nationalrat, ob er auf die Revision des Betäubungsmittelgesetzes eintreten will. Ein paar wenige Stimmen werden den Ausschlag geben, ob sich eine 20-jährige Kompromissarbeit in Rauch auflöst oder nicht. Lehnt der Nationalrat nämlich das Eintreten erneut ab, ist die Revision endgültig gescheitert. Und es gilt das Betäubungsmittelgesetz von 1951, das zum letzten Mal 1975 revidiert, aber nicht weiterentwickelt wurde. Es ist ein Zuchtgesetz geblieben, ganz der amerikanischen Prohibitionsmentalität der Zwanziger- und Dreissigerjahre verpflichtet, ein Bevormundungsgesetz, das dem Einzelnen vorschreibt, was für ihn noch Genuss ist und was Gift, auch wenn er damit niemanden schädigt.
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Dass das Gesetz nicht funktioniert, bestreiten nicht einmal die Gegner der Revision. Beim Cannabiskonsum zum Beispiel gehört die Schweiz zur europäischen Spitze. Laut dem Bundesamt für Gesundheit gibt jeder Fünfte an, Erfahrungen mit Cannabis gemacht zu haben, 225 000 konsumieren es mehr oder weniger regelmässig. Die Zahlen sind im Verlauf der Neunzigerjahre deutlich angestiegen, bleiben seither aber relativ konstant.
Unermüdliche Lobbyisten
Dass die Schweiz dermassen viele Kiffer habe, liege nicht am Gesetz, argumentieren die Gegner der Revision, sondern an seiner fehlenden Durchsetzung. Diese gründe in der Gleichgültigkeit der Politik, in der Lethargie von Justiz und Polizei. Wo immer nämlich die Drogenrepression durchgesetzt werde, sei der Betäubungsmittelkonsum niedrig oder rückläufig.
Gerne wird als Beispiel Alaska zitiert, das 1990 in einer Abstimmung seine liberale Haltung widerrief, oder Schweden, das für seine extrem harte Haltung bekannt ist. Umgekehrt hätten liberale Länder wie Holland einsehen müssen, dass ihre Drogenpolitik gescheitert sei: Der Konsum dort nehme zu, die Konsumenten würden immer jünger.
So reden die unermüdlichen Lobbyisten einer harten Drogenpolitik, gut organisiert und unter dem wieder wachsenden Einfluss amerikanischer Fundamentalisten weit vernetzt, und die Politiker der SVP und CVP reden es ihnen unkritisch nach. Bis ins Detail gleichen sich Argumente und Wortwahl, dauernd werden dieselben Beispiele und angeblichen Experten bemüht, es sind ja dahinter auch immer die gleichen Leute aktiv, die eine autoritär geführte, sehr repressive Drogenpolitik verlangen.
Bloss: Hält eine solche Drogenpolitik Jugendliche vom Kiffen ab, um das Beispiel Cannabis zu nehmen? Rechtfertigen die Resultate den Aufwand, die Kosten, die Dauerbelastung von Justiz und Polizei? Würden Drogenkonsum und seine Vorbereitungshandlungen nicht mehr bestraft, hat der Gesundheitsökonom Willy Oggier 1999 errechnet, könnten Kantone und Gemeinden pro Jahr dreissig Millionen Franken sparen. Das zwingt zur Frage: Lohnt sich der Aufwand überhaupt?
Veraltet, methodisch ungenügend
Eine erste Antwort klingt frustrierend, aber sie ist wenigstens ehrlich: Es lässt sich so einfach nicht sagen. Obwohl unzählige Studien über Drogenverbote und Drogenkonsum verfasst worden sind, erweisen sich die meisten als methodisch ungenügend oder veraltet, in ihrer Aussagekraft beschränkt und von der Erhebung her nicht für Quervergleiche geeignet.
Zu diesem Schluss kommt der deutsche Soziologe Karl-Heinz Reuband, der die wichtigsten Studien ausgewertet hat, die den Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Drogenpolitik untersuchen. «Der Sicherheit, mit der bestimmte Meinungen vertreten werden», bilanziert der Experte, «steht ein eklatanter Mangel relevanter Informationen gegenüber.» Sein Befund deckt sich mit mehreren neueren Studien, die sowohl das mangelhafte Datenmaterial wie auch die teilweise unseriösen Schlussfolgerungen kritisieren.
Immerhin kommt Reuband, nach umfangreicher Analyse mit repräsentativem Datenmaterial aus 13 europäischen Ländern, zu einem wichtigen Schluss, der von neueren Vergleichsstudien bestätigt wird: Es lasse sich kein systematischer Zusammenhang zwischen Konsum und Repression feststellen, und: «Verbote führen nicht notwendigerweise dazu, dass das gesetzeswidrige Verhalten seltener praktiziert wird.» Angst vor Strafe halte Jugendliche nicht vom Konsum ab.
Anstieg auch in strengen Ländern
Konkret sagen etwa überproportional viele Briten, deren Regierung bis vor kurzem eine sehr strenge Drogenpolitik verfolgte, schon mindestens einmal gehascht zu haben. Der Drogenkonsum habe gar einen «explosionsartigen Zuwachs» verzeichnet. Dabei gebe es für die untersuchte Zeit keine Hinweise darauf, dass sich die Strafgesetzgebung liberalisiert habe. Bei Schülerumfragen zum Hanfkonsum liegt Britannien gar an der Spitze, vergleichbar mit dem sehr viel liberaleren Spanien.
Umgekehrt liegen die Umfragewerte unter Schülern in Dänemark, Italien und den Niederlanden deutlich tiefer, obwohl diese Länder, wenn auch mit Unterbrüchen, liberalere Gesetze erliessen. Der Ländervergleich dränge den Schluss auf, schreibt Reuband im Einklang mit neuen Studien, «dass eine liberale Drogenpolitik nicht notwendigerweise zu einem erhöhten Drogenkonsum führt».
Zwar liegen die Umfragewerte in den liberalen Ländern Spanien und Dänemark über dem europäischen Durchschnitt, aber nicht höher als zum Beispiel in den USA. Dort wiederum verfolgen viele ihrer Gliedstaaten eine drakonische Drogenpolitik und lassen Tausende von Jugendlichen wegen Haschkonsums ins Gefängnis werfen. Offenbar vergeblich, wie eine ganz neue Studie gezeigt hat: Bei einem Städtevergleich stellte sich heraus, dass San Francisco deutlich mehr Hanfkonsumenten aufweist als Amsterdam.
Zwar meldet eine andere Studie, dass der Haschkonsum unter niederländischen Jugendlichen wieder zunehme; allerdings wird die Zahl als klein bezeichnet, und, wichtiger noch: Das Durchschnittsalter der Erstkonsumenten bleibe seit zwanzig Jahren stabil. Auch weiche der Trend nicht von anderen Ländern ab.
Was schliesslich die gerne zitierten Länder Alaska und Schweden betrifft, bleiben die Aussagen widersprüchlich. Die Erhebungsdaten aus Alaska seien nicht brauchbar, schreibt Reuband, und die Werte in Schweden nicht so niedrig, wie man es auf Grund der äusserst repressiven Drogenpolitik annehmen müsste. So hat Schweden zum Beispiel ein ernstes Problem mit Heroin und Amphetaminen, und auch in schwedischen Städten wird viel gekifft. Wie selbst das Gesundheitsministerium einräumen musste, konsumiert ein Viertel der schwedischen Stadtjugend Drogen, vor allem Cannabis. Alaska wiederum, das den Cannabiskonsum 1990, wenn auch sehr knapp, unter Strafe stellte, stimmt diesen November über eine neue Initiative ab: Man will den Hanfkonsum wieder entkriminalisieren.
Es trifft vor allem die Konsumenten
Kurz: Die Drogenpolitik scheint den Konsum kaum zu beeinflussen. Liberale Länder haben nicht unbedingt mehr Hascher als repressive. Fachleute vermuten, die persönliche Einstellung zum Konsum sei wichtiger ist als die Drogenpolitik. Zum Beispiel gilt das Kiffen in den Niederlanden, möglicherweise weil es nicht mehr juristisch verfolgt wird, heute als uncool.
Unbestritten dagegen ist, dass die zahlreichen Bagatelldelikte Justiz und Polizei stark belasten. Beleg dafür ist schon die Polizeistatistik. 83 Prozent der Schweizer Verzeigungen im letzten Jahr trafen die Konsumenten, nur 8 Prozent den Handel und 1 Prozent den Schmuggel. Die Repression scheint die Konsumenten zu treffen, ohne die Dealer wirklich zu belangen - die perfekte Ausgangslage für die Drogenmafia und ihre Schwarzmärkte.
Eine Zusammenfassung von Reubands Vergleichsstudie und anderen unter:
www.suchtundaids.bag.admin.ch/ imperia/md/content/forschung/34.pdf. Neuere Studien unter:
www.rand.org/ publications/MR/MR1805/MR1805.pdf