Kapitel 60 – Faulendes
Letztlich bleiben nur Eindrücke hängen von unserem Gang durch die düsteren Zellenbereiche, die zu oft zu Gräbern wurden...
Wir öffnen eine Tür, treten unter einem Bogen hindurch – der Meister zuckt zusammen, als ihn etwas im Nacken streift – er leuchtet hoch...
Es ist eine Hand, die abgerissen an einer ringförmigen Folterapparatur festgemacht ist, durch die wir hineingegangen sind. Unten links und rechts sind zwei Füße, oben in der Mitte ein Kopf – wo der Rest ist, will ich nicht wissen.
Wir werden von einer Gruppe Ziegendämonen mit Hellbarden angegriffen – schwarz sind sie, gut getarnt, darum bemerken wir sie erst spät, zu spät für zwei Skelette.
Tödlich effizient schwingt dieser Clan des Todes seine Waffen, aber ich bin gewappnet, weil ich wir sind.
Ducken...jetzt!
Danke. Das war knapp!
Achtung, er versucht es von oben, der andere von der Seite...
Ich sehs, pass auf...seinen Schwung zur Seite lenken, damit er die andere Klinge behindert?
Gute Idee. Rechter Arm hoch, fest werden lassen...halt, der Winkel ist falsch!
Jetzt ist er richtig. Wunderbar!
Sie sind abgelenkt, jetzt schnell! Hm...Klauen dem einen in den Kopf, hochschwingen, den dritten von hinten?
Ich sag dir, wenn der Zweite seine Waffe hochgebracht hat.
...
So ein Kampf zu zweit ist schon viel einfacher, was?
Wie wir vermuteten. Die Sache hat ihr Gutes.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Gute Arbeit.
Der Meister durchsucht die Leichen der Dämonen nach Wertvollem und findet einen Helm und einen Ring.
Beide bedürfen erst einmal Deckards Aufmerksamkeit.
In einer Sackgasse ist der Meister bereit, zu verzweifeln.
„Verdammt, waren wir hier nicht schon einmal? Ich könnte den Architekten erwürgen!“
Nein, wir waren hier noch nicht. Das weiß ich einfach. Während der Meister sich aufregt, lasse ich meinen Blick über blutige Wände, staubigen Boden, rissige Decke wandern...Moment, der Boden...ich knie mich hin, und wirble etwas Staub auf.
Der Meister niest.
„Was machst du denn da? Willst du, dass ich mir den Tod hole?“
Nein, nicht direkt – ein Steinquadrat mit kryptischen Zeichen ist zum Vorschein gekommen, die ich allerdings als Runen mittlerweile erkenne.
„Oh! Das ist ja...Kaschya? Habt ihr im Gefängnis etwa einen Wegpunkt?“
Diese tritt näher.
„Nicht, dass ich wüsste. Warum?“
Dann sieht sie das Steinquadrat.
„Aber das ist doch...“
„Ja, Kaschya, das ist einer. Eindeutig.“
Diese fasst sich an den Kopf.
„Das wusste hier Niemand, soweit ich weiß! Jetzt weiß ich allerdings auch, warum immer wieder einmal Gefangene verschwunden sind...“
„Lass mich raten: Die Zelle hier wurde öfter besucht als andere?“
„Ja...das hat mich immer gewundert...“
„Dann ist der Fall klar: Irgend jemand in euerer Verwaltung ist ein korrupter Bastard, und hat den Gefangenen eine Unterkunft zur Freiheit hier drin verkauft...“
„Klingt sogar logisch. Und weißt du was? Ich bin mir sicher, dass wir nicht nach ihm suchen müssen.“
Und mit diesen Worten weist sie auf das Skelett, über das wir bei Eintreten in die Zelle gestiegen sind, die Arme nach vorne gestreckt, noch im Tode versuchend, den Wegpunkt zu erreichen.
Wir hingegen aktivieren ihn einfach für uns – die Runenfolge ergibt kein bestimmtes Wort, ist wohl fast überall einfach Zufall – und pausieren im Lager.
Nachdem wir die Insassen über Akara mit sämtlichen Fakten bezüglich des Istzustandes des Klosters informiert haben, gegessen haben, Deckard dem Meister einen Ring überreicht hat, der seine Fähigkeit, Mana zu speichern, erhöht, wie auch seinen Widerstand gegen Kälte, und einen Eisenut, der ihn mehr Schaden aus seiner Waffe herausholen lässt („Völlig nutzlos, aber besser als ein Helm ohne Alles!“), ziehen wir wieder los.
Da ich vorausgehe, bin ich dank meines unfehlbaren Orientierungssinnes in der Lage, und schnell in unerforschte Bereiche vorstoßen zu lassen, und bald erreichen wir eine Treppe, die in ein zweites Untergeschoß führt.
Der Meister verzieht das Gesicht.
„Kaschya...wie viele Ebenen müssen wir durchqueren?“
„Die erste haben wir hinter uns, dann die zweite, die dritte, und dann nach oben direkt ins innere Kloster.“
Und wieder kann der Meister nur seufzen, als er das hört.
Erneut ist der langweilige Gang durch blutbespritzte Gänge, an Leichen und Gestank vorbei (wobei mir Letzteres gottlob erspart bleibt) eigentlich ereignislos, wären da nicht die ständig auftauchenden Monster und furchtbaren Horrorszenen vergangener Folter...
In einem Raum finden wir Streckbänke, eine wahre Folterkammer – die Überreste von drei bis vier Opfern liegen in den Ecken der Zelle verteilt, und ein fünfter noch auf der Streckbank, grausig zerrissen.
Der Meister wird kaum noch bleich oder gibt Ekelgeräusche von sich, wenn er so etwas sieht, sondern wird einfach nur wütend. Ich kann ihn verstehen, mir geht es genauso. Andariel muss sterben für solche Taten, und jeder andere Dämon auch.
Wir stehen vor einer Wand. Links und Rechts zweigen Gänge ab.
„Und, Kaschya? Welche Richtung?“
„Was weiß denn ich? Gehen wir Links.“
Wir treten um die Ecke und sehen vor uns eine weitere Wand.
„Ah, eine Sackgasse...na ja, gar nicht schlecht, das nimmt uns die Entscheidung ab.“
Schön, wenn der Meister das positiv sieht. Als wir umkehren, ertönt eine ölige, lallende Stimme.
„Fau ma einer an, waf haben wia enn da?“
Die beiden Menschen sehen sich an, fragend. Dann schütteln beide den Kopf.
„Wer...“
Die Frage des Meisters unterbricht ein Dämon, der am Eingang des Sackgassenganges erscheint, und uns den Weg versperrt.
Er sieht irgendwie...missgestaltet aus, das ist das richtige Wort. Seine Proportionen stimmen hinten und vorne nicht.
Seine Zunge ist viel zu groß für seinen Mund und hängt zu Boden. Er geht auf zu kleinen Füßen, die aus geschwollenen Beinen sprießen, und auf Händen, die logischerweise zu groß sind. Hörner hat er auch, verdreht über winzigen Augen aus einem gewaltigen Schädel ragend.
Der Meister keucht. Dann lacht er schallend.
„He, wo haben sie dich denn gefunden? Du schaust aus wie ein Stück Scheiße, das ein Bastard mit Flöhen hat fallen lassen!“
Der groteske Mund verzieht sich zu einer wütenden Grimasse. Gut, sein Gesicht war auch vorher schon eine Grimasse. Ein wirklich lächerliches Monster.
„Daür wirfst du fterben, Menf! Und zfwar langfam und fmerzvoll!“
„Beiß dir nicht auf die Zunge, Kamerad, wenn du uns einfach durchlässt, könnten wir dir vielleicht nur die Beine brechen...“
Da hebt unser Gegner ein Bein (würde er einen Arm heben, fiele er auf die Schnauze), und fünf weitere Exemplare seiner Art, jeder irgendwie anders verdreht, versperren die Gasse.
Dann öffnet er den Mund weit, und an seiner Zunge quetscht sich ein leuchtender, szintillierender Ball aus reiner Energie vorbei, der auf den Meister zufliegt.
Dieser wird in der Brust getroffen, zischelnde Blitze tanzen über seine Kleidung. Er fliegt nach hinten und landet unsanft an der Wand.
Ein lautes Glockengeräusch ertönt, als das Metall seines Helmes auf Stein stößt.
Er rappelt sich hoch. Zum Glück!
„Weißt du was? Dafür wirst DU leiden. Macht sie fertig.“
Die Skelette stürmen vor, in einen Hagel aus Blitzkugeln hinein. Sie halten sie auf, aber werden davon nicht aufgehalten – Knochen leiten eher schlecht.
Da erscheinen tanzende Flammen über ihren Köpfen. Ich weiß, was das bedeutet: Der Missgestaltete kann Verstärkter Schaden fluchen!
Die Skelette zerfallen recht flott, als riesige Pranken sie zur Seite fetzen.
Da grinst der Meister hämisch.
„Denkst du, du bist der Einzige, der das kann?“
Und nachdem vor seinem Stab das bekannte rote Licht erschienen ist, tanzen die Flammen auch über den Köpfen der Gegner. Ihr Anführer ist alarmiert.
„Rückfug!“
Ha, das hättest du wohl gerne! In einem gewaltigen Satz stehe ich vor dem ersten Monster und ramme ihm die Klauen in den Kopf; kaum zu verfehlen.
Wie wäre es mit der gleichen Aktion wie vorher?
Gute Idee! Ich schwinge mich hoch, fliege über den frischen Kadaver hinweg, und lande auf dem Rücken von dem Anführer.
Dieser schreit laut auf. Ich hole aus...
Vorsicht!
Schnell nutze ich den Schwung der Klauen, um mich zu Boden zu werfen. Was...
Eine Blitzkugel fliegt durch den Fleck, an dem ich gerade noch stand. Offenbar reicht ein Klauenpaar in den Kopf nicht aus, um so ein Viech effektiv zu töten!
Der Anführer wirbelt herum.
„Du wagft ef?“
Und eine Blitzkugel schlägt in den am Boden liegenden, verwundeten Dämon ein, der versucht hat, auf mich zu schießen. Jetzt stehen wir uns Auge in Auge gegenüber.
„Schleimer Faulhund wird dif töten...“
Ich grinse erst einmal dümmlich. Der sieht nicht nur bescheuert aus, auch sein Name ist selten dämlich.
Wir könnten ihn natürlich auch einfach töten.
Da stimme ich dir ausnahmsweise zu. Ich renne auf ihn zu, er auf mich.
Seine Pranke schwingt auf mich zu und wird von meiner Klaue aufgehalten.
Da breitet sich enorme Kälte aus, von meiner Hand den Arm herunterwandernd.
„Die Magie def Froftef ift wohl zuviel für dich, waf?“
Vergiss es. Ich ramme ihm den Fuß in den Bauch, lasse mich auf den Rücken fallen und ziehe ihn mit. Dann trete ich ihn gestreckten Knies einfach in die Luft.
Mit einem Klatschen landet er direkt vor dem Meister.
Also, war diese Richtung von dir beabsichtigt?
Weniger...ich hab die Technik ja auch noch nie angewandt...
Du bist ein echter Frischling...
Ich habe auch nie etwas Anderes behauptet. Na ja, die Skelette kümmern sich schon um ihn.
Der Meister lässt natürlich immer zwei von ihnen zu seinem persönlichen Schutz zurück...jedoch Schleimer Faulhund flucht den Verstärkten Schaden, und als von hinten eine Blitzkugel heranfliegt, zerreißt alleine ihre Wucht schon die Knochen eines Skelettes.
Ungut! Aber dafür haben wir ja noch mich.
Als ich schnell von hinten an den Schleimer heraneile, damit mich keine Blitzkugeln treffen, sehe ich, wie Kaschya ihren Bogen auf ihn richtet. Stimmt, die haben wir ja auch noch.
Der Meister steht immer noch vor dem Dämon und grinst ihn höhnisch über den Rand des Schildes an.
Das ist aber irgendwie dumm...
Unvorsichtig.
Dämlich! Egal. Entweder Kaschya oder ich werden den Frostjungen schnell erledigt haben...
...Moment. Frost?
Siedendheiß fällt mir mein Kampf mit Kaltkrähe ein, von der der Meister den Verstärkten Schaden erhielt.
Was hast du vor?
Ruhe, das wird sehr knapp! Ich strecke meinen Arm in gewohnter Weise aus, um diesmal nicht den Meister von einem drohenden Feuer, sondern Faulhund von Kaschyas Pfeil wegzureißen.
Dieser schlägt in seinen Fuß ein, und explodiert. Er heult auf. Dann dreht er sein Gesicht mir in ungläubigem Hass zu.
Freundchen, das war nur ein Aufschub. Ich zerre ihn herum, als Schild vor mich haltend. Blitzkugeln treffen ihn, machen ihm zwar nichts aus, lenken ihn aber ab – er ist immer noch gefährlich.
Langsam gehe ich auf die Reihen seiner Gefolgsleute zu, ihn vor mir herschiebend.
Ich winke hinter meinen Rücken Kaschya zu, und hoffe, sie versteht mich. Dann halte ich drei Finger hoch. Zwei. Einen.
Ich schubse ihn nach vorne, zwischen seine Leute, wo er zusammenbricht.
Kaschyas Pfeil fliegt an mir vorbei, während ich nach hinten springe.
Er durchbohrt Schleimers Brustkorb.
Und dieser explodiert mit einem Todesschrei in einer blauen Nova aus Frost, der ich, zurückspringend, gerade so entgehe.
Du hast das geahnt!
Natürlich habe ich das. Den – ken nennt man so was. Dem Meister hätte so eine Abkühlung sicher gut getan, aber doch irgendwie nicht gefallen, meinst du nicht?
So frieren Schleimers Freunde, und wir haben leichtes Spiel.
In der Tat.
...
Nachdem der Meister neue Skelette belebt hat (er schafft dies dank der Ringes ohne danach zu schwitzen!), und Kaschya – Kaschya! – mir für meine Voraussicht gedankt hat, finden wir in einer ganz anderen Ecke des Gefängnisses den Abgang in das dritte Untergeschoß des Klosters.
„Siehst du durch die Gitter die Treppe?“
„Ja, Kaschya. Hier sind wir richtig.“
„Ist aber sogar noch ein Kleinlabyrinth davor...erinnerst du dich, was ich gerne mit dem Architekten machen würde?“
„Ja, hier sind ja auch genug Instrumente für diesen Zweck versammelt...hättest du gerne die Streckbank oder diesen Todesring?“
Das lässt den Meister verstummen.
Als wir uns zwischen Gittern mit vielen Abzweigungen durchschlängeln, fällt mein Auge auf eine Statue, die in der Mitte einer Kreuzung steht.
Neugierig, wie ich bin, sehe ich sie mir genauer an. Ein kleiner Pfeiler trägt vier hässliche Fratzen, die in die vier Himmelsrichtungen sehen.
„Na, Golem, interessiert an der Dekoration?“
Auch der Meister ist näher getreten.
Kaschya kommt dazu.
„Weißt du...so ein Ding habe ich ja noch nie gesehen...“
„Du warst hier ja auch noch nie, oder, Kaschya?“
„Schon, aber diese Gargoyles passen doch gar nicht zum Rest der Architektur – und das Teil ist auch doch recht sauber, findest du nicht?“
Ich trete zurück, um mir die Statue genauer anzusehen. Da gibt eine Steinfliese unter meinem Fuß nach, und es klickt.
Pass auf!
Nur die Reflexe meiner Kampfpersönlichkeit und ein durch Ton Gottseidank auch nach hinten biegsamer Rücken retten mich vor einem Feuerball, der aus dem Steinmund des nächsten Gargoyle – Kopfes zischt. So versengt er mir immer noch die Brust.
Der Meister und Kaschya zucken zurück, als sie das sehen – und es klickt zweimal.
Sofort schießen meine Füße vor, weil sie einfach näher an den Menschen sind, und treten sie unsanft weg.
Gerade noch rechtzeitig, bevor auch aus den Mündern nahe ihnen Feuerbälle schießen.
„Verdammt, eine echte Todesfalle!“
Ja, diese Gargoyle – Falle gehört zerstört. Gut, dass ich harte Klauen habe. Ich bewege nur meinen Oberkörper, als ich mit meiner Faust aushole und so fest zuschlage, wie ich kann.
Ein kleiner Riss zeigt sich danach in dem Stein, während mein Arm wegen des Rückschlags schmerzt. Aaah!
Nichtsdestoweniger schlage ich noch einmal zu, noch einmal, wieder. Und endlich zersplittern die Steinmäuler.
Dann gehen wir unbehelligt weiter in das dritte Untergeschoß, wieder ein wenig vorsichtiger.
Hier sind Geister, das wird mir schnell klar, als sich ein Schemen durch die Wand schiebt.
Aber der Verstärkte Schaden wird ihrer schnell Herr. Ein sehr versatiler Fluch.
Auch restliche Kämpfe sind absolute Routine – Gefallene, Geister, Todesclanleute, und keine Schleimer oder Missgestaltete mehr.
Bloß Blutpentagramme stören mich noch ein wenig. Ebenso wie andere...Dekorationen.
Als wir in einen großen Raum treten, finden wir drei Leichen an einem Tisch, der noch voller Geschirr ist, auf dem Essen vor sich hin schimmelt.
„Es muss sie völlig unvorbereitet erwischt haben...“
Das wird stimmen. Natürlich macht das den Meister nur wütender, wie er auch seine Bemerkung äußert.
Die Zellen sind interessanterweise immer häufiger voller Gegner – ein Gefängnis kann von beiden Seiten genutzt werden. Ihre dämonischen (klar) Schreie und das ständige Gestöhne zehrt aber irgendwie doch an den Nerven.
In einem großen Raum sind einige Skelette zusammengepfercht. An ihren Armen glühen verschiedenfarbige Kugeln.
Der Meister tritt ans Gitter.
„Na, bei mir sind die Arbeitsbedingungen doch besser, was?“
Da leuchten die zwei roten Kugeln, die die waffenlosen Händen des nächsten Skelettes umgeben, auf.
Sofort tritt der Meister zurück; er hat Vorsicht auf die harte Weise gelernt.
Darum schlägt der Feuerball, der von den beiden Kugeln ausgeht, auch in meine Brust, statt in seine.
Auch die anderen Skelette lassen plötzlich ihre Kugeln aufblitzen – Rote, wie ich sie schon bei dem ersten gesehen habe, blaue, und von Blitzen geformte.
Aus ihnen treten in eher langsamer Schussfolge Feuerbälle, Eisblitze und kleine Blitzkugeln, die langsam durch die Luft zucken, nicht wie die großen der Missgestalteten.
Da wir durch die Zellentür erst unter Sperrfeuer zu den Skelettmagiern laufen müssten, um sie im Nahkampf zu besiegen, oder ausweichen, um Kaschya die Arbeit machen zu lassen, rennen wir lieber davon – ist vernünftiger, wie Kaschya dem wütenden Meister vorschlägt. Ich schließe derweil das Brandloch in meiner Brust mit Erde, die zwischen den Ritzen im Boden ist. Immerhin ist dies hier das unterste Stockwerk.
An Pfeilern vorbei gehen wir, klettern über Fässer – der Meister macht den Fehler, einem Skelett die Öffnung eines von ihnen zu befehlen, welches explodiert und Splitter durch den Raum jagt – und überall finden sich sogar kleine Schatzkisten.
„Was ist denn das hier, euere Lagerhalle oder was?“
„In der Tat. In einer richtigen Burg wie dieser ist der Platz immer knapp, was erwartest du, General?“
Auch die Schatzkisten können gemeine Fallen sein, das darf diesmal ich herausfinden...sie schießen manchmal Feuerbälle, wenn man sie öffnet. Aber man hört ein Knarzen, wenn es gleich heiß hergeht.
So bleibt auch dieser letzte Teil unseres unterirdischen Umweges ein Spießrutenlauf zwischen Fallen und Gegnern, und wir sind Alle heilfroh, als Tageslicht am Ende einer langen Wendeltreppe das auch das Ende dieses Abschnittes ankündigt.
Im Inneren Kloster findet sich ein Wegpunkt – RalGulEld, Prinzip, ist seine Runenfolge, passend: Prinzipien wie Menschlichkeit und Mitleid mit den Toten zwingen uns, Andariel zu finden und zu töten, die für die Gräueltaten im Gefängnis und anderswo verantwortlich ist.
Erschöpft ziehen wir uns erst einmal ins Lager der Jägerinnen zurück, immer im Gedächtnis die imposant den Ausblick vom inneren Kloster dominierende Kathedrale, unter der die Katakomben liegen, wo unsere Feindin ihr Hauptquartier hat.
Kapitel 61 – Planung
„Aber interessant waren diese Skelettmagier schon...“
Der Meister liegt auf seinem Bett und sinniert vor sich hin. Ich muss ihm allerdings zustimmen: Diese Gegner hätte sicher Potential...als eigene Konstrukte.
„Warum ausgerechnet die Magier, und nicht Bogenschützen, die du schon länger kennst?“
Vertraue immer auf Kaschya, herumzukritisieren! Diese sitzt auf dem einzigen Stuhl des Zeltes, den der Meister ihr beim Hereinkommen angeboten hat. Ich bin mir sicher, dass das Eis zwischen den beiden Unikaten beginnt, zu tauen – was sehr gut ist.
„Nun, Kaschya, zum Bogenschießen habe ich ja dich!“
Er lässt den Satz kurz im Raum hängen. Dann grinst er.
„Scherz. Ich denke an Folgendes: Wir sind eigentlich gerade erst am Anfang unserer Reise, nach Andariels Tod werden wir dem Wanderer so schnell als möglich nach Osten nacheilen.
Und wer weiß schon, was uns dort erwartet? Denk doch mal an die Reihe von Dämonen, die wir bereits getroffen haben – Gefallene, die kein Problem mit Feuer haben, Missgestaltete, die immun sind gegen Blitze. Und Geistern machen physische Angriffe nichts aus!
Jetzt stell dir nur einmal vor, was noch für Monster auf uns warten könnten – was passiert, wenn in einem Gebiet nur schwerst gepanzerte Gegner mit einer Haut aus Stein herumlaufen?
Sollte ich aus irgendeinem Grund den Verstärkten Schaden nicht fluchen können – vielleicht wirkt er gar nicht, wer weiß? – dann haben wir keine Chance, diese Gegner zu besiegen.
Ein Giftgeschoß aber könnte den Stein auflösen, eine Eiskugel einfrieren!
Solche Magier in meiner Armee wären ein entscheidender Vorteil, ich wäre einfach flexibler.
Ein Zweites: Ich schätze nicht, dass du nach Andariels Tod weiter unsere treue Unterstützung aus zweiter Reihe bleiben wirst, sondern dich erst einmal um den Wiederaufbau in Khanduras kümmern wirst, wenn du also nicht mehr bei uns bist, haben wir keinen Fernkämpfer mehr in der Gruppe. Das ist von enormen Nachteil, darum sehe ich Magier schlicht als Notwendigkeit an.“
Kaschya denkt darüber nach. Dann nickt sie.
„In der Tat hast du absolut Recht. Ich hoffe für uns, dass du es schaffst, diese Skelettmagier zu erschaffen.
Jetzt mal etwas Anderes, nur so aus Interesse: Warum hast du mich eigentlich für heute Abend eingeladen?“
Der Meister lächelt.
„Nun, ich kann ja nicht nur die ganze Zeit alleine mit dem stummen Stockfisch da verbringen, nicht wahr?“
Vielen Dank.
„Da wir uns außerdem nach dem ganzen Ärger und der Aufregung heute einfach mal Ruhe verdient haben, dachte ich mir, wir verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen, machen uns einen gemütlichen Abend und planen ein wenig unseren Vorstoß in die Höhle des Löwen.“
Kaschya überlegt. Dann erscheint ein seltenes Lächeln auf ihrem Gesicht.
„Warum denn nicht? Planung ist immer gut!“
„Ausgezeichnet! Golem, hol uns doch was zu trinken, ja?“
Na super. Ach, eigentlich bin ich ja froh, dass der Junge viel freundlicher Kaschya gegenüber geworden ist.
Als ich eine Viertelstunde später – war gar nicht so einfach, den Leuten in der Lagerküche klarzumachen, was ich mit dem Wein wollte – mit Gläsern und „einem der besten Jahrgänge, sei bloß vorsichtig!“ zurück ins Zelt trete, sind die beiden in eine heftige Diskussion verstrickt.
„Ich sags dir, Andariel ist doch nicht dumm! Ein Skelett oder der Golem kann nie im Leben den Lockvogel spielen, sie wird sich in jeden Fall auf uns Menschen konzentrieren! Ich lenke sie ab!“
„Nein, Kaschya, das ist viel zu gefährlich, es muss doch eine andere Möglichkeit geben!“
„Die gibt es sicher, General – aber du weißt doch genau, dass eine Lockvogeltaktik am ehesten einen Erfolg garantiert! Warum sträubst du dich so?“
Dem Meister ist die Frage unangenehm.
„Na ja, weil...äh...du...“
„Weil ich eine Frau bin, oder was? Das ist ja wohl absolut...“
Da fällt dem Meister etwas ein, das lese ich aus seiner plötzlichen Erleichterung heraus, als er die Hand hebt und sie dadurch unterbricht.
„Natürlich würde ich nie deine Kompetenz in Frage stellen, schon gar nicht auf so einer lächerlichen Diskriminierung basierend...“
...wers glaubt...
„...aber wie ich schon sagte, Fernkampfunterstützung ist von essentieller Wichtigkeit in einem solchen Kampf, der sicher nicht leicht wird.
Die kannst du, selbst wenn ich es schaffe, Magier zu beschwören, liefern, logisch – und ich beispielsweise nicht.
Alles, was ich tun kann, ist neue Skelette beschwören, und wenn mich Andariel, wie wir es ja gerne hätten, verfolgt, dann muss ich das nicht, weil die Skelette dann unbehelligt sind.
Auch der Fluch ist natürlich ein Argument, aber der hält länger und muss nicht dauernd nachgezaubert werden.
Ich kann also schnell ihren erhaltenen Schaden verstärken, die Skelette wie geplant hinter einer Ecke verstecken, sie durch die Fluchwirkung auf mich aufmerksam machen, davonlaufen, und du trittst mit den Skeletten – die du dann auch gut leiten kannst, ist besser, als wenn sie autonom sind – hinter der Ecke hervor, schießt ihr in den Rücken oder so, das sollte sie von mir abbringen, und so lange beschäftigen, bis unsere Knochengestelle sie zerhäckselt haben. Gute Idee?“
Kaschya runzelt die Stirn. Dann nickt sie.
„Es gibt doch auch Sinn, ja. Du bist nicht schlecht als Taktiker, da kann man nichts daran ändern. Wir machen es so. Aber bedenke:
Kein Schlachtplan überlebt die erste Sekunde eines Kampfes.“
„Kaschya, Vorausplanung macht keinen guten Taktiker aus, sondern Improvisationsgabe. Demnach sollte nichts schief gehen können, nicht wahr?“
Au, wenn der General sich da nicht mal wieder gefährlich übernimmt...
Kapitel 62 – Vorbereitungen
„Deckard, mein Freund, ich fürchte, ich habe dich in letzter Zeit zu sehr vernachlässigt!“
Ach ja, der Meister war sicher zutiefst betrübt über diese Tatsache...
„Das macht doch nichts, General. Ihr scheint auch ohne den gelegentlichen Plausch mit mir gut zurechtzukommen!“
Der Meister grinst scheu.
„Ich dachte mir nur, wir könnten einen solchen auch mal wieder führen, die sind doch immer sehr aufschlussreich!“
Deckard lächelt zurück.
„Nun, das höre ich doch gerne, junger Freund! Über was möchtet Ihr denn gerne mit mir reden?“
Der Meister zuckt ein wenig zurück; offenbar war er nicht darauf vorbereitet, dass Deckard heute einmal die Initiative in seine Hände übergibt. Mal sehen, ob er tatsächlich gut improvisieren kann.
„Ach ja...stimmt. Reden. Über wichtige Dinge, versteht sind...“
...komm zur Sache, oder gib zu, dass du einfach was von ihm willst...meine nach unserer Abmachung wieder geformten Klauen ticken ungeduldig gegen die Lehne der Bank.
„...Andariel also, das wichtigste ‚Ding‘ in naher Zukunft.“
Gerade noch. Jetzt lächelt Deckard wieder auf diese verschmitzte Weise, nachdem er gerade konzentriert geblickt hat, und lädt den Meister mit einer Geste ein, sich neben ihm auf die Bank vor dem Lagerfeuer zu setzen.
„Andariel. Ihr seid euch bewusst, dass sie eines der großen Übel der Hölle ist?“
„Ich dachte, die drei großen Übel, wären Diablo, Mephisto, und Baal?“
„Ah, in der Tat. Aber es gibt noch vier kleinere Übel, die aber dennoch zu den großen gezählt werden, weil man sich mächtigere Dämonen einfach nicht vorstellen kann – außer eben die drei Brüder.
Andariel ist eines dieser vier Übel, zusammen mit Asmodean, Belial und Duriel. Ihr werdet feststellen müssen, dass sie beinahe unbesiegbar ist – allem Anschein nach zumindest.“
„Das stimmt mich jetzt aber zuversichtlich, Deckard...“
Mich auch. Aber sicher kein Problem, das sich mit genügend Kämpfern nicht beheben lässt, und von denen haben wir genug. Deckard lächelt aber schon wieder so verschmitzt.
„Ihr könnt auch gerne zuversichtlich sein, denn ich weiß von einer Schwachstelle Andariels.“
Der Meister wird hellhörig.
„Ach so? Das wäre natürlich eine sehr interessante Information...sehr interessant. Welche wäre das denn? Hinkt sie auf dem linken Bein? Ist sie allergisch gegen Tomaten?“
Deckard lacht.
„Nichts so Banales, wie Ihr euch sicher schon selbst überlegt haben werdet. Tatsächlich ist ihr Schwachpunkt eines der vier Hauptelemente, die es auf dieser Welt gibt: Das Feuer.“
Der Meister grinst.
„Also einmal eine Fackel auf sie geworfen, und der Rest ist Asche?“
„Nein, so einfach ist es natürlich nicht. Sie ist verwundbar wie Ihr und ich gegen normale, physische Angriffe; auch Eis und Blitz setzen ihr schwer zu.
Jedoch das Feuer allein kann sie ohne Probleme schnell besiegen, jede andere Angriffsform könnte sie weit weniger schlimm verletzen als die reinigende Kraft der Flamme.“
Jetzt lehnt sich der Meister erst einmal grinsend zurück. Dann sehe ich, wie er sich spannt; vermutlich ist ihm gerade ein Gedanke gekommen. Er lehnt sich wieder zu Deckard vor.
„Das sind erfreuliche Neuigkeiten, denn das gibt mir die Möglichkeit, eine Waffe von sicherer Tödlichkeit vorbereiten zu können...du wirst bemerkt haben, dass Kaschya mit Blutrabes Bogen ganz hervorragend Pfeile schießen kann, die beim Aufprall in einer Feuerwolke explodieren.“
Auf Deckards Nicken fährt der Meister fort.
„In der Tat glaube ich aber, dass das zu wenig ist; ein Narr, wer sich auf einen einzigen Plan verlässt. Wer weiß, was – der Himmel bewahre – Kaschya zustoßen könnte. Nun ist mir eine Idee gekommen, als ich im Gefängnis unterwegs war. Halt, nennen wir es lieber Inspiration.“
Ach, das war der Gedanke, der ihm gekommen ist – er sah eine Gelegenheit, dezent auf das Thema zu lenken, warum er Deckard ursprünglich überhaupt angesprochen hat.
Nach einer kleinen Erzählung der Ereignisse im Gefängnis, die ihn auf die Idee gebracht haben, Skelettmagier zu erschaffen, und einem kurzen Exkurs ähnlich dem, den er Kaschya präsentiert hat, über ihren Nutzen, kommt der Meister auf den Punkt.
„Solche Magier wären also nicht nur enorm praktisch, sondern auch noch überlebenswichtig. Und ganz besonders toll an der Geschichte: Es gibt Skelettmagier, die mit Feuerbällen schießen, das musste ich am eigenen Leib miterleben.
Jetzt wäre das eine hervorragende zweite Quelle dieses Elementes, um mit Andariel kurzen Prozess zu machen...ich habe nur ein kleines Problem.
Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie ich Skelettmagier erschaffen soll.“
Da lächelt Deckard wieder wissend; er sieht die unausgesprochene Bitte nach Hilfe in der Luft hängen.
Da redet der Meister plötzlich weiter.
„Also würde ich dich bitten, der du als Weiser der Horadrim sicher Erfahrung hast in Zaubern aller Art, auch elementarer Natur, dass du mir hilfst bei der Erschaffung solcher Diener, wenn es dir nichts ausmacht.“
Er hat sie ausgesprochen, die Bitte! Das überrascht nicht nur mich; auch Deckard ist kurz verunsichert.
Dann lächelt er mit ehrlicher Freude.
„Mein Freund, ich würde Euch sehr gerne in diesem Unterfangen unterstützen, so gut es meine Fähigkeiten zulassen. Zuerst möchte ich von euch gerne genau sehen, wie ihr Skelette erschafft, dann können wir darauf aufbauen, um die Technik für Magier zu verfeinern.“
Tatsächlich freut mich die Bitte des Jungen auch – zeigt er doch damit, wie sehr er sich langsam für die anderen Menschen öffnet.
Der arrogante Meister würde unter Folter nicht um etwas bitten, aber ein netter Junge tut dies natürlich – und ich bin sehr froh, wenn der Meister immer mehr zu einem netten Jungen wird.
Mein Meister war nie freundlich. Freundlichkeit ist sinnlos, wenn man die Macht auf seiner Seite hat.
Was, zweifelst du unseren Meister an, oder wie?
Irgendwie erinnert er mich immer weniger an meinen.