Tag 45
Liebes Tagebuch,
oh es ist so schrecklich. Wer bin ich? Bin ich denn nur die "Jägerin" die man einfach so mitschleppt? Sie haben es nur gut gemeint, ich weiss das ja zu schätzen...
Heute morgen fanden wir sie, die Geschenke. Auf einem war ein Schildchen angebracht, auf dem mit feinen Buchstaben "Fassel" stand. Aber mein Blick blieb an dem anderen Paket kleben. "Jägerin" stand auf dem Schildchen. Selbst während ich die Rüstung mechanisch anprobierte, konnte ich meine Augen nicht von dem Schildchen nehmen. Und noch immer prangen die Buchstaben vor meinen Augen. Jägerin.
Wer bin ich?
Zwischenspiel
Dunkelheit umfing sie. Sie hatte völlig die Orientierung verloren. Verzweifelt drehte sie sich um ihre eigene Achse, suchend nach einem Anhaltspunkt, der ihr in der Dunkelheit den Weg weisen mochte.
Zitternd sank sie nieder. Da war nichts. Wo war sie? Und wie war sie hier her gekommen? Wo waren die Anderen? Welche Anderen? Wo waren die Gegner hin? Welche Gegner? Wo war ihre Ausrüstung? Welche Ausrüstung?
Verzweifelt sah sie sich nach Lancelot Wer ist Lancelot? um. War er nicht eben noch direkt neben ihr gewesen? Wann soll das gewesen sein und wo?. Tränen liefen ihre Wangen hinab und Vergessen kam über sie. Bilder von Menschen passierten ihre Erinnerung und verschwanden. Kenne ich diesen Barbaren? Ein letzter Aufschrei ihres Bewusstseins Wer bin ich?, ein letzter Versuch, es abzuwenden Wo bin ich?.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war und es spielte auch keine Rolle. Dann, ein Lichtschein von der Grösse eines Stecknadelkopfes. Wie in Trance stand sie auf Es ist wunderschön... und bewegte sich auf den Punkt in der Ferne zu. Langsam wurde er grösser und sie fühlte Wärme in sich aufsteigen. Gleich würde sie in Sicherheit sein.
Paige
Sie erstarrte. Das ist mein Name? Langsam drehte sie sich um.
Tränen liefen dem Barbaren übers Gesicht. Er schämte sich nicht dafür, denn auch die Anderen hielten ihre Trauer nicht zurück. In seinen Armen lag der schlaffe Körper einer Jägerin. Sie war zu dicht gewesen. Die neue Rüstung hatte sie nicht retten können. Als Nilathak die Leichen seiner Diener hatte explodieren lassen, war sie zu Boden gegangen. Willi hatte alles versucht, doch es war zu spät.
Vorschtig legte Hruthgar die Leiche auf eines der Lager bei Malah. Lancelot kniete neben ihr und begann zu beten.
"Das muss nicht das Ende sein."
Alle drehten sich wie auf Stichwort zu Malah um.
"Wie meinst du das?" Samira sah Malah erwartungsvoll an und ein kleiner Hoffnungsschimmer wagte sich in ihre tieftraurigen Augen. "Geht zu Qua-Kekh. Es ist ihre Entscheidung, aber nur er kann sie vor die Wahl stellen." Hruthgar fragte nicht einmal, was Malah damit meinen möge. Zärtlich hob er den schmächtigen Körper auf und machte sich auf den Weg.
Qua-Kekh sah die Prozession kommen und er wusste was sie wollten. Er hatte bereits vom Tod der jungen Söldnerin gehört. Der Barbar legte sie zu den Füssen des Söldnerführers nieder.
"Wie ist ihr Name?" Qua-Kekh blickte die Helden an. "Ähm...also...nunja...ich weiss nicht." Lancelot war irritiert. So lange reisten sie schon miteinander und er wusste nicht einmal ihren Namen? Doch auch die anderen Helden schienen ihre Probleme mit dem Namen der Jägerin zu haben. Sie war eben immer nur "die Jägerin" gewesen. Fassel durchbrach die Stille: "Sie heisst Paige." Paige. Willi wühlte in seinem Gedächnis doch er konnte sich nicht dran erinnern, ihren Namen je zuvor gehört zu haben.
Sie erkannte den Schatten eines Mannes und ihr Unterbewusstsein schrie ihr zu, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte.
Erinnerst du dich an mich?
Nein...Ja...Ich weiss nicht...
Ich bin Qua-Kekh.
Harrogath.
Ganz genau. Erinnere dich.
Die verschwundene Erinnerung kehrte zurück. Sie waren bei Nilathak gewesen. Und dann war da dieser Schmerz...
Bin ich tot?
Ja, bist du. Aber du musst es nicht sein.
Wie meinst du das?
Es ist deine Entscheidung. Ich kann dir nur den Weg weisen. Siehst du das Licht dort?
Ja.
Dort wartet das Vergessen. Der endgültige Tod. Trittst du in das Licht, kann keine Macht der Welt dich noch zurückholen.
Und der andere Weg?
Der andere Weg führt durch die Dunkelheit. Er lässt dich zurückkehren. Du musst die Dunkelheit nicht fürchten, denn ich werde dich führen.
Sie dachte nach. Was erwartete sie schon im Leben? Ewig im Schatten der Helden, die nicht einmal ihren Namen kannten. Immer nur das Anhängsel. Schmerz und Entbehrung. Da schien das warme Licht doch viel einladender. Sie wendete sich von Qua-Kekh ab und machte einen Schritt auf das Licht zu. Bilder aus ihrem Gedächnis spielten sich wie ein Film vor ihren Augen ab. Sie sah die Helden. Hruthgar, wie er ihr den ersten Bogen gab, den sie wirklich führte. Lancelot, wie er ihr die Hand auf die Schulter legte und ihr zu dem hervorragenden Schuss gratulierte, den sie auf Mephisto abgefeuert hatte. Samira, wie sie lachend den Spiegel vor das frisch geschminkte Gesicht der Jägerin hielt und sagte, nun würde sie die Herzen aller Männer brechen. Willi, wie er verzweifelt um ihren Rat fragte, wie er Samira gewinnen könnte. Fassel, wie er ihr das bessere Stück Fleisch zuschob als sie in der Festung des Wahnsinns hungrig über die Vorräte des Grosswesirs herfielen.
Sie drehte sich wieder um. Plötzlich schienen ihr die Entbehrungen und Schmerzen des Lebens gar nicht mehr so schlimm. Sie war nicht nur ein Anhängsel. Die Welt da draussen mochte sie als einfach Söldnerin sehen, die nunmal ihre Arbeit tat, aber sie war mehr. Sie war Teil dieser Gruppe und die Anderen sahen in ihr ebenso eine Heldin wie sie selbst es waren. Für sie waren die Jägerin und der Wüstensohn nicht nur Söldner.
Sie griff die Hand von Qua-Kekh und folgte ihm durch die Dunkelheit zurück ins Leben.