Kapitel 33 – Bindungsstress
Deckard scheucht die Leute weg und beugt sich über mich; ich winke ihn weg, dann stehe ich auf, knarzend. Fast falle ich auf ihn.
„Golem, was ist passiert?“
Ich hebe hilflos die Hände.
„Der Dschungel hat etwas gegen mich, würde ich sagen. Ganz eindeutig etwas gegen mich. Aber das ist schon in Ordnung, solange ich noch stehen kann...gerade so...“
Er stimmt die Hände in die Seiten.
„Du musst mir erzählen, was passiert ist. Welche Art von Monster könnte dir so schwere Wunden zugefügt haben? Es ist doch kein Feuer, das das angerichtet hat!“
Vorsichtig versuche ich, ein paar Schritte zu machen; dabei bröckelt Schlamm in Massen von mir ab. Ein paar Schaulustige weichen hastig zurück.
„Ich will gar nicht wissen, wie ich aussehe...Deckard, ich erzähle dir gerne später Alles, falls wir Zeit dafür finden, Jetzt habe ich allerdings einen Ruf zu beantworten, und auf diese Antwort wartet man schon länger.“
Er geht neben mir her, wobei es wirklich nicht schwierig ist, mir zu folgen.
„Der General hat dich schon länger zurückgerufen? Warum hast du dann kein Stadtportal benutzt? Sind die Monster da draußen so gefährlich, dass du es nicht riskieren wolltest?“
„Heh. Daran habe ich gar nicht gedacht, als ich eigentlich zurückkehren wollte, um ehrlich zu sein. Woran ich aber gedacht habe, ist, wie blöd ich eigentlich war, dass ich gar keines mitgenommen habe!“
Erst, als er wieder neben mir auftaucht, bemerke ich, dass er kurz stehen geblieben ist. Meine Gedanken gehen wirklich langsamer als sonst.
„Warum hast du nicht einfach eine der Rollen von...'Tees'...benutzt?“
Ich sehe ihn schief an, währenddessen sicherstellend, dass wirklich Niemand zuhört; die Leute haben sich aber verzogen..
„Du weißt doch sicher, dass Natalya den ganzen Tag lang hier war, oder? Ich war allein in dem verdammten Dschungel!“
Deckard lächelt milde ob meines Ausbruchs und legt mir die Hand auf die Schulter.
„Ich weiß das, Golem. Aber dein Meister weiß es nicht – und soll es auch nicht wissen, oder?“
Jetzt bleibe ich stehen.
„Also würde ich mir an deiner Stelle eine Antwort auf diese Frage einfallen lassen, mein Freund.“
Kopfschüttelnd nehme ich mein Gehen wieder auf.
„Deckard, danke, dass du mich darauf hingewiesen hast. Aber ich bin im Moment...wirklich verwirrt. Fällt dir nicht...“
Er seufzt.
„Wie soll ich wissen, was der General erfahren darf und was nicht in euerem kleinen Verwirrspiel?“
Stumm trotte ich weiter, aber ich kann mich einfach nicht konzentrieren...was haben diese Tentakel nur...
„Etwas Anderes. Wie hast du den Wegpunkt denn genannt?“
„Eh? Ach so, den...das war...'verdammtes, dreckiges, ekelhaftes Großes Moor'.“
„Inbrünstig. Nun denn, Golem – ich werde dir helfen, auch, wenn ich nicht ganz verstehe, was die Aufregung um dieses Thema eigentlich soll. Ich hoffe, du kommst derweil alleine klar, denn ich muss deiner Freundin ein paar Dinge sagen.“
Und schon ist er weg. Wenn ich mich jetzt umdrehe und ihm hinterherrufe, was er damit gemeint hat, falle ich sicher um...
Na, das ist jetzt wieder logisch. Wie soll Nat denn vor uns im Dschungel sein, wenn sie nicht weiß, wie der Wegpunkt heißt?
Oh...
Daran hätte ich wohl denken sollen...
Du bist ausnahmsweise entschuldigt. Wobei ich nicht weiß, ob du mit klarem Kopf auch drauf gekommen wärst.
Hm.
Endlich habe ich die Tür unserer Hütte erreicht. Ich stütze mich schwer auf den Knauf. Langsam gehe ich hinein. Sicher wartet der Meister schon ungeduldig auf mich...wie soll ich mich denn jetzt entschuldigen...? Hm, warum ist es denn hier so dunkel...schummriges Licht schimmert durch die geschlossenen Vorhänge, und ich erkenne kaum etwas deswegen.
„Golem?“
„Ja, General. Es tut mir so Leid, dass ich zu spät bin...“
„Mir auch, du glaubst nicht wie! Jetzt binde mich um Himmels Willen los!“
Uh...
Hahahahahahahahahaha!
Als ich beginne, Details auszumachen, stehe ich erst einmal reichlich bedröppelt da. Der Meister liegt splitternackt auf seinem Bett, jede Gliedmaße mit einem Seil an einem Bettpfosten festgebunden, der linke Arm am Tisch daneben, weil der Pfosten dort abgebrochen ist. In einem Haufen liegt seine Ausrüstung am Boden verteilt. Fast stürze ich los, dann fällt mir mein Zustand ein, und ich gehe langsam zu ihm.
„Was ist denn mit dir passiert?“
Wir halten kurz inne, als wir bemerken, dass wir genau das Gleiche zueinander gesagt haben. Dann zerreiße ich erst einmal das Seil, das seinen rechten Arm hält; leider rieselt etwas Erde auf das Kissen...
„Ich...man hat mich...nun ja. Erzähl du zuerst.“
War das Natalyas großartige Idee, ihn festzuhalten? Sie hatte versprochen, ihn nicht zu verletzen! Jetzt sieh dir seine Handgelenke an! Methodisch befreie ich ihn, kopfschüttelnd.
Ach, das Einzige, was bei ihm wirklich dauerhaft verletzt ist, dürfte sein Stolz sein, würde ich sagen. Und wenn ich mich nicht ganz täusche, hat sie auch dafür gesorgt, dass er die Seile sicher am wenigsten gespürt hat.
Ich glaube, das musst du mir genauer erkläutern, wenn ich wieder schneller denken kann...ein wenig übervorsichtig beim Sprechen beginne ich, ihm zu erzählen, was der Dschungel für mich bereitgehalten hat.
Derweil setzt er sich auf, erst einmal die Seile mühsam entknotend, nachdem er sich notdürftig mit dem zerknüllten Laken bedeckt hat, dann scheucht er mich los, seine Kleidung zu holen.
„Mensch, Golem. Äh. Ich war sicher eine ganze Stunde hier angebunden, nachdem Nat gegangen ist, was hat dich so lange aufgehalten?“
Ich halte inne. Das...kann nicht stimmen. Er neigt doch nie zu Untertreibungen?
„Eine halbe Stunde? Ich war doch ganze drei Stunden und vierunddreißig Minuten im Dschungel unterwegs...“
Als ich mich aufrichte, seine Unterwäsche präsentierend, ist sein Gesicht knallrot.
„Nun...die meiste Zeit war Nat ja noch hier...“
Mein Kopf legt sich fast ohne mein Zutun schief.
„Ihr habt die ganze Zeit geredet, und dann hat sie dich angebunden?“
Er schüttelt den Kopf.
„Nein, nein! Sie hat mich fast sofort, nachdem du aufgebrochen bist, gefesselt!“
Sein Hemd fällt zu Boden, umständlich hebe ich es wieder auf.
„Du bist erst vor...nicht ganz einer Stunde, dreiundfünfzig Minuten, darauf gekommen, mich zurückzurufen? Nicht sofort, wie sie dich gefesselt hat?“
„Äh.“
Er wird noch röter. Was ist los, wird ihm warm, jetzt, wo er mehr anzieht?
„Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, dich zurück zu holen, bis sie mir beim Gehen die Idee dazu gegeben hat. Vielleicht war ich...zu abgelenkt dazu.“
„Jetzt warte mal. Ich bin im Moment ein wenig langsam, also kann das der Grund sein, dass ich dich nicht verstehe, aber du willst mir doch nicht sagen, dass sie es geschafft hat, dich zwei Stunden und einundvierzig Minuten lang in gefesseltem Zustand hier gelassen hat – und bei dir geblieben ist – ohne dass dich das so gestört hätte, dass du auf den Gedanken gekommen wärst, mich zu holen?“
Er schmollt.
„Offensichtlich. Meine Hose, bitte. Jetzt bist du aber wieder dran. Wie lief die Zusammenarbeit mit Tees?“
Immer diese direkten Fragen, hm?
„Um ehrlich zu sein war sie keine große Hilfe.“
Er streift seine Schuhe über.
„Das habe ich mir fast gedacht. Wartet sie wieder im Dschungel?“
„Sollte sie zumindest.“
„Na, da bin ich aber mal gespannt. Hat sie was dazu gesagt, dass du alleine gekommen bist?“
„Nein, kein Wort.“
„Sie hat gar nicht mit dir geredet, oder?“
„Natürlich nicht! Ich bin doch nur ein von schwarzer Magie erschaffener Diener!“
Er lacht, als er den Helm aufsetzt; Riff umfahren.
Scheinbar kann man mit Humor doch mehr Probleme lösen, als ich dachte...
Hm. Wobei ich mich echt wundere, warum er eigentlich so gute Laune hat. Mich hätte doch ein wenig gestört, was Nat offenbar mit ihm angestellt hat!
Dein „offenbar“ ist aber nicht, was wirklich passiert ist. Ach ja, meine Prophezeiung ist also eingetroffen, ich hab ganz genau gewusst, was sie vorhatte.
Du hast...das erwartet? Das nehme ich dir nicht ab.
Weil dir gewisse Informationen fehlen, die dir auch weiterhin noch fehlen werden. Bis du Jemand fragst. Und das wird lustig.
Bin ich froh, dass du ein gutes Ziel für meinen Hass bietest, sonst würde der sich wirklich noch an Stellen entladen, die mir nicht gefallen.
Der Meister ist ausgerüstet.
„So, jetzt kümmern wir uns aber um dich. Was zur Hölle hat eigentlich diese ganzen Verletzungen verursacht?“
„Tjaa...das kann ich gleich mit einer Warnung verbinden...“
Während er langsam seinen Stab über meinen Körper wandern lässt und alle Dellen, Verbrennungen und Risse auslöscht, erzähle ich ihm von den Seelen. Er wird immer ernster.
„Das klingt nicht sehr gesund. Wie ging es Tees denn mit ihnen?“
„Diese Blitze haben sie überhaupt nicht getroffen. Die Frau ist unglaublich schnell.“
„Pf, da bin ich ja mal froh, dass ich ein paar Knochenschilde um mich haben werde...ach ja, wie lief es mit denen?“
Ich senke den Kopf.
„Alle vernichtet.“
Er presst die Lippen zusammen.
„Waren sie überhaupt eine Hilfe?“
Ich nicke empathisch.
„Ohne hätten wir das nie geschafft.“
„Dann ists ja gut.“
Er steht auf und streckt sich, wieder dieses zufriedene Lächeln aufsetzend.
„Pass auf, ich hab unglaublichen Hunger. Warum gehst du nicht schon einmal voran und sagst Tees, dass ich gleich komme? Derweil kauf ich mir eins von diesen Brötchen auf dem Markt, die haben mich vorgestern schon so angelacht.“
„Oh, nur zu gerne. Guten Appetit!“
Na, so ein Glück.
Haben wir wirklich.
Draußen herrscht Aufruhr, die Leute schreien wild durcheinander; manche knien am Boden, die Hände zum Himmel ringend. Eigentlich will ich im Laufschritt – es funktioniert Alles wieder, jetzt kommts mir erst! Ich fühle mich wie frisch erschaffen! - zu Nats Hütte, aber...ich trete zu Ormus, der dem ganzen Treiben von außen, aber sehr ernst zusieht.
„Was ist denn hier passiert?“
„Ormus grüßt dich auch herzlich, Golem. Nun, gerade wurde der ganze Platz hier mit spontaner Blindheit geschlagen. Niemand sah mehr etwas. Ormus wollte etwas dagegen unternehmen, aber bevor er es richtig begriffen hatte, war der Spuk auch schon wieder vorbei. Ich frage mich, was ich davon halten soll...aber es kann nichts Gutes bedeuten. Noch Niemand weiß davon, aber...“
Er beugt sich zu mir und ich lasse mich näher heranziehen.
„...die Barriere, die den Dschungel daran hindert, auch noch die Docks zu überwuchern, wird langsam schwächer. Ich weiß nicht, wie lange sie noch hält. Das Schlimmste ist: Ormus könnte vielleicht etwas dagegen tun – aber die Hauptarbeit bei der Errichtung hatte Hratli...und ohne ihn will ich Nichts versuchen. Könnte dein Meister nicht mit ihm reden? Ich will nicht mehr Worte mit dieser geldgierigen Schlange wechseln, als nötig ist.“
Spontane Blindheit...? Tatsächlich, der Wegpunkt wurde gerade benutzt. Das heißt, es war Nats Werk. Müssen wir uns also keine Sorgen machen.
Und he, ich kann wieder klar denken.
In zweierlei Hinsicht interessant, deine Aussage. Erstens, weil dein physischer Zustand offenbar direkt auf dein Gemüt schlug, und die rein körperliche Heilung auch deinem Geist half – ergo ist wieder ein möglicher Beweis für deine Seelentheorie in Luft aufgelöst worden, die Berührung der Tentakel muss nicht direkt deine Verwirrung ausgelöst haben.
Zweitens hast du Unrecht. Klar gedacht war das nur an der Oberfläche. Wir müssen uns nämlich schon Sorgen machen.
Aber wenn das gerade Nat war, dann ist die Barriere doch...
...eindeutig am Versagen. Merkst du nicht, was hier vor sich geht? Ormus verabscheut Hratli doch tatsächlich so sehr, dass er das Leben aller hier aufs Spiel setzt, nur, weil er nicht persönlich mit ihm sprechen will! Ist das vielleicht normal? Nein, der Hass hier steigt. Und das ist doch gewissermaßen bedenklich, findest du nicht?
Oh, verdammt.
„Ähm, Ormus...“
„Was steht...schuldigung...ihr denn alle so rum hier?“
Der Meister legt mir den Arm um die Schulter, kauend. Ich erstarre. Oh, verdammt. Jetzt habe ich doch tatsächlich meinen Zeitvorsprung nicht nutzen können.
Ist doch nicht so schlimm, immerhin hat Nat es ja rechtzeitig in den Dschungel geschafft, auch ohne unsere Hilfe.
Oh...
Ormus setzt zu einer Erklärung an, aber der Meister grinst.
„Schon gut, ich weiß, ich hätte eigentlich schon die ganze Zeit im Dschungel sein sollen und weiter die Welt retten, aber etwas hat meine Aufmerksamkeit gefesselt. Macht euch keine Sorgen, mein Freund hier hat die Sache geschaukelt! Hurra für den Golem!“
Verhaltenes Klatschen dringt von überall her, als die Leute, die nicht beten, sehr verwirrt seiner Anweisung folgen. Er sieht sich um.
„Wo ist denn das Portal?“
„Ähm...wir haben den nächsten Wegpunkt gefunden.“
Er strahlt. Und stellt keine weiteren Fragen. Heute ist wohl doch mein Glückstag.
„Super! Name?“
Er kichert, als ich ihn mitteile, und ich werde mitgerissen, als er verschwindet.
Moment...Moment! Was ist mit den Wasserwächtern? Ich mache mich bereit...
„Hallo, Tees. Huh, wie siehts denn hier aus? Was für ein netter Empfang.“
Halb über den Wegpunkt liegt ein Tentakel, der Kopf nur ein paar Meter daneben, eine tiefe Wunde im Kiefer. Durchscheinend in voller Rüstung steht Nat gerade auf; sie kniete mit dem Rücken zu uns, als wir ankamen. Über und über bedeckt sie Blut und Schlamm in etwa gleichen Anteilen; darunter sind ihre Konturen deutlicher sichbar als wo ein paar saubere Stellen geblieben sind. Sie hustet gekünstelt.
„Dein Golem war ein wenig übereifrig, als er mich hier allein gelassen hat, um auf dich zu warten, General. Diese Dinger haben mich doch ein wenig unangenehm überrascht.“
Er nimmt noch einen Bissen von seinem belegten Brot.
„Daf if ja fief von ihm gewefen. Mf. Wie kann er nur. Und wie können diese Dinger nur.“
Er tritt gegen den toten Kopf; dann beschwört er achtlos einen Wächter daraus.
„Deine Fröhlichkeit regt mich auf, General. Wir haben den ganzen Morgen in der Hölle verbracht. Was hast du derweil gemacht? So, wie du dich aufführst, die Hälfte der weiblichen Bevölkerung der Docks verführt.“
Ach, das können auch Männer mit Frauen...? Oh, jetzt zuckt er aber zusammen. Heißt das, er hat das mit Nat gemacht? Sie gebeten, seine Schuhe für ihn auszuziehen?
Wenn du wüsstest, wie sehr ich mich gerade über dich amüsiere, müsstest du so vor Scham im Boden versinken wollen wie er gerade...
„Äh, so gern ich euch natürlich geholfen hätte, mir waren leider die Hände gebunden. Nun sagt mal...was ist das denn?“
'Tees' schnaubt, während er sich bückt, um den Wächterschild aufzustellen. Dafür, dass sie weiß, was er die ganze Zeit getrieben hat, spielt sie wirklich gut – aber das war natürlich zu erwarten. Die Sache klappt.
„Ist der etwa ganz geblieben?“
Sein Brötchen ist verschwunden; huh, der hatte Hunger. Ich trete zu ihm und hebe den treuen Schutz hoch.
„Ja, tatsächlich. Diese Dinger können Säure spucken, haben damit den Körper weggeschmolzen, aber das Schild ist ganz geblieben...ich habe mich auch sehr gewundert, aber es war doch überaus nützlich. Nachdem ich das Schwert nicht mehr 'ziehen' konnte, habe ich den hier als Schutz und Waffe benutzt!“
Er legt den Kopf schief.
„Ach, und das lief gut?“
„Sehr gut sogar!“
„War sicher unbequem zu halten. Hm...ich weiß, warum das Schild noch ganz ist: Der Wächter ist nicht vernichtet worden. Schaut her.“
Ohne sein Zutun bewegt sich der Rest des Unterarms, der noch an der mit der Rückseite verschmolzenen Hand verbunden ist. Oh.
„Als hätte er überleben wollen. Ich muss diese Variante widerstandsfähiger gemacht haben, als ich dachte.“
Scheinbar sogar widerstandsfähiger als einen gewissen Golem.
Ruhe...beschützen um jeden Preis. Unglaublich. Aber diese Grundzähigkeit besitzen die Wächter nicht schon immer. Er ist wirklich besser geworden durch das Studium dieses Wälzers. Er merkt es nicht einmal.
Der Stab des Meisters klopft sanft gegen die Skeletthand.
„Na komm. Lass fallen. Du hast deine Aufgabe gut erfüllt...und wirst ihr auch weiterhin noch dienen...“
Nat kniet sich neben ihn.
„Hilft das was, wenn du mit ihm redest?“
Er grinst.
„Dem Wächter nicht, der hat keine Intelligenz, um mich zu verstehen. Aber mir hilft es beim Konzentrieren. Bitte!“
Der Armrest zerfällt zu Staub. Als ich mich näher heranbeuge, sehe ich, wie die Hand zu einem echten Griff geworden ist. Vorsichtig schlüpfe ich mit meiner rechten hinein; sie passt perfekt.
„Na denn, noch ein Wächter. Das dürfte äußerst nützlich sein gegen diese...'Düsternissen'. Seehr kreativ, Golem. Sehr kreativ. Dann gebt mir mal die Richtung vor, ihr beiden, wir ziehen sogleich weiter!“
Er pfeift, als er uns hinterhergeht, den Regen und den Schlamm völlig ignorierend. Natalya tritt neben mich und murmelt mir halblaut zu.
„Du warst ganz schön lange weg...“
Ich murmle zurück.
„Tja, ohne ein Stadtportal konnte ich nicht früher zurückkommen...“
„Du hast es vergessen?“
Von hinten kommt ein Ruf zurück.
„Was vergessen?“
Nat dreht sich um.
„Dein Golem meint, er könnte sich nicht mehr daran erinnern, was du gerade gemacht hast, als er dich gefunden hat!“
„Tut mir ja Leid, weißt du eigentlich, wie sehr sich diese ganzen Dellen auf meine Fähigkeit, klar zu denken, ausgewirkt haben?“
Der Meister lacht gequält.
„Na, ist ja gut, dass wir dich jetzt wieder aufgefrischt haben...und sei doch nicht so neugierig, Tees...“
Sie schnaubt wieder und geht dann brüsk neben mir weiter. Ich intoniere einen Seufzer.
„Gut gerettet.“
„Da ich weiß, wie ich ihn zurückgelassen habe, war das wirklich die beste Methode, um ihn zum Schweigen zu bringen.“
Ich hebe in meiner Schulterzuck-Ersatzgeste die Hände.
„Das stimmt wohl. Nun, um auf deine Frage zurückzukommen, tatsächlich hast du ihn ein wenig zu schnell gepackt, um mich noch daran denken zu lassen. Ich musste den Wegpunkt finden...und es war nicht leicht...“
Pass mal auf, wie weit er hinter euch ist!
Ja, ja, ich höre genau hin.
Dann erzähle ich Nat Alles, was sie wissen muss. Gelegentlich entlockt es ihr ein leises Pfeifen. Ich bin gerade fertig, als der Meister, den ihn begleitenden Wächter mit durch den Schlamm zerrend, neben uns auftaucht.
„Sagt mal, habt ihr nicht mehr Leichen hinterlassen oder so?“
Wir starren ihn beide eiskalt an, was sein Grinsen vom Gesicht wischt, obwohl er weder ihren noch meinen Gesichtsausdruck lesen kann.
„Du kannst gerne zurück gehen und im Nebel danach stochern, General.“
Tsts, wie rüde von dir.
Er fällt zurück, ein wenig schmollend. Gah. Das war wirklich ein wenig überreagiert. Wissen, was da hinten Alles vorgefallen ist, kann er ja nicht. Ob das...
Nein, das war sicher nicht Mephistos Einfluss. Du bist einfach nur Grundunausstehlich.
Langsam lichtet sich der Nebel, und ein Stein fällt mir vom Herzen. Es scheint, dass ich ganz allein das Große Moor bezwungen habe...und damit dem Meister und Natalya tatsächlich die Seelentortour ersparen konnte.
Ja, aber was lauert voraus? Je näher wir Mephisto und seinen Brüdern auf die Pelle rücken, desto größer wird der Widerstand werden...
Danke, dass du auch diesen kleinen Lichtschimmer zerstört hast. Vielen herzlichen Dank.
Du darfst nicht zu fröhlich werden. Der Meister auch nicht. Das macht mich krank.