Kapitel VIII - Teil III
Ein Schatten neigte sich zum Ohr ihres Herren, schemenhaft, kaum zu fassen, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen, blieben ihr nur die blassen Lippen, die sich dem Ohr näherten und schließlich, fast unbewegt, ihrem Herren Informationen zutrugen, einflüsterten. Die Gerüchte des pulsierenden Lebens auf den Strassen von Lut Gholein wurden so ihrem Herren zugetragen, seine Schatten streiften durch die Strassen und schnappten Neuigkeiten und Tratsch auf, fingen ein, was ihrem Herren nützlich schien, um es ihm dann leise flüsternd, so, wie die Frau, die jetzt neben ihm stand, es tat, zu erzählen, was sich in seinem Herrschaftsbereich zutrug.
Ihr Herr nickte sanft, fast unmerklich, doch sie erkannte es an der zitternden Bewegung seiner Kleidung und die flimmernden Reflektionen auf dem schweren Samt. Alsdann lösten sich die bleichen Lippen wieder von dem Ohr des Herren, zogen sich zurück, zurück in die Dunkelheit, drückten sich in den Schatten der Wand und nur leise Schritte verrieten, dass die Frau den Raum verließ.
Sie wartete mit gesenktem Kopf auf den Klang der Stimme, sehnte sich wie ein Hund nach dem lobenden Wort des Herren, fürchtete die strafende Stimme, zitternd in Ehrfurcht.
Nur schwer gelang es ihr heute, ruhig zu knien, versuchte unmerklich, Gewicht zu verlagern. Heute wartete sie beinahe unerträglich lange auf ihre neuen Befehle!
Als er dann zu sprechen begann, seine tiefe, leise Stimme heiser durch den Raum schwang, ihn er- und ganz ausfüllte, war es für sie wie eine Erlösung.
„Màcha, ich bin sehr zufrieden mit dir“, er hob gütig die Hand, „du hast deine Aufgabe gut erfüllt, ich bin stolz auf dich.“
Sie frohlockte. Ihr Augen glitzerten in verklärter Erwartung der kommenden Ereignisse.
„Màcha, du hast dir etwas Ruhe wohl verdient, aber gewisse Neuerungen machen es unmöglich. Das Zielobjekt ist in Lut Gholein gesichtet worden, bring sie mir! Sie ist in Begleitung von zwei anderen Objekten, kümmere dich nicht um die Beiden, schalte sie aus, wenn sie dir im Weg sind, aber bring mir... bring es mir! Willst du deinem Herren diesen Gefallen tun?“, zuckersüß drang seine bittende Stimme an ihr Ohr, oh ja, und wie sie ihm den Gefallen tun wollte!
Glücklich nickte sie und beugte sich noch tiefer über den kalten Marmorboden.
„Ah! Du machst mich glücklich, Kriegsherrin...“, ein Griff in eine Falte seines Samtmantels förderte etwas zu Tage, was er ihr unumgehend vor die Füße warf, „hier, deine Belohnung für deine guten Dienste!“
„Oh danke, danke, Herr“, Màcha verbeugte sich noch einmal, ergriff blitzschnell den kleinen Gegenstand und verließ dann rückwärts gehend den Raum.
Ihre Hand schloss sich fest um die grün-braune Substanz, die allmählich bröckelte.
Sie verließ den Saal ihres Herren und huschte in ihre Kammer, die nur ein paar Ecken entfernt vom großen Audienzsaal war. Dort setzte sie sich auf ihre Pritsche und hastig, zu hastig stopfte sie sich die Substanz in den Mund.
Auf die Wirkung musste sie nicht lange warten.
So ließ sie sich für die nächsten Stunden langsam in die süße Schwere gleiten, während die Weichheit aller Welt sie umfing.
Als sie erwachte, schlug sie die Augen zu. Das Dröhnen in ihrem Kopf und das Brennen in ihrer Kehle quälte sie aber so inständig, dass sie sich überschnell aufsetzte und zu dem Krug Wasser griff, welcher auf dem kleinen Nachtisch neben der Pritsche stand.
Gierig schüttete sie die kühlende, frische Flüssigkeit in sich hinein, doch ihre tauben Lippen und ihre übermäßige Gier ließen den größten Teil des Wassers neben ihrem Mund an ihrem Gesicht herabfließen,
Doch sie spürte die kalte Nässe an ihr und ihrem Bettzeug nicht, die an ihrem Körper klebte, wie ein garstiger Parasit.
Das wenige Wasser, welches ihre Kehle erreicht, ließ sich nur mühsam schlucken und verklebte ihr den Magen.
Dieser revoltierte prompt gegen das kalte Wasser, das ruckartige Aufsetzen und forderte seinen Tribut.
Würgend erbrach sie sich auf den kühlen Fliesenboden.
Vergebens tastete sie nach einem Rest Wasser im Krug, wütend, dass sie ihn nicht fand, schleuderte sie das Tongefäß gegen die Zimmerwand.
Mit einem lauten Krachen zerscholl der Krug an der Wand, ein ganzer Schwarm von Splittern ergoss sich über sie, ihr Bett und den Boden.
Dabei wurde sie von einer weiteren Wehe von Kopfschmerzen durchzogen und ihre Muskeln schüttelten sich in Krämpfen.
Schwankend erhob sie sich, tastete fast blind in einer Wandnische nach ihrem Schienbeinschutz und ihren Schulterpolstern, die sie als hochrangige Persönlichkeit auswiesen.
Nachdem sie die Rüstungsteile geschüttelt und notdürftig von Scherben befreit hatte, streifte sie sich die Sachen über und taumelte aus ihrem Zimmer.
Auf dem Flurgang traf sie einer ihrer Mädchen, ungelenk stolperte sie auf sie zu und packte sie an der Schulter.
Grob schob sie die verängstigte Kleine durch ihre Zimmertür.
Beim Anblick des verwüsteten Zimmers und dem seltsamen Verhaltens ihrer Kriegsherrin war die Kleine Schwester in Ausbildung vollkommen verwirrt.
Unsicher schwankte ihr Blick zwischen dem Zimmer und ihrer Herrin hin und her.
Diese brauchte etwas, bis ihre gelähmte Zunge wieder ihren Befehlen gehorchte, doch schließlich stieß sie brummelnd einen barschen Befehl hervor:
„Räum das hier auf, aber ordentlich, verstanden?“
Ein Speichelfaden troff aus einem Mundwinkel, als sie die Kleine Schwester fixierte.
Das Mädchen nickte hastig und als ihre Herrin schwankend und taumelnd den Flur hinabstürzte, nur, um sich in dem nächsten Kübel abermals zu übergeben, trat sie mutig einen Schritt vor und öffnete das winzige vergitterte Fenster, in der Hoffnung, dass der bestialische Gestank etwas nachgelassen haben würde, wenn sie mit heißem Wasser und Putzzeug zurückkehrte.
Sie erwachte zum zweiten Mal an diesem Tag, nur diese Mal kopfüber in einem Pflanzenkübel, ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von den giftigen Stacheln des eigentlichen Besitzers des Kübels entfernt.
Wohl wissend, welch unangenehmen Folgen ein Stich haben könnte, bewegte sie sich so vorsichtig, wie sie konnte zurück, was sich nicht als einfach entpuppte, da ihre Glieder noch zitterten und ihr noch nicht ganz gehorchten.
Mit ungelenkten Schritten taumelte sie durch den Gang hinaus in den sonnenbeschienenen Innenhof und tauchte ihren Kopf kurz gänzlich in den Springbrunnen, der leise murmelnd den erhitzten Hof kühlte.
Durchnässt und prustend kam sie wieder hoch, als sie jemand sanft an der Schulter berührte.
Chasim, der Diener in diesem Abschnitt des Palastes, war voller Sorge auf sie zugeeilt und betrachtete sie nachdenklich.
Sie erkannte die Frage in seinen Augen und antwortete prompt.
„Ja, es geht mir gut, danke, Chasim. Würdest du mir bitte Reena bringen? Ich muss sie dringen sprechen.“
Der dunkelhäutige Chasim nickte ergeben und drehte seinen Kopf fragend in Richtung des Blumenkübels. Dabei fielen die Sonnenstrahlen hell auf die kleine, unscheinbare Narbe am Hals unterhalb des Kieferknochens.
„Ja, da müsste sauber gemacht werden“, nickte sie ohne Scham.
Diese Narbe war bei allen männlichen Sklaven Standard, durch einen gezielten Stich in den Hals wurden die Stimmbänder durchtrennt und die Herren sicherten sich damit nicht nur sehr einfach die hundertprozentige Verschwiegenheit ihrer Untergebenen, nein, dies war die einzige Möglichkeit, wie es unmöglich wurde, dass eine unwürdige Stimme die Ohren der hiesigen Machthaber beleidigte. Ein speziell ausgebildeter Arzt führte diesen Eingriff an allen männlichen Untergebenen durch, denn es war sehr gefährlich. Schon etliche waren auf den Tischen der Ärzte gestorben, da der Operateur sehr genau neben die Halsschlagader stechen musste, was anhand wechselnder Physiognomie oft schier unmöglich war.
Aber ein reicher Mann wie Ibn Sabbah konnte es sich leisten, hin und wieder etwas aus seinem Anlagevermögen zu verlieren.
Sie stützte sich mit beiden Armen auf dem Rand des Springbrunnens ab, während sich Chasim mit dem für die männlichen Diener typischen leichtfüßigen Schritt entfernte, so schnell und leise, dass selbst sie Mühe hatte, seine Entfernung und Richtung zu orten.
Minuten später hallten die schweren Schritte von metallenen Stiefeln auf dem Marmorboden wider, stoppten abrupt und mit einem einzelnen metallenen Schlag trat wieder Stille ein, bis eine zarte, samtige Frauenstimme anhub zu sprechen:
„Màcha, meine Herrin, ihr habt mich rufen lassen?“
Màcha richtete sich mit aller Kraft auf, versuchte, dass Zittern ihrer Glieder zu verbergen, obwohl sie wusste, Reena würde es so oder so bemerken.
Ihr Blick fiel auf die kniende Frauengestalt in schwerer Rüstung, eher untypisch für den Clan, aber schließlich wurden die Großen Schwestern an allen erdenklichen strategisch wichtigen Stellen der Stadt eingesetzt.
Reena war direkt dem Hauptmann der Stadtwache unterstellt, insgeheimen war sie aber die eigentliche Machthaberin. Die männliche Figur des Hauptmanns wurde leider benötigt, denn diverse religiöse Rituale verboten es den einheimischen Frauen, bedeutende Stellungen einzunehmen.
Màchas Blick blieb auf Reenas Kopf hängen, ihre feuerroten Haare schienen im hellen Sonnenschein fast zu brennen und flackerten in etlichen Nuancen.
Reena hob erwartungsvoll den Kopf und erwiderte Màchas Blick. Die eisblauen Augen von Reena straften ihren sonst so warmen Charakter Lügen.
Màcha lächelte Reena warm an und griff ihr mit der einen Hand unter das Kinn und hob es sanft an.
„Reena, meine Liebe, willkommen! War dein letzter Einsatz schwer?“
„Nein, Màcha, außer einem kleinen Mob, der einer Zielperson auf den Fersen war, ist nicht viel passiert. Hat sie euch noch Schwierigkeiten gemacht?“, Reena blinzelte sie freundlich an.
„Ja, wir haben sie schließlich erwischt, aber ich glaube, Varla hat sich ihre Nase gebrochen – auf jeden Fall schäumt sie vor Wut. Du darfst dich übrigens erheben, Reena.“
„Ah, danke“, Reena erhob sich langsam und stützte sich dabei an Màchas Arm, „langes Knien in einer Rüstung ist wirklich nicht zu empfehlen. Und Varla schäumt vor Wut? Na ja, dazu gehört ja nun nicht sehr viel – aber das weiß ja jeder.“ Reena lachte laut auf.
Màcha schlug ihr kameradschaftlich auf die Schulter und neigte sich ihr zu.
„Reena, ich hätte da eine Aufgabe für dich. Sie wird schwer und du wirst bestimmt Verluste hinnehmen müssen, aber ich wüsste nicht, wer diese Aufgabe sonst erfüllen sollte!“
Reena beugte sich interessiert vor, während sie sich von Màcha gemächlich in die strategischen Besprechungsräume führen ließ.