Kapitel VIII - Teil V
„Ihr müsst entschuldigen, hier war früher alles mal ein wenig größer“, fahrig fuhr sich der Alte durch die weißen Haupthaare, glättete seinen langen Bart, sein Blick wanderte unruhig durchs Zimmer, dann fiel sein Blick wieder auf seine drei Gäste.
„Sagt mal, was wollt ihr hier eigentlich, wie seid ihr hier reingekommen?“, fragte er verwirrt.
„Ähm...“, unsicher wechselte Sadira Blicke mit ihren zwei Gefährten, „ich bin Sadira, ich möchte gerne ihre Waren sehen und Sie haben uns vorhin selber hineingelassen – erinnern Sie sich nicht mehr?“
„Ach ja, ach ja, Kundschaft, soso... aber ich habe doch gar nichts zu verkaufen!“, schrie er los und setzte sich auf den Boden, das Gesicht in die Hände gestützt.
„Ähm, Herr Drognan, Sajid, hier liegt doch jede Menge Ware herum..?“, erwiderte Sadira vollkommen verwirrt.
Verdutzt sah der alte Mann zu ihnen auf und blickte sich um.
„Stimmt!“, erwiderte er völlig ruhig und erhob sich, „dann wollen wir dir mal etwas passendes suchen!“
So rasch, wie man es kaum von einem Mann seines Alters erwartet hätte, erhob er sich vom Boden.
„Zeig mir mal deine Hände!“, fuhr er Sadira barsch an, nachdem er sich ein paar Mal wirr um sich selbst gedreht hatte.
Sadira streckte zögerlich ihre Hände aus, die der Alte grob ergriff, ein paar mal wendete und ausgiebig Handfläche und – rücken begutachtete.
Dann fing er leise an zu kichern, „Ich glaube, ich habe hier etwas für dich – aber es ist teuer – ob du es dir leisten kannst?“
Dann drehte er sich um und tappte in eine Ecke des Zimmers und begann, wild in einem Haufen mit Stäben zu wühlen. Leise vor sich hin murmelnd grub er sich immer tiefer in den Haufen.
Sadira schaute zu Skadhi.
Diese starrte vollkommen fasziniert in eine Ecke des Zimmers. Sadira folgte ihrem Blick, konnte aber nichts interessantes entdecken. Ehe sie Skadhi darauf ansprechen konnte, drehte sich Drognan wieder um und schwenkte ein kleines Stäbchen aus dunklem Holz. Das Holz war von einer interessanten Maserung durchzogen und Runen waren auf dem Schaft eingraviert. Das Ganze krönte eine kleine Kugel. Diese Kugel schien wie aus Glas und hatte eine dunkle Farbe, mit grau-weißen, weichen Flecken wie Wolken darin.
Ungestüm drückte der Alte Sadira den zierlich Orb in die Hand. Innerhalb von Sekunden verfärbte sich die Kugel an der Spitze zu einem tiefen Dunkelrot, durchzogen mit bordeauxfarbenen Schlieren.
„Sie mag dich, sie mag dich!“, kicherte Drognan und setzte sich wieder auf den Boden. Dabei schoss eine gewaltige Staubwolke von dem dicken Teppich auf und ließ Sadira kräftig niesen. Augenblicklich wechselte die Kugel zu einem tiefen Grün, gesprenkelt von hellgrünen Punkten.
„Oh!“, rief Drognan erstaunt, „das hat sie aber noch nie gemacht! Das ist ja lustig!“
Dann begann er, Fusseln von seinem Teppich zu kratzen.
Sadira starrte halb fasziniert halb ängstlich auf den seltsamen Orb in ihrer Hand, doch sie erkannte keine Boshaftigkeit, im Gegenteil, das dunkle Holz fühlte sich angenehm warm an in ihrer Hand, gerade die Runen schienen eine besondere Wärme abzustrahlen. In diesem Moment der Ruhe wechselte die Kugel ihre Färbung wieder zu dem Dunkelrot zurück.
„Ähm... ok“, sagte Sadira irritiert, „ich, ich glaube, ich nehme dieses komische Ding. Wie viel soll es denn kosten?“
„Kosten?“, fragte Drognan erstaunt, „kosten? Ach, wie gerne würde ich mal wieder Taubenleberpastete kosten und Melone und Rattenbraten...“
„Nein, ich meine“, unterbrach Sadira leicht genervt seine Ausführungen, „ich würde gerne wissen, was ihr für diesen Orb im Tausch haben wollte?“
„Was, welcher Orb?“, fragte Drognan erstaunt und sah von einem anscheinend besonders interessanten Fussel hoch, „ach der Orb. Nein, der ist nicht zu verkaufen!“
„Bitte?!“, riefen Sadira und Ivon gleichzeitig aus.
„Aber“, fing Sadira an, „sie haben ihn mir in die Hand gedrückt und gemeint, es würde mich... mögen.“
„Launisches Teil, das Ding“, meinte der Alte seelenruhig, „ Eschuta war immer etwas zickig, wisst ihr... nein, sie würde mir die Augen auskratzen, wenn ich ihren Orb verkaufen würde! Ihr Temperament würde mal wieder mit ihr durchgehen!“
„Wer bitte ist Eschuta?“, flüsterte Ivon Sadira zu, die mit den Achseln zuckte.
Dann drehte sich Sadira wieder dem Alten zu und kniete sich zu ihm auf den Teppich. Sie berührte ihn leicht am Arm und als er sie anschaute, sagte sie ruhig: „Sajid Drognan, ich möchte diesen Orb wirklich haben. Ich zahle, was sie wollen. Ich glaube, es wartete nur auf mich... ich.... bitte?“
„Ja mein Kind, aber teuer ist er, teuer ist das Temperament und heiß wie Feuer!“, faselte der Alte in seinen langen Bart, in dem sich, bei genauerer Betrachtung, schon allerlei Unrat und Essensreste gefangen hatte.
Wirr flogen die Augen des Mannes umher, sein Blick schien kalt aus den graublauen Augen und auch sonderlich leer. Seine Haut, trocken und faltig wie altes Pergament legte sich nur schlaff um seine Knochen und auch sein Haupthaar ging ihm langsam aus.
Die Robe, die er trug, einst prächtig, war schmutzig, von Flecken übersät und löchrig und stank erbärmlich.
Sadira schreckte vor dem Geruch zuerst zurück, doch ließ nicht locker.
„Wie teuer?“, bohrte sie, „Sajid, ehrenwerter Drognan, wie teuer, was soll es mich kosten?“
Der Alte zeigte ein zahnloses Grinsen und lachte, dabei rann ihm der Speichel aus dem Mund.
„Die Welt, die Welt soll es kosten – und die Welt für eine Melone würde ich geben!“, rief er aus und sackte in sich zusammen.
„Im Ernst?!“, Sadira konnte sich ihre Verwunderung nicht verkneifen, „eine MELONE? Eine hundsgewöhnliche Melone für einen Orb? Na, meinetwegen“.
Dann drehte sie sich zu Ivon um und drückte ihm eine Münze in die Hand.
„Läufst du schnell? Um die Ecke ist ein Händler habe ich gesehen. Ich blieb lieber hier, ehe er es sich noch einmal anders überlegt...!“, Sadira sah ihn flehentlich an.
„Ja, ich geh schon“, sagte Ivon, packte die Münze und rempelte beim Aufstehen Skadhi so an, dass sie beinahe vom Stuhl fiel.
Er stürmte aus dem Haus und war auch kurz darauf wieder mit einer Melone zurück, die er Sadira mit dem Wechselgeld in die Hand drückte.
„Hier“, Sadira hielt dem Alten die Frucht hin, „hier, eine Melone, ganz frisch, im Tausch für den Orb!“
Der Alte ließ seinen Blick auf die bauchige Frucht fallen und riss die Augen vor Erstaunen weit auf: „Meine Güte, bei dem Schlangenaltar der Klauenvipern, was ist denn das großes Grünes? Das muss ja unvorstellbar selten sein, dass habe ich noch nie gesehen!“
Mit den Worten riss er Sadira die Frucht aus der Hand und legte sie in seinen Schoß. Während er mit einem Stöckchen vom Boden begann, auf die Schale einzupieksen, verließen Sadira und ihre Gefährten das Haus.
Draußen atmeten alle erstmal erleichtert auf.
Ivon sprach aus, was alle dachten: „Bei allen Göttern, der tickt ja auch nicht mehr ganz richtig!“
Die beiden Frauen stimmten ihm nickend zu und traten in die Straßenmitte hinaus.
Keinen Moment zu früh, denn hinter ihnen traf etwas mit voller Wucht auf dem Pflaster auf.
Als sich die Drei umdrehten, sahen sie eine zersprungene Melone hinter sich.
Der Saft bildet schon Pfützen auf den Pflastersteinen und quer über der Strasse verteilt lagen Frucht- und Schalenstücke.
Alle Drei schauten erschrocken von der zerplatzten Frucht hoch zu dem Dach des Hauses und erkannten den Alten hinter einer Ziegelmauer, der wie ein Kind auf und ab hüpfte.
„Die Weiber, die Weiber, hab Acht, hab Acht! Bringen nichts als Scherereinen und doch, wir wollen bei ihnen seien, die ganze Nacht!“, sang der Alte vor sich hin.
Weitere Strophen folgten, deren unziemlicher Inhalt den beiden Frauen die Schamesröte ins Gesicht trieb.
Die umstehenden Menschen, vom Geräusch den platzenden Melone aufgeschreckt, begannen nun, zu dem Urheber der frivolen Lieder hoch zu zeigen und zu lachen.
„Los“, sagte Ivon und ergriff die beiden Frauen an den Unterarmen, „bloß weg von hier, wer weiß, was der alte Kauz da noch auf seinem Dach zum werfen hat.“
Der Alte auf dem Dach kicherte wie toll und rief feindselig: „Gib auf deinen Schmuck acht, du Hexe!“
Unsicher tastete Sadira nach ihrem Amulett.
Auf einmal schien der kleinen Gruppe die Umgebung feindselig, die Menschen starrten sie an, manche zeigten auf sie und wieder andere tuschelten hinter vorgehaltener Hand.
Eilig liefen die Drei durch die Gassen und drosselten ihr Tempo erst wieder, als sie die gut bewachte Innenstadt erreichten.
„Sag mal“, schnaufte Sadira, „Skadhi, in Drognans Haus, was hast du so fasziniert angestarrt?“
„Hmm...“, erwiderte die Angesprochenen, „mir ist da etwas aufgefallen.“
Sie atmete tief durch.
„Als ich den Raum betrat, da dachte ich mir, meine Güte, das ist Innen irgendwie viel größer als draußen. Zwar war der Raum an sich nicht groß, aber irgendwie – ich hätte einen noch kleineren Raum erwartet, ich weiß auch nicht. Und dann, als ich mich umgesehen habe, fand ich, dass die Möbel an der Wand sehr seltsam positioniert waren – ist euch das wirklich nicht aufgefallen?“, fragte Sadira erstaunt.
„Doch“, meldete sich Ivon zu Wort, „der Teppich hat sich so komisch gerollt, als ob der Teppichboden zu klein für den Raum wäre, nur...“
„als ob der Teppich früher einmal in den Raum gepasst hätte!“, vollendeten Skadhi und Ivon ihren Satz gleichzeitig.
Sadira kratzte sich am Knopf.
„Nun, wenn ich so drüber nachdenke... es gab da mal so einen kleinen Zauber, eher ein Taschenspielertrick, mit dem konnte man kleine Räume größer machen, ohne dass sie ihren Grundriss veränderten“, Sadira nickte nachdenklich, „ Aber warum hat er seinen Raum wieder kleiner gemacht? Die Enge ist doch wirklich schlimm dadrin?“
Ivon zog überrascht eine Augenbraue hoch: „Vielleicht... also, ich hab da mal im Kloster etwas aufgeschnappt, ist sicherlich nur ein Gerücht, aber...“
„Was?“, unterbrach ihn Skadhi neugierig, „was ist es , sag schon!“
„Ja, also, es hieß, die Magie würde sterben!“, sagte Ivon gewichtig.
Sadira brach in ein lautes Lachen aus: „Wie bitte? Ich lach mich weg... Magie und Sterben! Ivon, manchmal bist du Einer! Ich bitte dich, dass ist doch vollkommen lächerlich! Oh Gott, ich kann nicht mehr!“
Sadira hielt sich schon die Seite vor lauter Lachen.
Prustend fügte sie hinzu: „Und was wäre mit mir, wenn die Magie stirbt? Meinst du, ich könnte dann noch das hier tun?“
Übermütig ließ sie in ihrer Handfläche eine kleine Feuerkugel entstehen und schickte sie zum Himmel.
„Also bitte, die Magie stirbt, dass ist ja lächerlich!“
„Wie gesagt, es war ja auch nur ein Gerücht“, sagte Ivon schmollend.
Dann drehte er sich um und stapfte entschlossen zu einem kleinen Stand an dem verführerisch riechendes Fleisch gebraten wurde.
Sadira und Skadhi wechselten einen Blick und entschlossen sich, dass eine kleine Mahlzeit keine schlechte Idee wäre.
„Ah, wart mal“; sagte Sadira, „halt mal kurz, mein Schuh ist offen.“
Flugs drückte sie Skadhi den kleinen Orb in die Hand, welcher sofort seine Farbe zu einem sonnigen Gelb wechselte.
Sadira bückte sich und konnte nur mit viel Disziplin den Ekel unterdrücken. Allerhand Unrat hatte sich an dem offenen Lederriemen gefangen und so dauerte es eine Weile, bis Sadira die Riemen mit spitzen Fingern wieder fest verknotet hatte.
„Fertig“, rief sie und sah auf, „wir können...“
Das Wort blieb ihr im Hals stecken, denn sie sah direkt in mindestens fünf Speerspitzen, die allesamt auf sie gerichtet waren.
Langsam erhob sie sich und erkannte, dass auch ihre Gefährten von den tödlichen Metallspitzen umringt waren.
„Was geht hier vor?“, fragte Sadira den Mann, welcher ihr am nächsten stand.
Doch dieser zeigte keine Regung und auch unter dem schweren Visier des Helmes ließ sich keine Antwort finden.
Die Männer mit den langen Speeren und Lanzen waren allesamt schwer gepanzert und die Art ihrer Kleidung erinnerte Sadira an etwas, aber sie wusste nicht, woran.
„Ja, was wollt ihr von uns?“, fragte auch Ivon, „wir haben nichts Verbotenes getan!“
Skadhi nickte bekräftigend und schielte argwöhnisch auf die Speerspitzen.
„Das ist nicht ganz richtig so!“ Der Kreis der Speermänner lichtete sich und hervor trat eine weitere Gestalt in schwerer Rüstung. Ein schweres Turmschild zierte den rechten Arm und im Schwertgehänge stecke ein schönes Prunkschwert.
Als die Gestalt die Mitte des Kreises erreicht hatte, entledigte sie sich mit der linken Hand von ihrem Kesselhelm. Zum Vorschein kam eine Flut an roten Haaren und ein weibliches Gesicht.
„Ihr seid die Magierin Sadira Fiharakka, darf ich annehmen?“, höflich streckte die junge Frau ihre behandschuhte Hand aus und lächelte freundlich.
„Vielleicht. Wer seid Ihr überhaupt, dass Ihr das wissen wollt?“, fragte Sadira misstrauisch, ergriff aber trotzdem die ausgestreckte Hand und schüttelte sie kurz.
„Ah, entschuldigt, dieser Job stumpft einen richtig ab. Ich bin Reena, der stellvertretende Hauptmann der Stadtwachen!“ Ein fahriger Wink mit der linken Hand veranlasste ihre Männer, die Waffen zu senken. Dennoch behielten sie ihr Angriffsformation und Umzingelungstaktik bei.
„Und, was wollt Ihr von uns? Ich meine, wir haben nichts getan, was so einen Aufmarsch an Soldaten rechtfertigt! Wir sind uns keiner Schuld bewusst!“
Energisch versuchte Skadhi aus ihren Wächter hervor zu Sadira zu treten, doch die Männer der Stadtwache reagierten rasch.
„Halt!“, rief einer der Männer, hob seinen Speer und stieß damit nach Skadhi.
Diese wich zu spät zurück und wurde von der Kante der scharfen Spitze am Arm getroffen.
„Au, verdammt!“, schrie Skadhi auf und hielt sich den verletzten Arm, während Blut ihren Ärmel dunkel färbte.
„Hey! Das muss aber wirklich nicht sein! Sie hat nichts getan!“, rief Ivon zornig und funkelte den Mann böse an.
„Dann bleibt gefälligst an Ort und Stelle“, zischte Reena in einem längst nicht mehr so freundlichen Ton und fixierte Ivon. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Sadira.
„Sadira Fiharakka, die bekannt als Magierin des Ordens der Schwestern der Lyncirium, würdet ihr die Freundlichkeit haben, uns zu begleiten?“
„Nein, wieso? Nein, ich... ich denke gar nicht daran!“ Sadira verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
„Sie wird nicht mit euch kommen!“, rief Ivon empört auf, „Ihr habt uns ja nicht einmal gesagt, was sie getan haben soll!“
Die Anführerin der Stadtwache sah sich um. Der Aufmarsch ihrer Männer hätte verständlicherweise viel Aufregung verschafft und allmählich versammelte sich ein Pulk von Schaulustigen. Es war wohl doch keine so gute Idee gewesen, eine Verhaftung in der Öffentlichkeit durchzuführen. Màcha hatte, wie so oft, Recht gehabt. Langsam wurde die Situation schwierig.
Reena entschloss sich zu einem raschen handeln.
„Ich fürchte, Ihr habt keine Wahl, Ihr werdet uns jetzt begleiten!“, grob packte sie Sadira am Arm und zog sie hinter sich her.
„Lasst sie los!“, protestierten Skadhi und Ivon, welcher seinen Zweihänder zog. Skadhi hatte hingegen Mühe, ihren Speer mit der verletzten Hand in eine Angriffsposition zu bringen, hielt sie doch immer noch Sadiras Orb fest umklammert.
Im selben Moment erhoben auch die Stadtwachen wieder ihre Waffen und so standen sich die beiden Gruppen angespannt, Auge in Auge gegenüber.
Als hätte jemand ein unsichtbares Signal gegeben, erwachte Ivon als erster aus seiner Starre und holte zu einem gewaltigen Schwung mit dem Zweihänder aus.
Es gelang ihm dabei, einige Speerspitzen mit der rasiermesserscharfen Klinge einfach zu kappen, allerdings riss ihn sein eigener Schwung, welcher wegen der langen, schweren Klinge ungewohnt heftig ausfiel, aus dem Gleichgewicht. Ivon konnte sich gerade so auf den Knien abfangen.
So ins Trudeln geraten war er einem Gegenangriff der Stadtwachen nicht gewachsen.
Skadhi ließ daraufhin den Orb in den Matsch fallen und schaffte es gerade noch rechtzeitig, den zwar nicht tödlichen, aber dennoch sehr schmerzhaften Stoß einer Lanze mit ihrem eigenen Speer abzuwehren. Wenngleich sie auch durch die Verletzung am Arm stark in ihren Bewegungen eingeschränkt war, für eine defensive Strategie reichte ihr Können noch allemal aus.
Ivon hatte sich dank Skadhis Geistesgegenwart wieder gefunden und versuchte nun, sich mit weite ausholenden Bewegungen einen Weg aus dem Kreis der Stadtwachen zu schlagen. Dabei strebte er die Richtung an, in der Sadira derweil mit der Anführerin der Stadtwachen rang.
Ihr Kampf war aussichtslos, dass konnte jeder Beobachter leicht erkennen.
Reena, nicht nur an Statur größer als Sadira, nutzte ihr höheres Gewicht und die Unverwundbarkeit in ihrer Panzerung geschickt aus und zwang die Magierin mit Hilfe ihres Turmschildes in die Knie.
Den einen Arm auf den Rücken gedreht, kauerte Sadira regungsunfähig am Boden, in Rücken den Rücken stachen ihr die stumpfen Stacheln des Schildes, welches Reena ihr mit dem rechten Arm aufdrückte.
Erst als einer ihrer Männer herbeieilte, löste Reena ihren eisernen Griff etwas, aber auch nur, damit ihr Gefolgsmann Sadira in Ketten legen konnte. Fachmännisch stellten die beiden sicher, dass Sadira nicht einen Finger zum Zaubern rühren konnte.
Während die restlichen Stadtwachen Ivon und Skadhi den Weg versperrten und so aufhielten, warf sich einer der Männer die gefesselte Magierin über die Schulter.
„Haltet sie um jeden Preis auf!“, rief Reena ihren Männern den letzten Befehl zu, ehe sie den Mann mit Sadira am Arm packte und davon stürmte.
Sadira schrie hell auf und versuchte sich strampelnd zu befreien.
Das war das letzte, was Ivon und Skadhi von ihre sahen, ehe Reena und ihr Gefolgsmann hinter einer Biegung verschwanden.
Ihre eigenen Lage war ebenso aussichtslos. Umzingelt von einer Übermacht und schwer angeschlagen schützten sich die zwei Freunde Rücken an Rücken vor ihren Gegnern.
Ivon wünschte sich, er hätte am heutigen Tag den Zweihänder nicht mitgenommen, sondern stattdessen sein altes Schwert und sein Schild umgegürtet. Zwar beherrschte er die Klinge, aber trotz allem fehlte ihm die Routine und die Geschmeidigkeit eines erfahrenen Kämpfer, welche ihn mit Schwert und Schild längst befähigt hätte, alle Stadtwache über den Styx zu jagen.
Neben ihm stand Skadhi und atmete schwer, der Blutverlust ihrer Verwundung schien ihr ärger zuzusetzen, als sie angenommen hatten.
Als Ivon kurz zu seine Füßen blickte, erkannte er, dass Skadhi bereits in einer Pfütze aus Blut stand.
Er überlegte kurz und entschied sich nur widerwillig.
„Halt!“, rief er und rammte seinen Zweihänder in den Boden, „wir geben auf.“
„Was?“, protestierte Skadhi, „wir können doch nicht...!“
Aber auch sie ließ den Speer sinken. Ivon konnte in ihren Augen so etwas wie Dankbarkeit erkennen. Skadhi hätte niemals zugegeben, wie schlecht es um sie stand und wäre wohl lieber gestorben, als Ivon von der Seite zu weichen.
„Wenn wir beide hier sterben, ist Sadira für immer verloren!“, flüsterte Ivon Skadhi zu.
Ohne viel Federlesen ergriffen die Stadtwachen die Beiden. Ivon wurde entwaffnet und an den Händen gefesselt, während für Skadhi schnell aus zwei ruinierten Speeren ohne Spitze und einer Markise eines Handelsstandes eine Trage gebastelt wurde.
Als sie sich dann sicher auf der Trage befand, ein paar eilig organisierte Riemen schützen sie vor einem Sturz, setzten sich die Stadtwachen in Bewegung. Fließend wurde eine Formation gebildet und im Laufschritt ging es in die entgegengesetzte Richtung, in die Reena mit Skadhi verschwunden war.
Zurück blieb, tief zwischen Schlamm und alten Essenresten eingebettet, der kleine Orb, dessen Kugel auf der Spitze nun eine tiefbraune Farbe angenommen hatte.
Nur ein kleiner Vogel erkannte, dass ein Gegenstand im Schlamm steckte.
Interessiert hüpfte er, den vielen Füßen der sich auflösenden Menge der Zuschauer ausweichend, auf das seltsame Ding zu und pickte probehalber ein paar Mal an dem hölzernen Griff herum, ehe eine kleines Gestalt, so unscheinbar, dass niemand sie bemerkte, das wundersame Ding aus dem Matsch fischte.
Niemand sah das goldene Blitzen der Farbveränderung, als sich die Gestalt den kleinen Orb unter den Mantel steckte und sich dann, auf einem eigentümlich schleichende Art und Weise fortbewegte.
Irritiert betrachtete der kleine Vogel die Spuren der Gestalt im Schlamm, sanfte Linien, die sich schlängelte, ehe ein Maultierkarren, hoch mit Melonen beladen, die Spuren für immer auslöschte.
„Skadhi!“, flüsterte Ivon leise, „hey, Skadhi... Bitte sag was! Lebst du noch?“
Verzweifelt rüttelte Ivon an den Gitterstäben seiner Zelle, was ihm einen bösen Blick von seinem Mitbewohner einbrachte.
Zwar war es in der Zellenanlage des städtischen Gefängnis dunkel, doch Skadhis helles Haar fiel sehr stark in dem Dämmerlicht der Zellen auf.
Skadhis lag auf einer Pritsche in der gegenüberliegenden Zelle, der verletzte Arm, den der Gefängniswärter nur notdürftig und unter verächtlichem Schnauben verbunden hatte, hing auf den Boden herab.
Ihr fahles Gesicht wirkte unnatürlich und ihre Augen glänzten vor Fieber.
„Skadhi!“, Ivon rüttelte heftiger an den Stäben.
Dann gab er es auf, dreht sich um und ließ sich mutlos an den Gitterstäben heruntergleiten.
Seit Tagen waren sie schon in diesem Verließ. Niemand hatte ihnen gesagt, wie lange sie festgehalten werden sollten, nur ihre Sachen hatte man ihnen weggenommen. Ivon trug den gleichen zerschlissenen Kittel aus groben Stoff, wie alle Gefängnisinsassen hier. Vielleicht hätten sie doch besser kämpfen uns sterben sollen!
„Ivon...?“
„Skadhi, du lebst ja noch!“, erfreut drehte sich Ivon um.
„Ivon...“, Skadhis Stimme klang brüchig und schwach, „Ivon, ich hab solchen Durst...“
Verzweifelt schlug Ivon gegen die Gitterstäbe.
Die unerträgliche Hitze der Wüste schien in diesem Gefängnis ihre Brutstatt zu haben. Die knappen Wasserrationen des braunen Wassers, welche die Wärter an die Gefangenen austeilten, waren schnell aufgebraucht.
„Hey!“, Ivon sprang wie ein Berserker gegen die Gitterstäbe, „hey! Wärter! Hey! Kommt schon! Wir brauchen Wasser!“
Taumelnd tapste er ins grelle Licht. Er hätte sich gerne die Hand vor die Augen gehalten, doch er war einfach zu schwach dazu.
Nur mit Mühe gelang es ihm, seine Last zu tragen.
Er stütze die Frau, deren kalte und bleiche Haut ihm Angst machte und deren Arm schon übel zu stinken begann. Außerdem trug er noch eine große Kiste mit seinen und ihren Habseligkeiten.
Man hatte sie ihm einfach kommentarlos in die Hand gedrückt, als sie kamen, um ihn zu holen.
Nur mit Mühe stolperte er durch die Gassen, seine Sinne spielten ihm Streiche und narrten ihn mit Spiegelungen von Essen, Wasser, aber auch grässlichen Ungeheuern.
Doch einer nach gefühlter Ewigkeit stand er endlich vor dem Haus, zu dem er gewollt hatte.
Kraftlos setzte er die Kiste und die Frau ab und stürzte dann förmlich durch die Tür.
Erschöpft blieb er am Boden liegen.
Der Schankmaid, die auf ihn zustürzte, und ihm etwas Wasser einflösste, schenkte er ein dankbares Lächeln.
„Oh Gott“, jammerte die Schankmaid, „Mohammad, komm schnell! Sir Ivon und seine Begleiterin sind wieder da!“
Vage nahm er wahr, wie sich ihm schwere Schritte näherten
„Meine Güte, schau dir den Arm der blonden Frau an“, sagte eine männliche Stimme entsetzt, „schnell, Amira, hol den
hakim, hoffentlich ist es noch nicht zu spät! Was ist ihnen nur zugestoßen, sie sind beide fürchterlich dehydriert!“
Gerade noch bemerkte er, wie ihn starke Arme aufhoben und ihn davontrugen, dann glitt er in die Bewusstlosigkeit.
Die lauten Schreie Amiras nach dem
hakim der
madrasah und ihre eiligen Schritte erreichten ihn nicht mehr.
Zarte Sonnenstrahlen streichelten sein Gesicht und ließen unzählige Staubkörnertanzen und funkeln. Liebevoll durchdrang die Helligkeit seine Lider, liebkoste seine Augen und weckten seinen schläfrigen Geist. Vorsichtig öffnete er die Augen, noch zitternd vor der ungewohnten Helligkeit, die ihm nun mit voller Kraft in die Augen stach.
Er drehte sich zur Seite und sein Blick fiel auf einen tönernen Krug, mit feinem Pinselschwung bemalt und üppig verziert. Am Griff prangte ein kleiner Adler, so schlicht und grob szilisiert, dass er mit seiner Plumpheit aus der Gesamtheit der Bemalungen herausfiel. Der kleine Adler weckte etwas in ihm, einen Gedankenfetzen, den er nicht erhaschen konnte.
Dafür meldete sich jetzt sein Durst, seine Zunge, geschwollen und ausgetrocknet, klebte am Gaumen.
Er griff nach dem Krug und hätte ihn beinahe umgestoßen, die Ungestümheit, gepaart mit mangelhafter Kontrolle über seine Muskeln war fatal.
Doch jetzt hatte er es geschafft, den Krug zu ergreifen, und als er sich aufsetzte, um das klare Wasser in großen Zügen zu trinken, spürte, wie sich seine Zunge löste, erwachte auch sein Geist vollends. Der kleine Adler war das Wappenzeichen des Gasthofes, in dem er sein Zimmer hatte, das fiel ihm jetzt wieder ein.
Wie war er hierher gekommen?
Zuletzt hatte er sich in einer Zelle befunden, dass wusste er noch – doch wie hatte er es hierher geschafft? Rätselnd ließ er seinen Blick durch sein Zimmer streifen, es schien alles da zu sein, nichts fehlte und doch! – eine Kiste, die nicht in sein Zimmer gehörte, schmutzig, dreckig, stand dort stumm in einer Ecke und kam ihn verräterisch bekannt vor.
Langsam schob er die Füße aus dem Bett und tapste mit nackten Füßen und unbeholfenen Schritten auf die Kiste zu, doch als er davor stand, um sie zu öffnen, fiel ihm etwas ein.
Skadhi!
Wo war sie?
Ob sie noch lebte?