Kapitel IX - Teil I
Unruhig warf sie sich im Schlaf hin und her. Die Erlebnisse der vergangenen Tage hatten sich leise in ihre Träume geschlichen und machten ihr somit auch die Nächte zur reinsten Qual.
Die schrecklich verzerrten Fratzen der rothaarigen Kriegerin und ihrer Stadtwachen, welche sie auf offener Straße regelrecht entführt hatten, störten ununterbrochen ihren Schlummer, der ohnehin nur ein leichtes Dösen war. Mehr war ihr auf dem kalten Steinboden der glühenden Zelle nicht vergönnt.
Ja, glühend waren sie, die Wände, sie strahlten einen unheimlichen, rötlichen Schimmer aus und tauchten den ganzen Raum in ein Dämmerlicht.
Ihre Augen zuckten nervös, als sie sie wieder einmal öffnete, unfähig, endlich tiefen Schlaf zu finden.
Seufzend veränderte sie die Position ihres Kopfes auf den Steinfliesen, versuchte, sich die Beulen und Prellungen zu kühlen, die die schier unendlichen Verhöre ihr zugefügt hatten.
Der ausbleibende Schlaf und die Schmerzen hatten sie mürbe gemacht und so hatte sie das letzte Mal von dem Kristall erzählt.
Unwillkürlich griff sie sich an den Hals, aber das kleine Stückchen bläulichen Steines fehlte.
Dies hatte man ihr zuerst abgenommen und sie wieder und wieder gefragt, woher sie es habe.
Ihr Instinkt hatte ihr zuerst verboten, Auskunft zu geben, doch all den Strapazen war sie nicht gewachsen gewesen und so hatte sie ihnen erzählt, dass sie den Kristall in Mephistos Kerker gefunden hatte.
Mehr noch, denn als die Worte ihren Weg aus ihrem Mund fanden, gab sie völlig ungehemmt jede Information preis.
Dass das Kleinod an ihrem Hals nur ein kleines Stückchen des Steines sei, dass der größte Teil davon in einer gut gesicherten Truhe in ihrem Quartier stünde und sie überzeugt sei, dass der unscheinbare, trübe Stein große Macht inne habe.
Jetzt hatte sie sogar die Gewissheit, denn seit dem Zeitpunkt, als man ihr das Kleinod weggenommen hatte, fühlte sie sich matter und entkräfteter als jemals zuvor.
Sie war nicht einmal mehr fähig, Magie zu wirken; ganz im Gegenteil, es war, als ob mit jeder Stunde die Magie ihren Körper verließ und davon strömte – hinein in die glühenden Wände ihrer Zelle.
Anfangs, als sie noch Kraft gehabt hatte, hatte sie einen Feuerball auf die Tür, eine mächtige Eisentür, in der Hoffnung losgelassen, dass die Wucht des Aufpralls und die Hitze des Feuers das Schloss verbiegen würde.
Sie wimmerte leise, als sie sich erinnerte, was dann geschehen war.
Der feurige Ball war beim Aufprall auf das Metall zerplatzt, aber, anstatt zu verlöschen, hatte sich das Feuer mit rasender Geschwindigkeit über die Wände und die Decke des Raumes ausgebreitet und hell lodernd gebrannt.
Als sie das Blecken der Flammen schon beinahe auf der Haut spürte und die ersten Feuerzungen nach ihrem Haare griffen, hatte plötzlich die ganze Macht des Feuer nachgelassen.
Zuerst hatten sich die größten Flammenzungen von ihr zurückgezogen, hatten von ihr abgelassen, dann trat eine Bewegung in die gesamte brennende Fläche ein:
Entlang der Fugen der gemauerten Wände zog sich das Meer aus Feuer langsam zurück, strömte die Wände hinauf; an der Decke angekommen zog sich die brennende Fläche spiralförmig zusammen, alles traf sich in einem Punkt in der Mitte der Decke.
Dann, vollkommen unerwartet, waren die Flammen im Mittelpunkt des Raumes verschwunden.
Es schien, als hätte der Raum die magisch erzeugten Flammen in sich aufgesogen.
Die Tatsache, dass sie ihre eigene Magie, die Flammen, geboren aus ihren eigenen Händen, beinahe verbrannt hätten, hatte sie bis tief in ihr Innerstes getroffen.
Sie war darüber so erschüttert gewesen, dass sie nicht einmal Widerstand geleistet hatte, als sie kamen, um sie zu holen.
Die rothaarige Frau, deren Name ihr entfallen war, hatte sie in einen anderen Raum bringen lassen.
Kahle Wände zeichneten die schlichte Zelle aus, in der jeder Schritt widerklang.
Ein einzelner Stuhl, grob geschnitzt aus hellem Holz, welchem braun-rote Flecken anhafteten, stand in der Mitte; etwas schräg, so als hätte man sich nicht die Mühe gemacht, den Stuhl an den Charakteristika des Raumes auszurichten.
Die Wächter hatten sie grob auf den Stuhl niedergedrückt, so dass dessen trockenes Holz Splitter in ihrer Haut hinterließ.
Die anschließenden Stunden waren durchzogen von Fragen, immer wieder denselben bohrenden Fragen, denselben dunklen Gestalten um sie herum, immer den heißen Atem der Vernehmer im Gesicht...
Als man merkte, dass sie keine Antwort geben würde, brachte man sie zurück in ihre Zelle, deren Wände immer noch glommen.
Niemand brachte ihr etwas zu essen und zu trinken; und als man sie zum zweiten Mal holte, fühlte sie sich schon sehr entkräftet.
Man hatte ihr erneut dieselben Fragen wie zuvor gestellt, doch anstatt immer und immer wieder die Fragen erneut zu stellen, schlug man sie mit der flachen Hand ins Gesicht.
Der erste Schlag überraschte sie. Er traf sie mit einem dumpfen Klatschen an der Nase und dem Jochbein und drückte ihr den Kopf gegen die schiefe Lehne des Stuhls.
Tränen des Schmerzes waren ihr in die Augen getreten und hinterließen auf der geröteten Wange nasse Spuren.
Sanft tropften die Tränen auf den trockenen Boden, der die ungewohnte Feuchtigkeit sofort in sich aufsog.
Hätte man sie im Nachhinein gefragt, wie oft man sie geschlagen habe, so hätte sie keine Antwort gewusst.
Eines ihrer Augen schwoll an und eine dicke Beule zierte den Kopf.
Doch dies waren nicht die einzigen Blessuren, die sie durch die regelmäßigen Verhöre erlitt.
Und schließlich, am Ende ihrer Kräfte, erzählte sie einfach alles, was man von ihr wissen wollte.
Voll von Selbstverachtung rollte sie sich auf dem Steinboden zusammen, hoffend, dass man ihr endlich den fehlenden Schlaf erlauben würde.
Sogar einen Kanten trockenes Brot und einen Krug Wasser hatte man ihr gebracht.
Doch ehe sie sich über ihre karge Ration hermachen konnte, hatte sie die Erschöpfung in Morpheus’ Arme getrieben.