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Kapitel IX - Teil II
„Das kann doch einfach nicht wahr sein! Dass einfach niemand weiß, wo sie abgeblieben ist!“
Frustriert ließ Skadhi die Arme sinken.
„Tja, ich kann euch leider nicht mehr sagen, als ich weiß“, antwortete Fara mit einem Schulterzucken und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Metallstück, welches sie gerade auf dem Amboss bearbeitet hatte, als Skadhi und Ivon in ihre Schmiede traten.
Skadhi sah Ivon verzweifelt an, der sich, müde von der langen Suche, enttäuscht mit dem Ärmel seines Gewandes die Schweißtropfen von der Stirn wischte.
„Hast du denn keine Idee, Fara, irgendetwas? Wohin werden denn die Gefangenen normalerweise gebracht?“
Fara setzte ihren Hammer abrupt nach dem Schlag auf den Stahl ab und schob das Werkstück erst mit einer Zange in die Esse, bevor sie antwortete.
„Normalerweise, Ivon, bringt man Gefangene der Stadtwache in den Stadtkerker. Dort seid ihr ja auch gelandet, was bedeutet, ihr hättet sie dort treffen müssen! Da ihr sie dort aber nicht angetroffen habt...“
Fara machte eine kleine Pause und bewegte das Metall in der Glut, dann betätigte sie den Blasebalg. Als das Fauchen des Balgs nachgelassen hatte, sprach sie weiter.
„... kann das nur eines bedeuten. Entweder, man hat sie woanders hingebracht oder aber, sie lebt gar nicht mehr.“
Skadhi zuckte zusammen.
„Aber warum sollte man sie getötet haben, Fara? Sie hat niemandem etwas getan!“
„Nun...“, Fara kratzte sich am Kopf und hinterließ dabei eine Spur von Asche und Ruß in ihrem Haar, „nun, bist du dir da sicher? Wie lange kennt ihr sie denn schon? Vielleicht war sie auch jemandem im Weg oder sie hatte etwas in ihrem Besitz, das...“
„Was sagst du da?“, unterbrach Ivon Fara, „meine Güte, vor ein paar Tagen haben Stadtwachen ihre Sachen aus der Schenke geholt, sogar die Rothaarige war dabei – wie konnte ich das nur vergessen!“
Er schüttelte den Kopf.
„Es war eine große Holztruhe dabei, die haben sie mitgenommen, weil sie sie nicht auf der Stelle öffnen konnten!“
Fara nickte zustimmend und setzte den ersten Schlag auf ihr frisch erhitztes Werkstück.
„Das würde natürlich... alles erklären... sie wird... irgendetwas... in... ihrem Besitz... gehabt... haben“, stieß Fara rhythmisch zwischen den Schlägen hervor.
Sie legte den Hammer wieder zur Seite und wischte sich ihre Hände an ihrer schweren Lederschürze ab.
„Wenn es so war, wie du erzählst, Ivon, dann kann ich auch nicht helfen. Hier in der Stadt gibt es so viele gegensätzliche politische Strömungen: die Königstreuen, die Vertreter des Volkes, die Kaufleute... und sicherlich noch eine oder mehrere Untergrundbewegungen, die im Verborgenen arbeiten. Es ist seltsam, dass sich Reena selber dazu herabgelassen hat, euch aufzugreifen und Sadira mitzunehmen und sie dann nicht ins Stadtgefängnis zu stecken – doch wir wissen ja nicht, ob sie dem Fürsten loyal ist. Hier in Lut Gholein kann man nie genau wissen, welche Hintermänner hinter einer Person stehen und wem sie wirklich Loyalität geschworen hat.“
Fara packte die Zange und schob das Metallstück ein weiteres Mal in die Glut.
„Der Fürstenhof ist ein rechtes Nest von Intriganten, wo jeder versucht sein eigenes Süppchen zu kochen. Fürst Jehryn hat es sehr schwer, an der Macht zu bleiben, seit die Bedrohung durch die Dämonen, Untoten und wilden Tiere aus der Wüste verschwunden ist und seine Wachen als Schutz nicht mehr nötig sind.
„Das Volk nimmt es ihm übrigens immer noch übel, dass er eines Tages seine Wachen einfach so in den Palast zurückgezogen hat – ohne eine vernünftige Erklärung. Zwar hat er zum Schutz einen Haufen von Söldnern angeheuert, aber die haben oft schlimmer in der Stadt gewütet, als es die Dämonen je hätten tun können. Kein Mädchen war mehr sicher auf den Straßen! Selbst ich habe mich eines Abends mit dem Hammer verteidigen müssen!“
Sie schüttelte den Kopf und häufte dann noch mehr Glut auf den Stahl.
„Wären Naeemah und Mellilah damals nicht gewesen, ich glaube, uns allen wäre es schlecht ergangen! Möge ilah seine schützende Hand über die beiden halten!“
„Wie viel weißt du über Naeemah?“, fragte Skadhi interessiert.
Fara rieb sich überlegend das Kinn.
„Nicht viel, fürchte ich. Sie tauchte hier vor ein paar Jahren auf; als junges Mädchen schon, und bewegte sich oft am Fürstenhof. Dann irgendwann verschwand sie, ich glaube, ihr Onkel Hassan schickte sie auf Reisen in den Osten, noch weit hinter die Zwillingsmeere und Kehjistan, hieß es. Ich weiß nicht, ob sie es wirklich geschafft hat, den großen Gebirgskomplex zu überwinden, doch als sie zurückkam, war Mellilah bei ihr. Die zwei waren unzertrennlich.“
Fara schürzte die Lippen; man sah ihr an, dass sie angestrengt überlegte.
„Hm, dann tat sich ein paar Jahre nichts. Naeemah ging weiterhin beim Fürsten aus und ein, wie es ihr beliebte; und Mellilah mit ihr. Dann, eines Tages, ich sehe es noch vor mir, als wäre es gestern gewesen, standen beide mitten in der Nacht bei mir in der Schmiede. Sie riefen mich aus dem Bett und kauften ein, als ob es kein Morgen mehr gäbe, wollten sich aber nicht erklären. Sie sind wohl noch in der gleichen Nacht abgereist.
„Ein paar Tage später fingen die Probleme mit den marodierenden Dämonen an; selbst die Karawansereien mussten schließen.
„Besonders schlimm betroffen war die Karawane aus dem Nordwesten, die kam gar nicht mehr an.
„Manch einer munkelte, die Abreise der beiden hätte damit etwas zu tun gehabt!
„Ich glaube nach wie vor nicht daran, denn nach zwei oder drei Wochen kamen die zwei hier wieder an – mit Warrivs Karawane!“
Fara senkte ihren Tonfall zu einem Flüstern: „Warriv erzählte mir im Vertrauen bei einem Humpen Bier, dass Naeemah und Mellilah - man stelle es sich vor, beide Frauen des Hofes! – in Khanduras richtig aufgeräumt hätten! Der Pass der Jägerinnen war wohl von einer abtrünnigen Ordensschwester der Schwestern des verborgenen Auges blockiert worden.
„Auf jeden Fall, als die beiden wieder da waren, dauerte es nur eine Woche, bis auch hier wieder Ruhe herrschte. Geblieben sind sie aber nicht, sie sind mit Kapitän Meshif weitergezogen; er befehligt ein paar Handelsschiffe, die Kurast ansteuern.“
Fara nahm ihr Metallstück wieder aus dem Feuer und trug es zum Amboss.
„So, mehr kann ich euch auch nicht erzählen, ich habe sie erst hier wieder gesehen, so wie ihr anscheinend auch. Vielleicht solltet ihr sie aufsuchen, sie scheint mir etwas besser eingeweiht in die unterschiedlichen Machtpole der Stadt zu sein!“
„Besser eingeweiht in die Machtpole der Stadt? Was willst du uns damit sagen, Fara?“
Ratlos zog Skadhi die Stirn kraus.
„Nun, man weiß nicht, woher sie kommt, man weiß nicht wohin sie geht oder warum...“
Fara trat vom Amboss zurück und schloss sorgfältig die Tür ihrer Schmiede, dann sprach sie weiter: „Sie hatte Zugang zum Fürstenhof, sie scheint im Kampf recht versiert zu sein und sie bevorzugt diese Klauenwaffen. Das spricht alles dafür, dass sie einer der mächtigsten Strömungen hier in Lut Gholein angehört. Die Leute erzählen sich, dass Hassan, ihr Onkel, der Anführer einer düsteren Sekte sein soll. Er besitzt eine Festung draußen in der Wüste – doch an eurer Stelle würde ich mich von dort fernhalten; es ist sehr gefährlich dort! Am besten vergesst ihr auch gleich wieder, was ich euch gesagt habe, lenkt auf keinen Fall die Aufmerksamkeit derer auf euch, hört ihr!“
„Aber warum...?“, begann Skadhi ihre Frage.
„Nein!“
Grob ließ Fara den Hammer niedersausen und schlug prompt ihrem Metallstück die Spitze ab.
„Verflucht, jetzt kann ich das hier wegwerfen!“
Wütend warf Fara das kaputte Werkstück auf den Haufen Altmetall neben der Esse, dann drehte sie sich zu Skadhi um.
„Skadhi, ich habe schon zuviel gesagt. Ich werde nicht weiter über dieses Thema reden!“
Auf einmal zeigte Fara einen regelrecht ängstlichen Gesichtsausdruck, der Ivon veranlasste, verständnisvoll zu nicken und Skadhi mit sich aus der Schmiede zu zerren.
Draußen auf dem Marktplatz schob er Skadhi schweigend erst einmal mit sich in eine der zahlreichen Nebengassen, bevor er sich ihr erklärte.
„Ich glaube“, sagte er sehr leise flüsternd, „wir sind da auf ein recht heikles Thema gestoßen; besser wir fragen nicht weiter danach, sondern behalten es im Hinterkopf.“
„Du wirst wie immer recht haben“, seufzte Skadhi und kratzte sich am Nacken, denn der Stoff der Schlinge, welche ihren verwundeten Arm hielt, kitzelte sie fürchterlich.
Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her, ohne auf die Straßen zu achten, die sie durchquerten.
Als sie dies bemerkten, fanden sie sich in einer sehr kleinen Nebenstraße wieder, die von baufälligen und heruntergekommenen Häusern gesäumt wurde. Teilweise hatten die Menschen schon begonnen, die Steine der Mauern abzutragen, um sie wohl in anderen Bauten wiederzuverwenden.
„Hm, sind wir hier schon einmal gewesen, Ivon?“, fragte Skadhi besorgt.
„Nein, aber ich habe auch keine große Lust, mich hier lange aufzuhalten. Wer weiß, was sich hier für Pack herumtreibt!“, entgegnete Ivon, nicht weniger besorgt.
Die einsetzende Dämmerung ließ die Schatten der Häuser länger werden und tauchte die Gasse in ein gespenstisches Licht.
„Ivon?“
Skadhi rieb sich fröstelnd den verletzten Arm.
„Mir gefällt es hier nicht, lass uns bitte heimgehen!“
„Schon gut, ich bin ja bei dir!“
Beruhigend legte Ivon seinen Arm um Skadhis Schultern und zog sie enger an sich.
„Ich glaube, wir müssen da hinten rechts abbiegen...“
„Nein“, entgegnete Skadhi, „wir sind doch von links gekommen!“
Die beiden wechselten entsetzte Blicke, dann sprach Skadhi aus, was beide dachten: „Na prima, wir zwei Helden haben uns glattweg verlaufen!“
Ivon musste lachen, was wiederum Skadhi ansteckte.
Das Lachen machte ihnen beiden wieder Mut und sie entschieden sich für die rechte Abzweigung.
Diese führte sie aber nur in einer Sackgasse, so beschlossen sie, umzukehren und die andere Straße zu versuchen.
Aber anstatt sie in einen Skadhi und Ivon bekannten Bereich zu führen, schien sich diese Gasse immer tiefer in das menschenverlassene Viertel von Lut Gholein zu winden.
Nach einer guten Viertelstunde voll Umherirrens in den Seitengassen Lut Gholeins gaben Skadhi und Ivon vorerst erschöpft auf und setzten sich auf einen umgefallenen Türpfosten.
Ivon legte sein altes Kurzschwert zu seinen Füßen nieder und Skadhi lehnte sich an seine Schulter an.
„Puh, ich kann nicht mehr! Ob wir hier jemals wieder herausfinden?“
„Na klar!“, erwiderte Ivon, „wir müssen nur etwas systematischer vorgehen! Dieses Viertel kann ja nicht unendlich groß sein! Irgendwann stoßen wir schon wieder auf andere Menschen, die wir nach dem Weg fragen können!“
Ausgelaugt schlossen beide für ein paar Minuten die Augen.
Ivon wurde durch ein leises Geräusch aus seiner Entspannung gerissen.
Aus dem Augenwinkel erkannte er gerade noch so einen Schatten, der um eine Ecke bog.
Just, als er den Schemen ansprechen und nach dem Weg fragen wollte, fiel sein Blick auf den Boden vor seinen Füßen.
Sein Schwert fehlte!
„Das darf nicht wahr sein! Skadhi!“
Ruckartig stand er auf.
„Was ist, Ivon?“
„Da, da hat einer gerade mein Schwert geklaut!“
„Was? Dann nichts wie hinterher!“
Durch die wenigen Minuten Rast erfrischt, sprang Skadhi auf.
Ivon war schon losgelaufen und bog gerade um die Häuserecke, als Skadhi zu rennen anfing.
Im Normalfall hätte sie ihn mühelos eingeholt, doch die Verletzung und das lange Liegen hatten ihre Muskeln geschwächt, so dass sie lediglich den Abstand zu Ivon halten konnte.
Verbissen verfolgte Ivon den diebischen Schatten.
Nach mehreren Minuten der Verfolgung sah Ivon gerade noch in der beginnenden Dunkelheit der Nacht, wie der Schemen in einem Hauseingang verschwand.
Ivon wartete kurz auf Skadhi.
„Er ist da drin, jetzt haben wir ihn!“
Skadhi atmete schwer.
„Ja, dann nichts wie rein da!“
„Bist du bereit?“, fragte Ivon, als er nach dem morschen Holz der löchrigen Tür griff.
„Ja, aber sei vorsichtig“, mahnte Skadhi, „wer weiß, was da drin auf uns lauert!“