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Kapitel VI - Teil IV
Keine Sekunde zu spät, denn um die leichte Biegung kam die ganze Meute der Verfolger angerannt –sie jubilierten schon, da sie wussten, dass diese Strasse eine Sackgasse war – und waren daher doppelt überrascht, nur eine Frau und einen Mann vorzufinden.
Geschockt kam die Menge zum Stehen, während Sadira auf sie einplapperte, die Diebin wäre durch den Spalt geschlüpft und ihr wäre es zu dreckig, um hinterher zu kriechen.
Während die Verfolgermeute noch ratlos vor dem viel zu kleinem Loch und der jammernden Sadira standen, rannte Naeemah über die Flachdächer der Stadt in Richtung Süden.
Sie hatte, dank der vormittäglichen Aufregung, wirklich genug von Lut Gholein und beschloss, ohne große Umschweife in ihr Haus zurückzukehren.
Wenn sie es schaffte, ein Reittier zu stehlen, würde sie noch heute Abend daheim ankommen und könnte sich, dass erste Mal seit langem, wieder einmal richtig entspannen.
Allerdings wäre es durch das stetige Treiben der Karawanserei am Nordtor zu riskant, dort ein Tier zu stehlen, mal ganz davon abgesehen, dass diese Tiere meist, wie der Kamelhengst, den sie auf der Reise geritten hatte, übelgelaunt und unwillig waren.
Dafür gab es im Süden der Stadt Stallungen des kaiserlichen Hengstdepots, die empfindlichen Tiere verbrachten den Winter in der warmen Wüstenstadt, damit sie nicht an Erkältungen erkrankten oder sich Lungenentzündungen einfingen.
Es war zwar schon etwas spät, also Frühling, aber Naeemah hoffte, dass wenigstens noch die besondern Prachtstücke in Lut Gholein geblieben waren, allesamt Spitzentiere, Rennpferde, edle Zuchtrosse, irgendetwas in der Richtung stellte sich Naeemah vor.
Sie konnte sogar bereits die Dächer der Stallungen erkennen – und ein paar Tiere. Abrupt bremste sie auf ein gemächliches Tempo herunter, kniete sich schließlich hin und schlich auf allen Vieren über die Dächer.
Als sie das vorletzte Dach vor dem Vorplatz des Gestüts betrat, schwante ihr Übles.
Das Gebälk ächzte unter ihrem Gewicht und bog sich leicht durch.
Sorgsam setzte sie Hand vor Fuß und tastete sich langsam vorwärts.
Als sie etwa die Mitte des Daches passiert hatte, ertönte ein lautes Krachen und Bersten, die Balken brachen und Naeemah fiel durch das Loch hinab in den Innenraum des Hauses.
Glücklicherweise hatte sie sich wohl über dem Schlafzimmer des Hauses befunden, denn sie landete butterweich auf einem großzügig geschnittenen, wenn auch etwas muffig riechenden Diwan.
Nur ein paar spitze Bruchstücke des Dachstuhls trübten die perfekte Landung und bohrten sich äußerst schmerzhaft in Naeemahs Rücken.
Diese pflückte die Bruchstücke unter sich hervor, warf sie erstmal auf den Boden und lehnte sich noch ein paar Sekunden zurück. Da sie keinen Schreckensschrei vernommen hatte, ging sie davon aus, dass der Besitzer des Hauses nicht daheim war.
Und ein paar ruhige Minuten auf einem weichen Bett konnte sie nach all dem Trubel am heutigen Tag wirklich gebrauchen.
Die geschärften Sinne der Kriegerin konnten auch kaum eine Präsenz in dem Haus wahrnehmen, weder hörte sie verdächtige Geräusche, noch roch sie den spezifischen Geruch von starker Magie, die ihr Blut in Wallung brachte und jede Faser von Naeemahs Sein nach Blut schreien ließ.
Entspannt betrachte sie die Umgebung, ein kleines, nicht besonders prächtig ausgestattetes Zimmer eines gewöhnlichen Unterschichthauses. Hell verputzte Lehmwände, die inzwischen aber viele graue Gebrauchsspuren aufzeigten paarten sich mit den verblassten Teppichen, die in einer zentimeterdicken Schicht den Lehmboden verbargen. Das Muster der Teppiche war typisch für die Wüstenregion, aus dicken Schaf- oder Kamelwollfäden engmaschig geknüpfte florale Muster in erdigen Rot- und Brauntönen bestimmten das Bild. Möbel fanden sich in dem Zimmer wenig, bis auf den verschlissenen Diwan, auf dem Naeemah lag, gab es noch ein paar Regale, auf denen sich Flaschen und Dosen mit undefinierbaren Inhalten stapelten.
Das Zimmer hatte ein kleines, mit einer zerrissenen Decke verhangenes Fenster und auch die Zimmertür bestand nur aus einem schlichten Ledervorhang.
Naeemah fiel ein seltsamer Geruch auf, den sie schon lange nicht mehr gerochen hatte, deshalb konnte sie ihn auch nicht gleich zuordnen.
Es war ein Geruch, so schwer wie Räucherwerk, aber doch leicht und lockend, ein angenehmer Geruch, der Naeemahs Nase kitzelte und sie von ihrem Lager lockte.
Sie kannte diesen Geruch, sie war sich sicher, ihn schon öfters gerochen zu haben und sie erinnerte sich, dass sie ihn sehr mochte und etwas äußerst Positives mit seinem Auftreten verband.
Leichtfüßig erhob sich Naeemah, dem Geruch folgend und schob den Ledervorhang zur Seite, um einen Blick in den dahinter liegenden Raum zu werfen.
Es schien eine Art Vorratsraum zu sein, denn an der Wand stapelten sich Vorratskörbe und Amphoren, die, wie eine kurze Überprüfung belegte, sicherlich Öl und Weizen enthielten. Darunter gab es noch Zwiebelknollen, etwas Trockenfleisch und getrocknete Kräuter, die Naeemah als diverse Heil-, aber auch Giftkräuter identifizierte.
Der Bewohner des Hauses musste sich einen kleinen Garten angelegt haben, denn so ohne weiteres kam man nicht an diese Art von Kräutern. Einen weiteren Raum gab es nicht, aber am Boden des Vorratsraumes wies eine Luke auf den unteren Teil des Hauses hin.
Vorsichtig trat Naeemah an die Luke heran, doch bevor sie sie öffnete, gab sie etwas Öl aus einer der Amphoren auf die Scharniere, um ein Knarren oder Quietschen derselben zu vermeiden.
Langsam zog sie die Luke nach oben und spähte die Leiter hinab.
„Ichhhh daaachhhte sssschon, du bleibsssst ewiiiig auf dem Bett liegen!“, eine ungewöhnlich zischende Stimme erklang, die sich außerdem durch eine seltsame Ruckartigkeit beim Sprechen auszeichnete.
Trotz das Naeemah niemanden innerhalb des Lukenbereiches sehen konnte, zog sie sich rasch zurück.
Im unteren Bereich des Hauses erklangen Schritte, langsam, humpelnd, wie die eines alten oder verletzten Menschens – auf jeden Fall trug derjenige einen Gehstock mit sich.
Mit welchem der Unbekannte auch gegen die Luke klopfte.
„Ichhhh weissss, dasss du da oben bissst, brauchssst dichhhh gar nichhhht zssu verssssteckken!“ Die Stimme erklang erneut, energisch, unterstrichen mit den Stockschlägen.
„Ichhhh tu dirrr sssschon nichhhtsss, willssste du eine aaalte Frau erssst eine Leiterrrr hochhhkletterrrn lasssen?“
Mit einem Ruck öffnete Naeemah die Luke und sah sich dem Bewohner des Hauses Auge in Auge gegenüber.
Die Augen waren groß, goldfarbend, mit schmalen, senkrecht stehenden Pupillen und mit einer Kapuze verhangen.
Die Augen ihres Gegenübers fixierten sie wie die Schlange ihr Opfer, aber Naeemah erwiderte den Blick ohne ein Wimpernzucken, während sie vorsichtig die Leiter hinunter stieg.
Schließlich drehte sich der Hausbesitzer von ihr weg, und ging in den nächsten Raum. Dabei war gehen eigentlich nicht das richtige Wort, es sah aus, als würde er schweben oder gleiten, dabei wurde der Gehstock polternd hinter sich hergezogen.
Naeemah sah sich flüchtig in dem neuen Raum um, ehe sie dem Hausbewohner in den Nächsten folgte. Dieser Raum war nichts besonders, Eingangsbereich von außen und gleichzeitig eine Küche mit Kochstelle.
So betrat sie gespannt den nächsten Raum.
Der Bewohner hatte sich inzwischen auf einen Polsterhaufen niedergelassen und blickte Naeemah an: „Koooomm, koooom, näherrrr! Ssssetzzz dichhh!“
Dabei wies ihr eine schuppige Hand den Weg zu einem gegenüberliegenden Polsterhaufen.
Als Naeemah Platz nahm, zischte sie ihr Gegenüber mit einer zufriedenen Stimme an: „Ichhh, ichhh hhhabe dichhh erwarrrrtet! Du kommsssst ssspät!“
„Ich wusste nicht, dass wir eine Verabredung hatten. Wer bist du überhaupt?“, fragte Naeemah ungerührt.
„Mein Name tut hierrr nichhhtssss zsssur Sssachhhe, aberrr unssserrre Verrrabrrredung issst sssso alt wie die Menssschhhheit! Lassss unsss aberrr nichhht überrr die Verrrrgangenhheit sprrechhhen, sonderrrn überrr deine Zsssukunft, Naeemahhhh“, starr fixierte sie ihren Gesprächspartner, dann wandte er, oder doch eher es?, sich ab, langte über den Tisch und griff sich einige getrocknete Kräuter, die die Kreatur in die auf dem Tischchen stehende Öllampe streute.
Die Flamme loderte kurz in einem kräftigen Grün auf und kehrte dann wieder zum üblichen Orange-Rot zurück.
Sogleich wurde der kleine Raum von einem duftig-harzigen Geruch erfüllt, den Naeemah noch aus Kindertagen kannte. Auch glich er dem Geruch, welchen sie bereits in ersten Stock wahrgenommen hatte und urplötzlich fiel ihr ein, was diesen Geruch verursachte. Nur ein Gemisch spezieller Kräuter, aus denen Naeemah ihr stärkstes Gift herstellte, erzeugte beim Verbrennen diesen Geruch.
Da habe ich also eine Wissende vor mir
Alarmiert setzte sich Naeemah so aufrecht, wie es die vielen Polster erlaubten. Sie versank förmlich in dem ungeheuren Kissenberg und fühlte sich dabei sehr unwohl. Aus den Augenwinkeln versuchte sie, Fluchtmöglichkeiten auszumachen, außerdem beschloss sie, nichts zu sich zu nehmen, was ihr angeboten wurde.
Flink taxierte sie die Wände ab, doch es gab keine Fenster, zumindest keine, die hinter den dicken Wandteppichen durchschienen. Der ganze Raum wurde nur durch ein spärliches Feuerchen in der hinteren rechten Ecke beleuchtet und der sanfte Lichtschein gab nur wenig Aufschluss über die Umgebung und die Kreatur, die ihr gegenübersaß.
Irgendetwas störte sie noch. Sie war sich sicher, die Quelle des seltsamen Geruchs ausgemacht zu haben, aber irgendetwas stimmte noch nicht. Sie nahm eine feine Nuance wahr, die nicht hierher gehörte.