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[Story] Göttertraum

Hey,

gefällt mir wieder sehr gut. Mir sind diesmal ein paar Dinge aufgefallen:

- Die gezahnte Klinge streifte die Kniekehle ihrer Gegnerin und zog einen Blutschweif hinter sich her. - Blutschweif bei einer Untoten? Wie geht denn das?
- Dann traf Falkes Pfeil sie. Bohrte sich in ihren Lederpanzer auf der Brust und warf sie zurück. - Passen die beiden Sätze so? kein PlanDann traf Falkes Pfeil sei, bohrte...
- Mit einem Seitwärtsschritt trat sie vom Weg hinunter auf die Gräber, und die Faust raste an ihrer Wange vorbei. Ein Luftzug strich vorbei. - den letzten Satz würde ich steichen. zu viel "vorbei"...
-Sie hielt sich an den Armen der Engelsstatue neben ihr fest und winkelte ein Bein an, streckte es durch und schlug die Ferse dem Angreifer die Ferse in den Nacken. - hier zu viel "Ferse"

Hat mich gefreut, dass du heute schon was für uns geschrieben hast - gerade jetzt in der Prüfungszeit. Bei mir stehen die Prüfungen auch vor der Tür - als erstes Holzmarktlehre dann Waldbau und dann noch 5 andere .... Es freut mich, dass du in dieser Zeit immer noch was für uns schreibst :) Danke
btw: Hast du die Praktikantenstelle bekommen?

lg, Gandalf

ich habs mal verbessert:D
 
Ach, herrlich, mein Browser hat mir den ganzen Post zerschossen...
Also, schön, dass ihr so fix gewesen seid! Ich bin es mit meinen Verbesserungen dann auch.
Statt "Blutschweif" jetzt "Schweif aus zerrissener Haut und Knochensplittern", statt einem zweiten "vorbei" jetzt ein "vorüber" und nur noch eine "Ferse".
Bei dem Pfeil-Satz sehe ich das komplizierter.
Wenn wir "Dann traf..." und "Bohrte..." zu einem Satz verknüpfen, geht der Schock des ersten verloren. Erst ist Jilis noch sicher, dass sie zuerst schießen wird - und dann wird sie getroffen!? Wenn die Beschreibung des Treffers gleich folgt, ist das nicht so drastisch, denke ich.
Und es ist auch näher an der Figur, mit zwei Sätzen. Jilis erkennt ungläubig, dass sie getroffen wird - bevor sie die Auswirkungen realisiert.
Ein Vorschlag zur Lösung von mir:
"Dann traf Falkes Pfeil sie. Er bohrte sich in ihren Lederpanzer auf der Brust und warf sie zurück."
So ist das fehlende Subjekt im zweiten Satz nicht so irritierend und die Atmosphäre geht trotzdem nicht über Bord. So denke ich mir das - was meint ihr? Immerhin seid ihr hier die Leser und damit Könige. ;)
Ist da überhaupt ein Schockeffekt? Oder sind meine Erläuterungen über die angebliche Wirkweise das einzig schockierende? :D

Prüfungen über "Waldbau" klingen allerdings sogar interessanter als meine pflichtmäßigen Prüfungen in Linguistik, die ich als Literaturwissenschaftler sozusagen noch gratis dazu bekomme...
Für mein Praktikum habe ich noch eine letzte Test-Aufgabe, daran entscheidet sich alles. Mag mir vielleicht jemand helfen und über meine Bemühungen in einer PN drüberschauen?
Es sind zwei kurze Dialoge, ein Cutscene-Storyboard und ein Charakterentwurf. Bevor ich damit anfangen kann, muss ich aber erst noch 300 Seiten Rollenspiel-Handbuch lesen, damit ich in die Welt des geplanten Videospiels hineinkomme - und ich hoffe, dass mein Buchhändler das Buch bis morgen bestellt bekommt... So gehst du dahin, Wochenende.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal wieder sehr spannend. Und es wär ja auch zu einfach, wenn eine Jägerin alleine mit Blutrabe fertig würde :D

Ich find das fehlende Subjekt überhaupt nicht irritierend, könnte meiner Meinung nach so bleiben. Der Schockeffekt kommt auch nicht zu kurz.

Um welches Rollenspiel geht es denn? Ich könnte wohl mal drüberlesen, wenn du meinst das hilft.
 
Dann will ich auch mal wieder meine Meinung kundtun: Das Kapitel ist gewohnt gut geschrieben. Lediglich zu zwei bereits angesprochenen Stellen möchte ich mich äussern :D An der zweiten aber aus einem anderen Grund.

„Wir finden es umso schneller heraus, je früher wir aufbrechen.“

Hier fände ich es eben grade weniger hölzern, wenn der Satz umgedreht würde. Wenn Du das nicht möchtest, überleg Dir, ob Du das Wort 'früher' vielleicht durch 'eher' ersetzen möchtest. Das würde den Satz meines Erachtens etwas flüssiger machen.

Von der Seite griffen die Knochenfinger der Frau nach ihrer Schulter. Die Haare verdeckten das Gesicht. Zum Glück. Jilis drehte sich zur Seite weg und holte mit dem Messer aus. Die gezahnte Klinge streifte die Kniekehle ihrer Gegnerin und zog einen Schweif aus zerrissener Haut und Knochensplittern hinter sich her. Heulend wie ein Tier stürzte die Untote. Durchtrennte Sehnen. Alle dunkle Magie bewahrte diese Feinde nicht vor solch einfachen Techniken. Jilis grinste.
Da bog sich der Leib der Toten nach hinten, und Knochenfinger schlugen sich Jilis in die Wange.

Das klingt so, als sei die "Frau" schon bis auf die Knochen abgenagt/verwest. Trotzdem gibt es 'zerfetzte' Haut und zu durchtrennende Sehnen (=Muskel). Btw: Die Knochenkrieger im Kloster brauchten zum Agieren auch keine Sehnen, da diese Kreaturen durch Magie gelenkt werden (Ist jetzt natürlich von mir so interpretiert ;)). Ich fände es schlüssiger, wenn Jilis das Kniegelenk der Frau durchtrennt hätte.

Mach weiter so. Und viel Erfolg bei der Praktikumsstelle. Gruß,
Diderot

€: Jippieh! Ich bin meinen 'Blutraben' (Blood Hawk) losgeworden. *freu*
 
Mein Internet geht nicht, ich habe nur wenig Zeit - auf eure Vorschläge gehe ich später ein, ich danke euch aber schonmal.
Hier nur schnell das nächste (halbe, vorerst) Kapitel.






VIII An der Schwelle

Macht über das Leben, Macht über den Tod. Macht über so ein simples Phänomen der Natur wie Nebel. Er hätte früher darauf kommen können.
Die Blätter der Schräge hinter Maro wirbelten durch die Luft, Erde spritzte wie eine Meereswelle hoch. Der Golem fing sich auf einem Knie ab und hielt neben ihm an.
In der wilden Blätterdecke hatten Schritte ihre Zeichen hinterlassen. Aber dies war eine Spur, der eine Jägerin folgen sollte. Für ihn gab es andere Spuren. Den Kopf in die Hände gestützt, schickte er seinen Blick in die zweite Welt. Der Nebel wurde blass, dünn wie ein Seidenschleier, der nicht länger das Leben hinter sich verbarg. Eine Lebensflamme. Eine, die er kannte. Die einzige, die ihn den letzten Tag begleitet hatte. Blass leuchteten einige weitere daneben. Wenn sie den Bewohnern des Waldes gehörten, dann trugen diese bemerkenswert wenig Leben in sich. So wenig, dass sie sich nicht mehr regen sollten.
Maro hastete den Pfad entlang, neben ihm ließen Orams Schritte den Waldboden erzittern. Vor ihnen stieg der Friedhof aus dem Nebel auf. Der Golem drosch das Tor beiseite und gab Maro den Weg frei.
Die feuchte Luft war durchdrungen von dem Gestank des Unlebens. Niemand hatte hier ein Stück seiner Seele gegeben, um den Toten das Leben wiederzugeben. Die schwachen Aurenlichter waren die von wahrhaftig Leblosen, die zu keiner Bewegung mehr fähig sein sollten. Eine Magie, die Evra nie zugelassen hätte. Aber er würde herausfinden, wer es dann zugelassen hatte. Das Falchion gezogen, rannte er den Friedhofspfad entlang. Bis der Nebel sich vor ihm teilte.

*

Blutrabe spannte den Bogen. Wenn ihr Herz noch geschlagen hätte, vielleicht wäre es jetzt zerbrochen. Zwei Jäger. Nie wieder. Dumme Jilis, dass sie nicht verstehen konnte.
Sie sah zur Seite, als sie den Pfeil losließ. Die Sehne summte. Mit glasigen Augen starrte Jilis sie an.
Dann brach die Erde auf.
Stein und Sand flogen zur Seite, als bräche ein Vulkan aus. Aus dem Erdreich schoss eine graue Wand. Splitter von Knochen knirschten aneinander, verwoben zu einem einzigen Wall aus Gebein. Ihr Pfeil prallte ab und sprang zur Seite. Magie. Nichts anderes konnte es sein.
Durch den Nebel trat ein junger Mann in geschwärzter Lederrüstung, in den Händen einen Säbel.
„Wer bist du?“, fragte Blutrabe. „Scher dich weg, niemand hat nach dir gerufen!“
Sie griff nach der Kälte ihres Herzens und befahl den Nebel. Er zog sich zurück von den Gräbern, öffnete die künstliche Kuppel über dem Friedhof. Überall gab er ihre Diener frei, die Verwesenden mit den dürren Körpern. „Oder sehnst du dich danach, zu sterben?“
Hinter dem Magier trat ein Riese aus dem Nebel. Erdfarbene Haut und Muskeln an den Armen, groß wie Wagenräder.
Der Mann schien kurz zu überlegen. „Nein“, sagte er dann, „ich bin nur hier, um mit Euch zu reden.“
Die Wand aus Knochen zerbröckelte vor Jilis. Wieder starrten ihre fiebrigen Augen Blutrabe an, ihre Glieder zitterten.
„Es gibt nichts zu reden! Geht und lebt, oder bleibt hier und sterbt!“
Ein einziger Gedanke, und die Untoten setzten sich in Bewegung, scharten sich vor ihr zu einer losen Formation.
„Wenn es nicht anders geht.“
Der Zauberer kreuzte die Arme vor der Brust. Etwas geschah. Etwas hallte in ihrem Herzen wider. Der Mann gehörte nicht zu den Jägerinnen, und doch... mit einem Mal begriff sie.
Wo ist er?
Das hatte Jilis zu allererst gefragt. Ihr Gefährte.
Blutrabes totes Herz tat einen Schlag. Er durfte nicht leben. Nicht er. Sie reckte die Hand nach vorn. „Zerreißt ihn!“
Im selben Augenblick brach die Erde erneut auf. Aus den Gräbern, aus der sie noch niemanden gerufen hatte, stiegen sie jetzt. Knochenhände reckten sich hinaus und zogen ihre Körper in die Freiheit, bar jeden Fleisches. Nur kahle Schädel und Gerippe.
Ihre Armee raste voran, aber die lebenden Skelette griffen nach Armen und Beinen ihrer Diener und hielten sie auf. Zwei durchbrachen die Reihen des Zauberers und stürzten sich auf ihn. Die Arme des Riesen schossen vor und packten einen um die Brust, um ihn dann wie eine Frucht zu zerquetschen. Den anderen streckte der Säbel des Manns zu Boden.
Natürlich, einer der Nekromanten aus den Dschungeln Kejistans. Nur einem solchen konnten die Toten wahrhaftig gehorchen. Aber vor ihr würde er fallen. Aradeias Macht machte sie ihm überlegen. Und Jilis...
Die Heere prallten aufeinander, rissen sich die Knochen aus dem Leib und brachen sich die Schädel in Stücke, kugelten umschlungen im Ringen über Grabstätten und rissen die Steine aus der Erde. Die Schlacht der Toten tobte mit einer Wildheit, die der von Lebenden in nichts nachstand. Ein Skelettkrieger drückte neben ihr einen Gegner in die Friedhofserde. Blutrabe nahm seinen Schädel zwischen die Hände und brach ihn auf ihrem Knie. Die Knochen verloren den Zusammenhalt und klapperten auf den Boden. Der Nekromant zuckte, als hätte jemand ihm einen Streich versetzt. Wie Aradeia gesagt hatte. Gewöhnliche Beschwörer mussten ein Band spinnen zwischen sich und den Wesen, die sie belebten. Ihr blieb das erspart. Doch ihre Diener fielen schneller unter den gegnerischen Hieben. Alle paar Sekunden erlosch am Rande ihres Bewusstseins eine winzige Flamme.
Jilis kniete noch immer vor der Krypta, mit erstarrtem Blick. Das Gift musste sie längst in starren Schlaf versetzt und die Muskeln erhärtet haben. Dennoch... Diese Augen suchten sie. Es durfte nicht sein. Es war vorbei.
Sie sandte zwei ihrer Krieger herbei, die sich zu Jilis hin bewegten. Die Frontlinien brachen zusammen, aber sie würde nicht verlieren. Nicht so.
Auch in den Nekromanten und seinen Kämpfer aus Erde kam Bewegung. Sie hasteten vorüber an den streitenden Toten, auf Jilis zu. Blutrabe biss die Zähne zusammen. Ihre Diener schlurften nicht schnell genug. Die Hand des Erdriesen schlug einen zur Seite, dass er bis zur Eiche geschleudert wurde. Den zweiten walzte er mit seiner Masse nieder, zerquetschte das Gerippe unter seinen Füßen.
Sie fühlte den Blick des Nekromanten auf sich.
„Du wirst hier sterben, Fremder, weit ab von deiner Heimat!“
Das Jagdmesser gezogen, huschte sie auf ihn zu. Nur die Pranken des Riesen im Blick behalten.
„Ich habe keine Heimat mehr“, sagte der Nekromant. Seine Gestalt verschwand hinter dem gewaltigen Wächter. Gegen den würde ihr Gift nichts ausrichten. Aber nur einen winzigen Streich mit der Klinge gegen den Nekromanten, und all die Skelette und der Gigant würden zerfallen zu der toten Masse, die sie waren.
„Wie schade für dich!“
Ein Fausthieb peitschte vor ihr Sand und Erde in einer Fontäne hoch. Der zweite Schlag kam von der Seite. Sie warf sich nieder, um ihm zu entgehen und rollte sich zwischen den baumstammdicken Beinen hindurch. Der Nekromant kam in Sicht, breitbeinig und das Schwert in den Händen.
Der Schatten des Erdkriegers wölbte sich. Seine verschränkten Hände rasten auf sie zu, tödlicher als jeder Steinschlag. Sie rollte sich zur Seite. Das Auftreffen der Fäuste neben ihr bohrte sich in ihr Trommelfell – ein Stoß, als würde ein Berg zerbersten. In ihren Ohren summte es. Sie stieß sich wieder hoch, nahm die Erdfinger als Treppe und sprang von den geballten Fäusten ab. Tief hatte sie den Dolch in das Gift getaucht. Die Verteidigung des Nekromanten war durchschaubar. Nicht mehr als ein Bauer, der seine Heugabel vor sich hielt, um sich vor einem Bären zu schützen.
Blutrabe schoss an ihm vorüber, die Zähne ihres Dolchs rissen Hautfetzen aus seinem Arm. Treffer. Sie rollte sich ab und stand neben der Wand der Krypta, dicht neben sich die kniende Jilis. Der Nekromant zuckte und griff sich an den Arm, den das Blut wie eine Decke zu überziehen begann.
Blutrabe lachte. Seine Kraft würde nachlassen, und ebenso die seiner Kreaturen.
„Zeit, abzutreten“, sagte sie. „Mit dieser Dosis Gift wäre selbst ein ausgewachsener Ochse nicht fertig geworden, du brauchst dich nicht zu schämen.“
Er funkelte sie an, wirbelte das Schwert in ihre Richtung. Erstaunlich schnell. Sie sprang beiseite, die Klinge klirrte gegen das Portal der Krypta.
Von vorn schoss die geöffnete Hand des Erdriesen auf sie zu. Direkt in die Falle war sie ihm gegangen. Mit der Wucht eines fallenden Baumes schlug die Pranke auf sie und drückte sie gegen die Säule des Kryptaeingangs. Instinktiv rang sie nach Luft – bis sie sich erinnerte. Luft brauchte sie so wenig mehr wie Mahlzeiten oder Schlaf. Sie stemmte sich gegen den Griff des Biests. Das Gift ließ sich Zeit, dem Nekromanten seine Kraft zu stehlen.
„Aber ich stehe noch, wie du siehst.“
Sie wand sich weiter unter der Riesenhand. Der verfluchte Kerl hatte Recht. Und um sie herum sammelten sich die Skelettdiener des Nekromanten und zerschmetterten die letzten ihrer Diener.
„Sekunden hast du noch, Sohn einer dämonischen Hure. Die grüne Yata kennt selbst mit einer so jämmerlichen Gestalt wie dir kein Erbarmen!“
Der Nekromant strich sich über den blutenden Arm und hob sein Schwert auf.
„Ich brauche das Erbarmen der Yata auch nicht. Jeder, der ihr Gift einmal im Körper gehabt hat, muss sich vor ihrem Saft und Duft nicht mehr fürchten.“
„Du hast grüne Yata überlebt?“
Blutrabe versuchte, ihr Messer fester zu packen, doch es glitt ihr nur aus den Fingern.
„Nein, schwarze. Sie macht immun gegen alle ihre geringeren Schwestern.“
„Lügner.“
Die schwarze Yata überleben? Die Helden aus den Legenden der Altvorderen vielleicht, von deren Taten in der Wüste Wandteppiche gewebt wurden. Aber ein dahergelaufener Jüngling? Das war lächerlich.
Und dennoch: Das Gift blieb wirkungslos.
Der Nekromant zuckte mit den Schultern.
„Wie du meinst. Vielleicht sollte ich dich eine Lügnerin nennen. Was hast du ihr erzählt, dass sie dir bis hierhin gefolgt ist?“
Seine Schwertspitze wies auf Jilis. Blutrabes Herz schmerzte ihr in der Brust. Ein totes Organ, das in ihr verweste, und das ihr dennoch Pein zufügen konnte.
„Ich hätte sie nie angelogen! Sie ist meine Schwester.“
„Ihr nennt Euch doch alle so, nicht wahr?“
„Das ist... etwas anderes“, zischte Blutrabe. Niemandes Schwester war sie mehr. Aber Jilis...
„Deine Schwestern halten wenig von dem, was du hier tust.“
„Ho. Ist das der Moment, in dem ich überrascht sein soll?“
„Nein, es ist der, in dem du mich überraschen sollst. Wer hat dich in diesen Zustand versetzt?“
Sie sah an sich hinunter. Keinen Deut war die Hand des Riesen bisher zurückgewichen.
„In welchen Zustand? Den, der mich hier hängen lässt? Ein Nekromant, habe ich mir sagen lassen. Einer, der zu feige ist, sein eigenes Schwert zu benutzen, sondern sich auf seine Lakaien verlässt.“
„Du verstehst mich sehr gut. Wer dir ein Leben gegeben hat, das du nicht haben solltest.“
„Ach, ich vergaß, du bist ja gekommen, um zu reden.“
Seufzend stützte der Nekromant sich auf sein Schwert.
„Ich will weder dein Leben, noch das deiner Herrin. Sie ist keine von den östlichen Kontinenten, nicht wahr? Sie hat Befehl über die Dämonen mit den Vogelklauen.“
„Noch über weit mehr als nur die.“
Ein sonderbares Leuchten trat in die Augen des Jungen. Er nickte und steckte sein Schwert weg. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber die Finger Erdriesen zogen sich ein Stück zurück.
„Sie ist nicht aus dieser Welt“, stellte er fest.
„Sonst hätte jemand ihre Macht schon vorher bemerkt.“
Erneut nickte er, und sein Diener zog seine Hand zurück. Blutrabe sank auf die Treppe der Krypta hinunter.
Nur ein Junge, den es nach Macht gierte. Dennoch auch Jilis Gefährte. Er durfte nicht leben, niemals.
„Ich will mit ihr reden.“
„Du redest wohl sehr gern...“
„Bring mich zu ihr.“
„Ich verlasse meinen Posten, um ihr einen dahergelaufenen Zauberer zu bringen, der wild mit seiner Magie um sich wirft – das wird nicht nur für mich selbst ein schlechtes Ende nehmen.“
„Dann frag sie.“
Eine Idee keimte in ihr. Wenn es ihr auch nicht gelang, ihn zu töten... Sollte er zur Herrin Aradeia gehen, seinen Willen haben, welcher Art er auch sein würde. Bei Jilis könnte er dann nicht mehr bleiben.
„Ob sie dich sehen will? Was für Chancen rechnest du dir aus?“
„Ich habe ein Angebot. Die Untoten, die sie erschafft – die du erschaffst – sind schwach und seelenlos... Ich kann das ändern.“
Die zerstückelten Leiber lagen über die Beete und Gräberreihen verstreut. Der junge Mann log nicht, seine Totenkrieger waren ihren weit überlegen... Nicht zu sprechen von dem verdammten Riesen. Er ragte vor ihr auf wie ein irdener Turm.
Neben Blutrabe kniete Jilis zusammengesunkener Körper. Nicht eine Armeslänge entfernt, und doch eine Unendlichkeit. Wieder regte sich das tote Ding in ihrer Brust, quälte und stach sie. Was hatte sie getan...
„Ich überbringe dein Angebot“, sagte sie leise. Leise vor Furcht, ihre Stimme könne brechen. „Aber ich stelle eine Bedingung.“
„Jede.“
Dieser Junge würde seinen Vater und seine Mutter verkaufen, um Aradeia zu sehen, das stand fest. Aber die beiden interessierten sie nicht. Sie deutete auf Jilis.
„Bring sie zurück zu ihren Schwestern. Sei schnell, denn das Gift arbeitet in ihr bereits.“
„Das ist dein Wunsch? Hast du ihr nicht selbst das Gift verabreicht?“, fragte der Nekromant, die Stirn in Falten gezogen.
„Mein Wunsch ist, dass du einen schmerzvollen Tod findest!“
„Schon gut.“
Der Riese aus Lehm und Erde beugte sich nieder und schob seine Hände wie Schaufeln unter Jilis Körper. Erstarrt lag sie da, wie eine Schmetterlingspuppe. Wenn nur jemals wieder der Schmetterling aus ihr steigen würde. Das Gift lähmte die Muskeln zuerst, bis sie hart waren wie Stein, dann sandte es den Vergifteten in den Schlaf, und währenddessen fraß es die Muskeln von innen auf. Bis nicht einmal mehr genug Muskeln übrig waren, um die Lunge zu bewegen.
„Ich weiß nicht, wie viel Zeit sie noch hat...“
„Der Weg über die Berge dürfte der kürzeste sein. Er muss genügen. Schaff mir nur den Nebel aus dem Weg.“
Blutrabe wendete den Blick von Jilis ab und fixierte die graue Decke, die den Friedhof wie einen Ort des Traums vom Rest des Waldes abtrennte. Langsam wich der Nebel zurück, als fürchtete er sich vor ihr. Sie drängte ihn so weit zurück, bis nur noch der natürliche Rest übrig blieb, und den schickte sie als Kondenswasser auf die Blätterdecke am Waldboden.
„Mehr kann ich nicht tun“, sagte sie.
„Was ist, wenn das Gift stärker als sie und schneller als ich ist? Wenn sie mir stirbt, bevor er ich das Lager erreiche?“
Wie leichthin er die Möglichkeit aussprach. Sie griff nach ihrem Messer, steckte es aber in die Scheide zurück.
„Dann stirbst du als nächster!“
Hinter dem Nekromanten sammelten sich seine Krieger, zum Friedhofstor gewandt, und auch der Erdgigant reihte sich ein.
„Und falls ich deine Bedingung erfülle, wo treffen wir uns wieder?“
Sie überlegte kurz. Ja, da gab es einen Ort. Dort würde sich diese neue Angelegenheit problemlos in Aradeias Pläne einfügen.
„Es gibt da ein Dorf, Karmhang. Von den Bergen aus über die westlichen Hänge, an deren Fuß ist es dann nur noch ein Halbtagesmarsch. In sieben Tagen. Hast du verstanden?“
„Ich werde dort sein.“
„Ich ebenfalls, aber nicht allein. Vielleicht wirst du mich suchen müssen.“
„Das werde ich.“
An dem Jungen war ein Soldat verlorengegangen... Als nächstes sollte sie ihm raten, dass er sich in einen Misthaufen stürzen müsse. Das werde ich.
„Dann verschwinde jetzt, bevor ich mich vergesse.“
Eine leere Drohung, angesichts der Übermacht, die ihr gegenüberstand. Der Nekromant wandte sich zum Gehen, und sein Heer setzte sich scheppernd in Bewegung.
„Ich hoffe, dein Gesuch bei deiner Herrin Aradeia hat Erfolg.“
„Und ich hoffe, dass du Jilis rechtzeitig zurückbringst. Bevor sie verloren ist.“
„Du hast sie gekannt, oder?“
„Wen ich kenne oder nicht, ist meine Sache. Verschwinde endlich.“ Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. „Warte.“ Sie ging über das Schlachtfeld, beugte sich über zerschundene Körper und abgehauene Gliedmaßen. Irgendwo, ein schwarzes Schimmern... Sie fand es in den Rippen eines gefallenen Skeletts. Die winzige Schachfigur aus Jilis Tasche. Die schwarze Königin. Blutrabe hob sie auf und reichte sie dem Nekromanten.
„Das hier. Gib es ihr, wenn sie erwacht. Egal, was sie sagt.“
„Also spielt ihr dieses Spiel auf diesem Kontinent auch.“
„Geh.“
Der Nekromant nickte ihr zu und trat aus den Friedhofstoren, seinen Truppen hinterher. Der Riese trug Jilis Körper einem ungewissen Schicksal entgegen.
Blutrab blieb zurück auf den Stufen der Krypta, umgeben von Gefallenen und einer grausamen Stille. Selbst, wenn Jilis das Gift mit der Hilfe von Akaras Mitteln überstand, blieb noch immer der Pfeil in ihrer Brust. Keiner würde vergessen, wer ihn geschossen hatte, am wenigsten Jilis selbst.
Was für eine schreckliche Dummheit sie begangen hatte...
Sie schlug die Faust gegen den Stein der Krypta, bis der Schmerz sich dumpf in ihr Bewusstsein Bahn brach. Nur eine blasse Erinnerung an das, was sie früher Schmerz genannt hatte. Jetzt wollte sie ihn, wollte Tränen, aber beides kannte ihr Körper nicht mehr. Eine Hülle mit dunkler Leere im Inneren, das war sie.
Sie erhob sich und rief sich aus den wenigen intakten Gräbern eine Garde aus einem halben Dutzend heran. Ein langer Weg bis zum Kloster lag vor ihr. Noch war nicht alles verloren. Nicht alles.

*

Die Krieger um ihn zerbrachen. Alle zehn Schritte, die Maro durch den Wald tat, entwich der Lebensfunken aus einem weiteren der Skelette und ließ es zu einem ungeordneten Haufen Knochen zusammenbrechen. Eine Schwere beherrschte seinen Geist und drückte ihn nieder, als ob das Gift seine Wirkung doch noch entfaltet hätte. Zumindest darin hatte Varn Recht. Die Toten zu beleben, forderte von allen Magien, die die Nekromanten beherrschten, die meiste Kraft. Aber selbst seinen letzten Funken würde er geben auf diesem Pfad, der ihn an sein Ziel führen musste. Was für ein Wesen Aradeia auch sein mochte. Wenn sie einen Weg in diese Welt gefunden hatte, in die sie nicht gehörte, dann konnte auch er einen Weg finden in das Reich der Götter und der Dämonen. Das Antlitz Evras stand vor ihm. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss.
Als er sie wieder öffnete, war dort nur das Antlitz des Mädchens in Orams Händen, die eine Schale bildeten. Gestern noch war sie ihm nachgelaufen, und nun schleppte er sie hinter sich her. Doch sollte die Hexe des Friedhofs fordern, was sie wollte.
Am Waldrand unter den letzten Baumkronen brachen auch die letzten Skelettkrieger zusammen. Zwei Nadelstiche in seine Gedanken, die ihm die Arme und Beine müde machten. Aus Orams Rücken bröckelte die Erde händevoll. Maro konzentrierte seinen Geist. Der Golem musste die Reise überstehen. Sich Jilis selbst auf die Arme laden, hätte nicht mehr Erfolg gehabt, als den ganzen Golem zu schultern. Die Toten hatten von seiner Kraft gefressen wie hungrige Tiere.
Über den Bergspitzen verdeckten finstere Wolken die Sonne. Ein Regenguss würde den Aufstieg nicht eben leichter machen. Besonders, da er den Weg nicht wusste. Er wusste nur, dass der Weg um den Gebirgszug herum in jedem Fall zu viel Zeit kosten würde. Mehr Zeit, als Jilis geben konnte. Der Körper lag in den Händen des Golems ausgestreckt da, die Augen endlich geschlossen. Doch das bedeutete nur, dass das Gift die zweite Abwehr des Körpers gebrochen hatte. Die Muskeln lagen wieder entspannt da, der Saft der Yata hatte sich in den Adern verteilt und konnte bald damit beginnen, die Muskeln zu zersetzen.
Über den Weg durch die Berge bestand zumindest die Möglichkeit, dass er es früh genug ins Lager schaffte.
Oram schritt voran und erklomm den ersten Hang. Maro folgte ihm dichtauf und riss aus seinem Reiseumhang Stücke ab, die er sich um Hände und Finger wickelte. Berge hatte er bisher nur gesehen, nie bestiegen. Aber die scharfen Kanten der Felsen würden ihm die bloßen Hände mit Leichtigkeit zerschneiden.
Ihm fehlte die Kraft und die Unverletztlichkeit, die sein Golem besaß. Selbst am ersten Hang häuften sich die Plateaus, zu denen es keinen Weg zu Fuß mehr hinauf gab. Wann immer es möglich war, ließ er den Golem vorangehen und sich zu den Überhängen strecken. Dann erklomm Maro den Rücken des Riesen und zog sich auf die nächste Ebene, ersparte seinen Händen so die spitzen Steine der Wände. Bald rasselten ihm die Atemzüge dennoch, obwohl er die schwierigsten Kletterpassagen schon umlief.
Er stützte sich auf die Oberschenkel und sah nach oben. Die Gipfel reichten nur fast bis an die Wolken heran. Doch so hoch hinauf musste er ohnehin nicht. Nur einen Pfad nehmen, der den Weg über die Ebenen abkürzte, ihn nicht erst an dem überfallenen Bauernhaus vorbeiführte, sondern direkt zurück zum Lager der Jägerinnen. Ein Schweißtropfen brannte ihm im Auge. Er schüttelte sich und wischte sich die Stirn ab. Kein Zögern, kein Zagen. Er musste weiter.
Die Hänge wurden steiler und spannten sich höher bis zur nächsten Felsterrasse. So hoch, dass Oram ihm den Aufstieg nicht mehr erleichtern konnte. Jilis schwankte in der Pranke des Golems, während er sich mit der anderen hinaufzog und mit den Beinen nachschob. Einige Male stockte ihm der Atem, wenn der braune Haarschopf nach unten baumelte und die Finger des Kolosses um sie zitterten. Aber dann erinnerte er sich, dass er selbst noch genau den selben Weg vor sich hatte – und dass viel eher er es sein würde, der hinabstürzte.
Gegen Nachmittag hatte der Himmel sich zugezogen wie eine Phalanx aus Schildträgern, und die ersten Tropfen fielen. Sie durchnässten die improvisierten Handschuhe Maros, die nun eher als Bandagen dienten – Risse klafften in seinen Handflächen und färbten den dunklen Stoff mit Blut noch dunkler. Noch immer ging es höher hinauf, und wenn sich neue Wunden an Maros Händen und Armen auftaten, dann spürte er es unter der gnädigen Taubheit nicht. Nur, wenn die Regentropfen seine Wunden trafen, brannte der Schmerz hoch und heiß wie kochendes Öl. Den Golem behinderten die Tropfen kaum, er kletterte in ewig gleichem Tempo über Felsspalten und splitterüberzogene Hänge. Erst, wenn der Regen schlimmer würde, konnte Oram in Schwierigkeiten kommen. Und ein Blick auf die pechschwarzen Wolken zeigte Maro, dass es schlimmer kommen würde.
Dennoch legte er eine Rast unter einer schräg aufragenden Felsnadel ein, um wieder Atem zu schöpfen. Der Golem kauerte sich dazu und legte die Jägerin ab. Ihre Finger zuckten, bildeten Krallen und griffen in die leere Luft. Die Muskeln wehrten sich. Maro legte Jilis eine Hand auf die Stirn. Heiß von Fieber. Fieber konnte gegen die Yata nichts ausrichten, so hoch es auch steigen mochte. Aber es konnte zumindest die Wirkung des Giftes verzögern. Wenn es nicht so hoch stieg, dass es selbst das Leben der Jägerin bedrohte...
„Verdammter...“, murmelte sie, und ihre Gesichtszüge zuckten wild.
„Verdammter Nekromant. Das wolltest du sagen“, sagte er. Oram starrte ihn mit seinem leeren Gesicht an, in das der Regen schon Kerben gewaschen hatte.
Verdammt waren sie beide, schon lange. Er hätte sie töten können, den ganzen Weg über. Dann wäre ihm die Bedingung der Hexe erspart geblieben.
Draußen zuckte ein Blitz über den Himmel. Der Donner erschütterte die Felsen, folgte viel zu rasch. So sehr sein Körper nach einer Rast verlangte – der von Jilis verlangte danach, dass sie weiterzogen.
Er tauschte seine Bandagen aus und zurrte sie fest, Oram nahm die Bewusstlose auf den Arm.
Von den Bergspitzen her blies ein schwüler Wind wie der Atem eines Titanen. Das Herz des Gewitters lag erst noch vor ihm.
Die Kraft seines Geistes genügte nicht, die Schmerzen zu vertreiben, wenn er in den rauen Stein griff und sich höher zog. Er biss die Zähne zusammen und ertrug, was da kam. Keines Nekromanten würdig. Er drehte sich um. Einer Jägerin vielleicht.
Hinter ihm sanken der Wald und die Ebenen in die Ferne. Ein Labyrinth aus Felsspitzen und Gesteinsschollen war das Einzige, das er sah. Seine ganze Welt.
Die Hänge flachten wieder ab, und wie zu Beginn zog sich Maro mit Hilfe seines Gefährten auf die nächsten Ebenen. Es waren die letzten Schritte, die er bergauf gehen musste, dann wölbte sich der Bergkamm zur anderen Seite wieder hinab. Als Oram sich hinter ihm auf die Hochfläche zog, begann der Regen.
Die Tropfen platschten nicht mehr einzeln auf den Fels, sondern in rauschenden Strömen. Maro rannte. Durch die Dunkelheit seiner Kapuze sirrte das Licht eines Blitzes, und der Donner folgte augenblicklich.
Er jagte die Hänge hinunter, sprang kleinere Distanzen einfach hinab und bei größeren ließ er sich mitten im Klettern fallen. Der Stein schlug ihm mit dumpfen Hieben gegen die Fußsohlen. Längst stand er mit den Zehen im Wasser, das sich in seinen Stiefeln ansammelte.
Atemlos drehte er sich um. Diesmal war er es, der auf den Golem warten musste. Verfluchte Erde, die im Regen verging! Die Löcher von Augen und Mund waren längst von Schlamm ausgefüllt, der ganze Kopf zu einem schiefen Buckel zusammengeschmolzen. Und die Beine waren längst zur halben Größe geschrumpft und zogen Spuren aus Matsch hinter sich her. Wie ein Krüppel zog er sich immer weiter und büßte mit jedem Schritt mehr von seiner Form ein. Auch Maro wankte unter dem Gewicht des Wassers, mit dem sich seine Kleider vollsogen. Minuten, mehr gab er dem Golem nicht mehr.
Nicht nur ein Mal rutschte er mit Stiefeln oder Händen vom glitschigen Gestein ab und stürzte mehrere Schritt tief. Seine Knie dröhnten vor Schmerz bei jedem Auftreten, und seine Handschuhe flatterten in alle Richtungen davon, getränkt von Wasser und Blut. Hinter den steilsten Hängen wartete er lange auf den Golem.
Ein Erdhaufen näherte sich, reichte ihm kaum noch bis zur Brust. Beine fehlten völlig, Oram zog sich mit einem Arm voran wie ein Sumpfungetüm.
Zeit abzutreten, wie die Hexe gesagt hatte. Maro legte einen Finger auf die zerlaufende Erde und forderte die Lebenskraft zurück, die er gespendet hatte. Eine winzige Flut aus Energie sprang in ihn. Das letzte Quäntchen Kraft, das ihn bis vor die Tore des Lagers bringen mochte. Wenn er nicht Schritte davor zusammenbrechen und auf durchweichten Wiesen verenden würde.
Die Gestalt des Golems zerlief zu einem Tümpel, nur den Körper der Jägerin hob Maro aus der Brühe heraus. Sie wog schwer, eben so mit Erdspritzern bedeckt wie er und ihre Kleidung eben so voll Regenwasser gesogen wie seine.
Der Abhang mündete bald in die Wiesen, und kurz darauf traf er auf die Straße, an der ihm am gestrigen Tag Jilis aufgelauert hatte. Bei jedem Schritt fürchtete er erneut, dass seine Arme unter dem Gewicht brechen würden.
Er war in das Land gekommen, um die Göttin zu treffen, um, wenn es nötig war, auf dem Weg zu sterben. Wenn er nun starb, dann wegen einer gewöhnlichen Sterblichen, die er auf den Armen trug.
Er wankte wie ein Betrunkener, das Gefühl wich ihm aus den Beinen und Armen. Den Speerschnitt auf dem Rücken weichte der Regen neu auf und peinigte Maro mit Qualen wie von Peitschenhieben.
Die Kleidung klebte an ihm wie eine zweite Haut und der Regen hämmerte in seinen Ohren und stürzte als glitzernde Wand vor seinen Augen hin. Die einzigen Beweise, dass er noch nicht in das Reich der Toten eingetreten war. Der Rest an Energie, den er von Oram erhalten hatte, war längst weggewaschen in der Regenflut.
Irgendwann gaben seine Beine auf. Wie auf einen Befehl hin klappten ihm die Glieder ein. Es war so lächerlich. Mit dem Kinn schlug er im Schlamm auf und lachte. Rinnsäle flossen an seinen Wangen vorüber, Jilis rollte aus seinen Armen und blieb vor ihm im Matsch liegen, das Gesicht hinter nassen Haarsträhnen verborgen.
Selbst einer, der zwischen Leben und Tod wandelte, konnte nur eine gewisse Zeit auf der Schwelle balancieren. Er hatte lange genug balanciert, jetzt war er gestürzt. Dunkelheit schob sich ihm vor die Augen und vor den Geist.
Durch die Schwärze drangen Stimmen aus einer anderen Welt.
„...nicht erwartet, dass er zurückkehren würde.“
„Aber mit einer toten Schwester, zumindest das habt Ihr sicher erwartet.“
Es konnten Geister sein, die sich in sein Bewusstsein schlichen. Aber er antwortete. Rollte die Worte aus seinen Kiefern mit endloser Mühe.
„Nicht tot. Grüne Yata.“
„Ihr habt sie vergiftet? Ein guter Streich, um sich ihrer zu entledigen.“
„Nein“, sagte er. Jedes weitere Wort wäre ihm noch im Halse zerbrochen.
„Dennoch, eine Dreistigkeit sondergleichen, das sei Euch gelassen.“
In ihm lachte eine helle Stimme auf. Ja, das stimmte. Dreistigkeit hatte ihn so weit gebracht. Keinen Respekt vor seinen ehrwürdigen Lehrern, vor der Schwesternschaft des verborgenen Auges. Das würden sie auf seinen Grabstein schreiben. Ein dreister Nichtsnutz.
Die Stimmen verstummten. Einen Grabstein würde es womöglich nicht geben. Sie würden warten, bis die Straße ihn verschluckt hatte, bis das Gewitter ihn einfach aus ihrer Welt spülte.
Eine andere Stimme kehrte zurück, irgendwann.
„Das wird dich einige von deinen teuren Münzen kosten“, sagte sie zu ihm. Etwas zog ihn aus dem Schlamm, hob ihn in die Luft. Die Engel der nächsten Welt jedenfalls forderten kein Gold ein für ihre Dienste. „Weißt du, wie viel ein Seidengewand mit eingesponnenen Silberfäden kostet, und weißt du, wie vorsichtig man es reinigen muss – nachdem man damit eine Moorleiche geschleppt hat?“
Weder die Schmerzen des Körpers noch die des Geistes ließen nach, aber er lächelte.
„Nein, weiß ich nicht. Erzählt mir davon.“

Er erwachte in einer stumpfen Welt. Ein Schleier vor seinen Augen hielt das Licht von Öllampen auf, und eine Wand aus Watte vor seinen Ohren dämmte die Geräusche. Jemand trat neben ihm auf, zwischen den Säcken und Kisten. Gheeds beladener Wagen. Kein Zweifel, er war wach. Auch die Schmerzen seines Körpers erschienen weit entfernt, als hülfe ein anderer ihm, sie zu tragen.
„Wo ist sie?“, fragte er. Er tastete mit der Zunge den Gaumen entlang. Kein Gefühl. Auch nicht in seinen Händen, die in dicken weißen Verbänden steckten. Jemand lachte.
„Jeder andere hätte gefragt, wo er selbst sich gerade befindet. Du scheinst sie ja ins Herz geschlossen zu haben.“
Maro richtete sich auf. Jede Bewegung war wie gegen einen Wasserfall. Aber keine Fieberhitze brannte in ihm. Es war nur die Schwäche seines Körpers, nachdem er den letzten Rest an Kraft von ihm gefordert hatte. Er krallte eine Hand in das Hosenbein des Händlers.
„Ich habe eine Frage gestellt.“
„Oh, ja. Ist mir nicht entgangen. Ich habe nur gesehen, wie die Frauen sie in das Zelt der Alten getragen haben.“
Eine andere als Akara würde in diesem Lager auch nicht die Mittel und Kenntnisse besitzen, gegen das Gift der grünen Yata anzutreten. Aber selbst die alte Frau...
Der Händler machte einen Schritt beiseite und schüttelte Maros Hand ab. „Wie wäre es zuerst mit ein paar Gedanken um dich selbst? Dem Folterknecht, der dich in die Hände bekommen haben muss, kann ich nur meinen Respekt für seine Künste zollen.“
Maro zog sich an den Streben, die die Dachplane hielten, hinauf. Durch den Wagenausgang drang ein Schimmer von Morgensonne zu ihnen herein. Nicht viele Stunden konnte er geruht haben.
„Tja, er hat mich nicht bekommen. Wie Ihr seht, kann ich stehen.“
„Wenn ich dir nicht einige der Wundertränke aus der Wüste eingeflößt hätte, könntest du womöglich nicht einmal mehr liegen. Es sind die Säfte, die dich auf deinen Beinen halten. Kann gut sein, dass du sie wieder auspisst und dann zurück in deinen Schlaf fällst.“
„Ob mich Krücken, Dämonenkräfte oder Wundertränke auf den Beinen halten, das macht keinen besonders großen Unterschied.“
Die Tränke. Jilis konnte jeden Windhauch brauchen, der an ihrem Schicksal rüttelte. Maro fingerte in seinem Geldbeutel nach Münzen. Seine bandagierte Hand fasste zuerst nur ins Leere, dann fand sie einige Goldstücke auf dem Grund.
„Du wunderst dich vielleicht, dass nicht mehr alles darin ist... Ich habe mir meinen Lohn für deine Rettung schon genommen.“
Ersticken konnte er an dem Lohn, was es Maro anbetraf.
„Gebt mir dafür von den Tränken und Tinkturen. Alles, was Ihr entbehren könnt.“
Er streckte Gheed eine zitternde Hand entgegen, in der Goldstücke aufeinander klapperten.
„Mh... Lass mich raten, du wirst dir die Wässer nicht selbst einflößen.“
„Jilis“, sagte Maro. Er starrte den Händler so durchdringend an, wie er konnte. Die Schleier vor seinen Augen färbten die Gewänder in ein milchiges Grau – oder sie waren tatsächlich so von Schmutz bedeckt, wie Gheed es gefürchtet hatte.
„So, so...“ Der Händler wandte sich einer Kiste zu, in der Glaszylinder glitzerten. „Es wäre leichter, wenn ich wüsste, was dem Mädchen fehlt. Und du hast nicht zufällig an einem der Elixiere genippt, die ewige und bedingungslose Liebe bewirken?“
„Macht so ruhig weiter, dann werdet Ihr mehr als nur eine dieser Mixturen benötigen, um Euch wieder zusammenzusetzen.“ Er zögerte, dann sagte er: „Es ist grüne Yata gewesen, die sie niedergestreckt hat.“
Gheed kicherte in die Kiste hinein. Der Humor des Wüstenmanns verdiente ein rasches Grab.
Einige Minuten später stand Maro mit zwei Phiolen in den verbundenen Händen da.
„Die Flüssigkeit in dem kleineren Röhrchen macht das Blut dicker. Es wird das Gift nicht so schnell transportieren können. Durch einen Fluss lässt es sich leichter schwimmen als durch einen Sumpf.“ Gheed zeigte auf das zweite Behältnis. „Dies hier ist aus dem Saft von Kakteen gebraut. In hohen Dosen ist es gefährlich, weil es den Körper genau so befällt wie eine Grippe. Aber das hier ist verdünnt. Es fordert den Körper lediglich dazu auf, seine Abwehr zu stärken, weil er einen Angriff wittert. Es treibt das Fieber hoch.“
„Ihr wisst viel von der Heilung. Akara stopft den Verwundeten womöglich ihre eingelegten Kröten in den Mund.“
„Wenn es hilft...“
„Ja“, sagte Maro, und lachte trüb, „wenn.“
Er zog sich voran durch den frühen Morgen. Streifen von Sonnenlicht drangen auf seine Haut und die dreckverkrustete Rüstung. Er spürte nichts von der Wärme.
In Akaras Zelt brannte noch das Licht von Öllampen. In den Schatten des Zelteingangs standen zwei Jägerinnen, die Arme verschränkt. Würden sie ihn aufhalten? Ungerührt trat er auf den Eingang zu, blickte starr geradeaus.
„Du kannst dort nicht hinein“, sagte eine der Jägerinnen, und von beiden Seiten rückten sie an. Er sammelte alle Stärke, die sich noch in seinem Körper befand, und stieß die beiden Frauen mit den Unterarmen beiseite. Der Aufprall erinnerte ihn an die Sprünge von den Felswänden. Die Zeltwächter taumelten zurück, und er schritt rasch zwischen ihnen hindurch.
Auf ein Lammfell gebettet, lag Jilis dort. Nur in Unterkleidung, ohne die Rüstung. Obwohl der Morgen kühl war – soweit er das unter der Taubheit, die Gheeds Arzneien ihm herbeigeführt hatten, feststellen konnte.
Eine Gestalt in Kutte erhob sich neben dem Lager und machte Handbewegungen, als wolle sie einen Streuner fortscheuchen.
„Kusch, Dämon!“, sagte Akara. „Der Mörder kehrt zum Opfer seines Verbrechens zurück, so?“
„Ihr wisst genau, dass ich das nicht getan habe.“
Als hätte sie ihn nicht vernommen, fuhr sie fort.
„Und er bringt mehr von dem Gift, das er ihr eingeflößt hat.“ Ihre runzligen Finger schnippten gegen eine der Phiolen in seinen Händen. „Wachen! Wo seid ihr?“
Jemand packte ihn hart unter den Armen, und die Welt drehte sich für einen Moment.
„Verzeiht, Akara“, sagte die Jägerin, die ihm den Weg verstellt hatte. „Wir werden ihn–“
„Das ist kein Gift!“, sagte Maro. „Im Gegenteil, diese Tränke sollen ihr das Gift aus den Adern spülen.“
Er wurde rückwärts gezerrt, aber Akara hob die Hand. Stille. Sie hinkte näher. Erst da erspähte Maro eine weitere Gestalt am Lager von Jilis. Eine junge Frau mit Sommersprossen im Gesicht, die ihn weder mit Verachtung noch Bosheit anblickten. Nur Trauer las er in ihren Augen.
Akara packte ihn an der Schulter, ihre Fingernägel drückten sich in die Wunde auf seinem Rücken. Er stöhnte.
„Ich weiß nicht, mit welch fremdländischem Blendwerk du zu uns kommst, aber wir behandeln unsere Verwundeten seit Ewigkeiten mit den Extrakten der Früchte, die in unserem Land wachsen.“
„Dann sind die Ewigkeiten jetzt vorbei!“
Der Hohn in Akaras Blick verwandelte sich in Zorn.
„Du willst das bestimmen – Schlange aus dem Osten?“
„Ich will nur, dass Jilis nicht stirbt.“
„Wenn unsere Herrin sie zu sich ruft, dann sind wir dagegen machtlos. Wer glaubst du, zu sein, dich ihr entgegenzustellen?“
Einem die Worte im Munde zu verdrehen und Fragen zu stellen, auf die es keine Antwort gab, das mussten die Schwestern schon in der Wiege lernen... Maro wand sich im Griff der Wächter.
„Was wisst Ihr darüber, wie das Gift in ihren Körper gekommen ist? Ich habe gegen die Hexe gekämpft, die Jilis das angetan hat.“
Der Ausdruck ihres Gesichts wechselte wieder, die Falten legten sich. Sie hatte ihn unter Kontrolle.
„Dein Wissen wird hier nicht verlangt, Nekromant. Du stürmst in meine Hütte wie ein Halunke und verlangst Verständigkeit. Dass ich dich nicht habe abstechen lassen wie einen tollwütigen Hund, das ist dir nicht genug...“
Ein Hund, was für ein passender Vergleich. Wie ein Hund lief er seiner Herrin nach und kläffte um sich. Wenn ihr Schicksal nur nicht mit seinem verwoben gewesen wäre.
„Vergesst mich! Nehmt die Tränke, wenn noch etwas von Jilis zu retten ist.“
„Sie hat erst einen Arm verloren.“ Ihm wich das Blut aus dem Gesicht. Ein Arm verloren? Akara wendete sich ab. „Damit muss man rechnen, wenn das Gift vor Beginn der Behandlung schon so weit vorangekrochen ist.“
Selbst ein Akolyth unter den Nekromanten hätte das verhindern können, und er hätte nicht einmal das zweite Gesicht benutzen müssen.
„Es ist falsch“, sagte er leise. Nicht nur Eure Taten. Ihr seid falsch.
Die Wachen zerrten ihn nach draußen. Seine Arme und Beine trugen nicht mehr genügend Kraft, um sich zu widersetzen. Der Zelteingang wurde zugezogen und die Jägerinnen stießen ihn fort. Er stolperte durch den Schlamm und blieb vor der Asche des Lagerfeuers stehen.
Mit einem Arm begann es, beim Herzen würde es enden. Wie ein folternder Dämon fraß das Gift der Yata sich von den Fingerspitzen und Zehen aus zur Körpermitte. Das Herz war seine letzte Speise.
Mit dieser verfluchten Zauberin, deren Horizont an den Heringen ihres Zeltes endete, war Jilis' Ende bereits beschlossen. Und damit das Ende seines Traums.
Er fasste den Griff seines Schwertes. Als letzte aller Möglichkeiten...
„Maro?“, fragte jemand hinter ihm.
Die Morgensonne blendete ihn, er schirmte die Augen mit der Hand ab und ließ den Schwertgriff los. Die Konturen einer der Jägerinnen zeichnete sich ab. Das Gesicht mit den Sommersprossen, von Jilis Lager. Ein schmales Mädchen, viel schmaler als ihre Schwestern, kam auf ihn zu. Noch etwas anderes an ihr passte nicht zu den anderen. Sie kannte seinen Namen.
„Du willst ihr helfen“, sagte sie sehr langsam, als müsse sie jedes Wort sorgfältig wählen, und drückte die Fingerspitzen aneinander. „Ich glaube dir.“
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,

sehr schönes Update. Der Stil ist gewohnt gut und bringt wie immer viel Spaß beim lesen. Auch die Wendung von Blutrabe - dass er sie nicht getötet hat - gefällt mir gut. Jetzt weiß man wenigstens nicht mehr, was passieren wird :) Freue mich schon auf das nächste Kapitel :)

lg, Gandalf
 
Hi Gandalf - du glaubst, je gewusst zu haben, was passieren wird? Höhöhö! :lol:
;)
Danke für den Kommentar!

Hi Diderot, bei dem umso-desto-Satz scheint es ja verschiedene Auffassungen zu geben... Ich nehme mir da dann mal einfach das Recht heraus, meine Version beizubehalten; ich empfinde sie näher an der gesprochenen Sprache. Hier geht es wohl nicht allen recht zu machen.
Dein Einwand bei der Sehnen-Problematik ist gerechtfertigt. Das ist nur kohärent, wenn auch die Zombie-Dame ohne Sehnen auskommt. Fleisch und Haut hat sie auf jeden Fall noch stellenweise auf den Knochen, ich baue da noch einen Hinweis ein - und deine Idee mit dem Kniegelenk, danke. :)
edit: Geändert, das mit dem Gelenk. Aber ein, zwei Sätze vor der von dir zitierten Stelle wird die Dame als "mager bis auf die Knochen" beschrieben, das sollte eigentlich ausreichen um noch an etwas, naja, Gewebsmasse, denken zu lassen. Es sei denn, man sieht das sehr metaphorisch.

Im Moment weiß ich leider nicht, ob ich bis nächsten Montag überhaupt wieder etwas rausbringen kann, denn Klausuren und die Praktikumsstelle(und das Vorarbeiten dafür) fressen jetzt doch viel Zeit, und ein Privatleben rede ich mir manchmal auch noch ein zu haben. ;)
Aber ich eile mich. :)
 
Eine Interessante Wendung um das mal vorsichtig zu formulieren. Gut das Jilis das Gespräch nicht mitanhören konnte sonst kämen da wohl doch wieder deutlichere Zweifel an des Necros Motiven :D

Irgendwie find ich den letzten Teil am besten mit der Kletterpartie, da kann man sich richtig schön reinversetzen und gut nachvollziehen was Maro antreibt :top:

"Blutrabe sank auf die Treppe Krypta hinunter"
-> fehlt ein "der"

Was mir in dem Kapitel ein bißchen negativ auffällt sind die Sprünge zwischen den Gedanken von Maro auf der einen Seite und Blutrabe auf der anderen - da sollte vielleicht deutlichere Absätze zwischen damit klar erkennbar wird, dass man vom einen zum anderen springt (also das hin und her selbst find ich gut, nur muss man immer erstmal überlegen ob's nun noch zim selben gehört oder wieder ein wechsel gewesen ist).
 
Toll, dass dir der Kletterpartie-Teil gefallen hat. Obwohl ich kein Freund des Erzählens bin, hat mir der auch recht viel Spaß gemacht.
Fehler ausgemerzt, die Perspektivwechsel markiere ich mit einem * Sternchen, mal sehen, wie das aussieht.

Kapitelende steht übrigens!

edit: Oh, ich muss mich ganz arg entschuldigen. Durch das Kopieren aus dem Word-Dokument sind mir offenbar die Absätze zerschossen worden, die Blutrabe und Maro in der Perspektive trennen sollten. Ich hatte mit Strg+Enter immer eine neue Seite angefangen, das ist aber beim Übertragen ins Forum wohl verschluckt worden. Nicht einmal einen Absatz hat das Forum mir geschenkt, sondern einfach gleich in der nächsten Zeile weitergemacht. Dass das kein Vergnügen zu lesen war, kann ich mir vorstellen. Aber die Sterne lasse ich doch. Ein Gliederungszeichen, das etwas mehr signalisiert(nämlich den Perspektivenwechsel), ist sicher nicht falsch.
 
Perfekt :) etwas zum lesen zwischen der ganzen Lernerei. Danke. Die hat einen Arm verloren? Ist das sicher, dass der weg ist? Krass... Na ja mal gespannt, wie es weitergeht.

lg, Gandalf
 
Ob der Arm verloren ist? Ich äußere mich mal nicht und verweise auf das nächste Kapitel - noch mehr für die Prüfungszeit zwischendurch. ;)
Wie durch ein Wunder liefere ich diese Woche ein ganzes Kapitel, und tatsächlich pünktlich.
Jetzt bin ich allerdings auch endgültig in der Klausurenphase...
Aber ich bin selbst beeindruckt, dass ich schon 200 Seiten zusammen habe, bei meiner ersten Geschichte hat das locker ein halbes Jahr gedauert, und nicht ein paar Wochen. :D "Göttertraum" wird wohl mein bisher längstes Ding.






IX Die Legende

Ein unendliches Gewicht ruhte auf ihrer Brust und fesselte sie an das Lager. Eine falsche Bewegung, und ihre Rippen würden zerbrechen. Jeder Atemzug ein Kampf um das Leben. Aber sie nahm den Geruch des ranzigen Kerzenfetts wahr und die Schatten, die sich hinter den Zeltwänden bewegten. Und die schmale Gestalt, die neben ihr kniete.
Alles überlagert von den letzten Bildern, die sie gesehen hatte, bevor die Ohnmacht sie fortgerissen hatte. Der Pfeil, der ihr in die Brust hätte fahren sollen, und die Wand aus Gebeinen, die sich vor ihr aufgetürmt hatte, um das Geschoss aufzufangen. Der verrückte Hundesohn. Was auch geschehen sein mochte, ohne ihn würde sie nicht hier liegen, sondern auf dem Gottesacker, ohne ein eigenes Grab zu besitzen.
Vega ergriff ihren Arm und legte sich die Hand auf die Schulter. Jilis wartete auf die Empfindung der Berührung. Nichts.
„Das kannst du ewig versuchen“ , sagte sie vorsichtig. Atemzug nach Atemzug, nicht zu rasch. „Das Ding ist wie ein Stock, den man mir an die Seite genäht hat.“
„Er kann es wieder in Ordnung bringen... ich bin mir sicher.“
„Er?“
„Maro. Du hast seinen Namen im Schlaf gesprochen.“
„Ich hoffe, er ist mir zusammen mit einer Ladung Erbrochenem über die Lippen gekommen.“ Sie lachte heiser, es pochte in ihrer Brust. „Akara hatte wohl zu viel zu tun, um sich um mich zu kümmern?“ Mit dem Arm, den sie noch spürte, zog sie die Felldecke bis an den Hals hinauf. Was für ein Gedanke, dass jemand den Nekromanten an ihren Körper gelassen hatte.
„Du wärst gestorben“, flüsterte Vega und drückte ihre taube Hand.
„Früher oder später holt der Meister Tod jeden. Umgekommen im Auftrag der Herrin, was für ein Ende soll besser sein?“
„Eines, das noch auf sich warten lässt! Ich will nicht, dass du stirbst.“
Jilis drehte den Kopf zur Seite, sank in das Kopfkissen ein.
„Ich auch nicht, eigentlich.“
„Maro hatte Medizin für dich. Akara hat ihn weggeschickt, also habe ich sie dir gegeben.“
Sie setzte sich auf, soweit es ging, stützte sich auf einem Ellenbogen ab und starrte Vega an.
„Was hast du dir gedacht? Er hätte flüssiges Quecksilber oder Schlangengift in seine Krüge gefüllt haben können!“
„Nein“, sagte Vega und legte Jilis Arm zurück unter die Decke. „Das hätte er nicht. Er ist kein böser Mensch. Er hat dich den ganzen Weg hergetragen, wo auch immer du gefallen sein magst.“
Natürlich hatte Vega Recht. Quecksilber und Schlangengift, das war Meilen entfernt von dem, was der Nekromant je getan hätte.
Jilis fühlte über die Finger ihres toten Arms. Kalt und taub. Ein Stock, den ihr jemand unter die Decke gelegt hatte. Es schauderte sie, als sie die Konturen nachspürte.
„Der Friedhof“, begann sie und erzählte von der Reise, die sie mit dem Nekromanten zusammen unternommen hatte. Von den vielen geflügelten Teufeln und dem einen Teufel, der einmal ihre Freundin gewesen war.
Falke war noch immer lebendig gewesen, unter einem grässlichen Schutzwall, den sie um sich gespannt hatte und den sie Blutrabe genannt hatte. Aber der Krieg hatte selbst das zweite Leben eingefordert, das sie erhalten hatte. Hatte gefordert, dass Falke ging, oder Jilis selbst.
Sie hat dir das angetan“, sagte Vega, und ihre Stimme zitterte. „Auch, wenn ich ihr nicht geglaubt habe: Akara sagte, Maro hätte dir...“
„Ein Schwachkopf ist er, und ohne Glauben oder Ehrfurcht, aber jemanden vergiften, dazu... fehlt ihm etwas. Du hast es selbst gesagt.“
Vor ihren Augen stieg wieder die Wand aus Knochen aus dem Boden, die den tödlichen Pfeil abfing und weit fortschleuderte. Was sollte sie damit nur anfangen? Ein unberechenbarer Hundesohn. Vielleicht würde er sie doch am nächsten Tag noch erdolchen, weil ihm die Laune danach stand.
„Nur Falke... Alles, was von ihr geblieben ist, ist dieses Gift. Ein letztes Geschenk“, sagte Jilis. „Wie weit ist es schon?“
Vega öffnete den Mund, um etwas zu sagen, da schlug jemand die Zeltplane zurück. Akaras Umhang flatterte im Wind, der draußen durch die Nacht ging. Ein Windhauch zog auch an Jilis vorüber und stellte ihr die Haare an den Armen auf. Wieviel hatte die alte Frau mitgehört?
„Du brauchst nicht zu fürchten“, sagte Akara. „Der Fluss des Giftes ist gestoppt, dein Körper hat es bekämpft und besiegt. Drei Tage und Nächte lang hat der Kampf gedauert, aber du hast gewonnen.“
„Kämpfe gewinnen, ohne bei Bewusstsein zu sein, daran müsste ich mich gewöhnen.“
„Danke der Herrin, sie hat gütig auf dich geblickt und dich noch nicht gehen lassen.“
„Auf meinen linken Arm hat sie nicht sehr gütig geblickt.“
Jilis hob den Arm am Handgelenk an und ließ ihn zurück auf das Lager fallen. Fast hätte sie gelacht. Und danach geweint.
„Dir ist alle Hilfe zu Teil geworden, die einer Schwester des verborgenen Auges zusteht.“
Akara drehte einige der Einmachgläser in ihrem Schrank. Vega sah hinter sich, ob die Oberin sie beobachtete, dann schüttelte sie den Kopf und schenkte Jilis ein trauriges Lächeln.
„Ich zweifle nicht an Eurer Hingabe“, sagte Jilis. „Aber mein Arm verfault mir am Körper. Es ist nicht angenehm, das zu wissen, verdammt.“
Bis zur Schulter spürte sie die Berührung ihrer Finger noch, alles darunter am Arm war taub, tot.
„Er wird nicht verfaulen. Er ist nicht tot. Das Gift der grünen Yata-Blume zerstört nur die Muskeln, und es lähmt die Nerven, damit der Vergiftete von den Schmerzen nicht erwacht. Wie ein intelligentes Lebewesen.“
„Also kann ich diesen jämmerlichen Rest als das Stück Aas sehen, von dem kein Tier mehr fressen will.“
„Wenn du möchtest, nehme ich ihn dir ab.“
Akara stützte sich auf einen Tisch und sah sie an.
Jilis steckte den Arm unter die Decke. Das erbarmungswürde Ding war nicht einmal halb so dick wie ihr gesunder Arm.
„Er ist wie die Narbe an meinem Hals. Falls er meinem Körper nicht schadet... dann soll er eine Erinnerung bleiben.“
Ein Schluchzen stieg in ihr hoch, sie drehte sich rasch weg und gab vor, zu husten.
„Eine Erinnerung an was? Du hast noch immer nicht erzählt, wie es geschehen ist.“
Und doch hatte das die Oberin nicht davon abgehalten, Gerüchte im Lager zu streuen.
„Aber du wirst Gelegenheit bekommen“, sagte Akara, „denn am Nachmittag wollen wir uns mit Kaschya bereden, wie wir weiter vorgehen.“
Jilis bewegte die Schultern. Die Verbände um ihre übrigen Wunden hielten sie gebunden wie eine Gefangene. Aber sie würde es zu der Besprechung schaffen müssen. Aradeia, jetzt endlich hatte ihre Feindin einen Namen.
„Verlasst Euch auf mich“, sagte Jilis.
Akara nickte ihr zu.
„Aber schon vor dem Nachmittag gibt es noch etwas, das ich mit dir besprechen möchte. Vega...“
Ihre knochendünnen Finger legten sich auf den Arm der Jägerin, die daraufhin schnell nickte und aufstand. „Jilis... du schaffst es“, sagte sie und drückte ihr noch einmal ihre Hand, bevor sie aus dem Zelt verschwand.
Schaffen? Was nur? Eine gesonderte Ausbildung erforderte es nicht, wie eine Halbtote im Krankenbett zu liegen. Und die Muskeln ihres Arms nachwachsen zu lassen, das zu schaffen, dazu fehlten ihr die Wunderkräfte.
Stille kam in das Zelt.
„Ich will meinen Arm wieder“, sagte Jilis schlicht. Falke hatte ihn ihr nicht genommen. Sondern der verdammte Geist dieser Zeiten, der die Menschen trennte und sie hungrig auf das Blut der anderen machte.
Sie bebte vor Zorn. Jetzt, da Vega fort war, musste sie sich nicht mehr beherrschen. „Mit einer Hand kann ich den Bogen unseres Ordens nicht mehr spannen!“
„Ich dachte, das wäre der Grund, weswegen du ihn behalten willst – damit du dich an die Zeiten erinnerst, als du es noch konntest.“
„Drei Höllen!“ Sie schlug mit der Faust auf das kleine Tischchen bei ihrem Lager, dass die Flüssigkeit aus den Gläsern darauf herausschwappte. „Ich bin jetzt weniger als ein Haufen Rattenschiss in diesem Lager!“
Die Oberin setzte sich ihr gegenüber und sah in ihre Augen, sah hindurch durch ihren Zorn.
„Wären wir nicht so rasch bei der Hand gewesen, du hättest mehr verloren. Viele von uns ruft die Herrin erst durch den Tod aus der Schlacht zurück. Deine Stunde des Rückzugs ist gekommen, aber sie gewährt dir ein Weiterleben. Wir sind keine Barbaren, Jilis, die es als endgültiges Lebensziel ansehen, in einem namenlosen Krieg zu fallen.“
Wir? Dann war sie vielleicht eine Barbarin. Und das Leben hatte sie nicht den Kräutern und Tees zu verdanken, die auf dem Tischchen neben ihr standen. Vega hatte ihr die Heilmittel gebracht, die sie gebraucht hatte. Der, von dem sie stammten... Es schmerzte, das zuzugeben.
„Schön“, zischte sie aus zusammengebissenen Zähnen. „Weswegen wollt Ihr mich sprechen?“
„Des Nekromanten wegen.“
„Ich dachte, das hätte Zeit bis zur Besprechung.“
„Es geht nicht um deinen Bericht. Ich will dich nur warnen.“
Jilis zog sich die Decke zurecht.
„Die beste Warnung habe ich im Kloster erhalten, Akara. Wandelnde Tote, Kämpfer ohne Gnade...“
Und Falke, die von dieser grausigen Macht aus dem Totenreich zurückgeholt worden war.
„Das meine ich nicht. Wir alle haben die Schrecken gesehen, die uns unser Heim genommen haben.“
Sie stutzte.
„Aber du hast noch mehr gesehen?“
„Es geht hier um dich, nicht um mich.“ Akara verschränkte die Arme, und ihre Augen verschwanden im Schatten ihrer Kapuze. „Du musst dich vor dieser Magie hüten, Jilis. Sie ist mehr als nur das, was dir die Augen zeigen. Mehr als die Wüstenmagie, die Flammenkugeln aus leerer Luft erschafft oder Blitze an einem wolkenlosen Tag herbeiruft. Die Magie der Nekromanten, Jilis, kann sehr verlockend sein.“
Für einen Augenblick schwieg Jilis, dann lachte sie los.
„In der Tat kann ich mir kaum etwas Verlockenderes vorstellen, als eine Leibgarde aus stinkenden Leichnamen zu besitzen.“
Wie eine Statue stand Akara dort, das Gesicht noch immer im Schatten verborgen.
„Du magst meinen Worten kein Gewicht beimessen, aber vergessen solltest du sie nicht.“
„Wieso erzählt Ihr mir das? Vega hätte an diesem Geheimnis ruhig teilhaben können.“
„Vega ist es nicht, die mit einem Nekromanten umherreist.“
„Aber ich? Mein Weg ins Kommandozelt am Nachmittag wird mir Reise genug sein, mit diesem...“ Sie überlegte kurz. Kaum eine Fingerbreit ihres Leibs, über den keine Bandage gebunden war. „...Wrack.“
„Es ist lediglich eine Warnung, Jilis.“
„Gut, ich bin gewarnt.“ Was sollte das? Zweifelte Akara an ihr? „Jetzt lasst mich noch etwas ruhen, damit ich heute Nachmittag nicht vor dem Zelt zusammenbreche.“
Akara verharrte in ihrer Position. Etwas zu lange. Schließlich wendete sie sich ab.
„Das wird das Beste sein, ja. Trink von dem Tee, bevor du schläfst.“
Die Brühe, aus der Dampf nach oben stieg, mochte ja Kindern die Träume erleichtern, aber einen verkrüppelten Arm konnte sie nicht heilen. Dennoch nippte sie von dem Becher, bevor sie sich zur Seite drehte.
Was für einen Weg konnte sie jetzt noch gehen, und welchen Kampf kämpfen?
Die Decke des Zelts hing so dicht über ihr. Verstellte den Blick auf den Himmel. Eine Kraft aus ihrem Innern zog an ihr, machte ihr den Körper schwer, und das Zelt verschwamm vor ihren Augen.

Um die späte Mittagszeit weckte Vega sie. Viel hatte der Schlaf nicht genutzt. Noch immer fürchtete sie, jeden Augenblick auseinanderzufallen. Aber die Verbände hielten sie zusammen, spannten sich bei jedem Schritt und drückten ihr die Haut zusammen. Vega half ihr in dünne Lederkleider, die dennoch auf die Bandagen drückten, und legte ihr einen Fellmantel um.
„Nicht umfallen“, sagte die Jüngere und stützte sie auf dem Weg nach draußen. Wie da, als sie aus dem Kloster hatten fliehen müssen. Konnte das nicht so weitergehen? Sie schlug sich Wunden und kam an der Grenze des Todes zu den Schwestern zurück. Erholte sich, zog wieder los.
Nein, wahrscheinlich konnte es nicht so weitergehen.
Der linke Ärmel des Mantels baumelte neben ihr und wurde vom Wind umhergetrieben.
Die zwei Wachen vor dem Kommandozelt würden es sehen, Kaschya, Tyreé, die anderen Anwärterinnen.
Die Luft im Zelt war stickig, und Laternen beschienen die Gesichter der Anwesenden. Kaschya stand als einzige, stützte sich auf ihren Bogen. Von Tyreé fing Jilis einen spöttischen Blick auf. Aber den hätte sie ohnehin von ihr enthalten. Die anderen Jägerinnen sahen beiseite oder starrten auf ihre Trinkkrüge.
Vega half Jilis auf einen der Stühle. Als sie saß, schwankte die Welt weniger. Niemand sprach, als wäre das alte Bewusstsein mit neuer Klarheit zurückgekehrt: Sie waren Vertriebene, hatten Heimat und viele derer, die mit ihnen gekämpft hatten, verloren.
Mit Vega an ihrer Seite schloss Jilis die Augen.
Akaras Stimme hallte, als wären das Zelt eine marmorne Halle, als wären sie noch in den vertrauten Mauern. Als wäre nichts von alldem geschehen.
„Ich danke Euch allen, dass Ihr gekommen seid. Die Tage werden kürzer, die Liste der Gefallenen länger. Wir werden heute eine Entscheidung treffen müssen.“ Die Oberin nahm auf dem größten der Stühle Platz, in dessen Lehne das verborgene Auge selbst hineingeschnitzt worden war. „Lasst uns keine Zeit verschwenden.“
Auch Kaschya nahm endlich Platz und legte den Bogen über ihre Knie. „Ja.“ Ihr Blick fiel auf Jilis. „Jilis, berichte uns, was du erfahren hast. Seid Ihr bis zum Alten Friedhof gelangt?“
Akara hob eine Hand, als wolle sie die Stimme des Hauptmanns auffangen. „Erzähle uns vor allem, was du über den Nekromanten erfahren hast.“
Die Offiziersanwärterinnen sahen sich abwechselnd gegenseitig, dann die beiden Anführer an. An diesem Tag schwang etwas in der Luft zwischen ihnen.
Jilis richtete sich auf und nickte den Anwesenden zu. „Ich werde alles so berichten, wie ich es gesehen habe.“ Und das tat sie, zum zweiten Mal an diesem Tag. Als sie über die geflügelten Teufel erzählte, nickte Akara bedächtig, und bei der Erzählung über Blutrabe saß Tyreé mit geöffnetem Mund da.
„…davon, wie ich in das Bett in Akaras Zelt gekommen bin, wisst Ihr mehr als ich.“
Das andächtige Schweigen brach, und die Stimmen schwollen an zu einem Brodem. Eine Schwester, die den Orden verraten hatte? Höllengeschmeiß mit Flügeln und Vogelkrallen, in diesen Ländereien?
Jilis lehnte sich zurück und lächelte Vega an. Jetzt konnten sie sich das Maul zerreißen.
„Genug“, sagte Akara, und wieder hallte ihre Stimme. Es konnte nur die Magie sein, die sie aus der Wüste mitgebracht hatte. „Es ist bedauerlich, was geschehen ist. Aber aus den Dämonenwesen, die du in dem Hof angetroffen hast, können wir nur einen einzigen Schluss ziehen. Irdische Kräfte sind es nicht, die hier gewirkt haben. Nicht einmal die eines… Nekromanten.“
„Woher wollt Ihr das wissen?“, fragte Kaschya. Ihre Stimme donnerte auch ohne Zauberei mächtiger durch den Raum als Akaras. „Der Junge hat einen Riesen aus Lehm im Schlepptau gehabt, als er das Lager verlassen hat. Dämonenbeschwörungen sind von dort aus kein so großer Schritt mehr.“
Akara schmunzelte unter ihrer Kapuze.
„Ich bin noch keinen Schritt näher daran, jemanden zu entlasten. Aber die Dämonen sind nicht sein Werk, das kann ich verbürgen, und auch keiner seines Kults kann dafür die Verantwortung tragen. Doch das heißt nur, dass wir es mit einer Macht zu tun haben, die aus den Tiefen der Erde stammt. Wie oft wir in den letzten Wochen das Wort Dämon schon gebraucht haben – dieses Mal müssen wir es in seiner vollen Bedeutung verwenden. Ein Wesen aus den unteren Reichen, das mit sich seine Gefährten und seine Höllenzauberei in unsere Welt gebracht hat.“
Alle Augen richteten sich auf Akara, und sekundenlang sprach niemand ein Wort. Kaschya schnaubte. „Was also tun? Falls Ihr Recht habt, Akara, wissen wir dennoch noch immer nicht, was dieses Biest für ein Ziel verfolgt. Erst recht nicht, wie wir gegen es vorgehen können. Pfeile speist es womöglich zum Mittag, Schwerter zum Abend.“
„Langsam.“ Akara wies mit der Handfläche auf den Boden. „Wir werden eine Lösung finden, doch lasst uns zunächst hören, was Jilis noch zu erzählen weiß. Wie ich sagte: Was den Nekromanten betrifft, hat sich nichts geändert.“
Jilis schreckte hoch. Ach ja, der lästige Bericht, für den sie überhaupt erst losgeschickt worden war… Sie räusperte sich.
„Großes gibt es nicht. Ich bin nicht die Jungfrau geworden, die er in einem Ritual seiner dunklen Götter zum Preis geopfert hat, und ich musste die Lagerstätte nicht mit lebendem Gebein teilen.“
Von den Offiziersanwärterinnen lächelten einige, selbst Tyreé hob die Mundwinkel.
„Es ist ernst“, sagte Akara, und ihre Stimme schwoll viel weiter an, als es bis jetzt geschehen war.
„Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann… Er ist ein undurchschaubarer Hund, aber wir haben die Teufel gemeinsam zurückgetrieben.“
„Du meinst, du hast ihm in der Schlacht beigestanden – sehr nobel von dir, aber an ihm ist diese Tat wohl verschwendet.“
Natürlich, sie hatte ihm beigestanden. Sie hätte ihm nur folgen müssen, die ganze Zeit, hätte kein Wort mit ihm sprechen müssen, und beim Auftauchen der Teufel fliehen können. Dennoch.
Sie fasste sich an die Schläfen. Das letzte Bild, das sie wahrgenommen hatte. Die Knochenwand, die sich vor ihr erhob und Falkes Pfeil abfing.
„Auch ich habe nicht alles miterlebt. Die Götter wissen, was er getan hat, nachdem ich das Bewusstsein auf dem Friedhof verloren habe.“
Erst jetzt keimte in ihr ein Gedanke. Was wäre, wenn er Falke nicht getötet hatte?
„Es ist auch nicht wichtig, Kind“, sagte Akara. „Falkes Fall ist traurig, doch davon, dass unser Feind die Toten wieder leben macht, wissen wir bereits.“
„Vielleicht ist es doch wichtig. Ist er im Lager? Können wir ihn nicht rufen lassen?“
Kaum hatte sie die letzte Silbe gesprochen, da schnitt Akaras Stimme durch den Raum.
„Ein Nekromant in dieser Runde? Welcher Geist reitet dich?“
Die Kälte der Worte ließ Jilis körperlich frösteln. Die, die hier sprach, war nicht die schwache Gelehrte, die sie mit Vega aus ihrer Bibliothek gerettet hatte.
„Er könnte etwas wissen, das uns hilft“, meldete sich Kaschya. „Dann wäre es eine Torheit, diese Möglichkeit ungenutzt zu lassen.“
„Dies ist eine Versammlung der Schwesternschaft, nicht die ihrer Schinder. Was hätte unsere Gemeinschaft noch für einen Sinn, wenn wir ihre Grenzen zerbrechen lassen? Die Herrin stehe uns bei, dass so ein Frevel nur in unseren Worten, nicht in unseren Taten geschieht.“
Hoch aufgerichtet stand Akara da, die Haare umwehten ihr Gesicht wie in einem Sturm. Magie, die wild und unkontrollierbar aus ihr brach.
Kaschya nahm einen Schluck Wein und schüttelte den Kopf.
„Frevel wäre es, wenn wir die Chance vorüberziehen lassen, die sich uns bietet. Wir sind nicht in der Position, uns den Weg mit unseren Idealen zu verstellen. Lasst ihn holen. Tyreé, Marquia.“
Die Angesprochenen erhoben sich.
„Er wird bei diesem Händler sein“, sagte Jilis.
Akaras Blick bohrte sich in ihren wie glühendes Eisen. Sie hatte die Idee aufgebracht, den Samen in Kaschya erst gesät.
Den peinigenden Blick musste sie ertragen, bis Tyreé und Marquia zurückkehrten. Der Nekromant ging an Tyreés Arm, die Verbände um seinen Schädel und die Hände standen in völligem Kontrast zu den pechschwarzen Kleidern. Sie bemerkte, dass sie die Luft anhielt. Wie ein alter Mann kam er zu ihnen gehumpelt – genau so, wie sie als alte, verkrüppelte Frau das Zelt betreten hatte. Der Kampf, den er geschlagen hatte, war nicht weniger tödlich gewesen als ihrer.
Mit dem Auge, das nicht unter einer Bandage verdeckt war, fixierte er sie und nickte ihr zu.
Akaras Blick ruhte noch immer auf ihr, aber sie nickte zurück.
„Es gibt wohl einen Grund, wieso ich aus dem Bett gezerrt werde?“, fragte er.
„Die Schwesternschaft bedarf deines Rates. Jilis hat uns bereits von eurer Reise erzählt, doch das Ende hat sie nicht mehr in wachem Zustand erlebt.“, sagte Kaschya.
„Du hast Blutrabe getötet...“, sagte Jilis. Bevor sie fortfahren konnte, schüttelte er schon den Kopf, die bleichen Haare schwangen strähnig um seine Stirn.
„Die Hexe auf dem Friedhof? Sie freut sich ihres Unlebens noch etwas länger.“
Jilis blieb der Mund offen stehen.
„Sie lebt?“
Sofort fuhr Akara ihr ins Wort. „Ein Nekromant tötet den anderen nicht, nicht wahr? Ein geheimer Bund verbindet euch.“
„Sie hat um ihr Leben gefleht, deshalb habe ich es ihr gegeben. Ein Nekromant ist sie so wenig wie ihr es seid. Ihre Kraft ist nur geliehen.“
Um ihr Leben gefleht... Falke? Wahrlich, der Fluch des Untodes hatte sie verändert. Aber wenn auch nur ein Funken der Falke übrig war, die sie gekannt hatte, dann steckte etwas anderes dahinter. Der Junge, der die Verletzungen so eifrig gesammelt hatte wie sie; gab es einen Grund für ihn, eine Geschichte zu erfinden?
„Blutrabe“, begann Kaschya, „ist jetzt nur noch eine von vielen Dienerinnen dieser Königin, wie sie sie genannt hat. Weißt du noch mehr, Nekromant? Du hast vor Tagen behauptet, du würdest auf unserer Seite stehen. Wenn du es wirklich tust, kannst du es jetzt beweisen.“
Der Nekromant regte sich nicht. Kämpfte vielleicht mit den Schmerzen, wie sie es selbst kannte.
„Den Namen der Königin kann ich Euch nennen. Blutrabe hat sie Aradeia genannt.“
Kaschya wandte sich an Akara.
„Ein Name, den Ihr kennt?“
„Leider nicht. Er klingt fast zu gewöhnlich.“ Die Oberin faltete die Hände in ihrem Schoß, ließ eine Pause entstehen. „Und der Titel der Königin ist lange nicht mehr gebräuchlich in der Mark. Jeder könnte sich so nennen.“
„Dann ist das alles“, fragte Kaschya an den Nekromanten gewandt, „was du von Blutrabe erfahren hast?“
Er ruckte zur Seite, als schüttele ihn ein Krampf, und Tyreé packte seinen Arm und hielt ihn fest.
„Sie hat außerdem noch einen Namen genannt, den Ihr kennen dürftet. Karmhang, es soll ein Dorf sein, das an den westlichen Bergen liegt.“
Die Muskeln in Akaras Gesicht spannten sich, im Licht der Laternen ähnelte sie einem Raubvogel.
„Karmhang. Was hat sie noch darüber gesagt, sprich weiter – oder ich lasse dich aus dem Zelt werfen.“
Jilis musste schmunzeln. Diese Drohung hätte Akara im Fall des Nekromanten eher als Belohnung benutzen sollen.
„Nur, dass Aradeias Diener sich dort bald zeigen werden. Aber so wird es mit allen Dörfern geschehen, sehr bald, vermute ich.“
„Nein, das vermute ich nicht“, sagte Akara und starrte auf die Felle zu ihren Füßen. „Bringt ihn weg, wir wissen alles, was wir brauchen.“
Marquia und Tyreé warteten auf den Befehl Kaschyas, und als die nickte, führten sie den Nekromanten weg. Jilis hob zwei Finger zum Abschied, der Nekromant nickte. Kurzer Auftritt für einen so verrückten Bastard wie ihn.
„Wir hätten es erwarten können, dass ihre Pläne so aussehen“, fuhr Akara fort. „Sie werden versuchen, die Einzige unter uns zum Schweigen zu bringen, die über die Dämonen mehr weiß als nur dunkle Gerüchte.“
Jilis grub in ihrem Gedächtnis. Bevor sie etwas erreicht hatte, ergriff Kaschya das Wort.
Wissen würde ich das nicht nennen. Zethys hat den Orden selbst verlassen, weil sie meinte, dass die Begegnung ihre Sinne verwirrt hat.“
„Sie hat mitangesehen, wie ihre gesamte Truppe ausgelöscht wurde. Grund genug, den Verstand einzubüßen.“
„Welchen Grund wir auch finden mögen... Ihr gebrochener Geist wird uns wenig helfen.“
„Selbst, wenn sie uns nicht helfen kann. Wir sind es ihr schuldig, sie vor den Klauen der Dämonen zu retten, die sie damals verfehlt haben. Sie hat den Schwestern lange Jahre gedient. Außerdem scheinen zumindest die Dämonen eine Gefahr in ihr zu sehen.“
Zethys, die der Hölle ins Angesicht gesehen hatte... Nicht nur eine Legende machte unter den Jägerinnen die Runde. Also hatte Falke nicht schon genug an den Schwestern, die sie auf dem Friedhof gepfählt hatte – jetzt wollte sie eine Legende stürzen.
„Zu schade, dass der Nekromant die Untote nicht vernichtet hat“, sagte Kaschya.
Jilis sprach, bevor sie dachte.
„Dann gehe ich zu Zethys.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Es ist auch mein Verschulden, dass Blutrabe entkommen ist. Da ist es nur recht, wenn ich dafür sorge, dass niemand dafür büßen muss.“
„Niemand verlangt so etwas von dir, Jilis“, sagte Kaschya nach einer Pause.
Und wenn ich es selbst verlange?
Akara schüttelte den Kopf und verbarg ihre Haare wieder unter der Kapuze.
„Dafür müssen wir nicht dich schicken. Wir sind Wenige, aber es gibt doch genug unter uns, die diese Aufgabe übernehmen können.“
Das erste Mal an diesem Tag, dass ihre Anführer beide der gleichen Meinung waren. Ausgerechnet jetzt.
„Auch ich kann sie übernehmen“, sagte Jilis. Die Aufmerksamkeit des gesamten Zelts hing an ihr, als sei sie ein exotisches Tier, ein Säbelzahnkeiler aus den Wäldern. „Ich habe noch zwei gesunde Beine, und ich werde schnell genug sein, dass ich den Bogen erst gar nicht spannen muss.“
Bitte.
Aus dem Kreis der Anwärterinnen erhob sich Tyreé.
Ich kann gehen.“
Hilfesuchend sah Jilis im Raum umher. Nicht Tyreé. Auch mit einem Arm noch würde sie der Schwester die Nase ein zweites Mal brechen können, würden sie um den Auftrag kämpfen.
„Du wirst noch so oft gehen können“, sagte Jilis. „Was nütze ich der Verteidigung hier im Lager… mit einem Arm? Blutrabe ist fortgescheucht worden, es gibt keine Bedrohung mehr auf den Landstraßen.“ Sie ballte eine Faust. „Ich kann es schaffen.“
Das letzte Mal kann ich etwas schaffen.
Tyreé zögerte, senkte den Kopf und setzte sich wieder. Sie hatte verstanden. Irgendetwas.
„Gut“, sagte sie leise.
Würde auch Akara verstehen? Kaschya?
„Die Dämonen könnten dich sehr wohl erwarten“, sagte der Hauptmann.
„Ich könnte sterben? Das meint Ihr? Jede Stunde im Dienst des Auges kann die letzte sein, das wisst Ihr so gut wie ich. Es ist nicht anders als sonst. Der Feind hat mir einen Arm abgeschlagen, wir haben ihm einen Arm abgeschlagen – Blutrabe herrscht nicht mehr über den Friedhof und die Toten dort. Es sind die gleichen Chancen wie sonst.“
Nämlich eins zu tausend.
Verdammt, sie winselte wie ein Hund, winselte um die Gnade dieser letzten Aufgabe.
Gemächlich erhob sich Akara von ihrem hölzernen Thron und trat vor Jilis hin. Etwas lag in diesen Augen, die die Magie der Wüste golden wie die Dünen gemacht hatte. Es gefiel ihr nicht.
„Steh auf, Jilis.“ Sie erwartete alles. Bis hin zum Todesstoß vor der ganzen Versammlung. Vega half ihr, sich aufzurichten, ihre Gelenke knackten. „Seht sie Euch an, Schwestern. Von uns allen hat vielleicht nur sie das Recht, sich eine wahre Tochter des Auges zu nennen. Wenn eine der unseren vor Zethys treten soll, dann sie.“
Wie zur Beschwörung hob die Oberin die Arme. Ihre Worte fachten den Herzschlag in Jilis Brust an. Doch hinter den Augen leuchtete eine Magie, strahlte über all das Alter und die Runzeln in ihrem Gesicht hinweg. Eine fürchterliche Magie, die ihr den Herzschlag gefrieren lassen wollte.
Was hatte Falke gesagt… Rachelust, die die alte Zauberin verzehren sollte?
„Ja, dann sie“, sagte Vega mit dünner Stimme, die kaum bis in die Ecken des Zelts dringen mochte. Aber sie sagte es. Obwohl sie nichts von dem verstand.
Jilis drückte sie an sich. Die Gesichter der Anwärterinnen zeigten keine Regung, bis Kaschya nickte. Dann nickten auch sie. Die Tränen kitzelten Jilis an den Wangen.

Als sie aus dem Zelt traten, brach Jilis zusammen. Vega packte sie mit einem eisernen Griff, den sie ihr nicht zugetraut hätte, und hielt sie aufrecht. Wie ein Sack hing sie der Jüngeren als Gewicht über der Schulter.
„Bring mich zum Wagen von diesem Händler, der zu einem geilen Bock wird, wenn er Gold wittert.“
„Dein Beutel ist in unserem Zelt, ich müsste ihn erst holen…“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn noch reicher machen will. Er interessiert mich so sehr wie seine Notdurft.“
Vega nickte ihr zu und schleppte sie voran. Jilis lächelte. Die einzige Schwester, vor der sie sich nicht verantworten musste.
In der Kühle des Abends zog sich das Fleisch an ihren Wunden wieder zusammen und zerrte mit Schmerzen an ihr. Aber nicht nur ihr würde es so gehen.
„Längst geschlossen, die Damen“, rief der Händler nach draußen und winkte ihnen vom Heck des Wagens aus zu, über das sich die Plane nicht völlig spannte. Unter seinen Augen hingen dunkle Ringe, und der bittere Geruch von Medizin stieg nach draußen. Genau wie in Akaras Zelt.
Jilis stützte sich auf die Ladefläche und blickte in das schummrige Licht im Innern.
„Was wollt Ihr? Ich habe genug damit zu tun, dass mein fahrender Laden zu einem Krankenlager geworden ist.“
Auf einer Schicht aus Teppichen wälzte sich eine Gestalt in dunklem Leder.
„Du hast Blutrabe besiegt“, begann Jilis und beugte sich an dem Händler vorbei. Der Nekromant richtete sich zitternd auf, zuckte mit den Schultern, dass es beiläufig aussehen sollte. Aber er sank rasch wieder zurück. „Wer wird der nächste sein?“
Der Nekromant hob eine Hand, an der die Fingerspitzen aus dem Verband hinausragten. „Das kommt darauf an, was mir auf dem Weg nach Karmhang begegnet.“
„Karmhang? Du hast gelauscht, nachdem du wieder aus dem Zelt warst.“
„So interessant seid ihr lange nicht.“
Kraft floss ihr in einem Schub zurück in den Körper.
Du willst nach Karmhang? Was willst du dort anrichten?“
Ein heiseres Lachen füllte den Innenraum des Wagens.
„Tote wird es genug geben, wenn Aradeia und Blutrabe dort aufgetaucht sind. Wo die Toten sind, sind die Nekromanten. So ist es doch, oder nicht? Du weißt das besser als ich.“
Sie bemerkte, dass es ihr eigenes Lachen war, das sich anschloss.
„Verdammter Kerl. Ich bringe dich noch um.“
Seine Hand tastete sich hin zu dem Krummsäbel in der Scheide dicht bei ihm.
„Nicht, wenn ich schneller bin.“
„Krankenlager habe ich gesagt, aber eigentlich habe ich ein Ärztehaus für Geistesschwachsinn gemeint...“, sagte der Händler und rieb sich über das Gesicht.
Es dauerte noch eine Minute, bis sie verstummten.
„Du hast noch zwei Tage“, sagte Jilis. „Dann musst du wieder laufen können. Tragen werde ich dich nicht.“
Mit einem Arm nicht.
Der Nekromant stützte sich auf seine Schwertscheide und richtete sich halb auf, keuchte. Sein Blick ging an ihr vorbei, zur Palisade des Lagers. Wahrscheinlich dort hindurch.
„Das sehen wir dann. Wer es nötig hat, getragen zu werden.“
 
Zuletzt bearbeitet:
ui

nettes kap mal wieder:)

die beiden zanken sich ja wie nen virliebtes Pärchen kommt mirn bissle so vor :D

wer weiß was sich da noch entwickelt :ugly:
 
Hey,

viel zu schnell zu Ende das Kapitel :) und in der Tat eine wunderbare Abwechslung während des Lernens. Wie üblich sehr guter Stil, lässt sich wunderbar lesen. Bei den Gesprächen ist man manchmal ein bisschen durcheinandergekommen, was gesagt, was gedacht und was von wem gesagt wurde. Aber ich denke das ist normal.

Paar kleine Fehler:
Brodem - Brodeln?
womöglich - +l
Toten wieder leben macht, wissen wir bereits - lebent? bin mir da nicht sicher
„Die Dämonen könnten dich sehr wohl erwarten“, sagte der Hauptmann. - Hauptmann - ist doch ne Frau? Wobei Hauptmännin komsich klingt. Na ja wird schon passen :)

lg, Gandalf
 
Jilis wird mir immer sympathischer, reißt sogar noch in dem Zustand schlechte Witze :D

Die beiden wollen in zwei Tagen wieder fit für nen Fußmarsch sein? Maro sollte wohl besser nen wasserfesten Golem beschwören, damit der die beiden auf die Arme nehmen und schleppen kann :lol:

Viel Glück bei den Klausuren. Und ich hoffe dass die Geschichte noch sehr viel länger wird.
 
Hey Cleglaw,
wie ein verliebtes Pärchen? Dann habe ich da nicht ganz sauber gearbeitet... Gerade die letzte Szene sollte eine sein, die sich auch zwischen zwei ältlichen, gebrechlichen - männlichen - Kriegern abspielen könnte. Habe soetwas schon befürchtet; dass es zuviel werden könnte. ;)

Gandalf,
ob das nun normal ist oder nicht, dass die Stimmen verwechselt werden - schön ist es jedenfalls nicht, und sollte geändert werden. ;) Es liegt daran, denke ich, dass ich Kaschya nicht genügend Zeit gewidmet habe, sie fristet unter den anderen, meiner Einschätzung nach recht starken Charakteren, ein Nieschendasein... und nicht nur sie. Gerade habe ich die Hälfte des neuen Kapitels wieder gelöscht, weil ich begriffen habe, dass einer meiner Schätze nicht ausgebaut genug ist, und ich mir da auch alle Wege geschickt verstellt habe, es noch zu tun. Aber da muss ich irgendwie mit umgehen, und bei der nächsten Geschichte weiß ich dann besser Bescheid.
Deine drei kleinen gefundenen Fehler muss ich diesmal zurückweisen, ein wenig zumindest. :) "Brodem" ist ein Synonym... naja, kein direktes, zu "Dunst". In einer verrauchten Kneipe kann man von "Brodem" sprechen.
"Tote leben machen" ist auch korrekt, aber vielleicht eine etwas ungewöhnliche Formulierung. "Jemanden [...] machen", ihn also dazu zu bringen, etwas zu tun. Zu kochen, zu tanzen - oder zu leben.
Die Hauptmann-Sache ist problematisch, das habe ich auch selbst gemerkt, aber eine weibliche Form gibt es da leider nicht. Für den nächsten Text, falls ich dann noch einmal in eine solche Situation kommen sollte, weiche ich dem Wort "Hauptmann" bei einer weiblichen Person lieber aus.

Danke für die Klausuren-Glückwünsche, Esme. Die Geschichte wird definitiv noch einiges hergeben. ;)
 
So, ich bin endlich mal wieder zum lesen gekommen (Uni hat auch bei mir die letzten wochen zugeschlagen ;) ) und das gelesene gefällt mir auch wieder ziemlich gut.
Gerade das letzte Kapitel ist klasse. Diese verbohrte Akara wird zu einem richtig unsympatischen Charakter :D
Beim Kampf Blutrabe-Jilis und Blutrabe-Maro habe ich allerdings so meine Probleme. Ich finde, dass die Übergänge zwischen den Dialogen und den Kampfszenen etwas abrupt und wenig gestaltet sind. Gegen plötzliche Übergänge ist prinzipiell ja nichts einzuwenden, aber ich denke, du solltest da dann eventuell im Schreibstil etwas varieren oder mehr kleine Übergangssätze einbauen.
Außerdem sind mir noch drei kleine Fehler aufgefallen:

Kapitel VII:
Das ist gegen alles, für was wir gekämpft haben
-> würde ich "wofür" statt "für was" verwenden

Kapitel VIII:
Wie ein Hund lief seiner Herrin nach und kläffte um sich.
-> da fehlt was, ich denke ein "er"
Die Morgensonne blendete in
-> in -> ihn

Aber ansonsten echt toll zu lesen und ich finde es wird trotz des sehr hohen Niveaus immer noch ein Stück besser.
Viel Glück noch bei den Klausuren! (wenn noch welche kommen)

Krauth
 
Hi mal wieder, martini,
mit den Übergängen sprichst du ein Problem an, dass mir auch schon im Hinterkopf herumgegangen ist. Ab dem übernächsten Kapitel bemühe ich mich da um flüssigere Übergänge - das nächste Kapitel ist nämlich schon fast fertig, aber eben erst fast. Heute Abend kommt es hoffentlich noch. :)
Danke auch für den Kleinkram in Kapitel VIII, wird gleich ausgemerzt.
Bei mir sind jetzt nur noch mündliche Prüfungen und Vorträge, und bis Ende der Woche ist hoffentlich der Bescheid vom Praktikum im Haus. :)
Hoffentlich bis heute Abend!
 
Ja die Uni... Eine letzte Prüfung noch morgen... Vermutlich wäre es unklug hier heute Abend noch mal vorbeizuschauen aber.... Es gibt viell. mal wieder so nen unglaublich schönes Update. Da werde ich mich wohl nicht beherrschen können :( Muss ich morgen früh halt mehr machen.

lg, Gandalf
 
Vielleicht gibt es ein unglaublich schönes Update - entscheide selbst über die Güte.:hy:
Als Autor ist das immer so schwer. ;)

Dieses Kapitel sehe ich zwiespältig. Es ist zuerst gar nicht geplant gewesen, aber dann haben es die Beteiligten irgendwie von mir gefordert, und das kann nur positiv sein! :D



X Der Arm eines Gottes

Im Thronsaal stand ihre Königin. Blutrabe den Rücken zugekehrt, lehnte sie an der Brüstung des Balkons. Unter ihr lag die zweite Welt, die Welt unter der Erde. Heiße Winde trieben Asche umher wie Wüstensand, und von den Flüssen aus kochendem Gestein erhoben sich Rauchsäulen. Eine Welt der Vulkane, in der kein Leben bestehen konnte. Nicht das Leben, das sich über der Erde aufhielt.
„Zum richtigen Zeitpunkt bist du zurückgekehrt, denn die Höllen feiern meinen Triumph. Die Erde zittert, die Vulkane speien ihren Segen aus.“
Ihr Harnisch klirrte, als sie auf dem Thron aus Gebein Platz nahm und die Beine übereinander legte.
„Noch größer wird dein Triumph sein, wenn er erst angekommen ist.“
Blutrabe atmete die aschedurchsetzte Luft ein. Ihrem Körper, der auch keinen Atem brauchte, konnte es nicht schaden. Asche, wie ein fremdes Gewürz.
Aradeias Fingernägel trommelten auf den Schädeln der Armlehne.
„Ja, es ist Zeit geworden, dass die Macht meiner Schwester sich mir nun doch noch eröffnet. In ihrem ganzen Maß.“
Mich habt Ihr mit einem winzigen Bruchteil dieser Macht geschaffen, wie all Eure Diener...
Blutrabe trat vor den Thron, hinter dem die Stürme wüteten. Eine Woge aus winzigen Flämmchen streute sich auf den blanken Boden, der Marmor sein mochte.
„Ich werde den Nekromanten vor Euren Thron bringen. Wartet nur hier.“
Aradeia strich über die Schädelreihen, auf die ihr feuerrotes Haar fiel.
„Gewiss wird es interessant werden. Mein liebster Bruder wird mit Wohlgefallen darauf blicken. Auch auf dich, Blutrabe.“
Blutrabe lächelte wieder. Der Herr der Höllen mochte blicken auf wen er wollte, und wie er wollte.
Der Nekromant würde seinen Pakt haben, seine Audienz. Und Jilis nie wiedersehen.
Ein Donnern erschütterte den Saal, Feuer spiegelte sich auf dem Marmor. Eine Vulkaneruption in der Ferne heulte in den Himmel aus Fels und Stein hinauf.
Die Flüsse aus geschmolzenem Gestein schwollen an und rasten dahin.
Es gab noch Hoffnung.
„Dennoch“, sprach Aradeia, „kann ich dir diesen nächsten Sieg nicht ganz allein lassen. Auch andere sehnen sich danach, Ruhm in den Schlachten zu erwerben, die die Oberwelt von uns fordert.“
Die Königin vertraute nicht auf ihre Kraft... Gleichwohl. Den Ruhm konnte ein anderer haben.
Erneut schüttelte ein Beben den marmornen Grund des Saals. Es dauerte, bis Blutrabe erkannte, dass nicht der Boden selbst bebte, sondern, dass jemand ihn erbeben ließ.

*

Maro zog die stützenden Lederstücke an Knien und Ellbogen fest. Wenn ein Schwächeanfall ihn packte, würden auch sie nicht mehr helfen können, aber zumindest den Marsch würden sie erleichtern. Auch das Stehen fiel leichter, als hielte jemand ihn aufrecht.
Die schwereren Verletzungen musste Jilis davongetragen haben. Während der Ratsversammlung – oder was der Name der Jägerinnen dafür war – hatte sie wie ein bezwungenes Tier auf ihrem Stuhl gehangen. Aber zumindest am Leben war sie noch, und das genügte. Die Hexe würde sich selbst überzeugen können.
Der Ochse neben ihm kaute an einem Büschel Gras, und sein Fell stank nach einem Gemisch aus Schweiß und dem ewigen Regen dieses Landes.
Eine Gestalt schälte sich aus der Dämmerung und näherte sich ihm mit vorsichtigen Schritten.
„Würde nicht jeden zweiten Tag der Regen in diesem Land die Erde aufweichen, müssten wir nicht zu Fuß gehen“, sagte er.
Die Jägerin ließ sich auf einen Stein fallen, ächzte leise.
„Also gewinne ich die Wette. Du willst getragen werden. Leider kennt die Nordmark kaum Pferde, und für dich hat sie sicher keines übrig.“
„Ich hätte mir auch keines mehr leisten können.“
Er trat näher an sie heran. Auch sie trug keine offensichtlichen Bandagen mehr, doch ihre steifen Bewegungen verrieten, dass ihr etwas die Gelenke stützte.
„Mein Beutel ist ebenfalls leer“, sagte sie. „Wir werden kein Gold mehr brauchen, vermute ich.“
„Ich habe noch nicht vor, von dieser Welt zu gehen.“
„Ich genau so wenig. Aber Blutrabe wird schnell sein... Ohne Kampf werden wir unser Ziel nicht erreichen.“
Sie hielt sich den Arm, den sie nie wieder würde benutzen können. Ein schmales Ding, mager wie ein Stock, das allenfalls einen Feind verwirren mochte.
Unser Ziel?“, fragte Maro. „Wohin du willst, ist nicht meine Angelegenheit.“
„Es geht für uns beide zu Ende, du Dummkopf. Wo ist dein Freund aus Erde – hast du ihn aus Rücksicht daheimgelassen?“
Oder, weil deine Kraft nicht ausreicht, ihn zu rufen?
Maro schnaubte.
„Nur, weil du deinen Arm verloren hast, bedeutet das nicht, dass wir verloren sind.“
Wie ein Raubtier bleckte sie die Zähne.
Für einen Augenblick glaubte er, dass es nicht an den Aussichten lag. Vielleicht wollte sie nicht zurückkehren.
„Wenn mich diese Teufel bekommen, fährst du mit in den Abgrund“, sagte sie.
Er lächelte. In den Abgrund fahren, das würde er auch so, wenn die Hexe ihr Wort hielt.
„Wenn es so kommt. Bist du für die Höllenfahrt ausgerüstet?“
„Längst.“ Sie schnallte sich aus dem Gepäck von ihrem Rücken einen kurzen Bogen – nein, das Gerät, das Gheed Armbrust nannte. „Das hier lässt sich auch mit einem Arm bedienen. Fünf Bolzen sind in dem Behältnis hier drin.“ Sie tippte an eine metallene Schachtel, die an der Seite des Griffs angebracht war, dann deutete sie auf einen Hebel. „Ein Ruck mit dem Daumen hier, und der nächste Bolzen springt nach oben. Wenn ich vorher schon einen einspanne, macht das sechs, die ich habe, bevor ich mein Messer benutzen muss. Klingt gut, meine ich.“
Dennoch ragte ihr das Holz ihres Langbogens über die Schulter. Eine Waffe, die sie nicht mehr würde gebrauchen können.
„Wozu dient dann der Bogen?“
Momente lang starrte sie ihn an, dann schnallte sie die Armbrust wieder auf und erhob sich.
„Und wozu dient dir der Schädel an deiner Schulter? Ich habe noch nicht gesehen, wie du ihn auf einen unserer Feinde geschleudert hast. Aber vielleicht hast du durch diese mächtige Waffe ja Blutrabe überwunden.“
Sie ging einige Schritte voran, auf das geöffnete Tor des Lagers zu.
„Alles, was ich getan und überwunden habe, hängt mit dem Schädel zusammen.“
„Vielleicht verstehst du es dann.“
Diesmal musste er an den Wachmannschaften nicht vorüberschleichen. Obwohl sie noch so begierig wie zuvor sein mochten, ihm den Schädel zu durchbohren.
„Vielleicht“, sagte er, und überquerte mit Jilis den Fluss vor dem Lager. Hinter ihnen schloss sich das Tor.

Sie hielten sich auf den befestigten Wegen, soweit es möglich war. Voran kamen sie, aber nicht schnell genug. Als sie am Haus der Dämonen ankamen, hatten sie schon ein Dutzend Mal halten müssen, weil einem von ihnen die Verbände oder Lederschoner von der schweißnassen Haut abgeglitten waren. Sie waren zerstörte, künstliche Wesen, die sich die Glieder zusammenbanden, damit sie nicht auseinanderfielen.
Obwohl sie die Erschwernisse eines Marschs durch das sumpfige Grasland vermieden, waren sie bald lange hinter ihrer Zeit zurück. Ein seltsames Schicksal sandte sie beide erneut zusammen aus, aber es weigerte sich, ihnen auch die Fähigkeit zu verleihen, ihr Ziel rechtzeitig zu erreichen.
Zumindest eine kurze Strecke würden sie über die Ausläufer der Berge abkürzen müssen. Mit Schaudern sah Maro auf die hohen Gipfel, die er schon bei seinem letzten Weg über das Gestein gefürchtet hatte.
Sie rasteten nur, wenn ihre Körper völlig erlahmten, und einer von ihnen hielt stets Nachtwache. Auch nach seinem Abkommen mit Blutrabe konnten noch versprengte Teufel das Land verpesten, die ihn nicht als einen möglichen Bündnispartner erkannten – ganz zu schweigen von Jilis, die von keinem Wesen, das sich in der Wildnis herumtrieb, als Partner erkannt werden würde.
Der Weg die Bergklippen hinauf war leichter, dieses Mal. Die Himmel sandten ihnen keinen Regen, ihr Weg führte nicht über einen so hohen Gebirgskamm, und die Hände schützten sie sich mit Rindslederhandschuhen. Mit einem Seil, dessen Schlinge sie um Vorsprünge schlangen und an dem sie sich dann hinaufhangelten, erleichterten sie sich den Weg über die Steilwände. Dennoch brannten Maros Handflächen nach jedem Aufstieg wie von Feuer. Einen halben Tag durchwanderten sie den Felsen auf gleichbleibender Höhe und erholten sich. Die Tiere hielten sich vor ihnen versteckt und machten die Reise einsam. Nur dunkle Vogelschwärme zogen über sie hinweg, in Richtung Osten, wo kein Winter drohte und kein dunkles Zeitalter.
„Krähen“, sagte Jilis, „diese Viecher merken genau, wenn ein Land dabei ist, zu verrecken. Sie fliegen von einem Kadaver zum nächsten.“
„Krähen? Oder Raben.“
Jilis zog sich einen niedrigen Vorsprung hinauf und sah den Vögeln nach.
„Blutraben“, sagte sie leise. Sie bot ihm ihre Hand an und zog ihn zu sich hinauf. „Du hast sie wirklich nicht getötet... dem ist doch so? Du hättest dort, im Kommandozelt, auch lügen können, um der Strafe für den Mord an einer Schwester zu entgehen.“
„Nach dem, was ich gehört habe, sieht niemand von deinen Leuten sie mehr als eine Schwester.“
Die Jägerin sah noch immer den Vögeln nach, dann zuckte in ihrem Gesicht etwas und sie drehte sich um.
„Das ist wahr. Um das zu erreichen, hat offenbar genügt, was ich ihnen erzählt habe. Dabei ist es mein Kampf gewesen. Ich hätte mein Maul halten sollen...“
Jilis Kampf allein war es nicht lange gewesen. Aber vielleicht verstand er auch nicht alles. Er suchte in seiner Tasche nach der Figur aus schwarzem Holz – sie war noch da.
„Ich soll dir noch etwas geben.“
„Oh? Möglicherweise einen Schwerthieb ins Genick, von deinen Lehrmeistern aus Kejistan?“
„Von Blutrabe“, sagte er. Die Figur glänzte in seinen Fingern wie ein Opal.
Jilis Augen weiteten sich, sie streckte ihre Hand aus.
„Das hast du vom Boden gepflückt.“
„Sie hat es mir gegeben. Damit ich es dir gebe.“
„Blutrabe...?“
Vorsichtig, als könne die Figur eine schützende Magie enthalten, hob Jilis sie aus seiner Hand.
„Ja“, sagte er.
„Nein“, sagte sie sofort und deutete ein Kopfschütteln an. Die Figur rollte durch ihre Finger, bis sie die Hand darum schloss. „Sie hatte einen Namen, bevor... das geschah. Falke.“
„Aber gegen Falke kämpfen wir nicht mehr, nicht wahr?“
„Niemals würde ich gegen sie kämpfen.“
„Also kämpfen wir gegen das, was übrig ist.“
Jilis senkte die Augenbrauen. Sie drückte die Faust um die Figur zusammen, als ob sie sie zerquetschen wolle. Dann stützte sie sich gegen die steinerne Wand und verbarg das Gesicht in der Hand.
„Ich gehe vor“, sagte Maro. Er ging um die nächste Biegung und ließ sie allein.
Der Krieg, den die Königin Aradeia dem Land aufzwang, forderte einen größeren Preis von den Menschen, als er gedacht hätte. Vielleicht forderte jeder Krieg seinen Preis. Einen, der nicht in den Geschichtsbüchern geschrieben stand. Er selbst kam aus der Fremde, aber die Fronten des Krieges verschlangen ihn. Keine der Seiten war seine, aber er würde schließlich zu einer von ihnen hingetragen werden. Den leichten Weg in der Mitte – den gab es nicht.
Vor ihm tat sich ein Abgrund auf, der bis hinunter ins Tal zu den Tannenspitzen reichte. Eine Hängebrücke spannte sich auf die andere Seite, auf einen Ausläufer, der sich von Norden her herüberzog. Der musste es sein, an dessen Fuß Karmhang auf sie wartete.
Ein leichter Wind schaukelte die Brücke, und die Bohlen knarzten, als Maro seinen ersten Schritt daraufsetzte. Ein Vogelschwarm kreiste über ihm, eine Wolke aus schwarzen Punkten. Er stützte sich auf das Seil, das das Geländer der Brücke bildete, und beobachtete den Flug. Der Schwarm teilte sich, die Hauptgruppe zog zurück nach Westen, einige wenige Vögel zogen weiter gen Osten in seine Richtung. In den Dschungeln blieben die Vögel jeden Sommer und jeden Winter, schließlich blieb auch das Wetter, und Frost mussten sie nicht fürchten.
Die kleine Gruppe näherte sich. Sie würde dicht an ihm vorüberziehen. Immer näher rückten die Körper, waren vielleicht auf fünfzig Schritt heran und wuchsen mit der Nähe, wuchsen auf die doppelte Größe eines gewöhnlichen Vogels.
Es traf ihn wie ein Blitzschlag. Diese würden nicht an ihm vorüberziehen. Blutrote Schwingen falteten sich zum Sturzflug zusammen. Vier der Dämonen mit den Nadelzähnen. Auf der Brücke würde er leichte Beute sein. Er hangelte sich in Richtung Felsen, blieb mit der Schuhspitze zwischen zwei Bohlen hängen und stolperte vorwärts. Die Hände in die Seile gestemmt, hielt er sich aufrecht. Handbreiten vor ihm stieß ein Speer ins Holz und spaltete es, dass die Bruchstücke nach unten wegklappten und eine schmale Lücke freigaben – die grünen Wipfel des Abgrunds schimmerten hindurch. Maro setzte zum Sprung an und landete auf der anderen Seite. Wie blutgetränkte Kometen rasten die Dämonen auf ihn zu. Er duckte sich, einer stürzte über ihn hinüber, ein zweiter rammte sich mit den Vogelklauen in die Bretter der Brücke dicht hinter ihm. Die Konstruktion schaukelte zu den Seiten, Maro taumelte. Verdammt, es war das gleiche Spiel wie in dem Bauernhaus. Er flüchtete vor einer Übermacht.
Der letzte Dämon stoppte seinen Sturzflug und breitete die Flügel aus, segelte in einem scharfen Bogen auf die Brücke und auf Maro zu. Eine Faust umklammerte einen Speer, die andere eine Axt. Maro zog im Lauf die Klinge aus seiner Scheide und sprang dem Teufel entgegen. Sein Säbel fuhr nieder, der ewig grinsende Gegner wich mit einer Drehung zur Seite weg. Maro griff um, zog das Schwert in einem Bogen nach oben. Das Axtblatt donnerte gegen die Schneide und hielt sie auf, der Stoß vibrierte in seinem Handgelenk. Das Nadelzahnmaul des Gegners hing dicht vor ihm, und ein Atem aus Fäulnis und Aschegeruch schlug ihm entgegen. Maro stemmte sich gegen die Axt, die seine Waffe niederhielt – die Speerspitze zischte heran. Keine Parade.
Dann erstarrten Gesichtszüge und Bewegung des Dämons, als habe eine göttliche Macht ihn zur Statue bestimmt. Sein Mund öffnete sich, und die Zahnreihen offenbarten die silberne Spitze eines Bolzens, die durch die Zunge ragte. Die Kreatur fiel rücklings. Am Ende der Brücke stand die Gestalt der Jägerin, die Armbrust nach vorn gereckt.
Maro setzte einen Fuß auf die Brust des Gefallenen und rannte weiter. Noch zehn Schritt bis zu Jilis. Hinter ihm fauchten die Geflügelten. Jilis hielt die Armbrust direkt auf ihn gerichtet. Für einen Moment, winziger als der Glanz eines Gedankens... Der nächste Bolzen zielt auf meinen Hals. Dann zischte ein silberner Blitz an seinem Ohr vorüber und hinter ihm kreischten die Dämonen.
„Der hätte mir in die Brust fahren können!“, rief er, während er weiterhetzte.
„Ja, der Bolzen - oder die Klauen von einem dieser Viecher.“
Fünf Schritt. Jilis stand starr wie Stein, nur die Hand, die die Armbrust hielt, bewegte sich. Zielte auf Feinde, die er nicht sah. Ihr anderer Arm baumelte neben ihr herum, vom Wind ebenso umhergeworfen wie ihr Haar.
Ein Dämonenkörper schlug neben ihm auf, schleifte über die Bretter und überschlug sich. Eine Streitaxt, breit wie Maros Brust, fuhr in Höhe seiner Fersen auf ihn zu. Drei Schritt. Er warf sich nach vorn zu einem Hechtsprung, das Axtblatt stieß noch gegen seine Stiefelspitzen. Mit der Schulter kam er zuerst auf, prallte auf den Felsen und rutschte zu den Füßen von Jilis. Steinsplitter stießen ihm mit sengendem Schmerz in die Haut. Immerhin nicht die Seite, auf der er den Schädel trug.
Der Dämon hinter ihm kam wieder hoch, einen Bolzen in der Schulter und einen im Bauch.
„Fluch über dieses Gerät“, sagte Jilis, „ich drücke einen Knopf und es lässt einen Bolzen los, der kaum die Haut von diesen Biestern durchdringt.“
Maro stemmte sich hoch und richtete das Schwert auf die anrückenden Dämonen.
„Es braucht nur einen Arm, sieh das als den Vorteil.“
„Wenn mein anderer nicht damit beschäftigt wäre, sinnlos an mir herunterzuhängen...“
Der Dämon mit der Axt kam auf ihn zu und sprang, faltete die Flügel auseinander und stieß sich mit einem Schlag in die Luft. Die Sonne in seinem Rücken blendete Maro. Neben ihm schnappte die Sehne der Armbrust, der Bolzen riss den Dämonenkörper an der Schulter herum und zog ihm eine Hand von der Axt. Mit der anderen hielt er sie noch, und die Schneide zielte auf Maros Brust. Er sprang einen Schritt voraus, drehte sich und zog seine Klinge in einen Aufwärtsstreich. Das Schwert durchtrennte den hölzernen Schaft der Axt und sank in den Halsansatz des Dämons. Das Gewicht des fallenden Körpers riss Maro die Waffe aus der Hand. Eine Blutspur hinter sich, rollte der Dämon über den Fels, und das Blatt seiner Axt drehte sich auf dem Boden wie ein müder Kreisel.
„Fluch!“, zischte Jilis noch einmal, der letzte Bolzen zischte ihr von der Sehne, einem der Teufel durch den Flügel hindurch.
Maro sprang zu seiner Waffe und riss sie aus dem Hals des Erschlagenen. Der Dämon mit dem Loch im Flügel schoss zu Jilis, den Speer wie eine Lanze an der Seite ausgerichtet.
Sie warf sich ihm entgegen und stieß ihm ein Knie in den Bauch. Der Teufelskörper sackte zusammen, aber der Speer schlitzte den Rucksack auf ihrem Rücken auf. Besteck klapperte auf den Felsen, eine Phiole zerbrach, und eine Reihe von Bolzenbehältern schepperte hinterher.
Der letzte Dämon drehte in einem Bogen ab und blieb in der Luft stehen. Jilis drückte den Abzug der Armbrust, wieder und wieder, als hoffe sie, damit einen Bolzen in die Waffe hineinzubeschwören.
„Halt die Waffe fest“, sagte Maro. Kreischend zielte der Geflügelte seinen Sturzflug auf sie. Ein Bündel aus Tod und Verhängnis, das sie in die Nachwelt schicken würde.
„Gib mir einen verfluchten Grund!“ Jilis löste die Finger schon vom Griff der Armbrust.
„Ich bin dabei.“
Er hob einen der Bolzenbehälter vom Boden auf und riss den leeren von Jilis Armbrust. Der Schatten ihres Feindes raste über die Brücke heran.
„Kapiert“, sagte Jilis leise.
Maro drückte den Behälter gegen die Armbrust, dass die Kanten ihm in die Finger schnitten, und endlich rastete der Mechanismus ein. Der Hebel bog sich unter Jilis Daumen, und einer der Bolzen rutschte aus dem Behälter in den Ladebereich.
Das Geschoss sirrte los, traf den Teufelssohn ins Bein. Er überschlug sich und sank, krachte auf die Hängebrücke. Der nächste Bolzen ging ihm in den Schädel, der dritte in die Brust, und Jilis drückte weiter ab, bis der Behälter ihr nichts mehr hergab und die Kreatur sich nicht mehr rührte.
Schwer atmend löste sie den leeren Behälter von der Waffe und warf ihn fort. Stille kehrte auf den Berghang zurück, so rasch, wie sie hatte weichen müssen. Maro schob den Körper des Zusammengekrümmten über die Kante in die Schlucht. Es war vorbei.
In seinen Armen rieben die Muskeln wie Mühlsteine gegen das Fleisch, und auch Jilis lehnte mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen an einem Fels.
„Bist ein zäher Hund“, sagte Jilis.
„Hunde hüten bei euch die Häuser.“
„Wir haben sie dazu gemacht, so wie die Städte aus jungen Männern Wachleute machen. Aber es gibt noch wilde Hunde, jenseits der Wälder im Osten. Vielleicht bist du so einer.“
Die Wolke aus Vögeln, die keine waren, zog noch immer westwärts. Besser, als wenn die Bestien schon hier mit ganzer Macht über sie hergefallen wären.
„Aber egal, was du bist...“, fuhr Jilis fort, „...am nächsten Morgen bist du überhaupt nichts mehr. Du hast sie gesehen.“
Die Wolke aus Schatten entfernte sich und sank hinter den Ausläufern des Berges ins Tal. Maro nickte und zog Jilis auf die Beine.
„Späher.“
Sie sammelten Besteck und Munition wieder auf und verstauten es in einer Seitentasche von Jilis Rucksack, dann stolperten sie die Brücke entlang, stützten sich gegenseitig.
„Blutrabe wird bald wissen, dass zwei traurige Gestalten über die Bergklamm geklettert sind, um von ihrer Hand in Karmhang den Tod zu empfangen.“
„Von dir hätte ich gedacht, dass du den Tod nicht fürchtest.“
„Habe ich etwas anderes behauptet? Ich gehe in diesem Dorf unter, Maro, und ich weiß es.“
Sie hustete, und ihr Körper bebte, übertrug die Erschütterung auf seinen. Aber ihre Augen strahlten.
„Du gehst trotzdem... Weißt du, in den Dschungeln gibt es eine besondere Schlangenart, die Graunatter. Wenn ihr Körper verbraucht ist, legt sie sich zum Sterben auf schwarzen Obsidianstein, den Stein, aus dem unsere Tempel erbaut sind. Die Schlangen schwimmen durch Flüsse, durch Moore, kriechen durch die Gassen der Sumpfstädte. Alles, um sterben zu können, in unseren Tempeln. Bist du so eine Schlange, die zu ihrem Tod hinkriecht?“
Sie ließen das Schaukeln der Hängebrücke hinter sich und erreichten den letzten Ausläufer. Jilis lachte, als sie den Fuß auf festen Grund setzte.
„Etwas einfach. Vielleicht suchen die Schlangen nach etwas, das nicht in eure Köpfe hineingeht. Vielleicht sterben sie, bevor sie ihr etwas erreichen.“ Sie hielt inne, stützte sich auf einen Felsen. „Was für einen Haufen Rattenmist ich zusammenrede... Ich krieche nicht zu meinem Tod hin, nein. Aber eine von den Jägerinnen muss diesen Weg hier nehmen.“
„Wieso dann nicht eine andere Jägerin, die noch ihren Bogen halten kann?“
Fluchend stieß sie ihn von sich fort.
„Für dein Leben kannst du mir danken, du Narr. Wahrscheinlich haben sie mich geschickt, weil niemand sonst es mit dem Plagegeist aushalten kann, der zufällig die selbe Wegstrecke geht.“ Ihr Atem ging wie der eines erschöpften Tiers, und sie lief allein über den Grat weiter. „Ich habe darum selbst gebeten, dass ich hierher reisen darf.“
Maro trottete ihr in einigen Schritten Abstand nach. Ein Mädchen mit der Seele eines Raubtiers, noch weit mehr eine Kreatur der Erde als die zarten Dinger, die ihm bei seiner Initiation Festmahl und Tanz beschert hatten. Jilis Seele würde sie umbringen, zu stolz und wütend für Rücksicht auf den Körper, der sie hielt. Bogenschießen konnten sie alle lernen, aber das machte sie nicht zu Kriegern.
Nur ein Krieger verging ohne seinen Krieg wie eine welke Blumen. Jilis welkte, und sie kämpfte sogar gegen das Verwelken an.
An einem Vorsprung, an dem sie hielt, schloss er wieder zu ihr auf.
„Wenn du könntest, würdest du diese alte Frau aus dem Dorf holen und sie in das Lager bringen, damit ihre Weisheit euch gegen die Teufelskönigin hilft.“
„Du hast also doch gelauscht. Aber das macht jetzt keinen Unterschied mehr.“
Aus dem Tal vor ihr stieg dunkler Rauch, geboren von Flammenwänden, die aus Fenstern und Türen leckten. Ein Heer aus Schatten zog von Westen her gegen das Dorf. Blutrabe hatte nicht gelogen. Sie war nicht allein gekommen, und ihre Krieger mochten Maros Gesicht nicht erkennen und ihn einfach niederschlagen wie die Dorfleute.
„Sie kriegen uns mit den Speeren und Äxten“, sagte Jilis, „oder wir werden zu Asche in den Flammen. Keiner will dich hier. Wieso gehst du nicht heim, in deine stinkenden Dschungel?“
Weil ich den ganzen Weg über Meer und Wüste hierher gemacht habe, weil ich dem Weg bis zum Ende folgen werde, oder auf ihm stürzen und nie wieder aufstehen.
Ahnte sie etwas?
„Weil ich ein zäher Hund bin, vielleicht.“
Er sprang den Vorsprung hinab, Jilis rollte sich neben ihm ab und kam auf die Beine.
„Das ist ein guter Satz. Am Besten, du hältst jetzt die Klappe. Wenn ich dann einen Speer zwischen den Schulterblättern habe, denke ich an diese letzten Worte von dir.“
„Wenn du könntest...“, wiederholte Maro seine Frage, „würdest du...“
„Wenn ich meine Arme hätte, würde ich diesen Biestern ihre ausreißen, ja.“
Maro schluckte. Noch eine Stunde, und er würde den Pfad beschreiten, an dessen Ende er seine Gabe verkaufen würde. Die toten Arme stärken, die die Schwesternschaft greifen und zermalmen würden. Einen Haufen Frauen, die ihm nie ins Gesicht geblickt hatten – und Jilis.
„Stell dir vor, du könntest es.“
„Es mir vorstellen? Zu Schade nur, dass wir nicht in einer Welt leben, in der die Wirklichkeit mit unseren Wünschen übereinstimmt.“
„Erinnere dich an Oram, der tote Erde war, bis ich wollte, dass es anders wurde.“
„Kann ich mich nicht lieber an etwas Schönes erinnern, bevor ich dort unten-“ Sie hielt inne, ihre Miene wurde ernst. „Von was sprichst du?“
Sie begann zu verstehen.
Die Arme des Heeres streckten sich aus, umschlossen die äußersten Häuser wie die Klingen einer Schere. Flammenzungen schlugen auf dem Platz in der Mitte des Dorfes um sich und griffen nach strohgedeckten Dächern.
„Wenn du endlich verstanden hast, dass ein Totenbeschwörer mehr tut, als die Toten an die Luft zu rufen, dann solltest du es wissen.“
„Blutrabes Diener hatten weder lahme Arme noch Beine, obwohl sie kein Fleisch mehr daran hatten... Keine Muskeln.“
„Das ist die Nekromantie. Leben und Bewegung, wo die Natur sie nicht vorgesehen hat.“
Jilis hob ihren lahmen Arm mit dem anderen an und faltete die Finger zu einer Faust zusammen.
„Ich handele mit einem Teufel.“
„Du entscheidest. Es ist kein Handel, und wenn du mich für einen Teufel hältst... Ich habe schon schlimmere Namen ertragen.“
„Kein Handel? Keine Leihgabe, deren Zinsen mich heimsuchen werden?“
„Das wäre die Art des dicken Händlers. Ich bin sein Wächter gewesen, nicht sein Sohn.“
Der Wind trug den Rauch der Brände zu ihnen herüber. Ein würziger Geruch von Tod und Sterben. Wie gehetzte Tiere stürzten die Menschen aus den Häusern, und die Schatten fielen über sie und warfen sie nieder.
„Was bin ich dann? Dein Golem, der selbst denkt und geht, der aber den Arm zum Töten hebt, wenn du es willst?“
„Wenn ich es wollte, könnte ich gegen deinen Geist ankämpfen und ihn lenken. Aber es gibt Gesetze, auch für die Magie. Es ist leicht, Erde und Metall und Feuer zu kontrollieren. Aber alles, das einen Verstand gehabt hat, widersetzt sich. Manchmal stärker, manchmal schwächer. Je nachdem, was der Wille des Wesens gewesen ist. Je nachdem, wie viel davon noch vorhanden ist.“
Sie betrachtete ihn aus den Augenwinkeln.
„Du bist ein Irrer. Wissen die Götter, wie viele Gesetze du schon gebrochen hast. Ich weiß ziemlich genau, dass du es fertig bringen würdest, mich mit meinen eigenen Fingern zu erwürgen.“ Am letzten Sims, das zwischen ihnen und dem Hort der Flammen lag, hielt sie an. „...wenn du es wolltest. Jetzt sag mir, was ich tun muss.“
„Gib mir deine Hand.“
„Nimm sie dir“, sagte Jilis. Sie unterdrückte ein Lachen.
Ja, die Situation hatte etwas Komisches. Bizarr und absurd. Maro griff nach der kalten, leblosen Hand. Seine Kraft hätte genügt, aus den Trümmern der Häuser einen Golem zu erschaffen. Darauf würde er wohl verzichten müssen.
Er konzentrierte sich, zog der Welt die Farben ab und griff nach ihrer Essenz. Von Karmhang her ergoss sich ein Strom aus Lichtern über ihn. Lebenslichter, die kämpften, die unter dem Ansturm anderer zerbarsten. Jilis brannte heller als jedes von ihnen, aber ihren toten Arm entlang zogen sich nur schmale Linien aus Licht, wie Algen im Meerwasser. Ihre Stimme drang gedämpft zu ihm, als müsse sie durch eine Schicht aus Stoff zu ihm.
„Wie lange wird dein Zauber halten?“
„Bis ich die Kraft, die ich dir jetzt gebe, wieder zurückfordern muss.“
Stränge aus Licht trennten sich von seinen Armen, umgriffen den Arm von Jilis und wanden sich darum, verschmolzen miteinander. Ein kühler Luftzug ging durch seine Brust. Wie in den Momenten, wenn er Oram belebte. Alles brachte einen Preis mit sich. Das Gleichgewicht, hätte Varn gesagt.
Die Hand in seiner regte sich, packte zu. Er tauchte aus der Astralwelt auf und taumelte vom Schock der Rückkehr. Jilis stützte ihn, und in ihren Augen brannte all das Feuer, das er in der anderen Welt in ihr erschaut hatte.
„Ich kann ihn bewegen“, sagte sie leise. Sie löste den Griff und hob einen faustgroßen Stein auf, drückte zu. Ihre Finger zitterten, doch im Stein taten sich haarfeine Risse auf. Sie ließ ihn fallen und betrachtete das Gliedmaß. Dünn wie der Ast eines verdorrenden Baums war es noch immer. „Was hast du getan?“
Maro lächelte. Ein dunkler Schleier huschte an seinen Augen vorüber, ein Schauer aus kaltem Schweiß trat auf seine Haut.
„Dein Arm hält in sich nun etwas mehr Kraft als der eines gewöhnlichen Mädchens, und auch mehr als der Arm eines gewöhnlichen Jungen. Er hält auch mehr Kraft als der Arm jedweden Manns, der ihn täglich beim Kriegshandwerk gebraucht.“
Jilis stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf.
„Verdammter...“
Ein Verdammter, das war er, ja. Und ein verrückter Hund. Manchmal konnte er Dinge tun, die er selbst nicht verstand und nie verstehen würde.
„Das ist alles, was ich habe hinbekommen können.“
Sie standen sich gegenüber, Jilis mit offenem Mund und einem ungläubigen Lächeln. Wie schwarzer Nebel zog der Rauch an ihnen vorüber.
„Den Arm eines Teufels...“
„In Kejistan sind Teufel und Götter eins. Ebensogut ist es der Arm eines Gottes.“
Sie nickte, und Augenblicke lang brauste nur das Gewirr aus Stimmen und Feuerknistern vom Dorf her um sie. Die Dämonen kreisten als schattige Tupfer über den Dächern, aber da war noch etwas, auf dem Marktplatz. Groß wie eine Scheune, aber mit den sich bewegenden Konturen eines lebendigen Wesens. Maro konnte es nicht genau erkennen. Aber die Gelegenheit dazu würde kommen.
„Holen wir uns ab, was dort unten auf uns wartet“, sagte Jilis dann. „Bleiben wir dicht beisammen. Wir haben gesehen, was sonst passiert – bei Blutrabes Friedhof. Kapiert? Bei mir bleiben.“
„Ja, das werde ich“, log Maro.
Blutrabe... Jetzt war es an ihr, ihren Teil der Abmachung zu beschließen. Die Königin wartete. Und Evra mit ihr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir gefällts mal wieder sehr gut, besonders die Dialoge zwischen Maro und Jilis. Und ich find es interessant, dass sich die Charaktere nicht wie in Diablo so leicht in die Schubladen "gut" und "böse" einsortieren lassen.

Ist Evra Aradeias Schwester, oder von wem spricht sie? Bin mal gespannt wer der Bruder ist. Alles Nekromanten?


von den Flüssen auch kochendem Gestein - aus

Arme aus Licht trennten sich von seiner Arme - von seinen Armen
 
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