Guten Abend, sehr verehrte Gäste,
auch ein zaghftes "Hallo" an pHiL_w, war das ein Post oder ein Fehldruck?
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ihr habt lange ausgehalten, doch nun hat das Warten wieder ein Ende. Ich präsentiere voller Stolz:
Kapitel 24: Weiter durch dunkle Gänge incl. Khalids Geschichte
Nach einigen Stunden unruhigen Schlafes, der keine Erholung brachte, verließen die Gefährten den Raum, der ihnen als Schlafplatz gedient hatte und machten sich wieder auf den langen und dunklen Weg in die Tiefen des Klosters.
Wieder durchsuchten sie Raum um Raum und drangen über versteckt liegende Treppen immer tiefer in die Kellergewölbe des riesigen Klosters ein.
Sie gingen einen langen, vielfach gewundenen Korridor entlang, der nur spärlich von wenigen flackernden Fackeln erhellt wurde, als der schwarze Wolf plötzlich anhielt und leise knurrte.
Unterdrückt und beinahe unhörbar drang das Klacken von Krallen auf steinigem Untergrund an ihre Ohren. Ein metallenes Kratzen, als würde ein Schwert über eine Niete hinweg aus seiner Scheide gezogen.
Auf einen kurzen Wink des Druiden hin flog der Rabe voraus und kehrte schon nach wenigen Lidschlägen zurück. Wortlos verständigten sich die Gefährten und machten sich bereit für den Hinterhalt.
Eilig zog Khalid die Verschnürungen an seinem Kettenhemd enger und setzte den locker am Gürtel getragenen Helm auf. Seine Tragetasche lehnte er an die Wand, sie würde ihn im Kampf nur behindern. Jaella hatte ihren Bogen ohnehin angriffsbereit getragen, doch nun fuhr sie noch einmal prüfend mit dem Daumen die Sehne entlang und kontrollierte deren Befestigung an den Schenkelenden des Bogens. Ihr Köcher war gut gefüllt, der Dolch stak griffbereit daneben. Als sie ihren Schulterbeutel ablegte, fiel ihr Blick auf den Druiden. Er stand mit bloßem Oberkörper da und hielt seine Stiefel in der Hand. Mit einer befangenen Geste deutete er auf seine Beinkleider, die er von Khalid geliehen hatte, und flüsterte: „Das ist die einzige Hose, die ich noch habe, aber dem Wolf passt sie nicht, also...“ Er stellte die beschlagenen Stiefel ab und zog an den Verschnürungen, die die Hose zusammenhielten. Mit puterrotem Gesicht wandte sich Jaella ab und wartete bis sich sein leises Keuchen in ein grollendes Knurren verwandelt hatte.
Die Verwandlung war schnell und brutal. Mit einem einzigen Hieb wischte die Bestie den Mann beiseite und ergriff die Kontrolle. Der Mensch krümmte sich in der Agonie der Umformung und als es getan war, brüllte der Werwolf befreit auf.
Jaella sah wieder hin, und dort, wo eben noch der vertraute Mann mit dem schiefen Grinsen gewesen war, stand nun das unförmige Ungetüm. Es richtete sich auf die Hinterbeine auf und bleckte angriffslustig die dolchartigen Zähne. Das einzige, das noch an den Druiden erinnerte, war das Amulett, das er auch in dieser Gestalt nie ablegte: ein einzelner durchbohrter Reißzahn eines erwachsenen Wolfes.
Jaella wusste, dass er die Furcht in ihren Augen sehen würde, auch wenn sie versuchte es zu verbergen. Khalid blickte dagegen vollkommen ausdruckslos, er hatte sich bereits gesammelt für die Schlacht. Mit dem Schild an seinem linken Arm gab er den Kameraden ein Zeichen, gemeinsam stürmten sie los.
Den schweren Schild vor sein Gesicht haltend stürmte Khalid um die Biegung des Ganges. Noch im Laufen fällte er mit einer wirbelnden Bewegung seines Schwertes den ersten Schemen. Dumpfe Einschläge an seinem Schutz bewiesen, dass man sie erwartet hatte. Aus dem Licht kommend konnte er im Dunkel noch keine Gestalten erkennen, daher hieb er ungezielt nach vorne und stieß auf Wiederstand. Als er die lange Klinge zurückzog, fiel ein schwerer Körper polternd zu Boden. In diesem Moment fegten zwei schwarze Schatten von hinten an ihm vorbei und verbissen sich knurrend in die Schar der Gegner. Jaella bog als letzte um die Ecke und legte mit grimmigem Gesicht an. Doch der Pfeil blieb an der Sehne. „Ich sehe die beiden nicht!“, rief sie ängstlich und wagte nicht zu schießen, um nicht versehentlich den Wolf oder den Druiden zu treffen. Sie rückte näher an den Paladin heran und spähte in die Dunkelheit. Erst als sie bis auf vier Schritt herangekommen war, konnte sie schemenhaft die Gegner ausmachen. Die Distanz war viel zu kurz für einen wirksamen Schuss. Hilflos stand sie da und konnte nichts tun, um ihren Gefährten beizustehen.
Eine verwundete feindliche Jägerin stolperte an Khalid vorbei. „Die übernehme ich!“, rief Jaella eilig und zog ihren Dolch hervor. Mit einer Gegnerin, dazu verletzt, würde sie schon fertig.
Khalid dachte ähnlich, und außerdem riss der Strom der anstürmenden Feinde vor ihm nicht ab, daher konnte er sich nicht umwenden, ohne von mehreren Seiten attackiert zu werden.
Die dunkle Jägerin lachte verächtlich und hob ihr Schwert, doch sie war durch den Blutverlust geschwächt. Ihr Angriffe waren langsam und Jaella konnte ihnen leicht ausweichen. Nur wenige Momente später, fand Jaella eine Lücke in ihrer Verteidigung und stieß ihr die vergiftete Klinge tief in den Bauch. Mit einem dumpfen Aufschlag war ihr unehrenhaftes Dasein beendet.
Mit selbstzufriedenem Lächeln drehte sich Jaella wieder zu dem Paladin um und ihr Lächeln gefror.
Khalid strauchelte unter einer heftigen Attacke und fiel rücklings zu Boden. Er wurde begraben unter mehreren Angreifern.
Entsetzt kreischte Jaella auf und stürzte sich auf das Knäuel sich windender Gestalten. In der einen Hand hielt sie den lächerlich kurzen Dolch, mit der anderen riss sie hastig eine Fackel aus seiner eisernen Halterung. Ohne auf ihre eigene Verteidigung zu achten, stach und hieb sie wild mit wehenden Haaren auf die schemenhaften Angreifer ein. Vielleicht waren es diese unkontrollierten Bewegungen, die sie vor Treffern schützen. Zwei direkte Kopfschläge mit der brennenden Fackel warfen zwei Höllen-Clans zur Seite. Durch die verringerte Last gelang es Khalid endlich sich unter den Feinden herauszuwinden und aufzustehen. Er blutete aus zahlreichen Wunden, seinen Helm hatte er verloren. Doch er lebte und war willens und fähig weiterzustreiten. Schon hob er wieder das Schwert und wehrte die zahlreichen Monster ab. Eine feindliche Jägerin holte mit ihrer Lanze zum Streich gegen den Paladin aus.
Brüllend schleuderte ihr Jaella die Fackel entgegen. Das Pech des Kienspan tropfte auf den Umhang der Jägerin und setzte ihn in Flammen. Als lebende Fackel torkelte sie schrill kreischend zurück und erhellte für einen Moment, was Jaella nie wieder vergessen würde:
Hoch aufgerichtet auf seinen unförmigen, gebeugte Hinterbeinen stand der Werwolf inmitten einer Gegnerschar, die ihn von allen Seiten attackierte. Zu seinen Füßen wand sich der schwarze Wolf, in alle Richtungen schnappend und beißend. Durch sein dichtes Fell geschützt, erreichten Catulo die Schläge von Krallen oder Klauen kaum. Lediglich waffengeführte Angriffe wehrte er beiläufig ab. Mit mächtigen Schlägen seiner Pranken schmetterte er seine Feinde zur Seite, so dass sie wie Lumpen gegen die Mauern des Ganges flogen. Das Bersten und Brechen ihrer Knochen und die Schreie der Gefallenen dröhnte schmerzhaft in Jaellas Ohren.
Der Wolf in mir hat ungeheure Kräfte.
Ja, das hatte er. Er allein nahm es mit einer Gegnerschar auf, der Jaella mit dem Paladin gemeinsam nie gewachsen gewesen wäre.
Kannst du denn seinen Anblick ertragen?
Die brennende Jägerin fiel und das Licht erlosch. Ein Mantel der Schwärze und Schatten legte sich wieder über das Geschehen. Entschieden schob Jaella das Bild beiseite und griff wieder in den Kampf ein, an der Seite des Paladins, und versuchte ihre Angst und den Ekel, den sie empfand, in ihre Attacken zu legen.
Schließlich zog Khalid aufatmend seine Klinge aus dem Leib des letzten Gegners. Kein weiterer Feind kam aus dem dunklen Flur vor ihnen. Für den Moment hatten sie eine Ruhepause.
Vorsichtig hockte sich Jaella neben den Körper einer Jägerin, die versuchte, mit ihren Händen ihre hervorquellenden Eingeweide zu halten. Ihre Augen waren voller Schmerz, doch die seltsame Trübung war daraus verschwunden. Nahezu verwundert blickte sie die blonde Amazone an. „Was haben wir getan?“, flüsterte sie. „Ich erinnere mich nur noch an ein Gefühl des Fallens... so alleine.“ Sie hustete und Blut benetzte ihre Lippen.
Jaella strich der Fremden über das Gesicht. „Sag mir, Schwester, wo ist Andariel?“
Die Verletzte sammelte ihre verbliebene Kraft und stöhnte: „Sie ist in Diablos Gruft, im nächsten Kellergeschoss. Der Abgang ist dort hinten.“ Sie winkte schwach den Flur entlang. Ihr Atem ging schwächer und die Augen begannen zu verblassen.
„Geh in Frieden, Schwester“, sagte Jaella mit belegter Stimme. „Du bist frei.“
Das leise Klicken von Krallen auf Stein näherte sich und die Gestalt des Werwolfes trat in das spärliche Licht. Auf allen Vieren kam er heran und stellte sich vor die Gefährten. Seine Schnauze war blutverschmiert und an den Krallen der Vorderläufe hatten sich Gewebereste und Fellfetzen verfangen.
Khalid kam heran und warf ihm den Umhang einer gefallenen Jägerin über. „Wandle dich wieder, Catulo. Die Gefahr ist zunächst vorüber.“
Jaella wandte sich ab und ging die Gepäckstücke holen, zum einen aus Scham, zum anderen um die Traurigkeit in seinem Blick angesichts ihrer offenkundigen Abscheu nicht sehen zu müssen.
Als sie zurückkehrte, hatte sich der nun wieder menschliche Catulo notdürftig gereinigt. Sorgsam achtete er darauf, die Amazone nicht zu berühren, als sie ihm seine Kleidung übergab. Sie sah ihn nicht an, verzweifelt blickte er ihr nach, als sie den Rest ihrer Habseligkeiten holen ging.
Die Hand des Paladins legte sich auf seine Schulter. „Komm, mein Freund, suchen wir uns einen geschützten Platz zum Ausruhen.“ Und mit einem Blick auf die sich entfernende Frau fügte er leise hinzu. „Sie wird sich fangen, lass ihr Zeit.“
Khalid entzündete zwei Fackeln und so gingen die Männer langsam, sich den Weg durch die unzähligen Kadaver bahnend, den Korridor entlang. Nach ein paar Schritten erreichten sie den Wolf, der winselnd neben einem schwarzen, gefiederten Häufchen saß. Catulo bückte sich rasch und hob sorgfältig seinen Raben auf. Er konnte kaum seinen Schmerz überspielen, als er den erkaltenden Leib seines Freundes an sein Gesicht hob. Khalid streckte die Hand aus. „Ich könnte versuchen...“
„Nein, es ist zu spät“, entgegnete der Waldläufer mit gebrochener Stimme. „Sein Herz hat aufgehört zu schlagen, du kannst nichts mehr tun.“
Über ein Jahr hatte der Rabe ihn begleitet und war ihm mehr ein Freund geworden, als so mancher Mensch. Catulo verbarg die Träne nicht, die sich langsam und warm einen Weg über seine dreckverschmierte Wange suchte.
Sie gingen langsam weiter und suchten sich einen Raum am Ende eines langen Ganges, den man gut überblicken konnte. Dort würden sie, vor Angriffen einigermaßen geschützt, ein paar Stunden ruhen, bis sie sich endlich ihrer größten Feindin stellten.
Als sie gemeinsam am Feuer saßen und warteten, dass das Wasser im Kessel kochte, zog Khalid Charsis Malus hervor. Auf den ersten Blick sah er aus, wie jeder gewöhnliche Schmiedehammer, und doch ging von ihm etwas aus, ein leises Beben, wenn man ihn hielt, das seinem Betrachter zeigte, dass Magie in ihm steckte.
„Ich werde Charsi bitten, mir damit eine neue Rüstung zu schmieden, wenn wir wieder im Lager sind“, sprach er so leise, dass Jaella hätte vorgeben können, ihn nicht zu hören.
Sie sah zu ihrem Gefährten hoch und betrachtete sein schwermütiges Gesicht.
„Aber mit einen neuen Rüstung würdest du das Wahrzeichen der Zakarum nicht mehr tragen“, sagte sie mit fragendem Tonfall.
Traurig wandten sich seine Augen ihr zu. „Ich habe das Recht verloren, es zu tragen. Ich kann mich nicht länger als Paladin bezeichnen.“
„Was, um der Götter Willen, meinst du getan zu haben?“
Auch Catulo war aufmerksam geworden und verfolgte mit Spannung das Gespräch.
„Ich habe den Wünschen des Ordens zuwider gehandelt, als ich mich davonstahl, um Cain zu retten. Fahnenflucht nennt man es in Kriegszeiten, oder Verrat. Allein dafür haben sie mich sicher längst verstoßen. Und nun trete ich die Regeln meines Ordens mit Füßen. Ich ziehe mit einer Frau und einem Werwolf gegen die Feindin eines fremden Volkes. Sie werden mich nicht am Leben lassen, würde ich je wieder in ihre Nähe gelangen. Ich hab kein Zuhause mehr.“
„Hast du denn keine Familie, zu der du zurückkehren kannst?“, fragte die Amazone mitleidig.
Khalid schwieg eine Weile mit geschlossenen Augen und schüttelte den Kopf.
Dann öffnete er wieder seine Augen und blickte doch nur ins Nichts. In diesem zeitlosen Moment gab es nur Raum für Wahrheit, keine Ausflüchte mehr. Sollten sie sein Versagen erfahren, es war unwichtig.
*****
Er war ein tüchtiger Seemann, nein, besser ein furchtloser Pirat. Die Taue knirschten vor Last, die Holzbohlen waren schmierig vor Seewasser. Sie waren ganz alleine mitten auf dem mächtigen Ozean und mitten in einem unglaublich starken Sturm, einem Orkan-Sturm. Doch er musste ganz da oben ins Top klettern, um das Segel loszuschneiden, sonst würde der gewaltige Wind das ganze Schiff zum Kentern bringen. Also erklomm er, mühsam das Gleichgewicht haltend, seinen gefährlichen Krummsäbel zwischen den Zähnen, die oberste Querstange seines Klettergerüstes. Endlich lag er bäuchlings oben und rief trotzend in den Sturm. „Du wirst mich nicht klein kriegen, Meer!“
Mit einem einzigen Schlag seines Säbels kappte er die Taue – alle waren gerettet.
Doch was war das? Am Horizont sah er ein gefährliches Seemonster auftauchen. Ganz still verhalten jetzt, bloß nicht rühren! Er schmiegte sich enger an die Holzstange, doch zu spät: Sie hatte ihn bereits gesehen und packte ihn am Fuß.
„Nein, Du wirst mich nicht bekommen!“ rief er und klammerte sich mit aller Kraft an das Holz, doch sie zog ihn Stück für Stück hinunter bis er schließlich kichernd in die Arme seiner Mutter fiel.
„So, mein junger Husar, Zeit fürs Abendessen.“
„Neeiiin, ich bin kein Husar! Ich bin ein Pirat!“
„Na gut, dann bekommst du nur Schiffszwieback und getrockneten Fisch, aye?“
Nach dem Essen rief sein Vater ihn zu sich. Der Junge liebte es, wenn er die goldschimmernde Rüstung trug. Er wirkte dann wie ein Engel, vielleicht einer dieser gefürchteten Racheengel.
Sein Vater kniete sich vor ihn und legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Ich muss für ein paar Tage fort.“
„Wirst du böse Männer verfolgen?“
„Ja, mein Sohn, ich muss ein paar sehr böse Männer verfolgen.“ Er lachte auf und wuschelte ihm das blonde Haar. „Und solange ich das tu, hast du hier die Verantwortung. Pass auf deine Mutter und deine Schwestern auf, klar? Du bist jetzt der Mann im Haus!“
Du bist jetzt der Mann im Haus!
Er nahm sich diesen Satz sehr zu Herzen und deshalb war er auch sofort mit gezücktem Holzschwert durch die Falltür in den Raum unter der Küche gestürmt, in dem seine Mutter die Lebensmittel und die Holzkohle lagerte. Seine Schwester Rosalie war kreischend daraus geflüchtet, weil sie eine Ratte gesehen haben wollte. Dieses Untier musste er ausschalten.
Er verschmolz mit dem Schatten, er wurde eins mit dem Spiel aus Licht und Dunkel, er war ein Meister der Assassinen und er war auf der Hatz – nichts würde ihn aufhalten.
Weit entfernt hörte er seine Mutter etwas rufen, aber die königliche Garde würde ihn niemals finden, ganz leise zog er die Falltür zu. Fremde konnte sie kaum sehen, so sehr verschmolzen die Fugen mit dem belebten Muster im Boden der Küche.
Plötzlich hörte er Rosalie im Garten schreien, eilige Schritte trampelten durch das Haus. Eine große Schüssel fiel klirrend zu Boden und zerbarst in tausend Stücke. Das Baby fing an zu weinen, aber niemand kam, um es zu trösten.
Eine barsche Männerstimme brüllte „... ergeht es dir wie deinem Ehemann...“ dann ein reißendes Geräusch und seine Mutter begann panisch zu kreischen. Doch unvermittelt verstummte der Laut, wie abgehackt. Etwas Schweres polterte zu Boden.
Seine Schwester schluchzte lautstark und rief um Hilfe.
Doch der tapfere Assassine war verschwunden, zurückgeblieben war ein verängstigter, am ganzen Körper bebender fünfjähriger Junge. Stumme Tränen des Entsetzens rannen über sein pausbäckiges Gesicht. Er musste da nach oben, musste die Eindringlinge vertreiben, er musste die Frauen schützen.
Du bist jetzt der Mann im Haus!
Er hatte es seinem Vater versprochen, doch er konnte sich nicht rühren. Er stand einfach nur da und lauschte dem Entsetzlichen. Die Schreie seiner Schwester wurden leiser, bis sie schließlich ganz verstummte.
Nur das Baby weinte immer noch.
Erst Stunden später fanden Nachbarn den kleinen Waisen.
***
Khalid schwieg einen Moment. Dann murmelte er tonlos weiter, als ob er über jemand Fremden sprach:
„Sie brachten mich zu dem Orden der Zakarum, dem auch mein Vater angehört hatte. Sie zogen mich auf und bildeten mich aus, damit ich eines Tages seinen Platz einnehmen könne.“ Er lachte bitter auf, ohne jegliche Fröhlichkeit.
„Als ob ich in der Lage gewesen wäre, seinen Platz auszufüllen. Ich konnte ihren Idealen nicht gerecht werden, ich werde niemals so werden wie er. Und ich will es auch gar nicht, nicht für sie. Dieser verfluchte Orden hat mir meinen Vater genommen.“ Die letzte Worte spie er geradezu aus und Jaella wurde klar, dass er nie zuvor so über seine Heimat geredet hatte. Und endlich verstand sie ihn.
Catulo war es, der als erster wieder zu sprechen anhob: „Einst waren Paladine echte Krieger des Lichts. Sie kämpften für das Gute in der Welt, und es war ihnen egal, welchem Volk ein Hilfsbedürftiger angehörte. Sie interessierten sich für die Belange anderer und hatten keine Furcht vor kämpfenden Frauen oder Anwendern der Magie. Seit einigen Jahren hat sich ein Schatten über den stolzen Orden gelegt. Doch du bist diesem Schatten entronnen, Khalid. In meinen Augen bist du der einzige, der sich als Lichtkrieger bezeichnen darf. Du bist ein würdiger Paladin, und die Götter sind mit dir.“
„Du bist dabei Großes zu leisten“, fügte Jaella leise hinzu. „Du legst dich hier mit den Mächten der Hölle an und ganz gleich ob wir siegen werden oder scheitern, dein Vater wäre heute sehr stolz auf dich!“
Und langsam schob sich der Schatten von seinem Gesicht.
Jaella saß auf dem kalten, harten Steinboden, den Rücken gegen den Türrahmen gelehnt. Sie hatte die Beine dicht an ihren Körper herangezogen, die Arme um die Knie verschränkt und wachte über den Schlaf ihrer Gefährten.
Die junge Stachelratte kauerte zu ihren Füßen und knabberte an den Essensresten, die sie ihm hingelegt hatte. Dann kroch das Kleine auf ihre Füße und sah seine Herrin mit seinen schwarzen Knopfaugen wie fragend an.
Das Fehlen eines menschlichen Gesprächspartners lenkte Jaellas Gedanken auf den Allesfresser.
„Meine Mutter fehlt mir“, flüsterte sie. „Nicht diese unbekannte Amazone, sondern meine richtige Mutter. Ich wünschte, sie wäre bei mir und ich könnte mit ihr reden. Nichts gegen dich, du seltsames Biest, aber du kannst mir keinen Rat geben.“ Sie seufzte tief. Die Ratte ließ ein leises Knurren vernehmen, als wolle sie die Frau zum Weitersprechen ermutigen.
„Was soll ich nur machen? Was soll ich tun, wenn das alles hier vorbei ist. Falls ich dann noch lebe...“
Ein heiseres Auflachen ohne jegliche Freude entfuhr ihrer Brust. Ihre Stimme wurde noch leiser. „Wo soll ich nur hin?“
Khalid trat aus dem Schatten auf sie zu und setzte sich neben sie. Röte überzog ihr Gesicht. Hatte er sie Reden gehört?
„Ich glaube, du hast eine Frage vergessen“, sprach er leise und strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht. Als sie nicht antwortete, fuhr er fort.
„Ich bin nicht blind, Jaella. Ich habe doch bemerkt, wie du ihn angesehen hast – und er dich.“
„Er ist ein Monster“, wisperte sie verzweifelt.
„Ist das nicht ein zu hartes Wort? Er ist menschlicher, als einige, die immer auf nur zwei Beinen gehen. Ich habe derer viele gekannt, und glaube mir, er ist ein guter Mensch.“
Eine ganze Weile saßen sie noch nebeneinander stumm da und schwiegen miteinander.
Später in der Nacht, oder dem, was die Gefährten dafür hielten, saß Khalid an den Türrahmen gelehnt und spähte den Flur hinunter, wie seine Weggefährtin kurz zuvor. Mit langsamen, gleichmäßigen Strichen zog er den kleinen Wetzstein an der langen Klinge seiner Schwertes entlang.
Bald schon würden er und sein Schwert beweisen, was sie wirklich wert waren. Der Paladin hatte ein paar Entscheidungen getroffen und war ruhiger geworden. Er würde sich erst einmal dem Dämon stellen, dann seinem Leben.
Jaella hingegen hatte sich in ihre Decke eingerollt und grübelte weiter. Wenngleich der Schlaf gewaltsam an ihr riss, wollte sie ihm noch nicht nachgeben.
Mit leisem Murmeln drehte sich Catulo neben ihr auf seine linke Seite. Seine Decke verrutschte und gab den Blick auf seinen Rücken frei, der von einem feinen Geflecht von Narben überzogen war, manche dünn und kaum zu sehen, andere verdickt und schlecht verheilt.
Peitschenhiebe – nichts anderes konnte diese Zeichen hinterlassen.
Hatte man ihn der Bestie wegen gefoltert, die er in sich trug?
Sie hatte kaum gewagt, ihn nach dem letzten Gefecht anzusehen. Diese brutale Gewalt, mit der er kämpfte, hatte sie erschreckt und fasziniert. Immer noch pochte ihr Herz drängend an ihre Brust, wenn sie sich an seinen Blick erinnerte. Nichts menschliches war in seinen braunen Augen gewesen, der Wolf hielt die Kontrolle über sein Tun.
Nach seiner Rückverwandlung war er geschwächt gewesen, stolpernd hatte er seinen Weg gefunden, er hatte all seine Kraft für die Gruppe gegeben. Und als er dann den toten Raben an seinem Gesicht barg, hatte sein Schmerz tief in ihre eigene Seele geschnitten. Beinahe wäre sie zu ihm gegangen, um ihn zu trösten, doch dann verzagte sie.
Vor lauter Furcht vor dem Unbekannten hatte sie vergessen, was sie in seiner Nähe so gefesselt hatte, seit er beinahe lautlos in ihr Leben getreten war. Seine Gelassenheit, seine Augen, sein gesamtes Wesen.
Langsam hob Jaella ihre Hand und zeichnete sanft mit ihren kühlen Fingerspitzen die Linien auf seinem Rücken nach.
Still lag der Waldläufer da, mühsam beruhigte er seinen galoppierenden Herzschlag und wagte kaum zu atmen.
Zwei Dutzend Hiebe waren es gewesen, die seinen Rücken zerrissen hatten, er kannte den Verlauf jedes einzelnen Treffers. Schließlich erforschten ihre Finger die Narbe des letzten Schlages. Der Hieb war seitlich geführt worden. Tief hatte sich die Peitschenschnur in seine Haut gegraben, über Rücken und Seite bis zu seinem Brustbein. Dort kamen ihre Finger zum Stillstand.
Er nahm ihre Hand und drehte sich zu ihr um. Tief versenkten sich seine grünen Augen in den ihren, und sie spürte seinen heißen Atem an ihren Wangen.
Sie zitterte, jedoch nicht vor Kälte.
„Nicht jeder akzeptiert einen Wolfsmenschen in seiner Nähe.“ Heiser klang seine Stimme. „Ich war damals beinahe noch ein Knabe. Aber ich hatte Glück. Mein Vater und einige Nachbarn fanden und befreiten mich, sonst wäre ich heute nicht hier.“
Tränen des Mitgefühls stiegen ihr in die Augen, zärtlich wischte er sie mit seiner freien Hand fort.
„Weine nicht um mich. Denn hier und jetzt bin ich glücklich.“
„Was wird sein, wenn das alles hier vorbei ist?“, fragte sie flüsternd.
„Ich werde dir folgen, wenn du mich lässt, ganz gleich wo dein Weg dich hinführt. Ich liebe dich, seit ich dich das erste Mal sah.“
Wieder bildete sich eine einzelne Träne, und diesmal küsste er sie sanft weg.
„Und ich liebe dich.“ Hatte sie es geflüstert? Hatte sie die Worte geschrieen, die ihr seit Tagen auf der Zunge brannten?
Zärtlich, doch unnachgiebig, zog er sie an sich und sie verlor sich in seiner Umarmung.
Mit leisem Scharren zog Khalid die Tür hinter sich zu und ging einige Schritte in dem Korridor entlang. So hatte sie also nun ihre Wahl getroffen. Erst jetzt, da sein eigenes Herz in Scherben zerbrach, erkannte er, was er früher hätte merken müssen. Es waren keine geschwisterlichen Gefühle gewesen, die er ihr gegenüber empfand, doch nun war es zu spät.
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Insidias