Insidias
Guest
Frohe Weihnachten :santa: an alle meinen emsigen Leser, habe euch auch was mitgebracht...
Die ganzen Spekulationen über Catulo haben mir sehr gefallen *dämonisch grins*. Heute werde ich einige Rätsel lösen (nein, nicht mit Townportal und Hel-Rune). Ihr werdet sehen, der eine oder andere von euch hatte die richtige Idee!
Kapitel 22: Entscheidungen
Jaella war zunächst erschrocken zusammengezuckt, hatte sich jedoch wieder rasch im Griff und stellte sich an die Seite ihres alten Gefährten, ihrerseits den kleinen Dolch fest in der Faust.
Khalid sprach mit ruhigem Tonfall weiter: „Ich werde nicht zögern, Euch die Kehle durchzuschneiden, solltet Ihr Euch bewegen. Im Nahkampf bin ich Euch weit überlegen. Sind wir uns soweit einig?“
Der Waldläufer nickte stumm, ein Hauch von Resignation lag in seiner Mine.
„Ich werde nicht weglaufen“, entgegnete er trocken, da er bemerkt hatte, dass Khalid zwar die Blutungen gestoppt und die oberflächlichen Wunden und Blutergüsse versorgt, jedoch nicht sein Bein behandelt hatte.
„Dann erzählt mir mal von letzter Nacht“, forderte Khalid so ruhig, als erkundige er sich nach dem Wetter.
Ein flehender Blick erreichte die Amazone, die diesen kalt mit zusammengepressten Lippen erwiderte. Dieses Mal schaute Catulo als erster weg, schloss die Augen und schwieg beharrlich.
„Nun redet schon!“ Ein schriller Unterton hatte sich in Jaellas sonst so sanfte Stimme geschlichen.
„Was passierte, nachdem wir eingeschlafen... oh Ihr Götter!“
Entsetzt tauschten Paladin und Amazone einen Blick. Ein böser Verdacht war ihnen bei Jaellas letztem Satz gekommen.
„Ihr habt uns etwas in das Essen gemischt“, flüsterte sie fassungslos. „Darum haben wir so fest geschlafen und Ihr konntet in aller Ruhe tun, was immer Ihr tatet. Sie hätten uns in der Nacht abschlachten können, es war Euch egal...“
Der Druide zuckte hoch: „Nein! Ich hätte nie zugelassen, dass sie Euch etwas antun. Der Rabe hat über Euch gewacht und hätte mich geholt, wenn Feinde gekommen wären. Ich wollte Euch nie etwas Böses. Das müsst Ihr mir glauben!“
„Wenn wir Euch glauben sollen, müsst Ihr uns endlich die Wahrheit über Euch erzählen“, zischte Jaella. Doch wie sie sich selber eingestehen musste, vertraute sie den Worten des dunklen Mannes. Er log nicht, das fühlte sie.
Khalid hatte den halb aufgerichteten Waldläufer wieder zu Boden gedrückt. „Bleibt schön ruhig, mein Junge, sonst könnt Ihr gleich direkt durch den Brustkorb atmen“, knurrte er.
Ein heiseres Lachen war die Antwort. „Nennt mich nicht Junge, Paladin. Ich bin um einiges älter als Ihr. Und jetzt macht doch, was Ihr wollt. Aber denkt daran, ich habe Euch versprochen, Euch sicher zum Kloster zu bringen und das habe ich eingehalten. Wenn Ihr mich nun als Dank dafür töten wollt, kann ich Euch nicht hindern.“ Damit schloss er wieder die Augen.
Khalid war sprachlos. Stumm bedeutete er Jaella, den Bogen zu holen. Sie gehorchte und spannte einen Pfeil ein, den sie auf den Boden vor ihrem Gefangenen richtete. Khalid seinerseits zog seinen Dolch zurück, richtete sich auf und gemeinsam gingen sie außer Hörweite.
Flüsternd fragte er sie: „Und was machen wir nun? Ich kann ihn nicht töten, aber laufen lassen erst recht nicht.“
„Und wenn wir ihn mitnehmen?“
„Wir können doch nicht gleichzeitig uns den Weg durch das Kloster erkämpfen und auf den da aufpassen.“
„Vielleicht sollten wir ihn über den Wegpunkt ins Lager der Jägerinnen transportieren. Ach nein, da kommt er nicht hin. Dann zu Flavie, oder wer auch immer zur Zeit die Kalte Ebene bewacht.“ Jaella runzelte angestrengt die Stirn.
Khalid schüttelte den Kopf. „Und wie bitte sollen wir ihn gegen seinen Willen transportieren? Er muss doch an das Ziel denken.“
„Ihr könntet mich bewusstlos schlagen und dann als Gepäckstück mitnehmen“, warf der Druide hilfreich ein.
„Haltet den Mund!“, riefen die beiden anderen im Chor. Dann stutzen sie.
Jaella trat wieder näher an den Druiden heran. „Wie konntet ihr uns denn aus dieser Entfernung verstehen?“, forschte sie nach.
Catulo hatte nach wie vor die Augen geschlossen. „Ich habe ein gutes Gehör. Eure Pläne sind Unfug.“
Khalid warf entnervt die Hände hoch.
„Ihr habt sicherlich eine bessere Idee!“
„Lasst mich hier, in der Nähe des Wegpunktes. Ich kann ja nicht weglaufen. Sollte ich angegriffen werden, kann ich mich entweder wehren, oder bei Übermacht zur Kalten Ebene verschwinden. Es wäre allerdings nett, wenn Ihr Flavie vorher informiert.“
„Und vielleicht sollte ich Euch einfach hier anbinden, bis wir in ein, zwei Tagen wiederkehren!“, brach es voller Ärger aus Khalid heraus.
„Haltet Euch doch bitte zurück!“, rief Jaella überfordert. „Das hilft uns doch auch nicht weiter!“ Sie war den Tränen nahe.
Die beiden Männer verstummten betroffen.
„Catulo, ich versteh nicht, warum Ihr daraus so ein Geheimnis macht, aber ich verlange sofort eine Erklärung!“, rief die Amazone erregt.
Der dunkle Mann senkte den Kopf. „Der Paladin wird meine Antwort niemals akzeptieren. Er wird mich töten, wenn er die Wahrheit erfährt“, erklärte er mit dumpfer Stimme. „Das war der Grund für mein Schweigen.“
Jaella wurde hellhörig. „Ihr sagt, Khalid würde Euch töten, mich erwähnt Ihr nicht. Warum macht Ihr diese Unterscheidung?“
Die grünen Augen bohrten sich in ihre. „Jeder Lichtkrieger hasst uns. Sie verfolgen uns und schlachten seit Generationen Hunderte meiner Art ab“, zischte Catulo. „Sie können nicht akzeptieren, dass wir auch nur Geschöpfe der selben Götter sind. Wir stehen auf der gleichen Seite, aber ihr Hochmut macht sie blind für die Belange des wirklichen Lebens. Ihre begrenzte, kleine Weltanschauung ist alles, was sie kennen.“ Die letzten Worte spie der Druide aus und verstummte dann mit brennendem Blick auf den Paladin, der nach dieser Ansprache wie geohrfeigt dastand.
„Ihr kennt den Mann dort drüben doch gar nicht“, begann Jaella sanft aber nachdrücklich. „Er hat seinem Orden zuwidergehandelt, als er aufbrach, Cain zu retten. Glaubt Ihr nicht, dass er Euch verstehen könntet?“ Sie wandte sich zu ihrem Freund um. „Khalid, bitte sage mir, dass du selber entscheiden wirst, was du tust, egal welche Wahrheit er enthüllt. Handle nicht, bevor du überlegt hast. Versprichst du mir das?“
Khalid nickte stumm. Er hatte sich selber bereits teilweise von dem starren Denken seines Orden gelöst. Die Erdmagie des Druiden kannte er bereits und hatte sie stillschweigend akzeptiert, ja, er hatte sogar ihr Wirken bewundert. Er würde sich nicht von verstaubten Anschauungen leiten lassen. Oder doch?
Catulo hatte zwar das Nicken gesehen, er bemerkte aber auch die Zweifel im Blick des Hünen. Doch er stand eindeutig an einem Wendepunkt seines Lebens. Entweder er vertraute dem Urteilsvermögen des Paladins, der mit ihm gemeinsam gefochten hatte, oder er würde keine weitere Gelegenheit haben, seinem Volk zu helfen. Es half nichts, er würde es riskieren müssen.
Jaella blickte angespannt von einem zum anderen. Khalid war ihr während der gemeinsamen Zeit sehr ans Herz gewachsen und sie vertraute ihm blind, doch konnte es sein, dass er von alten Befehlen geleitet, den Waldläufer tatsächlich töten würde? Und was war das seltsame Geheimnis des dunklen Mannes, der sich so plötzlich in ihr Leben geschoben hatte. Ohne sich selber darüber bewusst zu sein, festigte sich in ihr eine Gewissheit. Sie würde nicht zulassen, dass ihm etwas geschah, und sei es durch die Hand ihres Gefährten. Lauernd starrte sie abwechselnd auf die Männer.
„Also gut“, seufzte Catulo. „Ich zeige es Euch.“ Er warf einen kurzen Blick zu dem verletzten Wolf, der leise winselte und wiederum seinen Herrn unverwandt ansah. Dann legte er seine Fellweste und die Stiefel ab und konzentrierte sich auf sein Inneres. Die alten Beschwörungen kamen wie von alleine über seine Lippen, er hatte sie unzählige Male ausgesprochen. Eigentlich brauchte er die Worte gar nicht mehr, aber sie halfen ihm, sich auf den Moment vorzubereiten. Dann fuhr es machtvoll durch seinen Körper. Er riss die Augen auf und so konnte Jaella von ihrer Position aus sehen, wie sich seine Augen aufhellten. Das Grün verschwand und machte Platz für das helle Braun, das sie schon einmal an ihm bemerkt hatte. Ein qualvoller Aufschrei entfuhr seinem geschundenen Körper, dann kam die Bestie und griff nach ihm. Sie übernahm seinen Geist und schob ihn achtlos beiseite, an die Stelle, wo sie den Tag über weilen musste, wenn er Herr über seinen Körper war. Die Verwandlung war grausam schmerzhaft, und doch war sie jedes Mal wie eine Befreiung. Sein Gesicht verzerrte sich, als sich die Knochen in den Beinen streckten und verformten. An den kräftigen Händen bildeten sich Krallen. Am ganzen Körper spross schwarzes, drahtiges Haar. Der Brustkorb dehnte sich und machte Platz für die wachsenden Lungen. Das Gesicht wölbte sich vor und formte eine lange Schnauze mit spitzen, wölfischen Zähnen. Es hatte nur wenige Momente gedauert, und schon stand eine Kreatur vor den beiden fassungslosen Menschen, wie sie sie im Wachen noch nie gesehen hatten. Es war eine grausige Mischung aus Mensch und Wolf. Die Verwandlung hatte die Wunde am Bein bewahrt, und so stand das Wesen auf nur einer Hinterpfote und stützte sich mit den handähnlichen Vorderläufen ab. Es sah mit seinen bernsteinfarbenen Augen wehmütig auf die Gefährten. Er war nach wie vor in der Lage zu denken, doch waren seine Empfindungen einfacher. Es gab Gut und Böse, es gab ihn und die beiden, es gab die Nacht und den Mond.
Sie betrat sein Blickfeld. „Catulo?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Der Mensch in ihm schob sich in den Vordergrund und zwang den Wolf zu nicken.
Seine Nase zuckte, er nahm seine Umgebung deutlich wahr. Angst lag in der Luft. Zum Teil waren es die Ausdünste seines eigenen menschlichen Körpers gewesen, zum Teil die der anderen beiden. Der Paladin hatte sein Langschwert gezogen und richtete es auf ihn, und doch machte er noch keine Anstalten tatsächlich anzugreifen. Gut so. Obwohl es kaum einen Unterschied machte, befand die Bestie. Sei still!, befahl der Mann und hörte in seinem Geist das höhnische Lachen des Wolfes. Sollte der Paladin wirklich versuchen ihn zu attackieren, würde er sich wehren. Doch sie stand zwischen den beiden und schaute hektisch von einem zum anderen. Bereit, jeden von ihnen abzuwehren, sollte er den ersten Schritt wagen. Ihr würde er niemals ein Leid zufügen können.
Der Mann riss die Kontrolle an sich und zwang den Wolf zur Rückverwandlung. Diese war nicht minder schmerzhaft und sein eigenes Schreien dröhnte ihm in den Ohren, als er wieder er selbst wurde. Halbnackt lag er auf dem Boden, seine ohnehin zerschnittene Hose hatte die Verwandlung nur in Fetzen überstanden, doch sie bedeckte immerhin seine Männlichkeit. Beinahe blind und taub vor Pein und Erschöpfung griff er nach seiner Decke und hüllte sich in sie. Fremde Hände halfen ihm, seinen Körper zu verdecken. Eine mächtige Gabe hatte Mutter Natur ihm gegeben, und einen mächtigen Fluch gleichzeitig auferlegt. Die Verwandlungen kosteten enorme Energien und diese zwei aufeinander folgenden brachten ihn an den Rand einer Ohnmacht.
Als sich sein Blick klärte, sah er nicht in die Augen der Amazone, sondern hatte die stahlgrauen, unergründlichen des Paladins vor sich.
Der blonde Krieger hockte neben dem geschwächten Waldläufer, der nun wieder menschliche Gestalt hatte, und ordnete die grobe Decke um den ausgemergelten Körper. Weniger, um den Anderen vor Witterung oder Blicken zu schützen, als mehr, um sich selber in Aktion zu halten, die Hände zu beschäftigen. Stoppte er sein Tun, würde er sich mit dem nächsten Schritt befassen müssen.
In seinem Kopf dröhnten die Stimmen seiner Ausbilder.
Wolfsmensch, Werwolf, Gestaltenwandler.
Abschaum.
Widernatürlich.
Gelang es einem Krieger des Ordens der Zakarum eine dieser Kreaturen zu enttarnen, sollte man sie ausschalten. Es war eine heilige Pflicht, die Menschheit vor diesen Monstern zu schützen, die wehrlose Frauen angriffen und schändeten, das reine Blut von Kindern tranken. Und nun lag eines von ihnen wehrlos vor ihm und wartete auf seinen Tod.
Und doch hatten sie beide schlafend die Nacht in der Gegenwart des Druiden verbracht, ihnen war nichts geschehen. Ja, sie hatten sogar gemeinsam gegen andere Kreaturen der Hölle gefochten.
Sie stand einen halben Schritt hinter ihm und er war sich des Dolches in ihrer Hand bewusst. Er hatte bemerkt, wie Jaella den dunklen Mann in den vergangenen Tagen angesehen hatte. Schmerzlich zog sich sein Herz zusammen. Welche Konsequenzen würde sein Handeln dem Druiden gegenüber auf die Freundschaft zu ihr haben? Würde sie ihm verzeihen? Es wäre ein Leichtes, seine Pflicht zu tun. Sie könnte ihn nicht hindern, er würde sie mit Leichtigkeit entwaffnen können, sollte sie eingreifen. Aber würde sie eingreifen? Sie stand starr und still da, geschockt von dem Erlebten. Vielleicht verspürte sie Angst, oder gar Hass. Vielleicht wollte sie seinen Tod. Khalid wagte nicht, sich umzuwenden, um in ihrem Gesicht zu lesen.
Von ganz alleine, hatten seine Hände innegehalten und schwebten zitternd über dem wehrlosen Mann vor ihm im Gras.
Jaella stand fassungslos da. Das schreckliche Bild noch immer vor Augen. Sie hatte sich eingebildet, den Waldläufer zu kennen, ihn beurteilen zu können? Sie wusste rein gar nichts.
Eines begriff sie rasch: Catulo hatte Recht gehabt. Der Paladin würde eine solche Kreatur töten müssen, soviel hatte sie über seinen Orden schon gelernt. Aber der Fremde hatte an ihrer Seite gekämpft, hatte sie sicher hierher gebracht. Oder war das nur ein grausames Katz-und-Maus-Spiel gewesen? Stand Andariel hinter Allem?
Wollte sie in das Geschehen vor ihr eingreifen, musste sie schnell handeln. Warum zögerte Khalid? Warum zögerte sie selber? Wollte sie eingreifen?
„Khalid...“ Ihre Stimme klang dünn und zittrig. Und sie beendete den Satz nicht. Was hatte sie sagen wollen? Khalid, tu es nicht? oder eher Khalid, tu es!
Mit einem Ruck schnellte Khalid hoch und schleuderte den Dolch zu Boden. Aufschreiend wandte er sich um und attackierte mit den bloßen Fäusten eine der steinernen Säulen, die den Hof einrahmten.
Mit blutüberströmten Knöcheln stand er dann wieder vor der Amazone. Sie hatte sich noch immer nicht einen Jota bewegt. Sie hatte Zeit für ihre Entscheidung gewonnen. Aber alles was sie dachte, war, dass sie sich entscheiden musste, und dass die Zeit verrann.
Unausgesprochen hing die Frage zwischen ihnen.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie endlich. „Er hat doch für uns gefochten, oder nicht?“
Sie wandte sich an den Waldläufer, der regungslos auf dem Boden lag und wartete, auf was immer kommen mochte.
„Was habt Ihr letzte Nacht getan?“, wollte sie wissen.
Sein Blick ging durch sie hindurch ins Nichts. Emotionslos antwortete er: „Ich habe die Gestalt gewechselt und gemeinsam mit meinem Wolf die Ebene von Andariels Schergen gesäubert, damit Ihr unbeschadete das Kloster erreicht, wie ich es versprochen hatte. Als Mensch wäre es mir nicht möglich gewesen, doch der Wolf in mir hat ungeheure Kräfte. Dennoch ist er nicht unsterblich.“
Als sie sich wieder umdrehte, hielt seine Stimme sie zurück. „Ich habe einen Wunsch.“ Doch er schaute nicht die Amazone an, sondern den Krieger hinter ihr. „Bitte heilt den Wolf. Er ist nur ein Tier, doch er kämpfte für Euch. Er kennt keine Lügen oder Geheimnisse. Ich bin das Band, das ihn an die Menschen bindet, er wird nach meinem Tod einfach verschwinden und Euch nie wieder behelligen.“
Vielleicht war es diese selbstlose Bitte, die etwas in Khalids Gedanken endlich einrasten ließ.
Er räusperte sich und sagte mit kratziger Stimme, als hätte er sie lange nicht benutzt: „Das Tier hat in der Tat für uns gefochten. Ich werde keinen Gefährten dem Tod überantworten.“
Dann kniete er wieder neben dem Waldläufer nieder und drückte ihm die immer noch blutigen Hände auf das Bein. Der Druide holte zischend Luft, als er zum ersten Mal im Wachen spürte, wie Khalids Sinne nach ihm griffen. Da er selber ein magiebegabtes Wesen war, kannte er solche Begegnungen und so erlitt er nicht den Schock, den Jaella verspürt hatte. Die zerrissenen Muskelfasern fügten sich wieder zusammen und die Wunde schloss sich. Wenige Momente später konnte er sein Bein wieder bewegen, auch wenn es noch steif war und die Nachwirkungen schmerzten.
Ein wenig fassungslos sah er zu dem Paladin auf, der sich wieder hingestellt hatte und dem Waldläufer die Rechte entgegenhielt, um ihm aufzuhelfen.
Langsam erhob er sich und griff nach dem angebotenen Arm. Die Finger der Männer umfassten den Unterarm des jeweils anderen und hielten sich fest, auch nachdem sie sich schon gegenüberstanden.
Tief verschränkten sie die Blicke und schmiedeten ein Band. Noch war es brüchig und filigran, doch es brachte Hoffnung für die Zukunft.
Jaella trat an die beiden Männer heran, und legte ihre beiden Hände auf die ihrer Begleiter, die wiederum ihre freien Hände mit den schmalen Fingern der Amazone verschränkten.
Eine ganze Weile standen sie da, bis sie sich schließlich gemeinsam dem Wolf zuwandten. Catulo kniete sich neben seinen Kopf und hielt ihn an Vorderpfoten und Nackenfell fest. Jaella packte auf Catulos Anweisungen hin die hinteren Tatzen und den Schwarz, um das riesige Tier unter Kontrolle halten zu können, wenn Khalid mit der Heilung begann.
Vorsichtig legte der Paladin seine Hände auf Brustkorb und Flanke. Drohendes Grollen durchzitterte den geschundenen Leib, nur mühsam konnte der Waldläufer seinen vierbeinigen Freund beruhigen.
Khalid ging so behutsam vor, wie er nur konnte. Langsam versenkte er sich in den ungewohnten Körper und suchte die Verwundungen. Am Rande bekam er mit, wie sich das Tier immer stärker wehrte, je gesünder es wurde. Schließlich kniete Catulo auf dem Hals, und hielt mit der freigewordenen Hand und leidvoller, aber unerbittlicher Miene dem Wolf Khalids Dolch an die Kehle, bereit zuzustoßen, sollte das Tier sich losreißen und auf den Paladin stürzen.
Obgleich er noch nicht ganz fertig geworden war, hielt Khalid inne und löste sich behutsam von den Sinnen des Wolfes und seinem Körper, und trat ein paar Schritte zurück. Catulo gab Jaella ein Zeichen, ebenfalls loszulassen und packte selber wieder mit beiden Händen zu.
Behände wich Jaella zu ihrem Freund zurück, bereit, den Wolf wenn nötig aufzuhalten.
Doch nachdem beide losgelassen hatten, beruhigte sich das Tier bald unter dem sanften Zuspruch des Druiden.
Erleichtert sahen sie sich an, dann wandte sich Jaella an den erschöpften Paladin.
„Als nächstes kümmerst du dich um deine eigenen Hände, bevor du noch unser aller Schlafdecken verschmierst, und dann wirst du dich einen Moment hinlegen. Und ich glaube, wir können alle einen Becher Tee und etwas zu essen gebrauchen.“
„Ja, Hoheit!“, grinste Khalid und Catulo, der als einziger die Anspielung verstand, prustete los. Doch er sollte auch noch Jaellas spitze Zunge zu spüren bekommen, als er sich dem Kochgeschirr zuwandte.
„Ich denke, ich übernehme das Kochen lieber. Ich möchte nicht den ganzen Nachmittag verschlafen...!“ Doch die Amazone sagte dies mit einem Lächeln.
Insidias
Die ganzen Spekulationen über Catulo haben mir sehr gefallen *dämonisch grins*. Heute werde ich einige Rätsel lösen (nein, nicht mit Townportal und Hel-Rune). Ihr werdet sehen, der eine oder andere von euch hatte die richtige Idee!
Kapitel 22: Entscheidungen
Jaella war zunächst erschrocken zusammengezuckt, hatte sich jedoch wieder rasch im Griff und stellte sich an die Seite ihres alten Gefährten, ihrerseits den kleinen Dolch fest in der Faust.
Khalid sprach mit ruhigem Tonfall weiter: „Ich werde nicht zögern, Euch die Kehle durchzuschneiden, solltet Ihr Euch bewegen. Im Nahkampf bin ich Euch weit überlegen. Sind wir uns soweit einig?“
Der Waldläufer nickte stumm, ein Hauch von Resignation lag in seiner Mine.
„Ich werde nicht weglaufen“, entgegnete er trocken, da er bemerkt hatte, dass Khalid zwar die Blutungen gestoppt und die oberflächlichen Wunden und Blutergüsse versorgt, jedoch nicht sein Bein behandelt hatte.
„Dann erzählt mir mal von letzter Nacht“, forderte Khalid so ruhig, als erkundige er sich nach dem Wetter.
Ein flehender Blick erreichte die Amazone, die diesen kalt mit zusammengepressten Lippen erwiderte. Dieses Mal schaute Catulo als erster weg, schloss die Augen und schwieg beharrlich.
„Nun redet schon!“ Ein schriller Unterton hatte sich in Jaellas sonst so sanfte Stimme geschlichen.
„Was passierte, nachdem wir eingeschlafen... oh Ihr Götter!“
Entsetzt tauschten Paladin und Amazone einen Blick. Ein böser Verdacht war ihnen bei Jaellas letztem Satz gekommen.
„Ihr habt uns etwas in das Essen gemischt“, flüsterte sie fassungslos. „Darum haben wir so fest geschlafen und Ihr konntet in aller Ruhe tun, was immer Ihr tatet. Sie hätten uns in der Nacht abschlachten können, es war Euch egal...“
Der Druide zuckte hoch: „Nein! Ich hätte nie zugelassen, dass sie Euch etwas antun. Der Rabe hat über Euch gewacht und hätte mich geholt, wenn Feinde gekommen wären. Ich wollte Euch nie etwas Böses. Das müsst Ihr mir glauben!“
„Wenn wir Euch glauben sollen, müsst Ihr uns endlich die Wahrheit über Euch erzählen“, zischte Jaella. Doch wie sie sich selber eingestehen musste, vertraute sie den Worten des dunklen Mannes. Er log nicht, das fühlte sie.
Khalid hatte den halb aufgerichteten Waldläufer wieder zu Boden gedrückt. „Bleibt schön ruhig, mein Junge, sonst könnt Ihr gleich direkt durch den Brustkorb atmen“, knurrte er.
Ein heiseres Lachen war die Antwort. „Nennt mich nicht Junge, Paladin. Ich bin um einiges älter als Ihr. Und jetzt macht doch, was Ihr wollt. Aber denkt daran, ich habe Euch versprochen, Euch sicher zum Kloster zu bringen und das habe ich eingehalten. Wenn Ihr mich nun als Dank dafür töten wollt, kann ich Euch nicht hindern.“ Damit schloss er wieder die Augen.
Khalid war sprachlos. Stumm bedeutete er Jaella, den Bogen zu holen. Sie gehorchte und spannte einen Pfeil ein, den sie auf den Boden vor ihrem Gefangenen richtete. Khalid seinerseits zog seinen Dolch zurück, richtete sich auf und gemeinsam gingen sie außer Hörweite.
Flüsternd fragte er sie: „Und was machen wir nun? Ich kann ihn nicht töten, aber laufen lassen erst recht nicht.“
„Und wenn wir ihn mitnehmen?“
„Wir können doch nicht gleichzeitig uns den Weg durch das Kloster erkämpfen und auf den da aufpassen.“
„Vielleicht sollten wir ihn über den Wegpunkt ins Lager der Jägerinnen transportieren. Ach nein, da kommt er nicht hin. Dann zu Flavie, oder wer auch immer zur Zeit die Kalte Ebene bewacht.“ Jaella runzelte angestrengt die Stirn.
Khalid schüttelte den Kopf. „Und wie bitte sollen wir ihn gegen seinen Willen transportieren? Er muss doch an das Ziel denken.“
„Ihr könntet mich bewusstlos schlagen und dann als Gepäckstück mitnehmen“, warf der Druide hilfreich ein.
„Haltet den Mund!“, riefen die beiden anderen im Chor. Dann stutzen sie.
Jaella trat wieder näher an den Druiden heran. „Wie konntet ihr uns denn aus dieser Entfernung verstehen?“, forschte sie nach.
Catulo hatte nach wie vor die Augen geschlossen. „Ich habe ein gutes Gehör. Eure Pläne sind Unfug.“
Khalid warf entnervt die Hände hoch.
„Ihr habt sicherlich eine bessere Idee!“
„Lasst mich hier, in der Nähe des Wegpunktes. Ich kann ja nicht weglaufen. Sollte ich angegriffen werden, kann ich mich entweder wehren, oder bei Übermacht zur Kalten Ebene verschwinden. Es wäre allerdings nett, wenn Ihr Flavie vorher informiert.“
„Und vielleicht sollte ich Euch einfach hier anbinden, bis wir in ein, zwei Tagen wiederkehren!“, brach es voller Ärger aus Khalid heraus.
„Haltet Euch doch bitte zurück!“, rief Jaella überfordert. „Das hilft uns doch auch nicht weiter!“ Sie war den Tränen nahe.
Die beiden Männer verstummten betroffen.
„Catulo, ich versteh nicht, warum Ihr daraus so ein Geheimnis macht, aber ich verlange sofort eine Erklärung!“, rief die Amazone erregt.
Der dunkle Mann senkte den Kopf. „Der Paladin wird meine Antwort niemals akzeptieren. Er wird mich töten, wenn er die Wahrheit erfährt“, erklärte er mit dumpfer Stimme. „Das war der Grund für mein Schweigen.“
Jaella wurde hellhörig. „Ihr sagt, Khalid würde Euch töten, mich erwähnt Ihr nicht. Warum macht Ihr diese Unterscheidung?“
Die grünen Augen bohrten sich in ihre. „Jeder Lichtkrieger hasst uns. Sie verfolgen uns und schlachten seit Generationen Hunderte meiner Art ab“, zischte Catulo. „Sie können nicht akzeptieren, dass wir auch nur Geschöpfe der selben Götter sind. Wir stehen auf der gleichen Seite, aber ihr Hochmut macht sie blind für die Belange des wirklichen Lebens. Ihre begrenzte, kleine Weltanschauung ist alles, was sie kennen.“ Die letzten Worte spie der Druide aus und verstummte dann mit brennendem Blick auf den Paladin, der nach dieser Ansprache wie geohrfeigt dastand.
„Ihr kennt den Mann dort drüben doch gar nicht“, begann Jaella sanft aber nachdrücklich. „Er hat seinem Orden zuwidergehandelt, als er aufbrach, Cain zu retten. Glaubt Ihr nicht, dass er Euch verstehen könntet?“ Sie wandte sich zu ihrem Freund um. „Khalid, bitte sage mir, dass du selber entscheiden wirst, was du tust, egal welche Wahrheit er enthüllt. Handle nicht, bevor du überlegt hast. Versprichst du mir das?“
Khalid nickte stumm. Er hatte sich selber bereits teilweise von dem starren Denken seines Orden gelöst. Die Erdmagie des Druiden kannte er bereits und hatte sie stillschweigend akzeptiert, ja, er hatte sogar ihr Wirken bewundert. Er würde sich nicht von verstaubten Anschauungen leiten lassen. Oder doch?
Catulo hatte zwar das Nicken gesehen, er bemerkte aber auch die Zweifel im Blick des Hünen. Doch er stand eindeutig an einem Wendepunkt seines Lebens. Entweder er vertraute dem Urteilsvermögen des Paladins, der mit ihm gemeinsam gefochten hatte, oder er würde keine weitere Gelegenheit haben, seinem Volk zu helfen. Es half nichts, er würde es riskieren müssen.
Jaella blickte angespannt von einem zum anderen. Khalid war ihr während der gemeinsamen Zeit sehr ans Herz gewachsen und sie vertraute ihm blind, doch konnte es sein, dass er von alten Befehlen geleitet, den Waldläufer tatsächlich töten würde? Und was war das seltsame Geheimnis des dunklen Mannes, der sich so plötzlich in ihr Leben geschoben hatte. Ohne sich selber darüber bewusst zu sein, festigte sich in ihr eine Gewissheit. Sie würde nicht zulassen, dass ihm etwas geschah, und sei es durch die Hand ihres Gefährten. Lauernd starrte sie abwechselnd auf die Männer.
„Also gut“, seufzte Catulo. „Ich zeige es Euch.“ Er warf einen kurzen Blick zu dem verletzten Wolf, der leise winselte und wiederum seinen Herrn unverwandt ansah. Dann legte er seine Fellweste und die Stiefel ab und konzentrierte sich auf sein Inneres. Die alten Beschwörungen kamen wie von alleine über seine Lippen, er hatte sie unzählige Male ausgesprochen. Eigentlich brauchte er die Worte gar nicht mehr, aber sie halfen ihm, sich auf den Moment vorzubereiten. Dann fuhr es machtvoll durch seinen Körper. Er riss die Augen auf und so konnte Jaella von ihrer Position aus sehen, wie sich seine Augen aufhellten. Das Grün verschwand und machte Platz für das helle Braun, das sie schon einmal an ihm bemerkt hatte. Ein qualvoller Aufschrei entfuhr seinem geschundenen Körper, dann kam die Bestie und griff nach ihm. Sie übernahm seinen Geist und schob ihn achtlos beiseite, an die Stelle, wo sie den Tag über weilen musste, wenn er Herr über seinen Körper war. Die Verwandlung war grausam schmerzhaft, und doch war sie jedes Mal wie eine Befreiung. Sein Gesicht verzerrte sich, als sich die Knochen in den Beinen streckten und verformten. An den kräftigen Händen bildeten sich Krallen. Am ganzen Körper spross schwarzes, drahtiges Haar. Der Brustkorb dehnte sich und machte Platz für die wachsenden Lungen. Das Gesicht wölbte sich vor und formte eine lange Schnauze mit spitzen, wölfischen Zähnen. Es hatte nur wenige Momente gedauert, und schon stand eine Kreatur vor den beiden fassungslosen Menschen, wie sie sie im Wachen noch nie gesehen hatten. Es war eine grausige Mischung aus Mensch und Wolf. Die Verwandlung hatte die Wunde am Bein bewahrt, und so stand das Wesen auf nur einer Hinterpfote und stützte sich mit den handähnlichen Vorderläufen ab. Es sah mit seinen bernsteinfarbenen Augen wehmütig auf die Gefährten. Er war nach wie vor in der Lage zu denken, doch waren seine Empfindungen einfacher. Es gab Gut und Böse, es gab ihn und die beiden, es gab die Nacht und den Mond.
Sie betrat sein Blickfeld. „Catulo?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Der Mensch in ihm schob sich in den Vordergrund und zwang den Wolf zu nicken.
Seine Nase zuckte, er nahm seine Umgebung deutlich wahr. Angst lag in der Luft. Zum Teil waren es die Ausdünste seines eigenen menschlichen Körpers gewesen, zum Teil die der anderen beiden. Der Paladin hatte sein Langschwert gezogen und richtete es auf ihn, und doch machte er noch keine Anstalten tatsächlich anzugreifen. Gut so. Obwohl es kaum einen Unterschied machte, befand die Bestie. Sei still!, befahl der Mann und hörte in seinem Geist das höhnische Lachen des Wolfes. Sollte der Paladin wirklich versuchen ihn zu attackieren, würde er sich wehren. Doch sie stand zwischen den beiden und schaute hektisch von einem zum anderen. Bereit, jeden von ihnen abzuwehren, sollte er den ersten Schritt wagen. Ihr würde er niemals ein Leid zufügen können.
Der Mann riss die Kontrolle an sich und zwang den Wolf zur Rückverwandlung. Diese war nicht minder schmerzhaft und sein eigenes Schreien dröhnte ihm in den Ohren, als er wieder er selbst wurde. Halbnackt lag er auf dem Boden, seine ohnehin zerschnittene Hose hatte die Verwandlung nur in Fetzen überstanden, doch sie bedeckte immerhin seine Männlichkeit. Beinahe blind und taub vor Pein und Erschöpfung griff er nach seiner Decke und hüllte sich in sie. Fremde Hände halfen ihm, seinen Körper zu verdecken. Eine mächtige Gabe hatte Mutter Natur ihm gegeben, und einen mächtigen Fluch gleichzeitig auferlegt. Die Verwandlungen kosteten enorme Energien und diese zwei aufeinander folgenden brachten ihn an den Rand einer Ohnmacht.
Als sich sein Blick klärte, sah er nicht in die Augen der Amazone, sondern hatte die stahlgrauen, unergründlichen des Paladins vor sich.
Der blonde Krieger hockte neben dem geschwächten Waldläufer, der nun wieder menschliche Gestalt hatte, und ordnete die grobe Decke um den ausgemergelten Körper. Weniger, um den Anderen vor Witterung oder Blicken zu schützen, als mehr, um sich selber in Aktion zu halten, die Hände zu beschäftigen. Stoppte er sein Tun, würde er sich mit dem nächsten Schritt befassen müssen.
In seinem Kopf dröhnten die Stimmen seiner Ausbilder.
Wolfsmensch, Werwolf, Gestaltenwandler.
Abschaum.
Widernatürlich.
Gelang es einem Krieger des Ordens der Zakarum eine dieser Kreaturen zu enttarnen, sollte man sie ausschalten. Es war eine heilige Pflicht, die Menschheit vor diesen Monstern zu schützen, die wehrlose Frauen angriffen und schändeten, das reine Blut von Kindern tranken. Und nun lag eines von ihnen wehrlos vor ihm und wartete auf seinen Tod.
Und doch hatten sie beide schlafend die Nacht in der Gegenwart des Druiden verbracht, ihnen war nichts geschehen. Ja, sie hatten sogar gemeinsam gegen andere Kreaturen der Hölle gefochten.
Sie stand einen halben Schritt hinter ihm und er war sich des Dolches in ihrer Hand bewusst. Er hatte bemerkt, wie Jaella den dunklen Mann in den vergangenen Tagen angesehen hatte. Schmerzlich zog sich sein Herz zusammen. Welche Konsequenzen würde sein Handeln dem Druiden gegenüber auf die Freundschaft zu ihr haben? Würde sie ihm verzeihen? Es wäre ein Leichtes, seine Pflicht zu tun. Sie könnte ihn nicht hindern, er würde sie mit Leichtigkeit entwaffnen können, sollte sie eingreifen. Aber würde sie eingreifen? Sie stand starr und still da, geschockt von dem Erlebten. Vielleicht verspürte sie Angst, oder gar Hass. Vielleicht wollte sie seinen Tod. Khalid wagte nicht, sich umzuwenden, um in ihrem Gesicht zu lesen.
Von ganz alleine, hatten seine Hände innegehalten und schwebten zitternd über dem wehrlosen Mann vor ihm im Gras.
Jaella stand fassungslos da. Das schreckliche Bild noch immer vor Augen. Sie hatte sich eingebildet, den Waldläufer zu kennen, ihn beurteilen zu können? Sie wusste rein gar nichts.
Eines begriff sie rasch: Catulo hatte Recht gehabt. Der Paladin würde eine solche Kreatur töten müssen, soviel hatte sie über seinen Orden schon gelernt. Aber der Fremde hatte an ihrer Seite gekämpft, hatte sie sicher hierher gebracht. Oder war das nur ein grausames Katz-und-Maus-Spiel gewesen? Stand Andariel hinter Allem?
Wollte sie in das Geschehen vor ihr eingreifen, musste sie schnell handeln. Warum zögerte Khalid? Warum zögerte sie selber? Wollte sie eingreifen?
„Khalid...“ Ihre Stimme klang dünn und zittrig. Und sie beendete den Satz nicht. Was hatte sie sagen wollen? Khalid, tu es nicht? oder eher Khalid, tu es!
Mit einem Ruck schnellte Khalid hoch und schleuderte den Dolch zu Boden. Aufschreiend wandte er sich um und attackierte mit den bloßen Fäusten eine der steinernen Säulen, die den Hof einrahmten.
Mit blutüberströmten Knöcheln stand er dann wieder vor der Amazone. Sie hatte sich noch immer nicht einen Jota bewegt. Sie hatte Zeit für ihre Entscheidung gewonnen. Aber alles was sie dachte, war, dass sie sich entscheiden musste, und dass die Zeit verrann.
Unausgesprochen hing die Frage zwischen ihnen.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie endlich. „Er hat doch für uns gefochten, oder nicht?“
Sie wandte sich an den Waldläufer, der regungslos auf dem Boden lag und wartete, auf was immer kommen mochte.
„Was habt Ihr letzte Nacht getan?“, wollte sie wissen.
Sein Blick ging durch sie hindurch ins Nichts. Emotionslos antwortete er: „Ich habe die Gestalt gewechselt und gemeinsam mit meinem Wolf die Ebene von Andariels Schergen gesäubert, damit Ihr unbeschadete das Kloster erreicht, wie ich es versprochen hatte. Als Mensch wäre es mir nicht möglich gewesen, doch der Wolf in mir hat ungeheure Kräfte. Dennoch ist er nicht unsterblich.“
Als sie sich wieder umdrehte, hielt seine Stimme sie zurück. „Ich habe einen Wunsch.“ Doch er schaute nicht die Amazone an, sondern den Krieger hinter ihr. „Bitte heilt den Wolf. Er ist nur ein Tier, doch er kämpfte für Euch. Er kennt keine Lügen oder Geheimnisse. Ich bin das Band, das ihn an die Menschen bindet, er wird nach meinem Tod einfach verschwinden und Euch nie wieder behelligen.“
Vielleicht war es diese selbstlose Bitte, die etwas in Khalids Gedanken endlich einrasten ließ.
Er räusperte sich und sagte mit kratziger Stimme, als hätte er sie lange nicht benutzt: „Das Tier hat in der Tat für uns gefochten. Ich werde keinen Gefährten dem Tod überantworten.“
Dann kniete er wieder neben dem Waldläufer nieder und drückte ihm die immer noch blutigen Hände auf das Bein. Der Druide holte zischend Luft, als er zum ersten Mal im Wachen spürte, wie Khalids Sinne nach ihm griffen. Da er selber ein magiebegabtes Wesen war, kannte er solche Begegnungen und so erlitt er nicht den Schock, den Jaella verspürt hatte. Die zerrissenen Muskelfasern fügten sich wieder zusammen und die Wunde schloss sich. Wenige Momente später konnte er sein Bein wieder bewegen, auch wenn es noch steif war und die Nachwirkungen schmerzten.
Ein wenig fassungslos sah er zu dem Paladin auf, der sich wieder hingestellt hatte und dem Waldläufer die Rechte entgegenhielt, um ihm aufzuhelfen.
Langsam erhob er sich und griff nach dem angebotenen Arm. Die Finger der Männer umfassten den Unterarm des jeweils anderen und hielten sich fest, auch nachdem sie sich schon gegenüberstanden.
Tief verschränkten sie die Blicke und schmiedeten ein Band. Noch war es brüchig und filigran, doch es brachte Hoffnung für die Zukunft.
Jaella trat an die beiden Männer heran, und legte ihre beiden Hände auf die ihrer Begleiter, die wiederum ihre freien Hände mit den schmalen Fingern der Amazone verschränkten.
Eine ganze Weile standen sie da, bis sie sich schließlich gemeinsam dem Wolf zuwandten. Catulo kniete sich neben seinen Kopf und hielt ihn an Vorderpfoten und Nackenfell fest. Jaella packte auf Catulos Anweisungen hin die hinteren Tatzen und den Schwarz, um das riesige Tier unter Kontrolle halten zu können, wenn Khalid mit der Heilung begann.
Vorsichtig legte der Paladin seine Hände auf Brustkorb und Flanke. Drohendes Grollen durchzitterte den geschundenen Leib, nur mühsam konnte der Waldläufer seinen vierbeinigen Freund beruhigen.
Khalid ging so behutsam vor, wie er nur konnte. Langsam versenkte er sich in den ungewohnten Körper und suchte die Verwundungen. Am Rande bekam er mit, wie sich das Tier immer stärker wehrte, je gesünder es wurde. Schließlich kniete Catulo auf dem Hals, und hielt mit der freigewordenen Hand und leidvoller, aber unerbittlicher Miene dem Wolf Khalids Dolch an die Kehle, bereit zuzustoßen, sollte das Tier sich losreißen und auf den Paladin stürzen.
Obgleich er noch nicht ganz fertig geworden war, hielt Khalid inne und löste sich behutsam von den Sinnen des Wolfes und seinem Körper, und trat ein paar Schritte zurück. Catulo gab Jaella ein Zeichen, ebenfalls loszulassen und packte selber wieder mit beiden Händen zu.
Behände wich Jaella zu ihrem Freund zurück, bereit, den Wolf wenn nötig aufzuhalten.
Doch nachdem beide losgelassen hatten, beruhigte sich das Tier bald unter dem sanften Zuspruch des Druiden.
Erleichtert sahen sie sich an, dann wandte sich Jaella an den erschöpften Paladin.
„Als nächstes kümmerst du dich um deine eigenen Hände, bevor du noch unser aller Schlafdecken verschmierst, und dann wirst du dich einen Moment hinlegen. Und ich glaube, wir können alle einen Becher Tee und etwas zu essen gebrauchen.“
„Ja, Hoheit!“, grinste Khalid und Catulo, der als einziger die Anspielung verstand, prustete los. Doch er sollte auch noch Jaellas spitze Zunge zu spüren bekommen, als er sich dem Kochgeschirr zuwandte.
„Ich denke, ich übernehme das Kochen lieber. Ich möchte nicht den ganzen Nachmittag verschlafen...!“ Doch die Amazone sagte dies mit einem Lächeln.
Insidias
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