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[Story] Saqqara

:diablo:
oh je wieder wo es spannend ist, bin mal gespannt was die druidin und der barbar für ein Team abgeben
 
wow spannend wie immer bin ja auch mal gespannt wie es weiter geht ! na ja wenn ich erlich bin war ich da schon immer gespannt drauf :fight:
greetz an STYLE
 
XX. Die Welt zu euren Füßen





Im höchsten Turm der Alten Königsburg zu Fadraîs, weit oben über dem Dächergewirr der Stadt und den Feldern des Umlandes, stand der oberste Paladin der bewohnten Welt, Armon Celestin, Princeps und Ordensführer, und blickte aus einem Fenster nach Norden.
Der Morgen war von einer seltenen Klarheit, selbst für das reine Klima des Westens. Atemberaubend weiß ragte das gewaltige Bauwerk, von außen besehen, über der Stadt auf. Die Sonne stand auf dem hellen Stein seiner Mauern und scharf auf jedem Grat der Türme.
Wie viel Licht. Wie viel Klarheit. In den dreißig Jahren – einem halben Menschenalter – seiner hehren Position hier im Herzen der paladinischen Ordensstadt, hatte Armon Celestin nie, erinnerte er sich, einen Morgen mit einem solchen Ausblick erlebt. Bis hin zum Horizont, wo das Auge die dunkleren Farbtöne der beginnenden Hochlandwälder und Bergketten mehr erahnte als sah, war der Himmel strahlend hellblau ohne eine einzige Wolke.
Er öffnete das Fenster, und Wind erfasste sein Haar, strich um sein Gesicht, kühl, aber sonnenwarmen Stein und gepflügte Äcker mit sich tragend. Die Brüstung war nicht hoch, man konnte hier leicht hinausstürzen.
Mit Ende Fünfzig hatte Armon Celestin das höchste Amt der Paladine inne, die weltliche und geistige Führung des größten Glaubenszusammenschlusses der neueren Zeit. Neben Princeps nannten die Schriften einen anderen Titel für das, was er verkörperte: Bewahrer des Lichts. Nach dem Niedergang des letzten Königsreiches hatten die Paladine ihre Ordensstruktur lange derart umgesetzt, dass kein einzelner Mann sich allein an der Spitze einer Zivilisation wiederfinden konnte... lange, aber nicht endgültig.
Zuletzt, beinahe wie von selbst, hatte der Zusammenschluss Abertausender sich doch wieder ein Amt, nein, eine Figur erschaffen, einen Mittler zwischen der diesseitigen Welt und dem Himmel – den Bewahrer des Lichts. Und er besaß mehr Macht, als viele Könige je besessen hatten.
Mit der Macht hatte es eine seltsame Bewandtnis.
In den Weihen und den in Tradition und Schrift festgehaltenen Grundsätzen des Glaubens war nicht die Rede von dem beinahe verklärten Status dieser Position über den Häuptern der Gläubigen, von den zu lenkenden Geschicken eines großen Herrschaftsgebietes und der Schlaflosigkeit und dem Eifer, den das mit sich brachte, von den viel tausendköpfigen Heeren. Bescheiden, bat ein Paladin um Solches nicht. Aber ein Mann gewöhnte sich dennoch an Dinge dieser Art, und dass sie ihm vielleicht zustanden, konnte wohl kein verbotener, sondern durfte ein ermutigender und beruhigender Gedanke sein.
Mit einem zuversichtlichen Blick auf den nördlichen Horizont atmete Armon Celestin tief ein. Die Halbrüstung drückte seine massige Brust dabei, doch er begrüßte ihre starre Umarmung, ein Lächeln auf dem Gesicht, dem der kurze Bart und die schulterlangen, eisengrauen Haare gut standen.
An einem Morgen wie diesem brauchte man nur eine Hand weit genug auszustrecken, schien es, um in den Himmel hineinzureichen. Ich danke dem Licht für meinen Glauben. Und für mein Amt. Blinzelnd sah er in das endlose Blau, ohne Verwunderung, dass etwas wie eine lebendige Präsenz darin spürbar war. Ein Teil seines Bewusstseins erinnerte sich kurz an etwas wie eine Begegnung, doch nur vage, ein Traumgespinst sicherlich, und die Erinnerung löste sich gleich wieder auf.
Dann wandte er sich um.
Als er eben das Fenster geschlossen und einen Schritt in das Turmzimmer hinein getan hatte, geschah es.
Das Licht stieg herab.
Es wurde so blendend hell in dem runden Raum, dass alle Konturen verschwanden. In dem unirdischen Strahlen, einer beherrschenden Mitte entspringend, die trotz ihrer fühlbar gnadenvollen Natur seine Entsetzlichkeit nicht ganz mindern konnte, ging Armon Celestin in die Knie. Ein Singen begleitete das Licht.
Atemlos blinzelte er in das Weiß. Nein, es war mehr als Weiß, oder etwas ganz anderes. Tränen liefen ihm über das Gesicht, aus schmerzenden Augen, die er bereitwillig hingegeben hätte für dieses Schauen. Auf seinen Lippen war ein Gebet entstanden und gleich wieder verdorrt, ohne dass er es bemerkt hatte.
Draußen, unten in der Stadt, mochten zufällig Hinaufsehende denken, die Sonne spiegele sich in den Turmfenstern.
Dann milderte sich das Strahlen. Aus der Ferne stand die Turmspitze wieder unverändert im Blau, und in ihr kniete der oberste Paladin Sanktuarios auf dem steinernen Boden und blickte in das Wunder einer himmlischen Macht, die ihr Licht zu einer gleichmäßigen Aureole besänftigte. Ein Umriss war darin sichtbar geworden, eine Gestalt, bis an die Zimmerdecke ragend und gekleidet in eine Rüstung unvorstellbarer Pracht. Doch das ließ sich nur erahnen, da das Licht für die Augen immer noch fast unerträglich war, und auch ein Gesicht konnte Armon nicht sehen.
Es steht den Menschen auch nicht zu.
Verzückung, mächtiger als alle bisherigen Berührungen der Seele mit dem Licht, drückte dem Bewahrer den Kopf auf die Brust, und er war sich nicht sicher, ob er gerade seine eigenen oder fremde Gedanken vernommen hatte. Seine Sinne flossen ineinander, wurden zu einem einzigen Instrument der Empfänglichkeit.
Die letzte Klarheit war das Vollbewusstsein seiner eigenen Geringheit, bevor ihn die Übermacht der Begegnung beinahe vernichtete.
Agonie, Staunen und Erfüllung wurden eins. Und aus ihnen kam eine Stimme, Worte, die in ihm widerhallten und die zu verstehen er erst erlernen musste.
Armon Celestin, hörte er. Du musst dich nicht fürchten. Das oberste der Kinder des Lichts sollte dem Licht nicht mit Angst begegnen.
Aber wie könnte ich das?, rang es sich aus Armons Brust, wie ein Weinen der Freude. Wie könnte ich keine Angst haben?
Das Strahlen kam unvermindert, aber eine Art beruhigender Empfindung übertrug sich flüchtig daraus.
Du erinnerst dich an eine erste Begegnung. Es war weder Frage noch Feststellung noch Befehl, oder etwas von allem – die Sprache einer Macht jenseits menschlicher Begriffe. Armons Ja wurde erfasst, bevor er es ausgesprochen hatte. Die Paladine sind unsere Jünger. Da du sie führst, ihr Kopf bist, ihr Herz und ihr Wille, haben wir es schließlich gewagt, uns dir als einem deiner Rasse zu nähern.
Er konnte nicht antworten, nur versuchen, das Bewusstsein der Gnade in ein Gefühl zu fassen und es von sich zu werfen. Vielleicht wusste die Stimme in ihrer Allmacht schon davon, vielleicht, da sie ja nicht menschlich war, verstand sie eine im Vergleich zu ihrer Welt so geringe Äußerung nicht. Vielleicht aber war auch er es, der die Milde, die ihm entgegenkam, nicht zu erfassen vermochte, weil er nur war, was er war.
Ernst zog durch das Licht und die Stimme gleichermaßen. Atemlos lauschte er.
Zeit, Paladin, zählt in unseren Sphären nicht viel. In eurer Welt aber ist dies anders. Sieh dich um.
Der Turm schien zu verschwinden. Armon keuchte.
Nicht mehr durch seine eigenen Augen, sondern durch das weltumspannende Sehvermögen einer anderen Existenz sah er, hängend im Nichts zwischen Himmel und Erde, in die Ferne. Er schwebte hoch über dem Land. Alle Himmelsrichtungen standen zugleich in seinem Geist. Die Empfindung der Weite und der Angst zerriss ihm beinahe das Herz, doch bevor die Macht dies zuließ, strich sie über ihn gleich einer beruhigenden Hand, und tiefer Ernst senkte sich in Armon Celestin. Er ahnte, dass es geschah, um ihm seine Verantwortung zu zeigen.
Zeit, Paladin. Die Welt bedarf der Lehre des Lichts, jetzt mehr als je zuvor. Kurzes Schweigen. Siehst du den Osten?
Ich sehe ihn. Die Berichte der dortigen Brüder zogen durch seinen Geist, klar, als habe er sie nicht immer wieder beiseite gelegt wie Generationen von Paladinen vor ihm. Und ohne dass er die Stimme beim Anblick des dunklen Kontinents noch einmal vernahm, wusste er, was sie ihm sagen wollte.
Und siehst du den Süden? Und den Norden?
Den Kopf nicht mehr nur aus Erfurcht gesenkt, bat Armon Celestin um Gnade. Das blendende Licht offenbarte den Stillstand der Verbreitung ihrer Lehre, die Rückschritte im Osten, gab ihm ein, sanft, aber unmissverständlich, dass er gefehlt hatte. Obwohl kein Vorwurf um ihn war, als er wieder den Boden des Turmzimmers unter sich fühlte, erschütterte ihn die Erkenntnis in ihrer Tiefe. Es war noch kein Versagen, vorerst nur eine Verfehlung. Aber er wusste – oder die Macht verhalf ihm zu dieser Vorhersage – dass ihm dieser Fehler klarer und klarer werden sollte, ein Alptraum, der ihn nicht mehr ruhen lassen würde.
Was du im Norden veranlasst hast seit unserer ersten Begegnung, ist sehr zufriedenstellend. Das Haupt des Heimatlandes deiner Rasse, eurer Lehre, darf es im Chaos versinken? Führungslos, weiter wilden Menschen überlassen? Nein.
Nein.
Riesig, strahlend stand die Gestalt im Licht, das jetzt wieder zu verzehrender Helligkeit aufflammte. Selbst durch geschlossene Lider ging sie, und der darin kniende Mensch wurde mit jedem Haar, jeder Falte seiner Kleidung, jeder Regung offenbart. Mehr Worte waren nicht nötig. Zumindest nicht zur Verständigung, nur, in einer unruhigen Zeit, als Siegel auf einem Pakt.
Deine Welt geht einer großen Ära entgegen, Bewahrer des Lichts. Zuvor aber wird sie schwer geprüft werden. Doch ängstige dich nicht. Wieder lag ein Singen in der Luft. Deine Brüder werden nicht allein sein. Du kennst den rechten Weg, und dir, dem Träger der größten Verantwortung, werden wir zur Seite stehen. Lass nicht ab vom Gebet und zögere nicht, zu rufen.
Zweifle niemals.

Im Mantel der Blindheit für den knienden Menschen, den sie umgab, hob sich die Macht wieder. Sie verschwand, diesmal aber einen silbrigen Schimmer zurücklassend, nicht sicht- sondern fühlbar, wie eine sehr starke Erinnerung oder die ausgeschütteten Empfindungen einer Vision.
Langsam, vorsichtig, öffnete Armon Celestin, Princeps und Ordensführer, im höchsten Turm der Alten Königsburg zu Fadraîs die Augen.





Nach einer langen Dämmerung war der Morgen schließlich gekommen.
Graublau und schüchtern hob das Licht die Wälder aus der Dunkelheit, durch die sonst zu dieser Zeit Jäger fröstelnd streiften.
An diesem Tagesbeginn aber fehlten sie, und die Vögel schwiegen. Der Boden war zertrampelt.
Langsam ging Urel zwischen den Bäumen, das Schwert noch halb schlagbereit in der Rechten. Nach dem Gebrüll der letzten Stunden war nun jedoch Ruhe eingekehrt – wenn man das gelähmte, nur von seltenen Rufen unterbrochene Schweigen im Wald so nennen konnte. Im Dämmerlicht lagen Hügel im Laub. Erschlagene Menschen, Männer und Frauen, Barbaren und Druiden.
Der junge Barbar sicherte ein letztes Mal die unmittelbare Umgebung, dann steckte er das Schwert weg. Dabei erst merkte er, dass seine Hand zitterte. Er hatte nie über die Zahl der Kreaturen nachgedacht, die unter seinem Schwert gefallen waren, Feinde seiner Welt. Ihre toten Körper waren der Berg gewesen, den er hatte erklimmen müssen bis zu dem Krieger, der er jetzt war. Aber viele Menschen hatten sich nicht darunter befunden.
Bis jetzt.
Schmerz lenkte seine Gedanken ab. Der Lederschutz des Armstumpfes hing beinahe in Fetzen. Schwer verwundet war er nicht, aber er konnte so nicht weitermachen. Er musste seinen Schutz verändern, womöglich auch seine Waffenwahl. Ein Körperteil war kein Schild, und mit dem einen Kurzschwert konnte er sich Gegner nicht weit genug vom Leibe halten.
Nachdenklich, erkaltenden Schweiß auf der Haut, ging er in Richtung des Dorfes weiter.
Sie hatten es halten können – unter schweren Verlusten. Die zurückgekehrten Barbaren waren vertrieben. Vorerst.
Niemand wusste, ob und wann sie einen neuen Angriff planten, geschweige denn, wer vielleicht hinter ihnen stand. Es konnte durchaus sein, dass sie erstarkt wiederkehrten, um ihre Rache diesmal zu bekommen.
Die Weite der Wälder, das unüberschaubare Land mit den verstreuten Menschengruppen, machten Vieles unvorhersehbar.
Urel senkte im Gehen den Kopf und knurrte. Das Nachdenken fiel ihm nicht leicht. Die vergangenen Stunden hingen auch, spürte er, schwer an ihm und fraßen an seiner eisernen Konstitution. Sein Körper streckte sich mit derselben unerschütterlichen Widerstandskraft aus dem Blut und den Strapazen wie stets. Sein Inneres hingegen, kam ihm der Verdacht, begann Schaden zu nehmen.
Flüchtig dachte er an die alten Gefährten. Vor einer Ewigkeit, unter ihnen, hatte es Menschen gegeben, denen Solches nicht so neu war wie ihm. Die sich mit dieser Art von Verwundung auskannten.
Als Urel bedachte, wie weit fort sie waren, packte ihn kurz und grausam die Einsamkeit.
In diesem Moment zog eine Gruppe von Menschen seine Aufmerksamkeit auf sich.
Zwischen ihm und den ersten Hütten standen drei Druiden bei einem vierten, einer alten Frau, die an einen Baum gelehnt dasaß. Unter den Stehenden erkannte Urel die Druidin aus dem Verschlag. Sie winkte ihn heran.
Durchdringende Blicke begegneten ihm in spannungsgeladener Luft, doch diesmal waren sie alle verwundet vom selben Feind, und die männlichen Druiden ließen ihn herantreten. Blut hatte ihre derbe Kleidung dunkel verfärbt und ihre langen Haare verklebt.
„Ist sie... schwer verwundet?“ Urel richtete die Augen auf die alte Frau. Schlaff und mit grauem Gesicht saß sie da, den zahnlosen Mund geöffnet, und stierte abwesend in das nahe Laub. Ihr Atem ging indes nicht allzu schwer, und er konnte keine ernste Wunde entdecken.
Ihre Frauen und ihre Alten kämpfen mit, immer, nicht erst in allerletzter Verteidigung. Das ist kaum zu begreifen.
„Nein.“ Die Druidin sah ihn an. Sie mochte tatsächlich kaum älter sein als er selbst. „Sie lauscht auf die Worte des Bodens.“ Ihr Blick flackerte. Urel konnte nur ahnen, wie viel Dorfbewohner ihr Leben gelassen hatten – die tatsächlichen Ausmaße des Kampfes würden erst später ans Tageslicht kommen. „Aber das ist nicht, worüber wir mit dir und... euren Kriegern reden wollen.“
Sie nahm ihn beiseite. Einer der Männer folgte, der andere kniete neben der Alten nieder und langte nach einer ihrer welken Hände.
„Es mag sein“, sprach die Druidin nach einem suchenden Blick in den Wald, „dass wir etwas herausgefunden haben... etwas über Beweggründe für den Kriegseifer der Stämme, die nun auch eure Gegner sind.“ Ihre Stimme schwankte. Selbst den Entschlossensten konnte mittlerweile um den Frieden der Heimat Angst werden. „Der Kampf ist vorbei. Wir fürchten aber, dass er nur ein erster Stein war, und dass ihm ein Erdrutsch folgen wird.“
„Was meinst du?“ Aufhorchend, vergaß er kurz seine Beklemmung.
„Komm.“ Mit einer Hand wies sie in den Wald. „Ich zeige es dir.“
Durch weit auseinanderstehende Buchen folgte er ihr und dem schweigsamen männlichen Druiden tiefer in den Waldbereich südlich des Dorfes.
Er war hier gewesen, kämpfend. Von hier waren die meisten der zurückkehrenden Barbaren gekommen. Der Wald glich an dieser Stelle einem Schlachtfeld. Verstreut lagen Tote herum. Männer führten Verwundete fort, ächzende, elende Gruppen verschmolzener Körper im Dämmerlicht. An einigen Baumstämmen war Blut verspritzt. Ich habe schon Vieles gesehen, aber das ist schrecklicher als das Meiste davon.
Sie hielten auf eine Gruppe von Männern zu.
„Wir haben einen der Ihren gefangen und befragt“, sagte die Druidin, das Gesicht zu Urel gewandt. „Du und deine Leute sollten auch erfahren, was wir hörten.“
Sie waren inzwischen näher an der Gruppe. Urel runzelte die Stirn, und das Laub raschelte ihm laut in den Ohren.
Einer der Männer dort vorn lag, der Gefangene wohl. Das war noch nicht ungewöhnlich, doch... In dem Augenblick, als er das Falsche, das Erschreckende an der Szenerie vor ihnen ausmachen konnte, musste auch seine Führerin es bemerkt haben.
Mit einem Schrei sprang sie vorwärts.
Urel hörte sie Namen schreien, aber viel deutlicher vernahm er den Klang ihres Schreis. Es war ungläubiges, pures Entsetzen.
„Bei der Erde, was macht ihr?!“ Vor ihrer Gestalt, die wie ein kleiner Berserker zwischen die düster Dastehenden fuhr, wich alles zurück.
Am Boden lag ein Barbar, ein gewaltiger, kahlgeschorener Mann. Er lag auf dem Rücken, die Glieder ausgestreckt, in der Art, in welcher Druiden ihre gefährlicheren Gefangenen fesselten. Die Holzpflöcke aber, grob zurechtgehauene Äste, hielten hier nicht Stricke, die Gelenke und Torso des Liegenden an den Boden banden. Jemand hatte sie durch die Unterarme und Schenkel des Mannes mit fürchterlicher Wucht in den Boden gerammt. Er lebte nicht mehr. Sein Brustkorb klaffte offen, und über dem blutigen Krater, den Axthiebe aufgerissen haben mussten, starrten seine Augen nach oben in das Blätterdach, als habe er dort Dämonen gesehen.
Verflucht, nahm ein Gedanke Gestalt in der Stille seines Schauens an, und Urel fühlte die Angst wiederkehren als schwarze, eisige Woge. Dieser Ort ist jetzt verflucht. Sinnlos tastete er nach seiner Waffe.
Er konnte nichts tun, nur dem zusehen, was vor seinen Augen ablief.
Die Druiden ließen sich stoßen, anschreien, hoben nicht eine Hand gegen die kleinere Frau in ihrer Mitte. Sie wirkten mürrisch, versteinert zwischen dem Gewicht ihres Hasses und dem Respekt vor ihrer Vertrauten. Einem hing eine blutige, schwärzliche Axt offen von der Hand. Sie verbargen es gar nicht.
Und wenngleich der junge Barbar ahnte, dass diese Männer in keinem Wahnsinn der Welt der jungen Druidin ein Haar krümmen würden, erblickte er in ihren schattigen, hageren Gesichtern etwas Ungutes. Es blitzte nur schwach hervor – eine Kreatur, die sich selbst noch neu ist, die sich nicht getraut.
Es war nicht die druidische Verwandtschaft mit dem Tierreich, die Urel sah. Es war etwas Dunkleres, Böseres.
Missgelaunt zog es sich zurück vor den Dazugekommenen, vor der Druidin, die im Herumirren der Fassungslosigkeit die vermutlich lebenslang Gekannten flehentlich anstarrte, suchend, dann wieder blass vor Zorn. Die Verständigung fand nur mit den Augen statt. Sie aber murmelte lautlos etwas, ein Gebet vielleicht, an die Erde, an die Tiergeister ihres Volkes, an den Himmel und den Wald, den es so sehr liebte.
Reglos sah Urel ihr Gesicht.
Der Verlust eines uralten, sicher geglaubten Friedens ließ es in einer Trauer in sich zusammenfallen, die schwer anzuschauen war.
Plötzlich schien sie Wut zu packen. Niemand hatte ihr geantwortet, die Szenerie war stumm geblieben in ihrer Entsetzlichkeit, und sie war es leid, ahnte Urel.
Die Keule fallenlassend, holte sie weit aus. „Verschwindet!“ Mit beiden Händen stieß sie die Männer fort. „Verschwindet!“ Ihre Stimme brach. Widerstrebend zogen sie sich zurück.
Dann waren sie allein bei dem Toten: sie, Urel und der schweigsame Druide vom Anfang.
Einzig das Bewusstsein ihrer Verantwortung mochte bewirken, dass die junge Frau in allem Entsetzen stehen blieb, fest auf beiden Beinen, und sich mit zitternden Händen das Haar aus dem Gesicht strich. Ihre Augen zuckten hoch und trafen die bekümmert und ernst drein sehenden ihres ehemaligen Bewachers.
Beide stehen wir jetzt entblößt da.
„Meine Leute“, sagte sie bebend „meine Leute... Wie konnten sie das bloß tun?“ Es schien, als frage sie niemand Bestimmten, eher die gesamte Menschheit. „Er hatte uns schon alles gesagt. Sie sollten ihn nur bewachen.“ Ihre Rechte tanzte über den geschändeten Körper, und jetzt flüsterte sie nur noch. „Sie haben ihn gefoltert. Sie haben sich selbst damit entweiht... alles entweiht...“
Grausamkeit ohne Not, klang die fast vergessene Stimme eines Toten in Urels Kopf, ist unter uns Druiden das schlimmste Vergehen wider das Leben. Kein Geschöpf, nichts, was so klein ist wie wir, darf Grausamkeit zulassen.
„Es gab etwas, das ihr uns dringend sagen wolltet“, richtete er das Wort in behutsamem Ton an die Druiden. Die Anführerin atmete mit Mühe ein. „Hat das noch Bestand?“
„Ja.“ Sie fing sich sichtlich, und wenn es nur war, um weitergehen zu können durch diesen unheilvollen Tag. „Ja. Und lass uns die Menschen im Dorf und deine Brüder suchen. Jetzt müssen es erst recht alle hören, damit jeder für sich entscheiden kann, was er tun will.
Kommt!“
Die Druidin setzte sich in Bewegung, und eilig folgten die zwei Männer ihr. Noch als er außer Sichtweite war, spürte Urel das Grauen des Ortes im Nacken. Ihrer aller Eile war auch eine Flucht weg von hier, nach vorne, wo vielleicht im Handeln Hoffnung lag.
Er sah neben sich. Die junge Frau reichte ihm, obwohl sie nicht klein war, knapp bis an die Brust.
„Mein Name ist Urel“, sprach er sie zögernd an. „In der Hütte fiel er vielleicht schon.“ Sie sah mit einem undeutbaren Ausdruck zu ihm auf. „Wir haben“, fuhr er leiser, zutiefst unsicher, fort „schon gemeinsam gekämpft. Aber deinen Namen weiß ich nicht.“
Mit ihren Namen waren die Kinder Fiacla-Géars freigiebig, wusste er.
„Marej“, antwortete die Druidin. „Mein Name ist Marej, und das dort ist Basarthi.“
Der Wald begann sich zu lichten, als sie sich dem Dorf näherten.
Marej.





Unter dem großen Baum am Rande des Dorfplatzes versammelten sich im vollen Licht des Tages alle Menschen, die den Überfall der zurückgekehrten Barbaren überlebt hatten.
Urel lehnte an einem Haus nahe der ausladenden Esche und sah zu, wie Marej die Näherkommenden ermutigte. Es war eine seltsame Menschenversammlung, die hier stattfand. Druiden und Barbaren standen nebeneinander. Viele Gesichter waren finster, und sie hielten Abstand, aber die frischen Wunden, die sich in einem gemeinsamen Kampf den nur Stunden älteren hinzugesellt hatten, zwangen ihnen Nachdenklichkeit auf.
Dennoch lag Misstrauen schwer in der Luft. Nur die Ahnung einer möglichen größeren Bedrohung verhinderte, dass Angehörige eines uralten Zwistes, wahrhaftig wie er wieder war durch das Erlebte der Nachtstunden, aufeinander losgingen.
Der junge Barbar sah Bostac und dahinter, leicht hinkend und auf sein Schwert gestützt, Malic auf sich zukommen. Sie hatten rings um das Dorf alle Barbaren zusammengesucht, und an ihren erschöpften, aber entschlossenen Mienen sah er, dass sie wie er begierig auf die Verkündigung der Neuigkeiten warteten.
Marej hob die Arme.
„Hört her, bitte ich euch“, begann sie schlicht. Das Tageslicht offenbarte die Schicht aus Dreck und Schweiß, die ihre Haut wie die aller Anwesenden verdunkelte. „Schlimme Stunden liegen hinter uns. Es herrscht nun Waffenstillstand zwischen unserem Dorf und dem Clan der Barbaren, der erst zu unseren Angreifern gehörte, uns dann aber zur Seite gestanden hat.“
Gemurmel ging wie Wind durch die Reihen. Rasch und eindringlich sprach die Druidin weiter.
„Zurücksehen und trauern werden wir später, aber jetzt muss sich unser Blick nach vorn richten. Denn wir haben etwas erfahren, das nicht für unsere Ohren gedacht war.“ Sie sah in die Runde. „Egal, ob Druide oder Barbar bestimmter Clans.“
Stimmen kamen aus der Menge, die der Unruhe oder den Zweifeln der Zuhörenden Luft machten. Die Blutrache war zu frisch, und hauptsächlich den Dörflern, dachte Urel, musste selbst in möglichen größeren Zusammenhängen alles immer noch vorkommen wie eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. „Hört erst, was es ist“, rief Marej hastig.
Die Zwischenrufe verstummten.
„Einer der Barbaren der Clans, die zurückkamen, sprach, als wir ihn dazu zwangen.“ Kurz wackelte ihre Stimme. „Obwohl er besiegt war, war Häme und etwas wie Genugtuung um ihn. So reden nur die, die glauben, Teil eines bedeutenden Plans zu sein, der durch ihren Verlust nicht in Gefahr geraten kann.
Was er sagte, betrifft auch euch, Barbaren.“ Die Frau sah zu den hünenhaften Kriegern, die zwischen ihren Leuten aufragten. „Wenn die Worte des Besiegten wahr sind, ist es nicht Rache oder Gier nach etwas mehr Jagdgebiet, was seine Leute treibt.
Jemand hat diesen Stämmen die Herrschaft über das Hochland versprochen.“
Die Menschen auf dem Platz hielten den Atem an.
„Ich weiß, was ihr denkt. Das Hochland gehört niemandem. Es hat nie jemandem gehört. Wir leben hier.“ Marejs Stimme schwankte. „Unsere Völker sind sich fremd geworden, sogar zu Feinden.“ Aller Augen hingen an ihr. „Aber mir ist noch von keinem Druiden und keinem Barbaren, und sei es aus dem Munde eines Menschen, der das andere Volk so sehr hasste wie nichts anderes, zu Ohren gekommen, er strebe die Herrschaft über andere Stämme an.“
Urel vernahm gebannt das zustimmende Murren der Anwesenden.
„Die Barbaren dieser Clans aber, die wir zurückgedrängt haben“, fuhr Marej fort „müssen es in Betracht ziehen. Den Gedanken jedoch hat ihnen jemand Fremdes eingegeben.“
„Wer?“ Eine Stimme aus der Menge schrie es jetzt heraus. Erschüttert und ungläubig, wie ihr Tonfall verriet, schlossen sich andere an. Sie zweifelten, aber gleichzeitig erwachten in ihnen Erinnerungen an Machtbereiche außerhalb der Grenzen ihrer Wälder, an vergangene Kriege und Bewegungen großer Menschenmassen.
„Fadraîs.“
Ein Name nur.
Urel sah, dass er sich mit der Kreiswirkung einer Schockwelle unter den Dastehenden ausbreitete. Die Menschen blickten einander an.
„Die Alte Königsstadt?“ fasste ein betagter Druide in Worte, was sie nicht ganz glauben mochten. „Wie sollten die Westmarschener hiermit zu tun haben?“
„Wie und warum, kann wohl niemand von uns sagen“, entgegnete Marej. Sie sah sich nach Urel und den neben ihm stehenden Männern um. Urel vermochte nicht zu verbergen, wie unvorbereitet diese Information ihn traf, und auch Bostac und Malic runzelten knurrend die Stirn. Was sie sah, schien die Druidin zu beruhigen. Ein Anflug von Verständnis zuckte kurz über ihre Züge.
„Wir sehen alle“, sprach sie weiter „wie diese Neuigkeit die Barbaren trifft. Dies mag uns trotz des Geschehenen von den Absichten dieser Männer überzeugen.“
„Sie wagt sich weit vor“, raunte Bostac. „Warum riskiert sie den Zorn ihrer Leute?“
„Weil sie weiteres Leid vom Dorf abwenden will“, hörte Urel sich sagen. „Vielleicht fürchtet sie die Dritten mehr und ist damit im Recht.“ Er konnte nicht anders, als die Augen auf der Druidin ruhen zu lassen.
Der Name der Königsstadt wurde unterdessen in der Menge herumgereicht. Jeder musste ihn, schien es, einmal in den Mund nehmen, um sich mit der neuen Ahnung vertraut zu machen.
„Wir wissen nur, dass Fadraîs bereits vor Wochen die Stämme weiter südlich aufgesucht hat.“ Marej sprach lauter. „Was die Westmarsch von den Barbaren will mit diesem seltsamen Versprechen, wer kann das sagen? Es sind fremde, hohe Herren dort unten. Aber dass sie bei Einigen Erfolg hatten, das sahen wir nun. Der Besiegte verbarg es gar nicht vor uns.“
„Wenn das alles wahr ist...“ Bostac trat nach vorne und neben die Druidin „dann bewahrheitet sich der Schatten, den Viele von uns gefühlt haben. Dann gibt es neben unseren Irrtümern noch eine Macht, die sich hinter den Unruhen verbirgt.“ Unsere Irrtümer. Innerlich dankte Urel dem blonden Barbaren. Du hast es zugegeben, und das ist nichts, was einem Barbaren sehr leicht fällt. „Nun ist die Frage, was erwartet unsere Heimat? Was sollen wir tun?“
In die Stille hinein, in der die Menschen einander mit unverhofftem, jetzt ruhigerem Ernst musterten, bellte entkräftet ein Hund.
Fernab der großen Städte der Welt, unbeobachtet, geschah es in den bleichen Morgenstunden, dass zwei entfremdete Völker sich ohne Pakt oder geleistete Wiedergutmachung vor einer fernen Bedrohung so schnell zusammenschlossen, so unmittelbar aus Kampf und Benommenheit heraus, wie es das Zeitalter lange nicht gesehen hatte.





Urel saß unter der Esche, die Beine von sich gestreckt, den wunden Armstumpf im Schoß. Träge beobachtete er den Dorfplatz. Die Sonne schien, und die Luft war frisch, aber nicht kalt.
Menschen gingen herum und beseitigten Spuren der nächtlichen Kämpfe, saßen vereinzelt vor den Hütten, Häute bearbeitend, Getreide mahlend, die Kinder umsorgend. Sie waren bemüht um geregeltes Tagewerk, und dass abseits der Hütten die Toten in die Wälder getragen worden waren, sah man hier nicht. Vereinzelt ruhten Barbaren bei den Hütten, doch die meisten lagerten verstreut am Dorfrand. Noch immer waren sie vorsichtig. Auch druidische Späher hielten sich unsichtbar rund um das Dorf verborgen.
Müde, sacht beruhigt, weil er die unmittelbaren Feindseligkeiten zwischen dem Kupferclan und den Dörflern abgewendet sah, hatte Urel wenige Stunden geschlafen. Die Mittagssonne im Geäst der Esche hatte ihn bald geweckt und eine Schale Gerstenbrei neben sich vorfinden lassen.
Wenn sie auch nur ungern mit ihren ehemaligen Gegnern sprachen, teilten die Druiden nun ohne Zögern, was sie besaßen.
Es ist eine gute Region zum Leben. Der junge Barbar legte alle Kraft in den Versuch, diesen Augenblick halber Ruhe auszukosten. Er würde nicht mehr lange anhalten.
Von den Kupferclanmännern wollte etwa die Hälfte in ihre Dörfer zurückkehren. Die undurchsichtigen Ereignisse im Süden versetzten sie in Sorge um die von Kämpfern teils ganz entblößten Siedlungen, ihre Familien, das nach allen Seiten offene Land.
Andere wollten zu weiteren Stämmen aufbrechen, um deren Gesinnung zu erfahren. Sie würden mit den hier lebenden Druiden in lockerer Verbindung bleiben. „Wir brauchen Männer, die einander Nachrichten zutragen“, hatte Bostac gesagt, einen Kreis von Druiden und Barbaren um sich. „Noch nie musste das Hochland bewacht werden, doch jetzt ist es notwendig, und geben die Ahnen, dass wir nicht zu spät sind.“
Einige schließlich wollten weiter. Nach Süden.
Bostac und Malic würden einen Verband führen, der sich langsam und vorsichtig Richtung Westmarsch bewegen sollte, Augen und Ohren aufgesperrt. Urel, den vielleicht am wenigsten an die Wälder und grünen Hänge band, hatte sich ohne Nachdenken bereit erklärt, mitzugehen.
Es ist für mich vorbei mit dem Frieden. Er sah es ein. Er war in Unrast gekommen und würde in Unrast weiterziehen. Sein ganzes Wesen strebte dem entgegen, freudlos, aber so machtvoll, dass die verbliebenen Bande an das Hochland losgehackt wurden, Schlag um Schlag.
Warum er noch hier saß, wusste er nicht recht. Zur Stunde des höchsten Sonnenstandes würde der Verband aufbrechen, und es hieß, dass Druiden ihn begleiten wollten. Auch sie hatten Fragen an das heraufdämmernde Schicksal, die ihnen hier nicht abgenommen wurden.
Urel stand auf.
Kundschafter waren bereits unterwegs, um die Lande weiter südlich zu durchforsten und den nachkommenden Verband notfalls zu warnen.
Zweifelnd fuhr er mit der Rechten über den erneuerten Schutz des Armstumpfes. Den verstümmelten Arm zu berühren, widerte ihn an, doch nicht mehr so sehr wie in den vergangenen Monaten. Ich muss das Beste daraus machen. Vielleicht fand sich unterwegs eine Siedlung mit einem Schmied.
Am Südrand des Dorfes traf er auf eine etwa dreißigköpfige Gruppe von Barbaren. Druiden warteten bei den Hütten, aber es schienen keine darunter zu sein, die sie begleiten wollten. Eher wirkten sie wie eine Geleitwache.
Ferner sprach Bostac mit einigen Männern. Malic kam auf Urel zu und begrüßte ihn mit dem heiteren Gesichtsausdruck, der bei ihm das Lächeln ersetzte.
„Wo sind die Dörfler, die uns begleiten wollen?“ fragte Urel den Älteren.
„Dort kommen sie.“
Malics Blick folgend, sah Urel sich um.
Hinter ihm nahten drei Druiden. Einer war ihm fremd, aber in den beiden anderen erkannte er zu seiner Verwunderung den schweigsamen Mann vom Morgen und – klein zwischen den herumstehenden Hünen – Marej.
Fest schritt die junge Frau aus, in lederne Hosen, eine Weste und eine Art Mantel aus Fell gekleidet. Ihr Gesicht zeigte ebensoviel Entschlossenheit wie Ungewissheit. Ihre Keule hatte sie sich auf den Rücken gebunden. Mit Bostac wechselte sie einen Blick, sonst aber mit niemandem.
Auch ihn, Urel, der sie mit zuerst blankem, dann nachdenklichem Erstaunen ansah, schaute sie nicht an. Sie war an ihm vorbei und die Gruppe in Bewegung, ehe er zur Besinnung kam.
Es war ein eigenartiger, rascher Fortgang ohne sichtbare heftige Bewegung auf Seiten der Druiden. Urel vermutete, dass fern der barbarischen Augen Abschied in vertraulicherer Weise stattgefunden hatte.
Der Wald nahm sie auf.
Im Gehen zerstreute sich der Verband, zog sich auseinander. Die Barbaren schritten verteilt, nach ihrer Art jeder für sich, und die männlichen Druiden setzten sich an den Rand der Gruppe ab, fast geräuschlos eins werdend mit dem Wald. Marej ging zwischen den Barbaren, doch weit hinten, wo nur wenige liefen.
Rasch hatte Urel sie eingeholt.
Neugier und ein ehrliches, ernstes Interesse, dessen Wärme er noch bloßem Mitgefühl zuschrieb, stachen seine Scheu aus.
Von der Seite, bevor sie sich zum ihm hinaufwandten, sah er kurz einen Ausdruck bitteren Schmerzes auf ihren Zügen.
„Du verlässt dein Dorf und deine Leute?“ fragte er. „Gerade jetzt, brauchen sie dich da nicht am Dringendsten?“
Als sie ihn ansah, fiel Licht aus dem Blätterdach auf ihr Gesicht und enthüllte die Farbe ihrer Augen. Sie waren grün.
„Sie können ohne mich handeln, wie sie wollen und müssen“, antwortete sie. „Ich habe die Mitte der Gemeinschaft an jemand Anderen weitergegeben, für die Zeit, da ich fort bin. Ich habe meine Seele befragt, und was ich tun muss, ist, herauszufinden, was im Rest der Welt vor sich geht.“ Ein schwer deutbarer Ausdruck veränderte ihr Gesicht. Ernst war darin und Angst, tief innen, aber über allem blitzte etwas wie Schalk, ein ganz unerwarteter Anblick. „Du bist gut mit dem Schwert, Barbar“, setzte sie hinzu. „Du wirst dich doch nicht fürchten, wenn ich dich mit meiner Keule unterstütze?“
Urel fühlte, dass er ein wenig intelligentes Gesicht machte.
Das verwundete Dorf, das hinter ihnen zurückfiel, die beängstigenden Ahnungen und Vorfälle in den äußeren Umständen wie in den Seelen, die Schwere der Verantwortung und der Abschied auf ihren Schultern – wie konnte sie da scherzen? Doch ohne es verhindern zu können, lächelte er schon.
„Das werden wir sehen“, gab er zurück.
Übergangslos wurden sie beide wieder ernst, als suche derselbe unstete Fluss von Stimmungen sie heim.
„Wir werden euch keine Last sein“, sagte die Druidin. „Und wir sind... dankbar.“
„Dankbar?“
„Eure Zahl ist ein Schutz. Ihr seid gute Kämpfer.“ Ihre Augen verdunkelten sich. „Vielleicht kehren wir alle nicht lebendig zurück. Aber allein, als die Wenigen, die wir sind, könnten wir wohl kaum hoffen, etwas von dem zu sehen, was kommt.“
Urel ließ sein Schweigen Zustimmung genug sein.
Jeder von ihnen verfiel in tiefes Nachdenken oder sandte seine Gedanken vielleicht weit voraus in die vor ihnen liegenden Lande und in die gesichtslose Drohung der Zeit, und sie sprachen lange nicht mehr.
Zügig vorangehend, sehr leise, passierte der Zug von Kriegern die unermesslichen Wälder und verschwand in ihrem ruhelosen Frühlingsgrün.





Im Herzen der Marsch kamen die Männer zusammen.
Sie kamen, herbeigerufen zur Alten Königsstadt, angewiesen, ihre kleineren Städte oder Lehen zu verlassen. Trotz der Ruhe im Land einen Krieg befürchtend, fanden die in Fadraîs eintreffenden Lichtkrieger bald heraus, dass ein solcher nicht drohe, sie aber Teil einer seit Jahrhunderten nicht mehr in dieser Größe gesehenen Mobilmachung waren. Sie ging langsam, nahezu gemächlich vor sich, doch offenbar mit einer Tragweite, dass alle Teilnehmenden ihren Vertrauten zu Recht mitteilen konnten, der paladinische Orden des Lichts bereite sich auf ein bedeutendes Ereignis vor. Den Pathetischeren erschien es wie eine Erhebung des Landes.
Die der mangelnden direkten Bedrohung wegen eher unklaren Hintergründe, denen die Paladine gemäß ihrer Prinzipien in einer so frühen Phase der Zusammenrufung nicht weiter nachspürten, beunruhigten sie nicht. Man würde sie versammeln, Gruppe um Gruppe, und ihnen Sinn und Zweck nennen. Der Tonfall in der Alten Königsstadt, dem sie begegneten, war bar jeder Unsicherheit. So fanden sie sich ein und sahen sich um und beteten.
Es wurde viel und inbrünstig gebetet. Ob in einem Gefühl spürbarerer Gegenwart des Lichts oder aus einer Verunsicherung heraus, die seit Monaten nicht mehr nachlassen wollte, wussten selbst die am ehesten mit gesunder Skepsis und Nüchternheit ausgestatteten Männer nicht. Nur, dass es seit der Mitte des vorigen Jahres so ging.
Das Vertrauen in den Orden aber überwog. So baten sie den Himmel um rechte Führung und schritten hohen Herzens durch die gepflasterten Straßen der schönen Stadt.
Schließlich kamen die Marschbefehle. Die Männer standen in den Kasernen zusammen.
Sie hörten, dass es nicht in den Osten ging. Dies hatten die Meisten angenommen. Dem großen, dunklen Kontinent, dem fremden und chaotischen Land auf der anderen Seite des großen Meeres, würde sich der Orden zuwenden, wenn das Näherliegende getan war, hieß es. Das Licht zu allen Menschen zu bringen, erforderte zunächst Einigkeit in den Gegenden rings um das Herz seiner alten und hehren Kultur. Jeder Gläubige musste dies einsehen, befragte er nicht nur sein Herz, sondern auch seinen Verstand.
In den Ansprachen an die Marschverbände wurden weniger konkrete Pläne enthüllt als Bilder vor ihren Augen aufgetan. Sie ahnten, dass sie Zeugen einer neuen Zeit ihrer Klasse würden und an einem nie da gewesenen Versuch teilhatten, der kühn die Trägheit der vergangenen Generationen abschüttelte.
Vielen war es, als ob eben diese Trägheit sich jetzt als Verursacher ihrer Unsicherheit herausstellte.
In den südlicheren Gebieten, wo die Marsch austrocknete, war auch der Glaube ausgetrocknet. Darunter lag die Wüste in unermesslicher Hitze und Seltsamkeit, ein Land, das immer noch Magie und unsinnige Götzendienerei duldete. Der Osten, in dem die Niederlassungen ihrer Brüder dahinvegetierten, ohne nennenswerte Erfolge in den langen, mühseligen Jahren, würde danach kommen.
Nun ging es zunächst nach Norden. Dort war für eine Ausweitung der Missionen bereits Vieles vorbereitet, hieß es, aber die Lage schien unsicher und harrte ihrer Unterstützung.
Langsam sammelten sich die ersten Verbände vor den Nordtoren der Stadt und zogen ab. Sie waren nicht groß, bei weitem nicht alle Männer der Marschen hatte man gerufen.
Gesetzt und im Licht der schon warmen Sonne überquerten sie die Ebene. Hinter ihnen kamen gemächlich die nächsten. Es bestand kein Grund zur Eile, denn sie marschierten ja nicht in den Krieg, sondern trugen mit ihren Standarten den Weg des Lichts und der Erlösung in die Lande. Krieg führen würden sie nur, wenn er ihnen von Norden entgegenkam.
 
oh weh - mehr Aufregung verkraftet mein armes Herz nicht.
Was tust Du mir nur an, Reeba...:D

Danke für eine weitere wunderschöne Episode Deiner Story!


:hy: Insidias
 
ich liebe diese story
was arbeitest du das du so gut schreiben kannst
is echt hart
mach weiter so
 
@MetalDragoon: bin gerade dabei, mein Studium abzuschließen.

Und weiter geht's. Hiermit endet der erste Teil von Saqqara. ;)






XXI. Nach Süden




Der Wald um sie war niedrig und licht, sein Boden mit dünnem Gras und Farnen bewachsen, die aus der Entfernung grünlichem Schaum ähnelten, und es gab kaum dichtes Unterholz.
Trotzdem konnte er die zwei Druiden nirgends sehen.
Die wartenden, unterdrückt atmenden Krieger neben sich und ringsum reglos zwischen den Bäumen, ließ Urel den Blick ein weiteres Mal suchend durch den Wald wandern. Seine Augen waren gut. Und er wusste, dass sie da waren. Aber nicht einmal ein wippender Zweig verriet die Männer.
Er würde sich nie daran gewöhnen.
Brummend ließ er von seinem Versuch ab und warf einen Seitenblick auf die Männer in seiner Nähe. Nur ihre gestrafften, derben Mienen und funkelnden Augen verrieten, dass sie das Warten schlecht ertrugen.
Da raschelte es hinter ihnen, und einer der Druiden tauchte auf, ohne dass die Sinne sein Nahen bemerkt hatten, ganz so, als habe der Wald ihn aus seinen rätselhaften Tiefen hervorgepresst. Nur der Schweiß auf seinem Gesicht zeigte, dass Anstrengung und nicht etwa Magie hinter seiner Lautlosigkeit steckte.
„Sind es Barbaren vom Rotwaldclan?“ fragte Urel ihn flüsternd.
Der Druide nickte. „Ich erkannte mehrere wieder. Es sind etwa zwanzig. Mehr konnte ich im Umkreis nicht entdecken.“
Die Barbaren rückten zusammen. Bostac und Malic näherten sich von weiter weg, und der Druide wiederholte ihnen seine Worte. Urel sah Marej und eine Handvoll Männer in einem Gehölz etwas weiter vorn. Mit ihnen würde man sich durch Handzeichen verständigen.
„Damit mussten wir rechnen“, raunte Bostac den Umstehenden zu. „Umgehen können wir sie nicht, und sie sind eine Gefahr für das Dorf. Wir müssen einen Kampf wagen.“
Ringsum nickten die Männer zustimmend.
„Keine unnötigen Verfolgungen“, mahnte der langhaarige Barbar abschließend. „Kämpft ohne Rücksicht, doch denkt daran, dass wir zu Wenige sind, um Entkommenden nachzustellen. Auch ist es nicht unsere Aufgabe.“
Als Antwort zogen die Barbaren ihre Waffen.
Der Druide hob die Hand, ein Zeichen des Vertrauens, dann war er wieder verschwunden, sacht wie eine Eichkatze.
Geschlossen begannen sie vorzurücken, ein merkwürdiger Anblick in der Helle und Arglosigkeit des Frühlingswaldes. Rechter Hand schloss die kleine Gruppe auf, unter der sich Marej befand. Urel konnte sie nicht sehen, und es blieb keine Zeit, sich Sorgen um die einzige Frau in ihrer Mitte zu machen.
Kaum dass sie die Gegner zwischen den niedrigen Bäumen ausgemacht hatten, brach der Kampf los. Schlag auf Schlag ging ein Ruck durch die nahenden Rotwaldkrieger, von denen ein flüchtiger Blick nur mit halb abgeblätterten Bemalungen bedeckte Körper und Gesichter zeigte, wurden Drohungen gebrüllt, wurden Waffen mit scharfem Singen geschwungen.
Schreiend rannten beide Seiten aufeinander los. Die noch nicht vergessene Wut des vorigen Tages trieb sie an. Zwischen den weit auseinanderstehenden Bäumen war ausreichend Platz für die massigen Krieger, ihre Waffen zu gebrauchen.
Urel hastete durch das entstehende Kampfgetümmel nach vorn.
Ein älterer, narbenübersäter Rotwäldler trat ihm entgegen, blitzende Augen und Zähne zwischen kupferfarbenem Haar- und Bartgestrüpp zeigend. Ein Ausfallschritt trug den Gegner an Urel heran, und der junge Barbar sprang eben noch rechtzeitig vor einer Axt zurück. An einem langen Stiel wirbelte der Rotwäldler die monströs große Waffe herum, starke, perfekte Kreise ziehend.
Dies war einer der Gegner, gegen die Urel mit seinem Kurzschwert schlecht bestehen konnte.
Abwägend wich er langsam zurück. Etwas in seiner Umgebung lenkte ihn fortwährend ab, aber er durfte nicht leichtsinnig werden. Und es gab nur diesen Gegner oder keinen. Als Barbar würde er sich eher in das scharfe Blatt der feindlichen Waffe werfen, bevor er dem Kampf auswich.
Plötzlich packte ihn Wut. Du hast gegen die Ahnen deines Volkes bestanden. Soll jetzt der erste Mann, der sich dir auf eurem Weg südwärts entgegenstellt, dich aufhalten?
Ohne ein Zögern sprang er den Gegner an. Die Bewegung der Axt stockte mit der Verblüffung ihres Trägers, und durch die Lücke brach Urel. Der Boden bebte unter seinem Auftreten. Kurz, von sehr nah, sah er das wüste Gesicht. Dann stieß er dem Gegner, der gerade nach hinten ausholte, das Kurzschwert in den Leib. Er tat es mit wilder Befriedigung. Hätte er noch die linke Hand besessen, er hätte sie benutzt, um den Gegner an sich heran- und in das Schwert zu ziehen.
Aber es reichte auch so. Eine dicke Lederschicht schützte den schon angebohrten Leib. Er stieß nach, und gegen den vertraut grausigen Widerstand auseinandergedrängten Fleisches sank das Schwert bis zum Heft ein. Blut quoll ihm warm über die Hand.
Die Augen des Rotwäldlers weiteten sich. Ungerührt starrte Urel hinein. Myriaden von Augen haben mich schon so angesehen, Augen aller Art. Unzählige Kreaturen habe ich bereits getötet. Jetzt töte ich eben Menschen.
Er riss die Waffe heraus und trat achtlos über den tödlich Getroffenen hinweg, der in seiner Agonie den Boden zerwühlte. Er würde langsam verbluten.
Urel schleuderte mit einer Bewegung das Blut von der Klinge. Atemzüge später rannte der nächste Feind in ihn hinein.
Versuchsweise, in einer winzigen Atempause, bückte er sich zum daliegenden Schild des zweiten Getöteten und schob den Stumpf durch die Halteschlaufen. Es ging, aber er konnte den Schild nicht festhalten. Eine andere Lösung muss her. Kaltblütig richtete er sich für den dritten Gegner auf.
Die Schlacht nahm ihn vollständig gefangen. Langsam vorangehend, unaufhaltsam, Männer überwindend, die an ihm abprallten und zerschlagen unter ihm zurückblieben, bewegte er sich hindurch, wie er es früher getan hatte.
Als sein Geist sich klärte und er sich umschaute, waren die meisten Gegner nicht mehr zu sehen, niedergemacht oder versprengt. Er war an den äußersten Rand des Schlachtfeldes geraten. In der Nähe huschte eine eigenartige, hochbeinige Kreatur vorbei, ein Geifern ausstoßend, das weithin hörbar war und wie aus einer anderen Welt kam. Einer der Druiden.
Links sah er plötzlich Marej.
Die Erleichterung und angenehme Wärme, die ihn überkamen, wandelten sich jedoch in Sorge, denn sie stand allein und weitab von möglicher Hilfe einem der noch verbliebenen Rotwäldler gegenüber. Gut siebzig Fuß trennten auch ihn, Urel, von dem Schauplatz des Zweikampfes. Für ein Eingreifen war er zu weit entfernt; rief er, lenkte er sie gefährlich ab.
Und während er noch fieberhaft überlegend und lauernd an die sich Gegenüberstehenden heranschlich, entbrannte der Kampf.
Der Rotwäldler ging mit Axt und Rundschild auf die Druidin los. Urel sah sie rückwärts ausweichen, doch nur zum Schein. Die Keule beschrieb vor ihrem Körper einen kurzen Bogen. Trotz des bösen Summens wusste Urel, sie holte nur Schwung.
Der Rotwäldler wusste es nicht. Seine Gegnerin war nur eine Frau, und dass er mit einem höhnischen Schrei direkt in die Reichweite der Keule sprang, zeigte, dass er sich durch den Schild ausreichend geschützt glaubte.
Ein geschmeidiger Ruck ging durch den stämmigen, doch schlanken Leib der Druidin – dann stürzte die Keule in einem Bogen auf den heranstürmenden Barbaren hinab. Das Krachen schluckte den Schrei des Mannes. Splitternde Bruchstücke fielen ihm aus der linken Hand, die zerrissen vom Ellbogen herabbaumelte. Unter dem zerberstenden Schild hatten die Eisenwirbel der Keule die sicher vermutete Hand zerfetzt.
Wind kam um den Taumelnden auf. Blinzelnd sah Urel Blätter empor stieben, tanzen, obwohl ringsum kein Luftzug spürbar war, und manche entzündeten sich. Bei Bul-Kathos. Marej hatte die Linke erhoben, in ihrer Rechten kehrte die Keule zurück. Durch den Strudel, der den Rotwäldler einen Schritt zurücktrieb und ihm die brennenden Blätter ins Haar setzte, dass er ungläubig die Axt wie gegen einen Spuk erhob, kam die Waffe. Riss dem Mann die Axt aus der Hand und krachte gegen seine Brust.
Urel war nur noch Schritte entfernt, als der Rotwäldler fiel. Er würde nicht wieder aufstehen.
Marej sah ihn. Um sie taumelten die Blätter zu Boden, schwelend, so dass sie in Rauchgirlanden dastand.
„Magie“, sagte er staunend.
Ihr Atem ging noch schnell. „Nur Erdkräfte“, gab sie zurück. Da sie zu ihm auf- und ins Licht sehen musste, machte sie die grünen Augen schmal. Ihr Gesicht war schweißnass und angespannt, aber sie lächelte. „Sonst hätte seine Axt mich wohl getroffen.“ Dann verschwand ihr Lächeln. „Deine Augen“, sagte sie. „Hast du Fieber?“
Ein leises Grauen streifte Urel. „Nein“, er fuhr sich mit der Rechten über das Gesicht. „Nein, das nicht.“
Marej schaute nach allen Seiten. „Es sieht so aus, als wäre es vorbei. Wie viele Gegner hast du getötet?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er. Die Glut des Kampfes wärmte ihn noch, aber nicht genug, dass er sie nicht wieder gespürt hätte: die kalte Woge der Angst.
Sorge zuckte über die glatten Züge der Druidin. „Ich mag mich auch täuschen, Barbar“, sagte sie „aber bist du sicher, dass wirklich alle Dämonen der vergangenen Tage tot sind?“
Wortlos schaute er in ihre hellen Augen, und es war eigenartig, wie wenig ihn störte, was sie vielleicht sah, und wie ihn das tröstete. Sein Schweigen wurde mit keinem Nachhaken unterbrochen, sie ließ es bestehen, in der sonderlichen Vertrautheit ihres geteilten Augenblicks.
Dann lächelte sie wieder. „Das Zurückschauen ist offenbar für uns beide mit Leid verbunden. Daher lass uns weitergehen.“ Mit dem nächsten Satz verschwand sogar der Rest des Zitterns, das die sich selber Mut Zusprechenden verrät, aus ihrer Stimme und wich einem fast neckischen Tonfall. „Es wurde wohl höchste Zeit, dass jemand auf dich aufpasst, Barbar.“
Auf dem Rückweg zu den Anderen betrachtete Urel die junge Druidin von hinten, zu nachdenklich, um leichten Herzens zu sein, doch lächelnd wie zuvor schon einmal. Er wusste nicht, wer sie war. Nur, dass er sie sah wie keine andere Frau zuvor, und dass die dunkle Woge der Angst sich vor ihr zurückzog.





Drei Tage später erreichten sie ein Dorf, eine Niederlassung gewöhnlicher Siedler, die sich mit clanlosen Barbaren vermischt hatten.
Hier verbrachten sie eine Nacht.
Die Menschen waren freundlich, aber vorsichtig. Seit Wochen schon hatten sie, tief beunruhigt durch die widersprüchlichen Berichte aus den umliegenden Gegenden, Wachen aufgestellt, erzählten sie. Es mochte Bostacs offene Art sein, die den derben Bauern und Jägern das Maß an Vertrauen einflößte, das ihre ursprüngliche Gastfreundschaft wieder zum Vorschein brachte. An den Herdfeuern aber hörten die durchreisenden Krieger vieles, das von einer tiefverwurzelten Unruhe bei den Menschen kündete – deren Grund diese, und das war für die Zuhörenden das Gespenstische, nicht nennen konnten.
Dauerhaft fette Jahre hatte es hier selten gegeben. Die Siedler waren gewöhnt an Entbehrungen, an vorbeiziehende Stämme und Fremde, von denen jeder das fast schutzlose Dorf bedrohen konnte. Sie waren aufgewachsen mit der Weite der Wälder und den Legenden schlimmerer und niemals sicher vergangener Zeiten.
Aber jetzt kam es vor, dass die Waldfinsternis ihnen Furcht einjagte, dass ihnen ihre eigene Angst Trugbilder schickte, im Wachen wie im Schlafen, und nur den festen Gemütern ihrer Obersten war es zu verdanken, dass sich die alte Scheu vor den Druiden nicht wieder in wilde Verfolgungen von Einsiedlern oder Familien verwandeln konnte, die angeblich druidisches Blut hatten.
Sie schliefen mit den Waffen in Reichweite, doch selbst nach ruhigen Nächten wachten sie bekümmert und wenig ausgeruht auf. Alpträume plagten Viele, gestaltlose Ängste, die man sonst nur den Kranken und den Kindern zuschrieb. Kaum jemand sang noch bei der Arbeit. Düsterer, unter der Düsterkeit leidend und darum reizbarer, gingen sie in den Frühling und Sommer.
Es ist unsere leichteste Jahreszeit, hatte ein Alter am Feuer in das lange Schweigen nach den Begrüßungsreden gemurmelt. Urel und die Anderen hatten ihn angesehen, Bedauern fühlend vor der namenlosen Bedrückung der Menschen hier, doch die Dörfler hatten die Augen zum Boden gerichtet. Fast, als schämten sie sich, ganz wie Menschen, die sich krank fühlen, aber keine sichtbaren Symptome vorweisen können. Dieser Sommer aber naht ohne Leichtigkeit. Es gab, sagen Berichte aus längst vergangenen Tagen – aus den Tagen des letzten Königs – schon einmal solch einen Sommer. Stille war eingetreten, aber alle am Feuer hatten gewusst, dass der Alte von den Jahrhunderte zurückliegenden Dämonenkriegen gesprochen hatte.
Auch das vergangene Jahr unter den Schrecken der großen Übel war eine Zeit des Unfriedens gewesen, die Menschen damals jedoch geeinter, schien es.
Urel hatte ab hier nicht mehr zugehört. Er wollte nicht an das vorige Jahr denken. Er musste den Blick nach vorn richten, um weitergehen zu können, froh, dass ihm dies schon eine Winzigkeit leichter fiel.
Und im Dorf gab es einen Schmied.
Am Morgen des Weiterzuges betrat er dessen Hütte.
Die Dorfleute hatten gehört, dass der weiter südlich lebende Eisenclan in letzter Zeit häufiger Männer aus dem Süden kontaktierte, Städter, wie es hieß. Auch hierher wollten diese kommen.
Urel ahnte, dass er vorbereitet sein musste. Sein altes Kurzschwert löste er ein, da er wenig Geld besaß, auch wenn es ihn schmerzte, die vielerprobte Waffe aus der Hand zu geben.
Als er nach einer ganzen Weile vor die Tür der Schmiedehütte trat, fand er Marej draußen auf einem Stein sitzend.
Langsam, die Augen weit geöffnet, stand sie auf.
Der junge Barbar bewegte probehalber seine neue Ausrüstung und zweifelte, ob der Ausdruck auf Marejs Gesicht ihm gefiel. Sie sah beeindruckt aus, doch eher erschreckt als erfreut. „Nun fehlt nur noch dein Helm“, sagte sie leise und besah ihn von oben bis unten.
Eine eisenbeschlagene Pavese hing von seiner linken Körperhälfte, und als er den Arm von sich weghielt, sah sie die Konstruktion aus Eisenbändern und Lederriemen, die, einmal geschlossen, den Schild an seinen Armstumpf band – so fest, dass keine Macht der Welt ihn im Kampf herunterbringen würde, es sei denn, sie risse den Arm mit ab. Wuchtiger noch als der Schild war das Schwert, das er neben sich aufgestützt hatte: ein riesiger Zweihänder, lang genug, um Marej bis zur Schulter zu reichen. Dank seiner ungeheuren Körperkraft konnte der junge Barbar mit einer Hand schwingen, was vielen Männern mit zweien schon zu schwer war.
Reglos standen sie da. Urel lächelte nicht. Er sah fremd aus und fühlte sich fremd, aber das Gewicht der neuen Ausrüstung strahlte Sicherheit aus, und offen, beinahe flehentlich, hielt er mit seinen die Augen der Druidin fest. Dann stellte er das Schwert gegen sich und langte nach seinem Beutel, um den Helm hervorzuholen.
„Nicht.“ Marej hob die Hand. Mit der anderen zog sie den Fellmantel fester um sich zusammen. „Setz ihn nicht auf, bitte.“
Eine Geste lud ihn ein, neben sie zu treten, und gemeinsam, schweigend, gingen sie zur Dorfmitte hinunter, wo der Verband auf den Aufbruch wartete.





In einer der folgenden Nächte erwachte Urel aus leichtem Schlaf.
Bis auf schwachen Feuerschein war es finster und ruhig. Er setzte sich auf.
Überall in der Dunkelheit lagen Männer, schnarchend, halb sichtbar im orangefarbenen Schimmer knackender Äste. Es waren mittlerweile fast doppelt so viele wie bei ihrem Aufbruch – Männer aus dem Dorf hatten sich angeschlossen, sehr junge zumeist, und dazu einige abenteuerliche Gestalten aus den Wäldern.
Am Lagerfeuer, das etwas abseits brannte, saß Marej. Der ältere, wortkarge Druide, ihr oftmaliger Begleiter, lag nahebei, schlief aber fest.
Zögernd näherte Urel sich dem Feuer.
Die Druidin löste den Blick vom tanzenden Eigenleben der Flammen, langsam, als habe sie nicht schon längst die erste Bewegung an seiner Bettstatt bemerkt. Sie sah zu, wie er in den Lichtkreis des Feuers trat und sich dann unsicher niederließ. Er war der größte Mann, dem sie je begegnet war, ein Hüne mit beinahe grotesk breiten Schultern und groben, regelmäßigen Zügen. Mit einem kaum geschützten Arm hatte er ihre Keule aufgehalten, und weder seine bedächtige Art noch seine Scheu konnten über seine Gefährlichkeit hinwegtäuschen. Er hatte etwas an sich, das sie rührte, vielleicht um so mehr, da sein ursprüngliches Wesen unter einer Veränderung zu leiden schien, die selbst halb Fremde wie sie ohne viel Mühe sehen konnten.
Erst als er eine Zeitlang dagesessen hatte, wagte Urel, den Blick zu heben. Marej schaute wieder ins Feuer, und er konnte sie ungestört beobachten, erleichtert, dass sie seine Gegenwart nicht missbilligte.
Ihr Gesicht war herzförmig, voll und kräftig wie ihre gesamte Gestalt, der seine Augen unter dem Fellmantel verstohlen nachgespürt hatten – seit ihrer ersten Begegnung, wurde ihm bewusst. Das hüftlange lockige Haar, das beinahe dieselbe Farbe hatte wie ihre Haut, trug sie meist offen. Nur wenn sie lange Strecken lief, geschmeidig und sicheren Schrittes wie alle Druiden, pflegte sie es hochzubinden.
Sie zeigte ihr wahres Selbst nicht frei, ahnte er, denn die Reise musste sie ebenso bedrücken wie alle Anderen, und ihr Geschlecht war unter einer halben Hundertschaft von Männern kein geringes Problem. Daher, hatte er beobachtet, nahm sie sich zurück, hielt die Augen viel gesenkt, sich selbst am Rand der Gruppe und ihren Körper unter dem Fellmantel verborgen.
Seine früheren Weggefährtinnen waren ansehnliche Frauen gewesen, jede für sich durch Erscheinung oder Wesensart, oder beides. Sie aber ließ ihn als Einzige nicht mehr los, und der empfundene Respekt bereitete ihm erstmalig Kopfzerbrechen, da er heimlich nicht wünschte, dass es dabei allein bleiben solle.
Als sie zu ihm hinübersah, war ihr Blick traurig. „Ich schätze deine Rücksicht, Barbar“, sagte sie leise „aber ich bin froh, nicht länger allein hier zu sitzen.“
Sie sieht in mein Inneres, als sei ich aus Glas, dachte Urel und brummte eine unbeholfene Erwiderung. Daran muss ich mich wohl gewöhnen.
Gemeinsam blickten sie nach Süden.
Ihr Nachtlager lag an einem bewaldeten Hang. Sie hatten dichten Forst im Rücken, aber freie Sicht auf abfallendes Land, das sich im Mondlicht ausbreitete und fortsetzte, immer weiter in die Nacht hinein. Die ganze Welt schien zu schlafen.
„Ich bin nie so weit südlich gewesen“, kam es aus Marejs Richtung. „Irgendwo dort unten endet der Wald.“ Und was mache ich dann?, fügte ihr Gesicht stumm hinzu.
„Das Land ist dort offener“, hörte Urel sich tastend sagen. „Weite Ebenen, Felder, die jetzt braun sind. Im Sommer werden sie gelb sein. Viel Marschland gibt es auch, und Weiler mit kleinen Klöstern. Ich kenne die Gegend gut.“
Sie schwiegen wieder, die Druidin hinüberblickend, als sehe sie sein Gesicht das erste Mal richtig und fände es angenehm, er verstummt, weil er an die Ereignisse vor einem Jahr dachte. Das Feuer knackte, ringsum atmeten die Schlafenden.
Als Marej wieder sprach, schreckte der Klang ihrer Stimme Urel auf. Vielleicht hatte auch ihre Tapferkeit irgendwo ein Ende. „Eigentlich liebe ich die Nacht“, begann sie zitternd, zusammengekauert unter dem Mantel. „Aber seit Tagen habe ich nur Angst. Die Erde schweigt wie vor einem großen Sturm, und ich weiß nicht, ob ich recht daran getan habe, mitzugehen.“ Steif blickte sie nach vorn. „Ich habe Angst um mein Dorf, Urel. Vor Stunden träumte ich, ich kehrte zurück, und es wären nur noch schwarze Brandruinen da.“
Die Zerrissenheit der Stärksten hatte ihn immer am meisten berührt.
Deshalb vielleicht, oder weil sein Inneres kühner war als jede an Zurückhaltung und Fremdheit angelehnte Scheu, oder auch, weil kleine Gesten alles waren, was Menschen wie ihnen in Zeiten der Entwurzelung noch blieb, hob Urel zaghaft die Rechte. Vielleicht auch, weil sie seinen Namen gesagt hatte und das kein Zufall war, und sie ihn nicht ansah wie einen Krüppel. Durch den eingefrorenen Augenblick hindurch, flach atmend, berührte er die Locken an ihrem Hinterkopf. Es fühlte sich besser an als Samt.
Dann strich er, sehr vorsichtig, mit der Hand, mit dem Zeigefinger nur, die matt schimmernde Schläfe hinab und über ihre Wange. Was seine Hand führte, wusste er nicht, und sah sie die Augen schließen.
„Der Furcht können wir nicht entrinnen“, sagte er „aber wenigstens sind wir nicht allein.“ Er nahm die Hand weg und begegnete ihrem Blick, in dem etwas schwer Lesbares die Angst verdrängt hatte. „Das wollte ich tun, seit ich dich das erste Mal sah“, brachte er noch über die Lippen. Seine Stimme war rau.
Ohne einen klaren Gedanken stand er auf. Ihrer beider Wünsche zur guten Nacht kamen wie durch einen dicken Teppich zu ihm.
Übergangslos, oder auch nicht, lag er wieder unter seiner Decke. Wenn sie hinterherkam, würde Platz für sie darunter sein. Doch als sie in den zeitlosen Augenblicken, in denen er lange um Schlaf rang, nicht kam, war er seltsam froh. Ohne sie zu kennen, ahnte er, dass die Duldung seiner Berührung und mehr noch ihrer beider wunderliche Vertrautheit ihn sich sicherer fühlen lassen konnte als ein hastiges, verzweifeltes Liebesspiel ohne Bedacht.
Als der Mond unterging, erlosch auch das Feuer.





Nach einer weiteren Woche begannen die felsigen Bergwälder und Hochebenen in langgestreckte Fußhügel überzugehen.
Der Verbund kam in das dünn bewaldete Nordland der Westmarschen. Die Zahl seiner Männer war inzwischen auf fast Hundert angewachsen. Weitere Barbaren kleinerer Stämme hatten sich angeschlossen, aber auch einige kräftige Siedler und Druiden, unter denen sich sogar zwei Schamanen befanden.
Wo der Zuwachs sie ermutigte, versetzte die Lage der Gebiete ringsum die Männer in Sorge. Seit dem Kampf gegen die Rotwaldclanbarbaren war es ihnen gelungen, ohne größere Zwischenfälle voranzukommen, doch sie mussten allerorts und bei jedem Menschen, dem sie begegneten, vorsichtig mit Worten und Taten sein. Mindestens zwei der größten Clans gehörten erwiesenermaßen zu dem Teil der Barbaren, der sich gegen Zusicherung seiner Vorherrschaft im Hochland neben Fadraîs stellte. Sie lebten in diesen Gebieten.
Jede ferne fremde Gestalt auf einem Hügelkamm konnte ein feindlicher Späher sein.
Noch unbehaglicher stimmte sie allerdings die Ahnung, dass ihre Belange in der Westmarsch kein Gehör finden würden.
Die Vorbereitungen zur Neuordnung des Hochlandes waren weit älter als ihrer aller gemeinsame Beunruhigung, vermuteten sie, und auch, dass sich hinter den eigenartigen Zielen, die sie sich nur vage vorstellen konnten, selbst auf rein taktischer Ebene ein gewaltiger Plan verbarg. Ein Plan immenser Größe und Bedeutung. Gegen ihn – was auch immer er war – und selbst nur gegen sein Gespenst, das ihnen entgegenwehte, mutete ihr Aufstand klein und überstürzt an.
So zogen sie langsam südwärts, und die Stimmung war ernst.
Urel fühlte, wie sie ihn mitzog.
Die Welt ringsum sah ihm windig und unheilvoll aus, ohne dass er hätte sagen können, was ihm die meist sonnigen Tage und weiten Landstriche verdüsterte. Nachts suchten ihn jetzt häufiger und häufiger Träume heim, die ihn an einen roten, finsteren Tag gemahnten, den er tief in sein Inneres verbannt hatte. Es war ein namenloser, dauerhafter Schrecken, der von diesen Träumen zurückblieb.
Stand er morgens auf, packte ihn immer öfter eine verbissene, ingrimmige Wut ohne Ziel und Zweck, wie er sie nie gekannt hatte. Sie presste ihm die Kiefer zusammen, und er ging dem Zug manches Mal ungeduldig voraus, obwohl Eile ihnen gar nichts half.
Lichtere Momente wurden von der Gesellschaft der Barbaren beherrscht, Bostac, der ein guter Anführer geworden war, Malic mit seinem breiten Gesicht, und von Marej.
Sie lief ihm oft mit kräftigen Schritten nach, wenn er abseits ging, und dann gingen sie nebeneinander her. Seit der Nacht ihrer ersten Berührung suchten sie hier, abseits von den Männern, die Nähe des Anderen.
Eines Mittags, auf von Sonnenflecken überfluteter Ebene, sprachen sie miteinander, und nicht in ihren Worten, aber in der ganzen Stimmung ringsumher war etwas Leichtes, das Urel ermunterte. Marej pflegte ihn aufzuziehen, in einer offenen, neckischen Art, die ihm an einer Weggefährtin neu war. Sie enthielt keine Anzüglichkeiten, aber dafür, war er sich sicher, versteckte Aufforderungen und die freimütig gegebene Erlaubnis, Grenzen zu überschreiten.
Der Wind ließ das Haar der jungen Frau fliegen, und ihr mit einem Scherz kommendes Lachen stand allein und hell vor allen Widrigkeiten der Tage. Lange, von der Seite, sah er ihr hingerissen zu.
Nur die Tatsache, dass in Sichtweite die Krieger des Verbundes marschierten, hielt ihn davon ab, sie wider die verbliebene Unsicherheit an sich zu ziehen, um herauszufinden, wie ihr Haar roch oder ihre Haut, oder wie sein schwerer Herzschlag sich weiter vertiefen würde, wenn sie ihn berührte.
Ihrer beider Spuren im Gras liefen eine neben der anderen.
So war es auch, als der Verbund auf den Eisenclan traf.
Durch die scharfen Sinne der Druiden schon eine Weile in halbe Alarmbereitschaft versetzt, sahen die Männer, zunächst lautlos, eine breite Reihe von Gestalten aus dem Grasland unterhalb ihrer Position auftauchen.
Sie befanden sich auf welligen Hängen mit hohem Gras und wenigen Birken.
Von vorn hörte man Bostacs Gebrüll, dann kam er zurückgerannt. „Der Eisenclan!“ Ein Ruck erfasste den Verbund und trieb ihn zusammen. Im Schleifen gezogener Waffen brachten sich die Schwächeren, so die Schamanen und einige sehr junge Siedlerburschen, weiter hinten in Sicherheit, wie es abgesprochen war. Die Front zog sich zusammen.
Auch unterhalb wurde gebrüllt – der Feind bereitete sich vor.
„Bleib dicht bei mir, und flieh, wenn sie dir zu nahe kommen.“ Urel legte eine Hand auf Marejs ungepanzerte Schulter. „Das sind Gegner anderer Art.“ Der Wind wehte durch ihr langes Haar und seine Zopfquaste.
Die Gegner waren mittlerweile näher herangekommen, und die nun sichtbare Erscheinung der feindlichen Krieger rief ringsum Unruhe und Zähneknirschen hervor.
Es waren Eisenclanbarbaren, ihnen zahlenmäßig etwa ebenbürtig und an den zur Hälfte weiß bemalten Gesichtern erkennbar. Doch sie waren nicht wie gewöhnliche Barbaren gerüstet.
Bul-Kathos, lass uns diesen Kampf überstehen.
Der Name des Clans traf nun zu. Eisenrüstungen, wuchtige Plattenpanzer, hingen um die Hünen, ein grauer, matter Wall. Kein Clan besaß solches Rüstzeug, erst recht nicht für so viele Männer. Es musste aus anderen Händen stammen. Die bloßen Köpfe standen hell über den stampfenden Leibern, die sich zu ihnen hinaufbewegten. Weiße Farbe war auch über Dutzende neuer Schilde verstrichen, und als die Eisenclanbarbaren im Gehen rhythmisch ihre Waffen gegen das Schutzmetall hämmerten, hob über dem winddurchstrichenen Gras ein Dröhnen an.
Kurz standen die Männer des Verbundes wie erstarrt, in erstickender Angst, ihr Weg werde an diesem Widerstand enden. Es würde keine Verhandlung geben, kein Wort, keine Klärung.
Der Lärm der entgegenkommenden Feinde war ohrenbetäubend.
Urel sah Marej an. In ihren Augen las er, wie sein Gesicht sich veränderte – zu einer Fratze des Krieges vielleicht.
Bedauern und Sehnsucht nach einer anderen Zeit blühten kurz schmerzhaft auf, dann warf sich mit seinem eigenen Schlachtruf die Blindheit des Kriegers über ihn und riss ihn fort.
Nur durch einen Nebel gewahrte er, dass die Druidin ihm folgte.





Als Urel wieder zu sich kam, kniete er im Gras, auf den an seinem Körper befestigten Schild gestützt.
Mit wirrem Kopf sah er sich um. Erschöpfung musste ihn hier heruntergezogen haben, und das konnte nur bedeuten, dass der Kampf vorüber war.
Marej stand nahebei. Ihr Haar war ein Filter vor dem Himmel und der Sonne. Blut fleckte den Boden, wo sie ihre Keule aufgestützt hatte, die sie mit einer wunden Hand hielt – wund vom Zuschlagen und der Reibung des Holzes.
Bei den Ahnen, sie lebt noch. Aber ich – wo war ich?
Er konnte sich kaum an etwas erinnern.
Marejs Stimme, während sie erschöpft zusah, wie er langsam auf die Füße kam, lichtete das Dunkel und verstärkte zugleich das Unbehagen in seinen Eingeweiden. „Es war nicht leicht, dir zu folgen.“
Urel blickte an sich herunter. Auf dem neuen Schild und der langen Klinge hatte Blut alles mit einer öligen Schicht überzogen und wirre, versprühte Muster gezeichnet.
„Du hast gekämpft wie...“ Die Druidin brach ab. Dann, fortfahrend, sprach sie nicht mehr von ihm, aber beide wussten, dass sie ihn meinte. „Es heißt bei meinem Volk, dass... sowohl wir als auch unsere alten Brüder manchmal Krieger in unserer Mitte haben, die von den Geistern des Kämpfens vereinnahmt werden. Sie finden nicht mehr zurück. Wolfskindern gelingt die Rückverwandlung nicht mehr, und... auch unter den Barbaren gibt es solche Krieger, sagt man. Gute Menschen, aber ihre Seele geht verloren.
Man nennt sie Berserker.“
Es war schwer zu sagen, ob Angst, Sorge oder etwas wie Ehrfurcht in ihrer Stimme überwog.
Wortlos nahm Urel den Helm ab und ließ den Blick wandern.
Männer gingen überall auf den welligen Hängen durchs Gras, hier und dort zu Gruppen zusammengewürfelt, die sich über Verwundete beugten. Erschlagene lagen herum, leblose Körper, fallengelassene Waffen und Bruchstücke von Holzschilden.
Ferner sah der junge Barbar die beiden druidischen Schamanen, einer selbst hinkend, zu einem schreienden Verwundeten eilen. Überschlagend, zählte Urel etwa siebzig Stehende. Keiner von ihnen hatte den Kopf weiß bemalt. Irgendwie, dank ihrer doch größeren Zahl vielleicht, musste es ihnen gelungen sein, den Eisenclan zu vertreiben. Bei genauerem Hinsehen entdeckte er schwelende Flecke im Gras. Die Schamanen.
Dann erst, aber immer noch unfähig, auf ihre versteckte Andeutung etwas zu erwidern – weil ich selbst nicht weiß, was geschieht, und weil mir nicht mehr klar ist, ob ich es verhindern kann und will – wandte Urel der Druidin wieder das Gesicht zu. Schweigen umgab sie, die hilflose Erkenntnis, dass Worte die steigende Bangigkeit nicht fassen konnten.
„Komm“, sagte Urel schließlich tonlos, dann, wärmer: „Lass uns sehen, wo wir helfen können.“
Sie nickte mit blassen Lippen. Sie war gewiss nicht zimperlich, aber die grausigen Hinterlassenschaften einer offenen Schlacht mussten ein neues Bild für sie sein.
Aus dem Gemenge Umherstehender löste sich bei ihrem Näherkommen Bostac heraus. Er winkte sie heran, kraftlos und schwer.
Im Gras lag Malic.
Die Lippen voller Blut, war sein ruhevolles Gesicht im Schmerz erstarrt, weggerissen zu werden von einer Welt, für die er noch nicht genug getan zu haben geglaubt hatte, und dies war das Entsetzlichste an seiner toten Gestalt. Ringsum war von der tiefen Grasnarbe nicht mehr viel übrig als ein bis zur Unkenntlichkeit zertretenes Gemenge aus bleichen Halmen und Blut.
„Malic...“ Während Marej mit einem leisen Klageruf neben dem gefällten Krieger in die Knie ging, suchte Urel Bostacs Blick. Es würgte ihn in der Kehle. Bostac hatte Tränen um den schweigsamen, älteren Vertrauten vergossen und verbarg ihre Spuren nicht, aber er selbst konnte nichts tun außer zu fühlen, wie die Trauer sich nach innen richtete und mit dem scharfzackigen, glutroten Ball aus wachsender Wut verschmolz, der ihn weder Kälte noch Ermattung richtig spüren ließ.
„Es sind viele Eisenclanmänner entkommen“, sagte Bostac. „Sie werden gewiss bis zu ihren Siedlungen oder Fadraîs durchkommen. Was uns erwartet, wissen die Ahnen.“
Mit gesenkten Köpfen umstanden sie den Toten.
Ein Ruf scheuchte sie auf. Vom Rand des zertrampelten Areals näherte sich ein Mann – unbekannt, mit wehendem Haar, und von Norden. Die Druiden indes schienen ihn einordnen zu können. „Ein Späher aus dem Rotwaldbereich“. Marej richtete sich auf und machte ihren zwei männlichen Begleitern Zeichen.
Etwas abseits nahm sie den völlig erschöpften Ankömmling in Empfang. Schweißnasses Haar hing um ein ausgemergeltes, fiebriges Gesicht, von dem lange Speichelfäden bis auf die Brust hinuntertroffen. Nach einer hastigen Unterredung ließ der Druide sich ins Gras sinken, unbeeindruckt von dem Schmutz und Blut der Schlacht, in dem er zu sitzen kam.
„Euch folgen weitere Verbände“, berichtete die Druidin Urel und Bostac. „In den Wäldern sind die Clans unserer Gegner nun aufgebrochen, scheint es, und ziehen gegen alle Siedlungen. Alle Männer, die man entbehren konnte, folgen uns, weil es heißt, dass von Süden die größere Gefahr droht. Unsere Läufer haben verbreitet, was in unserem Dorf geschah. Es herrscht Chaos.
Uns müssen mehrere hundert Barbaren auf den Fersen sein, die hoffen, sich uns anschließen zu können.“
Sie kamen überein, unweit des Schlachtfeldes ein Lager aufzuschlagen, mitten in der windigen, ungeschützten Weite des Landes. Der zahlreichen schwer Verwundeten wegen ging es nicht anders.
Es war gleich, wie unsicher das Land unter ihren Füßen war. Es erhob sich, fühlten sie in den müden Stunden desselben Tages, zwischen todwunden Gefährten und den verstörenden, sacht mit Hoffnungen lockenden Nachrichten ihrer meist kaum gekannten Verbündeten.
Weiter südlich, brachten Späher am Tagesende Kunde, wanderten Gruppen von Menschen über die Ebene, nicht zahlreich genug indes für Heere. Flüchtlinge? Feindliche Kundschafter? Orientierungslose Reisende, die den beginnenden Unruhen zu entgehen hofften? Niemand wusste es, und am Horizont konnte jeder Staubschleier, jede unbekannte Form im Licht der sinkenden Sonne Vorbote neuer Bedrohungen sein.
Riesig öffnete sich der Süden unter ihnen, einstmals nicht mehr als ein entferntes Ordensgebiet, das sie wenig gekümmert hatte, und dahinter, ferner noch, lag ein sagenhaftes Land sonnenüberglühter Städte und Wüsten. Nun sahen sie in diese Richtung und erschauerten in Verlorenheit und bösen Vorahnungen.
Es war in dieser Nacht, dass Marej unter seine Decke kam, und Urel liebte sie behutsam, vor jedem falschen, nichtssagenden Wort zurückschreckend, dankbar, dass in all der Ungewissheit ihnen beiden vergönnt war, hingerissen, ehrlich und wenigstens hierin frei zu sein. Zwischen den Wachfeuern und den Geräuschen und Gerüchen eines Kriegslagers hielten sie sich aneinander fest und lauschten auf den schweren Atem des Anderen, bis er sich schließlich beruhigte und für einige Stunden die Verzweiflung und die Last des schon Erlebten mit sich nahm.
Mit der Morgendämmerung würde die Angst wiederkehren, und mit ihr Vieles, das sich nicht so leicht in ein leises Lachen und ein tastendes Wort fassen ließ wie ihrer beider Zusammenfinden im Dunkel der Nacht.
Gemeinsam mit den Verwundeten wachten sie und sahen zu, wie das graue, rosig durchleuchtete Zwielicht den Aufgang der Sonne aus der Richtung eines endlos fernen Kontinents ankündigte.
 
Eine Eichkatze ist das bundesamtliche Gegenstück zur allgemein benutzbaren Kalibrierkatze :D

(Sorry das musste jetzt einfach sein :angel: )
 
@scampi: eine Eichkatze ist dasselbe wie ein Eichhörnchen. ;)
@Saturn: oder so (Gebrauchsanweisung erbeten) :D



/edit: Na, wenn die Wortmeldungen weiter so spärlich bleiben, brauche ich mich ja mit dem neuen Up nicht mehr so zu beeilen
 
*wortmeldung*

Gefällt mir sehr gut. Man spürt wie sich langsam etwas immer großeres zusammenbraut, doch man ist nach wie vor am Rätseln was es ist.
 
Immer dieses Heischen nach Meldungen...

*brummel*

Dann wieder eine von mir, auch wenn ich nichts neues zu sagen habe...

:read:
:D
:go:
 
Entschuldigt die obige Bemerkung, ist ja auch sonst nicht meine Art.
Nur ist es tatsächlich schwierig zu sagen, wer noch mitliest. Und da ich gerade den 'vorbereitenden' Teil abgeschlossen habe und zum nächsten aushole, bin ich etwas verunsichert.
Ab und zu braucht man ein bisschen zusätzliches Öl aufs Getriebe.
Danke für die Meldungen :kiss:
 
Na, dann gieße ich auch noch ein bißchen Öl ins Getriebe.

Also, hab endlich auch wieder geschafft, alles nachzulesen.
Und ich muß sagen...wow.

Du bringst die ganze Antmosphäre super rüber und man wird richtig in Deinen Bann gezogen.

Also weiter so.

Grüße
amunthep
 
Hallo Reeba :-)

Wollte nur sagen das ich hoffe das du noch lange so toll weiter schreibst!Schaue jeden Tag nach ob ein neues UP da ist!
Kann es garnicht erwarten wie es weiter geht vorallen ob sich die alten Freunde bald wieder treffen!!!

Also mach weiter so und erfreu uns weiter mit deiner tollen Geschichte!

LG Atera
 
Wenn's nur ums Öl für's Getriebe geht,
dann lange ich doch gerne mal ins Küchenregal.
Bevorzugst Du Distel oder Olive ?

Ansonsten gilt, daß ich mich über jedes Update freue und mindestens 2x die Woche nachsehe.

Wäre schade, wenn Du aufhören würdest.
 
Argh bloß nicht aufhören!

Ich guck hier so ziemlich jeden Tag rein obs was neues gibt.
Hier gibts bestimmt noch tauusend stiller Mitleser.

Lass deine Fans nicht hängen!
 
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