@MetalDragoon: bin gerade dabei, mein Studium abzuschließen.
Und weiter geht's. Hiermit endet der erste Teil von Saqqara.
XXI. Nach Süden
Der Wald um sie war niedrig und licht, sein Boden mit dünnem Gras und Farnen bewachsen, die aus der Entfernung grünlichem Schaum ähnelten, und es gab kaum dichtes Unterholz.
Trotzdem konnte er die zwei Druiden nirgends sehen.
Die wartenden, unterdrückt atmenden Krieger neben sich und ringsum reglos zwischen den Bäumen, ließ Urel den Blick ein weiteres Mal suchend durch den Wald wandern. Seine Augen waren gut. Und er
wusste, dass sie da waren. Aber nicht einmal ein wippender Zweig verriet die Männer.
Er würde sich nie daran gewöhnen.
Brummend ließ er von seinem Versuch ab und warf einen Seitenblick auf die Männer in seiner Nähe. Nur ihre gestrafften, derben Mienen und funkelnden Augen verrieten, dass sie das Warten schlecht ertrugen.
Da raschelte es hinter ihnen, und einer der Druiden tauchte auf, ohne dass die Sinne sein Nahen bemerkt hatten, ganz so, als habe der Wald ihn aus seinen rätselhaften Tiefen hervorgepresst. Nur der Schweiß auf seinem Gesicht zeigte, dass Anstrengung und nicht etwa Magie hinter seiner Lautlosigkeit steckte.
„Sind es Barbaren vom Rotwaldclan?“ fragte Urel ihn flüsternd.
Der Druide nickte. „Ich erkannte mehrere wieder. Es sind etwa zwanzig. Mehr konnte ich im Umkreis nicht entdecken.“
Die Barbaren rückten zusammen. Bostac und Malic näherten sich von weiter weg, und der Druide wiederholte ihnen seine Worte. Urel sah Marej und eine Handvoll Männer in einem Gehölz etwas weiter vorn. Mit ihnen würde man sich durch Handzeichen verständigen.
„Damit mussten wir rechnen“, raunte Bostac den Umstehenden zu. „Umgehen können wir sie nicht, und sie sind eine Gefahr für das Dorf. Wir müssen einen Kampf wagen.“
Ringsum nickten die Männer zustimmend.
„Keine unnötigen Verfolgungen“, mahnte der langhaarige Barbar abschließend. „Kämpft ohne Rücksicht, doch denkt daran, dass wir zu Wenige sind, um Entkommenden nachzustellen. Auch ist es nicht unsere Aufgabe.“
Als Antwort zogen die Barbaren ihre Waffen.
Der Druide hob die Hand, ein Zeichen des Vertrauens, dann war er wieder verschwunden, sacht wie eine Eichkatze.
Geschlossen begannen sie vorzurücken, ein merkwürdiger Anblick in der Helle und Arglosigkeit des Frühlingswaldes. Rechter Hand schloss die kleine Gruppe auf, unter der sich Marej befand. Urel konnte sie nicht sehen, und es blieb keine Zeit, sich Sorgen um die einzige Frau in ihrer Mitte zu machen.
Kaum dass sie die Gegner zwischen den niedrigen Bäumen ausgemacht hatten, brach der Kampf los. Schlag auf Schlag ging ein Ruck durch die nahenden Rotwaldkrieger, von denen ein flüchtiger Blick nur mit halb abgeblätterten Bemalungen bedeckte Körper und Gesichter zeigte, wurden Drohungen gebrüllt, wurden Waffen mit scharfem Singen geschwungen.
Schreiend rannten beide Seiten aufeinander los. Die noch nicht vergessene Wut des vorigen Tages trieb sie an. Zwischen den weit auseinanderstehenden Bäumen war ausreichend Platz für die massigen Krieger, ihre Waffen zu gebrauchen.
Urel hastete durch das entstehende Kampfgetümmel nach vorn.
Ein älterer, narbenübersäter Rotwäldler trat ihm entgegen, blitzende Augen und Zähne zwischen kupferfarbenem Haar- und Bartgestrüpp zeigend. Ein Ausfallschritt trug den Gegner an Urel heran, und der junge Barbar sprang eben noch rechtzeitig vor einer Axt zurück. An einem langen Stiel wirbelte der Rotwäldler die monströs große Waffe herum, starke, perfekte Kreise ziehend.
Dies war einer der Gegner, gegen die Urel mit seinem Kurzschwert schlecht bestehen konnte.
Abwägend wich er langsam zurück. Etwas in seiner Umgebung lenkte ihn fortwährend ab, aber er durfte nicht leichtsinnig werden. Und es gab nur diesen Gegner oder keinen. Als Barbar würde er sich eher in das scharfe Blatt der feindlichen Waffe werfen, bevor er dem Kampf auswich.
Plötzlich packte ihn Wut.
Du hast gegen die Ahnen deines Volkes bestanden. Soll jetzt der erste Mann, der sich dir auf eurem Weg südwärts entgegenstellt, dich aufhalten?
Ohne ein Zögern sprang er den Gegner an. Die Bewegung der Axt stockte mit der Verblüffung ihres Trägers, und durch die Lücke brach Urel. Der Boden bebte unter seinem Auftreten. Kurz, von sehr nah, sah er das wüste Gesicht. Dann stieß er dem Gegner, der gerade nach hinten ausholte, das Kurzschwert in den Leib. Er tat es mit wilder Befriedigung. Hätte er noch die linke Hand besessen, er hätte sie benutzt, um den Gegner an sich heran- und in das Schwert zu ziehen.
Aber es reichte auch so. Eine dicke Lederschicht schützte den schon angebohrten Leib. Er stieß nach, und gegen den vertraut grausigen Widerstand auseinandergedrängten Fleisches sank das Schwert bis zum Heft ein. Blut quoll ihm warm über die Hand.
Die Augen des Rotwäldlers weiteten sich. Ungerührt starrte Urel hinein.
Myriaden von Augen haben mich schon so angesehen, Augen aller Art. Unzählige Kreaturen habe ich bereits getötet. Jetzt töte ich eben Menschen.
Er riss die Waffe heraus und trat achtlos über den tödlich Getroffenen hinweg, der in seiner Agonie den Boden zerwühlte. Er würde langsam verbluten.
Urel schleuderte mit einer Bewegung das Blut von der Klinge. Atemzüge später rannte der nächste Feind in ihn hinein.
Versuchsweise, in einer winzigen Atempause, bückte er sich zum daliegenden Schild des zweiten Getöteten und schob den Stumpf durch die Halteschlaufen. Es ging, aber er konnte den Schild nicht festhalten.
Eine andere Lösung muss her. Kaltblütig richtete er sich für den dritten Gegner auf.
Die Schlacht nahm ihn vollständig gefangen. Langsam vorangehend, unaufhaltsam, Männer überwindend, die an ihm abprallten und zerschlagen unter ihm zurückblieben, bewegte er sich hindurch, wie er es früher getan hatte.
Als sein Geist sich klärte und er sich umschaute, waren die meisten Gegner nicht mehr zu sehen, niedergemacht oder versprengt. Er war an den äußersten Rand des Schlachtfeldes geraten. In der Nähe huschte eine eigenartige, hochbeinige Kreatur vorbei, ein Geifern ausstoßend, das weithin hörbar war und wie aus einer anderen Welt kam. Einer der Druiden.
Links sah er plötzlich Marej.
Die Erleichterung und angenehme Wärme, die ihn überkamen, wandelten sich jedoch in Sorge, denn sie stand allein und weitab von möglicher Hilfe einem der noch verbliebenen Rotwäldler gegenüber. Gut siebzig Fuß trennten auch ihn, Urel, von dem Schauplatz des Zweikampfes. Für ein Eingreifen war er zu weit entfernt; rief er, lenkte er sie gefährlich ab.
Und während er noch fieberhaft überlegend und lauernd an die sich Gegenüberstehenden heranschlich, entbrannte der Kampf.
Der Rotwäldler ging mit Axt und Rundschild auf die Druidin los. Urel sah sie rückwärts ausweichen, doch nur zum Schein. Die Keule beschrieb vor ihrem Körper einen kurzen Bogen. Trotz des bösen Summens wusste Urel, sie holte nur Schwung.
Der Rotwäldler wusste es nicht. Seine Gegnerin war nur eine Frau, und dass er mit einem höhnischen Schrei direkt in die Reichweite der Keule sprang, zeigte, dass er sich durch den Schild ausreichend geschützt glaubte.
Ein geschmeidiger Ruck ging durch den stämmigen, doch schlanken Leib der Druidin – dann stürzte die Keule in einem Bogen auf den heranstürmenden Barbaren hinab. Das Krachen schluckte den Schrei des Mannes. Splitternde Bruchstücke fielen ihm aus der linken Hand, die zerrissen vom Ellbogen herabbaumelte. Unter dem zerberstenden Schild hatten die Eisenwirbel der Keule die sicher vermutete Hand zerfetzt.
Wind kam um den Taumelnden auf. Blinzelnd sah Urel Blätter empor stieben, tanzen, obwohl ringsum kein Luftzug spürbar war, und manche entzündeten sich.
Bei Bul-Kathos. Marej hatte die Linke erhoben, in ihrer Rechten kehrte die Keule zurück. Durch den Strudel, der den Rotwäldler einen Schritt zurücktrieb und ihm die brennenden Blätter ins Haar setzte, dass er ungläubig die Axt wie gegen einen Spuk erhob, kam die Waffe. Riss dem Mann die Axt aus der Hand und krachte gegen seine Brust.
Urel war nur noch Schritte entfernt, als der Rotwäldler fiel. Er würde nicht wieder aufstehen.
Marej sah ihn. Um sie taumelten die Blätter zu Boden, schwelend, so dass sie in Rauchgirlanden dastand.
„Magie“, sagte er staunend.
Ihr Atem ging noch schnell. „Nur Erdkräfte“, gab sie zurück. Da sie zu ihm auf- und ins Licht sehen musste, machte sie die grünen Augen schmal. Ihr Gesicht war schweißnass und angespannt, aber sie lächelte. „Sonst hätte seine Axt mich wohl getroffen.“ Dann verschwand ihr Lächeln. „Deine Augen“, sagte sie. „Hast du Fieber?“
Ein leises Grauen streifte Urel. „Nein“, er fuhr sich mit der Rechten über das Gesicht. „Nein, das nicht.“
Marej schaute nach allen Seiten. „Es sieht so aus, als wäre es vorbei. Wie viele Gegner hast du getötet?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er. Die Glut des Kampfes wärmte ihn noch, aber nicht genug, dass er sie nicht wieder gespürt hätte: die kalte Woge der Angst.
Sorge zuckte über die glatten Züge der Druidin. „Ich mag mich auch täuschen, Barbar“, sagte sie „aber bist du sicher, dass wirklich alle Dämonen der vergangenen Tage tot sind?“
Wortlos schaute er in ihre hellen Augen, und es war eigenartig, wie wenig ihn störte, was sie vielleicht sah, und wie ihn das tröstete. Sein Schweigen wurde mit keinem Nachhaken unterbrochen, sie ließ es bestehen, in der sonderlichen Vertrautheit ihres geteilten Augenblicks.
Dann lächelte sie wieder. „Das Zurückschauen ist offenbar für uns beide mit Leid verbunden. Daher lass uns weitergehen.“ Mit dem nächsten Satz verschwand sogar der Rest des Zitterns, das die sich selber Mut Zusprechenden verrät, aus ihrer Stimme und wich einem fast neckischen Tonfall. „Es wurde wohl höchste Zeit, dass jemand auf dich aufpasst, Barbar.“
Auf dem Rückweg zu den Anderen betrachtete Urel die junge Druidin von hinten, zu nachdenklich, um leichten Herzens zu sein, doch lächelnd wie zuvor schon einmal. Er wusste nicht, wer sie war. Nur, dass er sie sah wie keine andere Frau zuvor, und dass die dunkle Woge der Angst sich vor ihr zurückzog.
Drei Tage später erreichten sie ein Dorf, eine Niederlassung gewöhnlicher Siedler, die sich mit clanlosen Barbaren vermischt hatten.
Hier verbrachten sie eine Nacht.
Die Menschen waren freundlich, aber vorsichtig. Seit Wochen schon hatten sie, tief beunruhigt durch die widersprüchlichen Berichte aus den umliegenden Gegenden, Wachen aufgestellt, erzählten sie. Es mochte Bostacs offene Art sein, die den derben Bauern und Jägern das Maß an Vertrauen einflößte, das ihre ursprüngliche Gastfreundschaft wieder zum Vorschein brachte. An den Herdfeuern aber hörten die durchreisenden Krieger vieles, das von einer tiefverwurzelten Unruhe bei den Menschen kündete – deren Grund diese, und das war für die Zuhörenden das Gespenstische, nicht nennen konnten.
Dauerhaft fette Jahre hatte es hier selten gegeben. Die Siedler waren gewöhnt an Entbehrungen, an vorbeiziehende Stämme und Fremde, von denen jeder das fast schutzlose Dorf bedrohen konnte. Sie waren aufgewachsen mit der Weite der Wälder und den Legenden schlimmerer und niemals sicher vergangener Zeiten.
Aber jetzt kam es vor, dass die Waldfinsternis ihnen Furcht einjagte, dass ihnen ihre eigene Angst Trugbilder schickte, im Wachen wie im Schlafen, und nur den festen Gemütern ihrer Obersten war es zu verdanken, dass sich die alte Scheu vor den Druiden nicht wieder in wilde Verfolgungen von Einsiedlern oder Familien verwandeln konnte, die angeblich druidisches Blut hatten.
Sie schliefen mit den Waffen in Reichweite, doch selbst nach ruhigen Nächten wachten sie bekümmert und wenig ausgeruht auf. Alpträume plagten Viele, gestaltlose Ängste, die man sonst nur den Kranken und den Kindern zuschrieb. Kaum jemand sang noch bei der Arbeit. Düsterer, unter der Düsterkeit leidend und darum reizbarer, gingen sie in den Frühling und Sommer.
Es ist unsere leichteste Jahreszeit, hatte ein Alter am Feuer in das lange Schweigen nach den Begrüßungsreden gemurmelt. Urel und die Anderen hatten ihn angesehen, Bedauern fühlend vor der namenlosen Bedrückung der Menschen hier, doch die Dörfler hatten die Augen zum Boden gerichtet. Fast, als schämten sie sich, ganz wie Menschen, die sich krank fühlen, aber keine sichtbaren Symptome vorweisen können.
Dieser Sommer aber naht ohne Leichtigkeit. Es gab, sagen Berichte aus längst vergangenen Tagen – aus den Tagen des letzten Königs – schon einmal solch einen Sommer. Stille war eingetreten, aber alle am Feuer hatten gewusst, dass der Alte von den Jahrhunderte zurückliegenden Dämonenkriegen gesprochen hatte.
Auch das vergangene Jahr unter den Schrecken der großen Übel war eine Zeit des Unfriedens gewesen, die Menschen damals jedoch geeinter, schien es.
Urel hatte ab hier nicht mehr zugehört. Er wollte nicht an das vorige Jahr denken. Er musste den Blick nach vorn richten, um weitergehen zu können, froh, dass ihm dies schon eine Winzigkeit leichter fiel.
Und im Dorf gab es einen Schmied.
Am Morgen des Weiterzuges betrat er dessen Hütte.
Die Dorfleute hatten gehört, dass der weiter südlich lebende Eisenclan in letzter Zeit häufiger Männer aus dem Süden kontaktierte, Städter, wie es hieß. Auch hierher wollten diese kommen.
Urel ahnte, dass er vorbereitet sein musste. Sein altes Kurzschwert löste er ein, da er wenig Geld besaß, auch wenn es ihn schmerzte, die vielerprobte Waffe aus der Hand zu geben.
Als er nach einer ganzen Weile vor die Tür der Schmiedehütte trat, fand er Marej draußen auf einem Stein sitzend.
Langsam, die Augen weit geöffnet, stand sie auf.
Der junge Barbar bewegte probehalber seine neue Ausrüstung und zweifelte, ob der Ausdruck auf Marejs Gesicht ihm gefiel. Sie sah beeindruckt aus, doch eher erschreckt als erfreut. „Nun fehlt nur noch dein Helm“, sagte sie leise und besah ihn von oben bis unten.
Eine eisenbeschlagene Pavese hing von seiner linken Körperhälfte, und als er den Arm von sich weghielt, sah sie die Konstruktion aus Eisenbändern und Lederriemen, die, einmal geschlossen, den Schild an seinen Armstumpf band – so fest, dass keine Macht der Welt ihn im Kampf herunterbringen würde, es sei denn, sie risse den Arm mit ab. Wuchtiger noch als der Schild war das Schwert, das er neben sich aufgestützt hatte: ein riesiger Zweihänder, lang genug, um Marej bis zur Schulter zu reichen. Dank seiner ungeheuren Körperkraft konnte der junge Barbar mit einer Hand schwingen, was vielen Männern mit zweien schon zu schwer war.
Reglos standen sie da. Urel lächelte nicht. Er sah fremd aus und fühlte sich fremd, aber das Gewicht der neuen Ausrüstung strahlte Sicherheit aus, und offen, beinahe flehentlich, hielt er mit seinen die Augen der Druidin fest. Dann stellte er das Schwert gegen sich und langte nach seinem Beutel, um den Helm hervorzuholen.
„Nicht.“ Marej hob die Hand. Mit der anderen zog sie den Fellmantel fester um sich zusammen. „Setz ihn nicht auf, bitte.“
Eine Geste lud ihn ein, neben sie zu treten, und gemeinsam, schweigend, gingen sie zur Dorfmitte hinunter, wo der Verband auf den Aufbruch wartete.
In einer der folgenden Nächte erwachte Urel aus leichtem Schlaf.
Bis auf schwachen Feuerschein war es finster und ruhig. Er setzte sich auf.
Überall in der Dunkelheit lagen Männer, schnarchend, halb sichtbar im orangefarbenen Schimmer knackender Äste. Es waren mittlerweile fast doppelt so viele wie bei ihrem Aufbruch – Männer aus dem Dorf hatten sich angeschlossen, sehr junge zumeist, und dazu einige abenteuerliche Gestalten aus den Wäldern.
Am Lagerfeuer, das etwas abseits brannte, saß Marej. Der ältere, wortkarge Druide, ihr oftmaliger Begleiter, lag nahebei, schlief aber fest.
Zögernd näherte Urel sich dem Feuer.
Die Druidin löste den Blick vom tanzenden Eigenleben der Flammen, langsam, als habe sie nicht schon längst die erste Bewegung an seiner Bettstatt bemerkt. Sie sah zu, wie er in den Lichtkreis des Feuers trat und sich dann unsicher niederließ. Er war der größte Mann, dem sie je begegnet war, ein Hüne mit beinahe grotesk breiten Schultern und groben, regelmäßigen Zügen. Mit einem kaum geschützten Arm hatte er ihre Keule aufgehalten, und weder seine bedächtige Art noch seine Scheu konnten über seine Gefährlichkeit hinwegtäuschen. Er hatte etwas an sich, das sie rührte, vielleicht um so mehr, da sein ursprüngliches Wesen unter einer Veränderung zu leiden schien, die selbst halb Fremde wie sie ohne viel Mühe sehen konnten.
Erst als er eine Zeitlang dagesessen hatte, wagte Urel, den Blick zu heben. Marej schaute wieder ins Feuer, und er konnte sie ungestört beobachten, erleichtert, dass sie seine Gegenwart nicht missbilligte.
Ihr Gesicht war herzförmig, voll und kräftig wie ihre gesamte Gestalt, der seine Augen unter dem Fellmantel verstohlen nachgespürt hatten – seit ihrer ersten Begegnung, wurde ihm bewusst. Das hüftlange lockige Haar, das beinahe dieselbe Farbe hatte wie ihre Haut, trug sie meist offen. Nur wenn sie lange Strecken lief, geschmeidig und sicheren Schrittes wie alle Druiden, pflegte sie es hochzubinden.
Sie zeigte ihr wahres Selbst nicht frei, ahnte er, denn die Reise musste sie ebenso bedrücken wie alle Anderen, und ihr Geschlecht war unter einer halben Hundertschaft von Männern kein geringes Problem. Daher, hatte er beobachtet, nahm sie sich zurück, hielt die Augen viel gesenkt, sich selbst am Rand der Gruppe und ihren Körper unter dem Fellmantel verborgen.
Seine früheren Weggefährtinnen waren ansehnliche Frauen gewesen, jede für sich durch Erscheinung oder Wesensart, oder beides. Sie aber ließ ihn als Einzige nicht mehr los, und der empfundene Respekt bereitete ihm erstmalig Kopfzerbrechen, da er heimlich nicht wünschte, dass es dabei allein bleiben solle.
Als sie zu ihm hinübersah, war ihr Blick traurig. „Ich schätze deine Rücksicht, Barbar“, sagte sie leise „aber ich bin froh, nicht länger allein hier zu sitzen.“
Sie sieht in mein Inneres, als sei ich aus Glas, dachte Urel und brummte eine unbeholfene Erwiderung.
Daran muss ich mich wohl gewöhnen.
Gemeinsam blickten sie nach Süden.
Ihr Nachtlager lag an einem bewaldeten Hang. Sie hatten dichten Forst im Rücken, aber freie Sicht auf abfallendes Land, das sich im Mondlicht ausbreitete und fortsetzte, immer weiter in die Nacht hinein. Die ganze Welt schien zu schlafen.
„Ich bin nie so weit südlich gewesen“, kam es aus Marejs Richtung. „Irgendwo dort unten endet der Wald.“
Und was mache ich dann?, fügte ihr Gesicht stumm hinzu.
„Das Land ist dort offener“, hörte Urel sich tastend sagen. „Weite Ebenen, Felder, die jetzt braun sind. Im Sommer werden sie gelb sein. Viel Marschland gibt es auch, und Weiler mit kleinen Klöstern. Ich kenne die Gegend gut.“
Sie schwiegen wieder, die Druidin hinüberblickend, als sehe sie sein Gesicht das erste Mal richtig und fände es angenehm, er verstummt, weil er an die Ereignisse vor einem Jahr dachte. Das Feuer knackte, ringsum atmeten die Schlafenden.
Als Marej wieder sprach, schreckte der Klang ihrer Stimme Urel auf. Vielleicht hatte auch ihre Tapferkeit irgendwo ein Ende. „Eigentlich liebe ich die Nacht“, begann sie zitternd, zusammengekauert unter dem Mantel. „Aber seit Tagen habe ich nur Angst. Die Erde schweigt wie vor einem großen Sturm, und ich weiß nicht, ob ich recht daran getan habe, mitzugehen.“ Steif blickte sie nach vorn. „Ich habe Angst um mein Dorf, Urel. Vor Stunden träumte ich, ich kehrte zurück, und es wären nur noch schwarze Brandruinen da.“
Die Zerrissenheit der Stärksten hatte ihn immer am meisten berührt.
Deshalb vielleicht, oder weil sein Inneres kühner war als jede an Zurückhaltung und Fremdheit angelehnte Scheu, oder auch, weil kleine Gesten alles waren, was Menschen wie ihnen in Zeiten der Entwurzelung noch blieb, hob Urel zaghaft die Rechte. Vielleicht auch, weil sie seinen Namen gesagt hatte und das kein Zufall war, und sie ihn nicht ansah wie einen Krüppel. Durch den eingefrorenen Augenblick hindurch, flach atmend, berührte er die Locken an ihrem Hinterkopf. Es fühlte sich besser an als Samt.
Dann strich er, sehr vorsichtig, mit der Hand, mit dem Zeigefinger nur, die matt schimmernde Schläfe hinab und über ihre Wange. Was seine Hand führte, wusste er nicht, und sah sie die Augen schließen.
„Der Furcht können wir nicht entrinnen“, sagte er „aber wenigstens sind wir nicht allein.“ Er nahm die Hand weg und begegnete ihrem Blick, in dem etwas schwer Lesbares die Angst verdrängt hatte. „Das wollte ich tun, seit ich dich das erste Mal sah“, brachte er noch über die Lippen. Seine Stimme war rau.
Ohne einen klaren Gedanken stand er auf. Ihrer beider Wünsche zur guten Nacht kamen wie durch einen dicken Teppich zu ihm.
Übergangslos, oder auch nicht, lag er wieder unter seiner Decke. Wenn sie hinterherkam, würde Platz für sie darunter sein. Doch als sie in den zeitlosen Augenblicken, in denen er lange um Schlaf rang, nicht kam, war er seltsam froh. Ohne sie zu kennen, ahnte er, dass die Duldung seiner Berührung und mehr noch ihrer beider wunderliche Vertrautheit ihn sich sicherer fühlen lassen konnte als ein hastiges, verzweifeltes Liebesspiel ohne Bedacht.
Als der Mond unterging, erlosch auch das Feuer.
Nach einer weiteren Woche begannen die felsigen Bergwälder und Hochebenen in langgestreckte Fußhügel überzugehen.
Der Verbund kam in das dünn bewaldete Nordland der Westmarschen. Die Zahl seiner Männer war inzwischen auf fast Hundert angewachsen. Weitere Barbaren kleinerer Stämme hatten sich angeschlossen, aber auch einige kräftige Siedler und Druiden, unter denen sich sogar zwei Schamanen befanden.
Wo der Zuwachs sie ermutigte, versetzte die Lage der Gebiete ringsum die Männer in Sorge. Seit dem Kampf gegen die Rotwaldclanbarbaren war es ihnen gelungen, ohne größere Zwischenfälle voranzukommen, doch sie mussten allerorts und bei jedem Menschen, dem sie begegneten, vorsichtig mit Worten und Taten sein. Mindestens zwei der größten Clans gehörten erwiesenermaßen zu dem Teil der Barbaren, der sich gegen Zusicherung seiner Vorherrschaft im Hochland neben Fadraîs stellte. Sie lebten in diesen Gebieten.
Jede ferne fremde Gestalt auf einem Hügelkamm konnte ein feindlicher Späher sein.
Noch unbehaglicher stimmte sie allerdings die Ahnung, dass ihre Belange in der Westmarsch kein Gehör finden würden.
Die Vorbereitungen zur Neuordnung des Hochlandes waren weit älter als ihrer aller gemeinsame Beunruhigung, vermuteten sie, und auch, dass sich hinter den eigenartigen Zielen, die sie sich nur vage vorstellen konnten, selbst auf rein taktischer Ebene ein gewaltiger Plan verbarg. Ein Plan immenser Größe und Bedeutung. Gegen ihn –
was auch immer er war – und selbst nur gegen sein Gespenst, das ihnen entgegenwehte, mutete ihr Aufstand klein und überstürzt an.
So zogen sie langsam südwärts, und die Stimmung war ernst.
Urel fühlte, wie sie ihn mitzog.
Die Welt ringsum sah ihm windig und unheilvoll aus, ohne dass er hätte sagen können, was ihm die meist sonnigen Tage und weiten Landstriche verdüsterte. Nachts suchten ihn jetzt häufiger und häufiger Träume heim, die ihn an einen roten, finsteren Tag gemahnten, den er tief in sein Inneres verbannt hatte. Es war ein namenloser, dauerhafter Schrecken, der von diesen Träumen zurückblieb.
Stand er morgens auf, packte ihn immer öfter eine verbissene, ingrimmige Wut ohne Ziel und Zweck, wie er sie nie gekannt hatte. Sie presste ihm die Kiefer zusammen, und er ging dem Zug manches Mal ungeduldig voraus, obwohl Eile ihnen gar nichts half.
Lichtere Momente wurden von der Gesellschaft der Barbaren beherrscht, Bostac, der ein guter Anführer geworden war, Malic mit seinem breiten Gesicht, und von Marej.
Sie lief ihm oft mit kräftigen Schritten nach, wenn er abseits ging, und dann gingen sie nebeneinander her. Seit der Nacht ihrer ersten Berührung suchten sie hier, abseits von den Männern, die Nähe des Anderen.
Eines Mittags, auf von Sonnenflecken überfluteter Ebene, sprachen sie miteinander, und nicht in ihren Worten, aber in der ganzen Stimmung ringsumher war etwas Leichtes, das Urel ermunterte. Marej pflegte ihn aufzuziehen, in einer offenen, neckischen Art, die ihm an einer Weggefährtin neu war. Sie enthielt keine Anzüglichkeiten, aber dafür, war er sich sicher, versteckte Aufforderungen und die freimütig gegebene Erlaubnis, Grenzen zu überschreiten.
Der Wind ließ das Haar der jungen Frau fliegen, und ihr mit einem Scherz kommendes Lachen stand allein und hell vor allen Widrigkeiten der Tage. Lange, von der Seite, sah er ihr hingerissen zu.
Nur die Tatsache, dass in Sichtweite die Krieger des Verbundes marschierten, hielt ihn davon ab, sie wider die verbliebene Unsicherheit an sich zu ziehen, um herauszufinden, wie ihr Haar roch oder ihre Haut, oder wie sein schwerer Herzschlag sich weiter vertiefen würde, wenn sie ihn berührte.
Ihrer beider Spuren im Gras liefen eine neben der anderen.
So war es auch, als der Verbund auf den Eisenclan traf.
Durch die scharfen Sinne der Druiden schon eine Weile in halbe Alarmbereitschaft versetzt, sahen die Männer, zunächst lautlos, eine breite Reihe von Gestalten aus dem Grasland unterhalb ihrer Position auftauchen.
Sie befanden sich auf welligen Hängen mit hohem Gras und wenigen Birken.
Von vorn hörte man Bostacs Gebrüll, dann kam er zurückgerannt. „Der Eisenclan!“ Ein Ruck erfasste den Verbund und trieb ihn zusammen. Im Schleifen gezogener Waffen brachten sich die Schwächeren, so die Schamanen und einige sehr junge Siedlerburschen, weiter hinten in Sicherheit, wie es abgesprochen war. Die Front zog sich zusammen.
Auch unterhalb wurde gebrüllt – der Feind bereitete sich vor.
„Bleib dicht bei mir, und flieh, wenn sie dir zu nahe kommen.“ Urel legte eine Hand auf Marejs ungepanzerte Schulter. „Das sind Gegner anderer Art.“ Der Wind wehte durch ihr langes Haar und seine Zopfquaste.
Die Gegner waren mittlerweile näher herangekommen, und die nun sichtbare Erscheinung der feindlichen Krieger rief ringsum Unruhe und Zähneknirschen hervor.
Es waren Eisenclanbarbaren, ihnen zahlenmäßig etwa ebenbürtig und an den zur Hälfte weiß bemalten Gesichtern erkennbar. Doch sie waren nicht wie gewöhnliche Barbaren gerüstet.
Bul-Kathos, lass uns diesen Kampf überstehen.
Der Name des Clans traf nun zu. Eisenrüstungen, wuchtige Plattenpanzer, hingen um die Hünen, ein grauer, matter Wall. Kein Clan besaß solches Rüstzeug, erst recht nicht für so viele Männer. Es musste aus anderen Händen stammen. Die bloßen Köpfe standen hell über den stampfenden Leibern, die sich zu ihnen hinaufbewegten. Weiße Farbe war auch über Dutzende neuer Schilde verstrichen, und als die Eisenclanbarbaren im Gehen rhythmisch ihre Waffen gegen das Schutzmetall hämmerten, hob über dem winddurchstrichenen Gras ein Dröhnen an.
Kurz standen die Männer des Verbundes wie erstarrt, in erstickender Angst, ihr Weg werde an diesem Widerstand enden. Es würde keine Verhandlung geben, kein Wort, keine Klärung.
Der Lärm der entgegenkommenden Feinde war ohrenbetäubend.
Urel sah Marej an. In ihren Augen las er, wie sein Gesicht sich veränderte – zu einer Fratze des Krieges vielleicht.
Bedauern und Sehnsucht nach einer anderen Zeit blühten kurz schmerzhaft auf, dann warf sich mit seinem eigenen Schlachtruf die Blindheit des Kriegers über ihn und riss ihn fort.
Nur durch einen Nebel gewahrte er, dass die Druidin ihm folgte.
Als Urel wieder zu sich kam, kniete er im Gras, auf den an seinem Körper befestigten Schild gestützt.
Mit wirrem Kopf sah er sich um. Erschöpfung musste ihn hier heruntergezogen haben, und das konnte nur bedeuten, dass der Kampf vorüber war.
Marej stand nahebei. Ihr Haar war ein Filter vor dem Himmel und der Sonne. Blut fleckte den Boden, wo sie ihre Keule aufgestützt hatte, die sie mit einer wunden Hand hielt – wund vom Zuschlagen und der Reibung des Holzes.
Bei den Ahnen, sie lebt noch. Aber ich – wo war ich?
Er konnte sich kaum an etwas erinnern.
Marejs Stimme, während sie erschöpft zusah, wie er langsam auf die Füße kam, lichtete das Dunkel und verstärkte zugleich das Unbehagen in seinen Eingeweiden. „Es war nicht leicht, dir zu folgen.“
Urel blickte an sich herunter. Auf dem neuen Schild und der langen Klinge hatte Blut alles mit einer öligen Schicht überzogen und wirre, versprühte Muster gezeichnet.
„Du hast gekämpft wie...“ Die Druidin brach ab. Dann, fortfahrend, sprach sie nicht mehr von ihm, aber beide wussten, dass sie ihn meinte. „Es heißt bei meinem Volk, dass... sowohl wir als auch unsere alten Brüder manchmal Krieger in unserer Mitte haben, die von den Geistern des Kämpfens vereinnahmt werden. Sie finden nicht mehr zurück. Wolfskindern gelingt die Rückverwandlung nicht mehr, und... auch unter den Barbaren gibt es solche Krieger, sagt man. Gute Menschen, aber ihre Seele geht verloren.
Man nennt sie Berserker.“
Es war schwer zu sagen, ob Angst, Sorge oder etwas wie Ehrfurcht in ihrer Stimme überwog.
Wortlos nahm Urel den Helm ab und ließ den Blick wandern.
Männer gingen überall auf den welligen Hängen durchs Gras, hier und dort zu Gruppen zusammengewürfelt, die sich über Verwundete beugten. Erschlagene lagen herum, leblose Körper, fallengelassene Waffen und Bruchstücke von Holzschilden.
Ferner sah der junge Barbar die beiden druidischen Schamanen, einer selbst hinkend, zu einem schreienden Verwundeten eilen. Überschlagend, zählte Urel etwa siebzig Stehende. Keiner von ihnen hatte den Kopf weiß bemalt. Irgendwie, dank ihrer doch größeren Zahl vielleicht, musste es ihnen gelungen sein, den Eisenclan zu vertreiben. Bei genauerem Hinsehen entdeckte er schwelende Flecke im Gras.
Die Schamanen.
Dann erst, aber immer noch unfähig, auf ihre versteckte Andeutung etwas zu erwidern –
weil ich selbst nicht weiß, was geschieht, und weil mir nicht mehr klar ist, ob ich es verhindern kann und will – wandte Urel der Druidin wieder das Gesicht zu. Schweigen umgab sie, die hilflose Erkenntnis, dass Worte die steigende Bangigkeit nicht fassen konnten.
„Komm“, sagte Urel schließlich tonlos, dann, wärmer: „Lass uns sehen, wo wir helfen können.“
Sie nickte mit blassen Lippen. Sie war gewiss nicht zimperlich, aber die grausigen Hinterlassenschaften einer offenen Schlacht mussten ein neues Bild für sie sein.
Aus dem Gemenge Umherstehender löste sich bei ihrem Näherkommen Bostac heraus. Er winkte sie heran, kraftlos und schwer.
Im Gras lag Malic.
Die Lippen voller Blut, war sein ruhevolles Gesicht im Schmerz erstarrt, weggerissen zu werden von einer Welt, für die er noch nicht genug getan zu haben geglaubt hatte, und dies war das Entsetzlichste an seiner toten Gestalt. Ringsum war von der tiefen Grasnarbe nicht mehr viel übrig als ein bis zur Unkenntlichkeit zertretenes Gemenge aus bleichen Halmen und Blut.
„Malic...“ Während Marej mit einem leisen Klageruf neben dem gefällten Krieger in die Knie ging, suchte Urel Bostacs Blick. Es würgte ihn in der Kehle. Bostac hatte Tränen um den schweigsamen, älteren Vertrauten vergossen und verbarg ihre Spuren nicht, aber er selbst konnte nichts tun außer zu fühlen, wie die Trauer sich nach innen richtete und mit dem scharfzackigen, glutroten Ball aus wachsender Wut verschmolz, der ihn weder Kälte noch Ermattung richtig spüren ließ.
„Es sind viele Eisenclanmänner entkommen“, sagte Bostac. „Sie werden gewiss bis zu ihren Siedlungen oder Fadraîs durchkommen. Was uns erwartet, wissen die Ahnen.“
Mit gesenkten Köpfen umstanden sie den Toten.
Ein Ruf scheuchte sie auf. Vom Rand des zertrampelten Areals näherte sich ein Mann – unbekannt, mit wehendem Haar, und von Norden. Die Druiden indes schienen ihn einordnen zu können. „Ein Späher aus dem Rotwaldbereich“. Marej richtete sich auf und machte ihren zwei männlichen Begleitern Zeichen.
Etwas abseits nahm sie den völlig erschöpften Ankömmling in Empfang. Schweißnasses Haar hing um ein ausgemergeltes, fiebriges Gesicht, von dem lange Speichelfäden bis auf die Brust hinuntertroffen. Nach einer hastigen Unterredung ließ der Druide sich ins Gras sinken, unbeeindruckt von dem Schmutz und Blut der Schlacht, in dem er zu sitzen kam.
„Euch folgen weitere Verbände“, berichtete die Druidin Urel und Bostac. „In den Wäldern sind die Clans unserer Gegner nun aufgebrochen, scheint es, und ziehen gegen alle Siedlungen. Alle Männer, die man entbehren konnte, folgen uns, weil es heißt, dass von Süden die größere Gefahr droht. Unsere Läufer haben verbreitet, was in unserem Dorf geschah. Es herrscht Chaos.
Uns müssen mehrere hundert Barbaren auf den Fersen sein, die hoffen, sich uns anschließen zu können.“
Sie kamen überein, unweit des Schlachtfeldes ein Lager aufzuschlagen, mitten in der windigen, ungeschützten Weite des Landes. Der zahlreichen schwer Verwundeten wegen ging es nicht anders.
Es war gleich, wie unsicher das Land unter ihren Füßen war. Es erhob sich, fühlten sie in den müden Stunden desselben Tages, zwischen todwunden Gefährten und den verstörenden, sacht mit Hoffnungen lockenden Nachrichten ihrer meist kaum gekannten Verbündeten.
Weiter südlich, brachten Späher am Tagesende Kunde, wanderten Gruppen von Menschen über die Ebene, nicht zahlreich genug indes für Heere. Flüchtlinge? Feindliche Kundschafter? Orientierungslose Reisende, die den beginnenden Unruhen zu entgehen hofften? Niemand wusste es, und am Horizont konnte jeder Staubschleier, jede unbekannte Form im Licht der sinkenden Sonne Vorbote neuer Bedrohungen sein.
Riesig öffnete sich der Süden unter ihnen, einstmals nicht mehr als ein entferntes Ordensgebiet, das sie wenig gekümmert hatte, und dahinter, ferner noch, lag ein sagenhaftes Land sonnenüberglühter Städte und Wüsten. Nun sahen sie in diese Richtung und erschauerten in Verlorenheit und bösen Vorahnungen.
Es war in dieser Nacht, dass Marej unter seine Decke kam, und Urel liebte sie behutsam, vor jedem falschen, nichtssagenden Wort zurückschreckend, dankbar, dass in all der Ungewissheit ihnen beiden vergönnt war, hingerissen, ehrlich und wenigstens hierin frei zu sein. Zwischen den Wachfeuern und den Geräuschen und Gerüchen eines Kriegslagers hielten sie sich aneinander fest und lauschten auf den schweren Atem des Anderen, bis er sich schließlich beruhigte und für einige Stunden die Verzweiflung und die Last des schon Erlebten mit sich nahm.
Mit der Morgendämmerung würde die Angst wiederkehren, und mit ihr Vieles, das sich nicht so leicht in ein leises Lachen und ein tastendes Wort fassen ließ wie ihrer beider Zusammenfinden im Dunkel der Nacht.
Gemeinsam mit den Verwundeten wachten sie und sahen zu, wie das graue, rosig durchleuchtete Zwielicht den Aufgang der Sonne aus der Richtung eines endlos fernen Kontinents ankündigte.