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[Story] Saqqara

selten hast du auf ein post von mir nach deinem up so lange warten müssen wie dieses mal.

ich hatte einfach keine zeit, das up zu lesen und so klasse lektüre will man nicht zwischen tür und angel verschlingen. das up ist, so finde ich, superklasse und ich habe es förmlich verschlungen. das gespräch zwischen hadan und urel ist wie schon oben gesagt herausragend aus dem kapitel. auch sehr gut gefallen hat mir die beschreibung der ankunft in lut gholein.

ich bin gespannt aufs nächste kapitel und werde das dann sicher schneller lesen.

Gruß, Helldog

p.s.: ich muss mich übrigens noch bei dir bedanken. du hast mich mit deiner schreibkunst dazu gebracht mich in diesem forum anzumelden. hier habe ich inzwischen viele nette leute kennengelern, wenn bisher auch nur virtuell, und vieles gelernt. DANKE!!!!!
 
@Scampi, doedl: ich hab die angesprochene Stelle geändert.
@Helldog: nichts zu danken :)
@tigerle: :kiss:



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XXXIX. Befestigungen






„Versteht mich nicht falsch, Fremde.“ Der Mann legte die waffenlose Rechte flüchtig an die Stirn, sah durch den Gruß seiner Heimat aber scharf auf die Menschenmenge vor sich. „Unser Herr muss sich des guten Willens aller Neuankömmlinge versichern.“
„Gewiss.“ Der junge Barbar, der vor ihm stand, reichte nahezu bis an den Widerrist des Kamels hinauf, auf dem die Stadtwache saß. Obwohl er sich nicht bewegte und ruhig wartete, schien er dem Reiter Angst einzuflößen. Aber das mochte auch an dem Heer von Köpfen liegen, die sich ein Stück hinter ihm versammelt hatten, oder an seinen abenteuerlichen Begleitern.
Bemüht, sich von der Nähe der Stadt und dem Treiben vor ihren Mauern nicht ablenken zu lassen, harrte Eya zusammen mit den Anderen der Entscheidung, die man über den Kriegszug treffen würde. Sie, Hadan, Ifrah, Menrad, Bostac und ein weiterer Anführer der Barbaren, Herlac, der oftmals nur ‚der Große’ genannt wurde, standen dicht bei Urel, der mit dem Vertreter Lut Gholeins verhandelte.
„Wie viele seid ihr? Zweihundert?“ Der Mann sandte einen Blick über die gewaltige Schar hin, die ins Tal heruntergekommen war wie eine gerüstete Flut. Er trug weiße Leinensachen und hatte einen Säbel am Gürtel, der steif über die Flanke seines Kamels hinausragte. Hager und sehr dunkel, beherrscht von blitzenden Augen, hob sich sein bärtiges Gesicht von Kleidung und Hintergrund ab.
Sie hörte Urel ihm die Zahl der Männer nennen.
Der andere Reiter, der bisher geschwiegen und sich darauf beschränkt hatte, die Nordmänner anzustarren, als handele es sich bei ihnen um eine unerwartete, aber nun zu einem bloßen weiteren Ärgernis werdende Gruppe von Banditen, machte ein abfälliges Geräusch. Er lehnte sich aus seinem Sattel weit zu seinem Begleiter hinüber und zischte einige Worte in Djâddh, ohne sich darum zu kümmern, ob man ihn auch hier hörte und verstand oder nicht.
Eyas Gehör passte sich der kehligen, zugleich scharfen Sprache rascher an, als sie erwartet hatte. Sie sprach Djâddh nicht so gut wie Hadan, geschweige denn wie Ifrah, doch es langte hin. Der zweite Reiter tat unmissverständlich sein Misstrauen kund, und die Ausdrücke, derer er sich bediente, schmeichelten den Gefährten nicht sonderlich.
Wie in Kurast schien sich die Gewohnheit, die Gemeinsame Sprache zu benutzen, zu verlieren. Auch das treibt die Menschen jetzt auseinander, dachte die Assassine vage, die Ohren gespitzt, die schwarzen Augen stolz gegen jede Beleidigung starr auf den Sprecher geheftet.
Der erste Wächter indes hatte offenbar andere Ansichten, was die Höflichkeit Fremden gegenüber betraf.
„Halt deine Zunge im Zaum, Hakem“, gab er unterdrückt, aber heftig gegen seinen Begleiter zurück. „Vergisst du das Gebot der Gastfreundschaft? Solange sie sich ruhig verhalten, steht ihrem Bleiben nichts entgegen.“ Der Andere ließ sich zurechtweisen, doch mit unverändert höhnischem Ausdruck wieder in seinen Sattel fallen, während der Erste wieder zum Sandhaîn zurückkehrte.
„Ihr seid nicht eben Wenige“, er richtete die Augen erneut auf Urel, der den Wortwechsel ungerührt verfolgt hatte. „Händler seid ihr wohl kaum, was?“ Er zeigte strahlend weiße Zähne. „Sucht euch meinetwegen einen Platz nahe der Mauern oder irgendwo in der Ebene. Der Fürst wird entschieden, ob ihr länger bleiben dürft. Es sind unruhige Zeiten.“
Halb erwartete Eya, Urel werde äußern, dass der Fürst ihnen keinesfalls unbekannt war, aber er blieb stumm und nickte. Es war auch klüger. Unnötig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, würde ihnen hier draußen womöglich eher schaden als nützen.
„Sei versichert, dass wir keine Bedrohung für die Stadt darstellen.“ Ifrah stand klein neben Urel und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um zu der berittenen Wache hinaufsehen zu können.
Der Mann betrachtete die Magierin. „Worte“, sagte er, nicht einmal unfreundlich. „Aber niemand kann sich länger Fremde im eigenen Hof leisten.“ Er riss an den Zügeln seines Kamels, das unruhig mit dem schmalen Schädel schlenkerte. „Da ihr gerade erst eingetroffen seid, könnt ihr nicht wissen, was hier vor sich geht.“
Alle nah Stehenden horchten merklich auf.
Der Wachposten nickte zu der Anspannung der wartenden Menschen. „Badr möge uns mit seinem Licht nicht täuschen, es geschehen viele seltsame Dinge.“ Er schien sich daran zu erinnern, dass es nicht seine Aufgabe war, mit Unbekannten zu schwatzen, denn er straffte sich. „Hütet euch vor der tiefen Wüste, Reisende. Dort wandeln böse Geister, und viele Leute sind schon verschwunden. Niemand weiß wohin, und die Menschen reden einen Haufen Unsinn. Wenn ihr nicht in euer Unglück laufen wollt, hört nicht auf die Geschichten.“ Dass er selber davon angefangen hatte, schien dem berittenen Wachposten nicht aufzufallen.
„Wir werden niemanden bedrohen“, versicherte Urels tiefe Stimme noch einmal. Er gab kein Zeichen, dass ihn die Andeutungen interessierten.
Der Wächter stieß seinem Reittier die Fersen in den Leib. Sein Begleiter hatte das seine schon von der Gruppe fortgelenkt. „Seht zu, dass ihr euch keine Schwierigkeiten einhandelt“, rief er noch zu ihnen herüber. „Bleibt den anderen Lagern fern und legt euch nicht mit den Söldnern an. Denkt nicht im Traum daran, alle gleichzeitig in die Stadt zu kommen. Und behaltet eure Schwerter in euren Scheiden, oder die Palastwache wird euch entwaffnen.“
Nach dieser Reihe von Anweisungen ließ der Mann sein Kamel dem Begleiter hinterher traben. Der Kriegszug sah zu, wie sich die Bewaffneten dem Stadttor näherten.
„Keine Schwierigkeiten einhandeln“, brummte Hadan deutlich hörbar und schickte sich an, die wenigen Schritte zur Menge zurückzugehen.
Einige der Umstehenden regten sich erheitert. Eine Welle seltener Leichtigkeit flog durch die verdreckten, fußmüden Männer und Frauen. Eya nahm sie begierig auf, und aller Unsicherheit dieses und der kommenden Tage zum Trotz hob sich ihre Stimmung.
Sie hatten Lut Gholein erreicht. Sie waren nicht länger der Weite der Marsch oder der menschenleeren Wüste ausgeliefert. Hier gab es andere Menschen, Bewegung, Klänge und Gerüche, so überreichlich, dass es ihr davon fast schwindelte.
Die weiße Stadtmauer Lut Gholeins und die darüber sichtbaren Dächer ragten hell und nah in den Himmel. Die Assassine bemerkte einige Veränderungen: Hier und da schien die Mauer verstärkt worden zu sein. Es gab einen zweiten, etwas höheren Wall hinter dem ersten, und horchte man auf das Klanggemenge der Stadt, fielen Geräusche auf, die Stein- oder Ziegelarbeiten verrieten.
„Befestigungen.“ Hadan war neben sie getreten. Seine bleichen Augen wanderten prüfend über die Linie des Walls. Sie wusste, was er dachte.
Lut Gholein war keine mächtige Festung wie Harrogath. Es fehlte an natürlichen Zugangsbegrenzungen, an Wachtürmen, ja überhaupt an allem, was den Eindruck gemildert hätte, dass die Wüstenstadt dalag wie eine Schatzkiste auf einem riesigen Teller.
Zwar vermochten ihre Einwohner sich im Notfall innerhalb der Mauern zu verschanzen, und zu Zeiten der Großen Übel hatten sie dies auch getan. Ein Heer aber würden die alten, aus Lehm und Ziegeln und nur selten aus leichtem Stein gefertigten Befestigungen nicht aufhalten.
In welchen Größenordnungen denke ich da? Trotz der Hitze fröstelte die Assassine flüchtig. Es gab keinen Hinweis auf eine feindliche Streitmacht.
Dennoch war es vielleicht so, dass das Innere diesen Gedanken mied und diese schlimmste aller Möglichkeiten aussparen wollte, eben weil Ahnungen sich verdichteten wie am Horizont aufziehende Sturmwolken?
Mit Gewalt unterdrückte sie den Schauder.
Furcht vor dem Kommenden schwächt nur. Sie führt zu nichts.
Wenn die Herausforderung da ist, ist sie da, und das wird genug sein.

Hadan streifte ihr Gesicht mit einem Blick und ihren Nacken mit seiner Hand.
„Keine Grübeleien, Shatryindjah“, sagte er leise, ganz als habe er ihre Gedanken gelesen. „Wir sind nicht hilflos.“
Auch nahm das Heer sie Beide nun wieder in Anspruch. Erleichtert ließ sich die Assassine in die Notwendigkeiten ziehen.
Die große Schar musste einen Lagerplatz finden, mitten unter den Gruppen ringsum, deren Art und Zahl noch nicht feststand. Gleich einem Schwarm drehte das Heer aus den Mauerschatten ab und bewegte sich wieder in die bevölkerte Ebene hinein.
Überall waren Lager. In bodenlange Gewänder gekleidete Männer meist sehr dunkler Haufarbe standen umher, bis an die Zähne bewaffnet zum Teil, viele mit Turbanen oder Tüchern, die nur einen Augenschlitz freiließen. Sie reagierten ganz unterschiedlich auf die Menge der hünenhaften Barbaren. Manche blickten finster oder forschend her, nicht selten Zeichen gegen den bösen Blick schlagend, andere bauten sich in unmissverständlich warnender Art auf, sobald das Heer ihnen zu nahe kam. Doch einige zeigten auch grinsend die Zähne und nickten den Fremden aus dem hohen Norden zu.
Die Barbarenkrieger hielten sich an Urels Anweisungen, sich nicht herausfordern zu lassen, auch wenn es ihrer stolzen und oft streitsüchtigen Natur widersprechen mochte. Eya wusste, dass dauerndes Anstarren in ihren Heimatwäldern als Beleidigung galt, und wären sie unter ihresgleichen gewesen, bei einem Clantreffen, und hätte nicht das Wort ihres Kriegsherrn sie zurückgehalten, wären sie einem der stark bewaffneten Kerle am Wegesrand an die Gurgel gegangen.
Nicht wissend, ob sie sich darüber besorgen oder den kriegerischen Weggefährten nachfühlen sollte, ging Eya zwischen ihnen, sah sich wachsam um und staunte gleichzeitig.
Die halbe Welt schien hier versammelt zu sein. Zwischen den Gruppen von Nomaden mochten Geflohene sein, auch Söldner, vom unruhigen Wind hergelockt, oder Händler, die sich nicht wieder in die Wüste hinauswagten.
„Hier!“ Urel befahl den Halt. Ein weiter Platz schien noch unbesetzt. In nicht allzu großer Entfernung gab es einen Brunnen, kaum mehr als ein Loch, über das eine Zugverstrebung gebaut war.
Das Heer ließ sich nieder.
Eya half, Planen aufzustellen, die Pferde abzuladen und die Vorräte zu verteilen.
In der Nähe gingen Urel und Bostac umher, immer dieselben Anweisungen auf den Lippen: „Ruht, so gut ihr könnt, Männer. Keine Auseinandersetzungen mit den Nachbarlagern. Wir müssen warten. Wir müssen zuerst den Fürsten sprechen.“
Hier sind sie schwer gerüstete Niemande. Die Assassine verstand die Krieger. Hier weiß keiner, was sie schon erlitten oder vollbracht haben, in der Marsch und in ihrer Heimat.
Zum Warten verdammt zu sein wie Söldner verlangte den Nordmännern viel ab.
Sie stand noch mit ihrem Reisesack da, dicht einer Stelle, an der Ifrah, Marej und Menrad sich im Schatten eines Sonnenschutzes niedergesetzt hatten, um zu verschnaufen, als Hadan zu ihr kam.
Der Nekromant trug unverändert seine Rüstung, hatte aber den Kopfschutz aus dunklem Tuch abgelegt. Die Sonne schien scharf auf die Blässe seiner Züge, an der kein Licht der Welt etwas ändern würde.
„Shatryindjah.“ Mitten unter all den Menschen küsste er sie auf die Stirn. „Ich gehe auf einen der Hügel hinauf, bevor wir am späteren Tag die Stadt betreten. Willst du mich begleiten?“
„Gern.“ Sie ließ ihre Habseligkeiten bei den Gefährten.
Niemand von diesen äußerte den Wunsch, mitzugehen, sei es, weil sie die Zweisamkeit des Paares nicht stören wollten, sei es, weil sie der Müdigkeit durch den wochenlangen Marsch endlich nachgaben. Marej lag lang hingestreckt im Schatten und döste, und Menrad hatte den Kopf auf die Knie gesenkt, offenbar für eine Weile der Gegenwart der Frauen nicht abgeneigt. Ifrah hockte im Schneidersitz da und strählte ihr Haar mit einem Kamm. Sie wechselte einen warmen Blick mit Eya, bevor diese sich abwandte.
„Wir werden Urel begleiten, sobald er zu Jerhyn vorzudringen versucht“, sagte Hadan, als er die Hand der Assassine mit der seinen umschloss und nach einem Kopfnicken zu den Anderen hinüber mit ihr durch das Lager ging.
Die Erleichterung der Ankunft bewog Eya, ihrer aller Erwartungen und Bedenken vorerst zu meiden. Es würde sie früh genug wieder einholen, lange bevor Ruhe und Besinnung eintreten konnten.
Hadans Hand aber, wenngleich sie die Berührung genoss, sprach zu ihr.
Neben ihm hergehend, musste sie zwei Schritte machen, wo der große Mann einen tat, und lauschte hinein.
Er war Derselbe – der Liebende, der Gefährte seit jenem Tag am Flussufer, da sie sich einander zum ersten Mal vollkommen ausgeliefert hatten. Und doch war er es wieder nicht. Die Anwesenheit der fremden Kreatur in seinem Leib hatten sie nicht wieder erwähnt, sie beruhigt, solange er sich menschlich – und immer menschlicher – zeigte, er offenbar erfolgreich darin, die Oberhand über seinen inneren Fluch zu behalten. Mehr aber stürzte Eya in Fragen, was ihn anleitete. Was das Weitergehen betraf, tat er es aus denselben Gründen wie sie alle: Treue. Freundschaft. Liebe.
Du wirst nie ein Anführer sein. Von der Seite her sah sie verstohlen in das vertraute und doch immer rätselhafte Antlitz. Trotzdem nimmst du mit deinem Urteil großen Einfluss.
Seine Gründe entschlüsselten sich ihr nicht zur Gänze. Manche kannte oder ahnte sie, doch gerade jene, die sich mit der heimlichsten Selbsteinschätzung verbinden mussten, entzogen sich ihr. Ihr und ihren vorsichtigen Fragen.
Nahebei palavernde Nomaden lenkten die Aufmerksamkeit der Assassine ab. Die wild aussehenden Männer, die vor der Wüste nicht zurückschreckten und in ihr verborgene Wege und Gesetze erkannten, lagerten mit unendlicher Geduld in den sandigen Buchten der kleinen Ebene. Auch sie mussten ein Urvertrauen haben, eines, dass sich dem Verständnis Anderer nicht eröffnete.
In einer unwillkürlichen Regung, halb Sorge, halb Zuversicht, drückte die junge Frau die Hand ihres Begleiters, bevor sie sich voneinander lösten, da es in die felsigen Falten der Hügel hinaufging.
Der heiße Wind umspielte ihre Gesichter, als sie oben anlangten. Sie wandten sich dem Tal zu.
Lut Gholein lag unter ihnen am Meeresufer.
Sie waren allein hier oben. Nur selten bewegten sich Menschen in den Hängen, weit entfernt, Späher vielleicht oder Hirten. Gelegentlich trug der Wind das Blöken und Rülpsen von Schaf- und Kamelherden heran.
Eya atmete tief ein, als Hadan ihr Gesicht in seine Hände nahm. Diesmal beließ er es nicht bei einem Kuss auf die Stirn. Angespannt, doch befriedigt ließ sie sich in den Schatten seines Leibes ziehen. Sie schlangen die Arme umeinander, in Augenblicken wie diesem immer ein wenig miteinander kämpfend, ohne dass der Kampf ernst war oder mehr als ein stets erneut herausgezögertes Spiel, das sie der bereitwilligen Aufgabe vorausschickten.
„Hier oben?“ Hadan löste ihre Hände von seiner Rüstung, an der sie sich zu schaffen gemacht hatten.
„Du hast Recht“, gab sie mit flammenden Wangen heiser zu, widerwillig und halb beschämt.
Sie lächelten sich an.
Die Hitze und die lange, beinahe einem Rausch gleichende Erschöpfung des Marsches, die die Sinne erweiterte und dabei zu Unvorsichtigkeit abschliff, hing schwer an ihnen. Aber sie mussten warten – so wie jedes andere Paar auch.
Der Nekromant berührte ihre Wange noch einmal zärtlich, dann ließ er die Hand sinken, sichtlich widerstrebend. Seine Augen aber ließen Eya nicht los.
„Vertraust du mir, Shatryindjah?“ fragte er leise.
Sie sah zu ihm empor, hielt den Atem an, spürend, wie sich ihr Lächeln zugleich mit der Erregung verflüchtigte.
Ihr Hineinhorchen in ihn war nicht unbemerkt geblieben. Natürlich nicht. Ich hätte es wissen müssen.
Kurz, während ihre Gedanken über all das hinhasteten, was sie von ihm wusste, während sie seine merklich anwachsende Macht und seine immer häufigeren meditativen Versenkungen streiften und auch den Minotauren, und dazu, was der höchste der Nekromanten in Pundar zu seinem längst nicht mehr nur erwachsenen Untergebenen gesagt hatte, zögerte sie.
Sie zögerte und musste ihn diesem Zögern aussetzen.
Der Wind fegte ihm das Haar aus dem Gesicht, und es wartete, doch es lächelte noch immer.
Sie hob die Hand und fuhr die starke Linie seiner Wange nach.
„Ich vertraue dir“, antwortete sie kaum hörbar.
Wie kann ich das?
Wenn du bei mir liegst, wenn du mir deine Vergangenheit öffnest, wenn du um mich bist mit all deinen kleineren Sorgen und Unsicherheiten unter diesen Mauern aus Stolz und angehäuftem Wissen, dann vermag ich es.
Wenn aber hinter meinem Geliebten der Nâkyshat einer fremden Welt hervortritt und nicht einmal ein lebenslang geteilter Weg mir dein Innerstes bloßlegen würde, vermag ich es nicht.

Sie fühlte das Blut in ihren Lippen pochen. Aufrecht dastehend, wollte sie sich keinem Wind beugen, ganz gleich, woher er wehte.
Doch, ich kann es.
Eine Weile lang, der übermächtigen Sonne trotzend, standen sie noch da und prägten sich ein, wie unverhofft und angreifbar die fremdartige Wüstenstadt aus dem Meer des Sandes hervorspitzte und ihre Flachdächer dem Himmel entgegenhielt, als wolle auch sie sagen: Allen Widrigkeiten zum Trotz, hier bin ich.
Dann gingen sie wieder hinunter, langsam, denn sie wollten das seltene Alleinsein auskosten.
„Im Hafen liegen viele Segler“, bemerkte Eya, die flache Hand über den Augen.
Der die Hänge hinauffahrende Wind brachte das Salz der See mit sich. Er gemahnte an die anderen Weltteile – den Westen, den sie hinter sich gelassen hatten, und den Osten, den großen dunklen Kontinent auf der anderen Seite.
Eyas gegen die Helle zusammengekniffene Augen fanden den Nekromanten, eben als er sagte: „Ja, und es sind vielleicht auch Schiffe der östlichen Häfen darunter.“ Er sprach den Namen nicht aus. Kurast. Aber sie wusste, dass er stetig an das Schicksal der halb zerstörten, in ihrem Durcheinander zurückgelassenen Stadt dachte.
„Lass uns später auch zum Hafen gehen“, sagte sie leise, „und hören, ob es Neuigkeiten gibt.“
„Das werden wir, Shatryindjah“, Hadan bedachte sie mit einem dünnen, nachdenklichen Lächeln.
Wieder am Grund des Tals angelangt, hielten sie auf das Barbarenheer zu.
Was überall längs ihres Weges in den fremden Lagern vor sich ging, war unmöglich zu sagen. Menschen rasteten und handelten, Krieger sprachen miteinander, und man hörte sogar Musik, die eigenartig sehsuchtsvollen Klänge hiesiger Trommeln und Sackpfeifen.
Mit einem Mal hielt Hadan inne und bedeutete ihr, zu warten. Erstaunt beobachtete sie, wie der Nekromant drei fast völlig verhüllten Männern etwas abkaufte.
Er kehrte mit einer Kupferkaraffe zu ihr zurück. Ihre feine Nase roch Tee, doch darin auch etwas Anderes, sehr Starkes.
Hadan setze es an den Mund und reichte ihr das Gefäß dann. Er sah sie dabei seltsam an – eindringlich, als wolle er ihrer beider Ankunft durch ein Ritual verewigen. „Auf uns. Auf alle, die nach uns kommen, Shatryindjah.“
Sie nahm die Karaffe.
Zu ihrem Zögern bemerkte er: „Das ist Tee. Wundere dich nicht, wenn du ihn trinkst, sie tun so viel Zucker hinein, wie eben hineinpasst, und auch Dattelschnaps.“
Schon der erste, vorsichtige Schluck ließ sie husten. Nur keuchend konnte sie antworten: „Auf uns und alle, die nach uns kommen.“ Hadan lachte, und er lachte weiter, als sie das Gefäß erneut an die Lippen hob.
Dann küsste er sie wieder. Die Heiterkeit stand seltsam in aller Unrast und Ungewissheit. Eya lehnte sich zu ihm hinauf, bis er raunte: „Weiter sollten wir nicht gehen. Solche Offenheit ist hier nicht üblich.“
Es stimmte, die Wüstenkrieger sahen her, als habe die freie Zärtlichkeit der Fremden eben noch genug Anstand, dass man nicht dazwischenfahren musste. Betreten, dabei unterdrückt lachend wie Jugendliche, die sich am Rande einer Gesellschaft Älterer herumdrücken, ließen sie voneinander ab.
Doch die Reaktion der Nomaden hatte Eya auf einen Gedanken gebracht.
„Wo mögen die Frauen, die Familien dieser Leute sein?“ fragte sie, als sie weitergingen. Das Kupfergefäß hatte einer der Männer unter einem schier unverständlichen Wortschwall wieder an sich genommen.
„In der Wüste“, mutmaßte Hadan. „Irgendwo in ihren flachen Bergen.“ Er war ernst geworden. „Zumindest muss man das hoffen. Der Mann, der den Tee hergab, sagte etwas von ‚alten Geistern’ jenseits der öfter durchreisten Gebiete.“
Sinnend sahen sie sich an. Immer trat als Erstes nun die Angst vor den neuen Feinden aus den nebelhaften Ahnungen. Doch die Menschen der Wüste wussten so viel mehr als sie.
„Wir müssen Urel davon berichten“, Hadan hielt den Blick suchend auf das nahende Barbarenlager gerichtet.





„Alte Geister?“ Urel ging mit wuchtigen Schritten neben ihnen her.
Er, Hadan Eya und Ifrah bildeten den Kopf der Abordnung ihres Lagers. Menrad, Bostac und gut ein Dutzend Barbarenkrieger folgten, die Häupter ohne Helme, doch ihre Waffen sichtbar an den Seiten oder über den Rücken gebunden.
Mehr dürfen es nicht sein. Die Magierin fühlte sich klein unter den großen Männern. Mehr würden im Stadtinnern gewiss für Angst und Aufruhr sorgen.
Sie begegnete Urels braunen, forschenden Augen. Selbstverständlich wandte man sich hier an sie, ging es um das Gefüge der Wüstengesellschaft oder, wie jetzt, gar um rätselhafte Äußerungen, die auf alte Legenden hindeuteten.
„Geister“, sinnierte sie und schaute im Gehen auf ihre Stiefel. „Es gibt zahllose Mythen, und was damit gemeint ist, errate ich nicht. Man müsste mehr Leute befragen. Eins aber ist sicher: An solchem Gerede, auch wenn es nach reinem Aberglauben klingt, ist oft viel Wahres.“
„So wir können, werden wir uns in der Stadt umhören“, sagte Urel bestimmt. Kurz wirkte er ganz wie der Kriegsherr, zu dem der Lauf der Dinge in gemacht hatte: Tatkräftig, frei von Zweifeln.
„Die Befestigungen sind für jeden Ankömmling gut zu sehen“, ließ sich Menrad überraschend von hinten vernehmen. „Ich glaube nicht, dass die Menschen allzu verstockt sein werden. Wer seine Stadt sichert oder mit ansehen muss, wie sie gesichert wird, spricht gern über seine Sorgen.“
Alle Anwesenden nickten dazu.
Ifrah wurde einer leisen inneren Erleichterung gewahr. Nach Wochen stumpfen Brütens schien der Paladin aus seiner tiefsten Verzweiflung aufzuwachen. Sie hatte sich ähnlich um ihn gesorgt wie um Urel. Beiden Männern half die neue Herausforderung nun offenbar über die Auswirkungen des Krieges hinweg.
Die Magierin fasste das näherrückende Stadttor ins Auge. Breit genug für zwei oder mehr Wagen, lag es in der Westmauer, umstanden von Wachen. Wie überall trieben sich auch hier zahllose Menschen herum. Sie erkannte Vertreter mindestens dreier ihr vertrauter Nomadenstämme und verfiel in schweigendes Nachdenken.
Diese Stämme kamen nur selten aus der Wüste hinaus. Sie mieden Lut Gholein, da sie Städte nicht mochten, und näherten sich ihm für gewöhnlich nur, wenn sie Handel treiben wollten. Ihre Anwesenheit hier wies auf etwas in ihren heimischen Wadis oder Felsenunterschlüpfen hin, das sie beunruhigte und für das sie ihre uralte Verschlossenheit und Geheimniskrämerei aufzugeben bereit waren.
Kehliges Stimmengewirr, das Kollern der Kamele und Musik umlagerten das riesige Viereck der Stadt. Man hätte meinen können, die Wüste sei zu einem nie gesehenen Volksfest zusammengeströmt. Doch so ist es nicht. Im Norden herrscht Krieg, und der Schatten einer Vorahnung hängt über uns, den der blaue Himmel nicht übertünchen kann.
Lut Gholein.
Ihr Herz schlug heftiger. Weiße, schöne Geliebte des Sandes.
Ich wünschte, ich wäre früher mit Maysan häufiger hierher gekommen.
Und wir werden kommen, wenn wir überleben – du und wir.

Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als der Schatten des Stadttores über sie und ihre Begleiter fiel.
Die Wachen am Tor dienten nur der Wahrung der allgemeinen Ordnung. Nach einem scharfen Blick ließ man die Fremden passieren.
So betraten sie das Juwel des Südens.
Eine breite Straße nahm sie auf, gesäumt von meist zweistöckigen Lehmhäusern, holzgedeckt oder mit den hier üblichen Dachterrassen gebaut. Ein Menschenstrom wogte im Inneren der Stadt, selbst in den schmaleren Gassen. Buden standen, wo immer Platz im Häusergewirr war. Betäubend empfing ein Gemenge aus Gerüchen und Lärm die Ankömmlinge.
Schreiende Händler priesen ihre Waren an und feilschten mit ihren Kunden. Bewaffnete bahnten sich einen Weg durch hoch beladene Maultiere, Bettelvolk und zusammenstehende Haufen gestikulierender Einwohner. Im Schatten vorspringender Läden und selbst vor den Schänken, obwohl es erst um die Mittagszeit war, drängten sich Menschen, die der Sonne entgehen wollten.
Ifrah schaute verstohlen zu den Barbarenkriegern. Viele Passanten rempelten die Hünen unabsichtlich an, ganz wie es dem an Enge und Geschäftigkeit gewöhnten Menschenschlag hier entsprach, erschraken aber teils sehr, sobald sie sahen, wer ihnen im Gedränge über den Weg gelaufen war. Die Nordmänner ertrugen es scheinbar ungerührt, doch Ifrah wusste, es war nur, weil Urel sie ermahnt hatte, Ruhe zu bewahren.
Wie muss einem Mann aus den freien, luftigen Wäldern des Nordens dieses Gedränge erscheinen? Dankbarkeit und leise Betrübnis bewegten sie. Die Not wirft die Menschen aufeinander. Gäbe es kein gemeinsames Ziel, keine Angst, die alle betrifft, würden sie so rasch als möglich wieder auseinanderstreben, und man müsste noch froh sein, wenn es ohne Blutvergießen vor sich ginge.
Tief in Gedanken, hatte sie kaum bemerkt, dass die Gruppe langsamer wurde.
Nun verhielt sie, und Ifrahs Aufmerksamkeit wurde durch die Blicke ihrer alten Gefährten zu einem Menschen am Straßenrand gelenkt.
Es war ein alter, bärtiger Mann in einst prachtvollen, doch jetzt abgetragenen, langen Gewändern. Eben noch, vor einem kleinen Laden stehend, hatte er einen Kunden mit zittrigem Kopfnicken verabschiedet, doch jetzt wandte er sich der Gruppe zu.
Tiefliegende Augen unter schweren Lidern weiteten sich. Sie waren auf die alten Gefährten gerichtet. Der Alte griff sich mit der Linken an die Brust und erstarrte.
„Ihr.“ Selbst im Lärm ringsum war das eine Wort deutlich zu vernehmen. Reglosigkeit senkte sich in die Dastehenden. Die einzige Bewegung war ein knappes Handzeichen Urels an seine Männer, zurückzubleiben.
„Ihr, bei Badr und allen Weisen.“ Der Alte blickte Hadan an wie ein Trugbild.
„Drognan, hoher Magier.“ Der Nekromant deutete eine Verbeugung an.
Drognan. Ifrah begriff. Ihr war nur der Name vertraut. Die ursprüngliche Gruppe der Baalsmission indes musste dem Alten begegnet sein, hatte sie doch zur Befreiung der Stadt von der umherstreifenden Brut der Erzdämonen wesentlich beigetragen.
Der Greis war allen Angehörigen der Magierschulen bekannt. Viel eher ein Schriftgelehrter als ein Elementarbegabter, kämpfte er auf seine eigene Weise gegen den Niedergang der Schulen und die Bedrohungen unruhiger Zeiten. Es hieß, er wisse weit mehr über die Mythen der vergangenen Wüstenreiche und die Gesetze sich berührender Sphären, als Viele dem wackeligen Alten, den sie vor sich sah, zutrauten.
Jetzt trat er näher an die alten Gefährten heran, als könne er immer noch nicht glauben, was er sah.
„Ihr habt überlebt, oder meine Augen spielen mir einen Streich“, sagte er leise und brüchig. „Doch nicht alle.“
Ifrah gewahrte, dass die verbliebenen Drei der ehemaligen Schar die Köpfe senkten, doch sie hoben sie bald wieder, ihrerseits bewegt, einem Vertrauten in der Weite der Welt gegenüberzustehen.
„Drognan“, meldete sich Hadan wieder zu Wort, „wir kommen aus Krieg und Chaos im Osten und im mittleren Westen. Hier siehst du“, er wies auf die etwas entfernt wartenden Barbaren „einige Männer der nördlichen Wälder, derer eine ganze Streitmacht vor den Stadtmauern lagert. Wie steht es um Lut Gholein?“
Der Alte wiegte das Haupt, lange, bedenklich. Sie warteten geduldig. Man darf ihn nicht drängen, ging es der Magierin auf, und das wunderliche Gehabe Drognans erinnerte sie mit einem Mal an eine weit zurückliegende Jugend, an Jahre vor der Rückkehr in das Geschäft ihres Vaters – bevor sie sich zum Leben einer schlichten Händlerin entschlossen hatte.
„Nicht gut, nicht gut.“ Drognan betrachtete die Dastehenden. „Viel kann ich euch nicht sagen. Die alte Zeit ist verweht, und die Schriften weisen keinen Weg in die neue.“ Er sagte es halb singend, halb kummervoll. Seiner seltsamen Erscheinung zum Trotz war der erneute Blick, den er ihnen zuwarf, scharf und wissend. „Ihr wollt den Fürsten sprechen, he?“
„Das halten wir für das Richtige, Alter“, hörte Ifrah Urels tiefes Brummen. „Wird er uns empfangen?“
„Versucht es.“ Drognan hatte beide Hände um seinen Gehstab gelegt und blinzelte zu dem jungen Hünen hinauf. Plötzlich schien ihn Eile zu treiben. „Geht nur, geht. Versucht es.“ Eine magere Hand winkte sie fort. „Dann kommt wieder. Was ich weiß oder zu wissen glaube, will ich euch danach offenbaren.“
Rasch hatte er sich wieder seinem Laden zugewandt und sprach einen neuen Kunden an.
Sie fanden sich im Trubel der Straße wieder, der sie tiefer stadteinwärts zog.
„Ein seltsamer Greis“, ließ sich Bostac vernehmen. „Er sprach ganz in Rätseln, so wie es unsere Ältesten bisweilen tun.“
„Unterschätze ihn nicht.“ Hadan hatte sich im Gehen zu dem blonden Krieger umgewandt, aber er lächelte. „Wenn es jenseits des Fürstenhauses Einen gibt, mit dem wir ein Gespräch suchen sollten, so ist er es.“
„Ich wollte nicht unerbötig erscheinen“, gab Bostac zurück. Ifrah sah ihn neben den Nekromanten steuern. Aus welchem Grund auch immer, die beiden Männer mochten sich.
„Wir werden ihn später noch einmal aufsuchen“, Urel fasste die Gruppe zusammen.
So gut wie alle anderen Menschen auf den Straßen überragend, bahnten sich die Barbaren einen Weg durch die Menge.
Aufmerksam beobachteten sie das Treiben im Zentrum Lut Gholeins. Das Antlitz der Stadt hatte sich kaum verändert, doch die Menschenmassen sprachen eine deutliche Sprache. Sie waren an einem Ort, an dem sich viele versammelten, die nicht wussten, wohin.
„Faras Schmiede.“ Vor Ifrah wies Hadan Eya auf einen von niedrigen Mauern halb eingerahmten Platz hin. „Dort haben wir viel Hilfe erhalten, und unsere Ausrüstung verbessern lassen... bevor du kamst.“ Sie sah die Assassine hinblicken. Der Laden, auf den der Nekromant gezeigt hatte, war leer. An Eyas Schweigen las die Magierin ab, wie die Erinnerung die alten Gefährten einzuholen begann, und gewiss nicht erst jetzt.
Schließlich gelangten sie zum Herzen der Stadt. Bereits seit einigen Gassen hatte ein goldenes Schimmern die Flachdächer der Häuser gekrönt, unwirklich, schwer auszumachen in der flirrenden Hitze. Nun, da sie um eine Ecke bogen, stand die Quelle des Goldschimmers vor ihnen, riesenhaft aus der Sicht der auf den Straßen Wandelnden, alles übertrumpfend, eine bauliche Einmaligkeit.
Der Palast.
Obwohl ihr der Anblick nicht neu war und man den Sitz des Fürsten schon von Weitem aus der Stadt hatte ragen sehen können, fühlte Ifrah mit den Kriegern in ihrer Nähe, denen der Atem stockte.
Allein die gewaltige goldene Kuppel machte staunen. Dazu kamen die hohen, vielfenstrigen Wände des Palastes, in deren Weiß zahllose Ornamente in kräftigen Farben eingelassen waren. Kristall und Schmuckstein konkurrierten mit Marmor und matten Metallen. Es war ein Bauwerk, das beredter vom Reichtum sprach als die kostbaren Waren der Region, und unter den schlichten Häusern der Stadt stand es, unverrückt seit Jahrhunderten, größer als ein kurastischer Tempel und für die Nordmänner ein steingewordenes Wunder, selbst verglichen mit den mächtigsten Langhäusern ihrer Clans.
„Wohlan“, störte Urels Stimme das beinahe andächtige Schweigen. „Lasst uns sehen, ob der Fürst uns willkommen heißt.“
Vor dem Palast war das Gedränge weniger dicht. Hier war kein Handeln und Herumlungern gestattet, und die Palastwachen, große Männer mit beeindruckenden Speeren, sahen zu, dass sich niemand ungebührlich lange auf dem Vorplatz aufhielt.
So wurden die Ankommenden auch angesprochen, kaum dass sie sich den Palaststufen genähert hatten.
„Ihr da!“ blaffte eine der Wachen und kam drohend herbei. Drei weitere warteten nahe des Palasteinganges. „Was steht ihr da und starrt? Sagt, was ihr wollt, oder macht euch davon!“
Die Gefährten verständigten sich rasch mit Blicken darüber, Urel und Ifrah als Sprecher vorzuschicken.
„Wir wünschen euren Fürsten zu sprechen“, der junge Barbar reckte sich. Er überragte die Palastwache um mehr als eine Haupteslänge.
„Wir sind Reisende aus dem Norden“, beeilte sich Ifrah, bemüht, der Speerspitze, die zwischen Urels Brust und ihrem Gesicht hin- und herschwankte, keine Beachtung zu schenken. Sie trat noch ein Weniges auf die Wache zu. „Weder wollen wir jemanden belästigen noch uns den Anweisungen der Stadt widersetzen. Doch wir müssen um eine dringende Unterredung mit dem Fürsten bitten. Wir ersuchen ihn untertänigst um eine Audienz.“
Ihre Worte fruchteten jedoch wenig. Der dunkle Kerl vor ihnen hob abfällig die Brauen und schien nicht im Mindesten daran zu denken, seine Waffe herunterzunehmen.
„So?“ hielt er ihr mit einem knurrenden Lachen entgegen. „Ihr wünscht eine Audienz? Habt ihr all das Volk vor den Toren gesehen, ihr lustigen Bittsteller?“ Neben Ifrah atmete Urel hörbar ein. „Wenn jeder von denen da nur einen Abgesandten schickte, hätten wir bald eine Schlange quer über den Vorplatz! Wendet euch an die Aufseher draußen. Sie werden dem Fürstenhaus zutragen, wer ihr seid und was ihr wollt, so lange habt ihr zu warten!“
Betend, die Geduld der Barbarenkrieger, die im Hintergrund bereits ungehalten murrten, möge noch eine kleine Weile halten, schenkte Ifrah dem Wachposten ihr strahlendstes Lächeln.
Sie neigte sacht den Kopf. Die Speerspitze war jetzt nur noch eine Fußbreite von ihrer Wange entfernt. „Wir verstehen vollkommen, hoher Wächter.“
Sie ließ den Bernstein ihrer Augen warm aufglimmen. Es war lange her, dass ihre Erscheinung und ihre scheinbar harmlose Weiblichkeit ein Gegenüber hatten beruhigen und betören müssen, aber was für den harten Handel in einer Männerwelt galt, mochte auch hier noch gelten. „Es ist aber so, dass wir den Fürsten kennen, Badr sei unser Zeuge“, fuhr sie fort. „Bitte sendet ihm Nachricht, so es eure kostbare Zeit erlaubt. Sagt ihm, dass die Mitglieder der Grabwanderer vor dem Palast seines Urteils harren. Wir werden uns weder aufdrängen noch Unruhe stiften.“
Grabwanderer würde dem Wächter wenig sagen. Überbrachte er aber die Botschaft wortgetreu, musste Jerhyn neugierig werden.
Die Speerspitze sank zögernd. Sich aufrichtend, lächelte sie unbeirrt, als sei der barsche Mann, der sie jetzt misstrauisch anfunkelte, nicht weniger als ein freudig erwarteter Bräutigam.
Als er sich umwandte und einer zweiten Wache einen Befehl zubellte, fing Ifrah einen Seitenblick Urels auf. Zum ersten Mal, seit sie sich wiedergesehen hatten, trat eine Spur gehobener Laune in seine braunen Augen.
Dreifach aufgetragener Honig, dachte sie mit heimlicher Erleichterung. Das wenigstens hat sich hier noch nicht geändert.
Die Gruppe wartete in höflichem Abstand, während der zweite Wächter, flüsternd instruiert, im Palastinnern verschwand. Rascher als erhofft kehrte er zurück und raunte seinem starr verharrenden Kumpan etwas zu.
Dessen Gesicht verzog sich halb widerwillig, halb überrascht. „Der Fürst erwartet euch.“ Er stand reglos da, den Speer jetzt quer vor sich gestellt, sichtlich bemüht, seine Autorität von der unerwarteten Wendung nicht beschädigen zu lassen. „Also hinein mit euch!“
Stumm schritt die Gesandtschaft des Barbarenheeres die breiten, flachen Stufen des Palastes hinauf.
Kühle und mildes Licht umfingen sie hinter dem reich verzierten Eingang. Das helle, laute Lut Gholein blieb hinter ihnen zurück.





Wenigstens hier bringt meine Vergangenheit uns einen Vorteil.
Man hatte ihnen, ein erheblicher Vertrauensbeweis, ein deutliches Zugeständnis an seinen und seiner Gefährten Namen und ein halbes Wunder in der scharf bewachten Heimstatt eines Fürsten, die Waffen nicht abgenommen.
Urel schritt hinter der Palastwache her durch die Gänge, die sich auftaten. Ihm folgten die Anderen. Ihre Stiefel scharrten auf dem glatten Boden.
Flüchtig sah er hinab. Wie alles ringsum war dieser ungeheuer kostbar.
Verglichen mit der drückenden Hitze der Stadt herrschte eine geradezu unwirkliche Kühle innerhalb der starken, prachtvollen Mauern. Von farbigen Glasfenstern getöntes Licht stand umher.
Er erinnerte sich. Damals. Der von Leichen und bösen Kreaturen starrende Harem, weit unter ihnen im Bauch des Gebäudes. Die leeren Flure, die versprengte, halb dem Wahnsinn verfallene Palastwache, die sich nicht mehr in die Gedärme der Stadt gewagt hatte.
Jetzt war es anders. Man sah fast niemanden, aber Stimmen und huschende Laute drangen aus Nebenzimmern auf den Gang, den die Gruppe entlanggeführt wurde. Das Fürstenhaus lebte wieder.
Und sie, er und seine Gefährten, kamen diesmal tiefer hinein in all die Pracht, die den Reichtum ebenso wie die Herrschaftsgewalt dieser Wüstenstadt verdeutlichte.
Schweigend gingen die Barbarenkrieger hinter ihm her. Er konnte nur hoffen, dass sie sich von dem, was sie sahen, nicht blenden ließen. Auch diese Mauern werden fallen, wenn die Feinde aus den jenseitigen Welten gegen sie anrennen.
Draußen in der Stadt hatte er sich düster und genau die Arbeiten an den Mauern beschaut, auch die sichtlich verstärkte Zahl der Bewaffneten, auch zwei Wurfmaschinen, die nicht nach Norden zeigten, sondern nach Süden. Hinterhältig suchte ihn wieder die Ahnung heim, ließ sich nicht aussperren durch den Anblick der schönen Gänge oder der von Leben überquellenden Straßen.
Sie hatten gut daran getan, hierher zu ziehen. Was in ihm an Feinfühligkeit war, vielleicht nur das Flüstern einer alten Wunde, lauschte durch Mauern und Fleisch in die Wüste hinaus.
„Fürst Jerhyn“, schreckte eine Stimme ihn auf. „Hier sind die Bittsteller, die wir auf dem Vorplatz aufgriffen!“
Jemand stieß den Schaft einer Lanze auf den Boden.
Vor ihnen öffnete sich das Kreuz zweier mannslanger Stangenwaffen und gab den Blick auf einen kleinen Saal frei.
Kühle. Wohlgerüche. Strenge Wächtergesichter.
Sie traten ein.
Der Thronsaal des Palastes war ganz in Weiß gehalten, doch blaues Fensterglas verlieh dem Licht eine eigentümliche Farbe – jene des Wassers vielleicht, das in der trockenen Endlosigkeit so kostbar war.
Vor der Rückwand des Raumes stand ein Marmorsitz auf einem niedrigen Podest, flankiert von einer rotgekleideten Wache und einem Mann in schlichten, doch kostbaren Gewändern. Er fasste die langsam Eintretenden beflissen ins Auge. Urels Aufmerksamkeit indes wurde von der Gestalt auf dem Thron angezogen. Er vergaß die Anwesenheit seiner Männer hinter sich, vergaß die Sandmeere und starrte sie an.
Fürst Jerhyn war es, doch dem bestürzten Blick schien er entsetzlich gealtert.
Schwer saß der mächtigste Mann des Südens in der steinernen Umarmung seines Throns, dick geworden, ergraut vor der Zeit. Er konnte kaum mehr als vierzig Jahre zählen, doch sein Leib und die blassbraunen Züge, aus denen umschattete Augen den Besuchern nicht unfreundlich entgegensahen, wirkten müde, aufgetrieben.
Er ließ ihnen Zeit, ihn zu betrachten, und betrachtete sie.
Und nach einer Weile fand Urel hinter dem erschreckenden Abbild des Fürsten Vieles, das er wiedererkannte.
Jerhyn war kein zäher Wüstenkrieger gewesen, hochgehoben auf einen Sitz weit über dem Volk, dem er entstammte, schon damals nicht. Er hatte es vorgezogen, Andere gegen die Schrecken des vergangenen Jahres auszuschicken, anstatt mit dem Säbel in der Faust seinen verbliebenen Soldaten vorauszugehen. Aber er war auch kein feiger Willkürherrscher, er schröpfte seine Untertanen nicht und hatte Lut Gholein dem Handel geöffnet und allen, die friedlich hierher kamen.
Dem jungen Barbaren schien es, als sehe er einen Mann, ähnlich den in zu vielen Bedenken verkrusteten Ratsältesten großer Stämme.
Jerhyn drohte ihnen nicht.
Mit einer matten Handbewegung hielt er den rotgewandeten Wächter zurück, der die Eingetretenen anherrschte: „Was erlaubt ihr euch, zu stehen, Fremde? Kniet nieder, ihr steht vor dem Fürsten Lut-„
„Es ist gut, Abdul.“ Die ruhige, tiefe Stimme trug sich weit in der bläulichen Stille, und sie gebrauchte, anders als die Wachen, die Gemeinsame Sprache. „Das sind keine Fremden.“
Da der Fürst, ob aus Müdigkeit oder weil es sich für seine Hoheit nicht ziemte, sich nicht erhob, trat der Mann an seiner anderen Seite vor. Er war recht jung, feist und flink.
„Nennt eure Namen“, gebot er Urel und den Anderen.
Doch auch er wurde unterbrochen.
„Ich brauche ihre Namen nicht zu hören. Ich kenne sie.“ Jerhyn winkte in den Schatten eines Winkels. „Wasser und Wein für meine Gäste.“ Die seltsam kraftlose Stimme hob sich. „Mulham, guter Berater, hier brauchst du dich nicht zu sorgen.“
Der kostbar Gekleidete wandte sich irritiert zum Thron.
Die Gefährten standen reglos und befangen da, während zwei Diener ihnen Kupferbecher mit Getränken reichten.
Neben Urel machte schließlich Hadan einen Schritt tiefer in den Thronsaal hinein.
Der Nekromant ließ sich in seiner stets etwas steifen Art auf ein Knie nieder. Langsam, im Scheppern ihrer Rüstungen, folgte die ganze Gruppe, auch Urel und mit ihm, zögernd und angespannt, die Barbaren.
„Dank sei dir für deinen Empfang, Jerhyn“, die Stimme des Nekromanten stand allein in der halben Stille, und er nannte weder einen Titel, noch befleißigte er sich der umständlichen Wendungen, wie sie in solchen Hallen des Südens üblich waren.
Aber seinem Gruß antwortete keine Zurechtweisung. Urel spürte seine Nackenmuskeln sich lockern.
Bei den Ahnen, ja. Wir sind kein dahergelaufenes Söldnerpack. Er sah auf.
Jerhyn lächelte. „Dich erkenne ich vor allem wieder, Hexenmeister. Es heißt, ihr hättet die Dämonen besiegt. Fürwahr, die ganze Welt bezeugt dies durch ihre Wandlung.“
Widerwillig zogen sich die im Saal anwesenden Wachen und auch der Berater zurück, als die Hand des Herrschers ein weiteres Mal winkte. „Geht, geht. Ich will mir diese abenteuerlichen Gestalten“ – es klang nicht abfällig – „näher besehen. Geht, lasst uns allein.“
Zögernd näherte sich Urel mit den Anderen dem Marmorthron.
Dichter davor, nahm er einen sonderbaren Geruch wahr, gedämpft durch Öle und Kräuter, und es brauchte eine Weile, bis er verstand.
Jerhyn war tödlich erkrankt.
Nun, aus der Nähe, barg sich unter den erschlafften, einst straffen Zügen eine Blässe, die nicht nur Müßiggang und Müdigkeit entstammen konnte.
Fast ehe er es selbst begriff, hatten sich die Lippen des jungen Barbaren geöffnet. „Wir kommen aus dem Norden, Fürst der Stadt. Es herrscht Krieg in der Marsch.“ Er hielt inne, doch seine gesamte Umgebung schien ihn zu ermutigen. „Wir sind... anderen Gegnern als Menschen begegnet. Niemand von uns kann sagen, woher sie kommen. Was uns herbrachte, waren Berichte hiesiger Unruhen.“
Und eine Ahnung.
„Dann hat euer Gefühl euch nicht getrogen.“ Jerhyn ließ den Blick über die gesamte Gruppe gehen, die so verschiedenartigen Gestalten der alten Gefährten, die kantigen Gesichter der Nordmänner, den Schweiß und den Staub, der Haut und Rüstungen bedeckte. „Ja, wundert euch nicht. Die Wüste zieht die Tapferen an.
Ich wünschte, ich könnte Bereitwilligen wie euch mehr anbieten als ein Lager vor den Mauern der Stadt und eine Handvoll vager Berichte, von denen keiner weiß, ob sie nicht nur Hirngespinste einer rastlosen Zeit sind.“
„All die Verstärkungen der Mauern nur aufgrund von Hirngespinsten?“ ließ sich Hadan zurückhaltend, aber forschend vernehmen.
„Das wohl nicht.“ Mit einer unendlich müden Bewegung setzte der Fürst sich zurecht. „Es geschehen merkwürdige Dinge. Menschen verschwinden in der Wüste, die einst unsere Freundin war. Soldaten, Kundschafter, auch Handelskarawanen und Flüchtlinge, von denen Andere berichten. Sie kehren nicht zurück.“ Eine feine Schweißschicht glänzte auf, als Jerhyn den Kopf bewegte. „Die Schriftgelehrten reden viel vom Schrecken der alten Gräber, aber die Menschen glauben nicht mehr recht daran. Daher haben sie sich auf die Ausgeburten des unergründlichen Schoßes verlegt, den der Sand dort draußen birgt. Manche wollen menschenähnliche Gestalten gesehen haben. Andere fliehen hierher zurück, eines schwarzen Schreckens wegen, den sie nicht benennen können.“
Flüchtig wechselte Urel einen Blick mit Hadan.
Gegner der Schwarzen. So hatten die Djurna sie beschimpft, kurz vor dem Kampf in der Wüste.
„Ich schicke keine Truppen mehr hinaus“, fuhr Jerhyn fort und sah die Dastehenden reihum an. „Wenn ich Lut Gholein von denen entblöße, die mir ihre Säbel noch zu Füßen legen, mag es sein, dass auch sie spurlos verschwinden und die Stadt der Hilflosigkeit überantwortet ist.“
Für eine Weile herrschte Schweigen.
Urel sah verstohlen auf das blasse Gesicht vor ihnen, und eine Regung des Mitleids überkam ihn.
Aller Reichtum konnte dem Fürsten Lut Gholeins nun nichts mehr helfen. Er war ein kranker, gealterter Mann, eingeschlossen in der Grabeskühle seiner Gemächer, während rings um seine Stadt gesichtslose Bedrohungen anwuchsen.
„Was auch immer in der Wüste wartet“, hörte er sich sagen und empfing die Zustimmung der Anderen wie ein feines Streifen der Seele, „wir werden es ausfindig machen. Dazu sind wir hergekommen. Lasst uns vor der Stadt lagern und helfen, wo wir es vermögen.“
Jerhyn nickte, matt, beinahe geschlagen. Das leichte Lächeln auf seinen bärtigen Lippen war der Schmerz der bitteren Einsicht, dass nicht der Hausherr die Gäste schützen konnte, sondern dass diese kamen, um zu übernehmen, was er nicht mehr fest in den Händen hielt.
„Dank euch“, sagte er zu den Wartenden, und es schien, dass er besonders die Krieger aus dem fernen Hochland ansprach. „Dank euch, Weitgereiste. Ihr habt allen Schutz, den ich euch geben kann. Lagert in Frieden vor den Toren, und es soll euch an nichts fehlen, auch nicht an Berichten über die Geschehnisse in der Wüste.“
„Wir geben den Dank zurück.“ Urel nickte.
Auch seine Krieger und die alten Gefährten zeigten, dass sie den Großmut des Herrschers verstanden.
„In welcher Richtung liegen die Gegenden, in denen die Menschen verschwanden?“ fragte Ifrah, die bislang nicht die Stimme erhoben hatte. Auf den Blick des Fürsten fügte sie hinzu: „Ich stamme aus der Wüste. Ich und alle, die Ihr hier seht, hoher Fürst, wollen den vagen Berichten nachgehen. Bitte – sagt uns, was man sich erzählt, auch wenn es nur Gerede sein mag.“
„Es ist lange her“, die Stimme Jerhyns knarrte und klang weich, doch auch noch älter, „dass ich eine der großen Elementarkundigen hier sah. Nun, schöne Magierin, da du die Wüste kennst: Alle, die verschwanden, verschwanden im Sand zwischen Lut Gholein und den nomadischen Wachposten auf halbem Wege zwischen hier und Sadr Hammath.“
„Die steinernen Flammen“, hörte Urel Ifrah murmeln. Dann neigte sie den Kopf. „Sobald wir können, werden wir dorthin reisen.“
Der Mann auf dem Thron bedachte sie mit einem langen, bedauernden, respektvollen Blick. „Ich kann euch nicht davon abhalten. Aber seid gewarnt: Sicherlich ist der noch glücklich zu nennen, der dort nur seinem Tod begegnet. Bevor ihr weit kommt, müsst ihr zuerst die alten Magiertäler durchqueren, und deine Begleiter werden dir sagen können, was sie vor einem Jahr dort fanden.“
Mit einem Segenswunsch entließ Jerhyn die Gruppe.
Urel nahm kaum etwas von den leise hallenden Gängen wahr, die sie zurückschritten, wieder geführt von einem Mann der Palastwache. Seine ganze Aufmerksamkeit bewegte sich um Jerhyns Worte.
Lut Gholein fürchtete die Wüste, nicht den unruhigen Norden, nicht Fadraîs noch die Zersplitterung der Nachbarregionen. Das mochte kaltherzig anmuten, aber er konnte es nachvollziehen.
Nicht die anderen Menschen sind unsere Feinde.
Erneut meinte er, das Bild der endlosen Sandmeere durch die Mauern hereinlugen zu sehen. Die Angst der Leute trog selten. Er hatte es nun oft genug erlebt, und es verband sich fester und fester mit den Erlebnissen der letzten großen Schlacht.
Ja, Andere griffen ein. Mehrere Lager, zumindest zwei. In dem, was sie gehört hatten, war kein Hinweis auf die Engel zu finden, und auch das passte.
Vor dem Palast hörte er die Krieger aufatmen. Das stechende Licht übergoss die Gruppe. Sie stand dicht beisammen auf den untersten Stufen.
„Rätsel“, hörte er Bostac sagen. „Rätsel und ein Herrscher, der ermattet scheint.“
„Jerhyn ringt mit dem Tod.“ Aller Augen richteten sich auf Hadan. Der Nekromant blickte zum Tor zurück, aus dem sie gekommen waren. „Zum Glück für uns ist seine Krankheit nicht ansteckend. Ich werde später noch einmal vorsprechen, vielleicht kann ich sein Leiden lindern.“
Doch als sie sich alle wieder unter die Menschen Lut Gholeins mischten, das an seinen äußeren Befestigungen werkelte, dachte Urel, dass selbst Hadan hier nicht viel würde ausrichten können.
Lut Gholein wartet, rund um seinen geschwächten Fürsten. Er straffte sich. Wir müssen rasch handeln. Wenn unsere Herzen erst verrottet sind, ist es zu spät.
 
Eeeerster!

Jetzt les ich mir mal die Geschichte durch :D

Edit:

Diesmal ist die Story viel dialoglastiger geworden. Interessant war vor allem das Zusammentreffen alter Bekannten in Lut Gholein, die noch vor der Zeit in "GdW" auftauchten. Umso mehr, als die Ereignisse vor einem Jahr in Lut Gholein nicht aufgezeichnet sind.

Insgesamt wieder ein grossartiges Up :top:



Gruss Segan :hy:
 
:hy:

So, jetzt werd ich mich auch mal hier melden. Lese deine Geschichte von seit nen paar Wochen. Und finde sie sehr schön bisher :angel:

Auch ein schönes Update über die Ankunft in Lut Gohlein, finde ich. Nur verrät es nicht viel über das was in Lut Gholein vorgeht. Schade. :cry:
 
Im Grossen und Ganzen wider ein sehr gutes Up. Irgendwie fehlt mir aber das gewisse Knistern, welches du bei deinen anderen Kapiteln im mir hervor gerufen hast. Dies ist natürlich ein rein subjekitver Eindruck.

Sehr schön war die Szene mit Handan und Eya. Gerade die Frage "Vertraust du mit?"
zeigt irgend wie sehr schön, in welchen Zeiten sie leben. Die Frage hat auch noch etwas anderes schönes. Ein Nekromant fragt eine Assassine ober sie ihm vertraut :D

Das Treffen mit Drognan und Jerhyn, ist ansich sehr schön beschrieben, wie man sich das gewöhnt ist von dir. Trotzdem fehlt da irgedwie der Tiefgang, mag daran liegen, dass ich müde bin aber irgendie ist das die Stelle wo ich die gwohnte Spannung vermisse.

Ich freu mich aber schon riesig auf das nächste Kapitel, nimmt mich nämlich tierisch wunder was denn dieses "scharze" genau ist. Engel ja irgendie kaum, dazu passt die Bezeichnung irgendwie einfach nicht.

Hochachtungsvoll

Holy
 
hallo,
diesmal kommt meine reaktion etwas schneller. mir hat sehr gut gefallen, was ich gelesen habe. die beschreibung der "wuseligen" wüstenstadt hat sofort bilder in meinem kopf erzeugt. das ist ein markenzeichen von dir, aber ich finde es immer wieder faszinierend wie scheinbar mühelos du einen solchen detailreichtum in deine geschichten packst.

ich freue mich schon jetzt aufs nächste up und hoffe das es wieder so schnell nach meinem post erscheint ;)

Gruß, Helldog
 
grossartiges up!!!! Endlich tut sich mal wieder was *gg* Die Szene zwischen Hadan und Eya is genial.. auch dass die vertrautheit zwischen den gefaehrten anscheinend wieder waechst :) Die Druidin geht zwar wieder a bissi unter.. also is sie leider keiner der hauptcharaktaere.. aber vielleicht kommts ja noch...

Auch die hinweise auf vergangenes sind toll, insgesamt find ich das kapitel wieder mal irre spannend und es schaut so aus als gaebe es bald wieder n bissi action!

3 sachen sind mir aufgefallen... das "hernach" in dem satz "Dann kommt wieder. Was ich weiß oder zu wissen glaube, will ich euch hernach offenbaren.“ gfallt mir irgendwie nich so (subjetiv) ich find danach besser.

dann hast mal nachm , Andere grossgeschrieben "Er hatte es vorgezogen, Andere gegen die..." nur weiss ich allerdings ueber die neue deutsche scheiss rechtschreibung nich so gut bescheit .. hat halt koisch ausgeschaut ;)

dann "„Dank dir für deinen Empfang, Jerhyn“, die Stimme des Nekromanten" klingt so bissi unhoeflich.... wie waers mit Dank sei dir .. oder so :)

so: hoff du nimmst das nich als kleinliche kritik auf... aber ich wollt mal was sinnvolleres posten ausse dem ueblichen: ES IS WIEDER MAL GROSSARTIG :kiss:

lg tigerle
 
Huhu Reeba :)

Im großen und ganzen habe ich nichts zum meckern gefunden - du schreibst einifach zu gut *g*

Ein Satz hat mich jedoch fasziniert:

Die Hitze und die lange, beinahe einem Rausch gleichende Erschöpfung des Marsches, die die Sinne erweiterte und dabei zu Unvorsichtigkeit abschliff, hing schwer an ihnen. Aber sie mussten warten – so wie jedes andere Paar auch.

Ich dachte es währe schon lenkst geschehen nach der Tempelszene etc. zu schließen. Anderseits finde ich es spitze, dass du es noch nicht dazu hast kommen lassen. Diese paar Zeilen fand ich wirklich gut. Ab da können sich viele etwas von den beiden abschneiden - Vorbildcharaktere :)

Gandalf
 
Hallo ihr :hy:
Das geht ja diesmal flott mit den Kommentaren. Freut mich, dass das Kapitel, obwohl ziemlich ruhig, doch meist gefallen hat.
@PQCE: willkommen :)
@tigerle: :kiss: ich werde das 'hernach' durch 'danach' ersetzen und auch den Dank an Jerhyn so verändern wie von dir vorgeschlagen. Das sind so Wälder (Feinheiten in dem Fall), auf die man selber vor lauter Bäumen manchmal nicht achtet. Wie's mit dem 'Andere' aussieht, weiß ich auch nicht. Da werde ich mich mal drum bemühen.
@G4nd4lf: natürlich haben Eya und Hadan längst miteinander geschlafen, und zwar zum ersten Mal direkt nach der Tempelszene, wie von dir vermutet. Auf den Hügeln verzichten sie ganz einfach, weil sie nicht allein sind.
'Vorbildcharaktere' bezüglich 'kein Sex vor der Ehe' sind sie also nicht, nehmen aber immerhin Rücksicht auf Andere.
 
Dann rück ich mal das neue Kapitel raus.
Gruß, Reeba



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XL. Vorzeichen und Entschlüsse





Vom Palast aus schlug die Gruppe wieder den Weg in das Getümmel der Stadt ein.
Die alten Gefährten verständigten sich darauf, Drognan erneut aufzusuchen.
„Der Alte weiß mehr, als er uns sagen wollte“, brummte Urel. Dem widersprach niemand. Eya verfolgte, wie der junge Barbar seine Krieger anwies, sich vorerst von der Gruppe zu trennen.
„Gehe zum Lager zurück, wer will. Zu viele Menschen werden den Magier nur verschrecken.“ Urel wechselte Blicke mit den Hünen. „Herlac, dich will ich wieder beim Lager haben. Sorge dafür, dass die Männer sich nicht mit Söldnern oder Nomaden anlegen, vor allem die Jüngeren nicht.“
Der Angesprochene grinste und nickte. Er war ein grobschlächtiger, gutmütiger Riese mit braunem Bart und Haar, ein fürchterlicher Gegner im Kampf, wie die Assassine mit eigenen Augen gesehen hatte, doch jenseits davon meist heiter, fast brüderlich zu allen. Er war einer der wenigen Männer, die nichts dabei zu finden schienen, mit Frauen zu sprechen, auch mit ihr, und sie mochte ihn gern. „Darum werde ich mich schon kümmern“, sagte er jetzt.
Urel nickte gebieterisch. „Alle Anderen können sich in der Stadt umtun.“
Reglos warteten die Krieger die Worte ihres Anführers ab. Die Wüstensonne hatte ihre breiten Gesichter bereits gebräunt, und wenn sie auch durchdringend nach Schweiß rochen und allem Neuen mit störrischem Misstrauen begegneten, empfand die junge Assassine ihre raue Gesellschaft als Beruhigung, ja oft als Glück.
„Vielleicht hört ihr Dinge, die uns mehr über die Lage hier verraten. Fragt vorsichtig, redet nicht über die Gründe unseres Kommens.“, entließ Urel die Krieger. Sie senkten nur knapp die Köpfe, doch ihrem Davongehen war kein Widerstreben anzumerken.
Sie würden sich den Annehmlichkeiten, die Lut Gholein bot, nicht verschließen. Mit einem leichten Lächeln spähte Eya den Hünen hinterher, die zu Zweien oder Dreien oder auch auf eigene Faust in den Menschenstrom tauchten, Häupter, massige Schultern, die über der Menge davon zu segeln schienen. Einer steuerte geradewegs eine Taverne an, in deren oberen Fenstern die Assassine zu viele reizvolle Frauengesichter gesehen hatte, um annehmen zu können, das Haus sei ein ganz gewöhnlich bewohntes.
Urel, Bostac, Menrad und die alten Gefährten waren übrig geblieben.
Als sich die verkleinerte Gruppe nun wieder nach der Straße aufmachte, an der Drognans kleiner Laden lag, verschärfte sich die Wachsamkeit Eyas. Die Hitze stand erdrückend über dem Häusermeer, und nach einem raschen Schluck aus ihrer ledernen Wasserflasche beneidete sie flüchtig die Menschen dieses Weltteils, denen sie nichts auszumachen schien.
Es war etwas in der Stadt, dass den Eindruck üblicher Geschäftigkeit störte. Die Assassine dachte an Camdra.
Dort hatte sie nach ihrer Rückkehr sehen können, wie Unrast die Menschen und ihr Tagewerk durchdrang, und hier war es dasselbe. Den handelnden, palavernden Einwohnern Lut Gholeins fehlte die Ruhe, die dem gleichmütigen Urvertrauen in eine Zukunft entsprang, in welcher Hoffnung die ungewissen Dinge überlagerte.
Die Zeit nimmt uns mehr als den Frieden. Behutsam forschte sie in den Gesichtern, den Gesten.
Es ist, als spüre Jeder, selbst der, der seine enge kleine Welt nie verlassen hat, dass uns der Boden unter den Füßen wegbricht, nein, wegtreibt, als habe eine unvorstellbare Gewalt die Verstrebungen des Lebens gekappt.
Vor Drognans Laden befanden sich diesmal keine Kunden.
Der alte Magier schaute den Gefährten scharf entgegen, jedoch offenbar gewillt, sich mit ihnen zu unterhalten.
Eya und die Anderen wurden in eine winzige Behausung seitlich des Ladens gebeten, die sich an größere Häuser schmiegte wie eine Muschel an einen Felsen. Die Männer mussten sich unter dem niedrigen Türsturz hindurchbücken. Im halbdunklen Inneren, die Begrüßungsgesten des Gastgebers befangen erwidernd, sah Eya sich um.
Die hereinkommende Gruppe füllte den kleinen Raum, der fast zu bersten schien. Es gab nur eine ärmliche Bettstatt und einen Tisch, jedoch Wände voller rätselhafter Gegenstände, großenteils verhüllt, dazwischen Zierrat aus Gold und Kupfer, schimmernd im Schein einer Lampe.
Der alte Magier sah in die Runde der Menschen, die sich in seine Behausung schoben, bemüht, nichts umzureißen.
Sein Gesicht verdüsterte sich jedoch, als Menrad eintrat.
„Ein Paladin?“ Er mochte ihn zuvor auf der überfüllten Straße nicht deutlich bemerkt haben. Jetzt machte er zwar keine Anstalten, den Lichtkrieger hinauszuweisen, heftete die wässrigen Augen aber mit Missfallen, ja mit Hass auf den großen, schlanken Mann.
Eya wechselte einen raschen, betroffenen Blick mit Ifrah, die neben ihr stand.
Hinter ihnen lagen in der Region zwischen Marsch und Wüste jene Dörfer, aus denen Fadraîs die Magiekundigen hatte vertreiben lassen. Was tiefer in der Wüste zwischen den verfeindeten Gruppen vorgefallen war, wussten sie noch nicht, doch für Drognan schien der Anblick des Paladins schlimme Erinnerungen zu enthalten.
Ifrah trat vor. „Dieser Mann ist keiner der hetzenden Meute gegen die Menschen unserer Schulen, Drognan.“ Menrad war erstarrt, die Arme an den Seiten, die Linien seines Gesichts schmal und hart. „Er hat mit uns gegen den Größenwahn der alten Königsstadt gekämpft und nicht gezögert, die Freiheit gegen seine eigene Bruderschaft zu verteidigen.“
Aber selbst die Worte einer anderen Magierin konnten den Unmut des Greises offenbar nicht dämpfen. Sein Blick verschränkte sich feindselig mit dem des Paladins. Urel, der mit dem Kopf fast gegen die Decke der kleinen Behausung stieß, räusperte sich. Doch bevor der Barbar seinerseits für Menrad bürgen konnte und mehr herausbekam als ein „Er ist nicht umsonst unser Begleiter“, hatte sich der Lichtkrieger auf dem Absatz umgedreht.
Eya verfolgte bedrückt, wie er hinausging und der dünne Vorhang hinter ihm zufiel. Für Menrad musste das Misstrauen schmerzhaft sein, vor allem in Anbetracht seiner Abspaltung vom Orden.
Für eine Weile herrschte unbehagliches Schweigen. Dann wandte sich Drognan der kleinen Kochstelle an der Rückwand der Hütte zu und bot den Besuchern Tee an. Er bewegte sich mit der verdrießlichen Starre eines Mannes, in dem tiefverwurzelte Urteile gegen ungewohnte neue Überlegungen streiten.
Er streckte Ifrah einen Becher hin. „Bring dem Mann da draußen auch etwas“, murmelte er. „Ich will mir nicht nachsagen lassen, unhöflich gegen einen Fremden gewesen zu sein.“
Ifrah verschwand im Licht vor der Tür.
„Nun, nun“, Drognan hatte sein Kopfnicken wieder aufgenommen, als sie zurückkehrte. „Ihr habt den Fürsten gesprochen, ja?“ Er kicherte in sich hinein, doch der Laut klang nicht fröhlich oder kaltblütig.
„Seit wie langer Zeit ist er krank?“ meldete sich Hadan zu Wort.
Der greise Magier nahm seinen Turban ab. Nun sahen sie, dass er nahezu kahl war, und das schwache Licht schimmerte auf seinem knotigen Schädel. „Lange schon, Hexenmeister“, er setze ihn wieder auf. Seine Augen richteten sich wie fiebernd auf den bleichen Gast. „Lange schon, ja. Hoffe nicht, ihn heilen zu können. Das haben schon Viele versucht.“ Seine belegte Stimme tönte jetzt leiser. „Es ist, als sei seine Krankheit zugleich mit der Krankheit der Wüste gekommen.“
Plötzlich fiel der unzugängliche, wunderliche Stolz von dem Magier ab, und er wirkte nur noch wie ein greiser, müder Mann. Eya schien es, als suche seine Aura kurz nach Halt. „Aber ihr dürft nicht zu viel auf mein Geschwätz geben“, fuhr er fort. „Ohne eine Hilfe aus den alten Schriften, die das Schicksal uns unbrauchbar gemacht hat, ähnelt es dem Gerede der Leute hier, die sich ängstigen.“
„Eben wegen dieses Geredes sind wir gekommen, Alter“, brummte Urel beinahe sanft.
„Sag uns alles, was du weißt“, unterstützte Ifrah ihn bittend.
„Viel ist es nicht“, begann Drognan, dem die Aufmerksamkeit der Besucher doch ein wenig zu schmeicheln schien, nach einer kleinen Pause. Wer weiß, ob man ihn hier sonst noch um Rat fragt, dachte Eya, von der Stimme des Alten in Bann gezogen. „Rätsel, Rätsel. Die Schriften sind leer. Die Magiertäler“, er nickte wieder „waren noch nie ein Ort, an den die Menschen sich wagen sollten. Jetzt aber hängt ein neues Böses darüber.“
Eine magere Hand winkte in die Richtung, in der, draußen in der Wüste, die alten Gräber lagen. „Man kann es beinahe sehen – einen Schatten, oder nein, nicht einmal das. Vielmehr etwas, das dem Auge verborgen bleibt, nicht aber dem Herzen.“
Kurast.
Als hätte einer der Gefährten den Namen laut genannt, wusste die Assassine: Der verderbte Atem der Tempelstadt Travincal rief sich ihnen in Erinnerung, das Unsichtbare, das sich dennoch nicht hatte verstecken können.
Ohne es zu bemerken, schlang sie beide Arme um ihren Oberkörper, und es wurde ihr heiß, obwohl es hier deutlich kühler war als auf den Straßen.
Der Magier hatte vielleicht gespürt, dass seine Worte in den Zuhörern unerfreuliche Saiten zum Klingen brachten, denn er schaute sie forschend an, als er fortfuhr: „Bislang hat nur ein Mann das Aufeinandertreffen mit dem... was dort draußen ist, überstanden, aber er lebte nicht mehr lang genug, um mehr als ein paar verwirrte Dinge stammeln zu können. Halbtot kam er bei den Toren an, aufgegriffen von einer Nomadenkarawane.“ Die Stille in der Hütte war mit Händen zu greifen. „’Schwarze Geister’, das war alles, was er sagte.“
’Gegner der Schwarzen’.
„Sonst hat niemand etwas gesehen?“ fragte Ifrah leise.
„Kaum jemand wagt sich noch in diese Gegenden.“ Drognan schüttelte schwer den Kopf. „Wir scheinen nun Gefangene der Wüste zu sein. Wie viele Bewaffnete schon verschwanden, wage ich nicht zu zählen. Selbst die Nomaden meiden bestimmte Orte, und sie erzählen noch etwas anderes.“ Die trüben Augen wanderten reihum. „Aus dem Sand sei ein alter Schrecken wieder auferstanden, der nachts um ihre Zelte schleicht und sich tags weit oben in den Felsen der Steinernen Flammen und der Magiertäler bewegt, doch immer so, dass sie nicht sehen konnten, was es sei. Alte Geister, sagen sie.
Alte Geister.“
Mehr bekamen sie nicht aus ihm heraus, und nach einem Segenswunsch und Dank verließen sie die Hütte.
Auf der Straße empfingen sie Hitze und Lärm.
„Sehr viel mehr wissen wir nun nicht.“ Bostac, der unbefangener als die Gefährten der kurzen Unterredung gelauscht hatte, rückte seine Rüstung zurecht und spähte zu der einige Dächer entfernten Stadtmauer hinüber. „Immerhin macht es ihnen genug Angst, damit sie ihre Befestigungen verstärken.“
„Ich glaube, sie tun gut daran“, sagte Urel finster.
Nachdenklicher noch als zuvor schritten sie durch die Straßen Lut Gholeins. Sie konnten nicht einmal vermuten, was den Nomaden in der offenen Wüste begegnet war.
Neben einer Garküche trennte sich die Gruppe erneut.
Eya machte sich mit Hadan zum Hafen auf, begleitet von Menrad.
„Fragt auch nach Neuigkeiten aus Dâurdh und Abbèsh“, bat Ifrah, die gemeinsam mit Urel und Bostac zum Lager zurückgehen wollte, um zu sehen, ob dort alles zum Besten stand. Gerieten die Barbarenkrieger trotz aller Vorsicht mit den Nomaden oder anderen Gruppen aneinander, war sie so kurz nach der Ankunft als Vermittlerin unentbehrlich.
Die Assassine schaute kurz zurück, als sie davongingen. Die beiden Barbaren ragten unübersehbar aus der Menge, einen Abstand zwischen sich. Sie hatten Ifrah in die Mitte genommen.
Langsam bahnte Eya sich mit ihren beiden eigenen, männlichen Begleitern einen Weg.
Menrad schien Hadans Gegenwart weit besser zu ertragen als früher.
Wir werden zusammengeschweißt. Sie war froh, denn seit ihrem Gespräch auf dem abendlichen Hang in der Marsch verhielt sich der Paladin auch ihr gegenüber nicht mehr allzu abweisend.
Immer noch aber sprach er wenig, und daher überraschte es sie, als er ohne Anlass die Stimme erhob.
„Wenn es wirklich wahr ist, dass aus der Wüste Gefahr droht“, er sah zu ihr und dem Nekromanten herüber, „dann wird Lut Gholein ein Bollwerk sein.“ Leise Bitterkeit schlich sich in seinen Tonfall. „Niemanden in Fadraîs kümmert das. Sie müssen davon längst Wind bekommen haben, so häufig, wie sie Einheiten in die Randgebiete schicken, oder auch durch...“ Weiter sprach er nicht, mied die Engel, aber sie errieten seine Gedanken.
Vielleicht hatte die Marsch Lut Gholein schon lange als Stein auf das Brett ihrer Taktiken gestellt.
Vielleicht kam es ihr nicht ungelegen, die Wüstenstadt als Barriere vor Feinden zu wissen, von denen ihr womöglich mehr bekannt war als den Menschen hier.
Plötzlich drängte es Eya, Menrads Verbitterung über das Kalkül, das hinter dem fadraîschen Handeln immer stärker zum Vorschein kam, zu begegnen. „Ich bin sicher“, sagte sie tastend, unsicher zu dem schmalen, bärtigen Gesicht hinauflächelnd, „dass nicht alle Menschen dort so denken.“
„Nein.“ Der Paladin verzog sacht die Lippen. Ein Lächeln war es kaum, aber die grauen Augen wirkten wärmer. „Wenn sie von all den Ungerechtigkeiten wüssten... sie würden sie nicht gutheißen. Trotz allem ist es im Herzen ein anständiges Volk dort.“





Der warme Abendwind strich Ifrah das Haar zurück und griff nach ihrem Lendentuch.
Sie holte tief Atem, ein wenig erschöpft von ihrem Aufstieg zum flachen Rücken des Hügels, und wandte sich zum Tal um.
Am Horizont noch hell orangefarbene, weiter oben schon purpurne Dämmerung spannte sich grenzenlos über den Himmel, eine berückend schöne Unendlichkeit, die schließlich mit schwarzblauem Dunkel verschmolz, in dem die ersten Sterne aufblinkten. Nur fern über dem Meer zog sich ein einzelner Wolkenstreifen hin wie ein nächtliches, dünnes Banner. Lut Gholein lag im Tal, ein Kessel aus aberhundert Lichtern.
So erschöpft sie war, das wochenlange Wandern hatte sie offenbar gestärkt. Ihre Rüstung schien kaum noch etwas zu wiegen. Vielleicht ist dir so leicht zumute, weil du zuhause bist.
Sie lächelte, froh, ganz für sich allein.
Dann sah sie sich um, die Augen suchend zusammengekniffen, denn das Licht hier oben auf den Hügeln war bereits so schwach, dass man sie nur noch unter einem dunklen Schleier fortlaufen sah, in die kommende Nacht hinein. Doch der Beschreibung der Barbaren nach musste eine der Wachen, die das Heer auch hier aufstellte, recht nah sein.
Die Magierin wanderte ein Stück weit in südlicher Richtung über die riesigen Steinbuckel, von denen die Hitze des Tages abstrahlte. Fern von unten, kaum hörbar von dort, wo zwischen den zahllosen, schon unkenntlichen Flecken der lagernden Menschen Dutzende Feuer glommen, drang Trommelmusik herauf, verwehend in den Hügeln und doch niemals ganz abreißend.
Sie war nicht der einzige Mensch hier oben. Ein Schatten in bodenlangen Gewändern begegnete ihr, grüßte in der klangvollen Sprache eines Nomadenstammes. Er wanderte in entgegengesetzter Richtung weiter, ein Wachposten, der sich die Beine vertrat.
Als sie von ihm nur noch das gedämpfte tock, tock seines Stockes auf den Steinen hörte, sah sie den Barbarenwächter.
Er stand so, dass sich seine Silhouette, eben noch sichtbar, schwarz gegen den Himmel abhob.
Beim Näherkommen vernahm Ifrah den Ansatz zu einem leisen Anrufen, das dann abbrach und durch das feine Geräusch einer Eisenklinge ersetzt wurde, die langsam aus ihrer Scheide gezogen wird.
Sie winkte und nannte ihren Namen und dachte dabei, dass der Krieger hier ein Fremder war, auf Ausguck in einer Gegend ihm unvertrauter Gefahren und Menschen, und dass er sich mit den meisten der Schatten, die sich ringsum noch auf den Hügeln herumtreiben mochten, nicht verständigen konnte.
„Magierin.“ Der Barbar wartete, bis sie die letzten Schritte zu ihm hinaufgetan hatte.
Nun, ganz aus der Nähe, erkannte sie ihn auch. Er war einer von Herlacs, des Großen Männern, aber sie wusste seinen Namen nicht.
Schweigend standen sie eine Zeitlang nebeneinander, die Gesichter dem schwindenden Licht über dem Meer zugekehrt. Obwohl die Sonne auf der anderen Himmelsseite untergegangen war, war es dort noch am hellsten. In der Wüste, wusste Ifrah, herrschte jetzt schon schwarze Nacht, unterlegt vielleicht noch von einem Streifen Lichts, den man von hier aus nicht sah. Was tags so gleißend hell war, lag nun in tiefer Finsternis, in der man die Hand vor Augen nur wahrnehmen konnte, wenn Mond und Sterne es erlaubten.
„Eine ruhige Nacht, scheint es“, sagte sie schließlich und musste im Innern lächeln. Hier stand sie und versuchte, mit einem der grimmigen Nordmänner Konversation zu machen.
Doch der Mann neben ihr schien nicht unglücklich über etwas Abwechslung, wenn auch sein ehrfurchtgebietendes Äußeres wenig davon erkennen ließ. „So die Ahnen es uns gewähren“, antwortete eine tiefe Stimme, und der Klang des Hochlands mutete eigenartig an in all der Übermacht der Wüstenumgebung. „Das Heer braucht Ruhe.“ Nur an einer Bewegung erkannte sie, dass der Krieger ihr das Gesicht zuwandte. „Sag, Magierin, da du diesem seltsamen Land entstammst – reden die Leute hier irre vor Furcht, oder ist an den Geschichten von alten Geistern etwas Wahres?“
Er hatte also von den Gerüchten gehört – nicht jenen, die sich auf die Ahnung einer neuen Bedrohung bezogen, sondern jenen, die in der Wüste schlummernde, alte Gefahren betrafen.
„Etwas Wahres gewiss“, gab sie zurück „doch welchen Schrecken die Menschen damit benennen, kann auch ich nicht sagen. Es gibt viele Wesen in der Wüste, nicht nur Getier. Die meisten aber meiden die Menschen.“
Der Mann brummte, nickte und fragte nicht weiter.
Ifrahs Gedanken bewegten sich zu ihren alten Gefährten. Sie hatten die Brut der Erzdämonen und die unter ihren Bann gefallenen Kreaturen bereits hier bekämpft, während sie noch in Selthe gewesen war. Hatte die Welt Erstere von ihrem Angesicht getilgt, oder mochte es sein, dass einige immer noch durch die Lande streunten, furchtbare Überbleibsel des vergangenen Jahres?
Sie erriet es nicht. Nirgends gab es eindeutige Hinweise.
Plötzlich ging ein lauerndes Zusammenfahren durch den Barbaren. „Still! Hörst du das, Magierin?“ Er wandte sich der offenen Wüste zu.
Ifrah folgte seiner Drehung und hielt den Atem an.
Der dünne Mond stand schärfer in der zunehmenden Dunkelheit.
Zuerst vernahmen ihre Ohren nichts außer dem schwachen Streifen des Windes und den fernen Klängen der Lager. Doch nach wenigen Augenblicken reglosen Horchens war es ihr, als höre sie aus den Nachtschatten über den Hängen der anderen Seite etwas sich nähern. Zugleich fanden ihre Augen eine Bewegung, kaum mehr als tieferes Schwarz.
Der Barbar zog sein Schwert. Sie sprachen nicht, standen nur, hastig überlegend, ob sie warten oder die Hügel hinuntereilen sollten, um die Lager zu warnen.
Doch das Näherkommen des Schattens zeigte ihnen, was es war.
Ein Kamel, geführt von einer Gestalt und mit einer Last auf dem Rücken, die nach einer zweiten Gestalt aussah. Mensch und Tier bewegten sich langsam, unsicher und schwankend über die ansteigenden Steinflächen auf sie zu.
„Bei den Ahnen!“ Der Barbar sprang vor. Das Schwert in die Linke wechselnd, eilte er den Figuren entgegen.
Ifrah folgte ihm.
Der Mann, der das Kamel geführt hatte, fiel ihnen vor die Füße, als sie bei ihm anlangten. Ifrah kniete neben ihm nieder. Er zitterte derart, dass er nicht sprechen konnte, nur ein Stammeln stand grausig in der Stille.
Als sie ihn bestürzt aufzurichten versuchte, stach ihr ein seltsamer Geruch in die Nase.
Blut. Viel Blut. Und verkohltes Fleisch.
Er stützte sich an ihr ab. Ihre tastenden Hände, ohne Handschuhe, die noch an ihrem Gürtel hingen, fühlten alte, ausgemergelte Glieder, und mit einem Laut des Entsetzens gewahrte sie, dass seine Linke, nach der sie helfend langte, ihr verkrustet und ohne Finger durch den Zugriff glitt. Sie war nur noch ein Stumpf, bröckelnd, klebrig von gestocktem Blut.
„Um Badrs Willen... was...“ Wieder kippte der Fremde vornüber, jetzt abgehackt murmelnd.
Hartes Barthaar bedeckte ein im Dunkeln verborgenes Gesicht, und es war feucht. Er hatte geweint, so sehr, begriff ihr wild schlagendes Herz, dass sein Bart ganz nass davon war.
„Flüchtlinge“, rief sie der hohen Gestalt des Barbaren zu, der neben das Kamel getreten war.
„So scheint es“, kam es fest zurück. „Der hier ist schon beinahe tot.“
Ifrah ließ den alten Führer kurz, wo er war, und eilte neben den Nordmann. Über dem Rücken des Kamels hing der zweite Mann, das Gesicht nach unten. Viel konnte sie nicht sehen, aber rasche, streifende Berührung verriet ihr, dass ihre Nase sie nicht getrogen hatte.
„Er ist völlig verbrannt“, hörte sie die Stimme des Barbaren, und selbst darin klang leises Grauen an. „Rücken, Beine, alles.“
Für einen Augenblick standen sie wie erstarrt, hinauslauschend in die stille Nacht, neben dem erschöpften Tragetier und seiner entsetzlichen Last, neben dem Alten, der am Boden kniete und den Oberkörper vor- und zurückwiegte.
„Rasch jetzt!“
Sie halfen dem Verwundeten auf. Behutsam, doch so schnell es ging, suchten sie sich einen Weg die Hügel hinab, hinunter zu den Lagern. Hinter ihnen, jenseits der Hügel zurücksinkend, atmete die weite Wüste ihnen groß und schweigend hinterher.
Unten in den von Feuern erhellten Lagern hatte man sie gesehen, lange bevor sie den Fuß auf den Boden des Tals setzten. Ifrah sah Nomaden herbeilaufen. Die Musik, nah jetzt, die gelb angeleuchteten Gesichter und die rastenden Menschenmengen schienen ihr seltsam unwirklich.
Mit den schnellen Zungenschlägen ihrer kehligen Sprachen redend, begleiteten sie einige Nomaden ein Stück weit. Sie blieben zurück, als die vier Menschen und das Kamel das Barbarenlager erreichten.
Sofort waren Krieger da, und eine langsame Welle der Beunruhigung hob viele Männer von ihren Sitzplätzen. Doch nach ihrer Art drängten sie nicht alle heran, warteten. Ließen ihren Führern den Vortritt.
Urel tauschte Blicke mit Ifrah und der Wache, die berichteten, was auf dem Hügel geschehen war.
Hadan kam durch die Gruppen der Umherstehenden herbei.
Als sie verfolgte, wie der reglose Körper abgeladen wurde und der Nekromant sich über ihn beugte, sich dann des Alten annahm, bemerkte Ifrah erst das Zittern ihrer Knie.
„Wo können die Leute herkommen?“ Neben Urel war Eya nur ein kleiner Schatten mit erweiterten Augen, die sich nach den Elenden und den sicheren Verrichtungen Hadans umsahen.
„Ich weiß nicht“, Ifrah legte die Rechte über den Mund und hauchte bebend hinein. Ihr war kalt geworden. „Mitglieder einer Karawane gewiss.“
„Da sind abgerissene Packschnüre am Sattel des Tiers“, sagte Urel. Wieder wechselte er einen Blick mit Ifrah, und sie verstand die stumme Frage. Wie weit kann der Ort des Geschehens entfernt sein?
Sie musste sich zwingen, nachzudenken. „Wenn sie aus Sadr Hammath oder Abbèsh kamen... es gibt kaum festgelegte Routen, es sei denn längs des Meeres, und von dort kamen sie nicht. Aber in der Wüste halten sich Karawanen an zahllose Stellen oder brechen von dort auf: Wadis, Wasserlöcher, Nomadentreffpunkte. Wir werden es nicht herausfinden, wenn die Männer uns nichts sagen.“
„Der Alte spricht nicht.“ Der Nekromant war zu ihnen getreten. Er rieb sich die Hände an einem Tuch ab. Ifrah bemühte sich, das dunkle Blut daran nicht zu sehen. „Er steht unter Schock. Und der Andere...“
„Ist er so schwer verletzt, wie es aussah?“ fragte Urel leise.
„Er wird die Nacht nicht überleben.“ Im Feuerschein hatten die Augen des Nekromanten einen starren, beinahe unmenschlichen Ausdruck, aber Ifrah hörte das Bedauern und den Ernst in seiner Stimme. „Ich kann ihm nicht mehr helfen. Seine gesamte Rückhälfte ist verbrannt, so tief, dass sich die Lederteile seiner Kleidung ins Fleisch gefressen haben. Vielleicht ein Söldner.“
„Wir müssen die Stadt unterrichten.“ Urel schickte einen der nahe stehenden Barbaren zum Tor.
Das folgende Schweigen wog schwer. Immer noch hielten sich Vertreter anderer Lager in der Nähe auf.
Die Musik hatte nicht ausgesetzt. Der Mond war über die letzten Spuren der Abenddämmerung ins Tiefschwarz geklettert.
„Das war kein gewöhnliches Feuer“, brach Hadan schließlich das Schweigen. Bostac und ein weiterer Barbar standen nun auch bei ihnen. „Ich habe so etwas zuvor nur an einem Ort gesehen.“ Er hielt kurz inne. „Und das war kein Ort auf Erden.“
Trotz der Lagergeräusche ringsum schien die Stille übermächtig.
„Sie kommen“, sagte Urel tonlos, dann, grimmiger: „Wir sind keinen Augenblick zu früh eingetroffen. Irgendwo in der Wüste muss es einen Platz geben, oder mehrere, an dem sie dieses Land betreten haben.“
Sie. Niemand suchte einen Namen. Niemand sprach eine Vermutung aus.
„Sie halten sich nicht versteckt“, gab die Assassine mit ihrer hellen, klaren Stimme zu bedenken. „Vielleicht wurden sie auch... gestört.“ Dann brach sie ab, wie erschöpft von den wenigen Worten, die das Ungeheuerliche, lang Geahnte berührt hatten.
„Wir wissen es nicht. Noch nicht.“ Das Schwert auf dem Rücken, die verstümmelte Linke dicht an den wuchtigen Leib gepresst, spähte Urel zu den Hügeln.
Noch nicht. Halb versteckt vor allen anderen Menschen trafen sich die Augen der alten Gefährten.
Ifrah fing die noch zögernde, doch hochgescheuchte Entschlossenheit auf, und wider Erwarten legte sie sich böse, beinahe mit einem starken, heißen Schauer in ihre Glieder, die ruckten, ihr dann wieder gehorchten.
Nein, sie waren in der Tat nicht zu früh eingetroffen.
Und auch nicht, um zu bleiben. Nicht, um auszuharren und abzuwarten.
Ohne dass in dieser Stunde noch weitere Worte über die kommenden Tage gewechselt wurden, bereitete sie sich vor. Legte ihre Sachen für einen langen, gefahrvollen Marsch bereit. Kniete sich in den abgekühlten Sand und betete zum Mond, der als feine Sichel die Nacht der Ankunft erhellte, und zur Sonne, die sehr bald wieder ihre Herrschaft über diesen Teil der Welt antreten würde.
Zuletzt, während alle Geräusche und Bewegungen rings um sie zurückfielen, in Bedeutungslosigkeit versickerten, dachte sie an den Süden. Beschützt mein Mädchen, Badr und Junah. Lasst sie dort unten verweilen, wenn es hier zu gefährlich ist.
Lasst sie einen der Sterne sein, die für die friedlicheren Nächte am Ende allen Unheils aufgespart bleiben.







Der erste Morgen nach ihrer Ankunft fand die alten Gefährten, Menrad und einige Barbarenkrieger, darunter Bostac und Herlac, etwas abseits des Lagers.
Über einem kleinen Feuer in ihrer Mitte briet das magere Fleisch hiesiger Ziegen, dazu waren die luftigen Fladen verteilt worden, die man hier mit Fett, Zucker und Gewürzen aß. Aber kaum einer der Anwesenden machte sich hungrig darüber her.
Sie waren zusammengekommen, um zu beratschlagen.
„Das Heer wird hier ausharren“, sagte Urel zu den Barbaren, denen der Morgenwind, schon heiß, obwohl es noch früh war, durch die Bärte und Haarquasten strich. Mit einem festen, aber wartenden Blick versicherte er sich des Einverständnisses der Männer.
Waren sie geschlossen anderer Meinung, musste abgestimmt werden, wie sie vorgehen wollten – er konnte Befehle aussprechen, aber nicht zweihundertundfünfzig Kriegern etwas auferlegen, dem sie nicht beipflichteten.
Bostac und Herlac indes nickten. „Gut“, meldete sich Letzterer mit behäbiger Stimme. „Die Männer sehen das ohnedies als ihre Aufgabe an. Wenigstens im Augenblick.“ Lut Gholein stand im frühen Licht: Eine weiße, von Menschenmengen umgebene Stadtmauer. „Sie sehen eine Stadt. Die Stadt hat uns ihre Gastfreundschaft gewährt. Es sind viele hier, die nicht allzu wehrhaft aussehen. Sie und die Stadt von unserer Streitmacht zu entblößen, wäre dumm.“
Er hat Recht, dachte Menrad, der den Hünen betrachtete. Man mochte Herlac, wie so viele seiner Brüder, für einfältig halten, nahm man nur seine und ihre lautstarke, polternde Art zum Maßstab. Doch der Paladin ahnte, dass Herlac mit einem tiefen, klugen Gespür längst erraten hatte, wie es um das fremde Lut Gholein stand.
Die Stadt ist krank, krank wie ihr Fürst, und ihrer Wüstenkrieger und Söldner zum Trotz beinahe wehrlos. Er bewegte die vom Schlafen steifen Schultern unter dem pundarischen Kettenhemd. Nicht, weil die Leute hier feige oder unwissend wären. Aber sie wissen nicht – genauso wenig wie wir – woher die Bedrohung vielleicht naht. Ein Heer auf gut Glück in die offene Wüste hinauszuführen, wäre Torheit.
Während die Barbaren diesen Beschluss noch weiter in ihrer ruhigen Art festlegten, forschte der Paladin in seinem eigenen Innern. Durcheinandergeworfen lag es da.
Er konnte in die Marsch zurückkehren. Wohl hundertmal am Tag gab er sich dieser gleichsam erlösenden wie bitteren Vorstellung hin, wissend, dass niemand hier ihn aufhalten würde, denn er hatte bereits viel geleistet für das sichere Weiterkommen des Heeres.
Doch er wusste nicht mehr, was in der Marsch auf ihn wartete. Ein Aufgegriffenwerden, weil der Orden längst, auf welchen Pfaden auch immer, von seinem Verrat unterrichtet war, eine Hinrichtung vor den Mauern der alten Königsstadt? Ein kurzes Leben, wie es die Abtrünnigen jetzt führen mochten, zu erschöpften Haufen zusammengerafft, herrenlos zwischen den Städten umherreisend, immer in Gefahr, jemandem verdächtig zu werden? Ein ganz anderer Weg, fern von allem, der in Verzweiflung und Selbstvorwürfen endete, eine Flucht vor der Wirklichkeit?
Er wagte es kaum noch, zu beten.
Und er begriff, es war aus Angst. Angst, der bittende Ruf hinauf zum Himmel, zum Licht würde jenen, die sich in ihrem Namen auf die Erde hinabgeschwungen hatten, einen Hinweis auf ihn geben – eine verräterische Spur, ein Aufleuchten in ihren fast allwissenden Geistern.
Im Osten hatte er sich gelegentlich verlassen gefühlt. Doch nun dachte er mit einer grimmigen Erheiterung an die Tage in Shanghar zurück.
Verlassen war er erst jetzt.
Vielleicht ging er darum einfach weiter, heftete sich an die Fersen jener, die ihn umstanden und ihren eigenen, rätselhaften Wegen folgten, mitten hinein in den Kern allen Übels, immer aufs Neue, unbeirrbar, wie Motten, die das tödliche Licht einer Lampe lockt.
Sie sind Verdammte. Schaudernd, halb schuldbewusst, halb tiefernst, sah er zu den Anderen. Zu begreifen, dass ihrer aller Pfade sich aneinander festgeeist hatten und dass daraus eine Kraft geboren wurde, die sie weiterzog, ähnelte einem wirklichen Verstehen nicht. Es war eine taube, machtvolle, trotzige innere Kraft.
Wer von uns wird am Ende zurückkehren? Und wohin?
Mühsam schüttelte er die Gedanken ab und versteifte sich wieder auf die Unterredung.
„Sodann, das Heer bleibt als Schutz bei der Stadt“, sagte Bostac eben. Der junge, blonde Barbar sah Urel eindringlich an. „Was aber wirst du tun? Vielmehr, was werden wir tun, denn ich für meinen Teil will nicht hier bleiben, wenn...“ Er beendete den Satz nicht.
Allen Anwesenden war klar, dass Urel und seine alten Gefährten, die Überlebenden der Baalsmission, nunmehr als eine Einheit auftraten. So war um den jungen Kriegsherrn nicht nur seine eigene, sondern eine allgemeine Entschlossenheit fühlbar, als er zurückgab: „Ich werde in die Wüste gehen, Brüder, zusammen mit meinen Mitstreitern aus früheren Tagen. In der Wüste liegen die Antworten auf unsere Fragen. Dort müssen wir suchen, ganz gleich, was man sich hier über die Gefahren erzählt. Es ist kein völlig unbekanntes Gebiet für Manche hier“, er wies mit der Rechten auf Hadan und Eya, „und diesmal haben wir eine Frau zur Seite, die uns führen kann.“
Menrad bemerkte, dass Ifrah sich leicht und angespannt verbeugte, als wisse die dunkelhäutige Magierin nicht, wie sie sonst dem in sie gesetzten Vertrauen begegnen solle.
„Die Wege zu den alten Magiertälern kenne ich gut“, sagte sie. „Auch jene, die sich an die traditionellen Karawanenpunkte in der Wüste halten. Für Fremde sind sie schwer zu finden.“ Sie lächelte dünn.
Ihre Bemerkung trug ihr ein leichtes Kopfnicken seitens der Barbaren ein.
Sie akzeptieren sie, dachte der Paladin nicht ohne Erleichterung. Als ihm aufging, dass sein Gedanke einer wachsenden Sympathie für die ältere Frau entsprang, konnte er eine verwirrte Regung nicht unterdrücken.
Nein, er begehrte sie nicht.
Der seltsame Abend vor Wochen in Shanghar war die Ausgeburt ihrer beider Einsamkeit gewesen. Aber seitdem er mehr und mehr Zeit gehabt hatte, Ifrah zu beobachten, wurde ihm bewusst, dass er wünschte, die allmählich einer Freundschaft ähnelnden Bindungen zwischen ihnen möchten nicht bloß seine Einbildung sein.
Da stehe ich, bin vor Monaten noch Missionskrieger meines Ordens gewesen. Und was bin ich jetzt? Der Gefährte von schwarzen Magiern, von zaubernden Frauen, von Assassinen und einer Horde wilder Männer, gegen die meine Brüderschaft sich gewandt hat.
Warum fühle ich keine Entrüstung?

Nicht einmal Hadan konnte er noch hassen. Doch was ihm als Verlust erschienen war, unlängst noch, als Beweis des Wegfalls seiner innersten Leitlinien und seiner Moral, erwies sich nun seltsam als Trost – ein Trost, der ihn zögernd bei der Hand nahm wie ein Kind, zutraulich, wortlos.
Fast ohne sein Zutun geschah es, dass er sich neben die Gruppe stellte, die plante, am folgenden Tag in die Wüste hinauszuwandern: Die alten Gefährten, Bostac, Herlac und er.
„Sieben“, fasste Hadan zusammen. „Urel, wir sollten erwägen, Jerhyn von unserem Vorhaben zu unterrichten. Er ist der Stadthalter. Wenn wir uns in die Wüste wagen, wird das von gegnerischer Seite nicht unbemerkt bleiben.“ Der Nekromant wirkte düster, der Sonne zum Trotz, die sein bleiches Gesicht noch bleicher machte. „Sie sollten wissen, dass wir womöglich etwas aufschrecken. Der Gang birgt nicht nur für uns Gefahren.“
„Das ist nur gerecht“, nickte der Barbar. „Ich werde Jerhyn darüber aufklären. Zudem, vielleicht gibt es in Lut Gholein doch Männer, die uns zu begleiten wünschen.“
Menrad hielt es nicht für angebracht, seine Zweifel laut auszusprechen. Doch er glaubte kaum, dass der kranke Fürst ihnen Bewaffnete zur Seite stellen würde, eben aus den Gründen, die Herlac angeführt hatte.
Auch die Gefährten schienen darauf nicht zu hoffen.
Die Gruppe trennte sich vorerst. Sie wollten ruhen, Kräfte sammeln für den anstrengenden Marsch.
Menrad beobachtete, dass Hadan sich nach einem kurzen Wortwechsel mit der Assassine und Ifrah vom Lager absetzte und zur Stadt davonging.
Unschlüssig stand er selbst eine Weile herum. Dann, wie fremdgeleitet, die grauen Augen wachsam auf das Durcheinander der Lager geheftet, an denen er vorbeikam, lenkte er seine Schritte ebenfalls Richtung Lut Gholein. Blinzelnd sah er zu den Wällen hinauf. Sie waren heute stärker besetzt als am vorigen Tage, vielleicht aufgrund der Ankunft der beiden Flüchtlinge. Der Eine, Jüngere, war bei Tagesanbruch verschieden, entsetzlich zugerichtet und ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Der Andere schien dem Wahnsinn verfallen und befand sich nun in der Stadt.
Die lautstarke, wogende Menge empfing Menrad im Stadtinnern mit ihren Gerüchen und ihrem Geschrei.
Er konnte sich hier fast unbesorgt bewegen. Das halb zerrissene Ordenshemd trug ihm misstrauische Blicke ein, doch keine offene Feindseligkeit – gewiss, weil ein einzelner, heruntergekommener Paladin in den Leuten Bedenken, aber kaum Furcht wachrief.
Somit hätte er zum Hafen schlendern oder sich durch die Buden treiben lassen können, Atem holend in all diesem Gestank zu vieler, dicht aufeinander lebender Menschen.
Doch im Grunde seines Herzens wusste er, warum er hergekommen war.
Durch das Getümmel, in dem man einen zu Verfolgenden schnell verlor, durch die ungezählten Farben, die wedelnden Hände, die Tierleiber und die Schatten überhängender Balkone und Markisen hindurch griff ein dunkler Sog nach ihm, schwach, aber deutlich genug, um ihn zu leiten wie ein Ruf.
Gedankenlos folgte er. Neugierde? Eine Ahnung? Es kümmerte ihn nicht.
Was er fühlte, war die Gegenseite – das Schwarz, das dem Weiß gegenüberstand und das seit seiner unseligen Gefangenschaft in Kurast sein Begleiter gewesen war.
Du. Der Andere. Der ewige Widersacher.
Je wurzelloser er sich wähnte, desto mehr war diese Wahrnehmung gewachsen. Nur das zögernd gesteigerte Zutrauen zum dem bloßen Mann jenseits all dessen, was die Gegenseite verkörperte, schwächte sie ab.
Menschen sanft, aber bestimmt zur Seite schiebend, bahnte er sich seinen Weg durch die Straßen.
Wo sie in die schmalen Gassen übergingen, die im tiefen Stadtkern nur so breit waren, dass man zu Zweien durch sie gehen konnte, ebbte das Gedränge ab. Es stand noch als Klangschleier über den Dächern. Hier roch es nach abgestandenem Wasser, nach dem Dunst enger Behausungen. Gewürze mischten sich mit Gerberurin, mit dem feuchten Atem schattiger Steine.
Unwillkürlich die Rechte offen am Griff des Kampfhammers, drang er weiter vor. Was willst du hier? Im Dunkel stoffverhängter Eingänge sahen Augen nach ihm, aber niemand vertrat ihm den Weg.
Dann wurde es stiller. Die Gassen verzweigten sich zu einem Labyrinth, nass bespritzt, und kaum noch eine Menschenseele ließ sich blicken. Hierher fanden nur Einheimische, und Menschen, die verborgenen Geschäften nachgingen.
In einer Seitengasse ragte ein Stand hervor, ganz unvermutet. Ein hageres Männlein zischte den Paladin an, nicht auf Sandhaîn, doch er achtete kaum auf die Laute, die bedeuten mochten, dass er verschwinden solle, dass er hier nichts zu suchen habe.
Wirklich, ein tausendmal abgeschiedenerer Ort als einer draußen vor der Stadt.
Er sah an dem aufgeregten Alten vorbei.
Dann hörte er die Worte nicht mehr.
Die Gasse hinter dem winzigen Stand war leer, schattig, fast still bis auf das weit über den Häusern schwebende Tosen des lebendigen Lut Gholein.
Sie war leer bis auf einen einzelnen Mann.
Den Kopf fast bis auf die untergeschlagenen Beine gesenkt, saß Hadan mit dem Rücken an einer der Wände. Menrad sah, dass er sich nicht regte und dass ihm das schlohweiße Haar dicht über das Gesicht fiel. Vage ähnelte der hockende Nekromant einem Betrunkenen.
Doch der Paladin, der hätte hingehen und ihn an der Schulter packen können, rührte sich nicht.
Ein Grauen, unbestimmt und dabei wesentlich wie das Mark der eigenen Gebeine, fasste nach seinem Inneren, ohne dass er überhaupt begriff, was er sah.
Die Nacht in einer Senke der Marsch, Tage zurück, und halb uneingestandene Gedanken legten sich dick über seine Sinne und seine Erinnerung. Kaum bemerkte er, dass das Männlein verstummt war, denn alles, was er tun konnte, war zitternd dazustehen und zu starren.
Nein, die Gasse war nicht leer.
Unsichtbar fast, aber dennoch dunkel genug für eine Sonnenfinsternis, wölbte sich etwas aus der reglosen Gestalt des Hockenden, rot, schwarz, ein Gewirr, Myriaden von Fäden, die leise atmeten, lebten. Grundgütiger Himmel. Menrad stand wie angefroren.
Nebelgleich tastete die gesichtslose Schwärze, betastete die Hauswände, befühlte den Boden, breitete sich aus wie die Arme eines Kraken, und das Herz des Paladins schlug dumpf und so fest, dass es wehtat. Es antwortete.
Himmel, nein.
Wer bist du?
Aus fast vergessener Not eine Stimme, am Fuße eines Tempels im fernen Kurast. Sie suchte ihn heim, wieder, und ohne es zu bemerken, senkte er den Kopf, die Augen fiebrig auf die Gasse gerichtet.
Wer seid ihr? Und wie damals wurde es still um ihn.
Wie lange er so verharrte, gebückt, halb in Abwehr, halb in ein atemloses Lauschen hineingelehnt, wusste er nicht.
Als das Dunkel sich zurückzog, stolperte er ungeschickt in die Gasse. Hin, hin zu ihm, bei allen Heiligen, ihn kennst du doch, und er erreichte die entsetzlich zusammengefallene Gestalt des Mannes, der aufgerichtet größer war als er selbst. Ihn kennst du doch.
Seine Stiefel scharrten auf dem feuchten Pflaster.
In diesem Augenblick erreichte ihn die Gegenwart eines weiteren Menschen. Mit leerem Kopf wandte er sich um.
Da tropfte sie von einem der flachen Dächer hinab, gewichtslos, kam ohne Erschütterung auf, war ganz schwarzes Leder und kohlfarbene Augen voller Angst.
„Eya“, sagte er heiser.
Die Assassine sah in an, und aus dem Ansehen wuchs eine verschüttete Ahnung, dass sie in der Nähe gewesen war, die ganze Zeit über, ein Schatten auf den Dächern, dass sie aus demselben Grund hier war wie er.
Sie legte den Finger auf die Lippen, flüsterte dann: „Bitte, Menrad, helft mir. Helft uns.“
Er folgte ihr, die sie voranschlich.
Das Unheimliche, das die Gasse erfüllt hatte wie eine Segnung, wie eine Plage, er wusste es nicht zu sagen, war fort.
Doch der Urheber kauerte vor ihnen, und vorsichtig auf ein Knie hinuntergegangen, die Linke noch am Griff seines Kurzschwerts, sah Menrad zu, wie die junge Assassine ihren Gefährten berührte, erst an der Schulter, dann am Gesicht.
Langsam, gleich einem Schlafwandler, kam der Nekromant zu sich.
Er atmete hörbar ein, erschauerte, und auch die beiden Menschen vor ihm erschauerten, als ein letzter Auswurf dessen, was er beschworen hatte, sie streifte. Menrad sah ihn schlucken, eine Bewegung in den festen, gespannten Muskeln des weißen Halses, weiter vorerst nichts.
Dann hob er den Kopf, öffnete die Augen. Gegen jede Erwartung schrak der Paladin derart zusammen, dass er sich zwingen musste, nicht von dem Nekromanten abzurücken. Das ungesunde Weiß hatte sich in den fremden Augen zugunsten einer dunklen, öligen Tönung verflüchtigt. Doch als Hadan blinzelte, verschwand es.
Hohes Licht, unerreichbares Licht, wir sind verdammt. Er half Eya, den großen Mann ins Leben zurückzurufen, auch wenn der Begriff nicht treffend schien. Nein, der Tod war es nicht, der Hadan begleitete, als er aufstand, taumelnd, sichtlich bemüht, seine Aufmerksamkeit auf die beiden Helfer zu richten.
„Was hat er?“ hörte Menrad sich fragen, den schweren Leib stützend, der nur allmählich Standfestigkeit zurückerlangte.
Die Augen der Assassine, ihr Ausdruck, brannte sich in sein Gedächtnis.
„Ich weiß es nicht“, sagte sie leise. Er war sich sicher, dass etwas in ihr weinte. „Ich glaube, er spricht zu seinem Gott.“
Daran, wie sie aus der Gasse, aus dem ganzen Gassengewirr, herauskamen, erinnerte sich Menrad später kaum noch.
Anfangs mussten sie dem Nekromanten bei jedem Schritt helfen. Der Paladin fühlte die festen Muskeln des Armes, den er ergriffen hatte, erstaunlich für einen Mann dieses Alters, erstaunlich für einen Fernkämpfer.
Seid vorbereitet, ihr, die ihr die Gegenwart des Lichts zu empfangen wünscht, bewegten sich Fetzen der paladinischen Lehre in seinem Kopf hin und her, wie er da ging, auf der anderen Seite eine Attentäterin, zwischen ihnen einen dunklen Magier, einen Gefallenen seinem Verständnis nach, und um sie Drei das Gewebe der überquellenden Stadt. Seid vorbereitet in Körper und Geist.
Im Osten, auf der seltsamen Reise nach Pundar und auch dort hatte er nicht einen Nekromanten gesehen, der fett war oder verweichlicht, nicht einen, den das behagliche Leben eines Klerikers aufgetrieben hatte.
Unbehelligt erreichten sie das Stadttor. Menrad ließ Hadans Arm nicht los.
Hier bin ich, Vertrauter eines dunklen Magiers.
Himmel, erschlagen sollte ich ihn.
Aus dem gesenkten, entrückten, nur langsam in Leben und Sinn zurückfindenden Antlitz neben ihm blitzte ein kurzer, schlingernder Blick, doch er las darin, tief betroffen, Dankbarkeit.
Ich danke dir für deine Geduld, Paladin.
Er schluckte und richtete die Augen fest auf die vielgestaltige, bunte Menge vor den Toren.
Hier bin ich und helfe einem, der einst mir geholfen hat. Er sah Hadan nicht mehr an. Was hast du getan in dieser Gasse?
Der Himmel sei uns gnädig.






„Begleitschutz wollt ihr, ja?“
Der Mann, der sich an die schattige Hauswand lehnte und auf einem Holzspan kaute, lachte herzhaft. „Griez?“ Er schien sich vor Heiterkeit kaum halten zu können. „Den alten Narr sucht ihr? Der ist tot. Hinausgerannt in die Wüste. Badr möge seine Gebeine nicht ungnädig zu Staub zerbrennen. Ein Irrsinniger war das.“ Der grobschlächtige, muskelbepackte Lut Gholeiner grinste. „Ihr habt den Fürsten gesprochen, sieh an. Der hält seine Wache gut zusammen dieser Tage. Würde ich auch tun. Ich bin der neue Söldnerführer, Fateen mein Name, ihr abenteuerlichen Fremden“
In der Parodie einer Verbeugung senkte er den kurzgeschorenen Schädel.
Die Gefährten wechselten einen Blick, in dem Bestürzung und Ärger miteinander konkurrierten.
„Guter Mann“, Ifrah hatte ihre Geschäftsmiene aufgesetzt. „Das Schicksal deiner unglücklichen Vorgänger hin oder her – sag uns tunlichst, ob wir bei dir Männer anwerben können, die sich für einen Erkundungsgang in die Wüste nicht zu schade sind.“
„In die offene Wüste? Das wird ja immer besser.“ Fateen lachte erneut.
Eya beobachtete das Gesicht des Söldnerführers. Sie vermutete, dass er nicht halb so viel Einfluss besaß, wie seine Stellung versprach. In Lut Gholein wimmelte es nahezu vor merkwürdigen Gestalten, und gewiss nicht alle hatten sich bereits einem Aufseher unterstellt, der dem Fürstenhaus verpflichtet war, denn ohne Vermittler waren höhere Preise zu erzielen.
Unauffällig trat sie neben Ifrah und Urel, die auf eine ernsthaftere Erwiderung Fateens warteten, und flüsterte ihnen ihre Beobachtungen zu. Dann tauchte sie in den Hintergrund zurück, neben Hadan, der ungerührt dastand.
„Ich kann euch keinen Mann vermitteln. Versucht aber meinetwegen euer Glück.“ Fateen grinste und kratzte sich am Ohr. „Mag sein, dass einer von den Bastarden hier verrückt genug ist, sich auf euch einzulassen.“
Die Gefährten wandten sich ab, während der neue Söldnerführer dasselbe tat und vorbeigehenden Mädchen Kusshände zuwarf.
Sie hatten sich jedoch kaum eine Viertelstunde an der Straßenkreuzung aufgehalten, an der die Einwohner oder Karawanenführer Söldner anwerben konnten, als ein großer, sehr dunkler Mann zu ihnen trat. Er war aus einem Wirtshaus herausgeschmolzen, leise wie eine Katze, und blinzelte die Schar uneinheitlicher Menschen misstrauisch an.
„Ihr sucht Begleitung für die Wüste?“
Wie gerufen zog sich die Gruppe um ihn zusammen. Es war der Mittag ihres vorerst letzten Tages in Lut Gholein.
Eya fasste den Mann ins Auge. Er maß fast so viel an Körperlänge wie Hadan, trug einen kurzen Bart, kaum dunkler als seine beinahe schwarze Hautfarbe, und stank geradezu herausfordernd nach Wein, Schweiß und Freudenhäusern. Sein Gesicht aber war unter der verkommenen Schlaffheit Trunksüchtiger scharf geschnitten und besaß die Forschheit trainierter Kämpfer. Seine Lanze, mehr als mannslang, vervollständigte zusammen mit einem großen Krummsäbel seine Ausrüstung.
„Wie heißt du?“ Urel sah auf den Söldner hinunter. Er überragte ihn noch um gut einen Kopf.
„Ein Nordmann“, der Söldner betrachtete den Barbaren, dann Hadan, Menrad und die Frauen, ohne sich zu beeilen oder einschüchtern zu lassen. „Wer in diesen Zeiten nicht alles hierher findet. Mein Name lautet Suhaym, Nordmann, und der deine?“
Der junge Barbar nannte ihn und stellte auch die Gefährten vor.
„Wir wollen in die Wüste“, sagte er dann. „In die Richtung, wo die alten Magiertäler liegen, doch das mag sich unterwegs ändern.“
„Mir gleich“, gab der Söldner zurück. „Solange ihr gut zahlt.“
„Daran soll es nicht liegen“, Eya sah Ifrah vortreten. „Für Wasser und Ausrüstung sorgst du selbst. Weggeld, der Rest dann, wenn wir unser Ziel erreicht haben und dich nicht mehr brauchen.“
„Ihr seid ein sonderbarer Haufen“, der Mann hob die Brauen, was seine zuvor schmalen Augen etwas aufhellte. Überraschenderweise waren sie von dunklem Blau. Offensichtlich wunderte ihn, dass eine Frau so einfach für eine gemischte Gruppe das Wort ergriff. „Kommen die Frauen mit? Ich bin kein Leibwächter.“ Es klang unverhohlen abfällig.
„Oh, keine Sorge.“ Hadan schenkte dem Söldner das seltsame, starre Lächeln, das er für unverschämte Händler oder mögliche Gegner aufzusparen pflegte und vor dem Eya schon manchen Mann hatte zurückweichen sehen. „Sie können auf sich selbst Acht geben.“
Der Söldner besah sich den Nekromanten ein zweites Mal, und seine Augen wurden wieder schmal. Dann richtete sein Blick sich auf Urel. „Wann soll es losgehen?“
„Morgen bei Tagesanbruch.“ Urel verständigte sich wortlos mit den Gefährten darüber, dass sie den Mann nehmen würden. Niemand zeigte eine Regung des Einwands.
Sie hatten keine große Auswahl. Von der Stadtwache war niemand abkömmlich, wie ein Hauptmann des Fürsten ihnen eine Stunde zuvor versichert hatte, und freie Söldner schienen die Einzigen, die sich der Aufgabe nicht abgeneigt zeigten.
„Eines noch.“ Hadan fixierte den Mann. „Wir müssen uns darauf verlassen, dass du nach Lut Gholein zurückkehrst, solltest du als Einziger überleben, und die Stadt von dem unterrichtest, was du gesehen hast. Wir brauchen keinen weiteren Krieger, sondern einen Mann, der bereit ist, das für Geld zu tun.“ Sein Tonfall ließ wenig Zweifel daran, dass sie dem Söldner durchaus zutrauten, sich stattdessen mit den Wertsachen, die er bei ihnen finden mochte, davonzumachen.
Eine leise Regung auf Suhayms Gesicht fesselte Eyas Blick. Sie hätte es für verletzten Stolz halten mögen, Stolz, den ein lebenslanger rauer Umgang nicht hatte abschleifen können, und sie war sich sicher, dass der Söldner genau erriet, was sie über ihn dachten und dass er für sie nur zweite Wahl war, oder Schlechteres noch.
Er fasste den Schaft seiner Lanze fest mit narbenübersäten Händen. „Hexer, ich werde niemanden hintergehen, der für das Wohl Lut Gholeins dort hinausmarschiert. Ob du es glaubst oder nicht – mir liegt etwas an diesem Land.“
 
Hi Reeba.

Sehr sehr gut, diese beiden Updates.
Das meiste wurde ja schon geschrieben.

Vor allem der zweite Teil des zweiten Updates ist farbig und differenziert, was vor allem daran liegen mag, dass die Befindlichkeiten unser aller Helden zurücktreten hinter der Beschreibung schattiger Steine und dunkler Gassen und noch dunklerer Söldner und Möchtegern-Söldnerführer.


Hadan und sein Begleiter, hm, was kommt da noch? Ich war überrascht, wo und warum sich Menrad am Ende befindet, habe zuerst gedacht, er geht trotz seiner Bedenken zu Drognan um sich eines der berühmten, auch zum Köpfe kloppen tauglichen Szepter auszuleihen. Sehr stimmig und - ich wiederhole mich.


War ein bisschen kurz :D und wie immer: Lust auf Mehr machend :)


Grüsse DV
 
ich schließe mich heute meiner vorrednerin einfach an ohne weiteres dazu zu sagen.

Gruß, Helldog
 
ein spitzen up, so wie immer eingentlich :)

hoffe es geht bald weiter :angel:
 
Huhu,

wirklich ein schönes up. Darf ich schon jetzt nach dem nächsten up fragen?
 
Hallo, meine Liebe,
so ist das fein: ich komme aus dem wohlverdienten Urlaub zurück und finde ein neues Kapitel meiner Lieblingsgeschichte!

Eine Frage ist mir nach der wieder mal höchst spannenden Lektüre geblieben. Warum heuern die Gefährten einen Söldner an und nehmen nicht einfach einen der Barbaren als Berichterstatter mit? Wegen der Ortskenntnis?


Du hast Lut Gholein beschrieben als „Stein auf [dem] Brett ihrer Taktiken“, und diese Formulierung fand ich mehr als treffend, gewinnt man doch als Leser allmählich den Eindruck, als könnten die kleinen Menschen wohl trotz ihres starken Willens kaum etwas gegen die beiden Mächte ausrichten, die sich Sanktuario als Spielfeld ausgesucht haben. Sie wirken wie eine Familie Wühlmäuse auf einem Fußballfeld, die versuchen die beiden Mannschaften vom Spiel abzuhalten. Aber wer weiß, ich glaube, diese Nager haben scharfe Zähne und noch einige Überraschungen parat.


:kiss: Insidias
 
@Dame Venusia: Ich weiß nicht, ob Menrad eine bessere Waffe haben könnte als seinen berüchtigten Hammer. Schön, mal wieder etwas von dir zu hören.
@Insidias: Die Gruppe heuert den Söldner an - wie auch im Text schon gesagt wird - um einen aus Lut Gholein oder Umgebung stammenden, 'unpaarteiischen' Menschen dabei zu haben. Ein Barbar aus dem Heer würde als Fremder nicht viel Gehör finden, berichtete er von Dingen, die er angeblich gesehen hat.
Ein Söldner ist zwar niederen Ranges, wird aber aus eben dem Grunde, wenn er zurückkehrt, von der Bevölkerung eher angehört werden.
Aber ansonsten vor allem: Willkommen zurück :kiss:
@alle: thx für eure Kommentare :hy:
Das neue Kap. ist fertig, aber ich warte mal ab, ob sich sonst noch jemand äußern mag.
 
Reeba schrieb:
@alle: thx für eure Kommentare :hy:
Das neue Kap. ist fertig, aber ich warte mal ab, ob sich sonst noch jemand äußern mag.

Oha - wie gemein ... :cry: kann man dich irgendwie dazu bewegen es gleich zu posten?!
 
mach lieber :autsch: mit uns. das haben wir lieber als nichts zu lesen zu kriegen.

Gruß, Helldog
 
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