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[Story] Saqqara

auch von mir nun eine späte rückmeldung.

da ich übers we nicht da war und da einige arbeit ligegengeblieben ist, melde ich micht erst jetzt.

die wendung die der "ausflug" in das grab da nimmt, ist sehr interessant. ich muss zugeben bei insidias' felldingens hatte ich an diese bärenähnlichen "Tiere"(?) gedacht die immer mit bloßen fäusten zuschlagen.

wir werden sehen was weiter passiert. du hast auf jeden fall wieder ein begehrliches warten auf das nächste kapitel ausgelöst.

Gruß, Helldog
 
@ Reeba :
Nett das du fragst aber ich seh persöhnlich bei mir kein besonders großes Potenzial; ich bin eher derjenige der liest^^
Ps: Kein großes Potenzial: Weil ich würde das garnicht durchhalten die Story immer weiterzuentwickeln bzw die Chars und wäre schnell entmutigt^^

naja vllt irgendwann mal[im nächsten Leben oder so*g*]

Mfg Chaos und trotzdem nochmal´n: WO BLEIBT DAS UP?
 
Da is das Up ;)


***********







XLIII. Die heimlichen Wächter






In der Wüste nahte der frühe Abend. Die Sonne begann zu sinken.
Ifrah spürte es mehr, als dass sie es sah, denn das wenige Licht aus den Deckenöffnungen lag kaum verändert, sattgelb, auf den Wänden der Kammer.
Die Magierin saß still, beide Hände um den Stab auf ihren überkreuzten Beinen geschlossen. Nicht einmal die Handschuhe hatte sie abzustreifen gewagt, und sie tat auch kein Auge zu. Reglos lauschte sie auf jedes leiseste Geräusch, die offene Tür der Kammer im Blick, seit Stunden bereits.
Keine der alten Legenden und Kindergeschichten, die in unseren Häusern erzählt werden, kommen an die Wirklichkeit heran.
Der Gang war zu dunkel, um darin wirklich etwas ausmachen zu können. Doch gelegentlich löste sich aus den Schatten ein hellerer Umriss, schritt vorbei, verschwand wieder aus ihrem schmalen Blickfeld. Wie sacht sie sich bewegen.
Sie war sich ihrer eigenen Wachsamkeit und Angst bewusst. Aber durch die Furcht vor einem Angriff, die mit einer betäubten Verwunderung über sein Ausbleiben kämpfte, sickerte Anderes, und das lang andauernde Schweigen leistete ihm Vorschub.
Staunen, zu neu für Worte. Bilder, Gehörtes, Gewittertes, verschmelzend. Misstrauische Ehrfurcht, wie sie sie in von andersartigen Menschen bevölkerten Städten schon gestreift hatte, im Bezeugen der Macht fremder Riten, im Schatten gewaltiger Heiligtümer.
In dieser Kammer saß sie gleichsam wie auf einem beliebigen Platz am Rande eines aus dem Vergessen auferstandenen Reiches, das seine Triumphzüge, Verrichtungen des Lebens und Bauten an ihr vorbeiführte, gelassen und mit unantastbarem Selbstbewusstsein. Sie war Zuschauerin und fühlte sich klein, unwissend, beschämt ob der Ahnungslosigkeit ihrer eigenen Rasse.
Mit der rechten Hand, die durch das starre Festhalten des Stabs schon steif war, fuhr sie sich über die Augen, tastete nach dem Sitz ihres Stirnreifs.
Von den Anderen regte sich niemand. Sie hatten bis auf Hadan die Köpfe gesenkt, die Augen geschlossen. Doch nur Bostac und Menrad schienen zu schlafen, sitzend, die Waffen griffbereit. Eya schlief ebenfalls, aber es war der flüchtige Schlummer, den Ifrah an der jungen Assassine stets in solchen Lagen beobachtet hatte. Eine Bewegung, und sie würde erwachen.
Sie selbst saß am dichtesten bei der kaum mannshohen Tür.
Jetzt, erschauernd, richtete sie den Blick zum ungezählten Mal wieder fester in den Gangschatten.
Er traf auf andere Augen. Ifrah erstarrte.
Das Gesicht der Säbelkatze war auf gleicher Höhe mit ihrem, ein schwacher Fleck auf der anderen Seite des engen Ganges. Die Magierin musste nicht erst die Bögen rechts und links des mageren Leibes sehen, um zu begreifen, dass diese Haltung nun doch die Fähigkeit zu einer hockenden Position bewies.
Sie wagte keine Regung, nicht einmal, den angehaltenen Atem wieder ganz aus ihrer pochenden Brust zu entlassen. Die Nähe warf Grauen und Faszination aufeinander.
Über der gewölbten Stirn im Halbdunkel stachen Ohren ab, weit oben am Kopf angesetzt. Unter ihrem Blick schien auch das fremde Antlitz erstarrt, doch eben als das Ansehen unerträglich wurde, bewegten sich die Ohren, nach hinten, langsam, gedreht und schließlich flachgedrückt von einem Muskel, der bei einem Menschen längst verkümmert war.
Lider, nein, keine Lider, nur die Umfassungen der Augen, fellbedeckte Gesichtshaut, zogen sich über den glasigen Feuerglast des Blicks zusammen. Gemächlich, einmal.
Ein Blinzeln. Ifrahs Zittern löste sich in ein Zucken.
Welche Seele auch immer sie hier ansah, schien sie beruhigen zu wollen. Beruhigen. Ihr Mund war trocken.
Die Säbelkatze spürte ihre Furcht, das leise Grauen vor der Andersartigkeit, oder sie ahnte es. Weil dieses Geschöpf etwas Ähnliches empfindet.
Der Schreck des Begreifens saß tief. Zoll um Zoll lehnte sie sich leicht zurück. Dann, ohne zu wissen, was sie tat und warum es ihr richtig erschien, erwiderte die Magierin das Blinzeln.
Ein Atemstoß drang aus der platten Nase, der Schnauze, ein Schnaufen. Und das Gesicht drehte sich, wandte sich ab. Die Ohren stellten sich wieder auf.
In diesem Augenblick vernahm Ifrah das Geräusch, auf das die Wächterin hinlauschte.
Sie rückte von der Tür ab, ein Stück weiter in die Kammer hinein. Alles ging so leise vor sich, dass die Schlafenden nicht erwachten, nur Eya öffnete die Augen, und die Männer, die wach waren, hoben die Köpfe, vorsichtig, wortlos sich straffend.
Wenig später erschien jene Säbelkatze, die Wortführerin ihres Volkes sein musste, in der Türöffnung. Dahinter, im Gang, bewegten sich weitere. Der Haarschweif des Helmreiters streifte den Steinrahmen, als die Säbelkatze die Kammer betrat. Die Lautlosigkeit ihres Eintretens mochte daher rühren, dass sie sich für diese Dauer allein zu acht bewaffneten Menschen hineinwagte, vielleicht aber auch daher, dass sie die Ruhe respektierte, in der die Schlafenden atmeten.
„Du“, die Säbelkatze blickte Hadan an. Dann wanderten ihre Augen. Ifrah versteifte sich, als sie an ihr hängen blieben. „Und du.“ Es war nur ein Raunen. „Folgt.“
Die Gefährten wechselten rasche Blicke. Ifrah sah Ernst und Ratlosigkeit tiefe Schatten in ihre Gesichter schlagen. Die Barbaren rührten sich ebenso wenig wie alle anderen, doch ihre kräftigen Leiber ballten sich nachgerade zusammen und lehnten nur noch sacht an den Wänden.
Der Säbelkatze blieb das Zögern nicht verborgen. In den Tiefen ihrer Augen rührte sich etwas, weit unter der schmalen Iris. „Folgt“, wiederholte sie. Schließlich, als koste es eine Überlegung oder Überwindung, formte es die fremde Zunge: „Bitte.“
Behutsam erhob sich Ifrah, und Hadan tat es ihr gleich.
Er schaute zu Eya und zu Urel, der finster und wortlos nickte. Wir müssen wohl tun, was sie von uns erbitten, sagten die braunen Augen des Barbaren. Berichtet uns später. Je eher sich zeigt, warum wir hier sind, desto besser.
Nach dieser stummen Absprache folgten Ifrah und der Nekromant der Säbelkatze.
Hinaus ging es aus der Kammer, durch den Gang und in weitere Gänge und Räume.
Vollständig gerüstet, das Klingen ihrer Stiefel überdeutlich im Ohr, schritt Ifrah hinter Hadan her. Die Sprecherin führte sie, und zwei Wachen folgten, die Speere steil erhoben. Diesmal trugen sie zusätzlich Gurte um die flachen Hüften, an denen Säbel befestigt waren.
Achte nicht auf die Waffen. Die Magierin heftete den Blick auf Hadans breite Schultern. An ihnen Beiden hing es jetzt, alle Sinne und den Verstand auf die Ereignisse zu konzentrieren, an ihnen, den Ältesten.
Zunächst glaubte sie, es sei kein Zufall, dass man sie ausgewählt hatte – die Magiekundigen der Menschengruppe, die vielleicht einen Abglanz ihrer jenseits von Klingen und Schilden angesiedelten Kräfte in das Bewusstsein der Grabeshüter warfen. Doch dann kam sie auf einen viel einfacheren Grund. Ihre eigene Erscheinung zeigte den Säbelkatzen: Sie war ein Kind des Südens, ein Geschöpf der Wüste. Und abgesehen von ihr und Suhaym, der kaum zählte, sprach niemand Djaddh, auch seine älteren Formen, wie sie erstaunt festgestellt hatte, so fließend wie Hadan.
Womöglich war das Wissen, das Drognan und andere Männer, die den Status Gelehrter auf ihre Weise erfüllten, doch nicht so unbrauchbar geworden, wie die gnadenlose Wandlung der Zeit es diesen vorspiegelte. Denn auch sie erinnerte sich – an Schriften, die Adepten der Magierschulen zu lesen hatten, an Jahrhunderte, oft auch Jahrtausende alte Zeugnisse, in Legenden verbrämt, die von der Vergangenheit der Wüste kündeten.
Die Herrschaft der Menschen war nicht die erste in diesem Land.
Sehet, was dem Vergessen anheim fällt durch die Aufeinanderfolge der Generationen, ist in Stein und Wort bewahrt und darf nicht untergehen. Denn verlieren wir es, verringert dies unser Begreifen, welche Kräfte die Wüste, die auch Wiege der Menschheit heißt, schon gesehen hat, und welche Reiche, die sich dieser Kräfte noch zu bedienen wussten. Darum verlernt nicht, in den Steinen zu lesen. Verschließt das, was ihr erfahrt, in euren Herzen, bis es eure Augen verändert, und dann gebt es weiter.
Die vorbeigleitenden Wände, das verstohlene Licht der großen Kammern, durchsetzt von Spuren anderen Lebens, wurden der Magierin plötzlich eins, und sie meinte in einem Teil ihres Geistes, durch einen seltsamen Traum zu wandeln, den die Furcht nicht mehr recht berührte. Auch die Geräusche und Gerüche fügten sich hinein.
Sie fasste ihren Stab fester.
Nach einer Weile hielten sie an. Sie waren in einen hohen und ausgedehnten Raum gelangt, halb uraltes Heiligtum gewiss, halb Vorratskammer, wie verzierte Sockel einerseits und Sammlungen von verschlossenen, irdenen Krügen andererseits andeuteten.
Ließ Ifrahs Orientierungssinn sie nicht vollends im Stich, mussten sie sich im rückwärtigen Teil des Grabes befinden, am Ende eines Felsmassivs, auf dessen Außenseite sich wieder ein Tal oder die offene Wüste anschlossen. Soviel war sicher, denn das Licht fiel kräftiger durch Deckenfugen. So hell war es sonst nirgends im Grab gewesen.
Die Sprecherin wandte sich zu den Menschen um.
„Hier“, sagte sie. Ihre großen Augen fingen das Licht ein, und die schwarze Iris war zu einer senkrechten Nadel zusammengezogen. „Ein Ort für wichtige Worte. Sie erfolgen, es ist ein Gebot der Vernunft, bevor ihr versteht.“
Sie sprach diesmal flüssiger, oder Ifrahs Ohren hatten sich dem Wunder bereits angepasst. Sie wusste es nicht und lauschte angespannt.
Hadan stand groß und ruhig neben ihr. Er hob die Rechte zur Begrüßungsgeste des Südens, dem Berühren der Stirn und des Mundes. „Warum schenkt ihr uns Vertrauen?“ Seine Stimme erzeugte einen schwachen Nachhall im Raum. Starrend, die Klauen an den Waffen, warteten die Säbelkatzen.
„Sagt mir eure Namen“, entgegnete die Sprecherin. „Es ist Zeit für Namen. Ein Gebot der Vernunft. Vertrauen.“ Das Letzte klang bestimmt, zugleich aber auch bittend.
Hadan wechselte einen Blick mit Ifrah, und da sie nicht verneinte, nannte er ihren Namen und den seinen.
Die Säbelkatze bewegte das lippenlose Maul. Sie schien sich dessen nicht bewusst zu sein und die Laute zu wiederholen, um sich den Klang einzuprägen. „Mein Name“, kam es dann rau und klickend, „Merenechsa.“
Was waren die Namen alles Nichtmenschlichen bisher gewesen?
Namen der Dämonen und ihrer Untergebenen, den vor Angst zitternden, sich verschanzenden Menschen aus älterer Zeit und Überlieferungen zugetragen oder aufs Geratewohl gewählt, damit das Schreckliche zu benennen war.
Hier, in dieser Kammer in der Wüste, gab das Fremde sich erstmals selbst eine Form durch Laute, und sie diente nicht dazu, die nahenden Widersacher darüber ins Bild zu setzen, gegen wen sie letztlich fallen mussten. Sie dienten der Verständigung.
Die Säbelkatze senkte den Kopf, einmal nur und kurz, und wenn das Katzenantlitz vagen Ausdruck anzunehmen imstande war, so zeigte es nun, meinte Ifrah, etwas wie Zufriedenheit.
Muss ein Missionar nicht so empfinden? Oder der Reisende, der in einer unbekannten Weite auf ein Gegenüber trifft, vor dem nur dieser Versuch bleibt, Handzeichen, Blicke, Gaben des Vertrauens, das Bekunden einer Absicht?
„Einst Feinde.“ Die Augen der Sprecherin hielten den Nekromanten fest. „Du fragst, warum das Vertrauen.“
Kurz herrschte Schweigen. Als die Säbelkatze wieder ansetzte, hatte sich etwas in ihrem gebieterischen Habitus verändert, und nach einigen Worten begriff Ifrah, dass hier etwas selten Ausgesprochenes berührt wurde, ein Kapitel der Geschichte dieses Volkes, das für seine Angehörigen mit einer großen Last behängt war.
„Das Böse vor zwölf Monden“, sprach Merenechsa. „Es bricht unseren Willen. So klagt der Sand. Er klagt über unseren Fall, aber gewandelte Herzen hören nicht mehr.“
Der Fall der Säbelkatzen unter die Erzdämonenherrschaft. Ifrah wagte kaum zu atmen. In ihrer Brust machte sich ein schmerzhafter Krampf breit, und durch den Schleier des Erinnerns sah sie auch Schmerz dort drüben, an ihrem stolzen, fremden Gegenüber.
„So kommt der Krieg zu uns“, fuhr Merenechsa fort. Die Säbelkatze wich den Augen ihrer Artgenossen aus. „Tausend Schritte im Sand. Viele gehen nicht mehr, viele von uns, viele von euch. Das alte Böse spricht von Macht, Macht des Gestern, die uns wieder gehören soll. Doch die Stimmen lügen. Wir erhalten nur den Tod.“ Sie hielt inne, und ein tiefer Atemzug wölbte zitternd den mageren Leib.
Sie fielen, wie auch Kurast fiel, das Kloster der Schwestern des Sichtlosen Auges, Nihlathak.
Bedauern fasste nach Ifrah. Sie alle waren betrogen worden, und wer konnte wissen, wie viele geheime Absprachen und Verleitungen zum Bösen es gegeben hatte. Die Bilder all jener gefallenen Völker suchten sie heim. Die Waldpygmäen. Die Gargantuae. Die Dornendrescher. All das Leben abseits der Menschengebiete, und es verwob sich in ihr, das Getier und das Verwandtere, und sie wusste nicht mehr zu sagen, wo die Grenze verlief. Vielleicht gab es keine.
Sie alle. Wir alle.
Sie spürte Hadans nachdenkliche, erloschene Aura neben sich, ruhender Zorn, warme Asche, Ströme des Überlegens. Als er die Stimme erhob, fuhr sie unwillkürlich zusammen.
„Auch Menschen erlagen der Herrschaft des alten Bösen“, sagte der Nekromant ausdruckslos, und Ifrah war sich nicht sicher, ob der Kummer, den sie dennoch in seiner Stimme hörte, der Erinnerung an die klerikale Gewalt Travincals entsprach, dem abtrünnigen Nihlathak oder anderen Gegnern, an denen die Gefährten noch die Präsenz einstmaliger Vernunft wahrgenommen hatten. Vernunft, verraucht im Sturm fremdgeleiteter, aufgestachelter, vergifteter Empfindungen. „Uns wohnt die Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen inne. Ich sage wiederum: Es war eine andere Zeit. Wir danken euch um so mehr für euer Vertrauen.“
„So sei es.“ Merenechsa senkte den Kopf. Als sie wieder aufsah, erstrahlte der Feuerglast ihrer Augen, zuvor gemildert, aufs Neue. „Die alten Reiche sind in der Tiefe des Sandes. Wir suchen ihr Wissen. Die Suche ist schwer.“
Ifrah nickte zum Zeichen, dass sie verstand.
Sand war den Säbelkatzen offenbar gleichbedeutend mit Welt, auch mit Heimat, vielleicht sogar mit Vergangenheit : Etwas, das immer währt und stets gewährt hat, wie der Himmel, die Sonne und das wache Bewusstsein eines Volkes seiner Selbst. Und jetzt, in diesen Zeiten äußerer Bedrohung, wand sich aus dem Sand das Erkennen einer Notwendigkeit.
Das Leben auf Sanktuario war allerorts bedroht. Das ist es. Die Notwendigkeit zu einem Zusammenschluss.
Ihr Puls flatterte.
Reglos starrte sie die Säbelkatze an. Ob Merenechsa treibende, eher alleinige Kraft hinter den jüngsten Ereignissen und diesem ungeheuerlichen Aufeinandertreffen war oder ob sie lediglich einen gemeinsamen Willen vertrat, war nicht von Bedeutung. Dieses Volk, das auf Hinterbeinen lief, das sich Waffen und andere Gerätschaften herstellte, das imstande war, die Sprache der Menschen nachzuahmen, hatte diese Notwendigkeit erkannt.
Vor ihr legte die Sprecherin der Säbelkatzen die dunklen Innenflächen beider Vorderklauen aneinander, als habe sie die Gedanken der Magierin erraten.
„Einig“, schnarrte es aus dem Katzenantlitz. „Einig. Ihr und wir. Keine Feinde. Ihr müsst verstehen.“
„Nicht ihr habt die Menschen getötet, die in der Wüste verschwunden sind“, hörte Ifrah sich sagen.
„Nein, Frau mit Magie.“ Merenechsa blickte sie an. „Nicht wir. Das neue Böse, das ein schwarzes Gesicht hat.“
„Die Nomaden“, setzte Hadan an, verbesserte sich aber, als Merenechsa verständnislos drein sah: „Die Menschen, die in der offenen Wüste wohnen... sie sprachen von Lauten in der Nacht, nahe ihrer Zufluchtsorte, und sie fürchteten sich.“
„Sandwanderer, von uns“, bestätigte die Säbelkatze die Vermutung. Ifrah begegnete Hadans Augen. „Sandwanderer, solche, die sehen, was geschieht, und es berichten. Sie sehen das neue Böse. Es kommt aus einem Tal, nicht weit. Wir sehen, wohin es geht und wen es tötet. Es kommt und bleibt.“
Die Stille nach diesen Worten wog schwer.
Als Ifrah den Mund endlich wieder öffnen konnte, brachte sie nur ein Flüstern heraus. „Was ist es? Bitte... sagt uns, was es ist.“
Das helle Licht übergoss die stillen Gestalten mit einem Staubfilter, und doch waren sie so klar, so scharf umrissen. Das Schweigen, der leise Wind der Offenbarung, drängten sich hinter Ifrahs Augen.
„Es hat keinen Namen“, antwortete die Säbelkatze. Dann, als bewege auch sie der Schauder des nahen Schreckens, wiederholte sie gedämpft und düster: „Es hat keinen Namen.“
Die Angst der Menschen, die jedoch auch eine Sehnsucht nach größerer Erkenntnis enthielt, mochte sie erreichen, denn sie straffte sich plötzlich. „Ihr werdet es sehen. Es ist nicht weit.“
„Gewiss nicht“, sagte der Nekromant, „denn wir spüren es. Führt uns hin.“ Ungefragt nahm er Ifrah in diese Aussage mit hinein, und sie empfand keinen inneren Widerspruch. Sie hatten genug Zeit in rätselndem Bangen verbracht, nun mussten sie dem Feind, diesem zweiten Feind, ins Angesicht sehen, und die Magierin raffte allen Mut zusammen, den sie besaß.
„Ja“, bat auch sie. „Zeigt uns, was es ist.“ Ihre Stimme wankte, doch in diesem Augenblick war es ihr einerlei. „Wir sprechen für die weiße Stadt am Meer und viele unserer eigenen Völker, deren Abgesandte vor ihren Toren warten. Sie alle zaudern in Ungewissheit. Unsere Tage und Nächte sind voller Angst, aber wir wollen den Feind endlich erkennen.“
Merenechsa schaute sie und Hadan lange an.
Vielleicht überschlug das eigenartige Geschöpf ein letztes Mal das Für und Wider des eingeschlagenen Pfades, an dem ganze Berge des Vertrauens lagerten, ein erforderliches, aber ungeheures Wagnis.
Die Säbelkatzen mussten sie töten, alle acht, wollten sie verhindern, dass Kunde von ihrem versteckten Volk in die Menschengebiete gelangte. Sie hatten ihre Heimlichkeit der kleinen Gruppe gegenüber aufgegeben, aber dabei würde es nicht bleiben.
Euer altes Dasein ist dahin. Ifrah erwiderte den Blick der Säbelkatze. So wie das unsere. Es liegt nun an euch.
„Ihr werdet sehen“, sagte die Säbelkatze schließlich. Bewegung kam in die sandfarbenen Leiber, wiederum auf ein für Menschen nicht sichtbares Zeichen hin. „Kommt.“
Erst jetzt bemerkte Ifrah einen zweiten Eingang in den Wänden des Raumes. Er war von einer wuchtigen Steinplatte versperrt und scheinbar sehr niedrig und schmal.
„Nein, wartet.“ Hadan hatte sich nicht gerührt. Fest sah er Merenechsa in die Augen. „Was ihr uns zeigen wollt, müssen alle von uns sehen. Die Menschen unserer Gruppe tragen jeder für sich die Aufgabe, unseren Völkern von dem zu berichten, was hier vor sich geht. Bitte, gewährt auch den anderen, was ihr uns gewährt.“
Kurz geschah nichts.
Dann winkte Merenechsa einer der zwei wartenden Säbelkatzen. Sie verschwand lautlos.
„Gut. Wir verstehen euren Grund. Die Bitte soll erfüllt sein.“






Menrad fuhr sich über die erhitzte Stirn.
Ihm war jedes Gefühl für die gesunde eigene Körperwärme verloren gegangen, und stumpf bewegte er die Frage im Kopf hin und her, ob es nur die Nachwirkungen der Wanderung durch die glühende Wüste waren oder ob ein Fieber seine Haut so heiß machte.
Der Schlaf, für den er sich im Nachhinein tadelte, hatte ihn nicht erfrischt.
Er widerstand der Versuchung, die von ihren Bewachern hereingereichten Krüge anzurühren. Stattdessen nahm er einen Schluck aus seiner Lederflasche. Es schmeckte lau und brackig.
Aber ich will verflucht sein, wenn ich irgendetwas annehme, was von diesen Tieren kommt.
Im selben Atemzug verspürte er Scham.
Die vergangenen Monate – und wie viele Wochen waren verstrichen seit seinem Aufbruch aus Shanghar? – hatten einen misstrauischen, harten Mann aus ihm gemacht, er wusste es, und er versagte darin, Gut von Böse zu unterscheiden.
Der Paladin saß still, den Hammer griffbereit, doch mehr und mehr schaute er auf die Waffe, wenn sie gelegentlich seinen Blick anzog, wie auf einen unbekannten und gleichsam urvertrauten Gegenstand. Ihre Festigkeit und Nichtigkeit schien ein Sinnbild für sein eigenes Inneres zu sein.
In dieser Kammer, in der sie saßen wie Gefangene, wünschte er nicht zum ersten Mal, all die Dinge der nahen Vergangenheit nie gesehen und bezeugt zu haben. Aber zugleich ahnte er, dass ihn auch das nicht beschützt hätte, weder seine Seele, die der Lichtlehre zufolge unsterblich war und dereinst im Jenseits abgewogen werden würde, noch seinen Verstand, der beständig darum rang, das Bezeugte zu erfassen.
Es gab für keinen Menschen auf Erden mehr ein Entrinnen. Nur einen Aufschub.
Neben ihm wechselten Urel und der große, ältere Barbar Herlac leise Worte.
Menrad lauschte ihren gedämpften Stimmen, dem rauen Tonfall. Sie verständigten sich knapp über die Lage der Gefährten.
Hadan und Ifrah fehlten seit einiger Zeit. Die Gedanken des Paladins wanderten aus der Kammer hinaus und in die Gänge des Grabes.
Die alten Mitglieder der Baalsmission hatten den Geschöpfen, die hier hausten, bereits früher gegenübergestanden. Dies mochte ihnen etwas Schreck und Entgeisterung abnehmen. Er selbst musste sich bemühen, um nicht plötzlich aufzuspringen in einem verzweifelten Versuch, dem lebendigen Eingemauertsein zu entrinnen. Der Gestank war nicht einmal das Schlimmste, an ihn konnte man sich gewöhnen. Die Ungewissheit war es.
Dennoch befanden sie sich hier nicht unter ihren wahrhaftigen Gegnern.
Wie schon in der Marsch waren es nicht die Menschen, und hier nicht die Angehörigen dieses eigenartigen Volkes, sondern dort wie in der Wüste höhere, viel fremdartigere, viel bedrohlichere Wesen.
Du benennst diese schleichenden Tiere bereits, machte er sich bewusst. Du anerkennst sie als Volk, wie du auch Fadraîs als einen vom rechten Weg abgekommenen Ort unguter Machenschaften anerkennst, einen Haufen wilder, nicht an das Licht glaubender Wanderer als mögliche Hoffnungsträger, einen schwarzen Magier als Gefährten.
Licht,
er senkte die Stirn auf die verschränkten Hände, lass mich nicht noch tiefer sinken. Lass nicht zu, dass sich alles zuvor Gute als falsch und alles Verwerfliche als erfolgreicher erweist.
Aber durfte er das Licht noch anrufen, so bitter, wie er den Umständen schon Tribut seiner alten Ansichten gezollt hatte?
Sein Orden verurteilte Menschen wie diese in der Kammer als irregeleitet, als Götzenanbeter und Störer einer besseren Ordnung. Sie lebten das wahre Leben nicht, keiner von ihnen.
Doch hatte er einen von ihnen ein Verbrechen verüben sehen? Nein. Zumindest keines, das nicht den Notwendigkeiten des Krieges entsprungen wäre.
Seine Gedanken verwirrten sich, und finster ließ er zu, dass sie abrissen.
Ein flüchtiger Seitenblick aus den Augen der Assassine streifte ihn. Sie war ängstlich. Sie fürchtete um ihren Geliebten und um Ifrah, die sich zu zweit in die Gewalt der Säbelkatzen begeben hatten, und Menrad gestand sich ein, dass er ihre Sorge teilte.
Hadan besaß offenbar Fähigkeiten oder ein Wissen, das ihn hier zu einer Schlüsselfigur machte. Und Ifrah, der Sprachen und Gebräuche dieses Weltteils kundig, war wie selbstverständlich eine Vermittlerin.
Unwillkürlich lächelte er der Assassine zu, erst verdutzt über sich selbst, als die junge Frau sein kurzes, freudlos-beruhigendes Lächeln unsicher zurückgab. Schon lange empfand er sie nicht mehr als auf unangenehme Weise demütig, und sah in ihr auch nicht mehr nur den Spross einer verräterischen Klasse, eingedenk des Mutes, mit dem sie kämpfte – ohne Lohn, oft auch ohne Anerkennung.
Wieder saßen sie alle lange reglos da, wartend, ohne zu sprechen.
Suhaym, der Söldner, brach das Schweigen jedoch.
„Verdammt will ich sein“, knurrte der dunkelhäutige Mann, plötzlich ungehalten. „Diese Warterei ist kaum zu ertragen!“
Wenngleich ihm die Anderen darin zustimmen mussten, entgegnete Urel gebieterisch: „Sei still und warte! Wir können nichts anderes tun.“
Schlagartig war die Stille verflogen, und Menrad, der dem Söldner gegenübersaß, sah ihn zucken, wobei die kantige Faust sich um den Schaft seiner Lanze verkrampfte. „Der Hexer und die Magierin mögen diesen Bestien ja Vertrauen schenken“, gab Suhaym zurück, „aber das macht die Sache noch lange nicht vertrauenswürdig. Wissen wir, was sie da aushandeln? Vielleicht unser aller Leben, wenn sie nicht schon tot sind!“
„Wie könnt Ihr das sagen?“ fuhr die Assassine leise, doch erregt und mit zitternder Stimme auf. Menrad vermutete: Auch ihr war nicht klar, was geschah, und sie war halb krank vor Sorge, wollte weit eher aber ihre Gefährten verteidigen.
Urels Gesicht hatte sich verfinstert. „Hüte deine Zunge, Söldner“, sagte er barsch. „Eine Äußerung des Misstrauens gegen Einen von uns ist eine Äußerung des Misstrauens gegen alle. Wie kannst du Ifrahs Gewissen in Zweifel ziehen? Sagtest du nicht selbst, dir liege etwas an diesem Teil der Welt, und vergisst du etwa, dass auch sie hier beheimatet ist?“ Selten zuvor hatte Menrad den Barbarenführer mit solcher Bestimmtheit sprechen hören. „Auch Hadan solltest du vertrauen, und ich warne dich: Beleidige ihn nicht! Er würde die Sache der Menschen niemals verraten.“
Als Suhaym wenig überzeugt, ja spöttisch den Mund verzog, fühlte Menrad, dass etwas von den Bedenken des Söldners sehr wohl seinen eigenen Zweifeln ähnelte. Die Begebenheit in den Gassen Lut Gholeins blitzte in seiner Erinnerung auf. Aber zugleich hörte er sich in den Wortwechsel eingreifen: „Wir sind nur acht, allein in einer gefährlichen Lage. Zwistigkeiten schwächen uns, und das solltest du nicht vergessen, Söldner.“
Die leuchtend blauen Augen huschten zu ihm.
Da die Barbaren ebenfalls drohend die Brauen zusammengezogen hatten, schien sich der Mann jedoch widerwillig damit abzufinden, dass seine Worte hier nur auf Ablehnung trafen.
Er zuckte die Schultern und erwiderte nichts weiter.
Menrad lockerte den Griff um seinen Hammerstiel. Kurz, auch wenn es irrsinnig gewesen wäre, hatte er halb damit gerechnet, der Söldner werde noch mehr sagen, was die Anderen als Beleidigung auffassen mussten, und einen Kampf heraufbeschwören. Aber der Wüstensohn hätte nicht einmal gegen einen einzelnen der Barbaren bestehen können, und dies schien ihm klar.
„Ruhe jetzt“, befahl Urel, der den Mann immer noch anfunkelte. „Wenn dir deine Auftraggeber nicht schmecken und du besser als andere zu wissen meinst, was mit dieser Lage angefangen werden soll, nimm deinen Lohn und steh auf. Geh hinaus und versuche, heil nach Lut Gholein zurückzukehren und die Stadt zu warnen. Mit etwas Glück kommst du aus dem Tal, bevor das, was uns angegriffen hat, dich findet und ebenso tötet wie viele andere Menschen in der Wüste.“
Danach blieb es still.
Erleichtert gewahrte Menrad, dass die allgemeine Anspannung sich lockerte. Welche Gedanken jeder der Anwesenden auch in sich trug, es half ihnen wenig, ausgerechnet jetzt über Unklarheiten zu streiten.
Der Paladin blinzelte zu den Deckenschlitzen hinauf. Es waren Ifrahs vor Wochen geäußerte Worte, die er nun im Geiste wiederholte, an den schreckensschwangeren Kampf vor dem Grab erinnert. Was sich an fremder Intelligenz hier sammeln mochte, um aus dem Ungewissen in ihre Welt hinüberzutreten, musste grausam lachen, wenn es zu lachen imstande war, über ihre Zwistigkeiten und die uneinige Natur der menschlichen Gemeinschaften.
Die Gefährten fuhren aus düsteren Gedanken auf, als eine Säbelkatze den behelmten Kopf in die Kammer steckte.
Sie winkte wortlos, doch unmissverständlich. Sie wurden aufgefordert, ihr zu folgen. Zögernd erhoben sie sich.
Es schien, dass dieses Geschöpf die Menschensprache nicht beherrschte, so blieb Urels Frage, wohin man sie führte, in der Stille des Ganges unbeantwortet. In einer Reihe folgten sie dem gerüsteten Tier.
Seine soldatische Schulung ließ den Paladin selten im Stich, und diesmal befand sie, dass sich in der steinernen Welt ringsum etwas geändert hatte. Auf ihrem Weg huschten ihnen Säbelkatzen entgegen. Andere strebten in dieselbe Richtung wie die Gruppe. Erstere waren nackt bis auf ihr glattes Fellkleid, Letztere jedoch, und das ohne Ausnahme, trugen Waffen. Eine dichtere, geschäftige, seltsam gedrängte Ruhe lag über allem, und auch seine Gefährten hatten es bemerkt und tauschten gelegentlich Blicke, in die sich noch tieferer Ernst und der Schatten einer Ahnung schlichen.
„Sie bereiten irgendetwas vor“, flüsterte die Assassine vor Menrad. Sacht zog sie die Gurte ihrer Waffenscheiden um ihre Hüfte und ihre schlanken Schenkel fester.
Die Anderen stimmten schweigend zu.
Ihr Weg war verwinkelter als bei ihrem ersten Eindringen in das Grab. Kammern, lichtere und beinahe nachtfinstere Räume, Gänge, oft mit Treppen darin, wechselten sich ab, so dass sie bald keine Idee mehr hatten, in welcher Richtung sie sich bewegten. Dann aber wurde es wieder merklich heller.
Menrad blinzelte in staubtragende Sonnenstreifen, die unter den Kammerdecken entlang fielen. Sie waren nun gewiss zur anderen Seite der unterirdischen Anlage gekommen, vielleicht nahe eines Walls oder eines Felsmassivs, das die Außenmauer bildete.
Herumstehende oder gemächlich eigenen Beschäftigungen folgende Säbelkatzen gab es hier kaum noch, aber ein gutes Dutzend von ihnen war ihnen dicht auf den Fersen. Ihre aufragenden Speere standen im raschen Zurückschauen wie ein beweglicher Zaun.
Dann rückte das Grab um sie zusammen. Die Gänge verschmälerten sich so eindrücklich und senkten ihre Decken so weit auf sie herab, dass die Barbaren oft die Köpfe und Schultern einziehen und ihre Waffen in beiden Händen vor sich halten mussten, um nicht am Stein entlang zu schaben.
Einst war Menrad Gast auf der alten Festung zu Sevarh gewesen. Man hatte ihn hoch auf ihre wuchtigen Türme und in ihre Wehrgänge geführt. Blicke aus Schießscharten, er erinnerte sich, weit hinaus über das sommerliche Land, erwärmter Stein. Sein Weg durch dieses ganz andere Bauwerk war ähnlich.
Auch hier befand er sich jetzt in einer Festung. Die Gänge dienten keinen sakralen Zwecken oder der Verwirrung widerrechtlich Eingedrungener mehr – es waren Teile von Verteidigungsanlagen, und die helleren, gröber behauenen Steine schienen jüngeren Datums.
Die letzte Kammer war klein und bald überfüllt, als die sechs Menschen und die Säbelkatzen eintraten.
Hier warteten Hadan und Ifrah gemeinsam mit dem Geschöpf, das vor Stunden zu den Gefährten gesprochen hatte.
„Dies ist Merenechsa, Hohepriesterin ihres Volkes“, wies der Nekromant auf die geschmückte Säbelkatze, und seine bleiche Gestalt neben dem eigenartigen Tier, das doch stand und halb gekleidet war wie ein Mensch, bot einen seltsamen Anblick. „Sie eröffnete uns, dass ihr Volk sich von den Einflüssen des vergangenen Jahres befreit hat und zu seinem ursprünglichen Leben zurückgekehrt ist, das die Abgeschiedenheit sucht und den Menschen der Wüste nicht feindlich gegenübersteht, solange sie nicht störend in die Täler eindringen.“ Er verwendete kein Sandhaîn, sondern Djaddh, so dass alle, Gefährten wie Hüter des Grabes, ihn möglichst verstehen konnten.
Und alle schwiegen und lauschten. Ernst, Misstrauen, brüchiges Vertrauen und noch brüchigeres Begreifen gingen in diesem Schweigen ineinander über. Menrads Herz schlug langsam und fest gegen die Kammer seiner Brust.
Der Nekromant schien sich mit einem Seitenblick zu Merenechsa der Erlaubnis zum Weitersprechen zu versichern. Dann senkten sich seine Lider halb über das Perlmutt seiner Augen, als müsse er jedes Wort sorgfältig abwägen.
„Die Abgeschiedenheit der Magiertäler aber besteht nicht mehr“, er fixierte die Gefährten. „Darum sind wir hier, und darum hat Merenechsas Volk uns nicht angegriffen. Es beobachtet das Kommen und Wirken des neuen Eindringlings, in dem ich nicht zögern würde, die Andere der zwei Mächte zu erkennen, von welchen der Engel sprach.“
In der darauffolgenden Stille standen die Gefährten wie erstarrt.
Ihre Reglosigkeit war die Betäubung von am Ende einer Suche Angelangten, die plötzlich erblicken, was durch langes Warten und die Natur des Gesuchten nie vollständig erfassendes Vorausdenken mehr einem Gemenge aus Mythen gleicht denn einem wirklichen Ort oder Gegenüber.
Menrad sah zu Urel. Der Kriegsherr der Barbaren hatte sich aufgerichtet, grimmig, alle anderen im Raum weit überragend. Er wirkte auf beinahe erschreckende Weise befriedigt.
Warum auch nicht? Nach den zermürbenden Kämpfen gegen die anderen Menschen, die angesichts unserer Erfahrungen immer planloser oder auf ungute Weise fremdgeleitet erscheinen... Nun haben wir unseren Feind, nun hat er ihn, er vor allem.
Und er verstand, dass dieser derbe Mann nichts so inbrünstig ersehnte wie die Begegnung mit diesem Feind.
Auch den anderen Mitgliedern der Baalsmission haftete eine Aura der Befriedigung an, doch sie schienen bedachter, vorsichtiger, mochte es ihre Klasse sein oder ein anderer Anlass zur Besorgnis. Eyas Blässe glich nahezu der ihres Geliebten – ein in den Krieg gegangenes Paar, das seine Kräfte zusammennahm, wer wusste schon, zum wievielten Mal bereits. Ifrah wirkte angespannt, zugleich aber kühl, wie es ihrer Aufgabe als Vermittlerin entsprechen mochte.
Nun erklangen wieder die verzerrten Laute, mit denen die Säbelkatzen das Djaddh meisterten.
„So sagt die Stimme“, Merenechsa ließ einen Blick über die Runde schweifen. „So ist die Zeit.“
Diesmal gesellte sich ihrer Stimme eine zweite hinzu, aus dem Maul einer weiteren Säbelkatze. Sie übersetzt es für die anderen, begriff der Paladin.
„Das neue Böse“, fuhr Merenechsa fort, „ist in der Wüste, dort, wo die Felsen enge Arme haben, nah bei der großen Leere des Sandes. Wir, Menschen, sind die Wächter.
Aber uns fehlt die Zahl, die ausreicht.“ Das Knurren nahm einen gebieterischen Tonfall an. „Darum lebt ihr, sonst wäret ihr schon unter denen, die nicht mehr über den Sand gehen.“
Es war keine Drohung, doch einige der Gefährten tasteten nach ihren Waffen.
Merenechsa ignorierte die unwillkürliche Regung.
„Ihr, wir. Wir müssen eins werden.“ Ihr langer Schwanz pendelte. „Die Zeit gebietet es. Niemand wird mehr gehen, wenn es nicht getan werden kann.“
„Ein... Zusammenschluss?“ stieß Urel hervor. „Bietet ihr uns einen Zusammenschluss an?“
Der Feuerglast der Katzenaugen traf den Barbaren. „Zusammenschluss“, wiederholte Merenechsa ungeschickt. „Eins werden. So ist es. Das bieten wir euch an. Die Zeit erfordert es.“
Die Gefährten starrten sich an.
Was sie hier erleben und bezeugen durften, war jenseits aller Vorstellung.
Menrad wusste, es gab in den Annalen der Ordensgründer, die Legenden und Historien vergangener Jahrtausende gesammelt hatten – wenngleich vieles davon unzugänglich aufbewahrt wurde – und auch Schriften aus den Zeiten des Altertums der Welt. Sie waren so unendlich fern, diese Zeiten, dass ihnen höchstens noch ein vage moralischer Wert beigemessen wurde, Lehren, die man behutsam aus den Äonen zog, da die Menschheit sich noch nicht in die heutigen Klassen und Reiche aufgeteilt hatte, lange vor den Schulen der Magier, den festen Siedlungen der Barbaren oder der Trennung ihres Volkes von den Druiden, lange vor der Gründung des Lichtordens, geschweige denn der Entstehung der Viz-Jaq’Taar.
Es hieß da, so erzählte man sich, dem Sinne alles Lebendigen war keine Grenze gesetzt, und viele Gattungen bevölkerten die Landmassen und bauten sich Heimstätten und lebten nebeneinander, nicht nur der verständigen Menschen Gattung. Doch das war verbotenes Wissen, und man sprach im Orden nur flüsternd und selten darüber, denn diese Zeiten, lehrten die höheren Brüder, lagen weit im Gestern und bedeuteten nichts mehr.
Kehrt dieses Gestern nun zurück? Menrad stand, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, erst wieder ernüchtert, als Ifrah leise die Stimme erhob.
„Wir schätzen uns glücklich über euer Vertrauen“, die Magierin sah die Hohepriesterin der Säbelkatzen fest, doch mit Scheu an. „Wer sich über die Großmut einstiger Gegner, zu denen das Schicksal sie bestimmte, nicht freute, wäre verarmt und ein Narr. Lut Gholein aber teilt unsere Erfahrung hier nicht. Seine Bewohner wissen nichts von dem, was in der Wüste jetzt geschieht, und sie leben in Angst – einer Angst, die nicht zwischen eurem Volk und anderen, wirklichen Feinden unterscheiden wird.“
„Mein Volk bedenkt das, Frau mit Magie“, gab Merenechsa zurück. „Auch darum seid ihr hier. Geht zu den Orten, wo die Menschen leben, berichtet, sprecht unser Angebot aus. Wir müssen eins sein.“
Vielleicht war es nur das Zögern der Gruppe, die sich noch nicht gänzlich mit dem Gehörten vertraut machen konnte, vielleicht auch ein bis hierher reichender Stolz oder die Überzeugung, dass die Menschen glaubten, genug Stärke zur Abwehr aufbringen zu können – die Hohepriesterin spürte das Wanken. Menrad sah es an der Art, wie sie die Gefährten betrachtete.
„Ihr seht es nicht“, bestätigten die verzerrten Laute. „Eure Augen, euer Geruch: Sie sagen, ihr glaubt an eure Waffen.“ War es tatsächlich Mitleid, das der Paladin in den starren Zügen der fremden Kreatur wahrnahm? „Ihr müsst verstehen.“
Das Letzte kam geduldig, zugleich aber drängend.
Die Säbelkatze streckte eine vierzehige Klaue aus, und eine andere Katze reichte ihr eine Waffe, einen bronzefarben schimmernden Schamschir mit dünnem, scharfem Blatt. Die Klaue umfasste den Griff, dann spannte Merenechsa sich. „Folgt. Leise. Ihr werdet sehen.“
Zwei der gerüsteten Geschöpfe, die an der gegenüberliegenden Wand gestanden hatten, traten beiseite, und Menrad entdeckte einen Türstein. Er wurde zur Seite gewälzt und gab den Blick in einen schmalen Gang frei.
Viel Licht lag darin. Er musste an der Außenwand entlang führen, war vielleicht auch nur kurz und mit Fensterschlitzen versehen.
Selbst die im Vergleich zu den Menschen zierlichen Säbelkatzen waren genötigt, ihre Speere tief zu senken, als sie hineintraten. Fünf oder sechs gingen voraus, dann kam Merenechsa. Sie wandte sich zu den Gefährten um. Ihr Blick hatte etwas Zwingendes.
Sie wagten sich hinter ihr hinein.
Menrad tauchte nach Urel und Ifrah in die Umklammerung aus Sandstein. Ihm folgte Hadan, dann der Rest der Gruppe.
Die Barbarenkrieger mussten sich bücken. Eya kam noch am leichtesten voran.
Es gab keine Fenster, doch eine Öffnung an der Decke, über die gesamte Länge des Ganges hinweg. Als der Paladin rasch hinaufblickte, leuchtete jenseits davon der Himmel in tiefem Blau, schon mit Farben der Dämmerung getönt. In weniger als zwei Stunden würde die Nacht hereinbrechen, vermutete er.
Wachsamkeit begleitete das Vordringen der gemischten Gruppe.
Der Geruch seines eigenen Schweißes vermischte sich mit dem Dunst der Tierleiber, und Menrad bezwang seinen Widerwillen und die leise Panik in der Enge, die ihm nicht einmal gestattete, den Kopf ganz zu heben.
Wohin führen sie uns?
Hier sind wir ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Sein Misstrauen aber schwand, da nun erwiesen war, dass man den Menschen Dinge zeigte, die nicht einmal Ifrah je zuvor gesehen hatte, und als es schwand, drängte sich die Angst erneut hervor. Über die Ereignisse im Grab hatte er beinahe vergessen, was ihnen vor seinem Betreten widerfahren war.
Plötzlich kalt alarmiert, schaute er wieder zu dem dünnen Himmelsstreif empor, mühsam beherrscht. Dort oben war Freiheit, Luft, aber auch die unsichtbare Drohung, und er meinte, eine Veränderung der Atmosphäre wahrzunehmen, nicht mit den Sinnen, eher mit dem Geist oder im Fleisch, das sich wie vor dem Eintritt in einen dunklen Ort verkrampfte, in dem alle Furcht seines Geschlechts begründet lag.
Auch ihre Führer wirkten beunruhigt. Das Gehen durch den Felsenschlauch verlangsamte sich, und mehrere Male verhielt die Gruppe. Merenechsa bedeutete den Gefährten, möglichst keinen Laut zu machen, dann standen sie still und horchten.
Menrad hörte nichts. Nur der Wind strich mit einem winzigen Seufzen über die Außenseite des Massivs.
Dann ging es weiter bis zum nächsten Halt.
Schließlich kamen sie in einen Felsenplatz aus, das Massiv, hochaufragendes Braun, zur Linken, einen fast mannshohen Steinwall zur Rechten.
„Klein!“ befahl die Hohepriesterin zischend. „Schnell!“
Sie begriffen und duckten sich.
Hier draußen schlug die Hitze erbarmungslos auf sie herunter. Der Paladin verharrte reglos zwischen den ihn Umgebenden, Menschen und Säbelkatzen. Eines der Geschöpfe lugte nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam, um das Ende des Steinwalls.
An der gelblichen Gestalt vorbei erspähte Menrad den Fuß des Felsenmassivs, rechts davon beinahe weißen Boden und Sandanhäufungen. Sie mussten sich am Rand eines Tals oder einer Ebene befinden. Während er noch schaute, lief die spähende Säbelkatze los.
Sie verschwand mit einem Huschen, einem letzten Strecken und Wirbeln ihres Schwanzes.
Merenechsa winkte die Menschen näher an das Ende des kleinen Platzes.
Tatsächlich waren sie auf der anderen Seite der Hügel, unter denen das Grab lag. Hier begann die offene Wüste wieder, vorerst nur, auf einen raschen Blick nach rechts hin, ein Streifen aus Weiß und schwach dunkleren Formen. Und in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Schritten kauerte die vorausgelaufene Säbelkatze hinter einem riesigen Felsen und hob einen Vorderlauf.
„Geht!“ Merenechsa stieß Eya, die am weitesten vorn war, leicht an. „Rasch!“
Die Assassine fuhr unter der Berührung sichtlich zusammen, riss sich aber los und hastete auf die offene Fläche hinaus. Sie war schnell.
Bei weitem aber nicht so schnell wie die Säbelkatze, die sich fast gleichzeitig aus der Deckung des Felsenplatzes gelöst hatte und ihr folgte. Menrad stockte der Atem.
Wo am Lauf der jungen Assassine noch, wenn auch sacht, ihr Gewicht und die Behinderung durch den bei jedem Schritt nachgebenden Sand hingen, bewegte sich das Geschöpf mit weiten Sätzen vorwärts, scheinbar schwerelos. Es lief derart, dass sich sein Oberkörper kaum hob und senkte, einem dahineilenden Mittagsschatten gleich und dennoch fest und mager in seiner Leibhaftigkeit.
Schwarz und Gelb tauchten in die Felsendeckung.
„Schnell!“
Nach und nach rannten sie los.
Als er an der Reihe war, erhaschte Menrad im Laufen einen Blick auf die Weite zur Rechten, die Hand am Kampfhammer, den Atem heiß und trocken in den Lungen. Es war keine Dünenebene, eher ein leicht ansteigendes Feld, übersät von großen Felsen, und es endete am nahen Horizont in einer Borte rötlichen Steins.
Keuchend gelangte er in den Schatten der Deckung.
Es mochte die Hitze sein, die ihm Kraft entzog, doch auch an den Anderen, die nach und nach dazukamen, bemerkte er seltsame Anzeichen von Schwäche. Sie holten angestrengt Luft, und ihre Gesichter waren blass.
Hadan, der als einer der Letzten heraneilte, lehnte sich an den Stein, der sie alle vor der Ebene verbarg. Menrad sah ihn kurz den Kopf senken, als martere den Nekromanten Übelkeit oder Schwindel, doch er fing sich und wies die besorgten Hände Eyas und Ifrahs bestimmt zurück. Kurz wirkte er alt, kurz, bevor der Eindruck verging.
„Nah“, raunte Merenechsa. „Seid leise wie der Wind.“
Nah. Menrad schloss die Faust um den Hammergriff.
Sie hatten nicht viel Wasser mitgenommen, und mehr noch erkannte er es an den Augen ihrer Führer. Etwas, das ihnen Angst machte, war nicht weit weg.
Sie spähten hinter dem Felsen hervor.
Was in der Ebene lag, sah der Paladin, waren nicht nur Steine. Überreste gewaltiger Statuen ruhten hier, ähnlich denen, die sie auf ihrer Wanderung zum Magiertal schon erblickt hatten: Bruchstücke von Köpfen, Gesichtern, daneben Teile von Armen. Leblose Augen schauten in den Sand oder in den Himmel.
Denkmäler eines vergangenen Reiches.
Leise und hastig ging es weiter, von Deckung zu Deckung, in einem Bogen nach rechts auf den Felsenkranz zu, der die ansteigende Ebene begrenzte. Darüber wölbte sich riesenhaft das Himmelsblau. Wie Geister auf einem Friedhof der Geschichte huschten die Menschen und Katzen vorwärts, am Ende geduckt, denn Merenechsas Gesten waren unmissverständlich.
Vor dem Felsenkranz warfen sie sich in den Sand. Herlac fluchte unterdrückt, weil seine Rüstung schwach schepperte, dann trat wieder Stille ein.
Sand, der beinahe sanft bis zum Rand des Kranzes hinaufkroch. Gepresster Atem. Links und rechts die Gefährten mit erweiterten Augen, hochstarrend zum Saum aus Blau und Rostrot. Daneben die Tierleiber, die ihre Speere unter sich hielten.
Wie viel Zeit verging, als sie jenseits des Grabes in der Wüste lagen, wusste der Paladin nicht zu sagen. Deutlicher war, was über die Felsenborte kam, auch wenn er keine Worte dafür fand und nie zuvor, nicht einmal im leichenübersäten Travincal, Ähnliches gefühlt hatte.
Es war eine Angst, die sich mit dem Gewicht schwerer Steine in den Leib hinabsenkte, die erkalteten, nur außen noch von erhitzter, schweißnasser Haut überzogenen Gliedmaßen an den Boden nagelte, die Gedanken lähmte, und schlimmer noch.
Alles, was gut und sicher im Herzen bewahrt lag – der Glaube, die Hoffnung, die Erinnerung an von Zuversicht erfüllte Zeiten – erkrankte rasend schnell, wurde zu Asche und verflüchtigte sich, die eigene Seele ausgehöhlt zurücklassend, die sich verlassen wähnte, auch von der Kraft der Mitmenschen.
Der Paladin hob den Kopf, den er in den Sand hatte pressen wollen, und holte bebend Luft.
Flieh mich nicht, Licht, beteten seine Lippen lautlos. Sie fühlten sich an wie Fleischlappen, die ihm gar nicht gehörten. Gib mir den Mut, den meine Aufgabe von mir erfordert.
War es das, was die alten Gefährten über alle Unterschiede hinweg so fest verband – die geteilte Erfahrung solch einer Angst?
Eine Bewegung unter den gelben Tierleibern schreckte ihn auf, und die Angst war plötzlich durchstoßen von helleren, festen Säulen: Ernst, Wachsamkeit, dem Wunsch, nicht so zu enden.
Mühsam stemmte er sich aus dem Sumpf des Entsetzens. Merenechsa. Was auch immer den Säbelkatzen gezeigt hatte, dass das Warten lang genug gedauert hatte – sie wies auf den Felsenkamm. Sie sollten hinüberspähen.
Und sie taten es, denn letztlich, sagte sich Menrad im leisen Geraschel und Scharren, mit dem er und seine Gefährten sich aufrichteten, waren sie deswegen hergekommen. Die Augen zu verschließen, half nichts. Es ist besser, er hob den Kopf über den Rand, den rauen Stein unter den Handschuhen, es zu sehen. Es ist besser.
Hinter dem Felsenkranz fiel eine zweite Ebene gemächlich ab. Von beiden Seiten kamen in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Schritten rötliche Steine heran, liefen aufeinander zu, dort unter ihnen. Es gab eine Lücke darin, breit, zerklüftet, und hinter dieser Lücke lag ein Tal, noch etwas tiefer.
Der Wind strich darüber hin. In der Ferne schlossen sich mehr Felsen an, Hügel, Kämme, Schluchten, ein ganzer Garten von Felsen. Zuerst sah er weiter nichts.
Aber das Tal war nicht leer.
Eine gestaltlose Schwärze bewegte sich darin. Durchsichtig zunächst, kaum mehr als eine Trübung der Sicht, schien sie sich hier und da, während er hinstarrte, zusammenzuballen, näher am Durchlass oder auch weiter hinten im Tal. Sie wogte hierhin und dorthin, mal ein Nebelschleier, der nur eine grauenhaft falsche Farbe hatte, mal ein niedriges Gewölk, durchzogen von Strömen, deren Ursprung nicht sichtbar war, aber flackerte, wo das Schwarz sich sammelte, um dann wieder zu vergehen.
Da begriff er, dass es lebte.
Und als habe die Macht, die in das Wüstental eingedrungen war, sein Begreifen erspürt und sei in vollkommener Selbstsicherheit des Spiels aus Schwaden und nebelhaften Gebilden überdrüssig geworden, verfestigte sich das Schwarz. Wie vor dem Grab gebar es aus dem Nichts eine größere Dichte, keinen Leib, nur verschwommene Umrisse eines solchen, aber er sah ihn.
Eine andere Welt langte nach Sanktuario hinüber, warf ihren Schrecken voraus, ein Fanal, ein erstes schwaches Abbild ihrer Wesenheiten.
Noch gelang es ihr schlecht. Aber sie fürchtete diese Behinderung nicht, sie spielte damit und erprobte sich.
Neben Menrad entfaltete sich das Entsetzen der Anderen. Die Säbelkatzen, auch wenn sie womöglich nicht zum ersten Mal sahen, was vor den Toren ihrer Zuflucht Zugang zur Welt gefunden hatte, knurrten und winselten leise, und gelbes Fell sträubte sich. Plötzlich verging aller Hass auf das Fremde, so dass der Paladin, hätte er es gewagt, hätte hinüberfassen mögen, um dieses Fell beruhigend zu glätten, als seien die seltsamen Geschöpfe treue Wachhunde, die angesichts einer nahenden Gefahr das Haar aufstellten, bevor sie sie warnend und sinnlos verbellten.
Die Menschen reagierten wie er selbst. Um ihn herum, wie schon in der Senke vor der Übermacht des Engels, ergossen sich ihre Kräfte aus ihnen, und sie wehrten sich erfolglos dagegen wie ein vom Horror des Krieges oder des nahen Todes Gebeutelter, der seinen Urin nicht zu halten vermag.
Seht, bewegte ein alter Vers Menrads Lippen, und wenn das Gesehene eure Augen verbrennen will, so schaut um so eindringlicher hin.
Travincal war wenigstens noch ein Menschenort gewesen, ein verwandeltes Heiligtum auf nachvollziehbaren Grundfesten und mit menschlichem Dünkel und Hochmut besetzt. Hier aber gab es nichts dergleichen, hier fehlte alles, das noch in Sanktuario fußte, ob im Guten oder im Bösen.
Unten im Tal löste sich, was ein festerer Umriss hatte werden wollen, wieder auf, aber der schwärzliche Nebel blieb, ein stilles Heulen, ein Schatten im Geist.
Sie rutschten in den Sand unter dem Felsgrat.
Sprachlos saßen sie da, zitternd, unter den Augen der Säbelkatzen. Menrad sah Eyas Wangen tränengefleckt, Ifrahs dunkle Haut ergraut, Urels derbe Züge eingefallen, Hadans großen Körper zusammengekrümmt. Die Eindringlinge gaben ihnen ein Echo in die Seele, er selbst fühlte es, als sei er unrettbar vergiftet.
Es gab einen Namen für diese Erscheinung dort unten, ersonnen mangels besserer oder für eine Unterscheidung tauglicher Begriffe in Zeiten des Grauens und der Fassungslosigkeit. Er stand zwischen ihnen, ganz gleich, wie wenig sie wirklich von einem Drüben wussten, und Menrad brauchte nicht noch einmal hinüberzusehen zum Tal, um zu wissen, was er darin gesehen hatte.
Ifrah nahm die Stimme aus seiner Stirn.
„Dämonen“, sagte sie flüsternd.
Das Wort zitterte lange nach.
Die Säbelkatzen störten ihr Schweigen für eine Weile nicht, ließen sie begreifen. Ihr müsst verstehen.
Irgendwann und auf irgendeine Weise verließen sie den Ort beim Felsengrat und fanden zurück in den Schatten eines der zerbrochenen Denkmäler, aber jetzt schützte und tröstete er sie nicht länger.
Es war die Unruhe ihrer Führer, die als Erstes wieder zu ihnen fand. Merenechsa fasste die Menschen ins Auge. Sie hechelte, warf der eigene glasige Blick Menrad eine Einzelheit hin, und scheinbar bedeutete das halb erstickte Knurren ihrer Artgenossen eine Art Besprechung.
„Ihr seht“, sprach die Säbelkatze. Ihre Stimme klang dumpf in der drückenden Hitze.
Manche von den Gefährten nickten, auch Menrad senkte zustimmend den Kopf, weil es sonst nichts zu tun gab.
„Hier ist der Ort“, zischte Merenechsa. „Sie kommen. Erst sind sie nur ein Schatten, jetzt sind sie mehr. Sie bleiben.“
„Wie... wie kann das sein?“ hörte man Eya mit brüchiger Stimme fragen. „Warum tauchen sie in Travincal auf und hier, und sonst nirgends?“
Da Merenechsa schwieg, war es Hadan, der sich leise räusperte. „Das wissen wir nicht... nicht wahr, Merenechsa? Ich glaube nicht, dass es irgendjemand wissen kann. Vielleicht ist es nur Zufall.“
„Ihr seht nun“, begann die Hohepriesterin erneut. „Wir haben keine Kunde über ihre Zahl, außer dass es viele sind. Der Sand verrät uns nicht, woher sie kommen. Aber es gibt etwas Anderes.“
„Wovon sprichst du?“ fragte Urel rau.
„Ein Weg. Ein Weg für sie.“ Vage wies Merenechsa in ungefähr die Richtung, aus der sie geflohen waren und wo jetzt, fern und dennoch viel zu nah, der Felsengrat in den Himmel stieß. „Eine Tür. Ihr könnt sie sehen. Sie ist nicht weit.“
Die Gefährten tauschten Blicke. Ob aus einer gefährlichen Stumpfheit, ob aus dem Wagemut einmal Vorgepreschter oder ob aus kränklich anmutender Neugier heraus – niemand begehrte auf, als Zustimmung sich unter ihnen breit zu machen begann, oder bat, sie möchten sich zurückziehen.
Es mochte auch ein Vorbote der Einsicht sein, dass es bald keinen Platz mehr geben würde, an den zurückzuziehen sich noch lohnte.
Merenechsa nahm ihr Einverständnis mit sichtlich schlecht bewahrter Ruhe auf, aber auch die Sprecherin der Säbelkatzen schien nun an einem Punkt zu stehen, von dem aus es kaum noch ein Zurück gab. Scheiterte diese Begegnung, zerrann auch die gebeichtete Hoffnung ihres Volkes zu nichts.
Ifrah indes brachte etwas anderes zur Sprache, das Menrad urplötzlich in vergessene Wachsamkeit zurückwarf: „Wird es nicht... werden sie uns dort nicht sehen und angreifen?“
„Ein Angriff, das mag sein“, gab Merenechsa langsam zurück. „Ihr müsst vorsichtig gehen, rasch fliehen. Ihr kennt unseren Eingang, wenn es keine andere Flucht gibt. Sehen oder riechen werden sie euch noch eher, Frau mit Magie. Aber das ist nichts. Es kümmert sie nicht.“
Sie nickte schwer zum Schweigen der Gefährten. „Seht, das ist der Schrecken, dass es sie nicht kümmert. Wer ohne Vorsicht über den Sand kommt, fürchtet keinen Gegner.“ Sie ließ eine zweite Säbelkatze an ihre Seite treten. „Ich kann nicht mit euch gehen. Das ist Harebnash. Er weiß Worte. Er führt euch.“
Rasch, weggeleitet von der ihnen zur Seite gestellten Säbelkatze, deren Name Menrad erstmals einen geschlechtlichen Unterschied zwischen den so gleich aussehenden Kreaturen vor Augen führte, ohne ein weiteres Wort vor der drohenden Gefahr der heimgesuchten Wüste, trennten sie sich von der Gruppe ihrer geschwinden Führer.
Vielleicht endet unsere Begegnung damit schon. Menrad sah ihnen nach. Sein Körper war steif. Vielleicht tragen mich meine Beine nicht einmal mehr weit genug, selbst wenn ich ein zweites Ansehen der Schwärze überlebe.
Schneller fast, als der Blick folgen konnte, vereinigten sich die davoneilenden Tiere, die keine waren, wieder mit dem Gelb und Weiß des Landes und den bräunlichen Schatten der Felsen ihrer Zuflucht. Warum hatten sie die Täler nicht aufgegeben und waren fortgezogen? Sie verschwanden, und nichts blieb bis auf die sinkende, stechende Sonne, die der Paladin froh als einzigen Feind angenommen hätte, mochte der Glutball ihn auch in dieser Öde verdursten lassen, und pflaumengroße Augen über einem atmenden, gespannten Leib, der wartete, dass die Fremden ihm in das Wagnis folgten.
 
oh, ein up. :angel:

Und ein so wunderschönes wiedermal :) Jetzt muss ich wieder sehnsüchtig auf das nächste up warten, wo der Teil natürlich am größten Spannungspunkt endet.

bin sehr gespannt ob die gruppe "nur" den Eingang zerstört oder auch einen Weg gegend die Dämonen findet. Aber bestimmt findet sich beim Eingang auch einen Lösung für die Schwarzen.

hoffe bald auf mehr ;)
 
Der Staub muß gute Qualität gehabt haben. Ich werde wohl einen Vorrat anlegen, falls Reeba wieder einen Putzanfall bekommt ...

Wunderschönes Up. Auffällig, daß die Einbruchstellen der bösen Fremden an den Orten liegen, an denen früher die Erzdämonen besiegt wurden (Duriel -> Grab, Mephisto -> Travincal). Ein Weg, eine Spur, die der Fall der Großen verursacht hat, so daß nun andere ihr rückwärts folgen können?

Übrigens:

und sah ihn ihr auch nicht mehr nur den Spross einer verräterischen Klasse

Hier ist ein h zuviel.
 
vooiiiiiiiiiiiiiii guat :)

vor allem die wunderschoen beschriebenen zweifel unserer helden gegenueber den kaetzchen die sich lanxam aufweichen und dass erkennen das auch nich menschliche wesen nich unbedingt schlecht oder doof sein muessen (vereinfacht ausgedrueckt) vor allem die stelle mit ifrah und dem gazi hat mir ziemlich imponiert!

Bin sehr gespannt wie das weitergeht, vor allem ob sich die unterschiedlichen armeen so gut vereinen lassen :)

:kiss: und weida so .. tigerle
 
Armer Menrad! Nun hat sich der Arme grade mal halbwegs an den Gedanken gewöhnt, mit Nordländern, einer Assassine, zwei Magiebegabten durch die Lande zu streifen, und nun wird sein Vertrauen in das Licht und seinen eigenen Verstand auf eine noch härtere Probe gestellt. Na, ich hoffe für ihn das Beste!

Was mir aufgefallen ist: Ifrah gelingt die zusehens besser; das ist jetzt nicht seit diesem Up, sondern schon länger der Fall. Irgendwann hat sie die Zweidimensionalität verloren und ist zu einer Person geworden. Ihr habt euch angefreundet, wa? ;)

Aber ich halte dich nur auf... schnell :go: schnell weiterschreiben!

:kiss: Insidias


P.S. Das Kapitel war wundervoll!

***

edit: Liebe Mitleser, leider muss ich euch mitteilen, dass es mir trotz einer Vielzahl an geschickten Ablenkungsmanövern nicht gelungen ist, das nächste Kapitel von Reebas Schreibtisch zu klauen. Wir müssen also warten...
 
Und dabei warst du so dicht dran, Insidias :D
Thx für das Fehlerfinden, @Lanx :)
 
Hab mir in der letzten halben Stunde die Mühe gemacht, die einzelnen Kapitel ins Word zu kopieren. Wisst ihr eigentlich, wieviel Reeba geschrieben hat?

Knapp 400 Seiten (2 MB)

Das ist mehr, als eine Floppy-Disk speichern kann. Und es werden noch mehr :D


Übrigens, die Sache mit dem Kapitelklau: Reeba, du schreibst doch nicht etwa mit Bleistift und Papier? ^^


Gruss Segan :hy:
 
Genaugenommen hat Reeba sogar über 800 Seiten geschrieben. Im Verlagshandwerk rechnet man mit Standardseitenformat. Eine Standardseite enthält maximal 60 Anschläge pro Zeile und 30 Zeilen pro Seite, was auf eine Maximalanzahl an Anschlägen von 1.800 hinausläuft. Aus diesem Format kann dann in alle anderen Formate umgerechnet werden. Die meisten gebundenen Taschenbücher enthalten allerdings ohnehin nicht mehr als 1.800 Anschläge pro Seite. Wenn Reebas Buch in Taschenbuchformat (z.B. im Heyne-Stil) veröffentlicht werden würde, hätte es derzeit 950-1.100 Seiten.
 
Meine Güte, ein Mammut'werk'.
Um so schöner, dass ihr alle mit so viel Geduld am Ball bleibt. Vielen Dank dafür.
@Segan: Ich schreibe tatsächlich alles mit der Hand (und muss es dann abtippen :clown: ). Ich habe versucht, am PC zu schreiben, aber es klappt einfach nicht, schon allein wegen der ständigen Umformulierungen und Randnotizen nicht.
 
Hab Gipfel der Welt auch als Word Dokument rumfliegen und Saqqara les ich auch nur im WOrd (mag das mit dem schwarzen Huintergrund hier nich)
 
tjo... 2 Jahre nicht da gewesen... und vor etwa 24 std mit der story angefangen, da ich langeweile hatte und nicht recht wusste was ich machen sollte... bis 3 uhr weitergelesen und nach knappen 4 stunden schlaf dann erneut mit dem lesen angefangen...

habe grade den ersten teil (dieser Story als nich vom Vorgänger... den lese ich wohl später mal) hinter mich gebracht und kann bis dahin eigentlich kaum kritik äussern... habe zwar schon meine vermutungen wie es im groben weitergehen mag aber die werde ich (noch) nicht äussern :D

eigentlich hatte ich ja vor erst zu posten nachdem ich die geschichte soweit fertig habe. aber denke der abschluß des ersten teils ermöglicht mir eine kurze kurze kritik soweit, wobei kritik eigentlich ein zu negativ besetztes wort für das was ich auszusetzen habe ist.

Also soweit Top-Story. Der Anfang ist etwas schwer zu lesen, aber bei jedem guten Buch muß cih mich erst in den Stil reinlesen. Aber wie dort oft geschrieben hast du damals fast schon zu sehr mit Beschreibungen um dich geworfen, allerdings wird mir das am Ende des ersten Teils fast schon zu wenig und ich hoffe, daß der zweite Teil wieder etwas mehr Beschreibungen enthält.

Aber ein dickes Lob muß ich für die wirklich gut gelungene Variierung des "Lesetempos" aussprechen. Die beschreibenden Passagen zwingen einen fast langsamer zu lesen, wohingegen du bei der Beschreibung der Kämpfe den Leser förmlich in dem sich überschlagenden Strudel der Ereignisse mit fortreissen kannst und das sogar dermaßen, das man die Hektik der sich überschlagenden Ereignisse spüren kann.

Als weiterer kleiner Negativpunkt ist mir aufgefallen, daß du manchmal (jedenfalls kam es mir so vor) zwischen den Perspektiven innerhalb eines Abschnittes hin und her springst. Das kann Leser verwirren. (Vielleicht kam es mir wegen des fehlenden Schlafs auch nur so vor:D)

Ich weiß, daß diese Kritik an Dingen die inzwischen lange zurück liegen evtl schon geschrieben wurde, bzw durch den großen Abstand der für dich dazwischen liegt nicht unbedingt nachvollziehbar ist (besonders da ich hier auch keine expliziten Beispiele anführe).

Kritik zum Rest kommt wenn ich mit dem Lesen fertig bin... also in ein bis zwei Tagen...

Alles in allem finde ich, daß du hier Literatur lieferst die den Vergleich zu vielen Publikationen nicht scheuen muß.

gruß
JOE

P.S. Ich hab es schon beim LotR gehasst als Tolkien zwischen den einzelnen Gruppen hin und her sprang... weil man dann immer wieder aus der Situation herausgerissen wird... Allerdings macht es wirklich gute Bücher aus, daß sie es trotzdem schaffen den Leser weiter zu fesseln... und das gelingt dir jedenfalls bei mir ohne weiteres...
 
@HcL-JoeJay: Willkommen unter den Lesern :)
Schön, dass dir die Story soweit schon mal Spaß macht. Zu den Kritikpunkten: Der Anfang zieht sich wegen der ausufernden Beschreibungen ziemlich, das haben damals schon andere Leser angemerkt. In der überarbeiteten Fassung habe ich einige Stellen auch deutlich gestrafft. Liest man die Story in einem Zug, fällt sicherlich auf, was du schon sagtest: Man merkt, dass sie über einen langen Zeitraum geschrieben wurde. Das lässt sich nicht mehr ändern, und ich betrachte es zwar als Manko, würde es aber nicht mehr umschreiben wollen, denn für mich spiegelt das auch damalige Vorlieben und Gefühlszustände wieder.
Innerhalb einzelner Passagen sollte es eigentlich keine Perspektivensprünge geben, es sei denn während einer Schlacht; beabsichtigt war es jedenfalls nicht *g*.
Die Sprünge zwischen den Schauplätzen sind leider unerlässlich, wenn sich die Protagonisten über mehrere Kontinente verteilen, und ich wollte es auch nicht anders, um damit u.a. das Fehlen der Wegpunkte zu verdeutlichen.
Jedenfalls hoffe ich, dass dir die folgenden Teile auch Spaß machen.



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XLIV. Das Dämonentor





Leise und halb geduckt folgte Eya ihrem gemeinsamen Führer.
Dunkelheit fiel als bläuliches Tuch vom Himmel, aschegestreift, aber von der durchscheinenden Klarheit der Luft in diesem Teil der Welt. Die Gefährten glichen Schatten darin. Nur selten lockte schwaches Restlicht noch gewölbte Rüstungsteile und blasse Gesichtskonturen aus ihrer stummen Reihe.
Ohne nachzudenken, hatte sich die Assassine an ihre Spitze gesetzt, direkt hinter Harebnash. In Wahrheit zitterte sie vor Angst, doch der Anblick des Feindes im Tal, das nun allmählich hinter ihnen zurückfiel, hatte einen seltsamen Kern Festigkeit in ihr freigelegt. Sie traute ihrer Einschätzung nicht länger – wie auch, konnte sie doch selbst ihren Augen kaum mehr trauen? Vielleicht aber waren ihre wortlosen Gebete um Mut nicht vergebens gewesen.
Sie brauchte ihn so verzweifelt – grimmigen, trotzigen Mut, wie die Anderen ihn besitzen mussten. Anders ließ sich nicht mehr erklären, warum sie ohne ein Zögern, Schärfe und Wachsamkeit im Gefolge ihrer vertrauten Gegenwart, hinter ihr herkamen, Urel, Hadan, dann alle Weiteren, und sie voranhoben durch eine Flut lähmenden Entsetzens, allein durch das Tröstliche ihrer Anwesenheit und die Kraft ihres Willens.
Mit fest geschlossenen Lippen mühte sich Eya, ihre Sinne wieder auf die Umgebung anzusetzen.
Der Säbelkater führte sie über eine Ebene voller gewaltiger, einzeln und schon fast schwarz daliegender Felsen. Neben seinem Schamschir trug das sonderbare Geschöpf mehrere armlange Gegenstände, eingerollt in ein Lederhalfter, das über den schmalen Rücken geschnallt war – Wurfspeere. Die aufrechte Fortbewegung und der Helm vervollständigten das Bild eines Wesens, in dem eine Laune der Schöpfung Mensch und Tier zu beinahe gleichen Anteilen vereinigt hatte.
Dank der hereinbrechenden Nacht hatte die Hitze nachgelassen. Die Felsen, an denen die Gruppe vorbeischlich, nicht allzu rasch, eher Deckung suchend vor einer jeden Zoll des Landes besetzenden Gefahr, strahlten noch Wärme ab. Unter ihren Stiefeln verlor der von Gelb zu Grau verfärbte Sand allmählich sein Glühen. Es schien, als atme die ganze leere, schweigende Wüste den Tag aus und falle in eine trügerische Dunkelheit.
Hinter Eya versuchten die Gefährten, kein Geräusch zu verursachen. Sie mussten nicht erst von Harebnash dazu angehalten werden. Die Ohren der Assassine trugen ihr nur das feine Rieseln zu, mit dem der Sand ihren Tritten Platz gab.
Aber schützen uns das Schleichen und die Vorsicht? Festgebannt am Felsengrat, über den hinweg sie neben den Anderen in das entsetzliche Tal gestarrt hatte, war Eya die Ahnung immer eindringlicher gekommen, und Merenechsas Worte hatten es heraufbeschworen: Die Gegner, von denen sie lange und nun endgültig sicher wussten, dass sie nicht von dieser Welt stammten, fürchteten nicht, was hier um die Gräber kroch und sie angstvoll belauerte.
Wahllos, so schien es, attackierten sie, was ihnen über den Weg lief, Säbelkatzen wie Menschen. Vielleicht unterschieden sie nicht einmal zwischen Diesen und Jenen. Aus der Sphäre heraus betrachtet, in der sie ihr Dasein fristeten und die nun auf fürchterliche und ungeklärte Weise nicht länger von der Sphäre Sanktuarios getrennt war, mussten diese Flecken in der Wüste für die Eindringlinge beliebige und lächerlich schlecht beschützte Außenposten sein, Trittsteine, ein Brückenkopf.
Außenposten, die sie erkunden, deren Beschaffenheit sie austesten. Sie verfügen über magische Fähigkeiten. Selbst die Assassine, die nichts von Magie verstand, hatte dies begriffen.
Eyas Herz machte einen Satz.
Hätte sie es vermocht, sie hätte sich mit beiden Händen in die Brust gegriffen, nach dem erbebenden Muskel darin, der ihr mit jedem Schlag Angst durch die Fasern ihres Leibes jagte. Die dunkle Wüste trat in den Hintergrund.
Was werden sie tun?
Lag der trockene Süden nur noch für eine knappe Dauer als nutzloser Wall vor ganz Sanktuario, um bald weggerissen zu werden in einem ersten, großen Angriff, um dann hinabzusinken und zu einem der ungezählten Orte zu werden, an die man sich später, im Sturm der Eroberung und der Vernichtung, kaum noch würde erinnern können?
Und wir? Was werden wir tun?
Sie sah die Städte vor ihrem geistigen Auge – Kurast, das durch die Zerstrittenheit des Ostens, gebeutelt vom raschen Aufstieg des Kindgottes, schon halb auf Knien lag; Fadraîs, entblößt von seinen Truppen, die gemäß den irrsinnigen Plänen seiner Obersten durch den Westen strömten- dann fuhr es zurück. Es waren zu viele Bilder. Dächer, Türme, einsinkend, verwirrte Haufen von Menschen, Heere, die nicht wussten, wohin sie zuerst ziehen sollten, leergefegte Weiler, lahmliegendes Leben. Und dazwischen die unbrauchbaren Wegpunkte, ein Hohn, ein Lachen der Vergangenheit. Sie waren dahin – dahin wie die Einigkeit der Menschen vor der Bedrohung der Erzdämonen.
All das Wissen, das Männer und Frauen wie Hadan, Ifrah, Drognan und andere besaßen, all die Weisheit der kultischen Zentren und Orte des Zusammenlebens, ganz gleich, ob es Ordensburgen, nekromantische Tempel, Magierschulen oder Langhäuser der Barbaren, Druiden und Amazonen waren, ragte klein, hell und verzweifelt vor dem Zusammenbruch ihrer gemeinsamen Welt auf. Und wie sicher hatten sie geglaubt, das Hier und Jetzt zu kennen, das Diesseits und das Jenseits, das Gefüge und die Ordnung aller Wesen und Dinge! Hinfällig musste diesen Menschen ihr Wissen jetzt erscheinen.
Und doch. Die Assassine schüttelte die Leere hartnäckig aus ihrem Kopf. Sie ballte die rechte Faust um den Griff ihrer Suwwayah, die ruhig in ihrer Hüftscheide stak, eng und vertraut an ihrem Körper, der sie glauben machen wollte, er gerate aus den Fugen. Noch ist nichts verloren.
Die Angst zerstört die Hoffnung. Sie ist der erste Feind, der Vorbote des wahren Feindes.

Doch an diesem Punkt ihres Weges, hier in der Wüste, in der Nacht zwischen Erkenntnis und nahender, vielleicht noch schlimmerer weiterer Erkenntnis, bedauerte Eya, die ohne etwas Derartiges aufgewachsen war und auf den Glauben ihrer Vertrauten stets wie auf eine gewiss unantastbare, aber enge und starre Beschränkung der Weltsicht geblickt hatte, keinen Gott zu haben, zu dem sie hätte beten können.
Was hatte Ifrah ihr erzählt? Das Wüstenvolk, von dem die Magierin abstammte, hatte sich die zwei großen Gestirne zu Gottheiten erhoben – Badr, die Sonne, und Junah, den Mond.
Sie sind keine menschenähnlichen Wesen, Eya, nicht so, wie Hadan und die Leute aus dem Osten ihre Götter sehen: Halb dämonische, halb menschliche Kräfte oder Geister, und auch nicht, wie Urel seine Ahnen begreift. Sie sind – das ist alles. Sie leiten das Leben. Indem ich zu ihnen spreche, spreche ich zum Leben in seiner Gänze, für die uns sonst ein Begriff fehlt.
Erneut vertrieb die junge Assassine die Gedanken aus ihrem Innern. Darum auch, darum vor allem, war sie kein Mitglied ihrer Zunft mehr, wie diese es verstand. Sie hatte sich mit fremdem Gedankengut anfüllen lassen. Sie trug es gern, denn es war einem Dasein ähnlich, wie sie es in ihren heimlichsten Träumen führte, ein Dasein, in dem sie keine Assassine war, sondern etwas Weicheres, Gebundeneres und Freieres. Es war ihr teuer, wie auch die Liebe zu einem Mann und zu ihren Gefährten ihr teuer war, teurer als ihr eigenes Wohl.
Aber wenn sie Mut beweisen wollte, musste sie sich auf ihre Kämpfernatur verlassen, und diese durfte sich nicht mit Befürchtungen und Grübeleien beschweren.
Vor ihr tappte Harebnash langsamer durch die Nachtschatten. Eyas Aufmerksamkeit sammelte sich.
Der Säbelkater, auch so bereits ein lautloser Fleck, gerann zu einem wahren Geschöpf der Wüste. Das Aufsetzen seiner Hinterläufe hätte nicht einmal eine Eidechse von einem Stein verscheucht.
Nun blieb er stehen und wandte sich zu den Menschen um. Seine Augen ähnelten bleichen Kugeln.
Er sieht im Dunkeln, begriff die Assassine und hielt den Atem an. Wie eine der großen Katzen des Urwalds, deren Augen eine Schicht bedeckt, die noch dem geringsten Schimmer Helligkeit das Vielfache abgewinnt.
Das Geschöpf hatte bislang kein Wort gesprochen. Auch jetzt bedeutete es den Gefährten schweigend, sich zu sammeln.
Vor ihnen waren die Felsen dichter zusammengerückt. Sie erinnerten an die Steinernen Flammen, standen aber dunkler und weit höher am Ende der Ebene, über die der Trupp geschlichen war. Eya erkannte Durchlässe, doch nur anhand der Kämme über ihren Köpfen, die der noch ein Weniges hellere Himmel zu zerklüftetem Stein entzauberte. Aus den Durchlässen indes drang nichts als Schwärze.
Schwärze und Angst.
Lass es nicht diese grauenvollen Schleier sein, die wir im Tal sahen. Selbst in einen flüchtigen Abkömmling davon, zurückgelassen oder vorausgeworfen von vielleicht nicht einmal in der Nähe befindlichen Wesen, hätte sie keinen Fuß hineinzusetzen vermocht.
Harebnash aber ging weiter. Eya sah das Zögern der Gefährten.
Sie standen einige Augenblicke lang reglos in der Dunkelheit.
Diesmal war es nicht die Assassine, die als Erste dem lautlosen Führer folgte. Hadan ging an ihr vorbei, schweigend und zielstrebig.
Die Finsternis legte sich um ihn, schluckte ihn dann vollständig. Sie hätte aufschreien mögen.
Eine zweite Gestalt trat vor, groß, ebenfalls ohne ein Wort, und eine schwere Hand legte sich kurz auf Eyas Schulter. Komm, Waffenschwester. Urel. Komm, ein weiteres Mal. So haben wir es doch immer gemacht.
Ihre steifen Beine setzten sich in Bewegung. Körper schlossen sich eng um sie, Schweißgeruch, an dem sie die Barbaren erkannte. Sie nahmen sie in die Mitte. Dann war ringsum nichts mehr als Stein, und es wurde so finster, dass sie wie blind die Hände ausstreckte.
Fels. Felswände, ein leises Schaben unter ihrem Handschuh. Ein Rückenteil, eine Rüstung, langes Haar. Ifrah.
Nach einigen Schritten in lichtloser Stille gewöhnte sich das Auge. Schwach zeichneten sich Formen ab, eine steinerne Passage, gelegentlich offen zum Himmel hin, dann tunnelartig. Unter den Füßen wechselte weicherer Sand mit hartem Boden. Eine Biegung, ein Lichtfleck aus Mondschimmer.
Sie waren tatsächlich in einem Labyrinth, einem Steingarten mit Höhlen, Tunneln und kleinen, freien Plätzen. Selten einmal erlauschten die Gefährten ein feines Huschen, vielleicht von Salamandern oder Sandmäusen.
Wie lange sie dem Säbelkater durch die Felsengänge folgten, wie oft er wartete, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatten, errieten sie nicht.
Schließlich stieg der Boden an. Er formte sich. Sie gingen aufwärts.
Treppen. Eya schluckte. Irgendetwas oder irgendjemand hat hier vor langer Zeit Treppen gemacht.
In einer Reihe erklommen sie eine Art Hochplateau, klein, halb umrahmt von Felsenzähnen.
Wieder brauchte Harebnash sie nicht anzuweisen. Die Gegenwart des Bösen, die ihnen selbst im Grab schon schwach entgegengeschlagen war, lastete hier so stark, dass sie sich halb unwillkürlich, halb kraftlos duckten. Die eigene Angst und die Angst der Anderen wurden eins.
Eya hörte Menrad etwas flüstern, gewiss Bruchstücke eines Stoßgebets.
Wenn ihre unweltlichen Gegner ihre Gegenwart wahrzunehmen vermochten, und dies fürchteten nicht mehr nur die Magiebegabten, durften sie dann hier noch hoffen, ebenso wenig als Bedrohung angesehen zu werden wie nahe des Tals?
Wenn es wahr war, dass die Säbelkatzen einen Durchlass entdeckt hatten, würden die Dämonen diesen nicht als erste Errungenschaft auf dieser fremden Welt verteidigen? Oder war ihre Macht so grenzenlos, dass ihnen nicht einmal die Verbreitung der Kunde von dieser Entdeckung verhindernswert erschein?
Das Furchtbarste, das denkbar wäre, würde uns schützen. Eya konnte ihr Zittern nicht länger unterdrücken. Uns, die jämmerlichen Kundschafter der Menschheit, deren Untergang sie schon vorbereiten?
Es war denkbar, es war eine üble Laune der Dinge.
Ein Laut schreckte die auf das kleine Plateau Hinausgetretenen auf. Harebnash.
„Seht!“ Ein Vorderlauf wies über den Rand der Felsenzähne. „Seht die Tür.“
Eya folgte der angezeigten Richtung mit den Augen.
Es war zu spät, sich zu wünschen, es nicht getan zu haben. Und diesmal musste das Auge die Umgebung, obwohl es dunkel war, nicht erst erfassen und das Unpassende darin suchen.
Denn gerade die Dunkelheit zeigte es ihnen.
Unter dem Plateau schlossen sich weitere, langsam abfallende Felsenfinger und Wälle an, die in ein weites, ganz von schwarzen Hügeln umschlossenes Tal ausliefen. Eine Meile oder mehr mochte es breit sein und in der Länge noch mehr, ein schwer erreichbarer, geheimer Ort, kahl, nackt unter der Kuppel des Nachthimmels. Der bleiche Mond schien still darauf hinunter.
Aber sein Licht, das Silberweiß seiner Sichel, wirkte fern und unbedeutend vor der zweiten Quelle. Denn sie befand sich am gegenüberliegenden Ende des Tals.
Schwach an seinen Rändern bewegt, gleich einem magischen Portal, doch weit größer und weder rund noch vertraut bläulich, stand dort etwas. Zunächst gab es nicht einmal ein Wort dafür.
Kein Mensch auf Erden, flüsterte der eigene gelähmte Verstand, konnte Derartiges schon je zuvor gesehen haben, es sei denn, er hätte einem namenlosen Ritus beigewohnt, weit abseits der bekannten Welt, von dem nichts nach außen gedrungen war.
Es war ein Riss.
Wo nichts hätte sein dürfen außer Luft und Sand und Felsen, klaffte ein Spalt, mitten in der Wirklichkeit. Mitten in Sanktuario.
Silbrig schien er von Farbe, aber je länger man hinsah, desto weniger war er wirklich hell, doch auch nicht dunkel. Hoch war er wie ein zweistöckiges Haus, dabei nicht breiter, als ein Mensch beide Arme ausstrecken konnte.
Die Tür.
Ohne noch etwas zu fühlen, schluckte Eya Blut ihrer zerbissenen Unterlippe hinunter. Nein, da half es nichts, sich unter die Felsen zu werfen und sich dem Wahnsinn zu überantworten. Der Durchlass war da. Er pulsierte, schmaler werdend, dann wieder breiter, als zerrten gegensätzliche Kräfte an seiner Existenz, doch er verging nicht.
Sie kommen und bleiben.
Die Zerstörung des Weltensteins, der Wandel der Welt oder anderer Welten – was auch immer ihnen geholfen hatte, sie hatten sich einen Weg geschaffen.
Ein Dämonentor.
Das dunkle Tal zeigte keinen schwarzen Nebel und keine der vor dem Grab halb zu erkennen gewesenen Gestalten, doch ihre Präsenz senkte sich in die Sinne und in den Geist wie eine Empfindung großer Hitze oder Kälte und verseuchte das eigene Sein.
Eya sah es an den Gesichtern der Anderen, als sie sich verzweifelt zu ihnen umdrehte, nicht länger in der Lage, den Anblick des Spalts zu ertragen.
Die Gesichter der Männer, selbst die spöttischen Züge Suhayms, waren wie aus Stein gemeißelt. Hadans Augen, im Mondlicht Kiesel ohne erkennbare Iris, blieben auf das Tal gerichtet, und das oft so unbewegte, gefühllose Antlitz des Nekromanten zeigte eine Angst, wie Eya sie noch nie an ihrem Gefährten erblickt hatte.
Harebnash hatte die Lefzen von den Zähnen zurückgezogen. Wie alle Tiere, auch wenn der Säbelkater nur ein halbes oder weniger war, nahm er die Bedrohung vielleicht auf noch ganz andere Weise wahr.
Seine großen Augen huschten zu Hadan, als der Nekromant leise und so rau, dass er kaum zu verstehen war, die Stimme erhob.
„Ich gehe näher heran.“
Acht Köpfe ruckten herum.
Ifrahs dunkles Gesicht war eine Grimasse des Entsetzens. „Bist du von Sinnen?“ zischte die Magierin
„Gewiss nicht.“ Hadan sah Harebnash an. „Wie nah ist dein Volk je an diesem Tor gewesen?“
„Nah. Ich selbst.“ Dem Säbelkater sträubte sich das Fellkleid, und ein erinnertes Grauen sprang aus dem Katzengesicht. „Nicht ein zweites Mal. Bitte mich nicht darum, Mensch.“
„Das habe ich nicht vor.“ Der große Mann erschauerte, warf dann einen weiteren Blick ins Tal. Nun war keine Angst mehr an ihm zu erkennen, oder er hatte sie in sein Inneres hinabgezwungen. „Sag mir nur, wie ich dort hinuntergelange, Harebnash.“
Der Säbelkater schwieg, und für eine Weile herrschte Stille in ihrer entsetzten Runde.
Dann, als könne er sich keinen Ausweg mehr denken, als dem Menschen zu gewähren, um was er bat, winkte Harebnash und tat einen Schritt auf den Felsenmund zu, durch den sie auf das kleine Plateau gelangt waren.
Hadan sah die Gefährten an, auch Eya, doch die Dunkelheit und das schwache Mondlicht verrieten nicht, ob sein Entschluss dadurch ins Wanken geriet. „Ich werde vorsichtig sein. Ifrah“, die Magierin zuckte zusammen, „dich bitte ich um deine Begleitung, aber-„
„Es ist gut.“ Ifrah nickte, beide Hände um den Stab gekrallt. „Ich gehe mit.“ Ihre Stimme schwankte. Eya schien, als habe ein kurzes, stummes Zwiegespräch zwischen den beiden Ältesten stattgefunden, doch die verzehrende Angst konnte sie auch täuschen. Sie spürte das Tal und das Tor im Rücken wie ein starrendes, großes, höhnisches Auge, das sagte, kommt nur, ihr Narren.
„Ich gehe auch mit“, meldete sich Urel. Als Bostac anzeigte, ihn begleiten zu wollen, wie er es in fast brüderlicher Treue seit Längerem zu tun pflegte, wies der junge Barbar ihn jedoch an: „Nein, bleib bei den Anderen, Bostac. Wir dürfen nur Wenige sein. Es mag dazu kommen, dass wir uns übereilt zurückziehen müssen.“
„Dann warten wir unten am Rand des Tals“, brummte Herlac, „sofern es dort einen Ausgang gibt. Bei den Ahnen, auch wenn dieser Ort der böseste ist, den ich je sehen musste, ich werde nicht hier oben bleiben und mich wie ein Feigling verstecken.“
Viel zu rasch, klagte Eyas Herz, gelangten sie erneut in die steinernen Eingeweide des Labyrinths. Leiser noch als zuvor führte Harebnash sie an, zögernd, wartend an jeder Ecke, der Schwanz ein fahriges Schlenkern.
Sie hörten nichts bis auf ihren eigenen Atem. Falls das erlernte Erspüren naher Gegner in den Kriegern noch arbeitete, so fand es nichts oder wurde genarrt, wie schon vor dem Grab, und letztere Befürchtung verwandelte jede Wachsamkeit in schreckhafte Anspannung.
Als sie durch eine Reihe abfallender Gänge wieder nach draußen kamen, sahen sie, dass das Tal vor ihnen lag. Nur noch ein Felsblock schützte sie vor möglichen Blicken und der offenen Fläche. Hier blieb Harebnash stehen, und obwohl er keinen Laut von sich gab, war deutlich, dass er so weit gegangen war, wie er es wagte.
Es war dunkler hier unten. Die Felswände der das Tal einrahmenden Hügel warfen Nachtschatten auf ihren Standort.
Ferner, kaum noch eine Dreiviertelmeile fort in der Dunkelheit, klaffte das Dämonentor im Nichts, eine grausige Unwahrscheinlichkeit, ein Schmerz für Augen und Seele. Sie sahen sein bleich dunkles Pulsieren nicht mehr nur, sie spürten es auch, und wenn Eyas Ohren sie nicht täuschten, war ein tiefes, feines Klingen zu vernehmen, an- und abschwellend, kein Laut von dieser Welt.
Flehend suchte sie Hadans Blick, konnte sein Gesicht in der Finsternis jedoch nicht ausmachen, nur seine Gestalt dicht neben ihr.
Geh nicht. Sie musste nicht in die Mysterien magischer, sinnferner Wahrnehmung eingeweiht sein, um die böse Aura des Tores in sich widerhallen zu fühlen. Bleib bei uns. Die Angst riss mit Urgewalt an ihr, nun auch die Angst, ihn zu verlieren.
Mit wenigen, geraunten Worten verständigten sich die drei Gefährten, die sich dem Tor nähern wollten. Der Rest der Gruppe versprach, zu warten, sich für eine Flucht bereit zu halten und ihnen notfalls zur Hilfe zu eilen.
Bevor er sich neben Ifrah und Urel stellte, kam Hadan, während die Anderen sich in die Schatten auf beiden Seiten des Ausgangs verteilten, noch einmal zu ihr. Er übertrug, Eya spürte es, etwas Beruhigendes auf sie, doch es war nur eine dünne Schicht, ihr zuliebe über Grauen und eiserne Entschlossenheit gebreitet, und sie wollte sich nicht besänftigen lassen.
Aber ich kann ihn nicht zurückhalten. Er strebt immer ins Zentrum des Unheils.
„Ich...“ Ihre Stimme gehorchte ihr kaum. „Ich würde... mitkommen, aber ich kann nicht, Hadan. Ich kann nicht.“ Ihr Mut war zerstoben, und auch wenn es sie schmerzte: So würde er sie in Erinnerung behalten – außer sich vor Angst.
„Das musst du auch nicht, Shatryindjah.“ Er beugte sich herunter und küsste sie auf die tauben Lippen. Warte hier, hörte sie seine Stimme in ihrem Kopf. Sie zuckte. Wir sind rasch zurück. Ich verspreche es.
Das Letzte, was sie denken konnte, bevor Menrad, der unweit gewartet hatte, sie zu sich in Deckung winkte und mit ihr gemeinsam dem Nekromanten hinterher spähte, war undeutlich, aber es erreichte sie dennoch. Warum gewann Hadans Fähigkeit, von Geist zu Geist zu ihr zu sprechen, jetzt wieder so an Macht, nach längerer Zeit, hier vor dem Dämonentor?






Zuerst kämpfte sie mit jedem Schritt. Dann spürte sie die Hitze.
Ifrah umkrallte ihren Stab, die erweiterten Augen auf den hellgrauen Boden, die schwarzen Wände und Schatten des schweigenden Tals geheftet. Sie mied den unaufhaltsam näherrückenden Spalt, der bedrohlich in den Himmel hinaufzuwachsen schien, doch wie unter einem Zwang zuckte ihr Blick stets aufs Neue in seine Nähe, und sie wehrte sich gegen die Ahnung, dass es nicht nur Vorsicht war, die an ihm rüttelte.
Aus dem Trümmerfeld ihrer Geistesgegenwart wand sich etwas empor und strebte dorthin, wo der hohe Silberspalt die Welt zerteilte. Sie wollte nicht wissen, was es war.
Langsam, steif, der freien Fläche des Tals ausgeliefert, näherten sie sich dem Tor.
Und ein Tor war es. Sie sahen kein Wesen es passieren, sie sahen überhaupt nichts Lebendiges in diesem Tal, auf dem der Fluch der Wahl oder des Zufalls ruhte, doch jeder fühlenden Kreatur musste die Erscheinung an seinem Ende die Ahnung eingeben, dass es eine Öffnung zwischen zwei Welten war.
Ifrah schaute rasch nach Hadan. Ging er darum das Risiko ein, sich in die Nähe des Tors zu begeben? War es das, was auch sie selbst, die sich doch anfangs vor Furcht kaum zum Mitgehen hatte zwingen können, gegen jede Vernunft anzog – beinahe eine Besessenheit, zu erfahren, was auf der anderen Seite lag?
Kurz wechselte das Bild und machte einem anderen Platz.
Aus der Erinnerung wiederauferstehend, erstreckte sich rings um ihren einsamen Weg eine Schlackenebene ohne Himmel, ein schwarzes Land, übersät mit Zerrformen halb verfallener, ascheverkrusteter Gebäude. Ketten verbanden Pfeiler, ohne Sinn, ohne Ähnlichkeit mit menschlichen Gefilden. Am Boden, wo sie nicht hinzugehen wagte, außer wenn es zwingend notwendig war, wanden sich Körper, hineingepresst in Schädelstätten, gefangen im Stein wahllos verteilter Bodenplatten, und die Stille war nur eine Abwesenheit solcher Dinge wie Gnade und Erlösung, keine wirkliche Stille, denn ein nicht enden wollender Klagegesang geisterte umher, und aus den Hügeln festgebannter Leiber griffen verstümmelte Hände blind in die Luft.
Ifrah blinzelte, und die Erinnerung an die Sphäre jenseits der Festung des Wahnsinns schwand mit den Tränen, die ihr über die Wangen liefen, ohne dass sie ihr Hervorquellen gespürt hätte.
Liegt das hinter dem Tor? Doch sie hatten keine Spur des alten Bösen gefunden, keiner von ihnen, weder die alten Gefährten noch die anderen Menschen, die der Herrschaft der Erzdämonen bitteren Tribut hatten entrichten müssen.
Es ist uns versprochen worden, wiederholte sie im Geiste, und kam sich vor wie ein Kind, das eine Zusage Größerer trotzig herbetet. Es ist uns versprochen worden, dass sie Sanktuario niemals mehr betreten.
Sie sind dahin. Für alle Zeit. Und wir, die wir uns nichts Schlimmeres als sie vorstellen konnten, haben geglaubt, für immer errettet zu sein.

Vor ihr verhielten die Männer plötzlich.
Das Tor lag nur noch zwei- oder dreihundert Schritte entfernt, und der Klang, der davon ausging, war das einzige Geräusch in der Nacht. Etwas hatte die zwei Anderen innehalten lassen. Starr, jederzeit bereit, ihr Blitzfeuer zu entfesseln, schlich die Magierin an ihre Seite. Jedoch war es weder das Tor noch die seltsame Hitze, die immer stärker wurde, und auch keine feindliche Bewegung.
Im Sand ruhte eine Leiche.
Doch es waren keine menschlichen Überreste, nicht einmal Knochen oder verkohltes Fleisch. Eine Kapuze lag, schlaff hingebreitet, und silbern schimmernde Teile einer gewaltigen Rüstung. Sie war leer. Dort, wo sie einst einen Arm umschlossen hatte, sah man ein zerborstenes Schwert, lang wie eine Lanze.
Ein Engel.
Die Dinge fügten sich zusammen. Zumindest darüber, dass sich zwei Lager bekriegten – um Sanktuario streitend oder es zumindest als ein Schlachtfeld benutzend – hatte der Engel der Offenbarung sie nicht getäuscht.
Doch gegen ihre Erwartung, der Anblick des gefällten Wesens werde ein Gefühl grimmiger Genugtuung in ihr wachrufen, empfand Ifrah nichts dergleichen. Es mochte sein, dass sie hier vor den Überresten eines ähnlich hochmütigen Geschöpfes stand, wie der Engel in der Marsch es gewesen war, es mochte sein, dass auch dieser Engel die Menschen bereitwillig gegeneinander oder gegen die Dämonen ausgespielt hatte.
Doch seine Leiche kündete zuvorderst von Einem: Der Macht derer, die ihn hier besiegt hatten. Die Rüstung war stellenweise geschwärzt, ein Metall, das nicht von Sanktuario stammte.
Wie sollen dann erst unsere Rüstungen gegen eine solche Feuersbrunst bestehen?
Wortlos traten die drei Gefährten an den Überresten vorbei, ließen sie hinter sich, wagten weitere Schritte auf den Spalt zu.
Er wirkte jetzt riesig. Er zog das Auge an, doch jeder Schritt geriet zu einem Aufbegehren letzter Willenskraft.
Ifrah bewegte sich voran, auf ihren Stab gestützt wie eine alte Frau. Trotz der immensen Anspannung verlor sie an Kraft, sie fühlte es. Ihre Beine gehorchten ihr noch, stießen ihr aber gleich zwei in Lumpen gehüllten Stangen schmerzhaft von unten in den Leib. Hastig sog sie die Nachtluft ein, fröstelnd bei aller Hitze, die aus dem Spalt zu fließen schien, und ihre Kiefermuskeln verkrampften sich hart.
Aus dem Tor stemmte sich ihnen mit aller Macht ein Wille entgegen. Er zwang sie fast auf die Knie. Von Urel vernahm die Magierin ein leises Stöhnen der Anstrengung.
Sie durften hier nicht sein. Das Tor war nicht Menschen zugedacht.
Ifrah blieb stehen.
Hadan war vor dem glimmenden, flüsternden Riss im Nichts nur noch ein hoher Schatten, so gleißend hinterlegt, dass sie nicht einmal sein weißes Haar länger erkennen konnte. Wie nah willst du noch herangehen?
In diesem Augenblick hielt auch er inne, stand dann reglos. Vielleicht versuchten seine farblosen Augen in der pulsierenden Farblosigkeit etwas zu erkennen, vielleicht lauschte er, ob sich das Jenseits, das, was hinter dem Riss liegen musste, durch Klänge oder Bewegungen verriet, vielleicht ließ er die ganze grauenhafte und für das Grauen, das sie verströmte, nicht ausreichend hässliche Erscheinung sich in seine Seele senken, um sie zu begreifen.
Zu jeder anderen Gelegenheit hätte Ifrah ihm zugeschrieen, zurückzukommen, damit sie gemeinsam fliehen konnten.
Doch sie bekam keinen Laut heraus. Sie konnte nichts tun als dazustehen, eine kleine Frau mitten im Tal zwischen den Hängen der anderen Seite, unter denen sich ihre Gefährten verbargen, und einem nie erblickten Wunder abgrundtief böser Natur.
Noch während sie gegen ihre Angst und die zwischen Fluchtinstinkt und widerwilligem Bann wankende Starre ihres Dastehens ankämpfte, regte sich das Tor.
Bei Badr und Junah! Entsetzt taumelte sie einen Schritt zurück.
Aus dem Riss sprang keine schwarze Gestalt, auch kein Heer, auch kein Lärm. Sein fahles Leuchten aber glomm auf, begleitet von einem stärkeren Klingen, einem summenden, Erde und Luft beherrschenden Ton, der ihr ins Mark fuhr.
Das Tor aktivierte sich.
Außerstande, sich zu bewegen, sah Ifrah Hadan davor zurückweichen, und schräg neben ihr kam Urels Zweihänder aus seiner Scheide. Im Licht des Spalts tauchten die Züge des Nekromanten wieder auf, selbst jetzt, da er der Erscheinung den Rücken zukehrte und mit zwei, drei langen, wankenden Schritten zu ihr und dem Barbaren hastete.
Kaum waren sie dicht beisammen, fegte ein Wind über sie hin. Ifrah schrie leise auf. Nun war doch ein Geräusch da, ein Brausen, bedrohlich anwachsend, das Knistern einer fernen Feuersbrunst, in der Stimmen laut wurden.
Sie würden nicht rechtzeitig fliehen können.
Ifrah starrte ihre Gefährten an. Hadan trug seine Macht bereits wie einen Mantel um sich, aber er wartete in einer Reihe schreckvoller Atemzüge, und obwohl er sie nicht ansah, begriff sie.
Auch darum sollte ich mitkommen.
Plötzlich dachte sie an Kurast. Das Hausdach, weit über den umkämpften Straßen. Der Damm. Travincal. Ihr abgebrochenes Gespräch, hinterher.
Die gleißenden Ränder des Dämonentors wölbten sich zitternd wie unter einer Geburtswehe.
Mit der Linken packte die Magierin Hadans Handgelenk. Mit der Rechten, in der sie noch den Stab hielt, berührte sie Urel am Rücken.
Derartiges hatte nie zuvor ein Magier versucht.
Tut das niemals. Es ist euch verboten.
Sie fühlte das Gelenk des Nekromanten, die feste Verbindung zum Gewicht seines Körpers, auch Urel – zwei Leiber, in denen Herzen kraftvoll Blut durch fremdes Fleisch jagten, aus denen Bewegungen wuchsen, ein Zucken, Gedankenfetzen, Bekanntes, Unbekanntes.
Als das Gefühl des Fortgerissenwerdens in den Teleportschritt die Umgebung auslöschte, war sie sich einen panischen Atemzug lang sicher, die Anderen zu verlieren.
Aber statt verlorener Gestalten, zerfetzt durch die unnatürliche Gewalt magischer Fortbewegung, sah sie aufkeuchend als nächstes eine Felswand vor sich. Schwarze Schatten. Sandiger Boden empfing ihre Füße und erstreckte sich weit hinter ihr in das Tal hinein.
Sie fuhr herum. Ihr schwindelte, und sie hörte nichts. Der gleißende Spalt lag jetzt rechts von ihnen. Eine halbe Meile entfernt.
Neben ihr stand Urel, trotz der Finsternis ein fassungsloses Antlitz, auf dem Schweiß glänzte, darunter sein großer Leib, der Halt suchend den Zweihänder auf den Boden stieß. Hadan taumelte und fiel auf die Knie. Ihre huschenden Augen forschten ängstlich nach einer Unstimmigkeit an ihm, doch da rappelte sich der Nekromant bereits wieder auf und warf das lange Haar aus dem Gesicht. Schlohweiß, halb benommen, halb triumphierend, leuchtete es in Schwarz und Mondsilber.
Er wechselte einen Blick stillen Einverständnisses mit ihr. Für Worte war keine Zeit.
Sie flohen.
Bis unter die Felsen, hinter denen die Gruppe lauerte, rannten sie und duckten sich, und im Laufen dachte die Magierin, wie sinnlos ihre Vorsicht doch war. So wie sie vor dem Grab und vor dem Tor, das nicht sein durfte, ihre Anwesenheit gespürt hatten, so spürten die Herren des Tors gewiss auch jetzt ihre Flucht.
Dieses Mal waren sie entkommen – vielleicht ein Glück, vielleicht ein Auftakt zum Verderben. Sie werden uns folgen. Wir ziehen den Sturm hinter uns her. In Ifrahs vage Erleichterung, der unmittelbaren Nähe des Spalts entronnen zu sein, mischte sich Bestürzung, und nur mit Mühe bot sie, hinter Urel und Hadan zu den Anderen in die Deckung tauchend, ihren Verstand gegen die Empfindung hinterhältig heranschleichender Schuld auf.
Die Gefährten empfingen sie mit gehetztem, sprachlosem Staunen. Sie sicherten die Umgebung, doch hin und wieder streifte die Magierin ein verstohlener Blick. Sie hatten den Verlauf der Flucht beobachtet. Alle.
Nein, so darf ich nicht denken. Nichts von Schuld. Die Feinde kommen, früher oder später. Unsere Erkundung – ich darf sie nicht begreifen, als hätten wir durch sie meine Heimat und ganz Sanktuario verurteilt.
Harebnash führte die Menschen eilig zurück in das Felsenlabyrinth.
Der Säbelkater sprach kein Wort der Missbilligung. Und da fiel der Magierin ein, dass Andere schon vor ihr getan hatten, was die Gruppe getan hatte.
Nur hatte ihnen fehlendes Glück nicht gestattet, mit Kunde von ihren Beobachtungen, zufällig oder beabsichtigt, zurückzukehren. Vielleicht waren sie, abgesehen von den Säbelkatzen, hierin die Ersten.
In tiefem Schweigen suchte sich die Gruppe ihren Weg durch die Felsengärten, dann über die Ebene, an deren Ende der Hügelkamm mit den Gräbern darunter wartete. Sie liefen, so rasch sie konnten und so heimlich die Nacht es ihnen erlaubte, und die Angst saß ihnen im Nacken.
Die dunkle, jetzt kühlere Wüste zog an Ifrah vorbei.
Die Mondsichel schenkte den Felsen und der geschmeidigen Decke des Sandes blasse Grate und Flächen – ein stilles, leeres Land unter einem atemberaubenden Sternenzelt. Ganz nach Art einer geliebten Heimat hatte es sie stets getröstet, Sorgen und Bedenken befriedet. Doch nun nicht mehr.
Die Unfähigkeit, das Grauen in Worte zu kleiden – und miteinander sprechen konnten sie, nun, da sie sich auf dem Rückweg befanden – schien Ifrah unbehaglich treffend.
Kein Fürstentum bot hier im Streit um Einfluss und Schätze Soldaten gegen ein anderes auf, kein Herrscher zog seine Truppen gegen einen Usurpator eines anderen Geschlechts oder gegen Räuberbanden zusammen, keine ferne Provinz fiel mit Forderungen und Drohungen in bewohnte Gebiete ein.
Doch.
Doch, es ist eine ferne Provinz, es ist ein Heer von Usurpatoren, es geht um Macht und Land.
Aber diesmal steht keine andere Menge von Menschen dahinter, mit denen uns wenigstens ähnliche Stärken und Schwächen verbinden und die Gabe der Rede, die Möglichkeit zur Verhandlung. Diesmal nicht.

Ihr Mund war trocken, ohne dass der Durst sie wirklich erreichte.
Die Gefährten liefen in einer eng geschlossenen Gruppe, als sei einzig aus der Nähe der Anderen noch Trost zu schöpfen.
Neben der Dunkelheit, die nur noch ihre Umrisse erkennbar machte, zerstörte auch dies ihre Unterschiede. Menrad hielt sich dicht neben ihr, nicht länger der Ordensmann einer feindlichen Hochburg, nicht länger der mürrische Zweifler. Eya setzte leichte, aber seltsam erschöpfte Schritte. Ihre Rechte lag in Hadans Linker, und so rannten die Liebenden. Die Barbaren bildeten eine wehrhafte, stumme Dreiergruppe. Selbst Urels massige Gestalt, auch wenn sie finstere Entschlossenheit ausstrahlte, war gebückt vor Sorge.
Hatte nicht gerade er auf diesen Tag gewartet?
Als der Felsentunnel die Gruppe wieder aufnahm, bald durchschritten war und von zwei wartenden Säbelkatzenwächtern mit dem Türstein verschlossen wurde, atmete Ifrah zitternd auf. Das Grab bot keinen Schutz, nicht vor dem, was durch das Dämonentor kommen würde. Dennoch war sie froh, die offene Wüste hinter sich zu wissen – froh und bekümmert zugleich.
Ihre Gefährten strafften die vom geduckten Laufen angestrengten Körper. Einander ausweichende Blicke, zu Boden sehende Gesichter. Merenechsa war da, aber nur als schweigende, versichernde Gestalt, und Ifrah sah sie kaum, sah viel eher die Menschen, die neben ihr in das Grab zurückgekehrt waren.
Sie alle haben ohne Ausnahme ihre Heimat bereits verloren. Nun auch ich.





Merenechsa hatte sie in dieser Nacht noch einmal empfangen.
Die Worte, die sie mit ihnen getauscht hatte, waren jedoch knapp gewesen. Das Geschöpf schien die Betroffenheit der Menschen nicht stören zu wollen. Halb aus Rücksichtnahme, halb, damit das Schweigen unsere Einsicht vertieft.
Es gab wahrlich genug, das sie gesehen hatten und das einem Mann auf Wochen hinaus böse Träume und düstere Tage bescheren konnte, doch gegen seine Erwartung entließ das erste hilflose Schweigen Menrad in einen inneren Raum, in dem er nur Klarheit und gerade, zielgerichtete Gedanken vorfand.
Er machte sich keine Illusionen. Weder Zahl noch wahre Stärke noch genaue Absichten der Feinde waren bekannt, und die bisherigen Begegnungen hatten ihnen lediglich ein Blinzeln auf ihre Art gewährt. Die vergangenen Monate aber sprachen eine deutliche Sprache, und sie kündete von Krieg und Chaos. Sie verwob sich mit dem, was ihnen bei der Offenbarung gesagt worden war, zu einem riesenhaften, schrecklichen Bild.
Auf dem Meer, auf dem Schiff nahe den hellen Gestaden der Marsch, hatte er sich eine Flotte gewünscht, die Stärke eines Heeres an der Hand, um den Völkerkampf zum Erliegen zu bringen und Fadraîs von allem üblen Leumund zu befreien. Jetzt sah Menrad, dass die Zerstrittenheit der Klassen nur Begleiterscheinung einer viel bedeutenderen Bedrohung war. Und er begriff den Kummer und die Misere der Gefährten.
Für sie waren Verfolgung, Missachtung, ein halb verheimlichtes Leben in ihren Wegen alltäglich – nun, getrennt von seinem Orden, zweifelnd an der Umsetzung seiner Lehren, hatte sich sein Blick dem ihren unfreiwillig angepasst, und er sah auch, dass es nicht nur der Blick von Ausgestoßenen war, sondern eine Wahrheit über Sanktuario.
Einiger wären wir stärker. Aber die Gelegenheit wurde, wie es der Menschen Art zu sein scheint, bereits vor Jahrhunderten verspielt, und die Einigung, die Fadraîs anstrebt, ist falsch. Sie zerreißt die Völker weiter, anstatt sie einander näher zu bringen.
Vor diesem Hintergrund war doppelt erstaunlich, was die Geschöpfe, deren Gäste sie hier waren, gewagt hatten. Preisgabe ihrer Selbst, der Paladin nickte zu diesem Gedanken, in der Hoffnung, dass darin der allerletzte Ausweg liegt. Für uns alle.
Wieder in der Kammer, an eine ihrer Wände angelehnt, die jetzt von schwachem Mond- anstelle von Sonnenlicht überstrichen war, musste er seine Abscheu zugunsten eines Respekts aus der Hand geben, den er nicht für möglich gehalten hatte. Freundschaftlichkeit, gar Verwandtschaft mit ihren Gastgebern empfand er nicht, aber verachten konnte er sie auch nicht länger.
Es waren viele.
Merenechsa hatte den Gefährten eine schier unglaubliche Zahl genannt. Beinahe fünfhundert Krieger lebten allein in diesem Grab, fünfhundert, von denen man kaum etwas sah oder hörte. In weiteren Zufluchtsorten sollten es noch viermal so viele sein.
Ein Heer.
War es vorstellbar, wirklich vorstellbar – Hunderte gelbbrauner Leiber, die sich mit einem Menschenheer vereinigten? Wie sollten Ifrah und Hadan Fürst Jerhyn und seinen Hauptleuten begreiflich machen, dass einer der offenbar ältesten Widersacher der Wüstenmenschen bereit war, das gemeinsame Land zu verteidigen, auch Lut Gholein? Und worin würde die Stärke des Menschenheeres bestehen?
Menrad sah die bereits angereisten Barbaren vor sich, und ihre waffenstarrende, grobe Menge fleckte sich mit Wüstenkriegern, mit Söldnern, dem Blau und Weiß wehender Nomadengewänder, und ferner, undeutlicher noch, kamen Schiffe hinzu und brachten die verschwommene Sprache des Ostens, vielleicht aus Baraidha, vielleicht aus Pundar, und mit ihr die Asketen der dunklen Kulte jenes Weltteils.
Menrad zuckte.
Mit der Linken fuhr er sich über die Stirn, die Brauen und die hastig geschlossenen Augen. Das Handschuhleder starrte vor Schmutz und kratzte, und er streifte den Handschuh ab.
Das Bild war so farbig, so klar umrissen gewesen. Eine Vision? Oder nur die Vorstellung eines Soldaten, der im Geiste die Truppen zusammenrafft, an die noch Hoffnung zu hängen ist?
Schweiß war ihm ausgebrochen, vermischte sich mit älterem Schweiß, vergossen auf dem Weg zu dem nahen Tal, beim Anblick des Risses in der Wirklichkeit, der eine andere Wirklichkeit in ihre Welt hinübergeleiten würde.
Aber sein eigener Gestank störte in kaum. Er roch, wie sie alle rochen.
Die Anderen hockten oder lagen ringsum. Es war eng. Auch das störte ihn nicht.
Ifrahs rabenschwarzes Haar, aus ihrem Zopf gelöst, lag wie ein glänzender, weicher Teppich um ihre hinabgesunkenen Schultern und floss auf den Boden. Sie atmete tief und schwer im Schlaf. Vielleicht träumte sie von ihrem Kind oder von tausend wechselnden Landschaften ihrer Heimat, dem irrsinnigen, glühenden Weiß der Ebenen, gesprenkelt mit dunkleren Felsen, dem warmen Gelb und Rostrot der Dünen und Steine.
Fast alle schliefen.
Menrad sah zu Hadan. In dieser Nacht war es nicht der Nekromant, der wachte. Er saß in einen Winkel hineingelehnt, den Kopf der Assassine im Schoß, und das weiße Haar verdeckte seine Züge bis auf ein Stück Stirn und ein umschattetes, geschlossenes Augenlid. Eigenartig gefesselt, betrachtete Menrad den Anderen.
Diesmal bin ich es, der wacht, und du schläfst, wirklich und wahrhaftig. Es schien, als habe das Entsetzen des Dämonentors auf Hadan letztlich eine seltsame, fast beruhigende Wirkung, oder wenigstens, als sei der Nekromant, der sich ebenso wenig über das geäußert hatte, was er und die beiden Anderen dort gespürt hatten, zu einem Entschluss gelangt.
Als der Paladin den Blick weiter über die Schlafenden wandern ließ, sah er, dass Urels Augen offen waren.
Der Kriegsherr der Barbaren hockte mit unterschlagenen Beinen nahe der Tür, dergestalt, dass er zu dem Deckenschlitz hinaufschauen konnte. Seine breiten, regelmäßigen Züge waren gestrafft, doch seltsam ruhig zugleich. Sie bildeten einen Kontrast zur Erscheinung des Mannes, den dicken Schenkeln, dem wuchtigen, gepanzerten Körper. Die Hand und der Armstumpf lagen still im Schoß, aber das Schwert, das die verbliebene Faust gegen jede Wahrscheinlichkeit locker und tödlich zu führen vermochte, lehnte direkt neben dem jungen Mann an der Wand.
Es war eine furchtbare Waffe, doch was würde ihr Besitzer gegen eine Flut ausrichten können, die nur darauf wartete, die Wüste unter sich zu begraben?
Woher wissen wir das? Gütiges Licht, woher wissen wir, dass es Zahllose sein werden? Vielleicht war die Vorahnung ein letztes Geschenk des Schicksals, das ihnen noch gestattete, hastig über ihre Welt zu krabbeln und ihre Vorbereitungen zu treffen, beinahe ohne jede Hoffnung.
Bei Tagesanbruch würden sie sich auf den Weg zurück nach Lut Gholein machen, eiliger als zuvor.
Sie waren Kundschafter. Aber nur eine lässige Machtprobe der Macht des Reiches hinter dem Tor, und sie würden Vorboten sein – reitend auf einer ersten Welle des Krieges.
Menrad schloss die Augen.
Er war müde, müde in dieser verfluchten Wüste, gegen jede Angst erschöpft und ausgelaugt, und das nicht durch einen Mangel an Wasser.
Als er schließlich, tief in der Nacht schon, einschlief, sah er Urels wartende Gestalt wieder, und dahinter reihten sich die Anderen auf, die Gesichter einem düsteren Morgenrot zugekehrt, und wieder ähnelte das Bild dem, was die Geistlichen aller Religionen vielleicht eine Vision genannt hätten. Im Traum ging der Paladin in den Krieg, doch ihn sah er nicht – nur ein Ende jenseits aller Vorstellungen sah er, in dem er selbst die wunden Menschen, denen er so nah gekommen war, in ihre Heimat zurückschicken durfte. Und sie gingen: Die Barbaren in Richtung der hohen Wälder, um die Clanfehden zu beenden; die Magier, um das Überdauern ihrer Schulen zu sichern und Briefe und Verhandlungsführer in ein gelasseneres, weiseres Fadraîs zu senden, über dem die Banner des Ordens im Morgenwind flatterten; die Nekromanten und Pundarkrieger, sich einschiffend nach Osten, schweigende Vorhaben im Gepäck, die Verehrung der dunkelsten Götter fortan wieder mit einem Verbot zu belegen, auf dass das Volk sich nicht mehr in Vertreibungen und Verbrennungen verlor.
Und auch wenn ein außenstehender Teil seines schlafenden Bewusststeins ahnte, dass er träumte, einen Kindertraum fast von Güte und friedlicher Einigung und Wiederaufbau, der sich absichtlich den Dingen nicht aussetzte, die mit dem Sieg über einen äußeren Feind keinesfalls verschwinden würden, ließ es sich so weit in den Traum hineinziehen, dass Menrad trotz der Nähe der Bedrohung besser schlief als in einer langen Reihe zurückliegender Nächte.
 
Hach, wieder ist dir ein wunderbares Kapitel gelungen. Es wäre sogar grammatikalisch perfekt, wenn da nicht ein oder zwei überflüssige Satzzeichen drinnen wären :D


Ich habe die dumpfe Vorahnung, dass du uns ein drittes Mal in eine epische Schlacht entführst, wie einst in Kurast und im Westmarsch...ich kann es kaum erwarten ;)



Gruss Segan :hy:
 
Ein wundervolles Kapitel und schön spannend. Ziemlich tollkühn von Hadan vorauszusetzen, daß Ifrah zwei Menschen mitteleportieren kann ...

Ich frage mich, ob die Paladine des Westens in ein vereintes Heer eingebunden werden können. Vermutlich nicht, wenn nicht ihre englischen Auftraggeber sie dazu anweisen.
 
hoi :)

*malnachwortensuch* ... aeh.. grossartig!! :) so schoen beschrieben menrads ertraeumte armee, kann ich mir so gut vorstellen :) ob wohl wirklich dann eine "geeinte armee der voelker" sich gegen das uebel stellt? oder muessen unsere gefaehrten wieder mal alles alleine hinkriegen o_O .. bin soooo gespannt wies weitergeht...

mach weita so :kiss:

tigerle

p.s. maxt nich mal die armee mit den katzis den gefahrten und den baba und den wuestenkriegern und allen miteinander zeichen? :)
 
Hallo Reeba,

ich melde mich auch mal wieder, nach dem ich es geschafft habe, alles mit lesen nachzuholen. :read:

Ich bin wie immer beeindruckt, wie Du es schaffst, die Landschaften und die Empfindungen der Charaktere so klar darzustellen :eek: Es kommt mir echt vor, als wär man ein Teil der Geschichte. Die Angst und die Zerissenheit aller beteiligten ist fast greifbar.

Ich freu mich schon auf den neuen Teil und bin gespannt, was Du Dir wieder alles ausgedacht hast. Wie schon die anderen bemerkten: man kann sich bei Dir nie sicher sein, was kommen wird, denn Du bringst immer wieder spannende und herausfordernde Wendungen hinein. Mach weiter so :kiss:

Liska
 
Wunderbar, die Spannung steigert sich merklich. Ich bin auch schon sehr gespannt, wer letztlich in die große Schlacht zieht. *mitfieber*
Hauptsache, du bringst nicht wieder mitten in dem Gemetzel so einen gemeinen Cliffhänger wie mit Eya in Kurast :motz: ;)

@ Segan: Seit der neuen Rechtschreibe gibt es eigentlich keine überflüssigen Satzzeichen, außer doppelte Kommata oder Punkt und Fragezeichen zusammen :D

@ hiddentigerle: Das Bild würd ich ja auch gern sehen, aber wenn ich an Reebas Deteiltreue denke, dann müsste sie mindestens 150 Jahre an diesem Werk zeichen... *seufz*


Weiter so, meine Liebe! :kiss: Insidias
 
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