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[Story] Saqqara

hehe allllllllllles gute zum burzltag insidias :) nur :keks: statt torte :)

auch ein zeilling.. fein fein.. ich hatte am 2. ;)

glg tigerle
 
hiddentigerle biddu tügü? :P

bin btw in kapitel XX. Die Welt zu euren Füßen angekommen und wenn das so gut bleibt dann holla. :>
 
ich habe es nun auch geschaft.

ich habe mir endlich die zeit genommen die letzten zwei ups am stück zu lesen.

ich bin, wie glaube ich bei deinen lesern üblich, hin und weg. diese beschreibungen sind einfach tierisch gut.

ich freue mich schon wieder auf die fortsetzung und hoffe, dann nicht so lange mit dem lesen warten zu müssen.

Gruß, Helldog
 
Zum Wochenbeginn ein neues Kapitel.
@Liska: Schön, mal wieder etwas von dir zu hören :)
Auch an alle anderen wie immer vielen Dank für die Kommentare.




******



XLV. Rückkehr





Urel erwachte von beunruhigenden Geräuschen.
Im Schlaf war er halb an der Kammerwand hinabgesunken, schließlich doch übermannt von körperlicher und, auch wenn sein Stolz es nicht zugeben wollte, geistiger Erschöpfung.
Jetzt richtete er sich auf und lauschte. Sein Bewusstsein klärte sich rasch, und ohne nachzudenken hatte er mit der Rechten bereits den Zweihänder ergriffen. Der junge Barbar blinzelte.
Graublaues Licht ringsum, darin die Spur eines helleren, orangefarbenen Tons. Morgenlicht. Die Sonne war noch nicht aufgegangen oder schob sich vielleicht erst zögernd über den Ostrand der Wüste. Im Grab war es kühl.
Kühl, aber nicht länger still.
Füße hasteten auf dicken Ballen durch den Gang vor der Kammer. Weniger das kaum vernehmbare Tappen als der feine, aber unverwechselbare Klang sich eilig in großer Enge aneinander vorbeischiebender Körper war es, der seinen Schlaf jäh beendet hatte.
In der Mitte der Kammer kauerte Eya auf allen Vieren, ganz horchende Anspannung. Auch sie zwinkerte sich noch Schlaf aus den schwarzen Augen, dann huschten sie zu ihm. Hinter ihr erhob sich Hadan. Der Nekromant mühte sich nicht, geräuschlos zu sein, und sein Aufstehen weckte den Rest ihrer Gruppe.
Eben öffnete einer von ihnen den Mund, um etwas zu sagen, eine Vermutung auszusprechen, da drang ein Geräusch durch das Grab, durch Gänge und Wände, und vertrieb den letzten Rest Stille. Den Menschen gefror das Blut in den Adern.
Es war ein Schrei, ein langgezogenes, immer lauter werdendes Grollen, untermischt mit einer Stimme wie der eines kleinen Kindes, doch wilder. Ein Signal, halb ein Brüllen, halb ein Klageruf. Der Schrei einer Säbelkatze.
„Was...“ Bostac war aufgesprungen und starrte erbleichend zur Tür.
Bevor Urel das Wort, das ihm in den Sinn kam, ausstoßen konnte, erschien Merenechsa. Sie trug keinen Helm, doch sie erkannten das Geschöpf an der Farbe seines Fells. Das katzenartige Gesicht indes hatte sich verändert. Die Augen glommen im schwachen Licht ungetrübt wie feuergefüllte Kristallkugeln, die Ohren drückten sich platt an den Schädel, von dem die langen Haarfäden an Maul und Brauen weit nach allen Seiten fortstanden.
Der Anblick nahm Urel das Wort aus dem Mund, dann, mit einer Stimme, die kaum noch Menschenähnliches hatte, tat es auch die Hohepriesterin: „Angriff!“
Die Kammer explodierte zu auffahrenden Leibern.
„Hoch, Menschen! Hoch!“ Merenechsa trat zurück, um sie in den Gang zu lassen.
Sie passten nicht alle hinein, blieben halb in der Kammer stecken, denn dicht an dicht zog ein Strom von Säbelkatzen an der Tür vorbei. Sie streiften die Menschen ohne Worte, ohne mehr als rasche Blicke – ein Kriegerzug. Oder flohen sie? Alles Leben schien in die vorderen Gemächer des Grabes zu fließen, und wieder, dass die Gefährten erneut erstarrten, hallte der Schrei einer Säbelkatze durch die unterirdische Steinwelt.
Ein Angriff. Bereits auf dem Gang, nahm Urel seinen Beutel entgegen, den Hadan, der noch geduckt in der Tür stand, ihm reichte. Der Nordmannhelm drückte sich fest durch den Stoff. Er atmete die klamme Luft ein und verfluchte die Enge, in der er seinen Schild nicht an den verkrüppelten Arm schnallen konnte.
„Rasch!“ Merenechsa winkte, bahnte sich dann, ihre Artgenossen mit Läufen und gezischten Befehlen zur Seite treibend, den Weg durch das Gedränge.
Sie folgten ihr. Menschen mischten sich mit gerüsteten Säbelkatzen. Die Enge benahm den Atem. Überall Körper, Urel bis knapp zur Schulter reichende Helmreiter, Speere, die aus dem Getümmel ragten. Fell streifte seinen nackten Ellenbogen. Die Luft war dick mit scharfem Tierschweiß und gehetzter Anspannung.
Sie gelangten in den nächsten großen Raum. Fackeln beleuchteten das aufgewühlte Grab. Die Wände standen stumm, und stumm sahen auch die steinernen Fresken ihrer Ahnen auf die an ihnen vorbeilaufenden Säbelkatzen herunter. Es wurden immer mehr. Sie quollen aus anderen Gängen, aus Nischen, ein sich formierendes Heer.
Urel entdeckte indes auch kleinere Leiber unter der Menge, abgeschirmt von seinem Blick, als seien sie etwas, das er nicht sehen dürfe. Jungtiere. Größere nahmen sie mit fort.
Sie fliehen tatsächlich. Die Hüter der Gräber räumen ihre Heimstatt.
Die Katzen verließen den hinteren Teil des Grabes, jenen, der zur offenen Wüste, nach Osten, hinausführte – wo das Tal lag, dann die Felsen, dann das zweite Tal hinter der weißlichen Ebene. Das Dämonentor.
Die Fäuste an den Waffen, stolperten die Gefährten in den Raum und sammelten sich um Merenechsa.
„Die Attacke erfolgte gegen den hinteren Felseneingang?“ Urel fasste die Hohepriesterin ins Auge, die eben ihren Helm, den sie unter einem Vorderlauf getragen hatte, aufsetzte. Vielsagend prägte sich der Anblick dem Barbaren ein: Die runden, kurzen Zehen, die sich auf das schimmernde Metall drückten, es zurechtsetzten, mit großer Geschicklichkeit den Kinngurt festzogen; die unter dem Helm plötzlich anders erscheinenden, fremden Züge, das schnelle Blinzeln, als Merenechsa den weißen Haarschweif des Helmreiters mit einer eckigen Kopfbewegung zurückwarf.
„Ja“, beantwortete sie seine Frage. „Wir fliehen.“ Die Säbelkatze wies in die Richtung des vor dem Grab liegenden Magiertals. „Hinten halten Wenige den Eingang. Rasch jetzt.“
Urel hob sein Schwert. „Wir können helfen. Wir bereiten ihnen einen Empfang, den sie so schnell nicht vergessen werden.“ Wut brachte sein Inneres zum Glühen, und befriedigt, endlich, spürte er die Kampfeslust.
Merenechsa sah von unten an dem Barbaren empor. „Nein, Mensch. Ihr müsst gehen.“ Ihre Stimme wurde von den Geräuschen der vorbeihastenden Säbelkatzen halb überdeckt.
Der Aufruhr schreckte Urel nicht, und er sog die Anspannung fast genüsslich ein, bereit, sich allem entgegenzustellen, was das Leben ringsum bedrohen mochte. Doch bevor er widersprechen konnte, meldete sich Hadan zu Wort, der nahebei stand und seinen Harnisch festzurrte.
„Vielleicht sollten wir tun, was sie sagt, Urel“, meinte der Nekromant leise. „Wir kennen uns hier nicht aus. Vor dem Grab können wir uns immer noch nützlich machen, denn eins scheint mir sicher.“ Der große Mann senkte den Kopf, als, wie um seine Worte zu bestätigen, ein erneuter Schrei aus dem sich langsam leerenden Ostteil des Grabes durch die Gänge zu ihnen hallte. „Die Dämonen werden das Grab ausräuchern.“
„Er hat Recht“, bellte Herlac. „Hier können wir schlechter kämpfen als draußen!“
Kurz machte aufwallender Widerwille Urel beinahe bewegungsunfähig. Grimmig sah er nach hinten, auf den gelbbraunen Strom der tierhaften Krieger. Einige wenige liefen in die entgegengesetzte Richtung zur Menge, die Speere und Säbel blank, weit über die Köpfe erhoben. Aber die Gefährten irrten womöglich wirklich nicht – in der Enge des Labyrinths, das wie geschaffen dazu war, Ortsfremde zu verwirren und das ihre Gruppe im Kampf leicht zersplittern würde, war der Gebrauch ihrer Schwerter schwieriger, und Merenechsa schien nicht zu erwarten, dass das Grab gehalten werden konnte. Die Säbelkatzen, die noch in seinen Ostteil eilten, mochten nur noch eine letzte Abwehr sein, die die Flucht der anderen unterstützen sollte.
„Gut.“ Er straffte sich. Ein gebieterisches Nicken raffte die Gefährten zusammen.
Dicht an dicht folgten sie Merenechsa, die vorausrannte, liefen geduckt, wichen Pfeilern und Säbelkatzengruppen aus.
Die steinernen Gesichter an den Wänden, selbst die Tierdarstellungen, schienen finster zu lächeln. Es war nicht der erste Kampf, nicht die erste Flucht und Aufgabe dieses Ortes, die sie bezeugten.
Als die Gruppe in einen weiteren, großen Raum gelangte, ließ ein Rumpeln, ein gutes Stück hinter ihnen aus der Richtung, aus der sie soeben gekommen waren, sie herumfahren.
Stein auf Stein. Grollende Kommandos, die Ahnen wussten woher, Merenechsas Blickwechsel mit anderen Säbelkatzen, und dann, wie aus der Tiefe der Welt, ein dumpfes Brausen, als blase ein Gott Feueratem gegen Fels. Wieder rumpelte es.
Im kurzen Innehalten fragte Ifrah atemlos: „Was war das?“
Merenechsa antwortete nicht, war schon wieder Schritte voraus, winkte ihnen.
Hadan überholte die Magierin und Urel. „Sie verschließen die Grabkammern. Es gibt hier überall Türsteine.“ In diesem Augenblick schwemmte ein Zug von Katzen an ihnen vorbei, verhaltend, ebenfalls sich umwendend, und der Eingang, der sie alle in den Raum gelassen hatte, verschwand. Ein glatter, trapezförmiger Stein fiel herab. Mit einem Aufprall, der den Boden erzittern ließ, verschloss er die Öffnung nahtlos.
Doch sie hatten es gesehen, auf der anderen Seite: Ein letztes Aufleuchten von Gelb, ein letztes Aufblitzen gezogener Säbel.
„Sie verschließen die Räume von innen.“ Der Nekromant wandte sich ab, das Gesicht eine bleiche Maske des Abscheus und des Zorns.
Sie opfern sich. Urel begriff und holte tief Luft. Unter erneutem Poltern, in das sich fernes, dünnes, entsetzlich anzuhörendes Geschrei mischte, setzte er sich an Merenechsas Seite und wagte kaum, den großen Augen des Geschöpfes hier, auf dieser Seite der Türen, zu begegnen. Sie verfolgten einen Plan, eine Strategie zur Abwehr, hoffend, die Steintüren und die Krieger, die sich freiwillig in den Kammern hatten einsperren lassen, würden die Angreifer in einen Kampf verwickeln – wertvolle Zeit, die sie ihren Artgenossen damit verschafften.
Der verzweifelte Mut der Säbelkatzen fachte den Grimm des jungen Barbaren an, und der Gruppe halb blind folgend, hoffte er inbrünstig, es der schwarzen Pest hinter ihnen heimzahlen, sich ihr im Tal der Magier entgegenwerfen zu können. Ich bin nicht so weit durch die Finsternis gewandert, um wegzulaufen.
Gemeinsam mit ganzen Horden ihrer Gastgeber kamen die Menschen in der weiträumigen Eingangshalle des Grabes aus. Sie atmeten rasch. Urel blinzelte in das schier blendende Licht. Der Türstein war aufgestemmt worden, eine darunter geklemmte Säule hielt ihn weit offen, und dahinter, durch Dutzende Säbelkatzen zu sehen, lag das Magiertal.
„Hinaus!“ gellte Merenechsa.
Sie sprangen durch die Öffnung ins Licht.
Gleißende Helligkeit und plötzliche Wärme empfing sie.
Die Sonne stieg gewaltig über der Wüste auf und schleuderte ihre Strahlen in das nur zu bekannte Tal mit den hohen Grabeingängen. An diesem Morgen spülte eine Welle von Leben in seine hügelumrahmte Weite, und seine stille Abgeschiedenheit zerbarst.
Urel tat mehrere Dutzend wuchtiger Schritte, weitergerissen vom Strom der Säbelkatzen, der sich teilte, sich in Gruppen zusammenballte. Dann blieb er stehen und wandte sich um. Die Gefährten waren nah bei ihm, hoben ihre Waffen. Keuchend starrten sie auf den Felsenwall über den Gräbern.
Letzte Säbelkatzen hasteten ins Licht, kamen von überall her. Einzelne, Späher gewiss, sprangen von den haushohen Felsen ins Tal. Doch es blieb keine Zeit, um die ungeheure Geschmeidigkeit, mit der sie aus einem Fall landeten, der einen Menschen zerschmettert hätte, zu bewundern.
Kurz war nichts zu sehen bis auf den gähnenden Eingang des Grabes.
Aus dem Augenwinkel sah Urel eine Gruppe der Geschöpfe, seitlich hinter dem Standort der Gefährten, und sie flohen, unbewaffnet, Kleinere mit sich fortziehend. Alles andere, ob Mensch oder Tier, stoppte im Lauf, fuhr ebenfalls herum, wirbelte den Sand auf.
Merenechsa gab einer der Katzen, die noch am dichtesten beim Grabeingang war, ein Zeichen.
Das Geschöpf, nur ein gelber Schatten, machte einen Satz zum Türstein hin. Allein, beinahe die einzige Regung in der halben Reglosigkeit der bis hierher Entkommenen, warf es sich gegen den Steinrahmen.
Die Dunkelheit des Grabeingangs wurde ausgelöscht.
Aus seinem Innern, unvermutet wie eine aufflackernde Flamme, brach eine Feuersäule, waagerecht, Atemstoß eines Drachen. Brüllendes, knisterndes Lodern schluckte den Aufschrei des Entsetzens ringsum, in den auch Urel einstimmte, ohne es verhindern zu können.
Was er sah, war furchtbar. In Windeseile, rascher als Reisig in offener Glut, verbrannte die Säbelkatze. Innerhalb eines Lidschlags fraß der Flammenstoß ihr Leben, ihre letzte Bewegung. Schwarz geworden, von der Wucht des Feuers noch einen, zwei Schritte fortgetrieben, fiel sie und zerbarst, brüchige Knochen, verkohltes Fleisch, das zu Asche zerstob.
Neben Urel stöhnte jemand auf. Er sah nicht, wer es war. Er sah nur Merenechsa, die schräg vor ihm stand, und die Hohepriesterin bot ein Bild des Grauens und des Jammers: Ihre Hinterläufe waren in einem erstarrten Schritt weit gespreizt, Wind fegte ihren Helmschweif beiseite. Vor ihr, über die geflohene Distanz hinweg, war nur sandiger Boden, dann die Leiche ihres Artgenossen, der dunkle Eingang, die verzierte Front des Grabes, der Hügel darüber und über dem Hügel der Kamm und der Himmel.
Die Feuersäule war verebbt.
Urel hob langsam den Blick. Unwirkliche Stille.
Dann, gemächlich in seiner Ausdehnung und dennoch viel zu rasch und grauenerregend körperlos, tauchte er endlich auf. Wie Rauchwolken aus einem Brandherd wölbte sich der schwarze Nebel über den Rand des Magiertals und filterte noch einmal die schrägen Strahlen der Sonne, bevor er sie schluckte. Mit ihm wuchs der Hügelschatten und erreichte die am weitesten vorn Stehenden der reglos verharrenden Menge.
Der Anblick betäubte, riss dann jede Betäubung fort.
Gleichzeitig mit der Bewegung, mit der sich die Gefährten um Urel vorbereiteten, gleichzeitig mit dem Kriegsschrei aus seinen Lungen, schrie auch Merenechsa. Es klang dünn, hinfällig, doch der Befehl rüttelte die Säbelkatzen wach.
Die Dunkelheit aber, die keine war, die nur den Hügel mit einer schwarzen Borte versah, zeigte keine Reaktion. Wie bereits das verfluchte Dämonentor, aus dem sie kommen musste, zog sie den Blick an, und bestürzt starrte der Barbar genauer hin.
Scheinbar beliebig begann der Nebel zu gerinnen, Formen gewaltiger Leiber vorgaukelnd, vorrückend, lautlos, ohne ein Stocken. Seine ersten Finger und Fetzen tasteten sich bereits die steilen Hänge hinab, und wenn es Augen oder ein anderes, sehendes Gespür in dieser Erscheinung gab, so blickten sie mit tödlicher Ruhe auf die Menge im Tal.
Bei allen Weisen der Welt. Urel packte den Schwertgriff fester, bis es knirschte. Wie sollen wir sie aufhalten? Hier und da war Festes im Nebel, gewiss, und es mochte verwundbar sein, einem gut gezielten Schlag nicht ausweichen können, doch es verfuhr mit der Atmosphäre wie mit einem ihm vollkommen unterworfenen Ding, tauchte auf, wo es wollte.
Sich daran zu halten, dass es womöglich um seine Gestaltwerdung ringen musste, gegen diese letzte Schwierigkeit der ihm fremden Welt kämpfend, bot keine Hoffnung. Denn sie, die Bewohner Sanktuarios, besaßen keine solchen Fähigkeiten – nicht einmal eine Magierin wie Ifrah, die Urel unlängst verdeutlicht hatte, wozu sie in der Lage war.
Aber sie... Nicht Tor noch Mauer wird sie stoppen, es sei denn, sie wollten unsere Städte zerstören. Nicht einmal ein gegnerisches Heer wird ihnen den Weg versperren können, wenn sie es einfach umgehen.
Wie sollen wir sie aufhalten?

„Bostac, Herlac!“ brüllte er durch die letzten Augenblicke des Wartens, ohne die Männer anzusehen. Sie traten an seine Seite, aber selbst ihre vertraute, starke Gegenwart war durchdrungen von einer Angst jenseits aller bisherigen Schreckenserfahrungen.
Der Feind sandte, wie er hier erschien, eine Botschaft voraus. Sie hatten es lange vermutet, und seit der Begegnung mit dem Riss in ihrer Welt wussten sie es sicher.
Ihnen trat kein Erkundungstrupp entgegen. Nicht einmal die scheinbar wahllosen Attacken gegen alle Lebewesen, die das Pech gehabt hatten, diesem Teil der Wüste zu nahe zu kommen, konnten darüber täuschen: Ein Heer würde diesem schwarzen Nebel folgen. Eine ganze Welt würde folgen.
Diese Schwärze und jene, die in ihr voranreisten, waren nur eine Vorhut.
Die Täler jenseits der Gräber quollen vielleicht schon über.
Eure Welt wird brennen, Barbar.
Urel fühlte sich erbleichen.
Sanktuario. Lut Gholein, die Wüstenstadt, ihre Verpflichtung. Das Barbarenheer, das seiner Bestimmung harrte.
In diesem Augenblick, da das Blut aus seinem Herzen wich, stürzte die Schwärze ins Tal.
Sie hatte sich mit einer gewissen Zähigkeit über den Hügelkamm geschoben, eine große Welle, die sich auftürmte und jetzt unvermutet rasch vornüber kippte und brach, um sich auszubreiten. Neben Urel klang ein Murmeln in Jabrah auf, und eine Macht, finster, aber beinahe erleichternd vertraut, hob sich durch Fleisch und Seele empor.
Viel Zeit blieb ihnen nicht mehr. Die Säbelkatzen waren zu einer Abwehrlinie zusammengetreten, warteten in einer mehrfachen, wehrhaften Reihe, und doch wirkte sie zart und hell gegen die nahende Schwärze. Ein Blick zeigte Urel Hunderte weit geöffneter Augen. Die Begegnung mit dem Feind würde sie schließen.
Wir machen einen Fehler.
Die Wüste muss gewarnt werden. Die ganze Welt muss erfahren, was bald vor ihren Toren stehen wird.

Als habe sie seine Gedanken erraten, war Merenechsa plötzlich an seiner Seite. Urel begriff: Sie und ihre Artgenossen, die heimlichen Wächter, wussten, dass sie fallen würden – sie konnten sich nur noch nicht vollends dazu überwinden, ihre Heimstatt aufzugeben.
Er empfand Mitleid. Hastig sprach er sie an.
„Ich ahne, was ihr opfert.“ Er schluckte den nach Eisen schmeckenden Speichel hinunter, den Vorboten ungezügelter Wut. Der Berserker war nicht mehr fern, und er mochte fallen – die Säbelkatzen durften es nicht, und seine Gefährten ebenso wenig alle. Er musste sich beeilen. „Aber wenn es noch Rat geben kann“, fuhr er fort, die heranbrandende Schwärze im Augenwinkel, „dann denke an das, was du uns gesagt hast, Merenechsa. Die Warnung. Wir müssen eins werden.“
„Ich denke daran.“ Waren es Tränen, die die Augen der Säbelkatze feucht machten, oder nur die Hitze, die ihnen entgegenschlug? „Es ist schwer. Es ist unsere Heimat.“
„Ich weiß.“ Urel nickte grimmig. Sie sprachen laut genug, dass auch die Gefährten sie hören konnten.
Ein Ruck durch die gelbliche Gestalt neben ihm zeigte dem jungen Barbaren, dass Merenechsa eine Entscheidung getroffen hatte. Sie wandte sich um.
Gellendes Gebrüll, machtvoll für ein so kleines Geschöpf, verließ die Hohepriesterin. Durch die Reihen der Katzen flog eine einzige Bewegung sich straffender Leiber. Ferner flohen letzte Versprengte aus anderen Gräbern, teils beladen mit Bündeln, und zwischen ihnen sprengten andere Tiere ins Licht, vier, fünf.
Kamele. Nutztiere. In wilder Panik stoben sie davon, einige ins Tal hinein, andere mitten unter die zurückweichenden Reihen der Verteidiger.
„Ihr müsst fliehen!“ Merenechsas Stimme war schrill.
Sie stand mit gezogenem Schamschir und winkte die Menschen fort.
Doch bevor die Gefährten sich verständigen konnten, erreichte der Gegner, als habe die beginnende Flucht ihn angelockt, die Menge im Tal.
Schneller als ein Schlag brach das Chaos über sie herein.
Ihr werdet verstehen, was es ist.
Urel erinnerte sich an Merenechsas Worte, auch an die Ifrahs, die dem neuen Bösen einen alten Namen gegeben hatte, und jetzt sah er es. Lange lag ein ähnlicher Anblick zurück, doch vielleicht auch nicht, hatten sie doch seine Träume bevölkert und sich beim ersten Angriff, fast genau an derselben Stelle wie jetzt, kurz und vage gezeigt.
Sie ballten sich aus dem schwarzen Nebel wie eine Krankheit aus schwachen und anfangs unsicheren Anzeichen: Weit mehr als mannsgroße Formen, in dunklem Rauch verwischte Körper, Hörner, die daraus emporragten. Urel hörte das Knistern und Fauchen immenser, sich bereitmachender Hitze das Geschrei der Verbündeten überspülen. Unwillkürlich hob er den Arm mit der Pavese, die Herlac ihm behelfsmäßig in der Eile dort angebracht hatte.
Marej.
Ich darf jetzt nicht an sie denken.

In der nahenden Dunkelheit war das fahle Leuchten, das von Hadan ausging, ein Fanal des Untergangs. Kleinere Lichtflecken zauderten um eine blassgoldene Gestalt – Ifrah, die ihre Elementarkraft über Stab und Rüstung tanzen ließ. Die Klingen der Barbaren schimmerten silbern.
Und doch – wir müssen fliehen.
Fliehen. Er spuckte das Wort aus. Er musste sich beeilen. Der Berserker hatte nur geschlafen, jetzt erwachte er.
Mit einem Ruf entließ Hadan neben ihm einen ersten Fluch.
Aus der Dunkelheit raste ein großer Leib, schnaubend, kopflos vor Angst. Ein Kamel.
Lut Gholein. Um Urel wichen seine Gefährten langsam zurück, und bei aller Wut, die sein Bewusstsein zu schlucken drohte, sah er plötzlich klarer, vielleicht ein letztes Mal. Die Wüste war entsetzlich groß, zu Fuß benötigten sie drei Tage, drei Tage auf festem Grund, der für die kommende Feindesflut vielleicht kein Hindernis war.
Mitten im Durcheinander sich zur Flucht wendender Säbelkatzen wirbelte der junge Barbar herum.
Menrad stand am nächsten. „Haltet das Kamel auf!“ brüllte Urel dem Lichtkrieger zu. Den Kampfhammer schlagbereit in der Rechten, stutzte dieser. Dann warf er sich, ohne nachzudenken, dem Tier, das durch ihre Mitte trabte, in den Weg. Urel sah ihn einen Strick packen, der von dem panisch hochzuckenden Kopf baumelte. Er hatte rasch reagiert, doch jetzt starrte er verwirrt, das schmale Gesicht straff und leicht verzerrt im Versuch, das aufgehaltene Tier zu bändigen.
„Flieht!“ gellte es zwischen den Männern. „Bei allem, was uns verbindet, flieht!“
„Rauf!“ wies Urel den Lichtkrieger an, griff dann Suhaym, der links von ihnen stand und entgeistert in den schwarzen Nebel sah, am Ärmel seines Gewandes. Der Zugriff ließ den starken Mann taumeln. Um sie war nur noch Entsetzen.
„Söldner!“ knurrte der Barbar dem Anderen zu. „Zurück nach Lut Gholein – du und der Paladin!“
Der Nomadensohn blinzelte begriffsstutzig.
„Rasch jetzt“, Urel stieß ihn grob in Menrads Richtung. „Du hast beklagt, dass dir das Warten nicht gefällt, gut, du kannst es jetzt beenden! Wenn du die Stadt erreichst, wird sie es dir schon vergelten.“ Aber immer noch, sei es aus Betäubung, sei es aus plötzlich aufwallendem Stolz heraus, nahm der Mann die Beine nicht unter den Arm. „Geh!“ brüllte Urel mit aller Kraft, und seine Stimme kippte über. „Geh! Verdammter Narr, tu doch, was ich dir sage!“
Zur Bekräftigung hieb er mit dem Schwert in Richtung des Söldners.
Suhaym fuhr zurück.
Dann schien er sich zu besinnen, hastete zu Menrad und riss ihm den Strick aus der Hand. Kurz verharrten die Männer noch, der Paladin sichtlich unwillig.
Für deine Tapferkeit sei bedankt. Urel nickte ihm zu.
Er sah sie nicht mehr fliehen, denn dicht bei ihm wölbte sich die Luft unter einem weiteren Fluch, und ein entsetzliches Splittern von Knochen zerriss den Kampfgesang, der die Zurückweichenden begleitete. Hadan hatte beide Arme erhoben, aber ohne sein Gesicht sehen zu können, fühlte Urel die Anstrengung des Nekromanten.
Es mochte sein, dass das Glück der Gefährten sich hier endgültig aufgebraucht hatte und die aus dem Nichts immer deutlicher werdenden Dämonen das Letzte waren, das sie erblickten, aber all dies zählte kaum noch mehr als das stockende Blut in Urels Arm unter den Schnüren der zu fest angebrachten Pavese, und die Angst, die ihm das Herz und den Blick des Berserkers in die Augen trieb.
Er hatte ein Heer nach Lut Gholein gebracht, durch die gesamte Nordhälfte dieses Kontinents, und wenigstens das durfte nicht vergebens gewesen sein.





Mit mehr Glück als Verstand entkamen sie aus dem Kessel des Tals.
Menrad wusste nicht, wie, aber von irgendwoher hatte Suhaym plötzlich ein zweites Kamel, vielleicht eingefangen im Durcheinander der sich leerenden und ihr Leben in die Wüste verteilenden Gräber, und die Männer brachten die Tiere durch die Steinernen Flammen, zurück in die Verlorene Stadt und die offenen Lande jenseits des Magiertals, in dem zu dieser Stunde die erste Schlacht tobte.
Sie schauten nicht zurück.
Der Paladin erinnerte sich an die herrischen Gesten Urels, der ihn fortgeschickt hatte. Ihn allein, und warum auch nicht. Er war so gut wie jeder Andere, es war ganz einerlei.
Einer von ihnen musste entkommen, und die alten Gefährten blieben zurück, besser aufeinander eingespielt als jede Kriegertruppe der Welt.
Vielleicht siehst du keinen von ihnen jemals wieder.
Die engen Umklammerungen des Steins rissen Fleischfetzen aus den Flanken der Reittiere, und ohne den Schrecken, der ihnen hinterher jagte, hätten sie die Kamele wohl kaum durch die schmalen Wege aus dem Tal heraus gebracht.
Stolpernd, dem schiebenden Leib des Tiers und seinen auskeilenden Hinterfüßen ausweichend, trieb er es vor sich her, und der keuchende Atem des Söldners war immer dichtauf. Sie erreichten das Ende der Steinernen Flammen.
Hier erst fiel Menrad auf, dass er bis auf seine Waffen alles zurückgelassen hatte – seinen Burnus, den Reisesack, den Wasserschlauch. An seinem Gürtel baumelte nur noch eine kleine Lederflasche.
Er stand noch benommen, das Seil, an dem das Kamel zerrte, in der Hand, als Suhaym sich zu ihm umwandte. Bis zu diesem Morgen hatte der Dunkelhäutige keine Angst gezeigt, doch jetzt war sein Gesicht eine zerfallende Maske, und seine Stimme, als er Menrad anrief, gehetzt: „Worauf wartest du, Paladin? Rasch, steig auf! Wir müssen uns eilen!“
„Ich weiß nicht, wie man ein Kamel reitet“, gab Menrad tonlos zurück. In seinem Kopf donnerte der Nachhall der begonnenen, für sie nun fast schon unerreichbaren Schlacht, und er vermochte sich nicht aus der Betäubung zu lösen.
Fluchend hastete der Söldner zu ihm, das eigene Reittier hinter sich herziehend.
„Djah, djah!“ Unter den fremdartigen Lauten ließ sich Menrads Kamel kollernd auf die Vorder-, dann auch auf die Hinterläufe nieder, schwitzend vor Angst, doch eben noch folgsam.
„Steig auf, Mann!“ Suhaym wies auf den geteilten Rücken des Tiers.
Menrad konnte nichts tun, als der Anweisung zu folgen. Es war kein Sattel da, auch kein richtiges Zaumzeug, und er fiel fast herunter, als sich das Kamel ruckartig erhob. Eilig zurrte er den Hammerstiel fester an seinen Gürtel, presste beide Schenkel um den gewölbten Leib und langte nach dem Strick, dem einzigen, das ihn mit dem langen Schädel des Tiers verband.
Einmal noch schaute er zu den Steinernen Flammen zurück, und ihm war, als lasse er eng Vertraute im Stich.
Einzig ein weiteres Wort Suhayms, mit dem sich die Reittiere in Bewegung setzten, bewirkte, dass er seinen Geist von ihnen trennte. Hilflos blinzelte er nach vorn, hoch auf seinem im stoßenden Passschritt dieser Tiere schwankenden Sitz, sich festklammernd – um nicht herunterzustürzen, um nicht in meiner Aufgabe zu versagen.
Noch war es ein Leichtes, abzuspringen und zurückzueilen. Für eine Weile hing sein ganzes Wesen an diesem einen Impuls.
Die rasch steigende Sonne senkte erbarmungslose Hitze auf das offene Land, in das sie nun kamen. Wie im Traum sah Menrad die ausgehöhlten Mauern und leeren Plätze der Verlorenen Stadt vorbeiziehen, und kein Lebewesen war da, um ihre Flucht zu bezeugen, so als hätte alles Lebendige diesen Teil der Wüste, der schwer an alten und neuen Schrecken trug, längst verlassen.
Sie gelangten zur Fernen Oase. Auch ihre Palmen und seichten Wasserlöcher flogen vorbei, und sie hatten nicht einmal einen Schlauch mit, den sie hier hätten füllen können. Als Menrad sich ein letztes Mal umwandte, die Hände in das dicke Fell des Höckers vor ihm gekrampft, waren die Steinernen Flammen nur noch eine undeutliche, rötliche Linie.
Er wollte all das nicht – weder die notwendige Flucht noch das plötzliche, harsche Erwachen in Hitze und Staub nach der langen Dämmerung der Gräber, noch diesen schwankenden Sitz, auf dem er hing wie ein Kranker.
Das Sandmeer schluckte sie.
Dünen wechselten sich eintönig ab. Flirrende Hitze zerfaserte den nahen, dunklen Schrecken. Menrad senkte stöhnend den Kopf, aber die Sonne brannte selbst durch seine fast geschlossenen Lider.
Alles schien unwirklich, grell, ausgebleicht.
Sie ritten den ganzen Tag in fliegender Hast.
Vor ihnen, lange noch unsichtbar, wartete Lut Gholein, und seine weißen Mauern und engen Gassen ahnten nichts von der Kunde, die sie brachten – den Menschen, den vor den Toren lagernden Gruppen, der goldenen Kuppel des Fürstenpalastes.
Einmal nur hielten die Flüchtigen an, um in die Weite zu horchen. Wer konnte schon sagen, ob die neue Bedrohung sie nicht mit mächtigerem Geist und geheimem Wissen begleitete? Wer konnte schon wissen, ob das strahlende Blau des Himmels sie noch so sicher überwölbte wie zu früheren Zeiten, und nicht längst Hort feindlicher Augen geworden war?
Es wäre an der Zeit gewesen, zu beten, aber Menrad fand keine Worte für ein Gebet in seinem Innern.
Taub saß er auf dem Kamel, ließ sich hochreißen, wenn es nach einem Halt aufstand, ließ sich durchrütteln. Er heftete die Augen verbissen auf Suhaym, der nur noch ein Gemenge roter Gewänder war, vor ihm zwischen Sonnenglast und Sandglühen dahinreitend, stumm, ohne einen Blick zurück.
Der Tag verrann, und er wusste es kaum.
Erschöpft machten sie Halt in einer Bucht aus Felsen, die einsam in einer endlosen Ebene lagen, heimlich und doch ausgesetzt. Nun, da sie wieder in freier Wüste waren, schien der Söldner ein wenig beruhigt, aber Menrad teilte nicht einmal diese vorsichtige Erleichterung.
Der Abend nahte. Die Anderen mochten längst tot sein.
Während Suhaym die erste Wache übernahm, kauerte sich der Paladin unter einen Felsen. Sie entzündeten kein Feuer. Wenn alles gut ging, würden sie Lut Gholein am folgenden Abend erreichen.
Die Kamele indes waren nervös, als jage sie ein gestaltloser Schatten. Sie hatten sie behelfsmäßig anbinden müssen, und lange lauschte Menrad auf das leise Scharren ihrer breiten Füße, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, brennenden Durst in der Kehle, die Hand am Kampfhammer.
Merkwürdig träumte ihm in dieser Nacht von seiner letzten Weihe.
Nach Jahren des immer größeren Getrenntseins von den Gebetshäusern seiner Heimat kniete er wieder in ihrer hallenden Kühle und atmete ergeben den Duft der Weihkräuter und des Kerzenwachses ein. Die Gestalt des Ordenshöheren war weiß und gelb, ein beinahe blendendes Standbild aller Tugenden, denen sich ein Paladin entgegenstreckte, die niederen Triebe und falschen Leitbilder abwerfend, in denen das gemeine Volk sein Dasein fristete. Worte träufelten ein hehres Ziel in die Stille. Eine Hand legte sich schwer auf seinen gebeugten Nacken, die Hand eines Fremden und doch keines Fremden, denn dieser war ein Ordensbruder derselben großen, edlen Gemeinschaft und hier, um ihn aufzunehmen. Der Schmerz, die Steife des langen Wachens vergingen, auch der Hunger verging. Nichts blieb zurück, nur ein Hunger der Seele.
Erhebe dich. Du bist nun Teil einer größeren Welt. Trage ihr Heil in alle Lande, durch deine vom Licht gegebene Kraft und Überzeugung, durch deine Liebe zu allen Menschen, durch deinen Glauben.
Menrad zuckte und erwachte.
Es war noch finster. Am Horizont stahl sich erst zögerlich die Vorahnung des Morgens in den Himmel und nagte zuversichtlich an seiner Schwärze.
Schwankend kam er auf die Beine. Sein Kopf stieß gegen einen Felsenüberhang, und das brachte die Erinnerung zurück. Er hatte geschlafen. Die Gräber. Die Flucht vor der Finsternis der sich wandelnden Welt.
Ja, der Morgen kam. Warum hatte Suhaym ihn nicht zur Wachablösung geweckt?
Ohne klare Orientierung trat er aus dem Nachtschatten der Felsen. Unweit zauderte das Kamel, es hatte sich losgerissen – ein dunklerer Umriss vor dem Himmel und der Borte der Wüstenlandschaft.
Dem Lichtkrieger war es, als hänge der Stille etwas Ungutes an, doch vielleicht war es nur die ungewohnte Umgebung. Er suchte jenseits der Felsen nach der Gestalt des Söldners, die vor seinem geistigen Auge hoch auf einem Stein saß, in ihre fremdartigen Gewänder gewickelt, schweigend, zu vorsichtig, um ihn, den Erwachten, anzurufen.
Es war so geisterhaft ruhig. Flüchtig schien ihm, er stehe am Rande einer ganz anderen Welt, abseits von Wirklichkeit und Dingen und Namen, vollständig verlassen, allein wie nie zuvor in seinem Leben, und auch er wagte keinen Laut.
Kurz darauf fand er Suhaym.
Die verkohlten Überreste des Söldners lagen unweit eines Steinhaufens. Trotz der halben Dunkelheit stachen sie deutlich vom Sand ab.
Der Paladin stand und sah auf sie hinunter. Die Lanze war noch gut zu erkennen.
In der Nähe schob sich das zweite Kamel hinter einer Düne hervor.
Das Grauen überfiel ihn so urplötzlich, dass er weder Nachtkühle noch Fieber noch Nachwirkungen des Schlafs mehr fühlte. Ein Würgen, ein Aufschrei drängte sich aus seiner enger und enger werdenden Brust, und er verhielt starr, zuckend, die Augen sinnlos in die Umgebung gebohrt.
Mitten in der Nacht, viele Meilen jenseits des Magiertals, hatte der Gegner sie gefunden, ganz so, als seien sie nicht entkommen, als reise er auf Geisterschwingen. Warum lebte er, Menrad, noch?
Er fuhr mit offenem Mund herum. Seine Faust ballte sich schmerzhaft um den Hammergriff, und das Kamel stand still, nicht weit entfernt hinter der geschmeidigen, gleichmütigen Linie der Düne.
Nach einer Weile, in der nichts geschah, packte ihn schwarze Angst. Er machte einen Schritt fort von der Leiche zu seinen Füßen. Dann hastete er, ohne wirklich zu fühlen, was er tat, zu seinem Tier zurück. Er musste weg von hier.
Die Stille konnte trügen.
Das Tier blökte und versuchte ihn zu beißen, als er es ungeschickt auf die Knie zwang. Ihm fehlte das Wissen der Wüstenleute, und einige entsetzliche Augenblicke lang zerrte er verbissen, voller Verzweiflung, an dem Strick um den pendelnden Kopf und wich den zuschnappenden Zähnen aus.
Dann schlug er zu. Der Schrei des Kamels jagte ihm einen Schauer über den schweißnassen Rücken, aber er hatte keine Zeit für ein Bedauern. Fahrig kletterte er wieder zwischen die Höcker, verwendete das Seilende als Peitsche, und der große Leib trug ihn in die Höhe.
Es wurde viel zu rasch heller. In welcher Richtung Lut Gholein lag, wusste er kaum, und nach erfolglosem Umschauen trieb er das Kamel aufs Geratewohl an, vorerst nur weg vom Lagerplatz.
Als die Sonne aufging, tat sie es wie ein glutumkränzter Ball weißen Lichts. Ihre Hitze krümmte seine Gestalt zusammen. In seiner Lederflasche schwappten noch zwei, drei Schlucke, mehr nicht. Er hatte bereits jetzt zu wenig Wasser im Leib, fieberte mit aufgesprungenen Lippen.
Stunden später trank er das letzte Wasser. Das Kamel röhrte böse, sicher roch es das Nass, und nur unter Mühen konnte er es zum Weitergehen bewegen und fing sich einen Biss ein, den er nicht einmal spürte.
Bisweilen, wenn es einfach stehen blieb, kämpfte der Paladin bis zur Erschöpfung mit dem widerspenstigen Tier, schrie es an, hieb ihm die Fersen in die Seiten.
Weiter, nur weiter.
Lauf doch, du vermaledeite Kreatur.
Er war der Letzte. Was sollte aus ihnen allen werden, wenn er sich verirrte?
Und es war so leicht, sich in dieser erbarmungslosen Öde zu verirren. Er hatte der Ortskenntnis der Anderen vertraut, doch nun war er auf sich allein gestellt.
Vielleicht, dachte er müde, den Kopf vergeblich gegen die sengende Sonne auf die Brust gesenkt, war es ohnedies zu spät und der Feind längst vor der Stadt.
Das Land begann ihn zu verbrennen.
Mit geschlossenen Augen hing er im Sattel, heiser vom Staub und vom Schreien, murmelte Worte ohne Zusammenhang, sprach die Namen der Anderen vor sich hin, Eya, Ifrah, Hadan, und vielleicht war dies doch etwas wie ein Gebet, denn musste er nicht beten? Er nahm nichts mehr wahr bis auf die Bewegungen des Tiers. Schon seit Stunden wusste er nicht mehr, in welche Richtung er ritt.
Zwischen den Lidern, die er gelegentlich aufzwang, tanzte eine riesige, helle Ebene. Sonnenstrahlen zuckten über Felsen, die seiner Erschöpfung Trugbilder vorgaukelten, qualmende Gebäude, reglos wartende, mächtige Gestalten.
Die Hitze wollte nicht enden, und das Kamel ging längst langsamer, aber er hatte nicht mehr die Kraft, es anzutreiben.
Neben, unter ihm, spross plötzlich Gras aus dem Sand. Nein, es war ja gar kein Sand. Er ritt durch die Marsch, seht nur diese grünen Felder, und sein Pferd schüttelte den Kopf, dass das Mundstück des Halfters klirrte. Es klang beinahe wie kleine Glocken. Cedric war da, er trabte an seine Seite. Cedric.
Sieh an, du bist zurück, Vic. Hat es dir im Osten gut gefallen? Sie verbrennen dort ihre Toten, selbst uns Fremde, damit unsere Asche eins wird mit ihren Flüssen, in die sie sie werfen. Hast du das gewusst?

Aber Cedric verschwand, bevor Menrad antworten konnte, Tränen der Verwirrung und des Schmerzes, in den sich bange Freude mischte, in den Augen.
Nur die kleinen Glocken bimmelten weiter. Sie näherten sich.
Stimmen, Schatten. Jemand zog an seinem Ärmel, und er glitt aus dem Zwischenraum der Höcker, erbost um sich schlagend, wild, mit heiserem Keuchen. Die schwarzen Teufel sollten ihn nicht kampflos bekommen. Hände griffen nach den seinen, man nahm ihm die Waffen ab und zwang ihn in den glühenden Sand.
Riesenhaftes Blau ergoss sich in seine Augen, dann schälte sich aus dem verzweifelten Aufbegehren eine Stimme. Er vermochte nicht zu verstehen, was sie sagte.
Wasser rann ihm über die aufgeplatzten, zusammengekniffenen Lippen. Die Versuchung war zu groß. Er begann zu zittern, als die Kühle durch seinen Leib jagte. Wieder sprach ihn jemand an. Der Tonfall war unbekannt, rau, aber nicht unfreundlich, und verzweifelt ergeben hörte er auf, sich zu wehren.
Das letzte Bild in aller Erschöpfung, die zentnerschwer in seine Knochen sank, waren dahinziehende Gestalten, das Blau ihrer Gewänder leuchtend und dunkel vor einem ockerfarbenen Hügelkamm.






Früh am Abend, noch bevor die Sonne weit gesunken war oder die Hitze des Tages nachgelassen hatte, machte eine ankommende Nomadenschar die vor Lut Gholein lagernden Menschen auf sich aufmerksam.
Unter denen, die neugierig den in bodenlange Gewänder gekleideten Männern entgegensahen, teils auch aufstanden und ihre Lagerfeuer verließen, um zu erfahren, was es Neues aus der offenen Wüste gab, waren auch die Anführer des Barbarenheers, dem der Fürst der Stadt erlaubt hatte, zu bleiben.
Untätig, auf drei Krieger aus ihrer Mitte wartend, die sich kaum eine Woche zuvor in das Sandmeer aufgemacht hatten, verbrachten die Nordmänner die Zeit mit Waffenübungen und dem Lauschen auf die in einer für sie kaum verständlichen Sprache erzählten Legenden und Nachrichten dieses Weltteils. Sie waren weder mit ihrer Lage noch mit dem Essen, dem oft gezuckerten, fetten Hammelfleisch und den Hirsefladen, besonders glücklich, und ihnen fehlte eine wirkliche Beschäftigung. Aber man hatte sie dazu angehalten, sich zu gedulden, und so sahen ihre Hauptleute zu, dass niemand mit den hier ebenfalls lagernden Menschen oder den Gesetzen dieses Menschenschlages in Hader gerieten.
Dennoch schauten sie erleichtert auf jede noch so geringe Abwechslung. Auch jetzt traten zwei Barbaren näher an den Ort heran, an dem die Nomaden schließlich hielten.
Es waren etwa dreißig in leuchtendes Blau gekleidete Männer und halb so viele Frauen, und sie hatten mehrere Kamele mit Waren bei sich. Ein Mann jedoch stach aus der einheitlichen Menge hervor. Er wurde vom Rücken eines der Tiere heruntergehoben, scheinbar ohne Bewusstsein, und er trug ein graues Kettenhemd und darüber ein ehemals weißes, jetzt schmutzstarrendes, ärmelloses Brusttuch.
Der ältere der beiden Barbaren stutzte.
Sein Name war Beran. Seit dem Fortgang seines Verwandten Herlac bekleidete er den Rang eines stellvertretenden Anführers des Schwarzfelsenclans und war sich sicher, den Mann, den die Nomaden mit sich hergeführt hatten, zu kennen.
Rasch trat er aus den Reihen der Zuschauer, die einen Halbkreis um die Nomaden bildeten, und auf Letztere zu. Sie bemerkten ihn.
Waffen wurden gezogen. Stimmengewirr klang auf.
„Ruhig“, rief Beran die Wüstenkrieger an und hob beide Hände. „Ich kenne den, den ihr da mitgebracht habt.“
Sie verstanden ihn nicht. Seine Erscheinung, die ihnen fremdartig vorkommen musste, machte sie unzweifelhaft misstrauisch, und sie schienen die Gemeinsame Sprache nicht zu beherrschen. Beran tastete eher vorsichtig als grimmig nach seiner Axt, ohne die dunklen Gesichter, in denen weiße Zähne blitzten, aus den Augen zu lassen. Halb behielt er auch die leblose, sonnenverbrannte Gestalt im Blick, die zwischen ihren Sandalen auf den Boden gesunken war.
„Versteht hier jemand, was ich sage?“ rief Beran in das Rund der Zuschauer. „Wir wollen nichts Böses, aber der Mann dort gehört zu uns.“ Der Blick aus größerer Nähe auf den Paladin hatte ihm gezeigt, dass er schnelle Hilfe benötigte, oder er würde an der Hitze zugrunde gehen. „Versteht hier jemand meine Worte und kann sie übersetzen?“ wiederholte er, diesmal ungehaltener.
Ein alter Mann trat aus der Menge. „Ich, Krieger“, sagte er. „Die Nomaden weigern sich oft, die Gemeinsame Sprache zu gebrauchen, aber ich kann mich mit ihnen verständigen.“
„Dann gib an sie weiter, was ich eben sagte“, bat Beran.
Ungeduldig verfolgte er den Wortwechsel, der sich jetzt entspann. Niemand kümmerte sich mehr um den Paladin, doch zumindest war er nicht tot: Er bewegte den Kopf und stöhnte.
Der Vermittler wandte sich zu Beran um. „Sie geben an, sie hätten ihn eine halbe Tagesreise von hier entfernt in der Wüste aufgegriffen. Er redete schon wirr, und seine Kleidung war ihnen unbekannt, daher vermuteten sie, dass er nach Lut Gholein unterwegs gewesen war, sich aber verirrt hatte.“
„Gewiss ist es so“, nickte der Barbar und wagte einen weiteren Schritt auf die Gruppe zu. Es hoben sich nicht länger Waffen gegen ihn, aber ein unguter, aufgebrachter Atem hing an allem. „Der Mann war Mitglied einer Gruppe unserer Vertrauten, die vor einigen Tagen fortgingen“, fügte er hinzu. Seine Worte wurden eilig übersetzt.
Du bist der Paladin, richtete er einen Gedanken an den elenden Liegenden. Auch wenn Sonne und Staub dich stark entstellt haben. Aber wo sind die Anderen, wo ist unser Kriegsherr, wo sind Herlac und Bostac?
Als die Nomaden ihm und seinem Begleiter den Paladin schließlich achselzuckend und ohne auf eine Dankesgeste zu warten, übergaben, schafften die Barbaren den schlaffen Leib hastig ins Lager. Der Mann war schlank, aber schwer. Viele Krieger traten hinzu und sahen mit an, wie sie ihn unter eine Zeltplane legten. Vergebens blickte Beran sich nach der Gefährtin Urels um, aber die Druidin war nicht in der Nähe, vielleicht fortgegangen, um mit anderen Lagern um Lebensmittel zu handeln oder Wasser zu holen.
Sie betteten den Kopf des Paladins auf ein Bündel und zogen ihm das Kettenhemd aus. Nirgends fand sich eine schwere Verletzung. Dennoch schauten sie ernst auf den halb Bewusstlosen. Er musste eine längere Zeit ohne jeglichen Schutz in glühender Sonne unterwegs gewesen sein. Seine Haut war verbrannt, rau von Staub, die Lippen aufgeplatzt und weißlich verfärbt. Sie bewegten sich, als sie ihm etwas Wasser eingeflößt hatten. Beran beugte sich hinunter, um besser zu verstehen, aber der Andere gab nur verwischtes Gemurmel von sich.
Behutsam legte er dem Paladin die Hand auf die Schulter. „Du bist in Sicherheit, Lichtkrieger. Nomaden haben dich gefunden und hierher nach Lut Gholein gebracht. Du kamst von Westen. Wo sind die Anderen?“
Ihm schien, der Mann sage etwas von einem kommenden Krieg, von einem Angriff, und zwei Worte waren ganz sicher seltsam, aber deutlicher: Katzen war das eine, das andere Dämonen.
Ratlos und grimmig richtete Beran sich auf. Auch die Krieger, die sie umstanden, wirkten ratlos. Einige mochten wohl zweifeln, und ein Mann sagte: „Vielleicht spricht er nur aus, was sein Fieber und sein Geist ihm eingeben. Männer wie dieser reden oft von Gebeten und ähnlichem Irrsinn, und man kann ihren Worten nicht viel zutrauen.“
„Nein.“ Beran blickte den Sprecher und die anderen Umstehenden an, dann wieder auf das verbrannte Gesicht zu seinen Knien. „Dieser Mann nicht. Ich kenne ihn besser als manch Anderer hier, er hat uns des Nachts am Lagerfeuer Dinge aus dem Osten erzählt, und nichts an seiner Art lässt mich daran zweifeln, dass er noch weiß, was er sagt.“
Er stand auf. „Er braucht gute Pflege. Wir müssen erfahren, was mit unseren Anführern und dem Rest der Gruppe geschehen ist. Ich habe kein gutes Gefühl.“ Ein herrischer Wink schickte einen Krieger aus Berans Clan fort. „Sucht die Druidin. Sie weiß besser, was zu tun ist, und sie sollte erfahren...“, er hielt kurz inne, wachsende Unruhe im Herzen, „dass ihr Mann und die Anderen vermisst werden.“
Während die Umstehenden sich langsam wieder verliefen, zwei Männer aufmerksam und schweigend bei dem erschöpften Paladin Wache bezogen und das Lager im schwindenden Licht zu seinem angespannten Ausharren und seinen Tätigkeiten zurückkehrte, trat Beran an den Rand der Feuer.
Hier blieb er stehen, die kurze, starke Nase in den Abendwind haltend, die Brauen bedenklich zusammengezogen, und blickte nach Westen, auf die Hügel, die das Tal mit der hellen Wüstenstadt darin umrahmten. Der blaue Himmel war schon mit Purpur verhängt.
War der Paladin tatsächlich einem Kampf entronnen, so trug er vielleicht eine Botschaft mit sich. Mehrmals ließ der Barbar durch seine Gedanken wandern, was er aufgeschnappt hatte, vermochte es aber nicht zu enträtseln.
Eine Kunde aber brauchte keine Worte, und der Paladin hatte sie bereits weitergegeben.
Die nur von leisem Blöken und Myriaden naher und fernerer Stimmen durchzogene Abendstille täuschte. Sie befanden sich auf der Schwelle zu einem großen Krieg, und sie mussten ihm achtsam entgegensehen, mit oder ohne ihre verschollenen Anführer.






Entgegen ihren Befürchtungen aber konnten die Zurückgebliebenen am Abend des übernächsten Tages, da Fürst Jerhyn soeben einen neuen Abgesandten zu dem zwei Tage zuvor eingetroffenen Westmarschener geschickt hatte, die Rückkehr der Vermissten mit ansehen. Es war eine ruhelose Stunde nah der Dämmerung, angefüllt mit Herbeikommenden, den Blicken von benachbarten Feuern, dem Stimmengewirr einer Menschenmenge, die zu begreifen beginnt, dass sie Zeuge nicht unbedeutender Ereignisse ist.
Das letzte Stück Weges von den Hügeln herab, vorbei an zahlreichen Wachen, hinunter in die von Menschen, Gewändern, Zelten überquellende Ebene, erschien Ifrah wie ein Wachtraum.
Der schon mildere Luftzug aufkommender Kühle geisterte ihr um das taube, sandverkrustete Gesicht, und sie ging einfach weiter, mitten unter den Anderen, die sich ihren Pfad durch die Lager suchten, teils bahnen mussten, weil mehr Volk unterrichtet schien, wer hier nach Lut Gholein zurückfand und mit welcher Botschaft.
Gegen jede Wahrscheinlichkeit. Sie waren entkommen.
Die Magierin setzte Fuß vor Fuß, bis aufs Blut wundgelaufene Ballen in ihren Stiefeln. Ihr war, als zöge sie eine Last vieler, dem Schicksal Gestalt gebender Stunden wie einen Brautschleier hinter sich her, aber noch ging sie, trotz seines Gewichts aufrecht, und hielt die Augen fest auf die flackernden Feuer und den vertrauten Platz inmitten der zahllosen Lager geheftet.
Links und rechts liefen Menschen mit. Sie hatten Fragen an sie und an die Gefährten, die sich ebenso verbissen voranzwangen. Doch sie war zu entkräftet, um aus den Lauten, die sie vom dunklen, bewegten Rand des Weges her erreichten, Worte herauszufiltern.
Sie immerhin war unverletzt.
Herlac hatte ein Flammenstoß aus dem heranbrandenden Schwarz im Tal der Magier den gesamten linken Arm verbrannt, das Tal, nein, ich will jetzt nicht daran denken, und Urel, Bostac und Eya waren ebenfalls von demselben entsetzlichen Feuer gestreift worden, das ihnen geschmolzene Rüstungsteile und Kleidung mit Haut und Fleisch verbacken hatte. Doch wie durch ein Wunder lebten sie alle noch.
Wie Wahnsinnige waren sie in die offene Wüste geflohen, ein letztes Wort ihrer neuen Verbündeten im Ohr. Schneller als je zuvor ein Mensch hatten sie die Distanz zwischen den Steinernen Flammen und der Küste des Kontinents zu Fuß überwunden, eingewickelt in ihre Burnusse, keuchend unterwegs im einsinkenden Sand, rennend, wann immer es ihre Kräfte erlaubt hatten.
Ifrah taumelte. Sie hob den Kopf. Wenigstens hatten sie Lut Gholein erreicht und konnten berichten, was jenseits der besiedelten Gebiete auf die Menschen wartete. Was auf uns alle zukommt.
Hadan führte die erschöpfte Gruppe an.
Der Himmel mochte wissen, wo er seine Kraft hernahm. Stunden zuvor noch hatte Ifrah sein Gesicht in der Tagesglut gesehen – in den schwarzen Stoff seines Burnus zurückgezogen, so weit es ging, trotz der Sonneneinwirkung unverändert bleich, mit tiefen Schatten der Erschöpfung oder auch Schatten einer inneren Auszehrung unter den fiebernden Augen. Entkräftet war er, gewiss, genauso wie sie alle, aber er hatte aus ihrer Mitte geragt wie ein schwarzer Dorn, zäher selbst als die viel kräftigeren Barbaren, hatte die an ihren Verletzungen leidende Eya gestützt, hatte sich kaum mit ihr, Ifrah, über den richtigen Weg absprechen müssen.
Es war, als gebe er alle Stärke, die er besaß, mit beiden Händen hin.
Der Blick der Magierin hing schwankend an ihrem rätselhaften alten Gefährten. Er durfte sich durch diese Kraftakte nicht einfach so aus ihrer Mitte stehlen. Sie brauchten ihn.
Sie wussten nicht einmal, ob eine der Säbelkatzen überlebt hatte, aber sie würden es bald wissen.
Und nun überfiel die Erinnerung sie doch – matte, durchsichtige Bilder: Eine schwarze Nebelwand, die sie zögernd attackiert hatten, ohne sichtbares Ergebnis, die sich nur vor Hadans Flüchen zurückgezogen hatte, um dann erneut vorzudringen, fast schweigend. Urels Gebrüll, Herlac, Eya, schreiend vor einer Flammenwand aus dem Nichts, das Umwenden, der rasende Lauf zu den Steinernen Flammen und hinaus in das Sandmeer, hinter sich den geballten Schrecken, immer hinter sich, der schließlich versunken, zurückgeblieben war, doch nicht in ihren Köpfen.
Die Magierin stöhnte leise auf.
Aus der Wüste würde ein Heer kommen – war es derselbe, schreckliche Anblick wie jener letzte hinter ihnen, und nur dieser, so konnten sie auf eine Verstärkung durch das alte Volk der heimlichen Wächter kaum noch hoffen. Bereits jetzt mochten die Dämonen, angelockt durch den Vorstoß der Menschen und der Säbelkatzen, durch die Grabkammern und die umliegenden Täler ziehen, alles Leben dort vernichtend, wie sie auch Einzelne bereits vernichtet hatten.
Als die Entkommenen den Lagerplatz der Barbaren erreichten, kamen ihnen zahlreiche Krieger mit schnellen Schritten entgegen, mitten unter ihnen Marej.
„Ja, wir sind zurück“, entgegnete Urel knapp auf die Fragen der Männer, streifte unter Schwierigkeiten den Burnus vom Leib und warf ihn wie angeekelt von sich, bevor er Marej in die Arme schloss.
Die Druidin fuhr zusammen, als sie die Brandflecken auf den Schultern des jungen Barbaren entdeckte. Ifrah wusste, was sie so entsetzte: Ein Feuer, rasch entfaltet, aber heißer als jede lang anhaltende Flamme, hatte die Haut weggefressen und das darunter liegende Fleisch so bösartig gestreift, dass es mit Teilen der Kleidung, in Urels Fall den Rändern seines Harnisches, verschmolzen war, dort, wo ein Stück nackter Schulter zwischen Leib- und Armschutz unbedeckt gewesen war.
„Was ist nur geschehen?“ Die helle Stimme der Druidin war nur eine von vielen.
Ifrah war stehen geblieben. Sie ließ ihren Stab fallen, zog die Kapuze vom Kopf und sank auf die Knie. Neben ihr setzte Hadan Eya vorsichtig in den Sand, sprach kurz mit Urel und verschwand, um seine zurückgelassenen Habseligkeiten zu holen, darunter feine Messer und Arzneien, die er jetzt benötigte.
Benommen starrte Ifrah in das dank des nahenden Abends in warme, dunkle Farben und Halbschatten getauchte Menschengetümmel. Jemand reichte ihr Wasser. Sie musste sich beim Trinken helfen lassen, weil ihre Hände zu sehr zitterten. Auch Marej war da, beugte sich über Eya, die mit zusammengebissenen Zähnen gestattete, dass die Druidin sich ihren Oberschenkel ansah, geschmolzenes Leder, blutige, verkohlte Haut.
Es schien, dass Urel seiner Gefährtin noch keine nähere Auskunft gegeben hatte, denn sie fragte die beiden Frauen wieder, diesmal leiser und schonend: „Was ist nur vorgefallen? Was hat euch so verbrannt? Ihr seid fast alle verwundet, und Menrad kam vor einem Tag allein –„
„Menrad?“ Ifrah fuhr auf. „Er ist hier?“ Die Bewegung schmerzte, aber kurz vergaß sie die abgrundtiefe Erschöpfung.
„Nomaden fanden ihn in der Wüste.“ Marej legte Eya, die sich ein Stöhnen im jetzt gewiss deutlicher fühlbaren Wundschmerz verbiss, mitfühlend die Hand auf den Arm. Ifrah wurde Zeugin, wie sich tatsächlich etwas von der Druidin auf die junge Assassine übertrug, und sie atmete sichtlich auf, während Marej Ifrah weiter ins Bild setzte: „Er ist der Hitze nicht so glücklich entgangen wie ihr. Bis zu dieser Stunde konnten wir kaum mit ihm sprechen. Er kommt nur allmählich zu sich. Was er sagte, war... etwas von einem Krieg, der vor den Türen stehe, und von“, sie zögerte, und ein grüner Blick blitzte unsicher zu Ifrah, „Dämonen.“
Zwischen den Frauen entstand ein Schweigen, zu lang andauernd, um Marej im Zweifel zu lassen.
Ihr Gesicht aber blieb das eines Menschen, der sich gegen eine plötzliche Verwandlung der Welt noch sträubt.
Ifrah wich ihrem Blick nicht aus, und dann veränderten sich die Augen der Druidin. Ich habe begriffen, sagten sie und verdunkelten sich.
„Dann ist es also wahr“, flüsterte sie und stand auf. Es blieb ungeklärt, was sie mit diesen Worten meinte, doch sie sah flüchtig zu Urel, der unweit von ihnen mit einigen Kriegern sprach und auch mit einem ganz in Weiß gekleideten Mann mit Turban, der gewiss zu Jerhyns engerem Stab gehörte.
Als die Druidin ging, um nach Bostac und Herlac zu sehen, kehrte Hadan zu den beiden am Boden verharrenden Frauen zurück.
Ifrah half ihm, Eya in den Schutz einer Zeltplane zu bringen. Hier sah sie zu, wie der Nekromant die Lederhose vom Schenkel seiner Gefährten schnitt und es dabei vermied, sie vollständig auszuziehen, Eyas Scheu vor fremden Blicken berücksichtigend. Froh, in der Nähe ihrer Vertrauten zu sein, rückte Ifrah heran. Wie haben wir es nur bis hierher geschafft? Nur an nicht abreißende Dünenrücken und unter ihren Stiefeln wegsackenden Sand erinnerte sie sich noch.
Von allen weiter zurückliegenden Erinnerungen wandte ihr Geist sich erschauernd ab.
„Vorsichtig jetzt, Shatryindjah“, sagte Hadan eben zu Eya. Die Magierin fasste unterstützend nach der Hand der Jüngeren. „Ich muss das hier wegschneiden...“ Der bleiche Mann sah sich um, stieß dann eine Verwünschung in seiner Heimatsprache aus und fügte murmelnd hinzu: „Ich habe nicht einmal Betäubungstränke hier. Was soll werden, wenn die Feinde kommen – wenn uns die Verwundeten über den Kopf wachsen?“
Ifrah wusste darauf keine Antwort. Sie sah zu, wie der Nekromant mit wenigen, geübten, hauchfeinen Schnitten das verkohlte Fleisch und Leder vom Bein der Assassine entfernte, das sich sonst entzünden würde. Blut lief über weiße Haut, so wie Eya Tränen über die Wangen liefen, aber kein Laut kam von ihr, und die Finger in Ifrahs Hand fassten nur kurz fester zu. Trotz ihres Zustandes war sie mit einem wesentlichen Rest noch ganz und gar stolze, beherrschte Attentäterin.
Sie atmete erst zischend ein, als Hadan ihr mit einer grünlichen, zuvor in einer Schale angerührten Flüssigkeit getränkte Tücher auf die Wunden legte. Der Nekromant berührte die Wange seiner Gefährtin sacht, dann legte Eya sich steif nieder, und er stand auf.
Ifrah tat es ihm gleich.
„Menrad ist hier“, sagte sie leise. „Er hat das Lager gestern erreicht.“
„Ich weiß“, entgegnete Hadan. „Ein Berater Jerhyns ist schon bei ihm gewesen, der Mann dort, der eben mit Urel gesprochen hat. Der Söldner ist tot, und dass Menrad noch lebt, scheint reiner Zufall.“ Er atmete tief ein. „Heute können wir nicht mehr viel ausrichten, aber morgen früh, bei Tagesanbruch, müssen wir bewirken, dass die Stadt sich vorbereitet.“
Weitere Worte über das Kommende verloren sie nicht.
Hadan machte sich auf den Weg, um die Anderen zu behandeln, und Ifrah begleitete ihn.
Sie streifte die Stiefel ab, steckte die Füße in weiches, einheimisches Schuhwerk und trat an seine Seite.
Die Tatsache, dass er hier als Heiler gebraucht wurde, schien zu verhindern, dass die Erschöpfung ihn besiegte. Und bevor sie zu einem Weiteren der Gefährten kamen, stellte sie ihm die Frage, die ihr beinahe so vertraut war wie der erste Anblick des schweigsamen, dunklen Magiers und die sie bislang nicht auszusprechen gewagt hatte: „Warum“, sie zuckte, als die bleichen Augen sich ihr zuwandten, „warum bist du kein Heiler geworden, Hadan? Ich habe keinen Mann gesehen, der besser dazu geeignet wäre als du.“
Er lächelte nicht. Für die Dauer eines unbehaglichen Augenblicks, während sie zu dem Feuer gingen, an dem die Barbaren hockten, tat er nichts weiter, als sie anzusehen, starr, aber ohne Feindseligkeit. Dann antwortete er: „Weil die Zeiten, in denen ich mich dazu hätte entscheiden können, immer Zeiten des Krieges waren, Svasdaana-La. Weil ich nicht Menschen zusammenflicken wollte, nur um sie wieder in die Schlacht zu schicken.“
Ifrah sah zu Boden.
Bald aber wirst du vielleicht gerade das tun müssen, dachte sie insgeheim, auch wenn sie ihn verstand. Schlimmer noch: Du wirst sogar noch unter ihnen sein und mehr Leben vernichten als viele Andere.
Nachdem sie Herlac und Bostac aufgesucht und nur wenige Worte mit den Nordmännern gewechselt hatten, als ruhe das Schweigen der Erinnerung und der herabfallenden Nacht bereits auf ihnen allen, fanden sie Menrad. Einmal noch scheuchte Schreck Ifrahs erschöpfte, bereits halb in den Trost der Menschenmengen gebettete Seele auf.
Der Paladin war bei Bewusstsein. Er schien sie und Hadan zu erkennen, doch die Wüste hatte ihm schwer zugesetzt. Vielleicht war es nach Wochen immer neuer Entbehrungen und böser Offenbarungen für den von seinem Orden abgefallenen Lichtkrieger auch ein Verrinnen letzter Kraftreserven, das ihn schwächte, ihn, den ein Zufall in die Gruppe der Gefährten geführt hatte.
Ifrah hockte neben seinem Lager und betrachtete, solange das Licht es noch erlaubte, sein schmales, ruhendes Antlitz, die wie zersplitterte, blutunterlaufene Haut, die hell gefleckten Lider und Lippen.
Ringsum bereiteten sich die Lager auf die Nacht vor, und dennoch würde es vielleicht die letzte, ruhige Nacht sein.
Nahebei schlug jemand eine Trommel, nicht laut, um Schlafende nicht zu stören. Auf sie und das nicht abreißende Stimmengewirr und das Blöken der Tiere lauschend, legte sich die Magierin neben dem Lager des Paladins in den warmen Sand. Der Fürst war unterrichtet. In der Stadt hatte man vielleicht schon mit hastigen Vorbereitungen begonnen, nun, da die alten Gefährten für Jerhyn Versicherung waren, dass niemand sich den Schrecken der offenen Wüste nur zusammenreimte.
Ja, es würde die letzte ruhige Nacht sein, und Ifrah erschien sie schrecklich und traumhaft schön zugleich, so schön, dass sie fast zu Tränen gerührt in die Umgebung horchte. Ihr Herzschlag beruhigte sich allmählich.
Stiefel schritten vorbei. Urel. Hadan folgte ihm. Immer noch ruhten die Männer nicht.
Unweit lag Eya und war hoffentlich bereits eingeschlafen.
Sie hatten schier unfassbares Glück gehabt. Aber das Leben vergibt solches Glück nicht ohne Absicht. Ifrah drehte sich auf die Seite, sperrte aus, was nun, wie zuletzt auf dem Weg hinauf zum Gipfel der Welt, immer größeres Gewicht erlangte: Vorzeichen. Nahender Kampf. Gedanken, die sich in feste, dunkle Bahnen begaben. In dieser Nacht wollte sie nichts als leben, einmal noch, auch wenn dies nur bedeutete, dazuliegen und zu spüren, wie der Schlaf ihre Glieder in die Erde zog.
 
erste *kicher* und platzhalter :)


so, gelesen hab :) soooo spannend!!! viel mehr kann ich dazu net sagen, hat mir ausgezeichnet gefallen, am liebsten moecht ich gleich wieterlesen!


:kiss: tigerle
 
diesmal habe ich nicht so lange gewartet.

die angst die der "schatten" verbreitet ist fast so beeindruckend als wäre man selbst dort in der wüste. ich kann einfach nicht begreifen wie jemand so unglaublich gut mit worten umgehen kann. ich habe angefangen zu lesen und konnte nicht mehr aufhören obwohl ich sicher arbeit genug habe, die eigentlich keinen aufschub dulden sollte.

ich freue mich auf jeden fall schon wieder aufs nächste up und hoffe dass ich dieses auch so schnell finde wie das aktuelle.

Gruß, Helldog
 
Hallo, ihr ersten Drei :hy:
Freut mich, dass ihr Spaß beim Lesen hattet.
@Segan, mein Adlerauge, dankeschön, ist bereits verbessert.
 
Lesen?? Wieso lesen??? :confused: „Verschlungen“ ist der einzig passende Ausdruck hier.

„Ich wollte, es wäre Tag, und die Fortsetzung käme.“

Wieso bin ich eigentlich so fest davon überzeugt, daß es gut ausgehen wird, wo die Bedrohung doch so überwältigend ist?
 
Wer sagt denn, dass es gut ausgehen wird? :p

Baal wurde ja in GdW besiegt, aber Sanktuario ist mehr denn je in Gefahr. Und ich habe das Gefühl, Reeba wird unsere Helden die momentane Schlacht zwar gewinnen lassen, aber keinesfalls den Krieg.

Getreu nach dem Motto "Okay, diese Runde geht an dich, aber in der nächsten mach ich dich platt!" :D
 
Segan schrieb:
Getreu nach dem Motto "Okay, diese Runde geht an dich, aber in der nächsten mach ich dich platt!" :D
Sehe ich da einen Anflug von Hoffnung auf eine Fortsetzung :D? Aber gut, den hab ich auch \0/
 
Überwältigend!
Besonders mitgerissen hat mich die Schilderung Menrads, der nicht gehen wollte und dann alleine durch die Wüste irren musste. Und dann waren seine Schrecken sogar noch umsonst, weil die Gefährten ebenfalls zurückkamen bevor er etwas Brauchbares von sich geben konnte. ;(

Ich bin sehr gespannt, was die Lut Gholeiner bevölkerung zu den Säbelkatzen sagt. Und ob es überhaupt noch einige von den felligen Kameraden gibt.

Und... wenn ich das äußern darf... Bitte, bitte lass es wenigstens für einen Teil der Gefährten ein Happy-End geben :cry:


:kiss: Insidias
 
Bin mal gespannt wann sich das Rätsel um die Bedeutung des Titels deines Werkes lüftet ;)
 
Hm? Saqqara ist eigentlich eine fast fünftausend Jahre bestehende altägyptische Tempelstadt, eine sogenannte Nekropole, weil sie für Totenrituale erbaut worden war. Ob sich Reebas Werk allerdings direkt auf diese grandiose Stadt bezieht, ist dann doch eher fragwürdig. Wahrscheinlicher ist, dass der Name auf sie derart inspirierend wirkte.
 
Auszug aus der News:


Fun, Art&Story:
Wir hatten schon mehrfach Beiträge von reeba, eine Institution, was das FAS angeht, in den Juwelen. Heute stellen wir euch die Geschichte Saqqara vor, für die reeba wiederum mit ihrem guten Namen garantieren kann.


Nun ist eingetreten, was schon längst hätte passieren müssen: Saqqara ist zu einem Juwel von PlanetDiablo.eu geworden. Dass Reeba eine Institution des FAS-Forums ist, steht ja wohl seit langer Zeit ausser Frage, aber nun ist es offiziell bestätigt :D

Herzlichen Glückwunsch @Reeba und möge uns deine Istitution :clown: noch lange erhalten bleiben :kiss:



Gruss Segan :hy:
 
Danke Segan. :)
Das ist aber nett vom Staff (die Bestechungsgelder sind also angekommen *g*) - ne ehrlich, ich freu mich sehr.

Ein neues Kapitel ist zufällig auch gerade fertig.

@Micros: Palpatine hat die bekannteste Bedeutung Saqqaras ja bereits angeführt - wie und in welcher Weise sie titelgebend (und Inspiration) für die Geschichte war/ist, wird sich noch klären. Sollte es mir das nicht durch die Erzählung gelingen, reiche ich eine Erklärung nach. :)

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XLVI. Der letzte Morgen






Von Osten über das weite Meer kommend, war längst Dunkelheit über das Tal und die Wüstenstadt darin gefallen. Doch es sah nicht so aus, als fänden die Menschen in und vor Lut Gholein in dieser Nacht viel Schlaf.
Unbeirrt brannten die Lagerfeuer. Vor den Zelten standen ihre Besitzer, und das leise, hier und da sogar mit Musik unterlegte Summen einer Menschenansammlung riss nicht ab. Auf den Hügeln waren mehr Wachen postiert, als Lut Gholein es je gesehen hatte.
Hadan kehrte von seinem Rundgang durch die Lager zu dem Platz zurück, an dem das Barbarenheer rastete. In der feuergefleckten Nacht glich es einer gewaltigen Herde, einer Kriegerschar älterer Zeiten.
Trotz der Geräusche und der zahllosen Gestalten, die sich wachend in der kleinen Ebene aufhielten, war es seltsam ruhig. Man hätte meinen können, ein Volk sei hier am Vorabend einer großen Feierlichkeit zusammengeströmt und warte in reger Freude, von den abertausend neuen Bildern zu bestrickt, um an Schlaf zu denken.
Es war verführerisch, sich davon täuschen zu lassen, und selbst der verbliebene Menschenfeind in ihm, der schon fast vollständig vertrieben war, hätte nicht gezögert, sich einem solchen Erlebnis hinzugeben. Wenn es nur wahr wäre.
Sein Weg führte den Nekromanten an den Zelten einiger Händler vorbei. Sie waren hier gestrandet und harrten seit Wochen vor Lut Gholein aus, zu ängstlich, um sich auf die Karawanenstraßen zu wagen, zu hoffnungsvoll, um die Küste auf einem der Schiffe zu verlassen, das sie fortgebracht hätte – vielleicht in Sicherheit. Raten konnte ihnen niemand. Es kamen noch Segler vom anderen Kontinent hinüber, aber sie brachten immer weniger einfache Leute, stattdessen Erkundungstruppen der östlichen Städte und Nachrichten dortiger Unruhen.
Der Osten trug schwer am Fall Kurasts, an den Versuchen des neuen Pundarfürsten, das führungslose Land in eine vorübergehende Ordnung zu zwingen. Dies mochte die Menschen der Großen Wüste mehr abschrecken als die Aussicht auf einen Krieg in ihrer Heimat, denn sie wähnten sich noch unter dem Schutz des hiesigen Fürsten und erwarteten, er werde ihn sehr rasch beenden.
Sie irren sich. Hadan ließ den Blick über die reichverzierten Zelte, die Packtiere, die zusammenstehenden Menschen wandern, die einem Saiteninstrument lauschten. Die Gesichter, die er im Feuerschein sehen konnte, waren beinahe heiter. Der Krieg, der uns bevorsteht, wird ein Krieg sein, den niemand in Sanktuario schnell beenden kann, nicht einmal, wenn er über Lut Gholein und Fadraîs gleichzeitig herrschte.
Aber was würdest du ihnen raten? Wohin sollte ein Verantwortlicher sie schicken?

Sie mussten bleiben, wo sie waren. Es gab kein Entrinnen mehr.
Jerhyn hatte, wie überall von Ausrufern zu erfahren war, alle Zugereisten und Flüchtlinge gebeten, sich an Zufluchtsorte zurückzuziehen, so sie welche kannten. Aber kaum eine Gruppe hatte Lut Gholein bislang wieder verlassen – sie lagerten an seinen Mauern, als könne das Alter des weißen Lehms ihnen Sicherheit gewähren. Nicht einmal die Nomaden, die Einzigen, denen vielleicht tatsächliche Zufluchtsstätten im Umland bekannt waren, waren dorthin aufgebrochen.
Die Händler bemerkten den schwarz gekleideten, blassen Mann nicht, der stehen geblieben war und zu ihren Zelten hinüberschaute. Als er weiterging, verschmolz er mit der Nacht, die auf den Wegen zwischen den Feuern regierte.
Der Schlafplatz der alten Gefährten befand sich am Rand des Platzes, den die Barbaren besetzten.
Hadan sah kurz nach Menrad. Der Paladin ruhte, starrte aber mit offenen Augen zu der Plane hoch, die halb über ihn ragte. Ifrah saß mit unterschlagenen Beinen neben ihm. Ihr Gesicht war entrückt, und die vollen Lippen bewegten sich lautlos unter geschlossenen Lidern.
Vorerst wollte er ihre Meditation nicht stören. So trat er an Eyas Lager.
Hier ließ er sich nieder. Nur kurz. Für ihn gab es ohnehin keine Ruhe.
Sie aber schlief, sein schwarzer Vogel, halb zusammengerollt auf einer Seite, das verletzte Bein oben. Sorge und Zärtlichkeit überkamen ihn mit einer warmen Regung.
Ein unbeteiligter Beobachter hätte vermuten können, die Assassine erfahre allen Trost und alle Heilung tiefen Schlummers. Es kostete ihn jedoch nur einen Blick auf das blasse, tief unter der Haut angespannte Gesicht und eine innerliche Berührung ihrer Seele, um zu wissen, dass sie im Schlaf den Schrecken des letzten Kampfes ausgeliefert war.
In der halben Stille des Lagers streckte der Nekromant die Hand aus. Das zerzauste, schwarze Haar über ihrer Stirn war schweißnass. Die behutsame Berührung weckte sie nicht. Nicht bei ihm.
Er saß reglos und tastete nach den Bildern, die einer der Götter des Raumes jenseits von Tageshelle und Verstand den Sterblichen schickte. Er fand sie, und die Erinnerung fand ihn durch die Traumaugen seiner Gefährtin.
Es war nichts Deutliches. Er hatte nie gelernt, Schlafende zu begleiten. Dafür gab es andere Männer und Frauen in seiner Heimat.
Doch was Eyas Geist zu dieser Stunde bevölkerte, brauchte auch keine klaren Formen, nicht einmal Worte, um in seiner ganzen Grausamkeit zu leben und auf ihn und in seine eigene Erinnerung überzugehen. Zur Erde hinabgestiegene Gewitterwolken blähten sich, ein grauschwarzes, geräuschloses Quellen, Rollen und Schleichen, Atem einer Angstdomäne. Geteilt, ohne dass das hinstarrende Bewusstsein erriet, auf welche Weise, gaben sie Flammen frei, und Schreie zogen durch die vorherige Stille wie blinde Banner, zerrissen in unfassbarer Nichtigkeit, erhöht in den höchsten Turm der eigenen Abwehr. Menschen waren auch zu sehen, ohne eindeutige Gesichter zu haben. Sie fügten sich in die Zuordnung der Schlafenden, wie es im Traum geschah, und trugen doch unverwechselbare Züge und ganze Berge von Angst und Zuneigung.
Das Feuer zerstäubte sie zu Asche, und die Lautlosigkeit, mit der ihr Tod besiegelt wurde und sich immer aufs Neue wiederholte, mal schwächer, mal in einem wahren Inferno endenden Lebens, war schlimmer als die Ahnung, die schließlich Feindesgestalten zusammensetzte und sie heranpreschen ließ.
Hadan öffnete die Augen.
Die grimmige Ruhe, die ihm seit seinem Entschluss zuteil wurde, überspülte die Bilder und nahm ihnen, auch wenn sie der Welt gegenüber hilflos war, den bösesten Alpdruck. Eya aber wimmerte leise, träumte, und er fühlte, dass sie litt.
Ruhig, Shatryindjah. Seine bloße Hand lag immer noch auf ihrer Stirn. So, wie ich zum Kampf gegen das neue Übel meinen Teil beitragen werde, nehme ich deinem Schlaf durch dieselbe Macht etwas weg. Gib es durch mich weiter und empfange etwas anderes dafür. Flüsternd rief er seinen Schutzgott an. Und wenn du stattdessen ihn sehen solltest, dann sei gewiss, dass dies besser ist, auch wenn es dich ängstigt. Es ist besser, denn er ist ein Teil unserer Welt. Nicht nur durch mich.
Du wirst sehen, alles endet gut. Das schwöre ich dir.

Merklicher, als er zu hoffen gewagt hatte, entspannte sich Eya.
Er sah ihr noch eine Weile beim Schlafen zu, beruhigt durch ihren geliebten Anblick, und wünschte insgeheim, auch fortan mehr als nur Träume mit ihr zu teilen.
Dann erhob er sich steif. Das Alter ließ sich nicht überlisten.
Aus einem Krug nahebei trank er einen Schluck lauen Wassers und schüttelte den Sand der hastigen Wanderung aus Mantel und Stiefeln.
Ifrah begrüßte ihn mit einem Kopfnicken, als er zu ihr und Menrad zurückkehrte.
„Schläft Eya?“ fragte sie leise.
Der Nekromant bejahte und setzte sich neben sie.
„Ich kann nicht schlafen“, die Magierin erbebte. „Wenn ich die Augen schließe... immer sehe ich das Tal vor mir.“ Sie sprach nicht aus, welche Momente des Kampfes und der Flucht in ihrer Erinnerung lebendig wurden.
Bis zu ihrem Eintreffen in der Marsch hatten sie trotz aller beunruhigenden Anzeichen von Fanatismus und Machtbestrebungen doch nur gegen Menschen gekämpft. Der Einfluss einer Veränderung, die ganz Sanktuario umgrub wie einen Acker, war spürbar und rätselhaft gewesen, aber Solches gestattete immer noch die Hoffnung darauf, dass der Aufruhr der Völker sich legen und sich alles Erspürte als Irrtum herausstellen werde.
Jetzt aber war die Last des Krieges gegen andere Menschen - die Last, sie töten zu müssen - ausgetauscht worden. Was ihnen stattdessen entgegenzog, kannten die alten Gefährten bereits.
Die Seele nahm die Begegnung mit Monstren nicht einfach hin. Der Akt, ihren Anblick, ihre Wahrhaftigkeit zu verwinden, nutzte sie ab, ähnlich wie ein zu oft getragenes Kleid.
Hadan sah den Widerschein älteren Grauens in Ifrahs Augen. Diesen Blick hatte Jeder der Gruppe des vorigen Jahres.
Wieder Krieg und Verlust. Ein Hass ohne Ziel griff nach dem Nekromanten, und er schloss die Hand um den Pakhra-Anhänger auf seiner Brust. Viel Zeit hat die Welt uns nicht gelassen. Gerade genug, damit sich unsere Wunden wieder schließen und die Narben sich unter neuer Kraft und der Suche nach einem friedlichen Leben verstecken konnten.
Als habe sie etwas von seinem inneren Aufruhr gespürt, sagte Ifrah rau: „Wenn ich doch wenigstens Maysan in Sicherheit wüsste.“ Ihre Stimme brach.
Von seinem Lager wanderten die Augen des erschöpften Paladins zu ihr, und Hadan hätte schwören können, dass seine linke, sonnenverbrannte Hand zuckte in einem Versuch, die Magierin tröstend zu berühren. „Es geht ihr sicher gut“, kam es entstellt von den aufgeplatzten Lippen. Ifrah blickte zu Menrad hinüber und lächelte unter Tränen.
„Menrad hat Recht“, fügte Hadan leise hinzu. Er legte alle Wärme, die er ihnen verleihen konnte, in die wenigen Worte. „Der Mann, dem sie anvertraut ist, machte einen zuverlässigen Eindruck. Der tiefe Süden hat zweifellos längst eine Ahnung davon, wie gefährlich es in der offenen Wüste geworden ist, und der Paladin wird Maysan an dem sichersten Ort lassen, den er finden kann.“
Die dunkelhäutige Frau nickte schwach. Selten zuvor war sie dem Nekromanten so schön und so traurig erschienen.
„Gebe Badr, dass es so ist“, sagte sie, dann, mit aufwallender Unrast: „Aber ich wünschte, ich könnte mich in mehrere Personen teilen. Eine, um hier zu bleiben, eine, um meine Tochter zu suchen, und eine dritte, um in den Süden und ans Westufer zu reisen und in Erfahrung zu bringen, was...“ Zwischen Wut und Hilflosigkeit verstummte sie.
Die beiden Männer errieten, was sie dachte. Auch an ihnen nagte die Unmöglichkeit, überall zugleich zu sein und die den Eindringlingen vielleicht schon ausgelieferte Welt zu bewachen.
Menrad regte sich mit einem Ächzen. „Uns allen ergeht es ebenso“, sagte der Paladin. Kurz hielt er inne, als sei er sich des gewachsenen Vertrauens zwischen ihm und der Gruppe nicht vollkommen sicher. Dann fügte er gedämpft und mehr zu sich selbst hinzu: „Fadraîs liegt offen in der Marsch. Wenn die dortigen Obersten ihren... verfehlten Weg weiterhin verfolgen, wird es keine Verstärkung der Verteidigungsanlagen geben.“
Danach schwieg er, sagte nichts von seiner Sorge um seine Heimat mehr und auch nichts darüber, dass es für ihn, den Abtrünnigen, keine Handhabe gab – nicht einmal ohne seine Aufgabe in der Wüste.
Menrads Äußerungen enthielten viel, was Hadans Gedanken über den Osten und seine eigene Lage ähnelte, und so beließ er es bei zustimmendem Schweigen.
Es war für seine restliche Seelenruhe ohnedies besser, weder das Linqqva-Becken noch Kurast noch Pundar mit ihrem fernen Grün und ihrem aufgerüttelten, jetzt sicher schon ahnungsvolleren Schritt vor sein inneres Auge zu holen. Alles, was du jetzt benötigst, Jünger des Pakhra, hast du mitgebracht. Der Osten ist nun unerreichbar. Er geht seinen Weg ohne dich, und es mag sein, dass du die Wüste nicht mehr lebend verlässt.
Er hob den Kopf und sah sich um.
Unverändert, trügerisch heimelig, erstreckten sich die Lager ringsum. Sterne sprenkelten den Himmel, und der Mond war aufgegangen.
Die Nacht war kurz. Die ihnen noch bleibende Zeit verrann schnell.
Unter den Blicken der beiden Anderen erhob sich der Nekromant. „Ich sehe noch einmal nach den Verwundeten“, sagte er. „Auch nach den Arbeiten an den Verteidigungsanlagen. Wenn wir morgen mit Fürst Jerhyn sprechen, müssen wir bereits erfahren haben, wie Lut Gholein sich zu wehren gedenkt.“
„Ich begleite dich“, Ifrah stand ebenfalls auf. „Dazusitzen und zu warten geht über meine Kraft.“
Menrad machte Anstalten, sich hochzustemmen, aber sie hielten ihn davon ab. Sichtlich unwillig fügte er sich ihren Bitten, sich auszuruhen, auch wenn die Langsamkeit seiner Bewegungen deutlich von seinem noch angeschlagenen Zustand sprach.
„Wir werden Euren Rat noch brauchen.“ Hadan fixierte den Mann zu seinen Füßen. „Erst Euren Rat als Stratege, der Ihr seid, und später Euren Einsatz im Kampf. Schont Euch, solange es noch geht.“
Gerade du sprichst von Schonung, sagten die trüben Augen, und für die Dauer eines Atemzuges teilten die so verschiedenartigen Männer eine gemeinsame und bislang nicht erwähnte Erinnerung. Dann beendete der Nekromant den Blickwechsel, indem er sich abwandte. Er hörte, wie Menrad sich wieder hinlegte.
Mit Ifrah, die den seltsamen Moment mitangesehen hatte, aber ganz gleich was sie wusste oder ahnte, dazu schwieg, machte er sich auf die Suche nach Urel und den Anführern der Barbarenclans.
Ihre kurze Unterhaltung hatte die Gefährten von den Vorgängen in den Lagern abgeschirmt. Jetzt, zwischen den von Männern dicht umstandenen Feuern, sahen sie, dass aus der Nacht Fremde eingetroffen waren. Die Magierin und der Nekromant tauschten einen Blick. Man hatte diese an den Wachen auf den Hügeln vorbeigelassen, doch ihre Ankunft war Anlass zu gedämpftem Gerede.
Urel ragte aus einer kleinen Menge. Marejs heller Lockenkopf hob sich ebenfalls von den gerüsteten Hünen ab, und vor Beiden standen die Ankömmlinge.
Viele waren es nicht, vielleicht um die zwanzig – kein solches Heer wie das der Nordmänner. Aber anstelle einer beeindruckenden Zahl machte ihre Erscheinung stutzen. Selbst unter Teilen einheimischer Kleidung, die einige der Ankömmlinge unsachgemäß, nach Art hier Fremder, trugen, sah helle Haut hervor. Wo der blaue oder schwarze Stoff nicht ganz geschlossen war, verbargen sich Männer mit nackten oder nur grob von Fellen bedeckten Oberkörpern. Bewegter Feuerschein lag auf Zahnketten, auf langen Haarflechten, ließ hagere Gesichter und scharfe Augen aufleuchten.
„Druiden!“ stieß Ifrah hervor. Ihr fassungsloses Gesicht wandte sich zu Hadan empor.
„Ich bin nicht weniger erstaunt als du“, gab er zurück und betrachtete während der letzten Schritte die Gruppe eingehend. „Sie müssen längs der Küste von Norden gekommen sein.“
Als sie bei dem Menschenauflauf eintrafen, drehte sich Urel zu ihnen um.
Der junge Barbar wies auf die Ankömmlinge, die äußerlich ruhig, aber angespannt unter den Blicken eines Volkes standen, mit dem sie eine schwierige Vergangenheit verband. „Hadan, Ifrah. Hier sind Leute aus den Waldgegenden, aus denen auch Marej stammt. Sie haben durch Zurückreisende unserer Stämme in der nördlichen Marsch erfahren, was in der Wüste geschieht. Sie sind Abgesandte.“
Marej bat die hinzugetretenen Gefährten an ihre Seite. Freude hatte trotz aller Furcht vor dem Kommenden die Gestalt der Druidin belebt.
Hadan traf auf Dutzende wacher Augen. Ein großer, bereits stark ergrauter Mann schien der Sprecher der Ankömmlinge zu sein. Jetzt erhob er die Stimme, und so zurückhaltend oder befangen er es tat, so seltsam war ihr nordischer Klang in der Wüstennacht.
„Ich bin Essarn“, sagte er „hier Ältester der Menschen von Acglan.“ Er stand mit hängenden Armen, aber stolz da, und wenn die lange Wanderung ihn und seine Begleiter an den Rand ihrer Kraft gebracht hatte, so merkte man es ihnen kaum an. „In unser Gebiet kam Kunde von Bewegungen der entzweiten Barbarenstämme, und so gingen wir in dieselbe Richtung wie Marej, die zuvor, wie wir hörten, unseren Nachbarclan verlassen hatte. Wir vernahmen auch, dass er überfallen worden war, sich dann aber mit diesen Kriegern hier geeinigt hatte.“ Das Schweigen ringsum war plötzlich tief – das Schweigen zweier Völker, die sich alter Irrtümer und Untaten bewusst sind. Reglos lauschten die Barbaren.
„Weiter südlich hörten wir dann von Männern des Kupferclans, in den großen Ebenen habe sich ein Wesen gezeigt, das eine Verkündung tat. Diese Verkündung passte zu vielem, was unsere Weisen schon vorausgesagt hatten. So folgten wir eurer Spur.“ Der Druide reckte sich fast unmerklich. „All diese hier“, er wies auf Urel und seine Krieger „wissen es bereits, doch unsere Verwandte bat uns, es auch euch zu sagen, die ihr ihre Gefährten seid. Viele sind wir nicht. Aber wir sind gekommen, um an eurer Seite gegen den Schatten aus den wasserlosen Landen zu kämpfen.“
Ohne noch mehr abzuwarten als ein begreifendes und respektvolles Nicken seitens der Umstehenden, wandte der Grauhaarige sich ab. Marej eilte zu ihm.
Während Urel und die Anderen warteten, wies sie den Druiden einen Lagerplatz zu. Dann kehrte sie zurück.
„Sie sind seit vielen Wochen unterwegs“, sagte sie wie entschuldigend „und erschöpfter, als sie zugeben wollen.“ Die grünen Augen der Druidin glommen. „Der Weg von unserer Heimat bis hierher ist gespickt mit Auswüchsen des Krieges, misstrauischen Dörflern und umherziehenden Ordenstruppen, die sie gemeldet hätten, wären meine Verwandten weniger behutsam gewesen.“
„Sie müssen sich vor niemandem rechtfertigen“, sagte Hadan. Die Druiden ließen sich an dem ihnen zugewiesenen Ort nieder, eine halbe Welt von den rauschenden Wäldern des Nordens entfernt. Nun zeigte sich ihre Entkräftung doch. Ohne ihre Tücher abzunehmen, legten sie sich in den Sand, einfach dort, wo sie gerade waren. „Allein, dass sie das Wagnis der Reise auf sich genommen haben, gereicht ihnen zur Ehre, Marej.“
Urel brummte zustimmend. Doch der junge Barbar wirkte finster, tatkräftig, aber verschwiegen. Der Begleiter der vergangenen Tage, dem alten Urel halbwegs ähnlich, war wieder verschwunden. Zurück blieb der Kriegsherr, der die Verantwortung für mittlerweile über dreihundert Menschen auf den Schultern trug. Zusätzlich zu dem, was er sich selbst darauf geladen hat. Der Nekromant erinnerte sich an ihr Zwiegespräch.
Die Welt brennt. Und ich bin es, der sie mit in Brand gesetzt hat.
Das waren Urels Worte gewesen.
Was auch immer seine Vertrauten dagegenhielten, um ihn wenigstens von diesem fatalen Irrtum zu befreien – die Entwicklung der Dinge musste den jungen Mann heimtückisch in seiner Seelenqual bestätigen. Schon dass er auf dem Gipfel der Welt dabei gewesen war, schon seine guten und tapferen Taten, die wie alle Taten Auswirkungen hatten, verurteilten ihn. Es schien unwiderruflich.
Beunruhigt betrachtete der Nekromant seinen alten Wegbegleiter, den verstümmelten Arm, der ihn bis ans Ende seiner Tage auszeichnen würde, das hart gewordene Gesicht. Sie konnten ihm nicht helfen. Nur eine Niederwerfung des neuen Feindes und ein damit einhergehender Sieg über seine eigenen Dämonen würde Urel heilen.
Ich habe geschworen, an deiner Seite zu bleiben, und bei Pakhra, das werde ich auch, Freund.
„Geh zu deinen Leuten“, trug Urel Marej soeben auf. Es war nicht als Fingerzeig auf ihre unterschiedliche Herkunft gemeint, wusste Hadan, doch die Druidin schwieg, und ihr Gesicht verlor den Anstrich der Freude. Wortlos nickte sie und ging davon.
Der Barbar blickte ihr gerade lang genug nach, damit die Umstehenden ein flüchtiges Blinzeln bemerken konnten. Dann rief er Bostac und zwei weitere Männer zu sich.
„Nach allem, was uns das Gefühl sagt“, begann er knapp „bleibt uns höchstens noch ein Tag, vielleicht auch weniger. Ihr habt gehört, von welcher Art der Feind ist. Rechnet lieber damit, dass er sich als noch schlimmer erweist. Lasst Ausgewählte in die Stadt gehen. Wir benötigen starke Panzerung und weitere Waffen.“
Sie brummten zustimmend.
Die Gefährten sammelten alle verbliebenen Zahlungsmittel und gaben sie durch Urel an das Heer weiter.
„Es wird schwerlich reichen“, meldete sich Ifrah zu Wort. „Die Leute ringsum sagen, die Schmieden seien bereits jetzt überlastet.“
„Rüstungen werden nicht unser einziges Problem sein“, gab Hadan zu bedenken. Die Gegenwart der Nordmänner weckte Hoffnung, gewiss. Mit ihnen hatte Lut Gholein einen starken Arm im Krieg, doch die Warenlieferungen, die die Wüstenstadt stets versorgten, waren bereits seit Wochen spärlich und inzwischen ganz ausgeblieben. „Die Lage Lut Gholeins mag bald dazu führen, dass Lebensmittel ausgehen.“
„Wahr“, stimmte Urel düster zu. „Was aus dem Osten kommt, sind nur noch Schiffe mit Bewaffneten, und nicht einmal viele.“ Erneut wandte er sich an seine Krieger. „Die Männer sollen haushalten mit dem, was wir noch haben.“
„Auch mit dem Wasser sollten wir nicht verschwenderisch umgehen“, warf Ifrah leise ein. „Wenn wir uns an ihre Macht über das Feuer erinnern...“
Niemand antwortete, aber alle Blicke gingen unwillkürlich zu den weißen Mauern der nächtlichen Stadt, fern und fleckig beleuchtet in der Dunkelheit.
Sie hat Recht, dachte Hadan und sah noch hinüber, als die Anderen die Köpfe bereits wieder abgewandt hatten. Wasser. Nicht nur zum Trinken, auch für das Löschen von Bränden. Jerhyn sollte veranlassen, dass die Bewohner für den Notfall Löschwege vom Hafen aus in die Gassen und bis an die Mauern vorbereiten.
Wenn der Feind es wollte, würden Feuerstraßen Sanktuario verheeren, Lut Gholein wie Zunder aufflackern lassen, das grüne Gras der Marsch zerfressen. Fadraîs in Schutt und Asche. In Rauch aufgehende Wälder und Weiler.
Die Welt brennt.
Er biss die Zähne fest zusammen und verdrängte die Schreckensvision.
Urel hatte unterdessen viele seiner Männer fortgeschickt, drei oder vier auch nach Lut Gholein hinein. Es zählte nicht mehr, dass Nacht herrschte. Die Kuppel schwacher Helligkeit zeigte, dass die Stadt wachte, wie die Menschen vor ihren Toren.
Unter den Lagern waren Abgesandte des Fürsten unterwegs, doch die tatsächlichen Vorbereitungen und der Austausch über die Verteidigung mit Hilfe der Fremden würden erst im Morgengrauen ihren hastigen Anfang nehmen.
Die Gefährten wechselten noch einige Worte über ihren Verbleib in den nächsten Stunden. Dann entfernte sich Urel zu den Hunderten wartender Krieger, um sie auf den kommenden Tag einzustimmen. Ifrah gab an, nach Menrad und Eya sehen zu wollen.
Hadan aber durchschritt ein weiteres Mal die Lager auf der kleinen Ebene. Diesmal jedoch hielt er auf die Stadt zu.
Es war kühler geworden. Der nächtliche Windhauch trocknete den Schweiß.
Es wäre Zeit, zu beten. Im Dunkel der Welt ließ sich leicht ein ungestörter Ort finden. Aber er nahm Abstand von diesem Gedanken. Das Band war geknüpft, brauchte kaum noch weitere Versenkungen und vertiefte Hingabe seinerseits, und Anderes, Diesseitiges, beschäftigte ihn zu dieser Stunde mehr.
Lut Gholein rückte näher, und wie alle großen Städte ähnelte es beinahe einem Lebewesen. Mit seinem eigenen Herzschlag, seiner Sprache und Musik, den Verrichtungen seiner Jahrhunderte alten Bevölkerung, mit seinen Farben und Gerüchen stand es fest am Meeresufer.
Ungeachtet seines sonderbaren Werdegangs hatten den Nekromanten stets die Städte angezogen. Sie waren die aufstrebende Seele ihrer Zeit und der Spiegel des Denkens.
Das alte Kurast ist verloren. Auch Lut Gholein, so wie es ist, mag dahinsterben, gemeinsam mit seinem siechen Herrscher. Aber beide Städte dürfen nicht ausgelöscht werden.
Was er tun konnte, um dies zu verhindern, wollte er tun. Nicht mehr um der Macht, sondern um der Menschen willen.
Er hörte den Mann, der er einst gewesen war, aus der Vergangenheit herüberlachen. Sieh an, was aus dir geworden ist. Wäre das auch ohne die Kriege geschehen, ohne den Wandel der Welt? Und wenn du es vermöchtest, würdest du es nicht rückgängig machen?
Nein.
Niemals, ganz gleich, was es kostet.

Dicht an die weißen Mauern standen die ärmlichen Hütten geschmiegt, die über sie hinausgewachsen waren. Bereits jetzt brannten einzig in ihnen keine Lichter, Vorzeichen der Arbeit an der Einebnung der Fläche vor der Stadt.
Auf den Mauern patrouillierten Wachen. Nah am Haupttor drängten sich allerhand Menschen, stritten mit den dortigen Posten, waren in Auseinandersetzungen über ihren Verbleib vertieft. Überall bewegten sich Handwerker, verstärkten die Mauern. Gerüste zum Auftürmen von Ziegeln waren errichtet. Selbst hier hörte man Musik.
Bald aber würde man nichts Derartiges mehr sehen oder hören – nur noch eine leergefegte Ebene und das angespannte Schweigen einer Stadt, die fürchten musste, belagert und überrannt zu werden.
Der Nekromant ging einmal die gesamte Länge der Mauern ab, dann trat er zwischen anderen Menschen durch das Tor nach Lut Gholein hinein. Ungute Lebendigkeit verwandelte die Gassen in Kanäle aus Fensterhöhlen, Leibern und Lampen. Die Schmieden verbreiteten Eisengestank.
Er ließ sich bis zum Hafen treiben. Hier blickte er auf das mondbeschienene, grenzenlose Meer und die Punkte darauf, die Schiffe waren. Dann sprach er auf gut Glück einen Mann an, der an den Kais beschäftigt war.
„Vier fremde Schiffe, Magier“, antwortete dieser auf seine Frage und blinzelte zu ihm hoch. „Zwei aus Dâurdh, eines aus Abbèsh, eines aus dem Osten.“
Hadan gab ihm eine Kupfermünze. „Sei bedankt, und sofern es deine Arbeit zulässt, genehmige dir einen Schluck.“
Der Mann stutzte. „Wofür entlohnst du mich? Viel habe ich dir ja nicht sagen können. Und was denkst du dir – dass ich Zeit hätte für eine Rast, jetzt, wo die Ausrufer uns einen Krieg verkündet haben?“
„Eben darum“, gab der Nekromant zurück und wandte sich zum Gehen.






Eine Hand, die sie an der Schulter berührte, weckte Ifrah.
Schon in den letzten Augenblicken ihres unruhigen Schlafes hatte sie gemeint, beobachtet zu werden. Nun, da sie blinzelte, begegnete sie Hadans perlmuttfarbenen Augen. Er hockte neben ihr.
Es war kaum hell geworden, aber rings um ihren Lagerplatz herrschte bereits unterdrückter, ernster Betrieb. Sie richtete sich auf.
„Posten beim Stadttor melden, es sei bald eine Gesandtschaft aus dem Palast zu erwarten“, sagte der Nekromant. „Sicherlich wird sie hierher kommen.“
Ifrahs Beine und Füße brannten wie Feuer, und unwillkürlich stöhnte sie auf, als sie sich auf die Seite setzte. Rasch kehrte die Erinnerung zurück. Sie war im Sand neben Menrads Lager eingenickt.
Der letzte Morgen vor der Begegnung mit dem Feind.
Hadan, der das Sammeln ihrer Gedanken mitzuverfolgen schien, fuhr fort: „Noch ist alles ruhig. Vielleicht bleibt uns dieser Tag. Ich habe dich nur geweckt, um dir zu berichten: Es sind drei Schiffe aus dem tiefen Süden im Hafen vor Anker gegangen, und sie bringen Kunde, dass es zwischen Dâurdh und Sadr Hammath noch keine Anzeichen für ein Auftauchen der Dämonen gibt.“
Die Magiern zuckte zusammen, als ihr alter Mitstreiter den Namen der Bedrohung so unverhohlen aussprach.
Die Neuigkeit milderte ihre Sorge um den Süden, doch sie bedeutete auch zwei andere Dinge. Was immer ihnen aus der Wüste entgegenkam, würde ihnen vorerst gewiss einzig nach Lut Gholein folgen. Und alle Menschen der Stadt waren nun davon unterrichtet, was sie erwartete.
„Die Wachen haben bis weit ins Land hinein noch nichts gesichtet.“ Hadan wandte den Kopf nach Westen.
„Du warst über Nacht am Hafen und auch bei den Hügeln?“ Ifrah entdeckte einen Kupferbecher mit Tee und einen Hirsefladen neben sich. Dann sah sie den Nekromanten an. „Du hast nicht geschlafen“, stellte sie fest. „Du musst sehr müde sein.“
„Müde?“ entgegnete er langsam. „Nein, Svasdaana-La.”
In der Tat entdeckte die Magierin in seinem bleichen Gesicht nicht einmal mehr die Schatten des vorigen Tages, es sei denn, sie hätte einen sehr viel tiefer liegenden Schatten als Anzeichen wachsender Erschöpfung nehmen können.
Rasch, während Hadan wartete, aß sie einige Bissen. Sie schmeckten nach nichts.
Dann erhob sie sich und rückte ihr Rüstzeug zurecht, das durch das Liegen leicht verrutscht war. Das fein getrieben Metall unter ihren Händen wirkte ebenso eindringlich fest und klar wie die Formen und Bewegungen ringsum, und sie wusste, es war die Wahrnehmung eines Kriegers nah vor der Schlacht, die sie so empfinden ließ.
Das gesamte Barbarenheer war bereits auf den Beinen, eine Schar, die einen großen Platz mit ihren erloschenen Feuern einnahm, kupfern und silbergrau vor dem Hintergrund der benachbarten Menschenmengen.
Zu ihrer Erleichterung sah Ifrah auch Menrad unter den Männern, und sogar Herlac, der die schwersten Verbrennungen davongetragen hatte, ragte mit seinem gutmütigen, bärtigen Gesicht und einem dick verbundenen Arm aus der Menge.
Sie traten auf Urel und Marej zu. Unweit hockten die nachts eingetroffenen Druiden zusammen.
„Eine Versammlung der Völker“, bemerkte Hadan nachdenklich, vielleicht an die Schlacht um Travincal denkend. Ifrah musste ihm Recht geben. Vereinzelte Gruppen hatten nur eine sehr geringe Zahl, doch die erdigen Töne der Nordländer mischten sich eigentümlich mit den starken Farben der Burnusse und den bunten Tüchern der Händler.
„Zu jeder anderen Zeit würde ich mich darüber freuen“, sagte die Magierin. „Aber dieser Tagesanbruch macht mir Angst.“
„Ja.“ Der Nekromant atmete hörbar ein. „Der letzte Morgen.“
Urel begrüßte sie mit einem Nicken. Marej war auffallend blass. Vielleicht bedachte sie, dass die Druiden sich so weit aus dem Norden hergewagt hatten, um als Dank für diesen Weg nur Fremde und Krieg zu finden, vielleicht bedrückte die Schwangere auch das ungeborene Leben in ihrem Leib.
Die Gefährten tauschten aus, was sie von den Hügelwachen und dem Hafenbetrieb wussten. Da kam auch Eya zu ihnen. Die Assassine hinkte nicht und hatte die Lederhose wieder zugenäht, doch ihre Schritte konnten nicht verbergen, dass ihre Wunde sie schmerzte.
Wir sind wie Hunde mit versengtem Fell, dachte Ifrah, die zum Rudel zurückfliehen und sich dann wieder sammeln und gegen die Verfolger wenden.
„Seht“, sagte Herlac, der ebenfalls bei den Gefährten stand, und wies in Richtung der Stadt. Sie wandten sich um.
Die Menschenmenge, ein Meer bloßer oder turbantragender Köpfe, aus dem die Zelte wie Giebel kleiner Häuser oder wie merkwürdige Segel stachen, teilte sich. Sie machte Platz. Mit der Bewegung kam ein Schweigen, das längs der Ausweichenden eine Bahn in das ständige Summen der Lager pflügte, und plötzlich wohnte ihm Aufmerksamkeit, ja Ehrfurcht inne. Die Bahn lief auf das Barbarenheer zu.
Als auch die Nordmänner beiseite traten und verstummten, tauchte ein kleiner Zug auf. Lanzentragende Palastwachen führten ihn an, Männer in reinweißen und roten Gewändern kamen hinterdrein, und zwischen und halb über ihnen schwankte ruhig eine tuchüberdachte Sänfte.
„Der Fürst“, sagte Ifrah leise.
Er war es tatsächlich.
Am letzten Morgen vor der sicheren Bedrängnis seiner Stadt hatte Jerhyn seinen Palast verlassen, gewiss um die Verteidigungsanlagen, die Soldaten und alles, was ihm sonst seine Berater zuzutragen pflegten, selbst zu sehen.
Der Zug verhielt. Gleichmäßig sank die Sänfte, und in ihr saß schwer und reglos der kranke Mann, den die Gefährten an diesem Morgen in der Kühle seiner Gemächer hatten aufsuchen wollen. Durch die stolzen Worte eines Ausrufers, der seine Ankunft verkündete, blickte er ihnen entgegen.
Gemeinsam mit den Anderen senkte Ifrah den Kopf und erfasste aus dem Augenwinkel, dass selbst die Barbaren und die Männer aus Marejs Volk Verbeugungen oder andere Gesten des Respekts taten, ohne dazu angehalten worden zu sein.
So fremd und im Kern uneins die Menschen vor den Mauern Lut Gholeins auch waren – sie alle stellten sich nun durch ihr Bleiben und ihre Bereitschaft zum Kampf nicht nur in den Dienst der ganzen Welt, die in diesem Teil zuvorderst bedroht war, sondern auch der Stadt und ihrer Verteidigung. Zumindest durch das Wissen, dass sie mit dieser Stadt auch ihre eigene Heimat bewahren halfen, waren sie alle geeint.
Jerhyn erhob die Stimme. Er sprach ohne viel Kraft, aber fest. Die weiter entfernten Lager würden ihn nicht verstehen können, doch die Gesandtschaft würde weiterziehen, wusste Ifrah. Mit ihrer Gruppe sprach Jerhyn nur zuerst, weil sie am meisten über die Gegner erfahren hatten.
„Krieger und Reisende“, begann der Fürst. „Viele von euch sind aus Ländern weit abseits dieses Weltteils gekommen. Ihr genießt das Gastrecht meiner Stadt.
Ich als ihr Souverän wünschte, es wäre zu anderen Tagen.“ Er atmete einmal mühsam. Seine Worte wurden von einem Ausrufer schreiend und fehlerlos ins Sandhaîn übersetzt, während der Fürst sich klugerweise durch den Gebrauch des Djaddh vornehmlich an die Menschen der Wüste wandte, die bereits den Zustrom und die beunruhigende Anwesenheit so vieler Fremder dulden mussten. Ringsum war es still.
„Nun aber wissen wir durch eine kleine Gruppe knapp dem Tode entronnener Kämpfer, woher das Übel stammt, das Leib und Seele unseres Landes schon seit längerer Zeit verdunkelt. Nun hat es sich gezeigt, und die Vorahnungen erfüllen sich. Krieg ist nah.“
Jerhyn machte eine Pause. Auch wenn es für ihn nicht möglich war, in der Menge sehr viele einzelne Gesichter zu erkennen, schien es, als blicke er Ausgewählte an. Ausgewählte, stellvertretend für die Völker, die Lut Gholein umlagerten.
Er ist krank, aber er ist gewachsen. Ifrahs Herz, das nie leidenschaftlich mit dem mächtigsten Mann ihrer Heimat oder der Art seines Hauses, ihre Geschicke zu lenken, gefühlt hatte, schlug ihm plötzlich entgegen. Diesmal verbirgt er sich nicht in seinem kühlen, bequemen Palast. Vielleicht weiß er, dass sein Ende nicht mehr lange auf sich warten lässt. Es gab mehr als einen Mann, der erst mit dem Rücken zur Wand größten Mut und größte Tatkraft erlangt hatte.
„Aus dem Westen wird ein Heer kommen“, fuhr Jerhyn fort. „Kein Heer von dieser Welt.
Sein Kommen wurde uns verkündet, und nun nehmen wir es auch selbst wahr – noch rechtzeitig, so die Gestirne es wollen.“ Eine Bewegung lief wispernd durch die Menge, Atem einer erschauernden Anspannung. „Spätestens morgen früh, wenn unsere Ahnungen uns nicht narren, wird dieses Heer die Hänge dort herunterkommen.
Lut Gholein wird sich verteidigen. Alle Männer werden gegen den neuen Feind unserer Welt ausziehen.“
Die Worte fielen langsam, wie schwere, dunkle Tropfen, in die frühe Stunde.
„Kein Mensch, der kluge Augen besitzt“, sprach der Fürst „kann sich noch darüber irren, dass diese Bedrohung nicht allein gegen unsere Mauern anrennen wird. Das Schicksal hat entschieden, dass wir die Ersten sind. Nun“, die füllige Gestalt straffte sich ein Weniges, und Ifrah, die nah genug dabeistand, sah ein Lächeln auf dem blassen Gesicht mit dem gepflegten Bart „gegen das Schicksal soll kein Sterblicher sich auflehnen. Er soll es nicht beklagen, sondern tun, was sein Herz ihm gebietet.
Wir werden kämpfen!“
Bijalil-sa hamma! Wir werden kämpfen.
Der Fürst sagte es in der Sprache der Wüste. Der Ausrufer schrie es in Sandhaîn.
Von den Kriegern des Ehrengeleits lauter, von den Menschen ringsum nur wenig gedämpfter, brach ein Ruf der Zustimmung auf.
Jerhyn nahm ihn an: Fürstlich, gelassen, durch und durch Herrscher. Doch dann fuhr er fort: „Indes seid ihr, die ihr von weither kommt, nicht Soldaten noch Söldner, und es befinden sich auch Frauen, Kinder und Alte unter den Scharen, die Lut Gholein aufgesucht haben – oft genug nur Flüchtlinge, die Kunde von Unruhen aus anderen Weltteilen brachten.
Wie bereits mehrmals seit einem Tag“, er hob die Stimme, die ob der Anstrengung leise zu zittern begann „ergeht die Botschaft meines Hauses an alle, die weder kämpfen können noch wollen. Sie sollen sich zurückziehen, solange es noch möglich ist.
Im Hafen liegen Schiffe. In den Karawanenhöfen warten schnelle Lasttiere. Beide können die Verwundbarsten aufs Meer hinaus oder die Küste hinunterbringen, wo sie ausharren mögen. Dort werden sie wenigstens außerhalb der Mauern sein, die, so Badr es will, den Sturm vielleicht überstehen, sicher aber bald hart bedrängt sein werden.“
Unwillkürlich blickte Ifrah an dieser Stelle zu Marej.
Klein, obwohl sie keine kleine Frau war, stand die junge Druidin neben ihrem Gefährten. Das Paar wechselte einen Blick. Urel nickte gebieterisch und mit selten weichen Augen, Marej schüttelte bittend den Kopf.
„Alle jedoch, die sich zum Kämpfen entschlossen haben“, zog Jerhyn die Aufmerksamkeit der Magierin wieder auf sich, „mögen sich ausstatten und vorbereiten. Tue es jeder mit Bedacht.
Der Feind, so hören wir, ist furchtbar. Er gebietet über unbekannte Zahl und Stärke, er beherrscht das Feuer und, Badr sei uns gnädig, eine dunkle Art von Magie. Unsere Unwissenheit darf uns nicht töricht machen. In der Stadt steht alles bereit, was an Ausrüstung und Waren zu finden ist. Seit gestern wird es verteilt: Rüstungen, Schilde, Waffen. So Lut Gholein es geben kann, schenkt es allen Kriegern das, was sie stärker macht.“
Es mochte die Angst vor einer schnell betrogenen Hoffnung sein, die Jerhyns Worten eine sonderbare Tonlosigkeit verlieh, doch vielleicht auch das Bewusstsein, dass nie zuvor eine Stadt für Fremde getan hatte, was Lut Gholein jetzt tat.
Der Reichtum meiner Heimat, dachte die Magierin betäubt, verwandelt sich in ihren eigenen Ausverkauf. Um zu überleben. Keine Siedlung hat je vollkommen Fremden dasselbe gewährt wie ihren eigenen Kriegern.
Auch die Barbaren schienen das so aufzufassen. Hier und da sah man einen der Hünen, wenn auch stolz und ohne das Gesicht zu verziehen, wohlwollend nicken.
„Als Gegenleistung“, sprach Jerhyn „bittet Lut Gholein seine Gäste um ein einziges Ding. Es ist nicht euer Mut, denn diesen haben alle, die hier ausharren, bereits bewiesen. Euer Wissen ist es.
Jeder Krieger, der Kenntnisse hat, die sich für eine belagerte Stadt als wertvoll erweisen können, möge sie mit allen Menschen hier teilen. Während ich zu euch spreche, bauen die Einwohner an Verteidigungsanlagen. Jede helfende Hand, jeder Vorschlag zu einer Heeresordnung, die die hier versammelten Kräfte vereinigt, wird dazu beitragen, dass wir den morgigen Abend vielleicht noch erleben.
Wer kann, gehe hin und tue, was er vermag. Mein Dank ist ihm gewiss.“
Auf ein unsichtbares Zeichen hob sich die Sänfte wieder. Die Geleitwache richtete ihre Lanzen auf. Jerhyn wünschte, weiterzuziehen.
In diesem Augenblick, während unter der Menge schon leises Gemurmel anhob, trat Urel vor.
Allein, mitten hinein in den freien Raum zwischen dem fürstlichen Zug und den Reihen der Zuhörer, ging er, drei, vier Schritte auf die Sänfte zu, die sich schon fortzudrehen begann.
„Fürst Jerhyn“, rief er den Herrscher Lut Gholeins an.
Das Gemurmel erstarb in Wellen.
Schwankend verhielt die Sänfte. Ifrah vergaß zu atmen.
„Es gibt ein Wissen, das wir haben, das bisher nicht erwähnt wurde.“ Der junge Barbar stand hochaufgerichtet, das riesige Schwert vor sich hingestellt, die wuchtige Hand darauf und den verstümmelten Arm unverdeckt von der Pavese an der Seite hängend.
Einer der Berater des Fürsten machte Anstalten, ihn wegen seines unerbötigen Verhaltens zurechtzuweisen, fuhr unter einer knappen Geste aus der Sänfte jedoch zurück.
„Sprich“, sagte Jerhyn. „Ich weiß, dass die Kunde deiner Gruppe wichtig sein muss.“
„Sie ist es“, antwortete Urel.
Aus der Verdrängung einer unruhigen Nacht, der Verteidigung einer erschöpften Seele, überfiel Ifrah die Erinnerung, als würden alle anderen dringlichen Angelegenheiten wie Schleier fortgerissen. Die Säbelkatzen. Zugleich verstand sie, dass Urel dem Botschafter des Fürsten, der nachts im Lager gewesen war, über diesen Teil ihres Erkundungszuges nichts gesagt hatte. Jerhyn allein war es, dem sie sich damit nähern konnten. Nun hatte ein Gang in den Palast sich von allein erledigt.
Hier und jetzt. Hunderte von Menschen würden es gleichzeitig erfahren.
Mit Ifrah spannten sich die anderen Gefährten. Ihre Gesichter waren außerhalb ihres Blickfelds, doch sie spürte es. Hadan, Eya, Menrad, die zwei Barbaren, sie lauschten, und wie sie selbst taten sie es nicht ohne zweifelnde Sorge.
Ihr Bericht war ein Bruch mit der Vergangenheit dieses Landes. Und Urel war kein großer Redner. Zudem drängte ihn die Eile.
„Es mag aus der Wüste“, begann der junge Barbar mit fest auf den Fürsten gerichtetem Blick „noch ein Heer kommen. Bei diesem aber müssen wir hoffen, dass es kommt.
Denn es wird zugleich ein neuer Verbündeter sein und der letzte, der uns noch erreicht.“ Das aufkommende Erstaunen der Menge hob sich über die Köpfe wie ein einziges, blinzelndes Auge. „Bei meinen Vorvätern schwöre ich, dass ich die Wahrheit spreche. Es wird ein Heer jener Geschöpfe sein, die seit Alters her tief in der Wüste leben und die das Volk hier Säbelkatzen nennt.“
Für ungewisse Augenblicke blieb es geisterhaft still.
Dann stieß einer der Berater Jerhyns heiser hervor: „Du lügst, Nordländer! Was ist das für ein Gefasel?“ Mehrere der Wachen und, wie Ifrah besorgt bemerkte, auch einige Nomaden zogen langsam ihre Waffen.
„Halt!“ Jerhyns Stimme schallte rau über den beginnenden Aufruhr. „Halt“, wiederholte er dann ruhiger in das Stocken der Menge, doch als er weitersprach, tat er es finster und stirnrunzelnd: „Ich will alles hören, was du zu sagen hast, Barbar. Aber vergiss nicht, welchen verruchten Namen du eben in den Mund nahmst.“
Urel hatte sich keinen Fingerbreit gerührt. Die Entgeisterung der Wüstenmenschen schien ihn seltsamerweise eher zu befriedigen als zu hindern. „Wiederum: Ich und meine Gefährten stehen mit allem, was uns heilig ist, für die Wahrheit dieser Worte ein.“ Sein Tonfall veränderte sich nur sacht, leise gefährlich. „Niemand bezichtigt einen Barbaren ungestraft der Lüge, und zu anderen Zeiten würde mein Schwert deinen Berater dies lehren, Fürst Jerhyn.
Zu anderen Zeiten hat das Volk der Säbelkatzen die Menschen bekämpft. Niemand weiß dies besser als wir. Aber es hat den Bann des alten Bösen längst abgeworfen. Es nahm uns in seine Heimstatt“, er zögerte kurz „nahe der Magiertäler mit, ohne uns ein Leid zu tun. Es zeigte uns den Ort, von dem aus der Feind in unsere Welt kommt: Das Tor. Dein Berater, hoher Fürst, hat dir in der Nacht unserer Rückkehr bereits davon berichtet. Aber es war nicht unser Verdienst allein, dass wir es sehen konnten, und auch nicht, dass uns die Flucht hierher gelang.“
Wiederum lastete Schweigen im Lager. Nur vereinzelt wurde gemurmelt. Ifrah jedoch sah, dass Jerhyn dieses Schweigen beherrschte, und er wog ab.
„Es bleibt etwas, das schwer zu glauben ist“, entgegnete der Fürst dann. „Ich werde es erst glauben, wenn ich mit eigenen Augen sehe, dass sich unsere alten Widersacher, die aus der Wüste lange eine Region der Furcht gemacht haben, der Stadt ohne ein Anzeichen der Drohung und des schlechten Willens nähern.“
„Wenn sie kommen, wird es so sein“, sagte Urel. „Und für sie wird es ein größeres Wagnis sein als für Lut Gholein. Denn ihre Heimstatt wurde überrannt, und wenn sie nicht alle getötet wurden, liegt am Ende eines gefährlichen Marsches eine hohe Mauer und ein Menschenheer, das ihre Zahl übertrifft.“ Zum ersten Mal seit Beginn der angespannten Unterredung senkte er das Haupt leicht vor der Sänfte. „Vertraust du unseren Worten, Fürst, so lasse anordnen, dass man sie nicht angreift und sie stattdessen vorsichtig erwartet.“
Er versteht sich nicht auf Höflichkeiten. Ifrah lockerte ihre Muskeln. Doch wenn sich Jerhyn an die Verdienste der alten Gruppe erinnert, wird er vielleicht einsichtig sein. Er muss einsichtig sein.
Lut Gholein wurde damit viel abverlangt, zweifellos. Die Menschen wurden ohne Vorbereitung und ohne die Erlebnisse der Gefährten geteilt zu haben, mit der Forderung überfallen, Wesen zu vertrauen, die noch bis zum heutigen Tag die Alpträume der Reisenden bevölkerten.
„Wohlan“, kam es langsam und heiser von der Sänfte. Hunderte horchten hin. „Wir werden sehen. Sollte sich als falsch oder verräterisch erweisen, was hier geschieht“, der Fürst sagte es ohne Feindseligkeit „so steht ihr mit eurem Leben dafür ein – ganz gleich, was ihr zuvor für diese Stadt getan habt.“
Niemand rückte von den Gefährten ab und es brach auch kein neuer Aufruhr los. Das Wort Jerhyns galt viel. Aber sie standen mit einem Mal wie abgesondert da, zahllosen Blicken des Misstrauens ausgesetzt.
Urel nickte schweigend.
Jerhyn sah den Barbaren und seine Vertrauten lange und ernst an. Dann winkte er. Die Sänfte wandte sich endgültig um und trat ihren Weg zum nächsten Lager an.
Hinter dem Zug schloss sich die Menge, zauderte noch eine Weile, redend, kopfschüttelnd, und begann sich dann zu Ifrahs Erleichterung zu zerstreuen. Mehrere Nomaden streckten den Gefährten die Finger in Gesten entgegen, die ein böses Schicksal bannen sollten, doch sie taten es mehr mit Verwirrung als mit Abscheu in den Augen und tauchten schließlich in den Menschenmassen unter.
Reglos sah Urel der fortschwankenden Sänfte noch eine Weile nach. Als er sich umwandte, erwarteten ihn die Gefährten bereits.
„Das war nicht ungefährlich“, ergriff Menrad als Erster das Wort. Dem sonnenverbrannten Gesicht des Paladins war die nachlassende Anspannung deutlich anzumerken.
„Es war notwendig.“ Urel verschränkte beide Arme.
Er war sich der Gefahr bewusst gewesen, sah Ifrah ihm an, doch mangels einer besseren Gelegenheit hatte er die Flucht nach vorn angetreten, nein – sie betrachtete sein breites, entschlossenes Antlitz – hatte sogar aufrecht für die ungewöhnlichen Pfade ihrer Gruppe eingestanden.
Auch Hadan schien mit der raschen, gedrängten Enthüllung ihrer Verbündeten einverstanden. „Dann lasst uns nun hoffen“, sagte der Nekromant „dass die Leute hier nicht in Panik ausbrechen, sobald sie der heimlichen Wächter ansichtig werden.“
„Wenn sie tatsächlich kommen“, warf Bostac ein.
„Ja, wenn.“ Hadan schaute nach Westen, wo auf den Hügeln jenseits der kleinen Ebene gerade noch die Gestalten der Wachen sichtbar waren.
Schweigen senkte sich über ihren Kreis. Jeden versetzte seine Erinnerung in die letzten, kopflosen Stunden im Tal der Magier zurück.
Schwarze Angst. Ifrah erschauerte. Um niemandem ihre Furcht zeigen zu müssen, floh sie sich in den geschäftigen Tagesanbruch zurück. „Was sollen wir nun tun? Wie können wir uns vorbereiten?“
„Das Heer steht“, sagte Urel. Seinen Helm, den großen, grauen Kopfschutz mit den getriebenen Flügeln, trug er noch am Gürtel, doch auch ohne ihn war er in seiner gewaltigen Rüstung jeden Zoll breit Kriegsherr. Und ein Kämpfer, der dem Beginn der Schlacht entgegenfiebert. Ifrah konnte die Augen kaum von ihm wenden.
Der Anblick erfüllte sie nicht mit Stolz oder Zuversicht. Er erfüllte sie mit Sorge.
„Einige Männer sind in der Stadt“, fuhr der Barbar fort. „Sie wenden sich an die Aufseher Jerhyns. Wo wir gebraucht werden, werden wir sein.“
Hadan, auf den Ifrah kurz nicht geachtet hatte, kam von einer offensichtlichen, knappen Unterredung mit einem fremden Mann zurück, der jetzt weitereilte. Die Magierin erkannte in ihm einen einfachen Bewohner der Stadt, vielleicht abgestellt für Botengänge. Wehenden Gewandes tauchte er in den Lagern unter.
„Zwei neue Schiffe sind eingetroffen“, meldete der Nekromant. „Aus Pundar. Sie haben schätzungsweise zweihundert Bewaffnete an Bord, doch nicht nur. Ich werde gebraucht.“
Nicht nur Bewaffnete?
Ifrah sah ihren alten Wegbegleiter an.
Bevor sie es denken konnte, sprach Eya es leise aus: „Nekromanten?“ Die Assassine stand leidlich straff, das verwundete Bein geringer belastend, und ihre großen schwarzen Augen drückten eine Angst aus, die an älteren Dingen empor kriecht, deren Zusammenhänge noch nicht feststehen.
Hadans Nicken war beinahe überflüssig.
Nekromanten. Ifrah atmete stockend ein.Der Osten kommt. Aber so schnell? Ihre Augen glitten rätselnd über das strenge, weiße Gesicht neben, über ihr. War es das, was er durch seine Meditationen bewirkt hat? Hat er sie gerufen?
„Um so besser“, brummte Urel. „Jerhyn wird sich fragen, wie er die Ankömmlinge versorgen und unterbringen soll, aber er wird froh um jede Verstärkung sein. So wie ich.“ Damit ging der Barbar, von Bostac und Herlac begleitet, davon. Alle Männer, die bereits ausreichend unterrichtet waren, würden sich der Stadt als Arbeitskräfte anbieten, sofern sie es mit ihrem Kriegerstolz vereinbaren konnten.
In den Kreis kam Bewegung. Menrad kündigte an, sich die Verteidigungsanlagen ansehen zu wollen, der Bitte des Fürsten eingedenk, jeder, der etwas vom Krieg verstand, möge sein Wissen einbringen, wo er konnte.
Hadan ordnete seinen Mantel. „Ich gehe ebenfalls – zum Hafen. Eya?“ Die Assassine nickte.
So verließen sie das Lager, und Ifrah begleitete ihre Gefährten. Als sie sich den weißen Mauern näherten, sog sie die Luft angestrengt ein. In der Stadt würde ein noch dichteres und hitzigeres Gedränge herrschen. Erreichten die Säbelkatzen Lut Gholein an diesem Tag, würden die Ausrufer es alle Menschen wissen lassen.
Die Verbündeten sammeln sich. Badr, lass sie zu einem Heer werden, das jenseits aller Fremdheit stark genug ist, um Lut Gholein zu verteidigen.
Nomaden, hoch beladene Einwohner, Soldaten bevölkerten den Platz vor dem großen Haupttor. Eigenartig verwundbar stand es noch weit offen. Barbaren schritten umher. Sogar zwei Druiden stachen aus dem Getümmel, Weitgereiste, freiwillig und seltsam inmitten der Dichte und den Dünsten des nahen Häusermeers.
Lut Gholein, schöne Gespielin der Wüste, was ist aus dir geworden? Aufgeschreckt und benommen fiel die Stadt aus dem langen Mittagsschlaf ihres reichen, handelnden Daseins und landete auf Knien im Staub einer ungewissen Zukunft. Die hastig verstärkten Bollwerke waren nur das Gewand eines eben Erwachten, der es fröstelnd um sich zusammenzog.




Am Hafen lagen die Segler aus Pundar wie übergroße Fremdkörper unter den westlichen Schiffen. Mit ihren roten Segeln und dunklen Bäuchen ähnelten sie den Dschunken, die Menrad allerorts an der Küste des anderen Kontinents gesehen hatte.
Als die vier Gefährten sich endlich bis zu den Molen durchgekämpft hatten – die Stadt barst nahezu vor herrisch einhergehenden Palastsoldaten, wimmelndem Volk und Steine und Lehmziegel schleppenden, schwitzenden Arbeitern – waren bereits zahlreiche Laufplanken heruntergelassen.
Pundar betrat die Wüstenstadt. In ihr vertrautes Blutrot gekleidete Krieger standen unter der Morgensonne, fast bewegungslos, denn es fehlte an Platz, und sie würden warten müssen, um in die Gassen oder zum Palast vordringen zu können. Doch die speertragenden Männer waren nicht die einzige menschliche Fracht der Schiffe gewesen.
In ihrer vielleicht zweihundert Köpfe zählenden Menge bargen sich andere Gestalten: Hager, ungerührt halbnackt trotz der sengenden Sonne, einige mit gelb und weiß bemalten Gesichtspartien und langen, verfilzten Bärten, manche mit Turbanen, andere mit offen getragenem, ölig glänzendem, tiefschwarzem Haar und den umschatteten, übergroßen Augen ihrer Heimat. Zwei oder drei der seltsamen Männer sangen. Fremd und monoton stiegen ihre Stimmen über den Hafenlärm auf.
Lut Gholein starrte, wenn es dazu Gelegenheit hatte, mit Misstrauen und Neugier, teils auch mit fast abergläubischer Furcht auf die seltsame Gesandtschaft der fernen, hier fast gänzlich vergessenen Kultur, die nun wieder ins Bewusstsein der Welt rückte.
Eilig trat ein Berater des Fürsten auf die Anführer aus Pundar zu.
Während er und sie sich in die schwierigen Gespräche über die Lage Lut Gholeins verwickelten und Floskeln austauschten, bahnten sich die Gefährten einen Weg durch das Gedränge. Hadan führte sie an, und wie zumeist verscheuchte die ehrfurchtgebietende Gestalt des Albinos Müßiggänger und Umherstehende.
Menrad hatte bei den Mauern nah des Haupttors bleiben wollen, wo er sich rasch mit einem dortigen Aufseher bekannt gemacht hatte. Doch es zog ihn an, das Eintreffen Pundars zu sehen, und er wollte sich vergewissern, dass Hadan Männer seiner obskuren Klasse tatsächlich in die Verteidigung einpassen konnte.
In Pundar waren dem Paladin die nekromantischen Asketen zuletzt nicht mehr aufgefallen, denn die von Wald und Abgeschiedenheit halb geschluckte Stadt war deren eigenster und heiligster Ort. Hier aber wirkten sie auf sagenhafte Weise fremd.
„Mein Fürst dankt euch für euer Kommen“, sagte der Berater aus dem Palast eben, als die vier Gefährten hinzutraten. „Eine günstige Fügung hat euch gesandt, so scheint es.“ Der Mann musste improvisieren. Er war nicht zu beneiden. An ihm und anderen Ausrufern und Befehlshabern hing letztlich, ob die Zusammenführung der jetzt in Lut Gholein lagernden Volksgruppen gelang, die sich oft genug nie zuvor gesehen hatten und teils nicht einmal verständigen konnten. „Ihr werdet einen Platz erhalten, sobald es geht. Niemand wusste von eurem Kommen, auch wenn es uns erfreut und Badr euch dafür mit allen Reichtümern unserer Hei-„
„Wir kamen nicht ungerufen“, unterbrach ihn ein Pundarkrieger, ein hochgewachsener, knochiger Haudegen mit strahlend weißem Gebiss und wildem Bart. Die Gemeinsame Sprache dehnte und verwischte sich unter seiner Zunge. „Aber sei bedankt, Gesandter deines Herrschers, und überbringe ihm die Grüße unseres Fürsten.“
Der Palastbeauftragte stutzte. Doch während er noch zwischen Verwirrung und der naheliegenden Vermutung zauderte, letzte Handelsschiffe hätten dem Osten Nachrichten von bedrohlich wachsenden Unruhen gebracht, sprangen die Augen des Pundarkriegers rasch und zielsicher, wie Menrad bemerkte, zu den Gefährten. Zu Hadan. Neben dem Krieger stand ein knorriger, nur mit einem Schurz und einem Turban bekleideter, weißhaariger Alter. Bloße Füße ruhten auf den Bohlen der Mole.
Der Paladin wusste – nicht der Sprecher war die Verbindung zu Hadan. Der Asket war es.
Hadan ließ die Gefährten stehen und trat vor. Verdutzt sah der Palastbeauftragte zu dem großen Nekromanten, doch das Gesicht des Pundaranführers leuchtete erkennend und zufrieden auf, und der knorrige Alte stützte sich mit sprechenden Augen auf seinen mannslangen Stab.
Als Hadan sich auf ein Knie herunterbeugte, hörte Menrad den Alten erstmals etwas sagen.
„Ah, Sakudrah. Nâkyshat.“ Die Ehrbezeugung, die auf der Mole alle Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde gütig entgegengenommen. „Du wurdest gehört. Hier sind wir.“
Menrad wechselte einen sprachlosen Blick mit Ifrah.
Ich will verdammt sein – über welche Fähigkeiten verfügen diese Leute?
Auch Hadan wirkte zufrieden, doch dem Paladin war nicht entgangen, dass er andere Männer aus dem Trupp der Nekromanten mit Ernst, ja mit Abneigung angesehen hatte, kurz vor seinem Kniefall. Sind auch solche seiner Klasse unter ihnen, die ihm nicht passen? Seine Unwissenheit verfluchend, verfolgte er die eigenartige Begegnung weiter.
Hadan erhob sich. Wenige Worte in Jabrah wurden noch zwischen ihm und dem Alten ausgetauscht, dann wechselte ihr Gefährte wieder ins Sandhaîn über. „Der Krieg steht bereits dicht vor den Toren“, sagte er, diesmal an den Pundarkrieger gerichtet. „Überall in der Stadt werdet ihr Berater des Palastes antreffen. Sie verwalten die Unterbringung und Einweisung der Ankömmlinge.“ Sein Ton war höflich, aber knapp. „Im Namen des hiesigen Volkes bitte ich Pundar: Folgt ihren Anordnungen. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Später werde ich euch alles mitteilen, was mitgeteilt werden muss.“
„Du solltest vorerst in meiner Nähe bleiben, Nâkyshat“, entgegnete der Pundarkrieger. „Ich weiß, dass du weitere Gefährten und weitere Verantwortung hast. Sobald wir über die Lage ins Bild gesetzt sind, kannst du zu ihnen zurückkehren.“
Es war zweifellos eine Art Befehl, sei es aus dem Munde des hier vereinigt auftretenden Pundar, sei es auch von Seiten der Asketen, und Hadan widersetzte sich nicht. „Sofort“, antwortete er.
Dann, während die Schiffe über ihre Laufplanken weitere Rotgewandete entluden und die unter ihnen umherstehenden Nekromanten den Ort der Ankunft mit Rauch und dünnem Gesang zu segnen schienen, kehrte er kurz zu den drei Anderen zurück.
„Gut“, sagte er grimmig. „Der Osten entsendet, wen er entbehren kann.“ Er wandte den Kopf nach den entfernt stehenden Menschen, und wieder kam es Menrad so vor, als bereite dem Nekromanten trotz seiner Zufriedenheit etwas Sorge.
Auch Ifrah hatte den seltsamen Ton, der mehr in Hadans Blick als in seiner Stimme mitschwang, aufgefasst und fragte leise und zurückhaltend: „Sind auch Männer darunter, die du nicht gern hier siehst?“ Sie hielt kurz inne. „Du sagtest doch: Der Osten ist gekommen, und offenbar auch in vielen... verschiedenen Gestalten deiner Klasse. Ist das nicht gut?“
Hadan sah die Magierin an, und zuerst wirkte es, als wolle er Bedenken überspielen. „Nein, das ist nicht unbedingt gut, Ifrah“, entgegnete er dann gedämpft. „Aber sie sind da, und ich bin in gewisser Weise ihr Mittelsmann hier.“ Er streifte die Schulter der Assassine mit der Rechten und blickte in die Runde. „Entschuldigt mich also bitte für eine Weile. Ich werde zum Lager zurückkehren oder euch in der Stadt treffen, sobald ich kann.“
Die Gefährten nickten schweigend.
Während Hadan zu den Angekommenen zurückging, trennten sie sich. Menrad verließ die beiden Frauen, die angaben, sich auf den Märkten umsehen und, wenn möglich, Erkundigungen über Zahl, Stärke und Position der vereinigten Verbände einholen zu wollen.
Er selbst schritt in hundert Gedanken durch die völlig überfüllten Gassen, Menschen ausweichend, Buden und Ziegelsammlungen umgehend. Doch als er zur Stadtmauer kam, hatte sich das Gemenge von Eindrücken nicht gelichtet.
Es waren zu viele dicht nebeneinander stehende Dinge, die sich rings um die Gruppe der alten Gefährten auftürmten: Ihre gemeinsame Erinnerung an die heimlichen Wächter, das Barbarenheer und seine Aufgabe weitab des Nordens, Hadans Handlungen und seine stets aufs Neue verstörenden und heimlichen Wege.
„Paladin!“ Eine Stimme, die ihn lebhaft anrief, riss Menrad aus der ergebnislosen Grübelei.
Ein Stück über ihm, halb auf einer Wehrtreppe, halb auf einem inneren Wall, stand der Aufseher, dem er sich zuvor schon als Westmarschener Soldat vorgestellt hatte. Der Andere hieß Husam und war ein flinker, kräftiger Kerl, zu jung eigentlich für seinen Posten, aber umsichtig und frei von dem Misstrauen, das dem Lichtkrieger hier häufig entgegengebracht wurde.
„Komm herauf!“ Husam winkte ihn auf die einfache, schmale Treppe. Sie verbreiterte sich an ihrem oberen Ende auf den fast drei Schritte tiefen Wall hinaus. Überall gingen Wachen herum. Unermüdlich nahmen Arbeiter Verbesserungen vor.
Menrad erklomm die Stufen, und es war, als steige er aus dem Brodem und dem Lärm der Stadt empor. Von hier oben sah er das Gedränge, verzweifelt und lebendig, und auf der anderen Seite der Mauer erstmals die Ebene, die Menschen und die Lager vor der Stadt in ihrer Gänze.
Krachend sanken die Hütten außerhalb der Mauern in sich zusammen – Jerhyn hatte also klugerweise angeordnet, sie abreißen zu lassen, um freien und dem Feind keine mögliche Deckung bietenden Raum vor der Stadt zu schaffen. In der Ebene sanken auch die Zelte, mehr und mehr, zusammengefaltet und von ihren Besitzern auf Maultier- und Kamelrücken gebunden. Ziegenherden und Gruppen von Händlern zogen ab, weit an die Küstenlinie heran, wo der letzte Ort jenseits der Schlacht liegen würde.
Das Blau, Schwarz und Weiß der Burnusse zeigte die Nomaden an, das Rot und Silber die Soldaten, die die Mauern abschritten, von schreienden Anführern geleitet, das Kupfer und matte Eisenschimmern die Barbarenkrieger, mittlerweile ausnahmslos in voller Rüstung.
Frischer Wind fuhr dem Paladin heiß durchs Haar. Die Sonne brannte nur sacht auf seinem immer noch rauen Gesicht.
Als er den Kopf wandte, schaute Husam, der junge Lut Gholeiner, ihn an. Es war etwas zwischen Sorge und Beflissenheit in seinen Augen und seinem bartlosen, gutgeschnittenen Gesicht, doch auch etwas wie Stolz.
„Sieh, Paladin, wir haben die Mauern hier vorn verstärken lassen“, wies er auf die schwitzenden Arbeiter. „Zusätzlich zu den zwei großen Katapulten haben wir vier weitere errichtet. Würdest du sie begutachten?“
„Gewiss“, beeilte Menrad sich, den seltsamen Anblick der Völkerscharen abzuschütteln. Es gelang ihm nicht ganz. Husam wusste nichts von dem Schrecken und der Macht der Dämonen. „Doch es mag sein, dass wir in meiner Heimat andere Aufbauten verwenden. Vielleicht bin ich keine große Hilfe.“
„So verschieden ist unsere Heimat nun auch wieder nicht“, gab der Andere zurück. Anstatt Menrad sofort zu den Stellen zu führen, an denen die Holzkatapulte wie Ankerspitzen über die Mauern gegen die offene Wüste ragten, holte er tief Luft und fügte hinzu: „Ist diese Stimmung nicht sonderbar? Man fühlt die Angst, aber auch die feste Hand des Schicksals. Lut Gholein hat sich zu lange dem trägen Leben des Handels gewidmet. Du wirst aber hören, dass unsere Musik – lausche –„ , von unterhalb der Mauer klang das eigentümlich gedehnte Wirbeln einer Trommel herauf, vermischt mit dem wilden und doch gebändigten Gesang einer Männerstimme „auch eine Musik für den Kampf sein kann.“
Menrad hörte es.
„Der letzte Morgen“, sagte Husam leidenschaftlich. „Gebe Badr, dass es der Morgen einer neuen Zeit ist.“
Du ahnst ja nichts, Junge. Der Paladin betrachtete den Mann, der neben ihm an der Brüstung des Walls stand. Morgen können wir alle schon tot sein. Immer noch schaute die entsetzlich weite, sonnendurchglühte Wüste in sein Inneres.
Letzten Endes aber, er wusste und spürte es ja selbst, blieb ihnen wenig außer Mut und Entschlossenheit, wenig außer der Beschwörung des Vertrauten und der Hoffnung auf einen neuen Tag. Und er wagte es nicht, die Zuversicht des Lut Gholeiners zu zerstören. So folgte er Husams Blick über die Verteidigungsanlagen und die aberhundert Köpfe und entgegnete: „Ja, gebe das Schicksal, dass diesem Morgen ein weiterer und besserer folgt.“
 
Hi,
Deine Story ist einfach der Wahnsinn. Während der Rundgänge in den Lagern und am Kai haben weder Ungereimtheiten noch Fehler den Lesefluss gestört. Einzig als der Blick von den Befestigungsanlagen durch das Ende des Textes unterbrochen wurde, konnte ich mich eines herben Unwillens nicht erwehren.

Gruß

Shidarr
 
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