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[Story] Saqqara

Ein ruhiges Kapitel - die Ruhe vor dem Sturm - und so drückend wie die schwüle Luft vor dem erlösenden Gewitter.
Doch so manches Gewitter bringt nicht die ersehnte Abkühlung, sondern Zerstörung.
Gezielt und langsam, Satz für Satz stellen sich meine Nackenhaare auf und ich fürchte mich beinahe ebenso vor der Schlacht, wie die Gefährten vor den Toren Lut Gholeins.

Ein buntes Mischmasch an Völkern stellst du für die alles entscheidene Schlacht auf. Druiden, Barbaren, Nekromanten, Wüstenkrieger, Säbelkatzen... wenn jetzt auch noch Eyas alter Orden... nur so zur Versöhnung... nein, nein so einen Kitsch packst du nicht aus... :D


:hy: Insidias
 
Noch sind die Säbelkatzen nicht da … aber ich hoffe sehr, sie kommen noch. Was war das für ein Wesen, das eine Verkündung getan hat? Besteht Hoffnung, daß auch die Oberen der Paladine aufgefordert wurden, sich dem letzten Heer anzuschließen? Wann erhalten wir Antwort??
 
Lanx schrieb:
Was war das für ein Wesen, das eine Verkündung getan hat?

Der Engel in der Westmarsch aus dem Kapitel 'Die Offenbarung'.


@Insidias: Kitsch versuche ich großräumig zu umschiffen :D
Die Viz-Jaq'Taar hätten ja auch garkeinen Grund (zumindest nicht bis jetzt), sich in den Krieg zu wagen.
 
Reeba schrieb:
Der Engel in der Westmarsch aus dem Kapitel 'Die Offenbarung'.

Dann ist es sehr interessant, auf welchem Wege die Worte des Engels an die Ohren der Druiden gelangt ist (und zerstört meine Hoffnung, daß die Kriegsherren der Paladine zur Vernunft kommen und das Heer in Lut Golein mit Truppen unterstützen). Eine schnelle Antwort, aber natürlich kann nur ein neues Kapitel unsere Neugier wirklich umfassend befriedrigen (*hint, hint*) … ;)
 
Lanx schrieb:
Dann ist es sehr interessant, auf welchem Wege die Worte des Engels an die Ohren der Druiden gelangt ist (...) Eine schnelle Antwort, aber natürlich kann nur ein neues Kapitel unsere Neugier wirklich umfassend befriedrigen (*hint, hint*) … ;)

a) - > „Weiter südlich hörten wir dann von Männern des Kupferclans, in den großen Ebenen habe sich ein Wesen gezeigt, das eine Verkündung tat. [...]"
b) ich eile, ich eile :D
 
danke.
wieder eine weile mit gespanntem lesen verbracht. mir fallen bald keine neuen formulierungen mehr ein um meiner begeisterung ausdruck zu verleihen. ich bitte hiermit um eine unterweisung in der von dir so gut beherrschten kunst der verbindung einzelner worte zu solch epischen werken.

Gruß, Helldog
 
Reeba...

Wenn du mal Geld brauchst, schreib nen Buch!

Is echt so :P
Hast Talent :)
 
Danke, !tSy :)




*********







XLVII. Verbündete




Neben der Bretterwand eines Standes, an dem zwei Männer Leinen und Seide verkauften, drückte sich Eya in den Halbschatten und hob noch einmal kurz die Hand.
Ifrah winkte lächelnd zurück. Dann tauchte die goldgepanzerte Gestalt im Menschenstrom unter, der die Straße längs des großen Marktes füllte. Als sie verschwunden war, atmete die Assassine auf.
Unter einem Vorwand hatte sie sich von Ifrah getrennt, die nach Heiltränken suchen wollte. Schuldbewusst überdachte sie die Lüge, ihr Bein zwinge sie, baldmöglichst zum Lager zurückzukehren.
Als die Händler sie ansprachen und rasch entdeckten, dass sie nicht der Stoffe wegen an der Bude stehen geblieben war, löste sich Eya zögernd aus dem leidlich kühleren Schattenfleck. Halb widerstrebend, halb eilig schlüpfte sie zwischen die Menschen. Die Sonne stach. Wie ein Zwinger, wie ein überfüllter Hof eines Gassenviertels brütete die Stadt in der Hitze.
Die Wachen auf den entfernten Mauern mochten noch gelegentlich frischeren Wind spüren, hier unten aber atmete Lut Gholein den Dunst seiner Überbevölkerung aus allen Winkeln. Die Assassine ließ sich durch den Gestank schieben. Ihr ganzes Wesen schrak vor der Enge zurück, doch hier konnte sie ihr nicht entfliehen, und als leite eine Hand ihr Vorhaben, trug der Menschenstrom sie geradewegs in die Richtung, in die sie wollte.
Erst nah beim Hafen wich sie in eine Seitengasse aus. Fremde verirrten sich hier für gewöhnlich. Nicht aber eine Assassine. Die Stadt hatte sich ihr längst wie der Grundriss eines Hauses eingeprägt.
Schnell wurde es stiller. Kinder liefen durch Pfützen versprengten Abwassers, und ihre hellen Stimmen verklangen. Ein Alter trug Töpfe und Bündel vorbei, und seine schlurfenden Schritte erstarben hinter einer Ecke.
Auch Eya ging langsamer. Jenseits der dicht zusammenstehenden Häuser ragten Schiffsmasten in die Höhe. Einen sah sie sogar über den Kanten der Flachdächer. Von dort schwappte auch neuer, betriebsamer Lärm zu ihr, schwacher Salzgeruch, der Atem der See.
Vorsichtig jetzt. Niemand kümmerte sich in den Gassen um sie, dazu war die Stadt längst zu sehr mit ihren Nöten beschäftigt, doch direkt an den Molen durfte sie nicht auftauchen. Weitertappend, maß sie die Entfernungen im Kopf ab. Als sie weit genug parallel zum Hafen die Gasse hinuntergegangen war, hielt sie inne.
Eine halbe Stunde war seit der Trennung der Gruppe verstrichen. Oder doch mehr? Plötzlich eiliger, aber immer noch beinahe lautlos, suchte sie die kleinen Bauten ab, deren Vorderseiten auf den Hafen blickten. Hinter der dritten, ärmlichen Brettertür, an die sie lauschend und sich immer wieder in der leeren Gasse umsehend das Ohr presste, ertönte auch nach einer ganzen Weile kein Geräusch, das Bewohner verriet.
Mit zusammengebissenen Zähnen schob sie die Tür auf. Ein Knarren, nach Fisch riechendes Halbdunkel – dann huschte sie hinein. Mit dem letzten Lichtstreif, der durch das schnelle Zudrücken der Bretter verschwand, wurde es kurz nahezu finster.
Eya wandte sich um.
Der Laden eines Händlers, der Meeresgetier verkaufte. Tische, Regale, Öllampen, zwei Reusen an einer gekalkten Wand. Durchdringender Geruch von Teer und Fischgedärmen. Kein Laut war hier drin zu vernehmen, doch auf einem Haufen Decken schlief ein kleines Mädchen. Die Assassine fuhr zusammen.
Der Schlaf des Kindes aber dauerte an. Sie schlich vorbei, sah das stille Gesichtchen, einen schlicht gekleideten Körper, vielleicht erschöpft von der ruhelosen Nacht Lut Gholeins.
An der Vorderseite des Raumes trug ein großer Fleck halber Helle Staub und schwache Geräusche von draußen. Den Magen wie eine steinerne Kugel im Leib, trat Eya auf Zehenspitzen bis an die Wand. Schon im letzten Schritt ahnte sie, dass sie sich nicht verrechnet hatte, denn das leise Gemurmel war eben jenes, aus dem die Gefährten sich eine halbe Stunde zuvor entfernt hatten.
Sie verhielt und wagte kaum einen Atemzug. Hier stand sie zwischen der Seitentür des einfachen Hauses und einem heruntergeklappten Laden, und sie musste behutsamer, nichtiger, besser sein als je zuvor.
Denn die Stimmen sprachen zueinander auf Jabrah. Sie hatte die Gruppe der aus Pundar Eingetroffenen gefunden. Ihre Knie zitterten. Dicht neben ihrem Auge war ein Schlitz in der Verschalung der Ladenseite. Fast gegen ihren Willen spähte sie hindurch.
Ja, sie waren es. Ein halbes Dutzend in Tücher und den sonstigen bemalten, kettenbehängten Habitus ihrer Klasse gekleidete Asketen standen nah bei ihr, nur durch die Wand und vier oder fünf Schritte von ihrem Horchen und Lauern getrennt. Dahinter erblickte sie Weitere, einige sehr alt, andere noch halbe Knaben, eine kleine Menge von Menschen, die sich nur in ihrer deutlich sichtbaren Herkunft und dem wesenlosen Absondern ihrer Kräfte ähnelten. Selbst sie konnte das sehen. Aber sie sah keine Krieger.
Die Nekromanten waren unter sich, zurückgezogen an den äußersten Rand des Hafens. Und als Eya sich auf die Stimmen konzentrierte, begriff sie, dass sie keiner sehr einvernehmlichen Zusammenkunft zuhörte. Eben als sie nach Hadan Ausschau halten wollte, fiel ihr Blick auf das Gesicht eines Greises, eine beunruhigende Gestalt mit hohlen, scharfen Wangen, aufgetriebenem Bauch und nachtdunkel schimmernden Augen. Sie begegneten dem ihren, das sich an den Schlitz gelegt hatte.
Erschrocken richtete Eya sich auf. Es überrieselte sie kalt in all dem stickigen Ladendunst.
Doch draußen tat sich nichts, das auf ihre Entdeckung hindeutete, und wie unter einem Bann spitzte sie erneut die Ohren.
Du bist unvorsichtig, flüsterte ihre Schulung, und ihr Herz fügte hinzu, du horchst den Mann aus, dem du vertrauen solltest. Längst wusste sie, ohne ihn gesehen zu haben, dass sich Hadan unter den Männern dort befand.
Die Stimmen, die zu ihr drangen, waren ernst, aufgebracht, beinahe feindselig. Sie streiten. Angestrengt verlegte sie sich auf die Entschlüsselung der verwaschene Laute, der Sprache des südlichen Ostkontinents, die dem ohnehin heimtückisch schwierigen Jabrah zahllose eigene Begriffe hinzufügte.
„Brauchbares Volk findet man hier offenbar kaum“, sagte eben jemand, gewiss ein noch sehr junger Mann. „Aber wie auch, wenn der Krieg so nahe ist – ein Krieg gegen Dämonen, wenn uns unser Mittelsmann hier nicht getäuscht hat. Die Soldaten dieser Stadt wissen mit den Göttern nichts anzufangen. Ungläubige sind sie allzumal. Feige sehen sie indes nicht aus.“
Gemurmel, das teils zustimmend, teils zweifelnd klang.
„Ihre Feigheit oder ihr Mut kümmert mich nicht“, ertönte eine zweite, ältere Stimme. Sie war unrein, und Eya befiel der Eindruck, dass sie auf seltsame Art böse sei, böse, wie sie es selten zuvor bei einem Menschen gefühlt hatte. „Dank der Macht unseres, ich sage unseres, Tempels werden sie gute Gefolgsleute abgeben.“ Es schien, dass dieser Mann sich über die Menschen belustigte, über die er sprach.
Gefolgsleute? Die Assassine biss sich auf die Unterlippe. Gefolgsleute?
„Nein, Maatvanakri,“, entgegnete ein Dritter. „Das werden sie nicht.“ Fest, heller im Gebrauch ihrer Heimatsprache, war die Stimme Eya nur zu vertraut. Hadan.
Jemand lachte, doch der Rest der Gruppe nahm die Entgegnung mit einer Nachdenklichkeit und einem Schweigen auf, die durch die Bretterwand spürbar waren. Doch dabei blieb es nicht.
„Dein Gott ist hier nicht größer als andere“, zischte der, der als Zweiter gesprochen hatte. Dann wurde er ruhiger, fuhr jedoch mit merklicher Kälte fort: „Und du bist hier ebenso wenig Meister über uns alle, wie du es zu vergangenen Zeiten warst, Pakhri.“ Das letzte Wort wurde höhnisch betont.
Eyas Gedanken überschlugen sich. Der schlichte Laden blieb zurück, das schlafende Kind, selbst die Sonnenflecke auf ihrer glänzenden Lederrüstung.
Hadan gehörte der Jüngerschaft Pakhras an, doch diese war bei weitem nicht der einzige Zusammenschluss bestimmter Nekromanten. Die junge Frau von Camdra überdachte, was sie wusste, und es war nicht eben viel. Es gab die Bisrakri, eher Heiler und beinahe etwas wie Heilige in den Sümpfen ihres Landes, die der einfachen Bevölkerung Dienste durch ihre Kundigkeit in Arzneien und durch ihre Gebete zur Göttin der Weisheit leisteten. Es gab Shisamandri, Knochenmagier, und Nashvatri, Männer, die unter den vor Jahrzehnten noch verfeindeten Fürsten mit Gift und Messern gekämpft hatten. Sie alle jedoch hatten nicht dazu beigetragen, dass die restliche Welt jeden Nekromanten, den sie sah, als Totenbeschwörer bezeichnete. Die hierfür Verantwortlichen lebten weiter abseits, heimlicher, ohne sich unter das Volk zu mischen, wie Hadan und Andere seiner Klasse es taten oder versuchten.
Der Tonfall, in dem ihr Gefährte den zweiten Sprecher Maatvanakri genannt hatte, zeugte von Abscheu, und der Name des Gottes, der Maathvaa lautete, erinnerte an düstere Vorfälle, halb vergraben im Dickicht darüber liegender Wochen.
Maathvaa. Der zweite Mann war ein Nekromant, wie die Welt sie wegen fortgesetzter Vergehen an der Ruhe Gestorbener, Gefallener, fürchtete.
Doch die Unterredung auf der anderen Seite hatte noch nicht geendet, und mit angehaltenem Atem lauschte die Assassine weiter.
„Ich beanspruche nicht, Irgendjemandes Meister zu sein“, ertönte Hadans Stimme. „Aber hier in Lut Gholein lebt ein Volk in großer Angst vor seiner baldigen Vernichtung. Ich kenne diesen Weltteil, diese Menschen und die nahenden Feinde besser als Jeder von euch. Ich werde nicht zulassen, dass auch nur ein Einziger ihre Furcht noch verschlimmert, und ich werde verhindern, dass man ihre Toten missbraucht.“
Die nackte Drohung in seinen Worten zerrte Eyas Auge wieder an den Schlitz. Die blendende Helligkeit zerfaserte sich erneut in die umherstehenden Asketen, doch jetzt sahen sie alle, ein angespanntes Rund, auf den schwarzgekleideten Mann mit dem schneeweißen Haar, das sich so sehr von dem ihren unterschied.
Zuerst hatte die Assassine trotz ihrer Angst und ihres nagenden Gewissens auf der Lauer gelegen wie schon oft in ihrem Leben: Ein kühler Schatten unter Schatten, dem seine feinen Sinne klar nebeneinandergestellte Neuigkeiten zuspielten. Nun aber hing sie wie betäubt an der Bretterwand, unfähig, ihr rasch pochendes Herz zu beruhigen, unfähig, fortzugehen. Die Vorsicht zerfiel unter dem schieren Grauen der Ahnungen, mit denen sie Zeugin dieses Treffens wurde, und nichts anderes gab es mehr.
Der zweite Mann, den Hadan Maatvanakri genannt hatte, war ein ausgemergelter Asket mittleren Alters mit pechschwarzem, wirrem Haar, das ihm lang auf den Rücken fiel. Blutunterlaufene Augen hingen feindselig an seinem Gegenüber, doch gleich darauf wandte er sich mit einer verächtlichen Geste ab, lachte und spuckte aus. „Pah! Du wirst zu nichts dergleichen Gelegenheit haben, Sakudrah. Wenn diese Stadt überleben will, muss sie Opfer bringen. Daran ändern auch deine Skrupel nichts.“
Hadan rührte sich nicht. „Das wird sich zeigen“, entgegnete er leise. Sein Gesicht schien sich zu entspannen, doch Eya kannte diesen Ausdruck und auch das Zurücknehmen der Stimme, dem nur sich überlegen Fühlende abkauften, ihr Besitzer habe wider Erwarten eingelenkt.
Der Jünger Maathvaas nahm es für bar. Die anderen Asketen warteten ohne ein sichtbares Anzeichen von Beunruhigung.
Und was die Assassine in einem versteckten Winkel ihres Bewusstseins geahnt hatte, trat ein, doch rascher und schlimmer als befürchtet.
Mit einer fließenden Bewegung überwand Hadan die Schritte zu seinem Widersacher. Seine Rechte lag flach am Oberschenkel.
Der Maatvanakri stutzte, starrte in das dünne, weiße Lächeln. Er gestattete, dass Hadan ihm die Linke um die Schulter legte, fast, als wolle der große Mann die Zwistigkeiten damit beenden.
Der Kreis rührte sich nicht. Alles stand wie versteinert, und auch Eya rührte keinen ihrer Finger, die sich verkrampften.
So weit wird er nicht gehen. Es ist immerhin jemand seiner Kaste.
In ihr entsetztes Aufkeuchen hinein, in den Stoß des Schocks, der die kleine Menge durchfuhr, trat Hadan halb hinter den Anderen. Das Crismesser kam bleich aus seiner Scheide.
Mit einer festen, zielsicheren Bewegung, den linken Arm um die Brust des plötzlich zuckenden Mannes geschlossen, zog der Nekromant die Klinge über die Kehle des Maathvaa-Jüngers.
Er ließ ihn fallen wie einen Lumpensack. Der Mann brach zusammen, tot, ehe er hatte begreifen können. Das Blut war auf den Steinen der Mole nicht so dunkel wie auf der Schneide des Crismessers.
Über dem Getöteten stehend, richtete Hadan die Klinge auf den Kreis der Nekromanten. „Jedem, der Ähnliches vorhaben sollte, blüht das Gleiche.“ Er ließ das Messer einmal langsam den Bogen gegen die fremden Gesichter beschreiben.
Niemand sprang vor, um ihm die Waffe zu entreißen. Niemand schrie etwas von Mord. Und niemand hatte den Mann, der jetzt tot auf dem Boden lag, gewarnt. Nicht mit einem Wort. Die seltsamste Ruhe stand wieder eingekehrt in den Dutzenden duldender Augen.
Während Eyas Blick noch über die schlaffen Glieder auf der Mole und ihren hochaufgerichteten Gefährten, ein Standbild des denkbar grausamsten Willens, glitt, begann der Alte, zu dem Hadan bei der Ankunft Pundars zuerst gesprochen hatte, zu nicken.
„Wir wussten nicht, was unseres gemeinsamen Meisters Worte bedeuten sollten, die sagten, wo du seiest, beginne in diesen Tagen das Reich Pakhras.“ Auch seine raue Stimme war nichts anderes als gelassen. „Das ist es also. Wohlan, tue, was du für richtig hältst. Du hast unser Vertrauen. Aber versündige dich nicht weiter an der Gemeinschaft, die auch einmal die deine hätte sein sollen.“
„Vishva hatte Unrecht“, sagte ein Anderer, ein junger, hübscher Bursche. Er bewegte die glänzenden, honigfarbenen Schultern, als müsse er ein leichtes Unbehagen mit einem jedoch wohligen Erschauern abstreifen. „Er verdiente solch einen Tod. Auch wir glauben nicht an die Notwendigkeit eines Totenheers.“
Hadan ließ das Messer sinken. „Ich weiß, Sarang. Es gibt andere Mittel. Ihr solltet Stillschweigen über sie bewahren, auch über die meinen, sofern Einige von euch sie bereits sehen können.“
Sie nickten. Zwei gingen hin und wickelten den Toten in einen Umhang. Dann trugen sie ihn fort, und nur die hier Anwesenden wussten, wohin.
Der Kreis begann sich aufzulösen, als sei nichts weiter geschehen. Leise miteinander redend, verließen die Männer Eyas Blickfeld.
Sie zuckte zurück. Ich muss hier weg. Zwei, drei Atemzüge lang zögerte sie, obwohl sie ahnte, dass das bereits zu lang war.
Hastig trat sie wieder in den Fischdunst des halbdunklen Ladens. Das kleine Mädchen war nicht aufgewacht.
Als die Assassine auf halbem Wege zur Hintertür war, öffnete sie sich von allein.
Licht fiel blendend in den Raum.
„Hier steckst du also“, sagte der Schatten, der das Licht verdrängte. Er hätte sich bücken müssen, um in das Haus zu treten, aber er blieb stehen, hielt nur die Tür auf, wartend und reglos. „Komm, Shatryindjah.“
Ohne zu wissen, was sie sagen oder tun sollte, schlüpfte sie in die Gasse. Ein weiteres Mal hatte die Hoffnung, ihre Lautlosigkeit befähige sie dazu, ihn ausspähen zu können, sie getrogen.
Das eben Bezeugte verschloss ihr die Lippen, und stumm blinzelte sie zu Hadan hinauf. Sie fühlte sich ertappt, aber das bewirkte nicht, dass Angstschweiß ihren Nacken feucht und eine betäubte Starre sie ungeschickt und ihre Bewegungen mechanisch machte. Die Tür schwang knarrend zu.
Er hatte seine Maske längst vor ihr abgenommen. Es hatte sie vergessen lassen, wozu er fähig war – den Mann vergessen lassen, dem Jahrzehnte einer unbekannten Randexistenz und eines Lebens Seite an Seite mit Krieg und Blutvergießen eine schärfere Prägung eingepresst hatten als ihrer beider Liebe.
Hadans Lächeln war echt. Zorn sah sie nicht in dem schwarz durchbohrten Perlmutt seiner Augen, doch auch weder Reue noch Bedauern.
Nebeneinander, sie dem Nekromanten nur knapp bis zur Schulter reichend, gingen sie durch die Gasse. Lut Gholein warf ihnen unverändert Wellen seines Lärms entgegen, die sie bald aufnehmen würden.
Eya kämpfte mit Worten, die ihr durch den Kopf gingen. Was konnte sie sagen? Das Entsetzen, die kaltblütige Ermordung eines Ostländers durch ihren Gefährten mitangesehen zu haben, drückte sich verwirrt unter dem Wissen entlang, dass eine Assassine im Einvernehmen mit ihrer Gruppe jederzeit dieselbe Tat begangen hätte. Die Beurteilung des Bezeugten entwand sich ihrem Verständnis, das vor den Gemeinschaftsverhältnissen der Nekromanten endete – und vor dem, wovon in jenem mitangehörten Wortwechsel die Rede gewesen war.
Sie musste es verstehen. Der Drang sprengte ihre Angst und den Verschluss ihrer Lippen.
Mit einem Blick zu ihm hinauf, der Hadan stehen bleiben ließ, brachte sie unvermittelt hervor: „Von welchen... Gefolgsleuten“, sie stolperte über ihre taube Zunge, „haben die Männer... habt ihr gesprochen?“
„Kannst du es dir nicht denken?“ fragte Hadan zurück. Wo sie standen, war es noch leidlich still und beinahe kühl, eine Gasse unter Hunderten.
Zwei Bilder suchten die Assassine heim. Das erste, eine Erinnerung, war die Stunde am Ende ihres einsamen Weges – Frauen in gelben und roten Gewändern und mit mitleidigen und neugierigen Augen für ihre abgerissene Erscheinung, und sie sagten, ja, es lebt ein Nekromant hier am Fluss, aber ein Beschwörer von Toten ist er nicht. Das zweite war etwas, das sie selbst niemals gesehen hatte und hoffte, nie sehen zu müssen – eine Armee aus den Leibern ihres gewöhnlichen, naturgewollten Daseins herausgeschälter Knochen, bleich und widerwärtig abgehackt über einen Hügelkamm schreitend, hinter dem sich ein dunkel fleischfarbener Himmel empor wölbte.
Ihr Gefährte mochte den Abglanz der Schreckensvision, die sie erblassen ließ, in ihrem Gesicht entdecken, denn plötzlich umging er das Unausgesprochene nicht länger. „Du weißt, dass meine Fähigkeiten absichtlich diese... Kunst aussparen, Shatryindjah.“ Abscheu verfärbte seine Stimme. „Körper gefallener Gegner zu zerstören, diese Waffe... sie ist dem vielleicht ähnlich, und kein so großer Unterschied besteht, wie ich es wünschte. Aber auch wenn Teile meiner Klasse Anderes predigen – für mich bleibt Totenbeschwörung Leichenfledderei.“
Eya suchte sich einen Weg durch seine Züge, die sie anders als die meisten Menschen, die sich von der oberflächlichen Fremdartigkeit des Albino abgestoßen fühlten, stets aufs Neue regelmäßig, ja männlich schön vorfand.
„Darum habe ich den Asketen getötet“, fuhr Hadan fort. „Ich habe Männer schon wegen Geringerem umgebracht. Die Jünger Maathvaas stehen für eine neue, alte Gruppe, die versucht, die Menschen wieder an den Anblick untoter Helfer und an ihre Riten zu gewöhnen. Du hast es im Osten selbst gesehen. Die Verbrennungen sogenannter Fehlgegangener entspringen ihrer Idee von einer Gesellschaft, in der die okkulten Kasten den Leuten gestatten, sich anstatt durch die weltliche Gerichtsbarkeit gegenseitig zu verurteilen.“
Wenngleich sie dies verstand, wandte die Assassine leise ein: „Aber du selbst entziehst dich den weltlichen Armen.“
Der Nekromant lächelte wieder. „Das ist richtig, meine scharfäugige Geliebte. Doch es ist Krieg. Ausschließlich hier denke ich über Mittel nach, die anderswo, zu einer anderen Zeit, nicht Teil des Lebens werden dürften. Des Widerspruches bin ich mir bewusst.“ Er berührte zögernd ihre Wange, und sie zuckte nicht zurück, atmete nur rascher ein.
Bereitwilliger hatte er nie zuvor seine Ansichten über sich selbst mit ihr geteilt. Jedes Wort, das sie ihm noch entlocken konnte, würde ihr vielleicht helfen, zu begreifen, was er dachte und welche Pläne er seit Längerem hartnäckig vor den Anderen verbarg.
„Ich bin ein Relikt, Eya“, sagte er noch, ohne dass sich sein Lächeln verflüchtigte. „Wenn die kommende Schlacht geschlagen ist, werde ich, wie du es vor Tagen als deinen heimlichsten Wunsch offenbart hast, die Rüstung und die Amulette ablegen und, so mein Gott mich lässt, nur noch ein Heiler sein.“
Sie erstarrte. Lass uns das Gewicht unserer Rüstungen und Amulette abwerfen. Gedacht hatte sie es, doch nicht ausgesprochen. Sie war für ihn leichter zu lesen als ein offenes Buch.
Die Zeit, in die es sie verschlagen hatte, ließ jedoch nicht davon ab, harmlose Träume wie die ihren zu untergraben. So antwortete Eya: „Es mag sein, dass die kommende Schlacht nur ein Auftakt ist.“ Sie blinzelte bedrückt zu ihm hinauf. „Ist es nicht so? Jeder aus unserer Gemeinschaft hat solche Befürchtungen.“
„Das wird sich zeigen“, gab der Nekromant zurück, aber sein Lächeln wich einer Härte, die sie an ihm als Zeichen wieder notwendiger Entschlusskraft zugewandter Gedanken kannte.
Hier versagte ihr Mut. Sie brachte es nicht fertig, die letzte Mauer um sein Inneres herauszufordern, die ihr höher und besser bewacht schien als alle anderen, in denen sie auf Türen gestoßen war.
Die Ahnung eines düsteren Vorhabens und die Angst, ihn zu verlieren, malten sich offenbar so deutlich auf ihrem Gesicht, dass der Nekromant ihr den Arm um die Schulter legte, denselben Arm, der den Asketen vor wenigen Augenblicken getötet hat. Seltsam wild schmiegte sie sich hinein. Sie war all des Nachdenkens müde.
Ohne ein weiteres Wort über den Vorfall am Hafen und ihr tastendes Gespräch verließen sie die Gasse. Außerhalb umschlang sie die stickige Luft der fieberhaft arbeitenden Wüstenstadt.
„Noch scheinen sie kein Heer gesichtet zu haben“, vermutete Eya, die den Palastsoldaten beim Umhergehen zusah. Die stark bewaffneten Männer wirkten grimmig und bahnten sich mit derben Befehlen, oft genug von Flüchen unterstützt, ihren Weg durch das Gedränge, doch eine eigentümliche Ruhe herrschte trotz aller Geschäftigkeit. Unwillkürlich erschauerte die Assassine. Bereitwillig hatte sie sich von den Dingen der letzten Stunde ablenken lassen wollen – nur um auf die wieder aufbrechende Furcht vor dem Kommenden zu treffen.
„Wohl nicht“, bemerkte Hadan. „Wir müssen auf die Wachen vertrauen.“ Fern auf den Hügeln trugen diese Männer jetzt die Verantwortung für die rechtzeitige Warnung der Stadt, wie die Bewohner ringsum Bottiche mit Meerwasser trugen und aufstellten, um Brände löschen zu können.
Es erinnerte an Harrogath. Auch dort hatten die Menschen sich hin- und herbewegt, von Befehlshabern angeleitet, in aller drohenden Nähe des Feindes Verzweifelten ähnlich, die sich postierten, ihre Waffen schärften, an Mauern herumflickten, ohne dem Krieg mehr entgegensetzen zu können als diese beinahe vergeblich anmutenden Bemühungen.
„Lass uns zum Markt gehen“, schlug Hadan vor. „Dort stehen seit der Früh Ausrufer. Wenn es etwas Neues gibt, hören wir es dort am ehesten.“
Für eine Weile hielten sie sich dicht beieinander, doch als sie zu dem Platz kamen, an dem Buden und zwei Schmieden, Tavernen und die Nähe des gewaltigen Palastbaus den Hauptmarkt Lut Gholeins kennzeichneten, löste sich die Assassine von ihrem Gefährten. Sie hatte bei einer der zwei Schmieden Lederarbeiten gesehen und wollte sie näher in Augenschein nehmen.
Seitlich der Schmiede, vor der dasselbe Gedränge herrschte wie allerorts, befand sich ein Haus mit einer zur Straße offenen Garküche. Ein beleibter Mann mit durchstochenen Ohrläppchen und fleckigem Turban zog Eyas Aufmerksamkeit durch den starren Blick auf sich, den sie spürte.
Fragend sah sie zu dem Lut Gholeiner, trat sogar einen Schritt auf die Tür zu, in deren Rahmen er sich lehnte.
Beinahe augenblicklich bereute sie es. Der Mann studierte ihr Gesicht, dann ihre von der Rüstung fest umschlossenen Brüste und Beine, und sein weiches, unangenehmes Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen. Dies war die Kennermiene, die sie aus den dunklen Gassen aller Weltteile kannte. Ein Kuppler.
Bevor sie sich abwenden konnte, sprach er sie an. „Auf der Suche nach Gesellschaft, Schönheit?“ Der Ton war klebrig, zudringlich. Ohne sich zu rühren, starrte sie in die fremden Augen, und ihre Wangen erhitzten sich, als er dreister wurde: „Nur nicht so schüchtern.“ Ein Zungenschnalzen. „Aus dir ließe sich was machen, ein nettes Stück Fleisch, nach dem sich das Pack hier die Finger lecken würde.“
Jetzt vernahm sie auch Stimmen aus dem Obergeschoss des Hauses. Frauenstimmen. Unterdrückt klirrte ein Krug, der zersprang. Jemand lachte weinselig in die überfüllte Straße hinaus.
Sie hatte es in ihrer Sorge um das Kommende nicht recht wahrgenommen, aber Waffenübungen und Verteidigungsarbeiten waren nicht die einzige Weise, in der die Stadt dem nahenden Krieg begegnete. Viele, sei es aus Hoffnungslosigkeit, sei es aus dem seltsam trunkenen Hochgefühl heraus, das bitteren Tagen oft voranging, vergnügten und berauschten sich. Der Palast schritt ein, wo es zu derb wurde, doch dafür blieb seinen Soldaten wenig Zeit, und welcher Fürst konnte seinen Untertanen, ganz zu schweigen von zahllosen Söldnern und Fremden, schon letzte Ausschweifungen gänzlich untersagen?
Das Haus stank. Eya roch es. Es stank nach einem wilden Aufbäumen des Lebens.
Merkwürdige Übelkeit befiel sie, und vergebens suchte sie nach einer passenden Erwiderung. Des Mannes Grinsen verwandelte sich vor ihren Augen in eine Fratze.
Die Hand, die sich von hinten schwer auf ihre Schulter legte, ließ Eya zusammenzucken. Doch ihr Gewicht war vertraut, urvertraut, und schier besitzergreifend. Sie musste den Kopf nicht einmal drehen.
„Gib Acht, wen du ansprichst“, sagte Hadan zu dem Lut Gholeiner. Dieser wich nicht zurück, aber das Grinsen floh sein plötzlich blasser gewordenes Gesicht. „Solltest du meine Gemahlin mit einem weiteren Wort belästigen...“
„Schon gut“, der Kuppler hob abwehrend die Hände. So rasch er es konnte, ohne sich zu sehr den Anschein von Furchtsamkeit zu geben, zog er sich in den Schatten des Hauses zurück. Man hörte noch einen Ausspruch, der nach Hexer und einer saftigen Verwünschung klang, dann war er verschwunden.
Eya blickte zu dem Nekromanten auf. Er grinste. Mit einem Mal erinnerte er sie wieder an den Mann, den sie am meisten liebte und der sich zuletzt gezeigt hatte, der sie gelegentlich mit einem trockenen Scherz überraschte oder mit unverhoffter Zärtlichkeit.
Den Lut Gholeiner nicht selbst vertrieben zu haben, ärgerte die junge Assassine. Mehr aber war sie ernst. „Ich danke dir“, sagte sie artig, als sie ihren Weg fortsetzten. „Indes... deine Gemahlin bin ich nicht. Nicht vor der Gemeinschaft der Menschen“, beeilte sie sich auf Hadans Blick hin, zu versichern, „auch wenn ich mit ganzem Herzen zu dir gehöre, Nâkyshat.“
Die kurze Begebenheit hatte die Schatten der vergangenen Stunde vertrieben. Ihr war leichter zumute.
Der Nekromant sah sie schweigend an. Nur diese flüchtige Stille verriet seine Nachdenklichkeit. „Du gehörst mir“, sagte er dann unverblümt, doch so, dass kein Zweifel bestand, wie er es meinte. „An unserem Pfad war bislang niemand, der uns hätte trauen können. Würdest du das wirklich wollen, Shatryindjah?“
„Ja“, gab sie leise zurück. Die ringsum vorbeieilenden Menschen, schweißgetränkte Gewänder, schreiende Münder zumeist, schienen ihr zu lauschen, obwohl sie wusste, dass es nicht so war. „Aber das ist nicht wichtig... nicht für mich“, fügte sie hinzu. Ihr Herz pochte laut und strafte sie ein wenig eine Lügnerin.
Doch sie hatte mehr erhalten als je erträumt. Ein Wort – und wer sollte es sprechen? – würde die Bande zwischen Hadan und ihr nicht fester knüpfen, sagte sie sich.
Die Menge nahm ihr die innerliche Regung ab. Der Markt brodelte wie ein Kessel, als gelte es, noch eilig letzte Geschäfte zu tätigen, rasch, bevor niemand mehr überhaupt an Handel und Geld denken konnte.
Das Paar schlenderte an den Buden entlang. Hadan verhielt kurz bei einem Stand und befragte das dürre Weiblein, das diesen beaufsichtigte, während die Assassine sich dem Wogen und Drängen der Menschen überließ. Ihr ganzes Leben lang hatte sie niemandem vertrauen dürfen, hatte auf Simsen und in Schattenecken gekauert, alles darauf verwendet, sich klein und nebensächlich zu machen. Jetzt war es einerlei, wer sie sah. Sie war eine halbe Welt vom Hauptsitz des Assassinenordens entfernt und eine ganze von ihrem früheren Dasein.
Unweit entdeckte sie eine Gestalt vor einem kleinen Laden, die sich merklich von den Bewohnern abhob. Es waren hier und dort Barbaren in den Gassen unterwegs, doch dieser Mensch gab ein noch ungewöhnlicheres Bild ab.
Nackt bis auf einen rockartigen Schurz und ein Schultergehänge aus Perlen, kramte der greise Asket in den Tiegeln und Schalen herum, die in der Auslage des Ladens aufgereiht standen. Zwei Frauen beobachteten jede seiner Bewegungen mit großer Sorge, auch mit Scheu und Furcht, und als Eya näher trat, hörte sie die Eine eben sagen: „Verstehst du uns nicht, Alter?“ Zu ihrer Genossin bemerkte sie unterdrückt: „Das muss einer dieser Hexenmeister aus dem Osten sein. Was hat sich unser Fürst nur dabei gedacht, sie in die Stadt zu lassen?“ Ihre Stimme klang gehetzt.
Sie ängstigen sich. Mit wenigen Schritten war die Assassine an der Seite des Asketen. Die Frauen, die mit ihr eine weitere, seltsame Gestalt vor ihrem Laden auftauchen sahen, schauten sie misstrauisch an.
„Beunruhigt euch nicht“, sprach Eya sie an. Gewiss, der Alte neben ihr, der durchdringend nach Rauchwerk und getrockneter Körperfarbe stank, war kein harmloser Greis – sie spürte an ihm eine ähnliche Aura, wie sie auch Hadan umgab. Doch hier vermochte sie zu vermitteln, und sie unterdrückte ihre Furcht. „Es ist wohl so, dass er das Djaddh nicht beherrscht. Lasst mich mit ihm reden.“
„Versuch es, Kriegerin“, machte eine der Frauen eine fahrige Geste.
Eya wandte sich dem Asketen zu. Ihr war, als richte sie sich an eines der rätselhaften Standbilder des Ostens, die sie nicht zu entschlüsseln verstand. Er würde überdies hören, dass sie das Jabrah nicht gut beherrschte. Sei es drum. Hartnäckig suchte sie Worte zusammen. Es ist Hadans Sprache. Es wird die meine werden.
Nachtdunkle Augen hefteten sich an ihre Lippen. „Sei gegrüßt“, sagte sie unsicher. „Diese Händlerinnen wissen nicht, wie sie Euch einschätzen sollen und ob Ihr etwas zu kaufen wünscht. Nehmt es ihnen nicht übel. Sie fürchten sich, das ist alles.“
Länger, als es angenehm war, geschah nichts. Doch gerade, als sie sicher war, sich falsch ausgedrückt zu haben, bewegte sich der bärtige Greisenmund.
„Ah, gut.“ Ein Glucksen, vielleicht begreifend, vielleicht belustigt. „Ich will nichts kaufen. Aber sieh, diese Stadt benötigt Arzneien. Dessen vergewissere ich mich. Niemand muss sich fürchten.“ Der Alte lachte leise. „Nicht vor mir.“
Eya gab das Gesagte an die Frauen weiter. „Bitte“, fügte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, hinzu, „lasst ihn gewähren. In seiner Heimat ist er, soweit ich es verstehe, nicht nur ein Magier, sondern auch ein Heilkundiger. Er wird euch nichts zuleide tun.“ Das hoffe ich wenigstens.
Die Händlerinnen entspannten sich leicht. „Bei Badr“, lenkte die Ältere mit einem Blick auf den Asketen ein, der fortfuhr, in den Tiegeln herumzukramen, „wir wollen nicht unhöflich sein. Gewiss nicht. Es ist nur...“ Sie brach ab.
Ja, ich weiß, dachte die Assassine. Krieg. Lauter Fremde. Unbekannte Mächte, die Einzug in eure Stadt halten. Sie nickte den Frauen zu und wollte sich entfernen.
Rascher, als es ihm zuzutrauen war, packte der Alte ihr Handgelenk. Seine Finger waren hart und kühl.
Eya blickte in sein Gesicht. Es war nicht milde, nicht einmal besonders freundlich, und doch lächelte sie der Osten daraus an. Sie tauchte in die dunklen Augen wie in einen bodenlosen, schwarzen See.
„Danke, mein Kind.“ Ihm musste sie ja wirklich wie ein Kind erscheinen mit ihren achtundzwanzig Jahren. Unfähig zu einer Erwiderung verzog sie sachte den Mund, in dem das Blut klopfte. „Ah, ich erkenne dich.“ Ihr Gegenüber nickte.
Ich erkenne dich? Hadan. Man hatte sie zusammen gesehen. Sie war seine Gemahlin, auch ohne Trauung.
Während die klauenartigen Finger immer noch ihr Gelenk umschlossen, führte der Greis die Linke zum Mund. Sie sah ihn den Zeigefinger mit Speichel benetzen.
Dann näherte er ihn ihrer Stirn und fuhr darüber. Sie stand wie erstarrt. Die Frauen staunten.
„Geh mit den Göttern“, sagte die mürbe Stimme, und der Griff um ihr Gelenk löste sich.
Als habe er nicht eben eine Art Segnung vollführt und sie angesprochen wie einen Menschen, dessen Platz auch außerhalb ihres Wissens festzustehen schien, wandte der Asket sich wieder der Ladenauslage zu.
Augenblicke später trat Hadan zu ihnen. Die Assassine war sich nicht sicher, ob er sie gerade erst entdeckt oder die Begegnung von abseits schon eine Weile beobachtet hatte. Er wechselte einen Blick mit dem Asketen.
Dann verließ das Paar den Markt.
„Das war ein Mann des großen Bisra-Tempels zu Pundar“, beantwortete der Nekromant die unausgesprochene Frage. „Ich hoffe, er hat dich nicht erschreckt.“
Sie schüttelte den Kopf. „Er sagte: Geh mit den Göttern. Aber Angst hatte ich nicht.“
„Das ist auch nicht nötig, Shatryindjah.“ Hadan langte nach ihrer Hand. „Wenn wir einer Sache noch sicher sein dürfen, dann der, dass die Götter mit uns sind. Zumindest jene“, fügte er hinzu und schickte einen langen Blick über die aufgeriebene, ahnungslose Menge in den Straßen Lut Gholeins, „auf die es ankommt.“





Es war um die Mittagszeit, als Ifrah, die am Rande des Barbarenlagers stand und den langsamen Abzug der Menschen beobachtete, die Reiter sah.
Erbarmungslos strahlte die Sonne auf die Ebene vor der Stadt. Ihrer wankelmütigen Laune schien es zu gefallen, Lut Gholein einen unerträglich heißen Tag zu bereiten. Die Luft flimmerte. Wer konnte und dem grellen Licht nicht die Widerstandskraft der Barbaren oder der Wüstennomaden entgegenzusetzen hatte, duckte sich unter die letzten Zelte, die noch nicht abgebaut waren. Ein glasiger Schleier schwebte über dem Boden und dem stöhnenden Land.
Dennoch sah die Magierin die zwei großen, fast weißen Tiere deutlich. Renndromedare. Ihre Reiter peitschten wild auf sie ein. Solche Dromedare hatten nur die Eilboten der Stadt.
Mit wehendem Haar, die gepanzerte Hand als Schirm über den Augen, verfolgte Ifrah die Staubwolken, die sich längs der Laufbahn der Tiere empor wölbten. Sie hielten auf die Hügel zu.
Während sie schaute, trat Herlac zu ihr. Der Hüne hatte seinen Armverband wieder entfernt. Durch eine Tinktur Hadans war die verbrannte Haut, anstatt sich zu entzünden, getrocknet, und der Krieger bewegte das verwundete Glied probehalber. Er wirkte zufrieden. Erleichtert blickte Ifrah in sein unerschütterliches Gesicht.
„Kundschafter“, wies Herlac auf die Reiter, deren Tiere jetzt auf einem gewundenen Pfad die Hügel hinaufpreschten. Sie waren nur noch als kleine Gestalten zu erkennen, so wie die Wächter, die sich winzig, aber fest gegen den Himmel abzeichneten.
„So scheint es.“ Die Magierin atmete zitternd ein. Anspannung und Angst ließen sich nicht mehr unterdrücken. Dies wird die erste Verteidigungsschlacht in deinem Leben sein, die du zu bestreiten hilfst. Bislang bist du stets auf die Gegner zugeschritten.
„Ich habe zu den Ahnen gebetet, dass es die Katzen sein mögen, die überlebt haben und uns doch noch zur Hilfe eilen“, brummte Herlac und hielt die kurze, starke Nase schnuppernd in den Wind.
„Das hoffen wir alle“, entgegnete Ifrah leise. Die Erinnerung an das dunkle Inferno im Tal der Magier wog schwer. Horchte sie aber mit allen Sinnen in die offene Wüste hinaus, so war es nicht die Feindesflut, die sich näherte. Zumindest jetzt noch nicht.
„Seltsame Wesen waren das“, sagte der Hüne langsam. „Seltsameres könnte sich keiner unserer Geschichtenerzähler ausdenken, und doch habe ich sie mit eigenen Augen gesehen. Es ist, als sei ich selbst inmitten einer Geschichte.“
„Die für Manche von uns, vielleicht sogar für alle, mit dem Tod enden kann“, murmelte Ifrah düster. Sogleich schalt sie sich dafür. Es half nichts, ein schlimmes Ende zu erwarten – sie ahnten und wussten ja alle zu wenig.
Doch Herlac schien ihr die Bemerkung nicht übel zu nehmen. Er überging oder akzeptierte sie mit der an Sturheit grenzenden Zuversicht seines Volkes, das den Tod kaum fürchtete. „Die Männer sind unterrichtet“, gab er zurück. „Bis zu dieser Stunde haben wir nicht darin nachgelassen, ihnen die Geschöpfe zu beschreiben. Was jedoch geschieht, wenn sie ihnen leibhaftig gegenüberstehen, kann niemand vorhersagen. Viele werden glauben, dieses sonderbare Land gaukle ihnen Wachträume vor.“
„Wir werden sehen.“ Ruckartig beinahe wandte Ifrah sich ab. Jede Erwähnung von Menschen oder von Säbelkatzen, die daran gemahnte, dass hier in der Not nahenden Krieges eine erste Begegnung zweier so verschiedenartiger Rassen stattfinden mochte, führte ihre Gedanken zu nah an den drohenden Abgrund ihrer gemeinsamen Welt heran.
Als Herlac einen überraschten Ausruf tat, drehte sich die Magierin jedoch mit fliegendem Haar wieder um. „Sieh!“ Sie folgte seiner zeigenden Hand.
Einer der Eilboten jagte den Hügel wieder hinab. Schnurgerade trieb er sein Tier zur Stadt.
Auf dem Hügel zauderte noch das zweite Dromedar. Bewegung kam in die drückende Hitze. Wachen verließen den Hügelkamm, rennend, vielleicht schreiend. Die Lager begannen sich schneller aufzulösen.
Die Menschen fliehen. Einzig die Barbaren blieben, wo sie waren.
Und als Ifrah die Augen angestrengt zusammenkniff, bis es schmerzte, sah sie es.
Die steinerne Linie der Hügel stand noch eine kurze Weile – eine Schwelle, eine nutzlose Bodenerhebung vor dem endlosen, weißen Gesicht der Wüste. Dann löste sie sich auf. Gestalten, drei, vier, dann mehrere Dutzend, schließlich nicht mehr zu zählen. Ein ganzes Heer, oder die erste Welle eines solchen.
Es brachte keine Dunkelheit. Es brachte in der flirrenden Luft verschmelzende, vertraut gewordene Farben. Gelb. Hellbraun. Lichtreflexe, von metallenen Oberflächen aufspringend.
Die beiden Gefährten hasteten zu der Stelle, an der Urel, Bostac und die Anderen warteten. Die fast dreihundertköpfige Menge hatte sich eng zusammengezogen.
Aus dem Augenwinkel sah Ifrah Marej das Lager auf einem der Pferde verlassen. Sie ritt in Richtung der Küste, ohne Sattel, ohne mehr als die um ihre Gestalt flatternden Gewänder und den züngelnden Schweif ihres Haars. Urel hatte seine Geliebte fortgeschickt. Ein paar Mal wandte die Druidin sich noch um, als zögere sie.
Dann zog der Hügelkamm Ifrahs Blick unwiderruflich an.
„Bei den Ahnen“, sagte jemand tonlos neben ihr.
„Sie kommen.“ Hadan stand neben Urel. „Pakhra sei Dank, sie sind nicht sämtlich gefallen.“
Und die Säbelkatzen kamen.
Aufgefüllt von aus verborgenen Zufluchtsstätten gerufenen Artgenossen, schwemmte eine gelbbraune Flut hinunter ins Tal.
Ein einzelner, heller Trompetenstoß durchstieß die Luft über der Ebene. Was an Wachen auf den Hügeln blieb, war weit ausgewichen, um dem Heer Platz zu machen. Es bedeckte den gesamten Westhang, als es sich hinunterbewegte, scheinbar langsam, in Wahrheit jedoch schneller, als ein Menschenheer es vermocht hätte, und es zögerte nicht.
Der Wind, der aus derselben Richtung wehte, trug einen Geruch heran, erst so schwach, dass man ihn für einen Trug halten konnte, doch mit jedem Atemzug gewann er an Kraft.
Ifrah packte ihren Stab mit beiden Händen. Sie haben es geschafft. Sie sind dem Kessel der Täler entronnen. Sie haben Wort gehalten.
Immer noch floh alles, was nicht Kundschafter, Wache oder Barbar war, zur Stadt. Letzte Zelte blieben unbeaufsichtigt stehen, leere Planen im Luftzug des Krieges.
Bald erkannte man Einzelheiten. Ifrah spürte ihr Herz hart gegen die Brust pochen. Wilde Hoffnung, Angst und Fluchtinstinkt waren greifbar unter den Menschen.
Die Säbelkatzen schritten in einer großen Fächerformation auf das Barbarenlager zu. Ihre Zahl war kaum zu schätzen. Fünfhundert? Siebenhundert? Es konnten auch Tausend sein.
Doch gewiss waren dies alle, die noch in der Nähe menschlicher Siedlungen gelebt hatten – alle, die kämpfen konnten.
Die Geschöpfe waren samt und sonders mit Helmen und Teilpanzern gerüstet. Speere ragten auf. Lautlos in geringer Menge, warf das Heer nun auch die Geräusche seines Nahens voraus: Hundertfach verstärkt traten vierzehige Läufe in den festgebackenen Sand, stießen platte Nasen heiße Luft aus. Dennoch konnte kaum eine Streitmacht sachter und heimlicher sein. Flecke entzauberten sich zu Gesichtern und pflaumengroßen Augen. Raubtierdunst fiel in das Tal.
Es war seltsam still geworden.
Reglos erwartete das Barbarenheer die Ankömmlinge.
Als das Säbelkatzenheer sich auf Bogenschussweite genähert hatte, verlangsamte es seinen Schritt, dann kam er zum Erliegen.
Ifrah, die schon viel Unbegreifliches gesehen hatte, wurde Zeugin des unwahrscheinlichsten Zusammentreffens in langen Jahrhunderten der Geschichte Sanktuarios.
Sprachlos starrten die Barbaren. Sie konnte es den Kriegern nachfühlen. Keine noch so eindringliche Beschreibung bereitete Menschen auf den Anblick dieses Volkes vor, das wie aus Fieberfantasien und uralten Sagen erbaut plötzlich die Bühne der Wirklichkeit bestieg.
„Ruhig, Männer“, war Urels dunkle Stimme zu vernehmen. Dann, den Zweihänder im Rückenhalfter, ohne Helm, trat der junge Barbar vor.
Als er sich der gelbbraunen Menge bis auf wenige Schritte behutsam genähert hatte, löste sich eine einzelne Katze heraus. Ifrah erkannte sie. Harebnash, der Säbelkater, der die Erkundungsgruppe unter höchster Gefahr zum Dämonentor geleitet hatte. Ihr Herz machte einen Satz. Das Geschöpf trug die Insignien Merenechsas – den weiß beschweiften Helm und die Halskette aus bleichen Goldplatten.
Die Hohepriesterin war nicht unter den Säbelkatzen.
In der wartenden, staunenden Stille klangen die verschiedenartigen Stimmen dünn und verwundbar.
„Seid willkommen“, begann Urel und legte die Rechte auf die Brust. „So konntet ihr den Dämonen also entkommen.“
„Dank sei dir, Mensch.“ Harebnash deutete eine Verbeugung an. Die Geste des halben Tiers, eigentümlich drollig und ehrfurchteinflößend zugleich, rief unter den schweigenden Reihen der Barbaren vorsichtige Verwunderung hervor. Fäuste, die auf ihnen geruht hatten, verließen Axt- und Schwertknäufe.
„Die Schwarzen folgen uns“, formte der Säbelkater mühsam weitere Worte. Die Überraschung, durch ihn seine Art sprechen zu hören, überfiel Ifrah erneut. Es ist die Stimme der Wüste. Wir haben das Land stets nur durchreist, um schnell zu den Siedlungen zu gelangen, und es ist uns trotz unserer Liebe zu seiner öden Schönheit bis heute in seinem Wesen fremd geblieben. „Wachen haben es gesehen. Die Täler sind voller Schatten und Bewegung. Und man kann sie dort nun auch hören. Gebt ihnen einen halben Tag. Wenn die Sonne wieder steigt, werden sie da sein.“
Mit diesen Sätzen besiegelte das Geschöpf das Schicksal Lut Gholeins.
Eine Nacht noch. Vielleicht nicht einmal so viel. Die Magierin nickte für sich selbst.
Die Gefährten und die Barbaren schwiegen zu der ausgesprochenen Vermutung. Das warten würde bald ein Ende haben.
„Lut Gholein weiß, wie wenig Zeit es noch hat“, sagte Urel.
Wie um seine Worte zu bestätigen, erklang ein zweiter Trompetenstoß. Das Stadttor öffnete sich. Ein gutes Dutzend Palastsoldaten näherte sich von den weißen Mauern her. Der junge Barbar blickte hin, dann wieder in die Augen seines Gegenübers. „Die Menschen fürchten sich. Wir indes ehren euch für das Wagnis, zu dem ihr euch entschlossen habt.“
Ohne sichtbares Zeichen seitens des Säbelkaters ballte sich das Heer seiner Artgenossen, Linie hinter Linie, weit über die halbe Ebene bis zu den Hügeln reichend. „Auch wir haben Angst“, gab Harebnash zurück.
Seine offene Äußerung erreichte die Barbaren, und Ifrah mochte sich irren, doch vielen der derben Gesichter sah man das Bemühen um Nüchternheit an. Vielleicht war kein Volk besser geeignet für diesen weiten Brückenschlag.
„Viele gehen nicht mehr über den Sand“, fuhr Harebnash fort. „Aber wir halten Wort. Wir kämpfen – an eurer Seite.“
Er stieß einen Speer in den Staub. Das Katzenheer quittierte diese Bewegung mit einem Kriegsruf – für die Menschenohren nur ein Grollen. Unwillkürlich wichen die vordersten Barbaren leicht zurück, doch dann stemmten sie die dicken Beine wieder gegen die zu verteidigende Erde und warteten hochaufgerichtet, bis der Ruf verebbt war.
Urel wartete mit ihnen. Dann sah Ifrah ihn etwas tun, das er nie zuvor getan hatte – nicht vor Anderen seines Stammes, nicht vor den Obersten des hohen Harrogath, nicht einmal vor Baal.
Freiwillig beugte der hünenhafte Krieger das Knie.
Als er sich wieder gestreckt hatte, fragte er: „Was ist mit Merenechsa geschehen?“
„Sie geht nicht mehr über den Sand“, antwortete Harebnash leise. Trauer schwang in der verzerrten Stimme mit. „Was war, ist hin. Wir müssen kämpfen, damit nach uns neues Leben kommen kann.“
Urel nickte finster.
Dann wandte er sich um, und mit ihm wandten sich auch alle anderen den heranschreitenden Palastsoldaten zu. Gedankenschwer verfolgte Ifrah den geraden, aber merklich zögernden Weg der Stellvertreter Lut Gholeins.
Sie waren nicht von der schlichten, doch im Notfall anpassungsfähigen Art der Nordmänner. Sie trafen hier auf uralte, verhasste Widersacher, mit denen sie nur die Versicherung dahergelaufener Abenteurer neu verband, und es würde sich zeigen, ob dies ausreichte.
So waren die Gesichter der Soldaten auch dunkle Masken der Abwehr, als sie nahebei verhielten. Ein Mann, dessen helle Kleidung ihn als einen Berater des Fürsten auswies, schälte sich behutsam und misstrauisch bewacht aus ihrer waffenstarrenden Mitte. Harebnash beobachtete den Mann mit pendelndem Schwanz.
Überall unter den Parteien gab es zuhauf kleinste Regungen unterdrückter Anspannung – blitzende Augen, nach Schwert- oder Säbelgriffen tastende Hände, Anweisungen zur Ruhe.
Mehr als zehn Schritte kam der Berater nicht heran, dann blieb er stehen, ganz erstarrter Habitus der bedrohten Stadt. Seine Stimme klang unnatürlich forsch.
„Geschöpfe aus der Wüste“, rief er die unüberblickbaren Reihen der Säbelkatzen an, einem Mann ähnelnd, der erstmalig ein Standbild auf einem fernen Kontinent anspricht, von dem ihm höchstens wirre einheimische Sagen versichert haben, es besitze ein geheimes Leben. „Uns wurde berichtet, dass ihr euch entgegen eurer älteren Feindseligkeit nunmehr auf die Seite unserer Stadt zu schlagen gedenkt. Somit entbietet das Fürstenhaus euren... Anführern seine Grüße. Ihr seht unsere Lage und wisst, wie uns gesagt wurde, von den Feinden, die Lut Gholein anzugreifen planen.
Lagert vor der Stadt, wenn euer Ansinnen aufrichtig ist. Hütet euch aber, sie zu betreten.“
Ifrah verfluchte die Rede des Beraters im Stillen herzhaft.
Gewiss, ihm schlotterten die Knie vor Angst, und sie verstand die anwachsende Bedrängnis der Stadt, doch höflich zeigte sie sich ihren neuen Verbündeten gegenüber nicht eben. In den ausgerichteten Worten schwang der althergebrachte Wille Lut Gholeins mit, die Welt einzig aus seinem Blickwinkel zu begreifen.
Seid um Badrs Willen nicht töricht. In den Jahrzehnten eurer Blüte durftet ihr es sein, aber nicht in diesen Tagen.
Harebnash indes schien die Ansprache ruhig aufzunehmen. Schweigend stand der Säbelkater da.
Urel war es, der sich schließlich vernehmlich räusperte. „Das Heer der Verbündeten wird sich des Gastrechts als würdig erweisen, Berater“, sagte er mit Nachdruck. „Bedenkt, wer der wirkliche Feind ist. Die Dinge ändern sich.“
Dem Palastbeauftragten war anzusehen, dass die Zusammenkunft ihn an den Rand seiner sicherlich wohlmeinend eingesetzten Fähigkeiten brachte. Er gab ein paar halbherzige Höflichkeiten zurück.
Ifrah lauschte dem folgenden, sehr kurzen Gespräch über die weiteren Notwendigkeiten ohne Mitleid für die Gesandtschaft der Stadt. Ihr solltet euch glücklich schätzen. Eure Soldaten sind gut ausgebildet, aber für eine Schlacht fehlt es euch an Männern. Wie viele Krieger könnt ihr aufbringen? Sicherlich kaum mehr als Tausend, zählt man die Tapferen aus der einfachen Bevölkerung dazu, die unbedingt kämpfen wollen und als Erste sterben werden.
Nun, beinahe ein Drittel so vieler Nordleute sind hier, um für den Boden zu streiten, der nicht der ihre ist und dessen Bewohner sich nie sonderlich um ihr Schicksal gekümmert haben.

Sie wusste, dass die Unerbittlichkeit dieser Tage ihre Sicht auf die Menschen verhärtete.
Sie wusste auch, dass es allerorts auf Sanktuario dasselbe war.
Einzig die unmittelbare Not oder das Begreifen der Bedrohung für alle Länder schweißte die Völker zusammen. Selbst wenn sie überstanden, was ihnen blühte, würden sie wieder auseinandergehen und die einstige Einvernehmlichkeit schneller vergessen als die wohlgehüteten Unterschiede und die noch besser gehüteten Legenden, die ihre jeweilige Einzigartigkeit beschworen. Jedes Volk hielt sich für einzigartig.
Verwirrt, halb erfreut über die Begegnung, die sich entgegen aller Befürchtungen nicht in einen Aufruhr verwandelte, halb mit nicht sehr freundlichen Gedanken über die Art der Menschen beschäftigt, sah sie die Gesandtschaft des Palastes wieder abziehen. Sie war nur erschienen, um Jerhyn zu vertreten.
Er würde bald sterben. Wer ihm auf den Thron folgte, war unklar.
Sie und ihre Gefährten bildeten eine Ausnahme in allen Landen, und dies vielleicht nur, weil sie durch gemeinsame Erlebnisse aneinander gewöhnt und Ausgestoßene waren – selbst Menrad, der die Vorgänge ruhig und entschlossen verfolgte und Tugenden eines Lichtkriegers außerhalb seines Ordens bewahrte.
Die Gruppe der Gefährten sah zu, wie die Säbelkatzen Besitz von der Ebene nahmen. In einem weiten Kreis bewegte sich das Heer durch das Tal, einmal nur und ohne den Mauern allzu nah zu kommen. Schließlich sammelte es sich längs der Hügel, der Staub sank, und nur es selbst mochte wissen, wie es die letzten Stunden vor Beginn des neuen Tages verbringen wollte.
Ruhe kehrte wieder ein, eine denkbar seltsame und unvollkommene Ruhe.
Einige Barbaren näherten sich gelegentlich den fremdartigen Reihen.
Es kam zu Szenen, die lang im Gedächtnis haften blieben. Da sie sich kaum verständigen konnten, beäugten sich die Nordmänner und die Wüstenwesen schweigend im Gemurmel ihrer rastenden Mengen. Es schien, als beröchen sich hier zwei alte Völker, die beide die Abgeschiedenheit dem Dasein zu dicht bei Anderen vorzogen. Einzelne gingen mit wuchtigen Schritten auf ihre neuen Verbündeten zu, verhielten dann unsicher oder betrachtend, und es entspannen sich absonderliche kleine Tänze der Annäherung. Ein Druide trug einen Wassereimer herbei, stellte ihn vor den Reihen starrender Säbelkatzen in den Sand, kniete sich dann daneben, waffenlos, vielleicht betend, vielleicht nur dem Bild des so gänzlich Fremden ausgesetzt, und entfernte sich schließlich wieder, halb eilig, halb widerstrebend, als verlasse er die Schwelle eines unbekannten Heiligtums, während die Säbelkatzen sich neugierig um den Wassereimer sammelten wie um etwas nie Gesehenes.
Ihnen blieb indes nicht mehr viel, als sich auf die letzten Stunden in Ungewissheit einzustellen. Der Berater hatte angekündigt, es werde sich in der nächsten Stunde ein Befehlshaber des Stadtheeres einfinden, um alle Streitkräfte in einen endgültigen Verteidigungsplan einzubinden.
Die Gefährten fanden sich an Urels Lagerplatz ein. Er lag nun zwischen dem leicht versetzten Lager der Barbaren und den Reihen der Säbelkatzen, die großenteils in der Hitze kauerten, reglos, die Speere wie dünne Fahnenstangen neben sich.
„Soweit ist alles gut“, begann der junge Barbar grimmig, ohne dass klar wurde, ob er die nahende Bedrohung mit seltsamer Befriedigung erwartete oder Lut Gholeins Einverständnis kommentieren wollte. „Nun fehlt nur noch der Gegner.“
Er ist zu begierig auf die Schlacht. Ifrah wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er kann es kaum erwarten. Erneut überfiel sie nagende Sorge, und sie fing einen weißen, scharfen Blick Hadans auf, der ähnlich zu denken schien wie sie.
„Eine Nacht also noch“, sagte der Nekromant dann. „Ich werde zusehen, dass Lut Gholein die Pundarkrieger zu uns schickt. Die Stadt kann ihnen ohnedies kein Dach bieten. Sie werden mit uns unter freiem Himmel übernachten.“
Neben dem Nekromanten rechnete Menrad murmelnd die einzelnen Gruppen zusammen. „Zweitausend“, schloss der Paladin. „Zweitausend Krieger. Und wir wissen nicht, wie viele Gegner es sind.“
„So oder so sind zweitausend verzweifelt wenig“, meldete sich Bostac zu Wort, doch sein Gesicht wirkte nicht düster. „Gute Männer und... kämpfende Wesen, nach dem, was ich gesehen habe. Wenn uns nur die Zahl der Feinde bekannt wäre...“
„Wir müssen es ohne Wissen versuchen“, entgegnete der Nekromant.
Ifrah nahm in seiner Aura eine leichte Veränderung wahr. Sie war sich sicher: Welche Pläne er auch immer im Stillen gehegt hatte oder noch entwickelte – er zögerte.
Vielleicht erfüllte ihn die Versammlung der Völker mit derselben, brüchigen, wilden Hoffnung wie sie alle.
Marej war fort, zu den Frauen, Kindern und Alten gegangen, die sich auf die Schiffe vor der Küste oder am Ufer einfinden sollten – kleine Inseln ausharrenden Lebens. Und ich habe ihr nicht einmal richtig Lebwohl gesagt.
 
gaaaaaaaaaaaah aus.... *mift* grad wos so spannend war :fight: reeba ^^

also was soll i grossartig sagen... SUPA!!!!!!!!! genial :) vor allem was nu wieder mit hadan is... *spannend*

also weiter so :kiss: tigerle
 
Wieder ein weltklasse-Kapitel!

Und die Säbelkatzen kamen.
*Nackenfell sträub* Ein bewegender Moment. Schade, dass die Begegnung unter so trausrigen Umständen erfolgt, die Vermischung der Völker hätte viel Situationskomik mit sich bringen können.

Urel - Was wird nur aus ihm? ;(

Haden - Zu was wird er nur? :cry:


Wann geht diese großartige Story weiter? :go:

:kiss: Insidias
 
um kritik üben zu könne muss man meiner meinung nach bessere ideen haben bzw. man kann nur loben.

fehler kann ich keine entdecken. dein schreibstil ist brilliant. anders kann ich es nicht sagen.

ich freue mich wie immer schon aufs nächste kapitel. ich weis nicht, was ich machen werde, wenn es mal kein nächstes kapitel zu dieser grandiosen story gibt. es bleibt nur abzuwarten.

und das werde ich nun auch tun.

Gruß, Helldog
 
XLVIII. Ruhe vor dem Sturm





Mehr als einen flüchtigen Blick hatte er der davon Reitenden nicht gewidmet.
Aber während er unter den Männern umherging, spürte Urel, wie der Abschied ihm das Zusammennehmen seiner Kraft und Konzentration erschwerte. Marej mochte wohl schon auf einem der Schiffe sein, die den Hafen verstopften. Dutzende waren es inzwischen. Man hatte alle Gefährte, selbst die kaum seetüchtigen Nachen der Fischer, für die Ausweisung der Frauen und Kinder herbeigeschafft.
Der junge Barbar sah das Hafengetümmel ungerufen vor sich. Stand seine Gefährtin bereits an einer Reling, den runden Bauch gegen das Holz gedrückt, wartend, wie alle Menschen beobachtend, wie die Nachmittagssonne ihre Bahn gen Westen antrat und das Licht sich zu verändern begann?
Sie hatten sich im Streit getrennt, oder wenigstens beinahe.
Marej war keine Barbarenfrau, die zu den Entscheidungen der Männer nickte und mit gesenktem Haupt davonging. In ihrer zähen Weigerung, ihn und die Gefährten am Vorabend der drohenden Schlacht zu verlassen, hatte sich, so verstand er es, ihre Gewohnheit ausgedrückt, zu führen und zu kämpfen – ganz so, wie er sie vor Monaten in den ruhelosen Wäldern des Nordens kennen gelernt hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Er ahnte, dass er ein anderer Mann war als damals und dass Marej diese Wandlung bedrückte.
Er konnte es nicht rückgängig machen. Und wenngleich sein Inneres sich gelegentlich dagegen wehrte, schob sich der Kriegsherr unmissverständlich zwischen sie beide und verwischte, womit alles begonnen hatte: Mit einem heimatlosen, vom Gestern verwundeten Kämpfer und einer Druidin, die nichts weiter gewollt und getan hatte, als ihr Dorf zu beschützen.
Dann das Entflammen ihrer Liebe und der Entschluss, gemeinsam nach Süden zu ziehen. Zahllose Begegnungen, sich verschiebende Fronten, besorgniserregende Neuigkeiten. Mitten darunter sie beide, sich aneinander festhaltend, und er selbst, wiederfindend, was er verloren geglaubt hatte: Seinen Schwertarm. Seine alten Mitstreiter. Einen wahrhaftigen Gegner.
Und schließlich das Kind, das kommen würde. Ihrer beider Kind.
Urel stand einen Augenblick lang still und überhörte die Worte eines Mannes, der ihn zu sprechen wünschte. Ihm entging auch, dass der Andere unwillkürlich vor dem Antlitz des Kriegsherrn zurückschrak, das sich verfinsterte bis zu den grimmigen und schmerzlichen Zügen einer Ahnenstatue hin und geradeaus starrte, durch alle Menschen hindurch, alle Menschen meidend.
Der Schmerz, der stets anpochte, wenn seine Gedanken an das werdende Leben sich in Gefilde hineinbewegten, in denen es zur falschen Zeit entstand, Raum einnahm, den es nicht gab, Sorgen bereitete, die unpassender kaum sein konnten, überfiel Urel wieder. Doch er war schwächer geworden – niedergedrückt, beiseite gedrängt. Widerwillig. Ihr Ahnen seid meine Zeugen. Nichts auf der Welt liebte er wie Marej. Nichts würde er so lieben wie dieses Kind.
Aber alles zu seiner Zeit.
„Was gibt es?“ wandte er sich dem Mann vor ihm derart abrupt zu, dass dieser sich straffte. Es war einer von Herlacs Kriegern.
„Von der Stadt her nähern sich Leute aus dem Osten“, sagte der Mann. „Der Nekromant empfängt sie und bat mich, dir auszurichten, du mögest hinzukommen.“
„Gut. Sei bedankt.“ Doch Urel setzte sich nicht sofort in Bewegung. Er stand und sandte einen langen Blick über das Tal und die Stadt. Stets aufs Neue prägte sich ihm dieser Ort der Entscheidung ein.
Der sandige und felsige Kessel öffnete sich hin zum blitzenden Meer, so eben, dass er wie ausgelotet schien. Bräunlich umarmten ihn die Hügel, vor denen jetzt gelb und still das Heer der Säbelkatzen lagerte. Über die weißen Mauern Lut Gholeins spähten die Dächer der Häuser und die Kuppel des Palastes, und über allem hing bleiern und ungerührt, ewig und unerreichbar der Himmel.
Die Hitze hatte noch zugenommen.
Als Urel dem Krieger Herlacs durch die Reihen stehender und die Gruppen umherhockender Barbaren folgte, sah er die Männer wie Hunde in der flirrenden Luft hecheln. Doch es half nichts, Lut Gholein vermochte keine weiteren Menschen mehr zu fassen. Zudem hätten sich die Krieger kaum die Blöße der Suche nach einem schattigeren Platz gegeben.
Sie warteten und harrten aus, wie sie es ebenso in klirrendem Frost oder strömendem Regen zu tun gewohnt waren. Dennoch neigte sich die Menschheit der Schlacht, so wollte es Urel erscheinen, starr und entschlossen entgegen. Bald, bedachte er die derben Gestalten mit einem Blick des Stolzes und der Zuversicht. Unser Warten wird ein Ende haben, wenn die Sonne erneut aufgeht. So vermuten es die Wachen, und wenigstens darauf ist Verlass.
Viele Augen folgten jeder seiner Bewegungen. Mittelpunkt zu sein hätte ihn zu Zeiten der Baalsmission in Verlegenheit gestürzt, doch auch daran gewöhnte der Lauf der Dinge einen Mann, und inzwischen begrüßte er es. Nur selten einmal tauchte der Widerhall einer dünnen, entsetzlichen Stimme in ihm auf.
Du wolltest dich doch gottgleich machen, Barbar.
Meist gelang es ihm, sie zum Schweigen zu bringen. Sie und die Zweifel, ob er sich nicht doch auf einen zu luftigen Pfad verirrt hatte, der abseits von Tugend und Bescheidenheit auf einen Fall zulief.
Er starrte mit solcher Inbrunst in die Gesichter der ihn ansehenden Männer, dass Einige sich mit fragender Miene erhoben. Sie waren allezeit seit seinem Aufstieg Spiegel seiner Handlungen gewesen – konnte es denn sein, dass sie ihm immer weiter vertrauten, dass nicht ein Einziger seine Entscheidungen anzweifelte?
Vor ihm hatten sich rotgekleidete Männer mit dunkler Haut dem Barbarenheer zugesellt und standen in einem lockeren Kreis um Hadan.
Pundar. Der Name war nur ein Raunen von alter Herrschaftsgewalt, die sich im Osten erhob und gegen Kurast vorging, wo immer es ihr gelang. Urel erinnerte sich an Ifrahs und Hadans Berichte über die verheerende Schlacht um das wankelmütige Travincal, über die Umwälzung der geistigen Strömungen, mit denen die sonderbaren Götter und die Vorgänge des Weltenwandels eng verknüpft sein mussten. Einzig mit Hilfe Pundars war es gelungen, Kurast niederzuwerfen. Vielleicht befanden sich gar einige der Soldaten aus dieser fernen Stadt nun hier, die in der Schlacht gekämpft hatten.
Urel betrachtete sie, während er näher heranging. Sie waren von Kopf bis Fuß von der wilden Art der schnell aufbrausenden, dann wieder tagelang schweigenden Ostländer, hager, sehnig und dunkel, nicht breitschultrig und schwer wie die Barbaren. Wo der Norden sich in Eisenpanzer und gehörnte Helme kleidete, trugen sie Kupfer, leicht zu durchstoßende Holzschilde und lose hängende, tiefrote Gewänder. Doch die Lässigkeit, mit der sie sich auf ihre schwarzen Lanzen stützten, zeigte jedem Krieger, dass ihre Zahl gut das Dreifache wert war. Die Hitze schien sie nicht weiter zu kümmern.
„Urel“, begann der Nekromant und wies auf einen neben ihm wartenden Mann, der den Barbaren aus funkelnden Augen ansah. „Dies ist Abhay, Anführer der Gesandtschaft Pundars. Er und seine Krieger wissen bereits, womit wir rechnen müssen, und haben sich einen Überblick über die Lage und die Streitkräfte der Stadt verschafft. Sie sprechen ohne Ausnahme Sandhaîn. Sie sind dir zugeteilt.“
Der Pundaranführer regte sich nicht, nur seine bärtigen Lippen teilten sich zu einem strahlend weißen Grinsen.
Sein Ton aber war weder spöttisch noch respektlos. „Seid gegrüßt, Männer aus dem Norden der Welt.“ Schweigend, abschätzend standen sich die beiden Lager gegenüber. „Sonderbare Kunde hat uns im Osten erreicht. Es heißt, jene Dämonen, die auch nach unseren Landen greifen, hätten sich hier gezeigt, und das so deutlich, dass sie vielleicht zu bekämpfen und eines Besseren zu belehren sind. Wohlan, hier sind wir.“
„Ich bin der Kriegsherr dieser Männer“, entgegnete Urel, hinter dem sich die Barbaren langsam sammelten. Er nannte seinen Namen und fuhr fort: „Diese Stadt, die einem Angriff entgegensieht, lässt alle Hinzugekommenen selbst entscheiden. Es gibt Rücksprachen mit den Befehlshabern des Fürsten Jerhyn, doch wie wir uns aufstellen, liegt bei uns – und somit bei mir.“
„Nur gerecht.“ Abhay nickte. Dann nahm er, immer noch grinsend, das Tal in Augenschein. „Eine Kessellage. Das heißt, keine Flucht aus der Stadt, wenn die Mauern erst umzingelt sind.“
„Das ist richtig.“ Urel wechselte einen Blick mit Hadan. Ruhig und düster wohnte der Nekromant der Besprechung bei. „Ja, das heißt Sieg oder Zerstörung Lut Gholeins.“
„Da tummelt sich noch allerhand Volk innerhalb der Mauern, fast die gesamte Bevölkerung, möchte man meinen.“ Abhay wies mit dem Kopf zurück auf die weiße Linie zwischen Gelb und Blau. Seine Augenbrauen waren bedenklich hochgezogen. „Worauf warten sie? Bis es zu spät ist? Sie sollten die Stadt verlassen, solange die Sonne noch scheint, und nur ihre Truppen dort behalten.“
„Sie werden Lut Gholein nicht verlassen“, warf Hadan ein. Eine heiße Windbö fegte ihm das Haar aus dem Gesicht. „Einzig der Befehl des Fürsten hat erreicht, dass wenigstens die Schwächsten aufs Meer oder an die Küste fliehen.“
Ringsum schwieg alles zu diesem Punkt. Der hagere Pundarkrieger schürzte die Lippen, schüttelte dann den Kopf mit dem straff gewickelten Turban. „Narren“, sagte er laut, aber nicht ohne einen Beiklang des Verstehens.
Von seinen Männern sahen viele zur Stadt, und Urel vermochte die Gedanken hinter den dunklen Gesichtern beinahe zu lesen. Das Leben hinter den Mauern würde den Kampf für jene, die sie verteidigten, verzweifelter, bitterer und ernster machen. Denn selbst wenn die Frauen und Kinder auf den Schiffen ausharrten und nicht unmittelbar in die Schlacht gerieten, waren die Einwohner, die sich weigerten, Lut Gholein zu räumen, auch im Geiste der Ortsfremden somit lauter Väter, Söhne, Brüder. Und wie vor Harrogath wusste der junge Barbar nicht zu sagen, ob diese angreifbarste Seite belagerter Städte eher Ansporn im Herzen wachrief oder gefährlich lähmende Sorge.
„Sei es drum.“ Der Pundaranführer zuckte die Schultern. Das Lächeln, das sein Gesicht vorübergehend geflohen hatte, kehrte zurück. „Was könnt ihr uns über diese Dämonenbrut sagen? Denn allein ihr habt sie wohl gesehen. Woran auch immer es liegt, den Osten haben sie, soweit uns bekannt ist, bislang nicht betreten. Wenigstens nicht in greifbarer Gestalt.“
Urel spürte, dass er Zutrauen zu dem fremden Mann und der zähen Erscheinung seiner Truppe fasste. Dies waren Kämpfer, wie die Welt sie dringend brauchte.
Wären es nur zehnmal so viele.
„Hadan wird euch gewiss das Nötige bereits beschrieben haben“, entgegnete er. „Wir wissen nicht viel mehr, als dass sie die Menschen an Größe und Kraft übertreffen, und unsere Wunden stammen von dem Feuer, über das sie gebieten.“ Er zeigte Abhay seine Schulter. „Jeder, der nur wenig gerüstet ist, sollte sich ihnen nicht weit nähern.“
Abhay nickte, während seine bis dahin wortlosen Männer in unterdrücktes Reden ausbrachen.
“Sutma!“ Ihr Anführer brachte sie mit einem Befehl zum Schweigen. „Kein Gefasel! Das führt zu nichts. Wer bis hierhin mitgekommen ist, muss bereit sein zu sterben.“
Die folgende Stille, bemerkte Urel, machte einzig ihn und die Barbaren betreten. Den Pundarkriegern aber sah er an, dass die groben Worte ihres Anführers nicht allein eine Zurechtweisung enthielten.
Sie rechneten nicht damit, in den Osten zurückzukehren.
„Seltsam ist“, fuhr Abhay fort „was man dort drüben erblicken kann.“ Die Gefährten folgten seinem Blick zu den Reihen gelbbrauner Leiber, die die unterste Hügelpartie verbargen wie Schaum oder ein lebendiges Gewebe. „Was sind das für Geschöpfe? Haben die Menschen hier Verbündete aus schlechten Träumen gefunden, aus denen Wirklichkeit geworden ist?“
„Es sind Säbelkatzen“, antwortete Hadan. „Bewohner der Wüste, einst Feinde des Volkes von Lut Gholein und ohne Vernunft und Sprache, wie lange angenommen wurde. Sie haben uns gezeigt, dass wir uns irrten.“
„Wunder über Wunder, bei Bisra“, staunte der Pundarkrieger freimütig, und diesmal unterband er das Reden seiner Männer nicht. „Und nicht alle böser Natur, wie es scheint. Was sagst du dazu, Nâkyshat? Deine Kaste hat doch eine Vorliebe für solche Launen der Götter, mögen sie uns ewig beschützen.“
Der Nekromant lächelte dünn. „Auch wenn du meine Kaste treffend beschreibst, Abhay, und die Götter mir hierfür vielleicht zürnen werden: Dies haben sie nicht bewirkt, denke ich.“
Urel fing einen Blick aus den geisterhaften Augen seines alten Mitstreiters auf. Sie teilten die Ahnungen, wie weit die Auswirkungen der Zerstörung des Weltensteins reichten. Der Rest der Welt gesellte sich nach und nach zu ihnen. Es mochte eine Zeit kommen, da aus dem Geschehen auf dem Arreat anstelle einer verschwommenen Legende etwas werden würde, das sich in das Bewusstsein Sanktuarios ebenso fest verankerte wie die Schreckensherrschaft der Erzdämonen.
Abhay tat, was er seinerseits vielleicht ahnte, unterdessen mit einem weiteren Schulterzucken ab. „Die Zeiten ändern sich. So ist es immer gewesen. Uns steht es nicht zu, die Ratschlüsse der Götter zu hinterfragen.“
„Manchmal schadet es nicht, es doch zu tun“, äußerte Hadan überraschend, ohne dass in seiner Stimme ein Hauch wankenden Glaubens zu vernehmen gewesen wäre.
„Das überlasse ich lieber Männern wie dir, Nâkyshat“, winkte der Krieger ab.
Urel bot der rotgewandeten Schar an, bei den Barbaren zu lagern. Abhay nahm sichtlich erfreut an, und die Pundarkrieger verteilten sich ruhig unter den Hünen, die zu ihren Plätzen zurückgingen.
Ein einziges, scharlachfarbenes Zelt wurde aufgestellt – nicht, um dem Anführer Schatten zu gewährleisten, sondern für eine Kochstelle. Sehr bald zog der Duft von Tee fein und sonderbar durch den Dunst aus Staub und Schweiß, der über den wartenden Streitkräften hing.
In wenigen Stunden würde es dämmern.
Und immer noch kam keine Warnung von den Hügelwachen.
Der junge Barbar bewegte die massigen Schultern. Die Rüstung wog schwer, und darunter war sein Lederzeug nassgeschwitzt, doch er fühlte sich lebendig – auf grimmige Weise lebendig und voller Tatendrang. Nicht einmal das unselige Warten vor den Mauern, über die von fern Geräusche letzter Arbeiten drangen, schwächte ihn mehr.
Kaum hatte er wahrgenommen, dass Hadan noch bei ihm stand und die beiden Männer Seite an Seite die Mitte des großen, vielgestaltigen Lagers beherrschten. Jetzt blinzelte er zu ihm hinüber.
Der Nekromant, der beinahe alt genug war, um sein Vater sein zu können, erwiderte seinen Blick nicht, doch als er ihn spürte, sagte er: „Es ist alles vorbereitet, Urel. Die letzten Aufstellungen werden erfolgen, wenn der Feind gesichtet ist. Bist du zufrieden?“
In der Frage lauerte, soviel war sicher, mehr als die Erkundigung nach der Ansicht eines Kriegsherrn, aber Urel wich allen Gedanken aus, die sich anschließen wollten.
„Ich bin zufrieden“, gab er zurück.
Was ihm aus der schwarz gepanzerten Gestalt seines Vertrauten entgegenschlug, war der wohlmeinende, nicht sehr milde Ernst eines Menschen, der etwas lange Beobachtetes durch sein Schweigen scheinbar duldet, sich aber wenig Mühe gibt, anders auszudrückendes Missfallen zu verbergen.
Ich lüge dich nicht an. Urel sah fort. Das musst du mir glauben. Anders kann und will ich nicht sein. Es ist meine Bestimmung.
Kurz schien es, als wolle der Nekromant nachhaken, wie er es häufiger tat, wenn sein Gegenüber sich in Sicherheit wähnte. Dann aber fragte er: „Erinnerst du dich an die Tote im Heidekraut, damals?“
Der Tag unserer ersten Begegnung. Halb gegen seinen Willen verzogen sich Urels Lippen zu einem Lächeln, das weit in die Vergangenheit zurückging. „Ich erinnere mich“, sagte er.



In diesem Teil der Welt musste mehr Regen fallen als sonst wo.
Nieseln, ein grauer, feuchter Vorhang, der den Nebel über die Wiesen schleifte, in die niedrigen Bäume klebte und die moosüberwachsenen Steinmauern in ferne, langgezogene Gebilde verwandelte. Als wolle der nasse, übersatte Boden etwas von der Feuchtigkeit zurückgeben, die das Land zwischen der Westküste und den Bergen tränkte wie einen Schwamm, stieg Dunst aus Gras und den bescheiden blühenden Kräutern, deren dunkel purpurne Blüten an seinen Stiefeln haften blieben.
Die Sicht reichte nur wenige Dutzend Schritte weit.
Darum und auch, weil er Ausschau nach einem Dorf hielt und mit gezogenen Schwertern in die nur selten von Vogelrufen unterbrochene Stille nach verdächtigen Geräuschen lauschte, hätte er die Leiche beinahe übersehen. Aber sie war nicht allein.
Ein von Kopf bis Fuß in einen tropfenden, schwarzen Mantel gewickelter Mann kniete neben ihr im Heidekraut. Urel war sich sicher, dass er sich eine ganze Weile nicht bewegt haben konnte – wie sonst war er seinen guten Augen und Ohren entgangen?
Als er die Schwertgriffe fester packte und vorsichtig, aber seltsam gefangen durch die nieselnde Stille und die graugrüne Welt näher heranging, regte sich der Mantel. Eine bleiche Hand kam hervor, bis zum Gelenk in einen nietenbesetzten Armschoner gekleidet, doch ohne Handschuh. Der Fremde schloss dem Leichnam die Augen, was offensichtlich nicht leicht war. Dann wandte er den Kopf nach dem Barbaren.
Urel blieb stehen und hielt den Atem an.
Wenn die Ahnen an die Menschen Gaben des Äußeren verteilten, dann waren sie mit diesem dort nicht sehr gütig verfahren, mochten die Weisen wissen, warum. Der Mann hatte nicht nur weißes Haar, auch der Rest, den Urel von ihm sah, war farblos, selbst die Augen. Sie blickten dennoch scharf und durchdringend, und obwohl der Barbar keine Waffe entdecken konnte, riet ihm sein Gespür zur Vorsicht.
Der Fremde erhob sich. Sein weißes Haar täuschte, er war kein Greis, wenn auch merklich älter als Urel. Beim Aufstehen schwang der nasse Mantel zurück und enthüllte eine schwarzsilberne Rüstung und einen Gürtel, gesteckt voll mit Dolchen und mit Zeichen übersät, die man nicht lesen können musste, um ihre Herkunft zu enträtseln.
„Sieh an, ein Barbar“, sagte der Mann. Er machte keine Anstalten, einen der Dolche zu ziehen, noch sonst eine Bewegung.
Dies war neu. Die meisten Westländer griffen unwillkürlich zu den Waffen, wenn sie Urel erblickten. Doch vielleicht war der Andere nicht aus dem Westen. Seiner Aussprache haftete etwas an, das der junge Krieger nie zuvor gehört hatte.
„Wer seid Ihr?“ rief er und hielt das rechte Kurzschwert eben so hoch, dass es Misstrauen bekundete, ohne offen drohend zu wirken.
Seine Frage blieb unbeantwortet. Doch ob es Neugier oder einer anderen Regung entsprang, er konnte nicht anders, als noch näher zu treten. Nun erkannte er die Leiche auch besser.
Es war ein junges Mädchen, bereits drei oder vier Tage tot, wie die völlig blutleer erscheinende, grau gefleckte Haut verriet, und in der Kleidung einer Jägerin. Sie lag auf dem Rücken, ordentlich, fast als schliefe sie, sah man von der fußbreiten, ausgefransten Wunde in der Gegend des Herzens ab. Ihre Hände waren gefaltet, die Beine in den ledernen Stiefeln ruhten nebeneinander.
So lag keine Tote.
Urel blieb erneut abrupt stehen. Blut schoss ihm in den Kopf und presste ihm Worte auf die Lippen. Er war überrascht, seine Stimme weder zornig erbeben noch sich feindselig verflachen zu hören, als er feststellte: „Ihr seid ein Nekromant.“
Gerüchte, düstere, unerfreuliche Fetzen von Gewusstem oder Vermutetem, die man sich allerorts zuraunte, Bilder nie gesehener Grotten und schweigender Rituale im Halbdunkel sprangen Urel an. Er stand bewegungslos und starrte dem Fremden ins Gesicht.
„Gut beobachtet, Krieger“, kam es mit der leicht verschliffenen Stimme zurück. Der Mann wischte sich das regenfeuchte Haar nach hinten über den Kopf. Es reichte ihm bis weit über die Schultern. Dann blinzelte er Urel an, und ein Schatten zog rasch durch die schmalen, kräftigen Züge. „Ich habe nichts mit ihr getan, falls du das vermutest. Sie liegt hier schon zwei Tage oder länger. Irgendwo wird sie sicherlich vermisst.“
Ohne zu wissen, wie oder warum, tat Urel die letzten Schritte. Sein Misstrauen schwand.
Diese Lande waren ihm unbekannt, er bereiste sie auf der Suche nach Kämpfern, die gegen das ungeheure Übel der Zeit auszuziehen bereit waren, erst seit Kurzem.
Doch er irrte sich selten darüber, ob ein Mensch die Wahrheit sprach oder nicht. Dieser Mann mochte ein Totenbeschwörer sein, ein gedungener Auftragsmörder vielleicht, aber er war kein Lügner.
„Was ist mit ihr geschehen?“ fragte er laut und nachdenklich, auf die Tote hinabsehend. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass der Fremde seine Waffen mit schnellen, geübten Bewegungen ordnete, auch einige seltsame Behälter, die an seinem Gürtel befestigt waren.
„Nicht die erste Tote, die ich hier in der Heide finde“, entgegnete der Andere. Er sprach knapp, als verstecke er sich hinter möglichst wenigen Worten – als sei er es nicht gewohnt, sich mit Menschen zu unterhalten. „Das war kein gewöhnlicher Überfall.“ Er wies auf die Wunde der Toten. „Das sind Spuren von Klauen, nicht von einer Klinge. Indes gibt es hier keine größeren Raubtiere, erst recht keine, die ihre Beute nicht fressen und nur an ihr herumnagen.“
„Herumnagen?“ Urel ließ die Augen erschrocken genauer über die Tote wandern. „Ich sehe keine Bissspuren.“
„Weil ich sie herumgedreht habe, Krieger.“ Der Mann bannte ihn in seinen unangenehmen, bleichen Blick.
Plötzlich begriff der junge Barbar. Er stand vor einem Opfer jener Wesen, die, wie man sich überall erzählte, seit Wochen durch die Lande streiften, immer zahlreicher und gefährlicher werdend, und als deren Ausgangsort und Zuflucht das kürzlich verlassene Kloster am Bergpass vermutet wurde.
Das Begreifen malte sich offenbar recht deutlich auf seinem Gesicht, denn der Nekromant nickte. „Dämonen, wandelnde Leichname oder sonst eine widerwärtige Brut.“
„Ihr seid ein Dämonenjäger?“ Es gelang Urel schlecht, seine Aufregung zu verhehlen.
„Wenn man so will.“ Der Fremde beobachtete ihn unausgesetzt, doch jetzt hatte sich etwas neues in seinen Blick geschlichen. Interesse.
„Ich suche bereits seit vielen Tagen Kämpfer, die das Übel aufspüren und es beseitigen wollen“, eröffnete Urel rundheraus. Warum sollte er es dem Mann verschweigen? Gefährten brauchte er dringend, ganz gleich welcher Art, Hauptsache, sie kannten sich in diesem Teil der Welt besser aus als er. „Wenn Ihr das Kloster als Ziel habt, dann...“ Er brach ab.
Der Andere regte sich nicht. Als das Schweigen eben zur Last werden wollte, entgegnete er langsam: „Das ist in der Tat der Ort, den ich aufsuchen werde.“
„Dann nehmt mich mit“, bat der junge Barbar leidenschaftlich. „Männer wie Euch habe ich lange nicht finden können. Allein wird es keiner weit bringen.“
„Vermutlich nicht, Krieger.“ Immer noch gab der Andere kein Zeichen, das verriet, was er dachte. „Aber hast du dir das auch gut überlegt? In meiner Gesellschaft wirst du rasch merken, dass die Menschen auch dich meiden.“ Er äußerte das Letzte ohne sichtbare Regung.
„Das stört mich nicht“, sagte Urel aufrichtig.
Er mochte sich irren, aber für die Dauer eines Herzschlags hatte der Andere Überraschung ausgestrahlt – ein halbtotes Flügelschlagen unter einer erstickenden, schweigenden Decke aus Eis. Dem Barbaren war es indes wirklich gleich. Wen er auch immer vor sich hatte, er wirkte erfahren, und die fühlbare Aura der Klasse, in die Urel ihn richtig eingeordnet hatte, sprach von nützlichen Fähigkeiten. „Ihr werdet sehen, dass ich ein guter Schwertkämpfer bin“, fügte er hinzu. „Wie weit wollt Ihr gehen?“
Die Marsch war nicht der einzige vom Übel geplagte Ort. Auch das erzählten sich die Leute.
„So weit, wie es nötig ist“, sagte der Nekromant. Dann atmete er ein. „Meinetwegen. Aber hör auf, mich anzusprechen wie einen Höherstehenden. Mein Name ist Hadan. Wie nennt man dich, Krieger?“
Urel sagte es ihm.




In all der Hitze und Glut der Wüste wehte die Erinnerung ihn an wie ein frischer, feuchter Wind.
Urel holte tief Luft. „Ja, ich erinnere mich“, sagte er noch einmal, jetzt leiser.
Die grellen Farben stachen plötzlich weniger. Er starrte ins dämmernde Licht und empfand etwas lange nicht mehr Gefühltes: Dankbarkeit für eine Vergangenheit wie diese.
Hadan schwieg, aber als der Barbar seinen alten Mitstreiter erneut musterte, lächelten die Augen des Nekromanten, von dem er noch lange nach ihrer Begegnung geglaubt hatte, er sei gar nicht fähig zu lächeln.
Wir waren die Ersten. Und wir sind bis hierher gekommen.
Er vermutete, dass Hadan ähnliche Gedanken im Herzen bewegte – einem Muskel, Sitz der Seele, dem Urel bei dem Anderen nie gänzlich auf den Grund gegangen war, halb weil es ihm nicht gelang, halb weil er es nie für wichtig gehalten hatte.
Unvermittelt sah Hadan ihm ins Gesicht. „Ich werde dir in der Schlacht den Rücken decken, Krieger.“
Urel schwieg. Das Gefühl, überwacht zu werden, mischte sich mit der Freude, die sich zuerst gemeldet hatte und bewirkte, dass er die Stirn runzelte. „Das ist nicht nötig“, gab er dann brummend und schroffer zurück, als es ihrer Freundschaft entsprach.
Wie damals, da sie über der Leiche der Jägerin gestanden hatten, ringsum nichts als leise rauschende Regenstille und Dampf, der von ihren Mänteln und aus dem Heidekraut aufgestiegen war, bürdete Hadan ihm einige Atemzüge des wortlosen Ansehens auf. Dann, ohne den Barbaren mit seinen weißen Augen loszulassen, sagte er zurücktretend: „Das war kein Angebot, Urel.“
Er wird doch tun, was er will. Urel sah ihm nach, wie er zu den Pundarkriegern davonging und schließlich einen Bogen zu dem Zelt mit der Kochstelle schlug, an dem sich Eya und Ifrah eingefunden hatten. Die beiden Frauen waren jetzt die einzigen außerhalb der Mauern.
Nach einer Weile ruhelosen Nachdenkens, das halb gegen seinen Willen aufgebrochen war, wandte sich Urel wieder seinen Männern zu. Sie hatten gewartet, um sein Gespräch mit Hadan nicht zu stören, doch nun gab es wieder Viele, die Einzelheiten über die Aufstellung des Heeres mit ihm abzusprechen wünschten.





„Hier, trink das, Paladin.“
Menrad richtete sich auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und nahm die Wasserkaraffe, die ihm hingehalten wurde, dankend entgegen.
Während des Trinkens ließ er die Augen umherwandern.
Die Abenddämmerung war gekommen, und immer noch arbeitete Lut Gholein an der nach Westen blickenden Mauer.
Husam, der junge Befehlshaber über einen der drei oder vier Bautrupps, tat es ihm gleich und atmete erschöpft. Die beiden Männer standen hoch über dem Gassengewirr der Stadt. Unter ihnen werkelten schwitzende Körper, verbuken grobe Ziegelschichten mit Lehm, stemmten gewaltige Pfähle zwischen die Mauer und angrenzende Häuser.
Unter den Arbeitern waren auch Barbaren. Zwei Dutzend rangniedriger Pundarkrieger schleppten Wasserbottiche zwischen Reihen palavernder Einwohner, und in einiger Entfernung sah Menrad Eya einigen Frauen beim Forttragen von Vorräten zur Hand gehen.
Eigentümliche Ruhe überfiel den Paladin, als er Lut Gholein bei seinen letzten, verzweifelten, vielleicht ganz vergeblichen Vorbereitungen beobachtete.
Die Luft war voller Stimmen und Klänge, voll des ockerfarbenen, warmen Lichts des Wüstenabends. Ihm aber erschien, was er sah und hörte, für diesen von der Wirklichkeit abgetrennten Augenblick plötzlich weit fort, als beschaue er irgendwo auf der Welt eine große Freske, die zum Leben erwacht war, doch nur für den Betrachter. Die abertausend Bewegungen, die sich hebenden und beugenden Rücken, die Befehle schreienden Palastsoldaten, die gespannten Muskeln stemmender und schaufelnder Arme erzeugten eine Gleichförmigkeit aus der Entfernung mitangesehenen Lebens.
Dann aber, mit einem Zucken, stürzte sich sein Auge erschrocken und hungrig auf Einzelheiten.
Er berührte den struppigen Bart, der ihm erneut gewachsen war. Ich würde mich gern rasieren. Dazu ein Bad und ein Gebet. Oder wenigstens ein Bad.
Er war allein unter Tausenden. Kein weiterer Paladin befand sich in Lut Gholein, keine Kunde, Fadraîs schicke trotz aller Zerwürfnisse mit den anderen Völkern des Kontinents doch noch Verstärkung, hatte die Stadt erreicht.
Das letzte Gebet vor der Schlacht – und er würde es ausführen, denn so gebot es die Regel, ob er nun Worte an das Licht fand oder nicht – würde er ohne Gesellschaft und Begleitung tun.
Menrad sah auf all die Körper im schwindenden Licht der sinkenden Sonne, und Einsamkeit schüttelte ihn. Dann sah er auf die vielen menschlichen Gesichter, unter denen auch bekannte waren, und das Schütteln verebbte. Nur sein Herz schlug noch, in Wehmut, Nüchternheit, Grimm und Furcht wechselnd, dass es ihm den Atem abpresste.
„Wir sind fertig“, stellte Husam zufrieden fest.
Der Paladin schrak auf. Ob der junge Mann neben ihm seine Gefühlsaufwallung nicht bemerkt hatte oder rücksichtsvoll überging, war nicht zu erkennen.
Die Männer schritten, Husam voran, Menrad etwas langsamer folgend, noch einmal das Stück inneren Walles ab, auf dem sie gearbeitet hatten.
Im Gehen streifte der Paladin sein graues, noch aus Pundar stammendes Kettenhemd über. Er hatte sich nicht für eine andere Rüstung entscheiden können und sich eingestehen müssen, dass er an dem schmucklosen Kettenhemd und dem schlichten Schild, den er in Santére erstanden hatte, mittlerweile beinahe ebenso hing wie an seinem Kriegshammer.
Sie kamen zu einem der Katapulte. Es war gut doppelt so hoch wie ein Mann – ein wuchtiges Gerüst aus einem Holz, das nicht aus der Wüste, sondern aus den Wäldern weiter nördlich kam. Steine oder große Bolzen mit Eisenspitzen konnten über zwei verschiedene Arme damit verschossen werden.
Menrad legte die Hand auf das dunkle Holz. „Steht zu hoffen, dass eure Leute damit nicht unsere eigenen Truppen treffen.“
„Die Katapulte werden gemeinsam mit den Bogenschützen eingesetzt“, gab Husam gedämpft zurück. „Und das ist dann...“
Das ist dann zu einem Zeitpunkt, an dem es beinahe nichts mehr ausmacht, wenn ein paar eigene Leute unter die Opfer geraten... wenn der Feind schon unmittelbar vor den Mauern steht, vollendete Menrad den Satz düster in Gedanken.
Er studierte Husams Gesicht von der Seite. Mit dem immer rascheren Verstreichen der letzten Stunden vor dem wahrscheinlichen Angriff, mit dem Schwinden des Lichts, hatte der junge Lut Gholeiner viel von seiner Zuversicht eingebüßt. Menrad bemerkte es ohne Genugtuung.
Als er sich von Husam verabschiedete, den er nur durch Zufall in der Schlacht wiedertreffen mochte – denn sein eigener Platz war bei den Gefährten, draußen vor den Toren – nahm das Gedränge der Stadt den Paladin wieder auf.
Die Angst der Einwohner hatte sich von einem leisen Murmeln in dicke, lastende Schwüle verwandelt. Selbst jene, denen es noch gelungen war, das Kommende zu verdrängen, konnten es nun angesichts der Vorbereitungen nicht mehr.
Hier und dort wehrte sich Lut Gholein gegen sein Schicksal. Es war keine Festungsstadt. Die Palastwachen mussten immer wieder aufgebrachte Menschen beruhigen, irrsinnige Fluchtpläne und sinnlose Vorschläge unterbinden und zurückweisen, gelegentlich mit Gewalt. Die Schiffe lagen wie schwarze Schildkröten im Meer.
Noch hatten nicht alle Frauen die Stadt verlassen. Im Vorbeigehen wurde der Paladin Zeuge aller nur vorstellbarer Abschiedsszenen. Manche gaben sich still und gefasst, doch vielerorts flossen Tränen oder es kam gar zu Handgreiflichkeiten zwischen aufbegehrenden Frauen und stoisch eingreifenden Soldaten oder ihren eigenen Männern. Lange hörte man aus einer Gasse das schrille, bedrückend atemlose Lamentieren einer Frauenstimme, und noch vom Hafen her, wo man die Dazugehörige wohl auf ein Schiff verfrachtete, schwang die Klage über die abendlichen Dächer hin.
Die Flüchtlinge, unter ihnen auch Marej, Urels Gefährtin, an die der Paladin kurz dachte, würden die Nacht auf dem Meer verbringen. Denn niemand wagte zu behaupten, es sei sicher, dass die Dämonen Lut Gholein erst bei Tagesanbruch erreichen würden.
Aber sie werden kommen. Menrad hatte es aufgegeben, verstehen zu wollen, auf welche Weise das neue Übel so deutliche Schatten seiner Anwesenheit und seines Nahens vorauswarf.
Erst war es eine Unruhe. Wir haben uns von Vorfällen ablenken lassen, für die auch Menschen allein hätten verantwortlich sein können. Dann waren es Anzeichen, Visionen. Und nun, da wir mehr wissen und sie wahrhaftig gesehen haben, antwortet die Seele auf ihr Eindringen.
Manchmal glaubte er noch, all dies nur zu träumen. Vielleicht erwachte er bald auf seinem Stuhl in Shanghar, war nur eingenickt vor dem Fenster nach Osten, in der Mittagsschwüle, und alles, was ihn kümmern musste, war die falsche Auslegung der Ordenslehre durch einige übereifrige Jünglinge.
Aber nein. Das wäre dann der Traum – nicht diese Stadt, in die es mich verschlagen hat.
Er schritt rascher aus und erreichte eben das Haupttor, als ihm aus der Ebene zwei unverkennbare Gestalten entgegenkamen. Er hatte Ifrah und Hadan noch bis vor einer Stunde unter den Helfern gesehen, dann aus den Augen verloren. Sie schienen kurz zum Lager gegangen zu sein und kehrten nun in die Stadt zurück.
„Paladin“, begrüßte ihn der Nekromant mit einem Nicken. Hinter ihm und der Magierin fleckten die Truppen die Ebene. Zwei oder drei Feuer leuchteten winzig und vorsichtig in der zunehmenden Dunkelheit. Der Himmel trug schwarze Streifen vor einer nur noch schwach purpurnen, verschleierten Sonne.
„Ihr seht müde aus.“ Ifrah legte Menrad die Hand auf den Arm. „Ihr solltet Eure Kraft nicht völlig in den Bauarbeiten aufbrauchen.“
Menrad lächelte sie flüchtig an. „Das werde ich nicht. Überdies sind sie abgeschlossen.“ Dann wurde er ernst. „Es schien mir nur angemessen, ihnen zur Hand zu gehen, und es war das Einzige, das noch zu tun war.“
„Wenn die Heere durchbrochen werden, wird die Mauer auch nicht mehr viel nützen“, sagte Hadan finster.
Sie standen unter dem hohen Torbogen, abgesehen von einigen Wachen und einem halben Dutzend Angehörigen der Lager die Einzigen, die sich noch hier aufhielten. Abend. Menrad sog die Luft ein. Zeit für einen Bissen und die Suche nach einem Schlafplatz. Doch er war nicht hungrig und er wusste, dass er nicht würde schlafen können.
„Noch immer keine Neuigkeiten von den Hügelwachen?“ erkundigte er sich bei den Gefährten.
Sie verneinten. „Eilboten sind vor einer Weile noch einmal so weit in die Wüste hinausgeritten, wie sie es wagen“, sagte Ifrah. „Gebe Badr, dass sie nicht einer dieser unsichtbaren Angriffe trifft. Woher wollen wir wissen, dass die Dämonen uns den Gefallen tun und sich von Weitem ankündigen... dass sie nicht einfach erscheinen, wo es ihnen beliebt?“
„Sie können sich der Stadt nicht völlig überraschend nähern.“ Die Augen des Nekromanten ähnelten im Dämmerlicht einmal mehr lebendigen Kieselsteinen. „Alle, die es vermögen, haben ihren Geist aufgespannt wie ein Netz. Ein ganzes Heer, gleich aus welcher Welt, wird nicht hindurchschlüpfen.“
In diesem Moment ertönte aus der Stadt ein langgezogener Ruf.
Auf- und niedersteigend, gedehnt und mit einer monotonen Melodie schien er die Nacht zu begrüßen und alles Menschliche herbeizubitten.
„Ein Abendgebet.“ Ifrah setzte sich in Bewegung, sah sich nach den Gefährten um, während der Ruf andauerte, und machte eine leise Geste. „Die Stadt vollzieht eine der seltenen gemeinsamen Andachten. Ich möchte hingehen. Bitte, kommt mit.“
Die Männer folgten ihr in die Enge des Häusermeers.
Gegen seinen Willen erfasste Menrad, was hier vor sich ging, mit großer Wucht. Der Stimme des unsichtbaren Gebetsrufers antwortend, hatte Lut Gholein innerhalb weniger Augenblicke sämtliche Arbeiten niedergelegt. Es war still. Der Paladin schluckte.
Sacht, unendlich leise und gesammelt, verharrte die Stadt. Auf den Mauern und Dächern und in der Straße, durch die sie jetzt langsam dem Zentrum zuschritten, drei Gestalten unter Hunderten, die es in dieselbe Richtung zog, kam Lut Gholein zusammen. Als sie den Markt erreichten und eben Eya wortlos zu ihnen stieß, sank die Bevölkerung unter den letzten Worten des Ausrufers in die Knie wie ein Mann.
Auch die Gefährten blieben stehen. Der Widerwille des Paladins regte sich noch einmal schwach, dann fügte er sich, denn Ähnliches hatte er noch nie zuvor gesehen oder erlebt. Ihn umgab jetzt etwas anderes als eine fremde, irrgläubige Menge. Es durfte ihn nicht beeindrucken oder rühren, aber es beeindruckte und rührte ihn zutiefst.
Der Lärm der Arbeiten, die Schritte, das Gejohle aus den Schenken und das Befehlsgebrüll waren verstummt. Erneut erklang die Stimme des Gebetsrufers. Er musste irgendwo weit oben stehen, vielleicht sogar auf einem Balkon des milchweiß und bläulich schimmernden Palastes.
Ifrah ordnete ihr Lendentuch und kniete sich zwischen Menrad und Hadan auf die Straße. Dann war sie unerreichbar, versunken in der lebendigen Glaubensmacht ihrer Heimat, reglos, mit gesenktem Haupt und vor der Stirn zusammengelegten Händen.
Die einzigen Menschen, die noch standen, waren einige Barbaren, plötzlich aus dem Meer Kniender ragend, und die drei Gefährten. In der völlig von der einsamen Männerstimme beherrschten Stille tauschten sie neue Blicke, ernst, betreten, ein wenig ratlos auch.
Wir können diese Stunde doch nicht durch unsere Weigerung entweihen.
Ein Barbar kniete sich hin, dann ein zweiter. Noch während er hinsah, folgte Menrad, und mit ihm der Nekromant und die Assassine, Letztere plötzlich ungeschickt.
Sie wusste nicht, zu wem sie beten sollte, ahnte der Paladin. Er aber wusste es, oder vielmehr, dass es nicht so sehr von Bedeutung war.





Die Nacht war bereits weit fortgeschritten, als ein weißgekleideter Mann ins Lager der Barbaren kam.
Das Heer der Nordmänner wachte und harrte aus, zu jeder Stunde den gefürchteten und erlösenden Schrei der Hügelwachen erwartend, und mit ihnen wachten die gelbe, jetzt schattenhafte Menge der katzenartigen Verbündeten, die Pundarkrieger und die Gefährten.
Sie wechselten sich ab, so dass jeder, wenn er es wollte, noch etwas Schlaf fand.
Beinahe unvermittelt tauchte der Weißgekleidete bei ihnen auf und verbeugte sich knapp vor Hadan.
„Bitte, der Fürst wünscht dich dringend zu sprechen, Hexer, dich allein“, bohrte er nach, als er an dem Schweigen des Nekromanten dessen Widerstreben ablesen konnte, die Stellung zu verlassen.
Mit einer auch für den Palastbeauftragten gut hörbaren Versicherung, bald wieder zurück zu sein, trennte sich Hadan von den Anderen und folgte dem Mann, der eilig voranging, durch die zahllosen lagernden Krieger.
Der Mond hing hell am Himmel. Fackeln oder Lampen waren beinahe überflüssig.
Lut Gholein empfing die zwei Schatten mit trügerischer Ruhe. Fenster und Höfe waren erleuchtet, als sei es noch Abend oder früher Morgen. Überall standen Soldaten. Die Mauern waren dicht besetzt. Augen fingen schwachen Lichtwiderschein ein, wenn ihre Besitzer sich bewegten. Kaum jemand schlief in dieser Nacht.
Der Nekromant sah die gewaltigen, kantigen Umrisse des Palastes aus den Häusern treten, matt glänzend, dann folgten die breiten Treppen, schweigende Lanzenträger, schließlich die Kühle des prachtvollen Gemäuers.
Es wird nicht niederbrennen wie die kleinen, dagegen ärmlichen Geschwister in seiner Umgebung. Der Palast wird als Letztes stehen, vielleicht ausgehöhlt, vielleicht geplündert. Er hatte für Paläste nie sehr viel übrig gehabt, doch wenn es mit diesem so weit kam, erlitt die Wüste damit den ersten tödlicher Stöße.
Entgegen seiner Erwartung empfing ihn Jerhyn nicht in seinem Thronsaal aus Marmor und blauem Glas.
Es ging durch von Mondlicht erhellte Räume und eine gewundene Treppe hinauf.
Im zweiten Stockwerk führte ihn der Palastbeauftragte auf einen kleinen Balkon. Ein Türvorhang aus Perlen klirrte sacht, er wurde angekündigt, dann stand er im Silberglast der Nacht, weit über den wie Dachziegeln gestaffelten Häusern der Stadt.
Der Fürst lehnte an einer Marmorbrüstung. Bis auf seine turbangekrönte, beleibte Gestalt und ein Kupfergestell für Tee oder andere Getränke war der Balkon leer. Keine Leibwache, keine Lanzenträger, die den Gast anbellten. Dunkle Fensterschlitze an der Seite einer vorragenden, noch weit über ihren Standort bis zur gewaltigen Goldkuppel hinaufstürzenden Wand mochten Armbrustschützen verbergen. Unbeobachtet waren sie gewiss nicht.
„Ah, da bist du, Hexer.“ Jerhyn wandte sich zu ihm um.
Die leichte Verneigung nahm er abwinkend entgegen. „Hier sind wir nicht inmitten meiner Untertanen. Es braucht keine Ehrbezeugungen dieser Art. Ich weiß, was du über mein Haus denkst, Baalsbezwinger.“
„Meinungen können sich ändern“, gab der Nekromant zurück. Auf eine Geste hin trat er neben den Herrscher Lut Gholeins an die Brüstung. „Wir haben gesehen, dass dein Haus in diesen Tagen alles Menschenmögliche unternimmt, um die Stadt zu retten.“
Die Augen des anderen Mannes funkelten im Mondlicht. „Denkst du, dass sie noch gerettet werden kann?“
Hadan schwieg eine Weile. „Ich weiß es nicht“, antwortete er dann.
Jerhyn nahm mit langsamen, matten Bewegungen einen Becher aus dem Kupfergestell. Dankend roch der Nekromant etwas Starkes – Dattelschnaps oder gewürztes Destillat aus anderen Früchten. Der Duft überdeckte den Dunst, der von Jerhyn ausging und der selbst die parfümierten Gewänder und Salben durchdrang.
Er kostete. Dattelschnaps von edler Art.
Jerhyn nippte ebenfalls an seinem Becher. „Weiterhin, wenn wir schon bei Offenheiten sind, wirst du mir sicher raten, ich solle in meinem Zustand keine geistigen Getränke zu mir nehmen, nicht wahr?“ Er lächelte. „Meine Heiler, die mir nicht mehr zu helfen wissen, sagen beständig Dasselbe. Aber wo ich angelangt bin, kann es eine der wenigen verbliebenen Freuden sein, sich in Gesellschaft eines Mannes wie dir zu berauschen.“
„Geistige Getränke haben keine nennenswerte Wirkung auf mich“, sagte Hadan. „Eine Folge meiner Ausbildung.“
„Richtig“, nickte der Fürst. „Du bist immun gegen Gifte. Ich hörte davon.“ Unausgesetzt fuhr er zu lächeln fort, und das Lächeln war echt, wenn auch zu intelligent für bloße, nichtssagende Erheiterung. „Wer dich beseitigen wollte, wäre also mit Gift schlecht beraten.“
Kurz erwog Hadan, sich darauf einzulassen, doch dann erwiderte er: „Warum hast du mich rufen lassen, Fürst?“
Der Andere schien nicht überrascht, dass sein Gast das Spiel nicht mitspielen wollte. Seine Zerstreutheit täuschte – in Wahrheit wog er sehr viel ernstere Dinge in Gedanken ab.
„Ich vermute doch richtig“, kam es schließlich im selben leichten, fast heiteren Ton „dass du den Zustand eines Kranken erfahren kannst, nicht mehr ganz so Fremder, von dem ich nicht weiß, ob er mehr ein Heiler oder mehr ein Werkzeug der Vernichtung ist?“
Ohne auf das Letzte einzugehen, antwortete Hadan: „Ich kann es erfahren, ja. Durch eine Berührung zumeist.“
Ein Augenblick der Stille trat ein, in dem Jerhyn ihn musterte, dann auf die Stadt und die Ebene blickte, den Becher lose in der Rechten. Das Lächeln auf seinem gepflegten Gesicht indes war verflogen, als er Hadan wieder ansah.
Mit einem sanften, metallischen Klingen stellte er das Trinkgefäß ab, richtete sich auf und öffnete sein von einer Schärpe zusammengehaltenes Gewand. Darunter kam eine weiße Leibweste zum Vorschein, offen bis weit auf die Brust hinunter. Und ein schmaler Gürtel mit zwei Säbeln – einem Schamschir und einer sehr viel kürzeren, dünnen Klinge.
„Ich werde nicht hier im Palast auf einen langsamen Tod warten“, sagte der Fürst auf Hadans Blick zu den Waffen hin. Etwas Hartes, Eisernes hatte sich der matten Stimme bemächtigt. „Diesmal nicht, Hexer. Diesmal werde ich kämpfen.“
Halb gegen seinen Willen ließ der Nekromant den Respekt, den er empfand, auf seine Züge.
„Ich bin ohnedies so gut wie tot“, fuhr Jerhyn fort. „Aber ich bitte dich um eine letzte Versicherung. Dieser Haufen von heilkundigen, höflichen alten Weisen wagt es nicht, sie mir zu geben, aus Angst, man könne ihnen den Kopf abschlagen.“
Reglos standen die Männer voreinander.
Er braucht mein Urteil nicht, dachte Hadan. Er will eine Verbindung zu einem Menschen herstellen. Er will in die Schlacht hinausgezwungen werden, von der ihn seine Berater sicherlich fernzuhalten versuchen.
Durch die Stille und den innerlichen, ratlosen Kniefall vor einem Aufbäumen des Lebenshungers hindurch, wie er sich in Jerhyn offenbarte, streckte der Nekromant die Rechte aus.
Die Haut, die er berührte, war kränklich weich, verschwollen über einem aufgetriebenen Leib, der seinen rasenden Verfall aus jeder Pore in die betreten sich abwendende Welt hinausschleuderte. Er wollte sich nicht abwenden. So viel Wahrhaftigkeit musste Jerhyn gegeben werden, wenn ihm auch sonst niemand mehr etwas geben konnte.
Das Seelenlicht flackerte unstet. Länger als notwendig sah er der bleichen Flamme zu, die schon fast unter dunkelblauen Geschwüren und verdorbenen Säften erstickt war.
„Du weißt es schon, Fürst“, sagte er dann und nahm die Hand fort. „Es ist unheilbar. Dein Leben könnte verlängert werden, doch nur in einen Zustand hinein, der dein Leiden weiter verschlimmern und ausdehnen würde.“
„Ich danke dir.“ Jerhyn schlug das Gewand wieder zu. Ohne ein weiteres Wort über seinen nahen Tod wandte er sich nach der beeindruckenden Aussicht um und atmete tief ein. Hadan folgte seinem Blick.
Die Heere ähnelten dunklen Flecken in der grauen Ebene. Die Stadt aber strahlte ein schwaches Gelb ihrer Lichter und das Braun ihrer Lehmbauten aus, eingerahmt in der Mauer liegend, wartend, schicksalsergeben. Jerhyn musterte den Nekromanten von der Seite, als wolle er einen Hinweis darauf aufspüren, ob dieser die wilde, verzweifelte Hoffnung ihrer Bewohner, ihren Unwillen zu sterben, teilte.
„Zweitausendfünfhundert“, sagte er dann. „Zweitausendfünfhundert. Mehr als zwei Drittel davon Fremde, Verbündete, dank der Aufmerksamkeit einiger Völker und des Wagemuts deiner Gefährten. Macht das nicht Hoffnung?“
„Ja“, antwortete Hadan leise. „Das macht Hoffnung.“ Da es aber deutlich war, dass Jerhyn die Stärke des Heeres, die niemandem Auskunft über ihre Möglichkeiten geben konnte, nicht allein dieses unnötigen Austausches wegen erwähnt hatte, fasste er sich in Geduld und wartete auf die tatsächliche Frage.
Als sie an ihn erging, war er überrascht, keine innere Regung zu fühlen – überrascht nach Wochen sich zuspitzender Gefahr und düsterer, mal entschlossener, mal wankender eigener Vorbereitung.
„So viel Hoffnung, dass Anderes nicht mehr nötig sein wird, Hexer?“ Die Augen des Fürsten zogen seine an. „Genug Hoffnung für eine Aufgabe deiner Pläne? Ich weiß, dass du welche hast oder hattest, leugne es nicht. Ob deine Gefährten sie teilen oder ob du sie vor ihnen verbergen konntest, weil sie dir vertrauen, ist nicht von Belang.“
Die Stille nahm zu. Doch das war nur eine Illusion.
Hadan zögerte für die Dauer der Atemzüge, die es brauchte, um Jerhyns wahres Unwissen und seine sich daraus ergebende Vertrauenswürdigkeit abzuschätzen. „Ich habe diese Pläne aufgegeben“, sagte er dann. „Ob zum Guten oder zum Schlechten, kann ich nicht sagen.“
Der Fürst fixierte ihn ruhig. Das wieder auftauchende Lächeln verreit, dass er ihm Glauben schenkte, mehr aber auch nicht.
Über die nächtliche Ebene, vorbei an den Heeren, schoss schnurgerade ein winziger Schatten. Lautlos näherte er sich der Stadt, lautlos, wie am östlichen Himmel die erste Aufhellung des Morgens entstand, auf beiden Seiten über den Palast lugte, unendlich gelassen.
In der Stadt gellte ein Ruf. Ein zweiter antwortete.
Reglos standen die Männer, als gehörten sie nicht in diesen Augenblick, und verfolgten ohne ein Wort die Bahn des Renndromedars, zu dem sich der Schatten entzauberte. Weit unter ihnen flogen wehende Gewänder in den Palast, während ein dritter Ruf die Mauern hinaufdrang.
Sie warteten.
Schritte ertönten auf glattem Marmor, unterdrückt erregtes Stimmengewirr. Hadan wandte sich um, als die Perlen des Türvorhangs klirrten.
Mit einem Kopfnicken nahm er Abschied von dem Fürsten, vor dem ein keuchender Mann auf die Knie sank, ging an den Lanzenträgern vorbei, die im Halbdunkel der sich anschließenden Gemächer gewartet hatten, folgte der Treppe nach unten und durchschritt den kühlen Palast, in dem es mit einem Mal zu summen und zu rascheln begonnen hatte.
Auf den Treppen wehrten die Wachen bereits händeringende Einwohner ab, die aus ihren Häusern gestürzt waren. Etwas später würde man eine Bresche in die kopflose Stadt zwingen, um Jerhyn hindurchzulassen – hinaus auf die Ebene vor den Toren.
Hinaus auf das Schlachtfeld.
Lut Gholein fuhr aus den unruhigen Nachtstunden. Neue Lichter sprangen auf. Schlagartig wimmelten die Gassen vor Menschen, hin- und hergetrieben von weiteren der gedehnten Rufe, die ihr Schicksal besiegelten.
„Emejeddaaaaahh!“
Krieg.
“Bijalil-sa hamma! Emejeddah!”
Niemand achtete auf den Mann, der durch die Menge ging und dem die wilden Schlachtrufe der Bewaffneten und das Geschrei aus den Höfen das Gesicht versteinerten. Erst als er das Tor passiert hatte, an dem schon Wachen bereitstanden, um es zu schließen, begann er zu laufen.
 
Der übliche Doppelpost ;)
Viel Spaß beim Lesen (hoffe ich) :hy:
 
Huuuh! *schnellerstenPostsicher*


Ich druck's mir grad aus.

Später schreib ich meinen Kommentar dazu.

:read:


Edit: Wundervolles Update, mal wieder! Hab einen klitzekleinen Fehler gefunden, aber bin jetzt zu faul, nochmals danach zu suchen :D Bin schon auf das nächste Update gespannt. Und lass dir ruhig Zeit. Dafür sollen deine Leser auch Weltklasse-Literatur zu lesen bekommen, ne? :D
 
boah.... spannend :) vor allem die rueckschau auf die vergangenheit zw. urel und hadan hat mr gut gefallen. Zeigt irgendwie hoffnung auf, das die gefaehrten es wieder einmal schaffen das boese zu besiegen, wie es ihnen schon einmal gelungen ist (wenn auch nur teilweise wenn man an die unheilvollen veraenderungen von hadan und urel denkt)

ich freu mich schon richtig auf die schlacht, und bin richtig gespannt wie die gefaehrten mit diesen daemonen umgehen & wer diesmal ein anfuehrer des boesen sein wird.

Auch dass jerhyn snun tapfer mitmischen wird.. hui.. das wird ordentlich spannend :)

Sehr gut hat mir in diesem kapitel die schilderung der spannung und anspannunf in der stadt gefallen, das die frauen ungern abschied nehmen (gut das gfallt mir nich so, warum sollten frauen nich kaempfen.. sie koennten ja pech die stadtmauern runterschuetten und die verwundeten pflegen oder so ^^ - vor allem marej die ja ne gute heilerin auch ist - und die irgendwie leider (ui ein minuspunkt an der geschichte achtung!) bissi zu kurz kommt)

auch das gemeinsame gebet und immer noch die zweifel des paladins - ausgezeichnet, da rieseln einem leichte schauer ueber den ruecken.

und dann... krieg o_O hoff das naechste kapitel kommt bald :) freu mich schon auf eine spannende schlacht und wehe die geht nich gut aus :fight:

also immer weiter so :kiss: tigerle

p.s. ahja.. ich find dein geschreibsl wird imma bessa und spannender - ja nich nachlassen ;)
 
Ein bissl wenig Kommentare hier....angesichts Reeba's Meisterwerks :/

Vielleicht liegt es daran, dass es Sommer ist und nicht mehr so viele Leute am PC hocken wollen...
 
hallo reeba,

ich habe deine geschichte schon gestern gelesen, war aber wohl zu überwältigt um meinen senf dazu abzugeben.

wie du weist, freue ich mich über jedes up von dir. es ist normalerweise immer der höhepunkt der woche, auch wenn ich zugeben muss der höhepunkt diesser woche war donnerstag und hat nichts mit irgendeinem forum oder internet im allgemeinen zu tun.

die story gefällt mir weiter sehr gut. wie du die stimmung vor dem großen angrff einfängst, jagt mir eine gänsehaut über den rücken.

mir war als hätte ich irgendwo einen rechtschreibefehler gesehen, aber ich finde ihn nicht mehr. das ist auch gut so.

Gruß, Helldog
 
Hallo meine Liebe,

dann möchte ich mich doch auch ein weiteres Mal in die Reihen deiner Fans gesellen. Mir hat dein Up wieder ausnehmend gut gefallen, eben diese Spannung und Anspannung, wie das tigerle ja schon erwähnte :)

wun-der-voll!

wie einen Schwamm, stieg Dunst aus Gras und den bescheiden blühenden Kräutern
<-- das isser, der kleine Fehler, der anderen schon ins Auge sprang... und wo wir schon bei dieser Stelle sind. Ich finde es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit und Gemeinheit, dass du uns dieses winzige Bröckchen hinwirfst, aber schon früher deutlich gemaxcht hast, dass du nicht beabsichtigst MEHR davon zu erzählen. *schmoll*


Vielleicht gibt es ja während der Schlacht noch die eine oder andere Rückblende? Ja?

Lass uns nicht so lange auf die entscheidene Schlacht warten! :kiss:

:hy: Insidias
 
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