So, da ist es.
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IL. Angriff
Menrad schrak aus seinem Dämmerzustand, als der Reiter durch den Torbogen jagte. Gedehnte Alarmrufe empfingen und begleiteten sein Ankommen.
Der Paladin sprang auf die Füße. Mechanisch, noch bevor sich seine Benommenheit verflüchtigt hatte, tastete er nach dem Sitz seiner Waffen. Rings um ihn beugten sich Soldaten über die Brüstung des Walls. Er starrte auf den Fleck, auf dem er gehockt hatte und schließlich doch eingenickt sein musste.
Die Luft war lau. Der Morgen kam. Über die Kuppel des Palastes wanderten bereits grau rosige Streifen und zogen blasses Blau hinter sich her, schwache Sonnenstrahlen, Vorboten erst, doch viel zu friedlich und hoffnungsvoll war das Licht, das sie im Gefolge hatten und das den gewaltigen Bau aus dem Häusermeer heraushob.
Wieder ein Alarmruf. Dutzende, dann nicht mehr zu zählende Stimmen nahmen ihn auf. Die Stadt besaß plötzlich eine einzige, erschrockene Kehle.
Ohne sich noch einmal umzusehen, hastete der Paladin die Stufen der steilen Wehrtreppe hinunter, stolperte, stürzte um ein Haar. Unten angelangt, rannte er um die schwarzschattige Ecke der Torummauerung. Mit einem hölzernen Ächzen begannen sich die Flügel des Tores zu schließen, zugedrückt von mehr Männern, als nötig war.
„Halt!“ Er stieß sich durch Gewänder und bestürzend fühlbare Leiber darin. „Lasst mich hinaus!“ Fern, eher als er aus der Stadt gelaufen, eilte ein einziger Schatten in die Richtung des Heeres.
Hinter Menrad schloss sich der Spalt. Erzene Riegel rasteten ein, Stützbalken dröhnten. Der Klang hallte in seiner Körpermitte wider, doch er war draußen, plötzlich umgeben von grauem Licht und dünner Luft. Die Ebene sah ihm entgegen. Sie erschien riesig und zugleich zusammengedrückt zwischen den Hügeln und der Stadt, und auch vom Licht wusste er nicht, ob es zu rasch durchsichtig wurde oder höhnisch gemächlich die Dunkelheit der letzten Stunden in Sicherheit vertrieb.
Die Linie des Heeres wirkte starr. Als er näher kam, begann sie sich zu schütteln, Umrisse von Bewegungen auszuspeien – Krieger, die sich vorbereiteten, sich zu Truppen und Formationen häuften. Befehle durchzogen die gespenstische Ruhe, lauter, in kürzeren Abständen. Dann war er bei ihnen und hastete an rotem Stoff, an braunen Gesichtern und Kupfer vorbei zu der Stelle, an der die Schwingen eines Nordmannhelms alles andere überragten.
„Nach links!“ polterte Urels tiefe Stimme weithin hörbar. Massen verschoben sich gehorchend. „Sie kommen!“
Jeder der Barbaren hatte die Waffen blankgezogen. Metall kratzte über Schilde. Die schwarzen Lanzen der Pundarkrieger zuckten steif und wehrhaft, die Spitzen gen Himmel gerichtet. Im Staub, der unter aberhundert Stiefeln langsam aufwirbelte, verschwand alles, was von der Nacht und den Tagen des Wartens noch übriggeblieben war: Feuerstellen, Krüge, Planen.
Menrad hatte, wie die Gefährten mit Ausnahme von Urel, keinen festen Platz in der Heerordnung. Mitten durch die Massen zogen sich Linien, die sie in die breiten, mehrfachen Reihen der Barbaren teilten, Front der Verteidigerstreitmacht, flankiert und teilweise durchmischt von Säbelkatzen zur Rechten und Pundarkriegern zur Linken.
Körper, so weit das Auge reicht. Die nach Lut Gholein hin innerste Reihe schließlich bestand aus Soldaten der Stadt und aus den schwächeren und teils nicht gerüsteten Asketen und den angekommenen Druiden. Der Osten sang, doch die Nekromanten, dreißig Männer, wenn es hoch kam, gingen wie ihre Stimmen beinahe vollkommen unter.
Keine Berittenen. Keine Signaltrompeten. Keine Ersatztruppen.
Es war ein großer, starker, entschlossener Menschenauflauf.
Es war das verzweifeltste und unzureichendste Heer, das Menrad je gesehen hatte.
Er schlug die Himmelsgeste vor Stirn und Brust und blickte zu den Hügeln. Hunderte taten es ihm gleich, ihre eigenen Gebete oder die Namen ihrer Götter und Ahnen auf den Lippen.
Winzige Gestalten flohen von der Schwelle der Erde. Zittrig und kraftlos kam der Klang einer Trompete von den Stadtmauern hinter dem Heer.
Lut Gholein blieb ohne Stimme bis auf diesen Ton, starr in seinem Lehm, seinen Befestigungen und Ziegeln und Balken, starr mit Tausenden in Angst und Unausweichlichkeit.
Unter den Menschen, die Menrad umstanden, mochte es einige geben, deren innere Sicht sich wie ein Vogel über das Land aufzuschwingen imstande war und von oben Zeuge einer dunklen Flut wurde, die sich aus der Tiefe der Wüste heranwälzte. Er selbst sah es nur im Geiste und mühte sich, Gewalt über seine flatternd aufgespannten, erregten Sinne zu erlangen. Das ferne Donnern und Rollen konnte auch ein Gewitter sein, irgendwo draußen über dem Meer, oder die Brandung. Doch es tat ihnen nicht den Gefallen, abzuebben. Es nahte und musste kaum sehr viel eindringlicher werden, um sich mit der Ahnung ihrer Herzen zu vereinigen, die sich nicht mehr täuschen ließen.
Über dem Hügelkamm stieg Dunkelheit auf.
Furcht wogte durch das Heer, einmal, zweimal, ein Schlag, unter dem die Menschen wankten.
Um Menrad herum pressten die Barbaren die Lippen zusammen und starrten fest auf den nahenden Feind.
Gemächlich fast erklomm die Schwärze den Hügel, und es schien, als rege sich niemand mehr. Banner hingen matt. Losgelöst von seinem Willen, begann die Haut des Paladins zu kriechen. Er biss die Zähne aufeinander.
Beim Licht, ich werde nicht weichen.
Furcht ruckte an den im Dämmerlicht düster blitzenden, gepanzerten Hünen.
„Singt“, sagte jemand leise. Das Wort erreichte Menrad, ohne dass er es begriff. „Singt“, wiederholte ein Zweiter kräftiger.
„Singt!“ Urels Stimme, scharf und deutlich in der Stille. „Wir dürfen keine Angst zeigen!“
Die Dunkelheit überwand den Kamm. Schneller werdend floss sie zu ihnen hinab in die kleine Ebene vor Lut Gholein und war plötzlich kein lebendiges Gewölk mehr, sondern Hunderte und Hunderte von Gestalten. Nachtschwarz und aschfahl schoben sie sich ins Tal. Über ihnen flirrte die Luft wie über einem Steppenbrand.
Wir dürfen keine Angst zeigen.
Die Barbaren stimmten einen Schlachtgesang an, erst vereinzelt, dann wilder und lauter mit mehr Einfallenden.
So erwarteten sie den Gegner.
Die letzten Augenblicke verstrichen im Flug. Bestürzt wurde Menrad gewahr, dass er kein Wort mehr mit den Gefährten gewechselt hatte, keinen Wunsch, ihnen möge das Glück beschieden sein, diesen Tag zu überleben. Hastig suchte er nach ihren Gesichtern, aber sie sahen nicht her, behielten schweigend das Kommende im Auge.
Jemand rief den heranziehenden Dämonen etwas entgegen, ein unsichtbarer Krieger, und es war eine erste und einzige Warnung. Sie wurde im Dröhnen auftretender Füße, unklarer, dumpf metallischer Klänge und einem Brausen ausgeblasener Feuerluft begraben. Aus den Füßen wuchs, was die Wüstenwanderer kaum deutlich gesehen hatten. Das Dämonenheer entkleidete sich nun zuvorderst in ein ausladendes Hörnergeflecht, einen Reigen fratzenhafter Gesichter und lichtloser Augenkugeln, eine Welle breiter, entsetzlich starker Leiber.
Der Gesang schwoll an, endete in Schreien, und krachend prallte der Feind auf die Frontlinie der Scharen, die Lut Gholein verteidigten.
Der Wind des Chaos fegte Ordnung und fest gesetzte Bilder auseinander und brach mit einem Toben über die erste Stunde der Schlacht herein, die sich in nichts und in allem von den ersten Stunden aller Schlachten unterschied, doch noch während er auf die Reihen blickte, die sich unter dem Ansturm des Gegners dehnten und zurückkrümmten, erreichte Menrad von hinten ein Raunen. Eher noch war es eine Insel der Stille.
Er tat einen Schritt nach vorn, zuckte im Aufbrüllen der Menge zusammen. Gleichzeitig zwang ihm den Kopf noch einmal herum, was sich von hinten Einlass ins Heer verschaffte.
In einem Pulk von Lanzenträgern, zu Fuß, gekleidet in das Blau und Weiß seines weit hinter den Mauern liegenden Palastes, schritt der Fürst von Lut Gholein mitten unter die Verbündeten. Es war ein ruhiges, rasches Kommen. Eisern entschlossene Züge eines nicht mehr jungen Mannes, der sehr viel weniger maß als seine Leibwächter, ein Turban, ein Krummsäbel in einer Faust – das war alles, was der Paladin von Jerhyn erblickte. Die Menge schloss sich um die kleine Gesandtschaft und nahm sie mit in den Kessel des Krieges.
Menrad folgte.
Vor ihm stemmte sich die Front gegen den Feind. Die schiere Wucht der Massen verzerrte die Reihen, und er drängte hindurch. Der plötzliche Drang zu urinieren, kalt ausbrechender Schweiß – er kannte die letzten Äußerungen des Lebens, das sich freiwillig dem Tod gegenüberstellt. Die Furcht aber war in Hass erstickt.
Um ihn zerbarst die Menge in Köpfe, zuschlagende, grobe Klingen, in eine wütende Dichte, die eigenen Regeln gehorchte. Über allem stieg das Wetterleuchten eines Blitzes auf. Wie ein zackiger Arm tanzte er von dort aus über die Häupter der Gegner, wo Ifrah stehen musste, untergegangen in den Kriegern. Das Krachen ließ die Luft knallen, als rissen Dutzende von Bogensehnen, dann wölbte sie sich aufstöhnend unter einem nekromantischen Fluch.
Ein Stoß, ein Stolpern, und der Paladin stand vor seinem ersten Widersacher.
Leibhaftig, grundgütiger Himmel. Er hob den Schild aus Santére.
Es mochte beinahe ein Glück sein, dass Gedränge, Not und Staub die riesige Gestalt verwischten, die ihn wahrgenommen hatte und auf ihn zuschritt. Das Aufsetzen der gespaltenen Hufe ließ den Boden erzittern. Augen sahen auf den kleinen, erbleichenden Paladin, ohne zu blinzeln – Kugeln schwarzen Öls. Pupille oder Iris fehlten, und nur ein roter Schimmer ließ ihre Blickrichtung erahnen.
Mehr erkannte Menrad nicht. Es war nur sehr wenig Zeit vergangen, Zeit für ein hastiges Luftholen und nichts sonst, und doch hatte er schon zu lange gezögert.
Sausend hieb eine ungefüge Klinge gegen seinen Kopf los. Im Grollen, das den Schlag überlagerte, riss er den Schild hoch. Er bewahrte ihn davor, enthauptet zu werden, aber der Paladin konnte nicht umhin, durch das Krachen des Treffers hindurch gequält aufzustöhnen. Die Rückseite des Schildes wurde ihm nah ans Gesicht gepresst. Er drehte den unbehelmten Kopf, halb in die Knie gegangen, und betete, sein Arm möge nicht brechen.
Der Stoß trieb ihm den in gerader Linie gegen den Dämon ausgestreckten Oberarm in die Schulter. Die Knochen hielten, aber er verlor um ein Haar den Halt. Stiefel scharrten im Staub. Augenblicklich folgte der zweite Hieb, erneut gegen den Schild, ohne Versuch, eine andere Stelle, eine Deckungslücke zu treffen.
Menrad duckte sich unter die Wucht und den erbebenden Schild, als könne er dadurch Gnade vor der fürchterlichen Kraft des Gegners erflehen, wissend, dass es kein Entrinnen gab.
Er wurde gegen einen anderen Menschen gedrückt, schrie seine Wut und Angst in den dritten Schlag, verlor an Boden. Schmerz explodierte in seiner gesamten linken Körperhälfte.
Das Entsetzen öffnete sich wie ein Höllenschlund. Ringsum kreiste der Reigen anderer Köpfe, der plötzlich brüllende Lärm der Schlacht, in deren Mitte er nur ein vergänglicher Punkt war, bis zum Hals in einem rostroten Feld, bewachsen mit Kriegern anstatt mit Kornähren, und einen winzigen Fleck Erde verteidigte.
Und der Hammer hatte noch nicht einen Feind gestreift.
Menrad hob den Schild, soweit er es wagen konnte, und schlug blindlings in die Richtung, aus der die Schläge herabfielen. Der Hammerkopf sirrte über eine Waffe, dann über raue Oberfläche und traf auf Widerstand.
Das Grollen des Gegners veränderte sich.
Ein Treffer. Das Herz des Lichtkriegers machte einen Satz.
Doch einen Atemzug später zerfraß das unheilverkündende Zischen die staubgeschwängerte Luft, das er bereits im Tal der Magier mehrfach gehört hatte. Instinktiv, mit geschlossenen Augen und taub murmelnden Lippen, kauerte er sich hinter dem viel zu kleinen Schild zusammen. Ein Druck ließ die eisenverstärkte Barriere erbeben. Er riss die Augen auf.
Der Boden. Fortwirbelnder Sand. Feuer.
Feuer! Es wurde über ihn hinweggeblasen, tanzte in Flammen am Rand des Schildes vorbei. Die Hitze war so gewaltig, dass sie ihm den Atem raubte. Menschen schrieen unsichtbar.
Da, ratlos, was er sonst tun konnte, um nicht fliehen zu müssen, sprang Menrad vor, mit dem brennenden Schild als einzigem Schutz in die feindliche Lohe hinein, tauchte durch schieres Glück unter einer dunkel pfeifenden Klinge entlang und führte den Hammer ein zweites Mal gegen den riesigen Leib, gegen den er jetzt halb prallte. Entsetzen sträubte ihm das rauchende Haar.
Der Hammerkopf aus der Soldatenschmiede einer engen Gasse zu Fadraîs blieb stecken. Menrads Rechte empfand zu spät den beißenden Schmerz.
Mein Handschuh steht in Flammen, aber stärker war der Antrieb, den Waffenstiel nicht loszulassen. Er zuckte. Die Hammerspitze musste dem Dämon in den Leib gedrungen sein.
Wild nahm er den Schild fort, starrte in verebbendes Feuer, in ein darin gefangenes Alptraumantlitz, das die fahlen Hauer zusammengebissen hatte wie er seine Zähne, und sah der Hölle einer anderen Welt direkt in die Augen. Wahnsinn und Jubel des Herzens. Das hörnerbewehrte Haupt war über seine Waffe gebeugt. Sie hatte einen Spalt in kohlfarbene, fette Dichte geschlagen wie in eine Decke aus schwarzem Eis, unter der jetzt zähes, rotes Wasser hervorquoll.
Der Bastard blutete. Er verlor Blut wie jede lebende Kreatur.
Kurz war alles in Reglosigkeit erstarrt, in fremdem Grollen und eigenem, jappendem Luftholen, dann straffte ältere, noch arbeitende Schulung den Leib des Lichtkriegers. Mit einem Ruck zog er den Hammer aus dem Leib des Feindes und lenkte ihn gegen den Schädel. Er legte alle Kraft in diesen Schlag.
Die Augenkugeln erzitterten, als der Hammer die Schläfe des Dämons traf, viele Handbreit über der Höhe eines großen Mannes.
Nimm das. Plötzlich war er wieder der junge Auszubildende in einem sehr fernen, feuchten Steinhof der alten Königsstadt, tief befriedigt über das Wanken der Trainingspuppe aus Holz und Sackleinen, hinter der ein sie führender Mann wohlwollend die Zähne bleckte.
Noch hatte er den Dämon nicht überwunden, doch ein fremdes Axtblatt, aus einer brüllenden Gestalt herabfahrend, trennte die Hörner und das Alptraumantlitz vom dazugehörigen Leib. Menrad taumelte zurück, wieder gegen Andere.
Die Menge verschob sich unausgesetzt, fing das Vordringen der feindlichen Front auf, dehnte sich wie ein Band. Männer ließen sich töten, damit es nicht auseinander ging.
Es war wenig Zeit für das Begreifen, dass der erste Gegner enthauptet im Sand der Ebene landete und der atmosphärische Schrei, der einem Hirn und Mark zerrüttete, die Klage des verrauchenden Lebensfunkens war. Böse hob sie sich über die Köpfe.
Keuchend hastete Menrad drei, vier Schritte vor, hinein in die erbärmliche Lücke, die entstanden war, bevor sie sich wieder füllen konnte.
Ihn trennten doppelte Reihen von der Front des Verteidigerheers. Namentlich Barbaren kämpften dort, doch von ihnen sah er nur unter Helmen hervorschauende, fliegende Haarquasten und dumpf aufleuchtende Klingen, die in ein Meer der Dunkelheit hackten. Ohrenbetäubend hatte sich der Lärm entfesselt.
Die entscheidende Schlacht.
Noch hielten die Reihen der Verteidiger. Als Menrad sich mühsam weiter vordrängte, erreichten ihn aber mehr und mehr Laute aus dem Toben, die er gefürchtet hatte: Todesschreie, eine ganze Borte qualvoller, oft auch wütender letzter Stimmenäußerungen, die über die verbündete Streitmacht zurückwogten. Hier und da schleuderten Kämpfe, die im Griff der Schlacht nebelhaft blieben und untergingen, Blut in die Höhe.
Wir dürfen keine Angst zeigen.
Dennoch war es die Angst, die ihn beflügelte, die seinen Griff um den Hammerstiel wieder festigte. Vorübergehend machte sie ihn unempfindlich – unempfindlich gegen das Grauen dicker Tropfen, die auf sein Gesicht fielen wie Regen.
Blut. Das Feuer der Dämonen ließ Asche entstehen, Berge von Asche, in die gewiss jetzt schon Fleisch der Krieger gemengt war - Krieger, die Menrad vor Augenblicken noch hatte schreiten und drohen sehen. Fauchend senkte sich der Dunst auf die Scharen zusammengewürfelter Menschen und Halbtiere. Vereinzelt spaltete der Feind die Verteidigung Lut Gholeins bereits mit erbarmungslos dumpfer Gewalt und schälte den Mut der verzweifelten Gegner von ihrer Standhaftigkeit wie blutige Rinde.
Das Letzte, was Menrad noch in Gedanken fasste, war, dass er die Gefährten nicht mehr erreichen konnte. Sie waren verloren im Sturm der rostroten Felder, fortgetrieben, ganz wie er.
Der Strudel losdrängender Massen hatte sie auseinandergerissen.
Gebt auf euch Acht.
Menrad war längst von ihrer Seite verschwunden, hineingesogen in die Masse von Kriegern, die den ausgedörrten Boden vor der Stadt verteidigten. Urel hörte sie gelegentlich noch, seine tiefe Stimme, weit vorn Befehle brüllend. Hadan war am einfachsten wahrzunehmen anhand der Schauer herabsinkender Flüche, die mit ihm durch die Schlacht reisten, und nah bei ihm würde Eya sein, viel zu schmal und verwundbar in dieser Lawine wuchtiger Waffen und Leiber.
Ifrah stand allein, die letzten Worte der Männer im Ohr.
Rückzug, wenn deine Magie gegen den Feind nichts ausrichten kann. Urel.
Geh mit den Göttern, Svasdaana-La. Opfere dich nicht. Die Stadt braucht dich noch. Hadan.
Die Schlacht schleuderte ihr die Wucht der endlichen Begegnung ins Gesicht. Sie atmete die zerfetzte Luft hastig ein und verbiss sich die Tränen puren Entsetzens, das zuletzt in der Weltensteinfestung, vor Baals Dienern, so groß gewesen war. Ihr zu Seiten warfen sich die Barbaren in den Kampf, auf den sie so lange gewartet und für den sie ihre Heimat verlassen hatten, zahllose Meilen gewandert, bis hierher. Ihr Wille, ihre Kraft mussten sie mitreißen. Doch sie ängstigten sie auch. Allerorts, jetzt schon, fielen die Nordmänner. Gewiss, sie hatten es gewusst. Für viele von ihnen war die Wüste der Tod.
Ifrah sah sich rasch um. Den Stab in der Rechten, stand sie noch tatenlos inmitten zäh vordringender Reihen. Ihr erster Blitz war eine schwache Erinnerung.
Sie beschwor sie herauf. Im Gefüge der Welten, das einst die Erzdämonen und ihre Brut über Sanktuario ausgegossen hatte, und auch unter den Menschen, gab es zwar Einzelne und Gruppen, die der Magie eine nicht geklärte Widerstandskraft entgegensetzten. Doch die Schulen bereiteten ihre Adepten ohne besondere Bedenken auf diesen Umstand vor. Denn der Menschen, die sich gegen die Elemente unempfindlich zeigten, waren es nicht viele, und selbst die Dämonen besaßen selten eine gefährliche Immunität.
Ihr Blitz hatte Opfer gefunden.
Was zögerst du noch? Die Magierin huschte zwischen tobenden Gestalten hindurch.
Die Frontlinie war plötzlich sehr nah, ein dünnes Netz gegen die Flut der Eindringlinge, die die Ebene zu füllen begannen. Hinter Ifrah lag, vom Kampfgeschehen durch vielleicht tausend Schritte noch getrennt, die Stadt.
Kämpfende versperrten ihr den Weg. Entschlossen teleportierte sie – hinein in die erstbeste Lücke im Gedränge, die sie aufzuspüren imstande war.
Dicht beim vordersten Spalier der Verteidigung auftauchend, bereute sie es beinahe augenblicklich. Hier landete sie nicht unter herbeiströmenden, doch verdutzten Widersachern und in der Freiheit eines Flecks aus Stein, wie er in Travincal oder sonst wo ergeben ihr Auftauchen hingenommen hatte. Hier endete ihr Teleportschritt mitten im Grauen einer nie da gewesenen Schlacht.
Hitze stets aufs Neue ausgeblasener Feuerlohen heftete sich an Ifrahs Gesicht, den offenen, stumm schreienden Mund, die verdunstende Schweißschicht auf ihrer Haut.
Was Mensch und Verbündeter und Dämon war, fegte mit irrsinniger Gewalt ineinander. Der Feind wütete entsetzlich unter den Verteidigern. Sie duckten sich unter dem Hagel der Hiebe weg, wichen blind aus, versuchten ihn mit erhobenen Waffen und Schilden zu dämpfen.
In Ifrahs Nachbarschaft hatte sich ein unbesetzter Platz gebildet, und hier begegnete ihr in aller Deutlichkeit, was in dieser Stunde mit den Verbündeten geschah.
Ein riesiger Dämon stand frei, ein Ungetüm, gekrönt von über viele Fußbreit ausladenden Hörnern, hinter sich die Flut seiner Verwandten, und schwang eine mannslange Klinge. Unter der Kreatur, zerschlagen, niedergetreten, regten sich aschegeschwärzte Körper schwach im Staub. Barbaren und Säbelkatzen drangen auf den Überwinder ihrer Gefährten ein.
Aber weder die Kraft des Nordens noch die Gewandtheit der Katzen rettete die Einen oder die Anderen.
Ifrah sah die großen Krieger in die Bahn des Dämonenschwerts laufen, vergebens ihre Schilde dagegenhaltend, sah sie mit zerborstenen und eingedrückten Rüstungen fallen, während die Waffe fast ungebremst weiterschwang. Und was die Barbaren niedergehauen hatte, traf die leichteren Säbelkatzen wie ein klingengesäumter Rammbock. Das gellende Jaulen der ersten Drei oder Vier, die den Menschen hatten zur Hilfe eilen wollen, bohrte sich der Magierin in Ohr und Herz, und das Fürchterlichste war, dass die gelbe Masse, plötzlich in viel zu viele Teile zersprungen, mit der gegnerischen Waffe weitergerissen wurde und unter ihre Artgenossen fuhr. Sie wurden von den Läufen gefegt, fortgewirbelt, als seien sie Blätter in einer Windbö. Ihr Kreischen musste bis in den Himmel hinaufschallen. Eines der Halbtiere flog viele Schritte weit, krachte gegen die Wand der seitlich herandrängenden, schwarzen Kolosse, wurde zertrampelt, war Blut und Fleisch und Sand, ehe sein Klagelaut vollends abriss.
Ihr guten Gestirne. Tränen stürzten der Magierin aus den Augen. Der freie Fleck wanderte näher zu ihr, ein Mann rempelte sie an – dann stand sie an seinem Rand.
Sie hob die Hände, den Stab in der Rechten, und ballte beide Fäuste. Der Gewitterwind brandete gegen die lähmende Aura des Übels an, tanzte durch den Sand, ein unsichtbarer Derwisch.
Ihr Entsetzen verwandelte sich in Zorn.
Der mühelose Zugriff auf ihr Element, entfesselt wie zuletzt in Kurast, erreichte sie kaum. Die Magie indes durchfuhr sie mit einer Wucht, dass es ihr ein Stöhnen entlockte.
Das Rostrot des Schlachtfelds ging aus, auch die Aschewolken, auch die metallenen Töne der Waffen und Rüstungen. Gleißendes Licht strahlte auf.
In das einstimmige Aufschreien alles Lebendigen hinein entsandte Ifrah einen Blitzast. Er entwand sich ihrer Kontrolle, entfaltete sich zu einem Baum knisternder Energie. Sie ließ ihn umstürzen, mit flatterndem Schurz, mit stummen Worten auf den Lippen, die sie selbst nicht kannte und die doch einen einzigen Wunsch enthielten. Die Hölle der anderen Welt durfte der Magie ihrer eigenen nicht entrinnen.
Zuviel hing jetzt an ihr.
Die Verbündeten im Umkreis duckten sich atemlos, als die Magierin Zentrum einer haushohen Lichtsäule wurde. Das Heer schien sich rings um den kleinen, freien Platz flachzulegen, dann zurückzuwogen, als es sich vom Schreck erholte.
Im Krachen der Entladung sprangen die Säbelkatzen, die der Dämon fortgeschleudert hatte und die noch zu einem neuen Angriff fähig waren, auf die Riesengestalt los. Alle Geräusche waren wie ausgelöscht. Lautlos tobten die Wüstengeschöpfe, auf dem gelben Fell Mäntel ihnen freundlich gesonnenen Weißfeuers.
Mit dem plötzlichen Gestank verkohlten Fleisches kehrte der Lärm zurück. Die Magierin schwankte. Rasch blinzelte sie schmutzige Tränen aus den Wimpern.
Der Dämon, den die Blitze zuvorderst getroffen hatten, stand noch, doch die Kraft seiner Bewegungen war ermattet, die Oberfläche seines Leibes nicht länger nur von ihrer Eigenfarbe schwarz. Seine hornige Haut bröckelte, rauchte. Die Speerspitzen der Katzen und selbst ihre Krallen, die sie zur Hilfe nahmen, wo ihre Waffen an der fremden Panzerung zersplittert waren, fanden Einlass durch dunkelrote Stellen. Sie platzten auf wie schlagartig erblühende Blumen. Feuer fürchtete diese Haut vielleicht nicht, aber Ifrahs Element lernte sie fürchten.
Die Bestie zögerte zu lange, benommen vielleicht, vorwärtsgeschoben von nachdrängenden Dämonen, denen die Blitze Augen und Vorderseiten zerstört hatten, die aber noch weiterschritten, getragen vom eigenen Schwung Wie ein gelber Insektenschwarm fielen die Säbelkatzen über den Gegner her.
Ifrah hielt sich nicht damit auf, zuzusehen, wie sie den schwarzen Berg zerfetzten, rasend, wild wahnsinnig, nicht länger die sachten Sandwanderer und lautlosen Nachtmahre der ersten Begegnung.
Die Magierin lief so nah an die Frontreihe heran, wie sie es wagen konnte.
Keine der beiden Seiten gebrauchte Bögen, und die Wurfspeere der Katzen prallten wirkungslos von den Gegnern ab. Das Dämonenheer jedoch blies seinen Widersachern Feuer entgegen. Hier vereinzelt, dort zahlreich, klappten Rachen auf, Löcher in eine wahrhaftige Hölle. Flammenzungen begleiteten die vorrückende Masse. Sie waren die düsteren Fanale eines Vernichtungszuges gegen die erste Ansiedlung der neu betretenen Welt.
Selbst geschlossenen Auges ließ sich die Macht des Übels nicht länger leugnen.
Längst dröhnte der Boden der Ebene unter den Tausenden von Füßen seiner Träger wie unter rollenden Wagen. Was zuletzt als anwachsendes Unbehagen in allen Seelen gelauert hatte, zerfraß den Widerstand des Geistes, den die Kämpfer so bitter benötigten.
Wir dürfen keine Angst zeigen. Vor Ifrah aber hatte die Angst sich alles Lebendigen bereits bis zur Verzweiflung bemächtigt. Einzig Zusammenhalt und Zorn mochten bewirken, dass sich noch nirgends unter dem Verteidigerheer Scharen zur Flucht wandten. Vielleicht war es auch nur die Enge, die eine Flucht unmöglich machte. Wer zauderte, den erfasste der Pulk und trieb ihn erbarmungslos in den Feind.
Nein, niemand, der mutig genug war, bis zu diesem Morgengrauen vor Lut Gholein zu bleiben, entgeht dieser Stunde jetzt noch.
Die Magierin teleportierte in unmittelbare Nachbarschaft roter Gewänder, die sie unter den Barbaren hatte aufleuchten sehen.
Als sie erschien, hieb ihr um ein Haar das Ende einer Lanze ins Gesicht. Schiebende Leiber, Gebrüll. Kreischendes Metall. Schweiß und Rauch, dick wie eine verdampfende Suppe.
Überrumpelt gebar sie aufs Geratewohl einen einzigen Blitz in Richtung geschwungener Hörner, dann ließ sie sich von der magischen Bewegung an den Ort zurücktragen, an dem sie zuvor gestanden hatte. Doch der Fleck war nicht mehr. Auch hier wälzten sich die Massen, dicht an dicht.
Sie stolperte und hielt schützend die Arme vor die zusammengekniffenen Augen.
Närrin! Dummes Weibsbild! Mitten unter den Kriegern war sie schlecht aufgehoben in dieser Schlacht. Es gab nicht genug Platz für eine gezielte Nova. Zudem fürchtete sie, unsicher über die schnelle Wirkung, die sie vor einem Hieb der Dämonenklingen gegen ihren Kopf bewahren musste, zu wenige von ihnen zu erreichen und getötet zu werden, sinnlos, ohne eine Schar von ihnen mitnehmen zu können.
Verzweifelt reckte sie den Hals. Sie war zu klein, sie sah mit Mühe den schwarzen Wald aus Hörnern und davor zahllose Häupter, Helme, Waffen.
Wieder rempelte ein Mann sie versehentlich an. Blut platzte aus ihrer Unterlippe, die sie sich an den Zähnen aufgescheuert hatte.
„Magierin!“ Eine Hand packte sie bei der Schulter. Ein Helm füllte plötzlich ihr Blickfeld.
Bostac. Sie erkannte seine eisblauen Augen durch den Sehschlitz. Der junge Krieger hielt sie fest, beinahe wie ein Mann, der sein Kind in einer aufgebrachten Menge vor fremden Knien und Stößen schützen will, und zerrte sie, trug sie fast, zwei Schritte weit auf einen Fleck, der sich auftat. „Du musst vorsichtiger sein.“
Im Toben der Schlacht war er kaum zu verstehen, auch wenn er brüllte. Sie dankte verworren und schöpfte keuchend Luft, solange seine breite Gestalt sie ein wenig abschirmte. In der Nähe sank ein Regen finsterer Funken herab, dann ertönte ein widerwärtiger Laut zerreißenden, harten Fleisches.
Hadan tauchte neben ihnen auf. Sein weißes Gesicht und das schneeige Haar leuchteten noch bleich, bis zur Kehle hinauf aber war der Nekromant mit Blut besudelt, als habe er darin gebadet. Die böse Befriedigung auf seinen Zügen wechselte gegen Besorgnis. Eya war an seiner Seite und atmete hektisch. Rote Sprenkel zierten ihre Wangen.
Hastig tauschten die Gefährten Worte.
„Ich komme nicht nah genug an die vorderste Reihe heran“, vernahm Ifrah ihre eigene Stimme, überschnappend, dünn und schrill. Die Panik drohte sie zu überwältigen.
Und ich darf doch nicht versagen.
„Bostac“, wandte sich Hadan an den Barbaren, der unbeirrt die Anderen davor bewahrte, umgestoßen zu werden, „kannst du sie decken?“
Ich weiß, dass das von einem Krieger wie dir viel verlangt ist, sagten die Augen des Nekromanten.
Der Nordmannhelm nickte.
„Wir bleiben zusammen“, befahl Hadan. Er mochte sich damit auch an die Assassine richten, die mit blassen Lippen ebenfalls den Kopf beugte. Ifrah durchzuckte es kalt. Eya erschien fürchterlich schmal und zerbrechlich inmitten all des dichtgedrängten Wahnsinns – ein Treffer gegen ihre nur von Leder und ein wenig Eisen umschlossene Gestalt würde ihr feines Knochengerüst zerschmettern wie Glas. Hadan spähte unterdessen suchend über die Menge, als seien die Frauen nicht die Einzigen, die er im Auge behalten wollte.
Bevor sie Gelegenheit zu weiteren Worten oder Taten hatten, ließ eine Bewegung in ihrer Nähe die Gefährten herumfahren. Bostac spannte sich und knurrte eine Warnung.
Doch der Keil aus Feinden, denen es offensichtlich daran gelegen war, die Front des Verteidigerheeres endlich zu zersplittern, bohrte sich bereits vernichtend gegen ihren Standort vor. Barbaren und Pundarkrieger versuchten, den Boden nicht preiszugeben, gerieten unter einen Hagel so mächtiger Hiebe, dass sie wie herabgezogen einfach verschwanden, und man hörte das grausige Schmettern und Sterben bis hierher.
Zu geschwind für ein gemeinsames Zurückweichen sprangen die Dämonen auf sie zu.
Wenige Schritte vor Ifrah fiel ein Mann, dann ein zweiter. Das Letzte, was sie sah und erlauschte, waren Bostacs aufblitzende Klingen und eine Verwünschung aus dem Munde Hadans. An dem Barbaren vorbei, rauchgekrönt wie eine makabre Gottheit, bahnte sich eine große, schwarze Gestalt einen Weg zu ihr.
Ifrah stemmte die Stiefel in den Boden. Aus dem Augenwinkel sah sie Hadan Eya hinter sich ziehen, den Nekromanten die Arme ausbreiten, in der Rechten ein Kurzschwert, die Assassine ihre Großkrallen abwehrend vorstrecken – dann trennten sie weitere Feinde. Alles war Dunkelheit, mitten darin ein niedergestreckter Körper, strauchelnd, fallend, und ein langgezogenes, knotiges Antlitz, ähnlich dem eines grob und entsetzlich falsch in Stein gemeißelten Rindes. Es starrte sie an. Zahnreihen klafften auf.
Die Magierin ließ sich fallen. Staubiger Felsboden stieß sie halb bewusstlos, aber noch im blinden Herumrollen klammerte sich ihr Ohr an das Fauchen feuerverdrängter Luft.
Ein Spalier aus eisernen Wadenschützern und Stiefeln war da, als sie die Augen wieder aufsperrte. Trampeln, Schreie, körniger Staub. Ihr Lendentuch, eingeklemmt unter einem Fuß, ging in Fetzen, als sie mit kreisendem Kopf auf die Beine sprang.
Verzweifelt suchte sie im Gedränge, direkt am Rande des Kampfes der Menschen gegen die Zerstörung ihrer geschlossenen Schlachtordnung, nach ihren Freunden. Ein Strom von Gestalten schwemmte vorbei.
Hadan und Eya waren fort. Bostac war noch da.
Der junge Barbar lag im Staub, verwischt zu erkennen durch hackende Schwerter, durch Leiber und stinkende Rauchschwaden hindurch, und die Hand seines linken Arms, zusammen mit der Schulter vom Körper abgetrennt, hatte sich im Augenblick des Todes in den blutbesudelten Sand gekrallt.
Sie hatte den Hieb nicht kommen gesehen.
Erst als Hadan, der schützend und Flüche auswerfend vor ihr aufragte, sich umwandte und sie hochzog, brachte ein glühender Schmerz in ihrer Schulter böse Gewissheit. Das Gelenk war nicht mehr zu bewegen, ausgekugelt, vielleicht sogar gebrochen. Das Leder stand offen und war nass. Eya verbiss sich jeden Laut, stolperte vor dem Nekromanten her durch den Pfad, den er mit Rufen und Gesten in das Schlachtenmeer trieb.
„Schau nicht zurück!“ herrschte er sie an, da sie, an die verloren gegangenen Gefährten denkend, ihre zitternden Beine kaum zur Eile zwingen konnte.
Lärm lag wie eine Kuppel über der Menge. Die Sicht war schlecht, rauchgeschwängert die Luft und so dick, dass man ihr jeden Atemzug abtrotzen musste. Mit rasendem Herzen lief die Assassine weiter, ausweichend, hin- und hergestoßen, wo Hadan es nicht verhinderte. Gesichter zogen vorbei. Augen starrten fiebrig hinter sie.
Sie gelangten zu einer Art freiem Platz, wo die Asketen standen. Freiwillige und Männer, die bereits verwundet worden waren, schützten ihn gegen die Menge und mögliche, bis hierher durchbrechende Feinde. Von hier aus war das Kriegsgeschehen noch leidlich zu überblicken.
Eya drehte sich um und hielt den Atem an.
Zwischen den Hügeln und der Frontreihe, die schon an mehr als einer Stelle aufgespaltet und kaum noch als solche zu erkennen war, war die Ebene schwarz – ein schwarzes Feld, darüber Zäune schwankender Hörner. So musste der Ausbruch eines Vulkanberges verschreckten Siedlern erscheinen, nur dass sich keine Schicht geschmolzenen Steins und siedender Schlacke auf Lut Gholein zuschob, sondern eine Flut lebender Kreaturen. Sie stießen Flammen aus, und es wirkte, als stünde unter einer Aschekruste die Welt in Brand.
Rauch trieb in schrägen Bahnen über die Ebene.
Die Assassine konnte fühlen, wie das neue Übel seinen Terror vorauswarf, und es war anders als die erinnerte Gegenwart der Aura um die Erzdämonen und ihre Diener – kälter, fremder, ungerührter, weniger einfältig, weniger listenreich.
Weniger verwandt.
Nicht in ihren unglücklichsten Stunden hatte sie sich je vorzustellen vermocht, sie würde einst, so wie jetzt, beinahe mit einer Regung der Vertrautheit an das alte Böse zurückdenken.
Und sie begriff, was am Kommen der Dämonen die Menschheit so ängstigte. Keine Durchtriebenheit anderer Eroberer reiste vor ihnen her und hatte ihr Nahen angekündigt, keine versammelte Weisheit und Magie hielt sie auf, fast, als gebe es zwischen Diesseits und Jenseits nichts, das sie fürchten mussten. Sie begriff auch, dass die Vorgänge in Kurast einzig der Geisteshaltung des Ostens und einem Zufall entsprungen waren.
Das Tor steht beliebig irgendwo auf Sanktuario. Es hätte sich ebenso gut auf Camdra oder an jedem anderen Ort öffnen können.
Ratlos und verstört zuckte ihr Blick über die Gesichter der Asketen, die Beschwörungen murmelten, wie Hadan es tat, wenn er einen Gegner verfluchte. Doch das Chaos der Schlacht verbarg, ob die nekromantische Macht hier noch wirkte. Schleichend, aber unaufhaltsam rückte die schwarze Flut gegen die Mitte der Ebene vor.
Die Hand des Nekromanten senkte sich auf ihre unverletzte Schulter. „Bleib hier“, tönte seine Stimme durch das nahende, an- und abschwellende Geschrei. Er war in Eile. Er musste zur vordersten Linie zurück. „Du kannst so nicht weiterkämpfen.“
„Doch“, fuhr sie auf. „Doch!“ Sie hob den Arm, die Hand mit der Großkralle unter Schmerzen und starrte ihn bittend an. „Sag mir nicht, was ich –„
„Du bleibst hier!“
Sie schrak zusammen. Hadan wurde selten laut. Jetzt aber sah sie, dass es ihm bitterer Ernst war, und sein Gesicht hatte sich wieder von ihr in die Maske hinein entfernt, die es im Kampf verfremdete. Noch herrschte Perlmutt in seinen Augen vor, doch es begann zu verschwinden. Öl kroch auf die punktartige, schwarze Iris zu.
„Bitte, Eya“, fuhr er fort, nur wenig ruhiger. „Ich muss Ifrah suchen. Ich habe geschworen, Urel nicht allein zu lassen, und es ist schon geschehen.“ Bestürzt erlauschte sie Verzweiflung in seiner Stimme. „Ich will dich nicht verlieren. Dich so weit in die Schlacht zu lassen, war ein Fehler... nicht mein einziger, wie es aussieht...“. Das Letzte sagte er so leise, dass sie die Worte kaum noch verstand.
Er wartete ihre Erwiderung nicht ab. Der blutbesudelte Handschuh streifte ihre Wange, dann war er verschwunden – beinahe so rasch wie ein Attentäter. Wankend entdeckte sie die Bahn seiner Rückkehr zum Mittelpunkt der Schlacht nur anhand weißen Haars. Rauchschwaden und Borten tanzender Waffen schoben sich dazwischen.
Mich nicht verlieren? Sie verharrte reglos inmitten der monoton und schauderhaft heiser und kehlig singenden Asketen.
Und was, wenn du mir heute verloren gehst?
Ein Aufbrüllen aus der Menge zerstäubte den Kloß in ihrer Kehle. Sie reckte den Hals, die Hand auf der treulosen Schulter, die sie an den Rand des Geschehens verbannt hatte.
Rotgewandete Männer stolperten aus dem Gedränge. Einem hatte ein Hieb das rechte Auge für immer geschlossen, doch er bewegte sich weiter, als sei es nicht seine halbe Sehkraft, die ihm in Blut und Gallert aus dem Gesicht lief. Ein Anderer schrie die Assassine an.
Erst als er seine Worte wiederholte, löste sich ihre Starre. „An den Rand! Alle Verwundeten an den Rand!“ Aus dem Kreis der Männer, die die Nekromanten schützten, kam wohl Widerstand, denn der Pundaranführer brüllte: „Seid keine Narren! Sterben könnt ihr noch früh genug! Ihr sollt kein Reißaus nehmen, sondern euch zusammenflicken lassen. Rasch jetzt!“ Der Sprecher machte eine herrische Geste.
Der Kreis rührte sich, langsam vor den Reihen zurückweichend, die jetzt vom Gegner nach hinten getrieben wurden.
Das Heer der Verbündeten begann Boden zu verlieren.
„Los, los!“ Die Stimme des Befehlshabers war schrill, nackte Not und Angst. „Sie versuchen, die Streitkräfte zu umgehen!“ Der Mann blieb stehen, blickte zurück, und kurz ließ der Lärm der Schlacht ihn gewähren, als er leise, mehr zu sich selbst, hinzufügte: „Es sind so viele... so viele...“
Das, was Eya sah, bestätigte seine Worte.
Das Dämonenheer spaltete die Verteidigerlinien auf. Sie hatte es selbst bezeugt: Gegen die brutale Wucht des Feindes waren sogar die Barbaren und die Säbelkatzen, deren Zahl so hoffnungsvoll unüberschaubar geschienen hatte, fast machtlos. Wild drängte der Ansturm ihre Gefährten und Verbündeten zurück, weiter, immer weiter auf die verletzliche Stadt zu. Was die Verteidiger so entschlossen niedermachte, würde sich von einer Mauer nicht aufhalten lassen. Es würde nicht zu einer Belagerung kommen.
Keuchend hastete Eya den Pundarkriegern und Asketen hinterher. Letztere bewegten sich widerstrebend, als ahnten sie, dass einer von ihnen noch mitten im Kessel der Kämpfe zurückblieb, oder als binde sie eine Trance. Ausgefranst empfing der Rand der Schlacht die Fliehenden.
Die Assassine mühte sich, keinen zu genauen Blick auf die verbrannten, schreienden, böse zugerichteten Männer zu werfen, die sich bis hierher zurückzogen, oft genug nur noch, um zu sterben.
Donner und Rauch.
Ihre eigene Haut klebte von Schweiß und dünner, zäher Asche. Sie ließ sich nicht abwischen.
Magere Gestalten beugten sich über Verwundete, immer die nahende Linie der Schlacht im Blick. Auch sie waren unsicher, was getan werden konnte, und vor allem, las die Assassine in ihren verschleierten Augen, was zuerst – neue Verwünschungen gegen den fremden Widerstand ausstoßen oder jene unterstützen, die noch nicht unrettbar im Kampf gefangen und zertreten waren?
Erst eine Stunde des Morgens war vergangen, vielleicht nicht einmal soviel. Die Sonne kletterte weit über der Welt ungerührt an den Himmel, doch sie war kaum noch zu erkennen: Ein kränklicher Fleck in einem Brodem aus Rauch und Asche.
Ihr Hauptanteil war bereits die Hänge hinuntergestiegen. Geduldig bohrte er sich in das Leben, das ihnen aufgeschreckt entgegenrannte, aber immer noch kam ihr Heer, ihnen nachfolgend, über den Hügelkamm. Unten eine weiße Ebene und die Stadt, nicht besonders groß, und dahinter ein ausgedehntes, unangenehmes, aber bedeutungsloses Wasser.
Hell war es in dieser Welt. Auch heiß war es, bereits kurz nach dem Verstreichen der Nachtstunden. Die Hitze störte sie nicht. Das neue Land würde wahre Hitze erst kennen lernen.
Leer lag es da, bereit, übernommen zu werden. Wo zuallererst, zählte kaum. Auf der anderen Seite seines Weltenrundes waren schwüle, dämmrige Nebel und wuchernder Bewuchs, und auch dorthin würden sie gelangen. Die Meisten von ihnen kümmerte die löchrig gewordene Hülle, die Grenze dieser Welt, nicht sehr.
Diese Welt war ein Trittstein.
Mochten sich ihre Bewohner in Winkel der Erde, die ihr schwächliches Geschlecht trug, zurückziehen und eine Weile dort noch piepsend umherkriechen und sich verstecken, während der Besitz an Andere überging – der Durchgang. Ein leichter Weg, so viel leichter als andere Pfade über andere Welten.
Hier herrschte einzig die Vergänglichkeit, die nur von sich selber wusste und nichts von den Mysterien und der Vielfalt abseits ihrer kleinen Spanne. Hier gab es Borne der Magie, doch nur kümmerlich entfaltet, noch im Stadium zwischen Entdeckung und Erkundung.
Hier hatten sie nichts zu befürchten.
Diese Welt war verlassen. Spuren Größerer, einstmals vielleicht gereizt von einem Versuch, sie sich untertan zu machen, bedeckten sie schwach. Und noch Größere würden auf ewig von ihr getrennt bleiben. Ihre Gegner älterer Zeiten schienen erneut nicht erpicht darauf, sich für diese Länder zu opfern. Das gereichte ihren eigenen Absichten zum Vorteil. Der Befehl lautete, nicht länger zu warten. Die Zeit war gekommen.
So schüttelten die schwarzen Krieger ihre Hörner, senkten die breiten Stirnen und gingen daran, die Saat der Angst über das hiesige Leben zu werfen, auf dass sie es vergifte.
Es gelang leicht. Befriedigt erbebte das versammelte Bewusstsein. Achtlos fuhren sie über den Gegner hinweg. Er bewegte sich uneinheitlich, als verbände seine Kreaturen wenig. Aber es war anders: Mit jedem Gefällten fügte man ihnen mehr Schaden zu als erhofft. Es mochte sein, dass sie sich an ihre Vergänglichkeit und an eine sonderbare Verwandtschaft miteinander klammerten, und es hieß, eine andere Kraft gebe ihnen ihr Dasein – nicht jene, der die schwarzen Krieger selbst zur Stunde ihrer Entstehung begegneten.
Starr bewegten sie sich ins Tal. Auf ihnen lasteten weder Angst noch Verlust. Sie waren viele, und mehr würden folgen, benötigte es einen zweiten Sturm auf die Stadt, die zu ihnen hinüber- und hinaufblickte, lächerlich aus Lehm und brüchigen Steinen erbaut, holzgedeckt, hinfällig, ein Opfer für den ersten großen Brand auf dieser Welt.
Sie waren viele, und die Zeit war auf ihrer Seite.
Das Feuer ihrer Heimat im Geleit, trieben sie Keile in die Menge der Verteidiger, fegten das kreischende Getier von den Füßen, das vergeblich versucht hatte, die Wüste vor ihnen zu bewahren, knickten die Klingen der anderen Gegner. Ordnung und Wille der Menschen waren leicht zu unterspülen. Unter ihren eigenen Kämpfern reisten solche mit, die einen Auftrag im Geist hielten: Hinter dem Gegnerheer niederzureißen, was es beschützen wollte. Rechter Hand gelangten die ersten Knoten zusammengeballter Dämonen bis zur Mitte der Ebene.
Dort hielten sie an, flankiert vom unüberwindbaren Schutzgeleit, zu zahlreich für die fremden, dunklen Sprüche, die verwirrend auf sie niedersanken, herübergeschickt von einzelnen, dünnen, schlecht bewachten Gestalten. Ein Haufen wurde gegen sie losgeschickt, um sie zum Schweigen zu bringen. Die anderen Dämonen warteten auf die erste Attacke gegen die Stadt, und als sie kam, zogen sie weiter.
Brüllend erhob sich die Feuerkugel aus ihrer Mitte. Sie zog einen Rauchfaden quer über die restliche Distanz zwischen ihnen und den Mauern. Noch bevor sie dahinter niederging, folgte eine zweite, dann eine dritte, in diesem Land ohne Niederschlag ein Regen, der auffuhr, um es für alle Zeit zu verändern.