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[Story] Saqqara

*klatsch* *Jubel*
Also ich finde es "gut" dass Urel stirbt. Das passt sehr gut rein finde ich, außerdem wär's doch sehr suspekt wenn er das überlebt hätte. Toll!
 
hurra, ein up:D

hiermit oute ich mich als fleißiger Leser, damit du auch ja weitermachst.

PS: durch die Geschichte bin ich darauf gekommen selber eine Geschichte zu schreiben^^ bin noch am Ideen sammeln
 
Urel tot, ein Großteil der Gefährten verschollen … und der Dämon droht mit Rückkehr. Wer soll ihn dann schlagen?

Das Warten hat sich gelohnt, doch nach dem Up ist vor dem Up …
 
Tja, was für ein trauriger Ausgang des Kampfes. ;(
Aber Urels Opfer wird doch hoffentlich nicht vergeblich bleiben.

Übrigens ein :go: für Micros - ich wollte mir gerade das Kapitel anschauen, klicke auf "Letzte Seite" und sehe als erstes deinen Kommentar, der Urels Tod verrät. :D
Was soll's, jetzt hätte ich es auch so erfahren.

Die Menge giert nach mehr!
 
Micros schrieb:
*klatsch* *Jubel*
Also ich finde es "gut" dass Urel stirbt. Das passt sehr gut rein finde ich, außerdem wär's doch sehr suspekt wenn er das überlebt hätte. Toll!

Find ich nicht...

Als ich den letzten Satz gelesen hatte, war mir fast zum Heulen zumute...Urel starb mit einer Last auf der Seele, die er nicht hätte tragen müssen.
Genauso wie es bei der Amazone Malenah in der Vorgeschichte "Der Gipfel der Welt" war...sie starb mit dem Gefühl, schuld am Tod ihrer Kampfgefährten zu sein...mitten auf dem Schlachtfeld vor Harrogath und weit entfernt von ihrer Heimat. :(



Bzw. wie läuft es mit dem nächsten Kapitel voran?
 
auch wenn ich den ausgang das kampfes für urel schon vor dem lesen kannte, war es wieder einmal superfesselnd das up zu lesen. aber wie sagte oben jemand? nach dem up ist vor dem up. in diesem sinne freue ich mich aufs nächste.

Gruß, Helldog
 
Also bei der Vielzahl von Hinweisen darauf wie selbstzerstörerisch die Natur des Berserkers ist, kommt das für mich als Leser zumindest alles andere als überraschend. Jetzt darüber zu spekulieren: "Eigentlich ist Urel ja in der Kammer des Weltsteins schon gestorben..." klingt für mich zwar irgendwie pathetisch, würde aber im weiteren Sinne sogar noch selbigen ergeben.

Wie immer aber ein super Up; Finde Urels Tod an der Stelle nur konsequent und giere wie immer nach MEEEEEEEHR! (Hävelposter?)
 
Was mit Urel passiert und wie es mit ihm endet, stand bereits fest, als das erste Kap. noch nicht geschrieben war. In der Story finden sich ja auch zahlreiche Hinweise auf seinen Niedergang, insofern gab es kein konsequenteres Ende für ihn als dieses.
Leicht ist es mir nicht gefallen, das kann ich euch sagen.
Aber wieder sämtliche (der alten) Gefährten überleben zu lassen, wäre mir unrealistisch erschienen.

Über die vielen Antworten freue ich mich übrigens sehr.
Ich versuche, das nächste Kapitel schneller zu liefern als dieses. Ein bisschen dauert es aber noch.
Gruß, eure Reeba
 
Urel, alter Freund... ;(
Da ist er nun also von uns gegangen.. ja, es war abzusehen...mit seiner Last kann keiner lange wandern.

Umso mehr bange ich nun um die restlichen Gefährten. Reicht dem Schicksal ein Opfer als Lohn für einen Sieg?

Es war wieder mal ein farbgewaltiges Stückchen Werk, was du uns präsentiert hast, liebste Reeba. Zitternd schließe ich mich der hungernden Menge wieder an.

Wann gehts weiter? :D

:hy: Insidias
 
Willst du eigentlich nicht Schriftsteller werden?
Wäre problemlos möglich :eek:

Sehr geile Karte muss man auch mal gesagt haben, die Story hab ich noch nich fertig gelesen, is sau lang ^^, fast schon n buch ^^
 
Es ist eigentlich ein Buch...mit Word ist die Story knapp 500 Seiten lang. Im Taschenbuchformat à la Paperback würds sogar länger werden...zwischen 800 und 1000 Seiten, grob geschätzt...
 
Huhu,
so ich meld mich auch mal hab grade alle Ups die ich verpasst hatte nachgeholt...und bin wie immer mehr als begeistert......

Das Urel stirbt ist vollkommen ok...........Aber ich muss mich einem Vorredner anschliessen wenn die Eya auch noch durch irgendsonn Quatsch umkommt gibs hier mächtig ärger*grinz und schon mal nen Schutzschild um Eya aufbau*

Wie immer schönn packend sehr spannend und einfach nur :top: !
Was kann man noch sagen hmmmm..............GOIL^^

Und wie immer etwas schwere Kost und dabei doch so unterhaltsam....noch nie etwas gelesen das vom Stil so anspruchsvoll ist und nicht einschläfernd auf den Leser wirkt, also dazu muss ich echt meinen Respekt aussprechen!!!!!!!!!!!!!!

Mfg Chaos

Ps: Freu mich auf nächste Up!
 
LII. Die Last der Lebenden




Ehre die Toten.
Wer sie nicht ehrt, verweigert dem Leben seinen Respekt und wird es verlieren. (Sprichwort der Assassinen)





Zuletzt war sie geflohen.
Auf der Höhe der Schlacht, oder vielleicht schon kurz vor ihrem Ausgang, hatte sich aus dem brodelnden, schwarzroten Kessel die Macht der Gegner vernichtend gegen alle noch eng zusammenhaltenden Gruppen des Verteidigerheers gewandt. Auch gegen den Fleck, zu dem Hadan sie gebracht hatte, damit die Menschen, deren Kräfte er am besten einschätzen konnte, sie schützten.
Doch es hatte keinen Schutz gegeben. Erst betäubt durch die ungeheure Gewalt, mit der Wellen feindlicher Leiber gegen das dünne Doppelband aus Pundarkriegern und Nekromanten vorgedrungen waren, dann entsetzt mitansehend, wie die Rotgewandeten und die Asketen fielen, war sie Zeugin des Endes von Pundar in diesem Teil der Welt geworden. Brüllende, in gellendem und verwaschenem Jabrah Befehle schreiende Kämpfer. Dann, während sich das Brüllen zu schrillen Todeslauten empor geschraubt hatte, das Ächzen aschegeschwängerter Luft, Luft, die Flüche hatte tragen müssen.
Die Flüche waren verraucht, verdorrt wie ihre Urheber in Flammen und schwarzen Schwertern. Halbnackte Leiber, niedergetreten, dazwischen noch hochgereckte Arme. Sie waren nicht ausgewichen. Sie hatten gewusst, dass ihre Reise über das große Meer eine Fahrt zum Ursprung des Bösen sein würde, eine Fahrt ohne Wiederkehr.
Fallendes Pundar. Wird der Tod deiner Asketen ihre Tempelgemeinschaften erschüttern, selbst über eine halbe Welt hinweg? Ganz zuletzt, im Schreien und Stolpern, hatte sich ein Mann zu ihr umgedreht. Ja, sie erinnerte sich. Ein zähnebleckendes, bärtiges Antlitz, fast allein vor einer schwarzen Woge, Todesangst und Todesnähe in den Augen.
Basvantha mhavi, asasina! Basvantha nar hitva Pakhri-La!
Letzte Worte. Ausgerechnet für sie, für sie allein von einem Fremden, in all diesem Wahnsinn. Lauf weg, Assassine! Lauf zu deinem Gemahl, dem Jünger Pakhras!
Da war sie geflohen, zusammenzuckend in einem letzten Ausbruch finsterer, nicht unvertrauter Macht in ihrem Rücken, strauchelnd, die rechte Hand auf der verwundeten linken Schulter. Mit weit aufgerissenen Augen war sie über Tote getaumelt, weitergerannt, mitten hinein in die auseinandergesprengten Fetzen des Schlachtenrandes, an in die entgegengesetzte Richtung stürmenden Männern vorbei. Bis ins Nichts.
Weit hatten ihre Beine sie nicht getragen. Alles, was hinter ihr lag, zerrte sie mit solch einer Urgewalt zurück, dass sie schließlich stehen bleiben musste.
Unter ihren Stiefeln kroch der Staub, selbst der Staub, zum Kessel der Schlacht, unter den Rauchschwaden entlang, die ausdünnten und die Umgebung grau und gelb sprenkelten.
Eya drehte sich um.
Eine Weile verharrte sie, stierte in das bewegte, wie nebelige Band der Kämpfe. Wie lange?
Schweiß und Tränen brannten ihr jede klare Sicht aus den Augen. So klein hatte sie sich nicht einmal vor Harrogath, in Kurast oder unter riesigen Menschenmassen je gefühlt, sie in ihrer aufgeschlitzten Lederrüstung, mit ihren nutzlosen Klingen, deren eine sie immer noch in der Faust hielt, die die vermaledeite Schulter stützte.
Da gehen all die Jahre deiner Schulung an dir vorbei und entpuppen sich als vergebens. Nicht einmal deinen Vertrauten kannst du helfen, du Überbleibsel einer verlorenen Zeit.
Aber obwohl die Verzweiflung ausreichte, um sich einfach niederzulassen, hier auf diesem elenden Fleck Erde, der ebenso gut war wie jeder andere, blieb Eya stehen.
Sie lauschte, mehr mit ihrem Innersten als mit den getrübten Sinnen.
Wie lange musste sie warten, um das Versprechen, sich um ihr Überleben zu bemühen, zu erfüllen?
Mitten zwischen Wanken und Starre erfolgte der Schlag.
Die Gegenwart brach in einem Beben zusammen, dehnte sich, raste auf sie zu. Ihr Herz machte einen Sprung. Nicht einmal sonderlich überrumpelt beobachtete sie, wie es sie von den Füßen fegte, lässig, markerschütternd, und sie fiel hintenüber, eine kleine, schwarze Gestalt auf einem verhangenen Feld.
Der Boden stieß ihr in den Rücken, so hart, dass ihr Atem versiegte.
Die junge Assassine rollte sich ab, biss die Zähne zusammen, als ihre ausgekugelte Schulter protestierte. Wie ein unweltlicher Wind brandete die Drohung über sie hinweg, und sie war noch dabei, sich abzustützen, als sie zurückkehrte.
Dann Schweigen. Hallendes, leeres Schweigen.
Doch die Erscheinung hatte die Gnade jeden Schocks. Eya sprang auf die Füße, ohne zu wissen, was die Stahlfeder in ihrem Leib noch bestehen ließ.
Atemlos zauderte sie, dann, nach einem Blinzeln, der nachzitternden Drohung nicht achtend, stürzte sie los, zurück dorthin, wo sie die Anderen vermutete, irgendwo auf dem Schlachtfeld. Ihre Namen trugen sie weiter. Ifrah, Menrad. Urel. Hadan.
Erst nach vielen Schritten wurde ihr bewusst, dass zwei Dinge fehlten, so sehr fehlten, dass einzig ihre Abwesenheit die Stille erklären konnte.
Wie schon im Tal der Magier waren die Eindringlinge, schien es, vergangen. Sie hatten sich aufgelöst, vielleicht in ihre heimatliche Sphäre hinein, die sich mit der Sphäre Sanktuarios nun schicksalhaft überschnitt – vielleicht aber waren sie auch nur in die Nähe des Dämonentors zurückgekehrt, um sich zu sammeln.
Doch auch vom Heer der Völker fehlte jede Spur.
Nein. Es war noch da.
Schau nicht nach unten.
Von dem unebenen Grund, über den ihre Stiefel dahinflogen, blickten sie die Überreste dieses Heeres an. Blinde Augen. In Asche erstarrte Züge.
Das ganze Feld war wie mit Schlacke übergossen, und der matte, stinkende Wind zupfte nur an Bannern und Kleidungsfetzen, um dem Grauen zuzuarbeiten.
Eya sah Menschen im schwarzgelben Dunst. Überlebende. Sie entzauberten sich nicht zu davongekommenen Lut Gholeinern, nicht zu Barbaren, Säbelkatzen oder Pundarkriegern, und auch nicht zu Einzelnen der kleinsten Gruppen, Druiden oder Asketen. Sie blieben gesichtslos, schwankten durch den aufsteigenden Brodem des tödlich getroffenen Landes, fort von ihr oder zu ihr hin, doch Eya hielt sich nicht auf.
Zu spät bedachte sie, dass sie ihre Freunde nicht unter den Hunderten finden konnte, waren sie gefallen. Als der Gedanke ihr fieberndes Bewusstsein erreichte, blieb sie wie angewurzelt stehen und schrie.
Ein dünner Laut schwang sich über das Feld der Vernichtung.
Keine Antwort.
Ifrah lachte an einem kalten Harrogather Abend mit ihr, und ihre schönen Augen leuchteten mit der Wärme beginnender Freundschaft. Waffenschwester, sagte eine Stimme aus einem gutmütigen Gesicht, nun komm schon, unsere Aufgabe wartet. Menrads Hand ließ vom Zerreißen seines Ordensgewandes ab, müde, grau wie seine Züge, verwundbar und freundlicher geworden. Maysan folgte ihr auf dem Fuße und roch, wie nur verschwitzte Kinder riechen. Und Hadan, Hadan schloss sie in seine Arme und lachte leise, als sie unter dem Druck hingegeben aufstöhnte.
Sie schrie wieder. Wieder, bis ihre Kehle heiser war und wehtat. Selbst Maysans Namen, obwohl sie wusste, dass das Mädchen sich nicht an diesem Ort befand.
Endlich, nach einer halben Ewigkeit des Dahinstolperns und Umherstarrens, berührte etwas wie eine Antwort ihre Seele.
Die Stahlfeder gab nach. Eya blieb mit dem Stiefel in einem Durcheinander aus Leibern und schwarzem Sand hängen, fiel, all ihrer Geschicklichkeit verlustig gegangen, auf Hände und Knie. Kaum einen Lidschlag später, sich Asche aus den Augen wischend, stand sie wieder. Lass es kein Trugbild sein.
Vielleicht war sie längst gestorben. Vielleicht war dies die Hölle, der Abgrund, von dem all die verschiedenen Glaubensauffassungen sprachen – auf ewig durch die Nachgeburt namenloser Vernichtung dahinzutaumeln, immer eine Stimme im Ohr, dicht vor sich, ohne die Aussicht, sie je zu erreichen.
Die junge Assassine fluchte und spuckte aus.
Selbst vor einem leibhaftigen Erzdämon hätte sie sich jetzt nicht in den Staub geworfen. Ich bin noch nicht fertig. Was immer um sie war, es hatte zu warten.
Und wie eine Antwort erhob sich das zerstörte Land unter ihren Füßen. Von oben fiel eine Ahnung verwaschenen Blaus herab. Licht. Es kümmerte sie nur, weil es die Rauchschwaden aufhellte, wie ein Fingerzeig.
Ein Hügel.
Sie erkannte, was sich auf seiner Spitze gegen das grauenhafte Orange und Grau abzeichnete, und dieser Schatten wankte nicht fort oder irrte umher. Er saß, still, vornüber gebeugt.
Innerhalb von Augenblicken hatte sie den Hügel erklommen, keuchend, die Schulter wie ein glühendes Gewicht am ausgepumpten Leib.
Dann sah sie klar, oben angelangt, und wünschte sich, nicht klar zu sehen.
Ihr Schritt verlangsamte sich und erstarb. Alle Angst und Ungewissheit erstarb. Wind zerzauste ihr das schmutzige, klebrige Haar.
Sie fiel auf die Knie, die Augen reglos auf einem Umriss neben ihr, aus dem sich ein Arm löste und sie umschloss. Dunkelheit, eine ganze Hälfte atmender, lebender Dunkelheit, in die sie sich mit aufeinanderschlagenden Zähnen hineinwarf. Und eine Hälfte wahrhaftigen Entsetzens.
„Shatryindjah.“
Sie schluchzte auf.
Asche und Erschöpfung hatten ihrer beider Stimmen ganz rau und kehlig werden lassen. Hadans Haar stank nach Blut und Schweiß. Sie hielten sich fest, fester noch als in der Nacht im Nari-Tempel.
Neben Eyas Knie ruhte eine Hand. Zahllose Male hatte sie diese Hand Rüstungen prüfend abklopfen, Brot brechen, einen Schwertknauf umschließen sehen. Aber tat sie nichts mehr davon.
Vielleicht spürte Hadan, dass sie mit dem Auge, das nicht durch seine Schulter und sein Haar zugedrückt wurde, hinstarrte, und dass eine große Erschütterung sich langsam in ihr vorbereitete, noch nicht annehmend, was sie vorgefunden hatte.
„Er ist tot“, sagte er leise. „Urel ist tot.“
Eya löste die Wange aus seiner Halsbeuge, von seiner Schulter.
Er weinte. Sie hatte ihn nie zuvor Tränen vergießen sehen. So mochte er an ihrem Lager dagesessen haben, damals unter dem Berg, aber sie konnte es nicht wissen.
Die hellere Spur auf dem Teil seines aschedunklen Gesichts, der ihr zugekehrt war, riss jeden letzten Schleier von der Hoffnung, das Gespür eines Nekromanten könne sich über den Fortgang einer vertrauten Seele täuschen, riss jeden Schleier von der Wirklichkeit, und sie verwandelte sich in Urel.
Urel zu ihrer Beider Knien, ihr Waffenbruder, der jüngste der alten Gemeinschaft.
Es blieb nichts mehr, als sich aneinander festzuklammern. Ohne fühlbaren Übergang, weil sie nur noch aus ruckartigem Schütteln und qualvoll aufloderndem Schmerz bestand, ergab sich Eya. Die Drohung über dem Feld, die wunde Stadt irgendwo hinter ihnen, die verpestete Umgebung mit all den umherwandelnden Menschen darin, alles wurde gleichgültig.
Nicht für lange. Aber jetzt, und hätte sich aus dem Rauch um den Hügel ein verbliebener Dämon abgetrennt, jetzt war es an der Zeit für Tränen.





Ifrah fand sie eben, als sie meinte, nicht mehr weiterzukönnen.
Sie hockten dicht beieinander auf einer Welle des Bodens, die der Krieg aus Tod und Zerstörung aufgetürmt hatte. Sie sahen beinahe aus wie ein Beduinenpärchen, eingenickt während des Wachens in einer langen Dämmerung, in der man aus dem Windschatten eines Zeltes das Blöken der Schafe und das Flüstern des Sandes vernehmen konnte, zärtlich, zwielichtig.
Aber es gab keinen Sand mehr, der locker genug war, um zu rieseln oder zu flüstern, und alles Tierische hatte dieses Tal längst geflohen.
Kurz, im Näherkommen, jagte ihr das allgegenwärtige Entsetzen die Angst ins Herz, sie seien tot.
Überall auf dem Schlachtfeld, über das die Magierin während der letzten Stunde gestolpert war, ragten menschliche Formen auf. Manche der Toten saßen aneinandergelehnt. Manche hatten Hände wie zum Gebet oder wie um einen Schlag abzuwehren, in die Luft erhoben, und waren doch tot. Und Viele zerstäubten, trat man zu ihnen, plötzlich zu Asche.
Formen menschlichen Daseins, zu nichtssagenden, trügerischen Umrissen versteinert.
Ifrahs Inneres verkrampfte sich, als sich die Gestalten auf dem Hügel schwach regten.
Von ferner kamen zwei weitere Menschen langsam heran, so langsam, dass sie gelegentlich mit dem Rauch zu verwehen schienen, der über das Schlachtfeld zog.
Doch die Magiern achtete zunächst nicht weiter auf sie. Sie hastete auf den Hügel zu.
An seiner Spitze traf sie auf ihre drei alten Gefährten.
Die Magierin vergaß, welche Gefahr immer noch, in der ersten Stunde nach dem unerwarteten Ende der Kämpfe, um sie alle hing. Sie vergaß die Erleichterung, nicht von einer schwarzen Klinge in Stücke gehauen oder von einer Feuerlohe verbrannt worden zu sein. Sogar das nicht verklingende Nachbeben ihrer eigenen Energie verließ ihr Bewusstsein.
So dick von Asche und Blut bedeckt, dass sie ihre geliebten Züge kaum noch erkannte, hockten Hadan und Eya zu ihren Füßen. Ifrahs Augen streiften sie, dann die lang hingestreckte, mächtige Gestalt Urels, sein beredtes, regloses Daliegen, dann erneut die Gefährten.
Sie wurden auf sie aufmerksam. Mit einem Laut gleich einem Schrei warf sich ihr Eya in die Arme. Die Frauen verschmolzen zu einer schwarzgoldenen Einheit. Über den schmalen Leib hinweg sah Ifrah Hadan aufstehen.
Er hatte seines weißen Haars wegen stets wie ein Mann gewirkt, dem Jugend nichts sonderlich Vertrautes war. Nun erschien er wirklich gealtert. Gealtert, ohne gebrechlich oder reicher an Jahren zu sein als sie selbst, gealtert durch die Müdigkeit seiner Augen. Nur der Funken des Wiedererkennens ließ sie kurz bleich aufleuchten.
An ihrer Schulter hatte sich die Assassine festgeklammert. „Liebes“, hörte Ifrah sich sagen. „Ruhig, Liebes.“ Aber ihre eigene brechende Stimme strafte sie Lügen.
Der Irrsinn der Schlacht zerfiel zu den an Einzelnen hängenden Schicksalen, zu den Wegen, die verkehrt herum auf die Menschen zurückstürzten. Urels Weg war zuende.
Nicht gut gekannt hatte sie ihn, aber geliebt wie einen jüngeren, hitzköpfigen Bruder. Nun war er zerschellt, nicht am Kriegsgeschehen, sondern an der Last eines über einen fatalen Zeitpunkt hinausgezerrten Lebens.
Trauer würgte sie, aber sie war außerstande, zu weinen. Vielleicht hatte die Hitze ihre Tränen verdorren lassen.
Eya und Hadan waren da, Junah und Badr sei Dank. Und alle Vorsicht und in ruhigeren Zeiten verbliebene Fremdheit verwerfend, kamen sie zu ihr.
Im Schatten ihres gefallenen Gefährten bildeten sie einen Menschenhaufen.
Eya, die Jugendliche, die unter aller Assassinenverkleidung Scheue und Leidenschaftliche, hing schluchzend an ihr. Das überraschte Ifrah nicht. Hadan aber, der niemanden ohne Weiteres näher als bis auf Armeslänge an sich heranließ, war nun ebenfalls da, umschloss sie und seine Gefährtin mit den Armen und legte die Wange an Ifrahs Schläfe. Durch den Schleier vor ihren eigenen Augen sah sie, dass er geweint hatte und sich dessen nicht schämte.
Erst als das Nahen weiterer Menschen zu ihnen durchdrang, lösten sie sich voneinander.
Ifrah tat es widerwillig. Es lag ein Trost, eine Fiber wilden, verzweifelten Lebens in diesen blutverkrusteten menschlichen Armen, die sie dringend brauchte.
Sie blinzelte nach links.
Ein Mann schleppte sich auf sie zu. Er hinkte und war nur noch ein schwaches Abbild früherer Stärke und Entschlossenheit, aber er hielt seinen Hammer fest in der Rechten. Er lebte.
„Menrad.“
Ihre Gefährten schienen nicht in der Lage, sich auch nur einen Schritt weit von Urel zu entfernen. So ließ Ifrah sie stehen und ging dem Paladin entgegen. Ihre Erscheinung sandte ein Licht über verhärtete, blasse Züge. Die Linien seiner ohnehin hageren Wangen waren kantig, wie gemeißelt.
Dann sah er sie, sah sie ganz. Der Hammer fiel zu Boden. Er öffnete die Arme.
Magierin und Lichtkrieger – Gesandte zweier in ihrem Wesen verfeindeter Klassen. Was bedeutete das jetzt noch? Menrad beugte sich über sie, und Ifrah fand ihr Gesicht gegen die erblindeten Ringe seines Kettenhemdes gepresst, seine Arme fast erstickend um ihre Leibesmitte. „Ifrah.“ Derselbe Brodem, der überall umherstand, hatte sich auf seine Stimme gelegt. „Dem Himmel sei Dank, Ihr lebt.“
„Ihr ebenso“, gab sie dumpf zurück. Jetzt konnte sie weinen.
Er war verwundet. Breite purpurne Streifen zogen sich von seiner Hüfte aus abwärts, und ein Hieb gegen seinen Kopf hatte das Fleisch über seiner rechten Schläfe aufplatzen lassen, aber seine grauen Augen schauten gewohnt wehmütig und ernst. Dass sie weinte, schien ihn sehr zu bekümmern. Ein Blick an ihr vorbei und der Ausdruck dieses Blicks sagten ihr, dass er bereits sah, warum sich alle alten Gefährten hier versammelt hatten.
„Es tut mir Leid, Ifrah“, brachte er heraus. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll... Es tut mir Leid.“
Sie schüttelte den Kopf. „Kommt“, gab sie erstickt zurück.
Der Paladin ließ einen festen Griff um ihren Oberarm, in dem sich der Wunsch, sie zu stützen, mit seinem eigenen Wunsch nach menschlicher Berührung vereinigen mochte, bestehen und folgte ihr zur Hügelspitze. Ifrah spürte seine Betroffenheit und seine Zurückhaltung. Letztere bewog ihn, Eya und Hadan nur mitleidig und düster zuzunicken, doch selbst zwischen ihm und dem Nekromanten hatte sich jede Feindseligkeit verflüchtigt. Sie waren nur noch zwei Männer desselben Lagers, vereint in Trauer um den Tod eines Kriegers aus ihren Reihen.
Hadan maß den Paladin mit einem langen, ausdruckslosen Blick, aber seine Stimme klang warm, als er ihn begrüßte. „So habt Ihr den Sturm also überstanden, Paladin.“
Menrad nickte erneut und befestigte den wieder aufgelesenen Hammer an seinem Gürtel. Er wirkte erstarrt, hilflos wie sie alle.
„Seht“, schreckte Eya tränenschwere Stimme die Gefährten auf.
Die zweite Gestalt, die aus dem Chaos zu ihnen heranschmolz, war groß, weit größer noch als Hadan, breitschultrig und bärtig. Sie hatte eine gewaltige, mit schwarzen Fetzen verbackene Axt geschultert.
Herlac. Der Clanführer hatte überlebt. Anders als Bostac. Auch Bostac ist tot.
Und wie viele Andere? Wo waren die sandfarbenen, langschwänzigen Säbelkatzen und ihr Führer Harebnash? Wo war Pundars starke, kleine Gesandtschaft, wo die Druiden? Und wo waren die Söhne der brennenden Wüstenstadt, die Söhne Lut Gholeins?
Mit schweren Schritten stieg der große Mann zu den Gefährten hinauf. Ifrah bemerkte, dass er ernster verwundet war als sie alle.
Zahlreiche Schwerthiebe, denen er augenscheinlich nur knapp entronnen war, hatten blutige Schnitte in das feste Fleisch seiner Arme und Schultern gerissen. Sein dunkler Bart war rot gefleckt. Den Helm trug er an einem Riemen am Gürtel, das Haupt jedoch hoch, und er bewegte sich abgesehen von seiner Langsamkeit mit derselben geradlinigen Kraft, die sein Auftauchen an jedem Ort so vertrauenerweckend machte.
Selbst hier und jetzt.
Bei ihr angelangt, ließ er die von Asche geröteten Augen zu dem Ort wandern, an dem Urel lag, und atmete tief ein. Dann, obwohl Ifrah sich sicher war, dass er bereits geahnt hatte, was Urels spürbare Abwesenheit auf dem Schlachtfeld bedeutete, verdüsterte sich seine Miene, und das Braun seiner Augen wurde fast schwarz.
Er legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, ging dann an ihr und Menrad vorbei.
Ifrah wandte sich um, um zu sehen, wie er mit Hadan und Eya zusammentraf. Der Clanführer der Barbaren und der Nekromant wechselten einen langen Blick.
Hadan sprach zuerst, und so, als müsse er gegen ein ungeheures Gewicht auf seiner Brust Worte formen. „Ich konnte ihn nicht retten.“
„Das hätte wohl niemand vermocht“, gab Herlac leise, aber fest zurück. „Wenn je ein Mann todgeweiht war, dann er.“ Es ließ sich nicht heraushören, ob er nur seiner Bekümmerung Ausdruck verleihen oder Hadan entlasten wollte. Ganz gewiss war es keine Anklage.
Doch Hadan senkte den Kopf.
Sie standen eine Weile schweigend da, fünf Menschen inmitten der Überreste dessen, was ein Aufstand der Völker Sanktuarios gewesen war, fünf Vertreter dieser Völker, geschlagen, ohne mehr in den Händen als das nackte Überdauern eines ersten Angriffs.
„Wir müssen ihn zur Stadt zurücktragen“, sagte Herlac schließlich rau. „Er war ein großer Krieger. Ihm gebührt eine Heimkehr zu dem Ort, für den er sich aufgeopfert hat.“
Die Männer machten sich mit langsamen Bewegungen daran, den gewaltigen Leib des Toten aufzuheben.
Während sie dies taten, konnte Ifrah sich nicht rühren. Heimkehr.
Wie es um Lut Gholein stand, wusste keiner von ihnen. Immer noch war es hinter dem gelben Atem verborgen, mit dem die Erde der Welt entgegenstöhnte, dass sie auf einem Siechenlager ruhte.
Und noch eines bewirkte, dass die Magierin nur mit blicklosen Augen verfolgte, wie sich die kleine Gruppe zum Verlassen des Schlachtfelds bereitmachte. Heimkehr.
Auch Andere würden zur Stadt zurückkehren. Die Flüchtlinge, und diese gewiss, sobald sie den Lärm und das Toben jenseits der Stadt verebben hörten.
Die Flüchtlinge. Die Schiffe.
Da die Männer mit dem Toten schwer beladen waren, stützte sie Eya. Rechts die Assassine untergehakt, links den Stab wie eine Krücke, folgte sie dem traurigen Zug. Eya war ebenfalls verstummt.
Vielleicht dachte auch sie über ihren eigenen Schmerz hinaus. Vielleicht dachte auch sie an die Schiffe, die bereits jetzt schon auf den öden, rauchenden Strand laufen mussten.







Der Weg war beschwerlich. Sie mühten sich mit ihrer traurigen Last ab, wandelten wie Gespenster über ein Meer von Toten, keuchten und mussten oft innehalten, und eigentlich hatte er keine Kraft für klare Gedanken mehr.
Einmal kam, beweglicher Traum in einem Traum, aus dem gelben Pfuhl des Branddunstes eine Gestalt gelaufen, hielt schnurstracks auf sie zu, war plötzlich wiedererstandene Erinnerung an zurückliegende Tage, an schattige Nischen, an ein jetzt schon fast unter Entsetzen begrabenes Wunder.
Harebnash.
Ob im nahen Dunst weitere Säbelkatzen auf seine Rückkehr warteten, war ungewiss. Sachten Schrittes näherte er sich, das sandfarbene Fell rot verschmiert, der Schwanz ein kränklicher Knick, die Augen groß und feucht in einem Gesicht, das menschlicher schien durch die Nässe der Lider und der platten Nase über einem hechelnden Maul.
Sie vermögen zu weinen. So wie wir.
Sie hielten an.
Harebnash berichtete ihnen, was sie schon ahnten. Nirgends fand sich mehr ein einziger lebender Dämon. Von den tausend flinken Säbelkatzenkriegern hatte eine knappe Hundertschaft überlebt. Sie würde sich in die nahen Hügel zurückziehen, wachen und auf Verstärkung warten, denn auch ihnen, den heimlichen Wächtern der Wüste, war die Drohung nicht verborgen geblieben.
So sprach die verzerrte Stimme, und sie antworteten mit großem, bekümmertem Dank und nickten zu dem, was gesagt wurde. Die Verheerungen unter dem Wüstenvolk machten sie stummer, als sie ohnedies schon waren. Sie schuldeten diesem Volk so viel und hatten so wenig zurückzugeben.
Dann, nur bei genauerem Hinsehen den rechten Hinterlauf nachziehend, war Harebnash wieder fort.
Sie gingen weiter, auf die Stadt zu.
Lange bevor Lut Gholein aus den Rauchschwaden auftauchte, kündigte es sich an, doch vorerst nur dem Ohr. Ein Knistern verriet Brände. Stimmen verrieten Menschen, die rannten, um sie zu löschen, Menschen, die sich in der Enge der Gassen hinter den Mauern bewegten.
Schließlich trat die Stadt aus dem Dunst. Sie hielten unbeirrt darauf zu. Dem Auge blieb auch so genug Gelegenheit, Lut Gholeins Zustand festzustellen.
Die weiße Mauer war an einer Stelle dicht neben dem Haupttor eingerissen. Nur einige Fuß hoch ragte sie dort noch auf, der Rest war weggebrochen und geschwärzt – eine klaffende Wunde im Lehm und Gestein, doch sie hatte die angrenzenden Mauerteile nicht mit zu Fall gebracht. Schwarzer Qualm stieg in den Himmel, der immer noch die Farbe schwärenden Gelbs hatte. Ein Großteil der mauernahen Häuser war durch die Feuergeschosse in Brand geraten, doch man sah kein wildes Emporzüngeln von Flammen.
Der Palast überragte alles, unverrückt, offenbar unbeschädigt.
Das Haupttor stand offen. Männer hasteten umher, rufend, Körper tragend. Hier lagen die Dämonen spärlicher, und da es sich mit den Toten und den Verwundeten ebenso verhielt, war dies der erste Ort des Schlachtfeldes, an dem Lut Gholein in neue Geschäftigkeit ausbrach.
Hadan sah es ohne eine Regung im Herzen. Das Mitleid würde sich einstellen. Später.
„Nicht in die Stadt“, sagte er zu Menrad und Herlac. Aschegraue Gesichter wandten sich ihm zu. Auch Ifrah und Eya sahen her. „Zum Strand. Wir brauchen Platz.“
Platz für die Verwundeten.
Platz für die Gefallenen.

Niemand widersprach.
So wandten sie sich nach links, um die aufgewühlte Stadt zu umgehen.
Es schien, als sei auch anderen Überlebenden der Gedanke gekommen, es könne besser sein, sich und ihre Gefährten nicht in die überfüllten Gassen zu schleppen, wo jetzt schon genug Elende litten, klagten und schrieen. Mit ihrem Fünfertrupp bewegten sich Weitere in Richtung des nahen Meeresufers. Hinkende stützen andere Hinkende. Männer arbeiteten sich mit reglosen Körpern ab.
Die Uferlinie rückte näher, und jeder Schritt war schwerer als der vorige.
Das Meer erstreckte sich nur trügerisch ruhig im Dunst. Er dünnte aus, wo ein wenig Seewind ihn besiegte, aber das Wasser hatte eine schmutzige Farbe angenommen, unheilverkündend, schicksalhaft, und die Brandung spülte ermattet auf feuchten Sand.
Gruppen kauerten hier zusammen. Man hörte Weinen, Stöhnen, Befehle – das Klagelied der Ränder großer Schlachten. Aber auch das erreichte das Innere des Nekromanten nur noch wie durch ein dämpfendes Tuch.
Das einzig klar Umrissene waren die Schiffe.
Sie dümpelten auf der Oberfläche des Meeres dahin, nun in ihrem Fortkommen durch die Tatsache verlangsamt, dass sie keine Ruderer, sondern Frauen, Alte und Kinder an Bord hatten. Einige mochten indes bereits wieder in den Hafen der Stadt eingelaufen sein.
Und einige kamen zum Strand, lagen im Flachwasser, ergossen ihre verzweifelte menschliche Fracht in die Brandung, und sie fiel ungeschickt und mit bedrückend anzusehender Hast hinein, arbeitete sich wehklagend zum Ufer, hatte Kinder auf den Armen, eilte der rauchenden Stadt oder den Umherliegenden zu.
So Viele würden ihre Männer, Söhne, Väter und Brüder nicht wiedertreffen.
Der Seewind fuhr den fünf Menschen ins Haar.
Als sei dies unter den schlimmen Dingen das schlimmste, hielten sie an. Mit der Hilfe der beiden anderen Männer ließ Hadan Urels zerschundenen Leib in den Sand sinken. Von irgendwoher hatte der Paladin unterwegs einen Tuchrest genommen und dem gefallenen Barbaren übergelegt, aber es war ein ärmlicher Fetzen, ein Totentuch der Not, und verbarg weder den gemarterten Leib noch den übel zugerichteten Kopf.
Eya setzte sich ohne einen verständigen Blick für die Umgebung nieder. Neben ihr hockte sich Ifrah hin, die Arme um die Knie geschlungen.
Die beiden Frauen, die ihm auf der Welt am meisten bedeuteten, so zu sehen, gab dem Nekromanten einen Stich ins Herz. Ihre Tränen waren versiegt. Jetzt wütete das Entsetzen in ihnen – in allen Seelenlichtern ringsum, und es nahm sich gierig, was noch übrig war.
Herlac richtete sich schweigend auf. Daneben fuhr sich der Paladin über das Gesicht, eine reine Handlung großer innerer Leere, und sie erreichte nur, dass er den Schmutz und das Blut auf seinen Zügen neu verteilte. Seite an Seite starrten die beiden Männer aufs Wasser.
Ein neues Schiff kam.
Frauen hasteten vorbei, Möwen zu Köpfen, die man bald von den Toten würde fernhalten müssen, wie die Geier in der Wüste, die sicherlich jetzt schon Kreise über dem Schlachtfeld zogen.
Die Gefährten harrten schweigend aus, als herrsche auch ohne Absprache ein Einvernehmen unter ihnen darüber, worauf sie warteten.
Dann kam ein weiteres Schiff. Es bohrte seinen Rumpf in den Ufersand, mehr als dreihundert Schritte entfernt. Hadan verfolgte, wer absprang. Es war das richtige Schiff, in die Brandung anstatt in den Hafen gelaufen, als habe der unbarmherzige Fortlauf der Dinge es hierher gebracht.
Er machte sie rasch unter den anderen Frauen aus. Mit ihrem langen, lockigen, hellen Haar war sie leicht zu erkennen. Und sie erkannte ihn und die Gefährten.
In seinem Rücken, als er die ersten Schritte ins Flachwasser tat, erhoben sich Eya und Ifrah. Herlac hielt Wache bei dem Toten, Menrad desgleichen.
Sie alle wussten nicht, was kommen würde. Auch Hadan wusste es nicht, aber er konnte es sich ausmalen, und darum war der Weg hierher so schwer gewesen.
Das Gewand, das sich voll Wasser sog, und die Brandung hielten sie noch eine Weile fest, aber sie arbeitete sich hindurch, Hast und Hoffnung in jeder Bewegung. Beides trug sie bis dicht vor ihn, dann erlahmte ihre Eile, kam zum Erliegen, vollgesogen mit vielleicht schon älteren Ahnungen, wie ihr Gewand mit Meerwasser schwer wurde.
Sie sah es fraglos in seinen Augen.
Er stand selbst inzwischen bis zu den Knien im Wasser, und sie blickten sich an.
„Nein“, sagte Marej.
An ihnen vorbei schwemmte die Stunde stoffverhüllte Frauen und weinende Kinder auf den Strand, aber ihre Stimmen zogen dünn an Hadans Ohr vorüber. Vor ihm wankte die Druidin, als habe man ihr die Kniesehen durchzuschneiden versucht.
Nein, schrie es in ihren brechenden Augen. Sie sprang auf ihn los, an ihm vorbei, aber der Satz endete im Versuch, ihm auszuweichen und sich gleichzeitig in ihn fallen zu lassen. Er fing sie auf.
Sie sagte kein einziges Wort. Sie kämpfte nur mit aller Kraft, aber schließlich ließ sie sich festhalten. Kalte, nasse Hände, die sich in seine Armschienen krallten, abrutschten, kalte, nasse Arme in seinen Händen, und ihre Augen hingen an einem einzigen Fleck auf dem schweigenden Strand.
Vorsichtig, damit sie nicht stürzte, führte Hadan sie ans Ufer.
Eya blickte ihnen entgegen, und selbst aus dieser Entfernung war zu erkennen, dass sie hilflos zitterte. Ifrah war unter ihrer braunen Haut leichenblass. Die Männer standen düster, abwartend, bereit für das Schlimmste, und keiner von ihnen Allen musste aus Marejs Volk stammen, oder überhaupt aus irgendeinem Volk, um zu wissen, was Entsetzen und Verlust aus einem Menschen machen konnten.
Marej löste sich von Hadan und ging mit schweren Schritten auf den Leichnam zu.
Dann sank sie in die Knie. Der Nekromant war ihr dicht auf den Fersen geblieben.
Sie saß nur da.
Nach einer Weile, schwankend, griff sie nach der Hand ihres Gefährten. Sie nannte ihn flüsternd beim Namen. Das und die bittende Geste waren mehr, als man ertragen konnte.
Du bist beinahe als Letzte zu uns gestoßen und warst die Erste, die unserer Gemeinschaft mehr entlockt hat als Kämpfe und nicht endende Wege zu neuen Kämpfen. Aber sie hat dir nur den Tod deines Mannes gebracht. Den Tod des Vaters deines ungeborenen Kindes.
Da abzusehen war, dass sie ewig so dasitzen würde, beugte sich Hadan herab und legte die Hand auf ihre Schulter. Die Hand wurde geduldet. Sie erhob sich langsam, das Haar im Gesicht.
In dem Augenblick, da sie sich ganz aufgerichtet hatte, begann sie zu kämpfen. Mit einem Stöhnen kamen ungeheure Qual, grenzenloser Schmerz.
Ob sie wahrnahm, wer um sie war, ob es sie kümmerte, wen sie traf, ließ sich nicht erkennen, aber es zählte auch nicht. Er fing ihre Faust ab, dann die andere.
Während er unverrückt und kummervoll ausharrte, standen die Anderen da, und er war sicher, dass die Frauen weinten und dass Menrad wegsah.
Marej war stark. Er gab ihr Zeit, sich auszutoben, aber sie schrie nicht und schluchzte nicht, rang nur wild mit seinem Griff. Dann endlich wurde aus dem Kämpfen ein Beben. Sie lehnte sich an ihn, und nach einer Weile, in der er sie festhielt, nahm auch die Wucht ihrer Hiebe gegen seine Brust ab.
Hadan schloss die Arme um sie, nicht weniger fest als um Eya oder Ifrah.
Ein einziger, langgezogener Klagelaut.
Am Himmel wollten die verfluchten Möwen nicht still sein. Und noch weiter oben, oder auch völlig jenseits von Himmel oder Erde, neigte sich ein riesenhaftes, grausames, duldendes Antlitz in den schlimmen Tag. Es wartete – selbst jetzt.
Hadan sandte ihm einen einzigen Gedanken, ein Versprechen.
Und nun verschwinde. Lass uns allein. Findest du auf dem Schlachtfeld nicht genug Nahrung?
„Komm, Marej“, sagte er sanft in das Haar unter ihm.
Ihr Kopf wandte sich zur Seite, als fürchte sie, man wolle sie von Urel trennen.
„Urel kommt mit uns.“ Seine Stimme klang heiser. Er hätte der jungen Frau gern einen ganzen Wald aus Stille zu Füßen gelegt, aber die Stunde gestattete es nicht. „Wir müssen noch eine Weile weitergehen.“
Er übergab die jetzt wie betäubte Druidin den Frauen, die sie in die Mitte nahmen. Gemeinsam mit Herlac und Menrad hob er den Toten wieder auf.
Sie trugen ihn nur ein Stück weit auf die Stadt zu. Hier war der Sand fester. Ein halbwegs geeigneter Ort für Zelte.
Die ungezählten Verwundeten brauchten schnelle Hilfe.






Nach und nach kehrten die Überlebenden der großen Schlacht um Lut Gholein zurück.
Sie tauchten aus dem gelben Nebel auf, oft in Gruppen, Viele aber auch allein. Mit hängenden Schultern, müden Schritten, die verbliebenen Waffen kraftlos von den Händen hängend, bewegten sie sich auf die Stadt oder den Strand zu.
Schatten ihrer Selbst. Geistersoldaten.
Menrad konnte sich an kein ähnliches Bild erinnern. Als Soldat, vor Fadraîs oder bei den Außenposten eingesetzt, hatte er Kämpfe erlebt, gewiss. Von der nur schlecht geordneten Westküste, wo sich Fischerdörfer, gesetzlose Siedlungen oft, und weit im Süden das wilde Amazonenland befanden, waren immer wieder Diebesbanden ins Inland vorgedrungen, große Gruppen berittener, mordender Männer. Es hatte Aufstände gegeben, bewaffnete Konflikte zwischen Städten und im letzten Jahr die Horden, die den Erzdämonen nachgezogen waren. Aber nie einen solchen Krieg.
Dieses Land wird nie wieder sein, was es einmal war.
Und die Drohung von einer Rückkehr des Feindes hing unverändert über der rauchenden, leichenübersäten Ebene.
Den Zurückkehrenden sah man an, dass das Entsetzen sie fast besiegt hatte.
Der Paladin blinzelte gelegentlich zu Einzelnen hinüber. Viele wussten augenscheinlich kaum, wohin sie liefen, wurden nur durch das Ufer oder die Stadt angelockt. Die, denen der Verstand über die vergangenen Stunden hinweg treu geblieben war, fanden das Ufer von Elend besetzt und die Stadt brennend vor.
Er wollte nicht zählen, nicht rechnen, aber sein Bewusstsein tat es ohne seine Zustimmung.
Nur jeder dritte Mann kehrte nach Lut Gholein zurück, viel zu oft schwer verwundet. Der Paladin sah Männer, denen noch nicht bewusst schien, dass ihnen eine Hand oder ein Arm fehlte. Sie gingen einfach weiter, in einem verzweifelten Wunsch, zurückzukehren, der stärker war als Schmerz und Grauen. Manche brachen zusammen, kaum dass sie die freiere Luft des Ufers erreicht hatten.
Unter ihnen waren auch Barbaren. Das stolze Nordlandvolk setzte der Stunde die zäheste Kraft entgegen, doch ihr zuvor dreihundert Krieger zählendes Heer war auf eine Hundertschaft zusammengeschrumpft. Pundarkrieger tauchten nur selten aus dem gelben Nebel auf, und ein einziger Asket hockte unweit von Menrad im Sand und beugte sich über einen schreienden Verwundeten. Von der kleinsten Gruppe, den Druiden, vermochte der Paladin niemanden zu erspähen. Lautlos waren sie gekommen – nur, um ohne ein sichtbares Zeichen wieder zu verschwinden, unterzugehen, ausgelöscht fern ihrer Wälder?
Die seltsamen Wüstengeschöpfe, die Säbelkatzen, wachten mit ihren verbliebenen Truppen in den Hügeln. Kennen sie keine Angst?
Müde wandte der Paladin den Kopf, als Ifrah mit einem Wasserkrug neben ihm niederkniete.
Hinter ihr zog sich die weiße Linie der Stadtmauer vom Ufer bis ins Gelb. Es qualmte nicht mehr sehr stark von den Dächern her. Die Menschen waren der Brände Herr geworden, doch man konnte sie bis hierher rufen und schreien hören.
Jene, die sich auf den Mauern befanden, würden kaum mehr sehen als eine hohe, formlose Wand aus aschegeflecktem Dunst, einen Pfuhl von schwefliger Farbe, der sich im Tal festkrallte. Selbst wenn er schließlich verging, blieb nur eine noch fürchterliche Aussicht auf die schwarze, mit Toten gepflasterte Ebene.
„Hier“, reichte die Magierin Menrad das Wasser.
Er nickte matt und nahm es. „Danke.“
Sie sprachen sonst kein Wort miteinander.
Doch da Ifrah nun gemeinsam mit der Assassine über Marej, die neben ihrem gefallenen Gefährten kauerte, wachen konnte, erhob sich der Paladin und legte Waffen und die schwereren Rüstungsteile ab.
Am Ufer irrten ebenso viele Menschen umher wie in oder vor der Stadt, doch hier gab es zumindest Platz. Man hatte bereits damit begonnen, Zelte aufzustellen, Wasserbottiche, Decken und Tücher herbeizuschaffen.
Der Schmerz aus seiner Hüfte fuhr Menrad siedend heiß durch den Leib, als er stand. Kalter Schweiß brach ihm aus, und er wankte, um Beherrschung kämpfend. Am Ufer hatte er sich Gesicht und Hände gewaschen. Das Salz biss in seinen Wunden.
Er schaute sich um.
Herlac war fort, um seine Krieger zu sammeln.
Hadan kniete nur ein paar Dutzend Schritte entfernt im Sand, dabei, einen Mann mit Hilfe zweier anderer auf den Rücken zu drehen. Er hatte den Mantel und die Handschuhe abgestreift, sonst nichts. Menrad sah ihn zu einem der zwei Männer, die sich nun neben dem verwundeten Dritten in den Sand hatten fallen lassen, etwas sagen, doch der Angesprochene hatte offenbar Mühe, zu verstehen und bewegte sich so langsam, als sei all seine Kraft damit befasst, sich um einen davonschleichenden Verstand zusammenzuziehen.
Hinkend ging Menrad zu ihnen hinüber.
Der Sand, fast weiß sonst und sehr fein, zeigte überall dunkle Flecken. Blut, verschüttetes Wasser, Ausscheidungen Verwundeter, Asche.
Erst aus der Nähe offenbarte sich die Verletzung des Liegenden. Er würde seinen linken Arm nie wieder gebrauchen. Die Hand und die untere Hälfte des Unterarms hingen nur noch an einem Geflecht blutiger Fasern. Der Knochen war bloßgelegt und zersplittert.
Der Nekromant blickte auf. Während er einen Streifen von einem Tuchballen abriss, wanderten seine bleichen Augen zu Menrads Hüfte. „Ihr seid verwundet, Paladin. Ihr solltet Euch ausruhen.“
Menrad schüttelte den Kopf. „Es blutet kaum noch. Sagt mir, was ich tun soll. Ich will helfen.“
Hadan zögerte nur kurz. „Gut“, sagte er dann. „Setzt Euch auf die andere Seite.“ Er bedeutete einem der betäubt da hockenden Männer, Platz zu machen, und deutete auf den Arm des Unglücklichen. „Der Arm muss ab. Ich habe ihm etwas gegeben, aber er wird es spüren.“
Der Paladin kniete sich unter Schwierigkeiten in den Sand. Er verfolgte, wie Hadan den zerstörten Arm kurz oberhalb des Ellbogens fest abband und ein kleines Feuer entzündete. Seine Bewegungen kamen sicher und rasch, und Menrad wurde sich erneut bewusst, dass sein Gegenüber kaum weniger Heilkundiger als Kriegsmagier war.
„Haltet ihn fest“, wies Hadan ihn an. Der Verwundete regte sich nicht, als Menrad seinen gesunden Arm ergriff und ihm die andere Hand auf die Brust legte, doch er atmete vernehmbar.
Das Messer, das der Nekromant aus einer Beinscheide zog, war schmal und begann bald weißlich und gelb zu leuchten, als es in die Flammen gehalten wurde.
Menrad wandte das Gesicht ab, als der erste Schnitt erfolgte. Der Körper, den er festhielt, bäumte sich auf, aus dem Dämmer der halben Bewusstlosigkeit herausgerissen. Wegsehen konnte man, aber die Ohren nicht vor dem Schrei verschließen.
Kaum jemand auf dem menschenübersäten Ufer drehte sich nach dem Schrei um. Es war allerorts Schmerzensgeheul, Stöhnen und Wehklagen, grotesk durchstoßen von den Lauten der sich sammelnden Möwen.
Ein Todesufer.
Die Mächte der anderen, bösen Welten, die sich nun an Sanktuario stießen, Zusammengedrängte der Weltenvielfalt einer neuen Ära, mochten gewiss lachen, sahen sie es.
Welche Stunde des Tages war es? Die Sonne sank bereits, ein matter Fleck im gelben Himmel, und viel Zeit blieb den Menschen nicht mehr.
Mit aller Gewalt verbannte der Paladin den Gedanken, dass ihnen Zeit nun auch nichts mehr half, und schloss die Augen – nicht nur, um das Blut, das über des Nekromanten ungerührt arbeitende Hände lief, nicht sehen zu müssen, sondern auch in einem Versuch, das Wenige an heilender Aura, das er hervorbringen konnte, um sich selbst und die stumpfäugigen Männer auszubreiten, die neben ihm hockten.
 
hurra, ein up, gleich mal lesen

btw erster obwohl ich das erst nach ein paar stunden gesehen habe:D

€:So, nu hab ichs durchgelesen, wie immer ausgezeichnet.
Es gefällt mir sehr gut wie du die Stimmung nach der Schlacht einfängst, und ich hoffe auf ein baldiges up:angel:
 
:read:

Gewohnte Qualität. Tolle Atmosphäre, da bekommt man die Verheerung der Schlacht wirklich lebendig mit.

Dann bin ich wohl Zweiter. ;)
 
Ich muss sagen, habe zwar schon ab und zu mal reingeschaut. Aber die Story gefällt mir sehr gut.
Generell mag ich auch den Schreibstil, der sich echt hinter keinem Autor verstecken braucht.
Also mich hätte es nicht gewundert, wenn da nicht Reeba, sondern Wolgang Hohlbein oder Hadmar von Wieser gestanden hätte.
Super Arbeit. :top:
 
Hallo Reeba,

sicher warte nicht nur ich sehnsüchtig auf das nächste Update, Du sieht es auch am Readcounter...

Da ich selber nicht das Telent zum Schreiben habe, kannst Du mir vielleicht auch sagen, warum es bei allen Schreibern gegen Ende der Geschichte zu stark verlängerten Intervallen zwischen den Up's kommt ? Ist das ein kreatives Naturgesetz in der Art, daß man sich nicht für ein Ende entscheiden kann, bzw, daß man noch fehlende Handlungsfäden (Maysan?) besonders kunstvoll integrieren will ?

.... das Up ist mir wichtiger als die Anworten auf die Fragen....
 
@Systemerror: Sicherlich liegen die längeren Intervalle gegen Ende auch daran, dass man einfach versucht, nur ja nichts zu vergessen, sich evtl. ältere Teile noch einmal durchliest, etc. pp. Bei mir liegt es allerdings momentan nicht daran, sondern schlicht an der Tatsache, dass ich mit 2 Jobs ziemlich ausgelastet bin :D
Aber jetzt ist wieder ein wenig mehr Zeit, hoffe ich.

Nochmals ein dickes sry an die Leser!
Die lange Pause war diesmal nicht vorgesehen (Grund s. oben), zudem hatte mein Betaleser kein Internet.
Gruß, Reeba



*********



LIII. In Zeiten des Krieges





Der Abend war angebrochen.
Wer von der Bevölkerung Lut Gholeins und von den Überlebenden des Heers sich noch dazu in der Lage befunden hatte, hatte dabei geholfen, Zelte aufzubauen. Gut zwei Dutzend bedeckten nun das höhere Ufer, Schutz gegen die Asche, den widerwärtig warmen Wind und die Möwen, die sich immer zahlreicher einfanden. Schutz auch gegen das Elend und, wenngleich trügerisch, gegen das Gefühl, dem freien Himmel ausgeliefert zu sein.
Die Stoffplane bewegte sich leise. Eya starrte durch die Lücke des Eingangs nach draußen, zusammengekauert, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, froh, nur diesen schmalen Ausschnitt von dem sehen zu müssen, was sich außerhalb abspielte.
Der Strand und die Stadt boten den Anblick vollkommener Zerstörung, vollkommenen Elends. Die Mauern und ein Großteil der Häuser Lut Gholeins hatten den Angriff nahezu unbeschadet überstanden, doch die Rauchwolken, das schweflige Licht und die schwärzer und schwärzer werdenden Schatten umhergehender Menschen erschienen der jungen Assassine schrecklicher als selbst das Bild der Blutigen Fußhügel, damals vor Harrogath. Dort war es still gewesen, kalt, und der Bergwind ein schwacher Trost, weil er den Gestank fortgeweht hatte.
Hier aber, zu Seiten der auf Knien liegenden Wüstenstadt, war es nicht still. Es gab kein Schweigen, das sich in der eigenen Seele ausbreitete. Die klagende Stimme der Stadt holte sie unablässig in die Gegenwart zurück, verzweifelt, wütend, fassungslos in Schmerz und Erstaunen über die vernichtende Wucht des Schicksals.
Die vom Meer Zurückgekehrten hatten die Schiffe gelassen, wo sie auf Grund gelaufen waren. Unförmig ruhten und schwankten ihre rostbraunen Leiber mit den erschlafften Segeln auf einer orangefarbenen Fläche. Dicht an dicht lagerten die Menschen auf dem Strand – von Schwäche Übermannte, Verwundete, Tote. In ihre Gewänder gehüllt, gingen Frauen zwischen ihnen hin und her, beugten sich herab oder saßen in trauernden Gruppen zusammen. Das Weinen und leidenschaftliche Lamentieren, die Gebete und Tränen dieses Weltteils waren leiser geworden, doch sie schwollen an und ab und wollten nicht enden.
Eine Wasserkaraffe lehnte neben der Assassine im Zelteingang.
Ich habe keinen Durst.
Der Schmerz aus der wieder eingerenkten Schulter war zu einem feurigen Pochen abgeklungen. Sie achtete seiner kaum. Was an Schmerz in ihrer Brust wütete, überdeckte die äußerlichen Wunden.
Erstmals fühlte sie, dass sie alt sei. Nicht an Jahren, ihrer waren es noch keine dreißig. Aber die Leere in den Augen all der Menschen entlang ihres bisherigen Weges, sie rückte plötzlich aus dem Unverständlichen ins Verständliche.
Sie wandte den Kopf. Dieses Zelt war nicht allein zum Schutz der Lebenden aufgestellt worden.
Marej saß neben ihr, und längs der rückwärtigen Wand lag Urel. Ein Tuch bedeckte seinen armen, zerschundenen Kopf, den Rest hatten sie offen gelassen, weil es nicht Art der westlichen Barbaren war, ihre Toten zu verhüllen. Eyas Blick betastete den großen Leib, zuckte dann fort, als er auf die auf den Lenden ruhende rechte Hand traf.
Stattdessen sah sie nach Marej.
Die Druidin saß in ähnlicher Haltung wie sie selbst. Die Flut ihrer Locken war auf die angezogenen Knie gesenkt. Gelegentlich leuchtete ein Lichtschimmer auf ihrem Haar, wenn draußen jemand mit einer Fackel vorbeikam oder die Sonne, die mit ihrem letzten Licht zäh gegen Rauch und Dunst ankämpfte, einen Strahl auf das spiegelnde Meer herabwarf, so dass er in das Zelt fiel.
Eya langte nach der Hand Marejs. So stumm, so teilnahmslos hatte die Druidin während der vergangenen Stunden da gehockt, dass es die Assassine allmählich mit der Angst zu tun bekam.
Was, wenn der Verlust und die Verzweiflung darüber, nun allein mit dem ungeborenen Kind in ihrem Leib in der Welt zu stehen, die stets so stark wirkende Frau besiegten? Was, wenn alles gute Zureden nicht bis zu ihr durchdrang und sie sich, dieses Lebens müde, etwas antat?
Achte darauf, dass sie keine Klinge in die Hände bekommt, hatte Hadan zu Eya gesagt. Dann war er verschwunden, um sich Verwundeter anzunehmen. Ifrah und Menrad halfen, wo sie es vermochten, am Strand und in den Gassen der Stadt.
Sie war an Marejs Seite zurückgeblieben. Auf Camdra hatte sie Reisenden Schutz angeboten und sich so ihren Lebensunterhalt verdient, doch welchen Schutz konnte sie einem Menschen vor dem Schicksal bieten, vor sich selbst?
Erleichtert und betroffen zugleich fühlte Eya die Hand, die sie berührte, zucken.
Die Augen der Frauen trafen sich. Im Zelt gab es kein Licht. Vielleicht sah das Grün von Marejs Augen darum so dunkel und matt aus.
„Sie werden ihm noch heute ein Begräbnis geben, nicht wahr?“, tönte ihre Stimme erstickt durch das Halbdunkel.
Eya nickte schwach. So war es Brauch bei den Barbaren, und so hatte Herlac es angekündigt. Irgendwo am Strand mochten Krieger schon jetzt damit beschäftigt sein, Holz aufzuschichten – nicht nur Krieger, und auch für die anderen Gefallenen, die man noch vom Schlachtfeld hatte bergen können. Besonders aber für den Kriegsherrn des Nordens.
Die Nacht würde lang sein. Lang und mit etwas Gnade dieser Welt ungestört. Säbelkatzenwächter erschienen gelegentlich scheu am Rande des Strandes, um zu melden, dass bislang kein Zeichen des Feindes wieder erschienen war.
Doch viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Die Assassine drückte die Hand der Druidin und zwang sich zu einem Lächeln. Man könnte wohl fragen, warum wir unsere Gefallenen noch bestatten, warum wir die Davongekommenen mit Mühe wieder zusammenflicken und die Brände löschen.
Es wird kein Morgen geben.

Einem zweiten Angriff hatten die Verteidiger nichts mehr entgegenzusetzen.
Wir werden bald alle tot sein. Das Ende eines langen Weges. Nur noch ein Wunder konnte das abwenden.
Warum fühlte sie kein Entsetzen? Die Antwort blieb aus, ebenso wie die lähmende Angst, und es gelang ihr nach einem Schlucken, die Gedanken von der Dämmerung abzuwenden.
Wieder sprach Marej, und währenddessen drehte sie das Gesicht dorthin, wo das von außerhalb kommende Licht Urels Schatten gegen die Zeltwand warf. „Ich muss ihn vorbereiten. Es wäre sicher sein Wunsch gewesen, so in die nächste Welt zu gehen, wie er einst ausgesehen hat...“ Ihre Stimme brach. „Aber ich schaffe es nicht.“ Tränen füllten ihre Augen, ohne sich aus ihnen zu lösen. Sie erzitterte.
Eya rückte an sie heran und legte ihr, sich den Schmerz verbeißend, den Arm um die nach vorn sinkenden Schultern. Marej war größer und kräftiger als sie, doch in dieser Stunde wirkte sie schmal und zerbrechlich.
Sie legte den Kopf auf Eyas Schulter und weinte leise.
Nach kaum einer halben Weile aber sah sie auf. „Sein Haar... Gibst du mir eines deiner Messer?“
Die Assassine ließ nicht davon ab, sie festzuhalten, doch sie versteifte sich. „Nein.“
Marejs Blick suchte in ihrem. Dann, vielleicht begreifend, nickte sie.
„Wir werden ihn gemeinsam herrichten“, sagte Eya leise, ihrer Stimme möglichst viel Kraft gebend, wenngleich sie nicht wusste, ob sie es fertig bringen würde, Urel noch einmal zu berühren.
Die Frauen verfielen wieder in Schweigen.
Es endete erst, als ein Schatten über den Spalt in der Zeltplane fiel. Hadan blickte auf sie hinunter, die Augen geisterhaft weiß im schräg von hinten einfallenden Licht, die Wangen harte Linien.
„Shatryindjah“, sagte er gedämpft, „ich würde gern ein paar Worte allein mit Marej wechseln. Erlaubst du?“ Seine Stimme klang tiefer als sonst und ungewohnt sanft.
Die Assassine nickte. Nach einem letzten Blick auf Marejs nun ebenfalls empor gekehrtes, tränennasses Gesicht und einem flüchtigen Kuss auf ihre Schläfe, zu dem sie sich kurzerhand entschloss, erhob sie sich. Die Hand der Druidin glitt aus der ihren. „Ich bin bald wieder da“, versicherte sie ihr. Dann trat sie vor das Zelt und ließ den Nekromanten hinein.
Sie hörte ihn und Marej leise ein paar Worte wechseln, doch da sie fühlte, dass es nicht für ihre Ohren bestimmt war – es deutlich fühlte, auch ohne Hadans Bitte -, ging sie ein Stück auf den Strand hinaus. Auf das Meer zu blicken, war noch am leichtesten.
Die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, stand sie dicht an dem nassen Streifen, den die orangefarbenen Wellen mit stumpfer Gleichgültigkeit beleckten, schaute auf die Schiffe, ohne wirklich etwas zu sehen, und horchte in sich hinein, ohne mehr zu hören als ein hallendes Schweigen und die Schreie der Seevögel.





Er hatte den Strand einmal ganz abgeschritten, in einer kleinen Weile zwischen einem fiebrigen Verwundetengesicht und dem nächsten, sich die blutigen Hände geistesabwesend an der ledernen Hose abwischend.
Der Nachklang der Schlacht saß immer noch betäubend auf den Sinnen und im Fleisch, krallte sich beharrlich fest und warf ihm Fetzen von Bildern zu, doch er kannte das, wenn auch nicht so. Immerhin war er in der Lage gewesen, äußerlich ungerührt die Verletzten zu behandeln. Männer Lut Gholeins, Bewohner, die den Feuergeschossen zum Opfer gefallen waren, Söldner, wenige Pundarkrieger, auch Barbaren. Doch von Letzteren nur eine Handvoll. Viele verwundete Nordländer gab es nicht. Sie lebten, und wenn, dann in erstaunlich guter Verfassung, oder sie waren gefallen. So wie du, mein Freund.
Der Gedanke an Urel ließ den Nekromanten stehen bleiben. Die Sicht wurde trüb, doch alles andere kehrte zurück, und nachdem er den nahenden Schmerz heruntergezwungen hatte, sah er auf.
Der Strand. Er hatte ihn nicht wirklich wahrgenommen, doch jetzt öffnete er sich vor ihm wie der schwärende Rand einer schwarz verkohlten Wunde. Das Klagelied der Menschen, die sich darauf hingehockt oder –gelegt hatten oder in den irrsinnigen Bewegungen haltlos Trauernder umherschwankten, erreichte ihn nicht nur über die Sinne. Es fand auch in seine Gabe Einlass, wurde zu einem Chor von Seelenlichtern, die einen furchtbaren Tanz tanzten. Er stand wie erstarrt. Erst als seine Knöchel knirschten, lockerte er die geballten Fäuste wieder.
Dann ging er weiter. Man hatte die Toten in langen Reihen hingelegt, mit den Füßen zum Meer und den Händen auf der Brust. Nicht alle waren verhüllt, und längst nicht alle waren gefallene Soldaten. Hadan sah Frauen. Kinder. Viel zu viele Kinder. Jünger als du, als sich dein Lebensweg entschied. Anders als er würden sie nicht einmal mehr diese Wahl haben.
Der letzte Stein, der vielleicht noch gefehlt hatte, um den Bau seines Entschlusses zu vervollständigen, fügte sich ein.
Noch konnte er es versuchen. Das, was er seit vielen Tagen im Herzen trug. Jerhyn hatte es an ihm gewittert, aber auch Jerhyn war gefallen, sein Thron verwaist.
Hadan schaute aufs Meer, dann, widerwillig, zur Wüste, einer kaum sichtbaren Ebene hinter gelben und aschgrauen Schwaden stinkenden Rauchs. Wind fuhr ihm durch Haar, widerlich klebrig, Atem einer todwunden Welt.
Gut also. Es war beinahe eine Befreiung.
Doch es bedeutete auch, dass ihm nur noch sehr wenig Zeit blieb. Nur diese eine Nacht noch, um Urel die letzte Ehre zu erweisen, ihm, aber auch dem Leben, seiner eigenen Liebe, all seinen Gefährten, bevor er sie verließ.
Der Nekromant stand reglos da, zwischen all den hockenden, umhergehenden und still daliegenden Menschen. Es waren nicht die Menschen seiner Heimat. Die Asketen aus Pundar waren bis auf Zwei dahin, zerstampft in einer schwarzen Flut. Gleichviel, es zählte nicht länger. Die neue Zeit hatte alle Weltgegenden eng zusammengepresst oder würde es tun, und was ihn betraf, hatte er seine wahre Heimat mitgebracht.
Nach ungewissen Augenblicken wandte er sich um und ging zurück zu dem Ort, an dem das kleine Zelt die Gefährten und ihren gefallenen Freund beherbergte. Es rückte näher, ein zerbrechliches Gebilde aus Stöcken und Stoff im Abendwind. Etwa hundert Schritte aufwärts davon war ein Scheiterhaufen errichtet. Dort erahnte man die großen Gestalten überlebender Barbaren, und vielleicht war Herlac unter ihnen, doch Hadan lenkte seine Schritte nicht in diese Richtung.
Noch nicht. Das Schwerste zuerst.
Er beugte sich in die Lücke der Zeltplane und sprach die beiden Frauen an, bat Eya, ihn mit Marej allein zu lassen. Sie stand auf, die schwarzen Augen gerötet von Asche und Tränen, und entfernte sich mit müden, aber immer noch kräftigen Schritten. Der Drang, ihr hinterher zu gehen, nur um sie anzusehen und mit ihr zu sprechen, war stark, aber er wandte nicht den Kopf nach ihr. Stattdessen ließ er sich neben der Druidin nieder.
Marej musterte sein Gesicht mit von Trauer verdunkelten Augen, die sich rasch klärten. Zweifellos spürte sie, dass er ihr etwas Bedeutendes zu sagen hatte. Doch wie? Wie, gerade ihr, gerade jetzt? Das Schweigen währte nur kurz, verdichtete sich aber, während er um Worte rang, hilflos trotz aller grimmigen Entschlossenheit und Bitternis.
„Ich weiß, warum du gekommen bist“, sagte die Druidin schließlich kaum hörbar.
Hadan begegnete ihrem Blick. „Das überrascht mich nicht“, gab er zurück. Vor dem Zelt entfernten sich Eyas Schritte.
Es schien, dass auch Marej wartete, bis die Assassine außer Hörweite war. „Du willst in die Wüste gehen“, kam es dann von ihr. Keine Frage. Eine Feststellung.
„Ja“, sagte Hadan. „Aber das ist es nicht, dessentwegen ich zu dir gekommen bin.“
Die Unterhaltung entspann sich wie in einem Traum. Nein, sie kannten sich nicht sehr gut, sie Beide, aber es reichte aus, verstärkt durch ein Gespür bei seinem Gegenüber, das Hadan zeigte, dass sie vielleicht klarer sah als viele Andere.
„Ich bin gekommen, um dich um dein Einverständnis zu bitten“, fuhr er fort. „Es ist nicht die richtige Zeit dafür.“ Urels tote Gegenwart drängte sich in seinen Geist, bis er fast meinte, ersticken zu müssen. „Es ist ganz und gar nicht die richtige Zeit, aber mir bleibt nur noch dieser eine Abend, Marej. Ich bitte dich um Verzeihung. Du bist die Erste, die ich aufsuche, und ich flehe dich an – was diesen Gang in die Wüste anbetrifft, sag niemandem etwas davon.“
Die Druidin nickte starr, die erweiterten Augen auf ihn geheftet. „Aber das ist es nicht...“, erinnerte sie ihn tonlos.
Hadan schüttelte den Kopf. Dann brachte er seine Bitte vor, ohne noch etwas anderes wahrzunehmen als einen anwachsenden Druck in der Brust, von dem er nicht wusste, ob er dem Leben oder dem Tod, der Anspannung, der irrsinnigen Hoffnung oder der Scham entsprang. Marej hörte zu. Viel war es nicht, was er ihr zu sagen hatte.
Als er endete und mit selten gekannter Furcht ihr Gesicht beobachtete, kroch etwas hindurch, leise, halb verzerrt von Kummer und Vorahnung, doch es wurde stärker, bis er endlich erkannte, dass es ein Lächeln war. Hadan setzte an, um sie erneut um Verzeihung zu bitten, doch diesmal war sie es, die den Kopf schüttelte. „Es ist gut. Es ist das Richtige.“
„Ich danke dir“, formte er mit den Lippen.
Marej wandte das Gesicht ab, und ihr Lächeln verschwand. Übergangslos begann sie zu weinen, diesmal nicht wütend und wild wie in der Uferbrandung, sondern lautlos. Nicht einmal ein Schluchzen schüttelte sie. Hadan folgte ihrem Blick.
„Er hat lange genug gewartet“, hörte er sich sagen, kam auf die Knie und legte die Hand auf Marejs Schulter. „Komm, lass uns ihn vorbereiten.“
Sie hockten und wuschen Urel, langsam und vorsichtig. Hadan ließ Marej das Meiste dieser Arbeit tun. Zuzusehen, wie sie den jungen Barbaren berührte und dabei immer wieder innehalten musste, presste ihm das Herz zusammen, aber es war ihr Vorrecht. Erst beim Abrasieren des Barts und des langen, braunen Haupthaars übernahm er, und er ließ sich Zeit damit und tat es gründlich, gelegentlich einen Vers in Gedanken hersagend, gelegentlich auch nur in einer großen innerlichen Leere, in die sich allmählich und finster eine ungeheure Wut mischte.
Als sie Urels Vorbereitung beendet hatten, verbrannten sie sein Haar auf ein paar Hölzern, für die sie ein überflüssiges Stück einer Zeltstange nahmen. Im Gestank des verschmorenden Haars und nachdem er sich versichert hatte, dass Marej nun ruhiger wirkte, erhob sich Hadan, trat vor das Zelt und rief nach Eya. Sie kam heran.
„Ich muss noch mit den Anderen und mit Herlac sprechen“, sagte Hadan ihr. „Bleib du solange bei ihr.“ Es war beinahe dunkel geworden. Feuer leuchteten überall. Der Himmel zeigte einen dicken, sattgelben Streifen weit über der Wüste, und das Meer verfärbte sich von Orange zu Eisengrau, gesprenkelt mit Lichtern aus der Stadt und vom Strand. „Die Totenfeier wird bald beginnen, denke ich.“
„Ja“, sagte Eya leise. „Es kommen bereits Barbaren zusammen, wo sie die Hölzer aufgeschichtet haben.“ Sie erschien kraftlos, wie betäubt. Hadan schob ihr die Hand ins kurze, ölig schmutzige Haar und küsste sie auf die Stirn.
Dann ging er davon.
Ifrah weihte er als Nächste ein. Dann Herlac, und der Hüne nickte, sichtlich überrascht zwar, doch er stellte keine Fragen und bedeutete ihm sein Einverständnis.
Zu Menrad ging Hadan zuletzt. Der Paladin hockte unweit des Ortes, an dem sich die Barbaren in der zunehmenden Dunkelheit um die Holzhaufen herumbewegten, im Sand, doch er stand auf, als er Hadans gewahr wurde.
Er hatte sich Gesicht und Hände gewaschen, so dass man die Versehrungen der Schlacht nun deutlicher sah, und eine abgrundtiefe Müdigkeit hing ihm an. Sie verflüchtigte sich jedoch zu einem Gutteil, als Hadan zu sprechen begann. Das schmale Gesicht zeigte ein wenig des alten Misstrauens, der vielleicht unüberbrückbaren Kluft zwischen Ost und West, doch er hörte bis zum Ende zu und versank dann in ein einige Augenblicke währendes Nachdenken.
„Warum bittet Ihr ausgerechnet mich darum?“, fragte er schließlich.
„Weil niemand aus meiner Welt da ist, der es tun könnte“, antwortete Hadan. „Hauptsächlich jedoch ihretwegen. Ich weiß, dass es ihr viel bedeutet – die Gegend, aus der sie stammt und die der Euren viel näher ist als der meinen. Und zuletzt, weil Ihr es seid, Menrad. Ihr und kein Anderer.“
Sie maßen sich mit den Blicken. Aber es war nicht mehr viel Feindseligkeit übrig geblieben – nicht nach diesem gemeinsamen Weg oder an diesem Ort, und erst recht nicht angesichts einer Bitte, die sie, wie es das Leid und die Kämpfe schon getan hatten, zu zwei einfachen Männern machte.
Die grauen Augen verengten sich flüchtig, als versuche der Paladin noch einmal, ihn, Hadan, genau zu sehen. Dann entspannten sich seine schmalen Züge, fast bis in einen Zustand hinein, der erahnen ließ, wie sie aussahen, wenn Herkunft, Glaube und Strenge von ihnen abfielen.
„Also gut“, sagte er.
Hadan deutete eine Verbeugung an. „Ich danke Euch, Menrad.“ Er begegnete den Augen des Jüngeren ein weiteres Mal. „Ihr wisst nicht, wie sehr.“






Mit der Nacht war eingekehrt, was man zu friedlicheren Zeiten etwas Ruhe hätte nennen können. Gewiss, in der Stadt, vielleicht gar im Palast, der seines Fürsten beraubt war, kamen nun sicher die Oberhäupter Lut Gholeins zusammen, um in aller Not Beratschlagungen anzustellen. Es liefen auch Boten hin und her, und rings um die Stadt hatten die zahllosen Schatten oft etwas Gehetztes und zugleich Verlorenes.
Doch die Nacht verbarg die grellen Farben von Blut und Trauer und machte die unvermindert alles mit einer dünnen Schicht bedeckende Asche unkenntlich.
Ifrah gelang es nicht ganz, wegzusehen, weg von den Toten und den Trauernden. Als sie aber auf das Zelt zuging, in dem Marej und Eya hockten, war ihr, als gebe diese Stunde ihr ein Gnadengeschenk, auf das sie sich stützen konnte wie auf einen Stock, eine Aufgabe, so verzweifelt auch sein mochte, was sie einleitete, besah man es bei anderem Licht. Und so wusste sie auch kaum, ob ihr nach Lachen oder nach Weinen zumute war, hier, noch in voller Rüstung der Wahrscheinlichkeit wegen, dass spätestens bei voller Helle des neuen Tages ein zweiter Angriff erfolgte. Doch für diesen vielleicht letzten und darum um so kostbareren Augenblick fühlte sie noch einmal die Hand des Lebens, deren Berührung sich nicht abnutzte, egal wie viele solcher Stunden es längs ihres Weges schon gegeben hatte.
Fast störrisch sog sie die Luft ein, entschlossen, dem Gestank aus der nahen Wüste und aus der wunden Stadt keine Beachtung zu schenken.
Sie hob die Zeltplane leicht an. Es fiel ihr nicht allzu schwer zu lächeln, wusste sie doch, welche Gestalten sich unweit hinter ihr aufgebaut hatten, darauf wartend, dass sie, von Freundin zu Freundin, Eya dazuholte.
„Liebes“, sagte sie. „Da ist etwas, das dich, wie ich denke, direkt betrifft.“
Die Assassine, die dicht am Eingang saß, sah zu ihr auf. Ifrah ahnte, dass es weniger ihre Worte als vielmehr ihr Lächeln war, das den Ausdruck der Verwirrung auf die zarten Züge brachte. Mit einem Blick zu Marej erhob sich Eya, doch auch bei dieser fand sie ein, wenn auch mattes, Lächeln, und es war zu erkennen, dass sie dies erst recht verblüffte.
„Komm.“ Ifrah griff nach ihrer Hand. Hinter Eya stand auch Marej auf und tauschte stumme Worte der Verständigung mit der Magierin. Geht ihr nur. Ich komme nach.
Ifrah führte die Assassine ein paar Schritte weit neben sich her, und als sie weit genug gekommen waren, auf die Rückseite des Zeltes und den dort unmerklich ansteigenden Strand, so dass die Jüngere sehen konnte, was sie erwartete, ließ sie die feingliedrige Hand los.
Die Feuer reichten aus.
Eines, das nahste, war nur etwa zwanzig Schritte entfernt und beleuchtete den Sand, ausgenommen dort, wo Menrads Schatten auf ihn fiel, da er unmittelbar vor dem Feuer stand. Es war ein seltsames Bild, gesäumt von einigen Zelten und ein paar Menschen Lut Gholeins, die trotz allen Elends neugierig herschauten. Doch das wahre Spalier zu Seiten dieses Flecks Strand bildete eine Handvoll Barbaren, unter ihnen Herlac.
Hadan stand auf der rechten Seite des kleinen Platzes. Er wandte sich um, als die Frauen anhielten.
Was an Stille an diesem Ort möglich war, war zugegen.
Kein Gewand, nicht einmal saubere Kleider. Keine Musik und keine Gäste. Keine Gaben. Kein Festessen. Dies ist alles, was wir dir bieten können, Liebes. Ifrah versenkte sich ein paar Atemzüge lang in die sonderbare Szenerie, dann schaute sie Eya an.
Das Gesicht der Assassine holte ihr ein neuerliches Lächeln auf die Lippen. Die Andere begriff noch nicht.
Ifrah stieß sie sacht an, und die schwarzen Augen sprangen zu ihr. „Geh schon“, sagte die Magierin leise und warm. „Du willst ihn doch nicht warten lassen?“
Aus dem zarten Gesicht wich alles Blut. Die Magierin nickte ihr aufmunternd zu.
Dann blieb sie zurück und beobachtete, wie die Jüngere zögernden Schrittes weiterging. Sie wirkte schmal und starr in ihrer schwarzen Lederrüstung, eine Kriegsbraut, ein Mensch, der noch nicht ganz versteht, dass er eine nur für ihn bereitete Stunde betritt, weil es Solches nie gegeben hatte, nicht jetzt und auch nicht in friedlicheren Zeiten.
Menrad, zu dem Ifrahs Blick kurz ging, ragte vor dem Feuer auf, plötzlich Verbinder zweier Welten. Wenngleich sie kaum mehr als einen schattenhaften Umriss von ihm sah, verrieten seine Haltung, das unbewegte Dastehen, die bloßen, vor dem Schritt zusammengelegten Hände, Sammlung und Geduld. Wer hatte schon ahnen können, dass er es sein würde, der Eya und Hadan eines Tages traute?
Hadan schließlich wartete, nichts weiter. Er war der Einzige, der seinen Brustpanzer abgelegt hatte, und Ifrah erschien er auf eigentümliche Weise stärker, aber auch verwundbarer als sonst, vielleicht weil er erstmalig zuließ, dass von ihm nur der Mann übrig blieb. Der Nekromant war nicht anwesend.
Als die Assassine ihn erreicht hatte, lächelte er, unsicher, fast bittend. Das ist alles, was ich dir bieten kann, schien auch er zu denken und damit zu sagen.
In völligem Schweigen standen sie sich eine Weile gegenüber, der große Mann und die so viel kleinere Frau. Dann ging Hadan auf die Knie, vor Menrad, und als Eya es ihm gleichtat, immer noch starr vor Überraschung, sprach der Paladin. Ifrah hatte bis hierhin nicht gewusst, was er sagen, wie er als Lichtkrieger diese Zeremonie für zwei seiner Welt zutiefst fremde Menschen beginnen würde, doch sie erkannte die Worte augenblicklich. Menrad benutzte die rituellen Worte für eine Trauung, wie sie ebenso gut in Fadraîs hätte stattfinden können, und es war nicht zu erkennen, ob er es absichtlich und in vollem Einverständnis tat oder nur, weil er keine anderen wusste.
„Wir haben uns hier versammelt“, begann er, „um der Vermählung zweier Menschen aus unserer Mitte beizuwohnen. Der Himmel blickt auf uns herab, er, der ewige Zeuge, dessen geringere Zeugen wir sind an diesem Tag.“ Der Himmel war nicht zu sehen und es herrschte tiefste Nacht, doch Menrad sprach unbeirrt weiter. „So ihr denn, ihr Brautleute, gewillt seid, diese Zeremonie zu vollziehen, auf dass sie euch für alle Zeiten verbinde und eins mache, was zuvor in zwei Seelen geteilt war, sprecht mir nach.“
Er schwieg kurz und sah auf die vor ihm Knienden herab. Keiner der Anwesenden wusste, wie viele Paare er seit seiner Vollweihe bereits getraut hatte, und es waren, wie es bei nicht fest an einem Ort lebenden Paladinen oft vorkam, vermutlich viele Bauern und Leute aus den Grenzlanden gewesen. Doch ganz gewiss blickte er jetzt auf die ungewöhnlichsten Brautleute herunter, denen ein Mann seines Ordens je begegnet war – nur flüchtig von Blut und Asche gereinigt, mit noch frischen Wunden im Fleisch, schmutzigen, schwieligen Händen, mit Waffen am Gürtel und verkrustetem Rüstzeug am Leib.
Ifrah schien es, dass Menrad all das in sich aufnahm und dass sie trotz der Entfernung und der halben Dunkelheit sehen konnte, wie einiges der Härte in seinen Zügen gegen Nachdenklichkeit wechselte.
„Ich“, wandte er sich an Hadan, der die Worte nachsprach, „will diese Frau, die das Leben mir zugeführt hat, guten Mutes und meiner Liebe wegen mit mir verbinden. Ich schwöre lauteren Herzens, ihr treu zu sein und für sie zu sorgen, und sei es auch in Zeiten der Not und der Prüfung.“ Hier hielt der Paladin inne, nur kurz, doch als er weitersprach, erkannte Ifrah, dass er die Worte abänderte. Denn was an dieser Stelle folgte, war der Schwur an das Licht und die Ordensgewalt, den selbst die Laien zu wiederholen hatten.
Mit einem tiefen, sonderbaren Erstaunen hörte sie ihn stattdessen jedoch fortfahren: „Alles Lebendige und Gute auf Erden ist mein Zeuge. Ich nehme die Verpflichtung, die nun auch eine Verpflichtung für den Weg meiner Gemahlin wird, auf mich und will sie erfüllen, solange ich lebe.“ Hadan wiederholte auch dies, leise und ernst, als habe er nicht bemerkt, was Menrad getan hatte.
Es war so still auf und seitens des kleinen Strandfleckens, dass die Magierin das Knistern der Fackeln hören konnte, die drei der Barbaren hielten. Sie reglos dastehen und ihre beiden Gefährten ebenso reglos vor Menrad knien zu sehen, berührte das Herz, eben weil es die ärmlichste und merkwürdigste Trauung war, die man sich denken konnte, und zugleich die beste. Die bestmögliche. In Zeiten des Krieges sind wir so nah zusammengerückt. Leben in der Nachbarschaft des Todes.
Ifrah holte zitternd Luft, als die Reihe an Eya war. Die Stimme der jungen Frau schwankte anfangs, doch sie gewann rasch an Festigkeit.
„Gebt euch die Hände“, wies Menrad die Knienden an, nachdem Eya geendet hatte. Er berührte die Hinterköpfe der beiden Menschen, die sich jetzt anblickten. „Seht euch an. Möge euch niemals ein Schatten die Sinne verschleiern.“ Dann holte er das Band heraus und wandelte die Zeremonie zum zweiten Mal ab. „Ich habe kein Ehetuch, wie es Brauch ist“, sagte er, und diesmal sprach er direkt zu zwei Vertrauten und fast entschuldigenden Tones. „Ich habe nur dies, aber es soll denselben Zweck erfüllen.“
Das Band bestand aus den einzigen Dingen, die die Gefährten hatten geben können: Aus einem Streifen des zerschlissenen Brusttuches von Menrad, zusammengedreht mit einem Streifen von Ifrahs Lendentuch und einem Lederriemen, den Herlac von seinem Schwertknauf abgelöst hatte.
Der Paladin bückte sich und flocht es dem Paar um die Hände. „Ihr seid nun unter dem ewigen Himmel und vor dem Licht verbundene Eheleute. Der Segen aller freien Menschen begleite euch.“ Dann richtete er sich auf.
Ifrah fühlte ein warmes Glühen in der Brust, als Hadan und Eya sich küssten, immer noch kniend, vor dem Feuer und dem Umriss des Paladins.
Endlich. Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt. Ihr hättet beide eine einfachere Wahl treffen können, aber keine bessere.
Nun kam Bewegung in die Umstehenden. Die Barbaren, die allem statuengleich und mit unbewegten Mienen beigewohnt hatten, zeigten zufriedene Gesichter und folgten Herlac, der zu Hadan und Eya trat, die sich erhoben, und ein paar Worte mit ihnen wechselte. Doch sprach er zu leise, als dass Ifrah ihn verstehen konnte. Sie sah nur das ehrliche, wenn auch wie stets ein wenig versteckte Lächeln Hadans und Eyas Ausdruck, in dem immer noch ein Rest von Überraschung mit zaghafter Freude konkurrierte.
Die Magierin wandte sich nach Marej um. Die Druidin hatte ganz am Rande des Sandplatzes gestanden, fast verschmelzend mit einem Zelt, doch nun kam sie langsam heran, die bloßen Arme vor dem Leib verschränkt. Sie lächelte nicht, und erst als sie Ifrah erreichte hatte, enthüllte der Feuerschein die Mischung aus Wohlwollen und Kummer auf ihren abgespannten Zügen.
Die Frauen wechselten kein Wort, und Ifrah gewahrte erleichtert, dass Marej auch keines zu erwarten schien. Denn wie hätte sie den abgrundtiefen Widerspruch aller Empfindungen, die Nachbarschaft von Leben und Tod, von Freude und Trauer, benennen sollen? Es dauerte sie, doch es war vielleicht angemessen, dass nichts auf diesem Strand zueinander passte, nichts bis auf die rasche Beendigung der Zeremonie zu dieser Stunde. So hing auch allen Anwesenden etwas zutiefst Bedrücktes an, besonders auch Eya und Hadan, als sie Ifrah in die Arme schlossen. Danach standen sie in einem Reigen von Blicken und nur geraunten Worten beieinander, wissend, dass eine weitere und ganz andere Zeremonie folgte.
Eben als Herlac mit der Verkündung zu ihnen kam, alles sei nun für Urels letzte Ehrung bereit, drang von irgendwoher ein Klang zu den Gefährten, so seltsam in diesem Augenblick, dass Ifrah plötzliche Tränen mit Macht zurückhalten musste.
Jemand, nicht allzu weit fort auf dem feuergefleckten Strand, begleitete die Trauer, indem er eine der geschmeidigen, stets etwas klagenden Männerstimmen der Wüste zu einer Handtrommel aufklingen ließ und diese Klänge dem Schmerz entgegenstellte, oder vielleicht auch ihm zur Seite.
Die Gefährten nahmen Marej in die Mitte. Sie ging aufrecht und duldete nur Ifrahs Hand auf ihrer Schulter.
Uns bleibt kein Platz mehr, ging es der Magierin durch den Kopf. Was für ein elender Ort für unsere wichtigsten Handlungen.
Um den fast mannshohen Holzstoß hatten sich inzwischen alle verbliebenen Barbaren eingefunden. Nicht nur Bostac fehlte, dessen sterbliche Überreste sie auf dem Schlachtfeld nicht hatten wiederfinden können, auch zwei Drittel aller Nordlandkrieger fehlten, und so war es ihrer nur noch ein knappes Hundert.
In einem doppelten Kreis um den von weiteren Holzstößen etwas abgelegenen Haufen stehend, warteten sie stumm, die Waffen vor sich aufgestellt, in voller Rüstung, doch barhäuptig. Hier war wieder zu sehen, aus wie vielen verschiedenen Clans diese restliche Streitmacht des Nordens in der Wüste bestand. Man sah es an den Haartrachten und den Tätowierungen. Jeder Zweite trug eine Fackel.
Ifrah hatte nie zuvor einer Feuerbestattung der Barbaren beigewohnt, und die Menge der derbgesichtigen Hünen, die stolze Ehrerbietung für einen der größten Krieger, der ihren Reihen je entsprungen war, presste ihr den Atem ab. Ach, Urel. Warum konntest du nicht bleiben, wer du warst, als ich zu euch stieß? In anderen Zeiten, an einem anderen Weg, hätte all dies für einen Mann wie dich grenzenlose Hochachtung und vielleicht einen ruhigen Lebensabend in ehrfürchtiger Erinnerung deiner Taten bedeutet. Warum nicht für dich? Warum nicht für Marej und dein ungeborenes Kind?
Sie wandte den Kopf, als der Tote kam.
Vier Männer mussten ihn tragen. Einer davon war Herlac.
Sie betteten Urel auf den Holzstoß, sein Schwert auf seinen Leib. Das Holz war aus zerstörten Gebäuden einer fremden Stadt zusammengesucht, nicht aus den Bäumen des Nordens geschlagen.
Die Magierin hielt Marejs Hand, erwartend, die Druidin werde die ihre jederzeit wegziehen, doch sie tat es nicht.
Nun kamen auch andere – nur drei nicht weniger hochgewachsene, aber sehr viel schmalere Gestalten. Alle aus der Gesandtschaft der Druiden, die überlebt haben. Sie reihten sich ein.
Herlac trat vor. Seine tiefe Stimme trug sich weit, und alle anderen Vorgänge am Strand rückten in den Hintergrund, bis zur Bedeutungslosigkeit.
„Wir tragen in dieser dunklen Stunde den gemeinsamen Häuptling unserer Clans zu Grabe“, begann er. „Den Kriegsherrn all jener Barbaren, die sich gegen den Krieg in unserer Heimat und gegen den geschürten Hass zwischen uns und den Druiden gestellt haben. Er war ein Kämpfer, wie es keinen zweiten gibt. Sein Platz zu Seiten der Ahnen, unserer großen Vorväter, ist ihm sicher. Uns aber, die wir zurückbleiben, fällt nur noch zu, seine sterbliche Hülle den Flammen zu übergeben.“ Auf diese Worte hin traten zwei der Hünen vor und entzündeten den Holzstoß.
Ifrah schloss die Hand fest um die Marejs. Die Druidin blickte ruhig auf das aufflackernde, gelbe Feuer. Urels Gestalt, still auf dem Rücken, hatte endlich etwas von dem Frieden, der ihm zu Lebzeiten verwehrt geblieben war.
„Fahre auf zu den Ahnen, Urel, unser Bruder“, sprach Herlac. Er war ein wenig leiser geworden, und die Barbaren, die seine Worte aufgriffen und wiederholten, übertönten ihn beinahe. „Fahre auf zu Bul-Kathos. Dir sei aller Dank und alle Hochachtung der Lebenden. Finde die Ruhe, die dein Lohn sein soll. Wir geben dir all deine Habseligkeiten mit auf die Reise.“
Die Flammen fraßen sich fauchend durch das Holz. Es war ausgedörrt wie alles in der Wüste, und rasch war die Gestalt darauf von Flammen und Rauch eingeschlossen.
Sieh nicht weg. Ifrah starrte hin, ohne zu blinzeln, bis ihre Augen tränten. Die Hitze schlug ihr gegen das Gesicht, obwohl sie gute zehn Schritte entfernt stand.
Die Barbaren waren verstummt. Man hörte das Holz knistern und aus dem Hintergrund immer noch den Gesang des einsamen Lut Gholeiners.
Die Magierin sah zu ihren Gefährten hinüber. Ihre Gesichter wurden scharf und mitleidlos beleuchtet. Eya weinte. Hadan hatte die Augen niedergeschlagen und schien auf den Brand zu lauschen, die Wangenmuskulatur so verkrampft, dass sie wie gemeißelt aussah. Menrad stand daneben, und seine Lippen bewegten sich lautlos unter blutunterlaufenen, umschatteten Augen.
Als das Feuer hell brannte, wandte sich Herlac allen Anwesenden zu. Da sie im Kreis um das Totenfeuer standen, konnte er nicht jeden Einzelnen ansehen, und so trat er einen Schritt vor.
„Es ist, sagt mir mein Herz, das trauert, nicht die rechte Zeit.“ Das breite, bärtige Gesicht des Hünen zuckte einmal, als fahre ihm ein scharfer Schmerz durch den Leib. „Doch der Krieg räumt uns keine weitere oder bessere Zeit mehr ein. Somit verkünden die verbliebenen Männer durch mich, dass ich fortan Kriegsherr der Barbaren sein soll. Ich habe angenommen, doch ich sehe es nicht als einen Platz, den ich einnehme, weil er mir zusteht. Ich sehe es als ein Erbe. Ob ich es tragen kann, wissen nur die Ahnen. Doch ich will alles daransetzen, es zu tun.“
Düsternis und Trauer überdeckten sie, doch die Zustimmung ringsum war deutlich.
Eine gute Wahl, dachte Ifrah betäubt. Er ist ausgeglichen und bedächtig im Urteil. Urel hätte das gefallen. Dann rissen ihre Gedanken ab.
Wie sie alle die ungewisse Zeit verbrachten, bis die Flammen den Körper, der in ihnen ruhte, schließlich nahezu verzehrt hatten, wusste die Magierin nicht zu sagen. Nur, dass sie lange gemeinsam dort standen, ohne ein Wort zu sprechen, und dass sie selbst im Geiste gelegentlich ein paar der Worte Herlacs wiederholte. Fahre auf zu den Ahnen, Urel. Hoch, kalt und heilig war der Vorplatz des Weltensteinturms gewesen. War seine Seele jetzt dort, auf dem Arreat? Ich weiß nicht, ob ich dir dies wünschen soll. Ich kenne die verborgenen Sehnsüchte deines Volkes nicht.
Später dann, irgendwie, gingen Einzelne zur Ruhe. Die Barbaren zogen sich nah an die Mauern zurück. Doch bevor sich die Gefährten ganz verlaufen konnten, entstand im Dunkel zu Seiten des Strands Unruhe.
Ifrah, die sich von Marej verabschiedet und verfolgt hatte, wie Eya gemeinsam mit ihr zu dem kleinen Zelt zurückgegangen war, spähte in die Dunkelheit. Sie bewegte sich. Da waren Geräusche. Geräusche, die zu nichts in dieser Nacht passten. Hufe. Klirrendes Zaumzeug.
Menrad ging als Erster in diese Richtung. Hadan wartete noch, dicht neben ihr, aber seine Brauen zogen sich forschend zusammen.





Wie innerhalb weniger Stunden das Leben die Seele derart beuteln konnte, war schwer zu verstehen und zu ertragen, aber es nahm keine Rücksicht auf Erschöpfung oder Wunden.
Zunächst war der Nekromant zu ihm gekommen, artig beinahe und mit der persönlichsten Bitte, die Menrad je von ihm vernommen hatte.
Sie hatten sich gemustert, er überlegend, warum der Andere dies eben jetzt tun wollte. Doch es war an und für sich wenig fraglich, warum. Der Morgen würde in kaum sieben oder acht Stunden heraufziehen und, vertraute man der eigenen Ahnung, den Erinnerungen an die stumme Drohung vor Ende der Schlacht und den Berichten der Säbelkatzenspäher, die zweite – und letzte, vernichtende – Angriffswelle bringen.
Das Ende. Da konnte er sich nicht dem Wunsch eines Mannes entgegenstellen, seine Gefährtin zu ehelichen, ganz gleich wer dieser Mann war. So hatte er eingewilligt, seltsam bewegt von der unerwarteten Berufung in ein Amt, das er vor über einem Jahr zum letzten Mal ausgeführt hatte, und auch bewegt von etwas anderem. Du hasst sie nicht länger. Sie sind, wie und warum auch immer, deine Gefährten geworden. Beinahe deine Vertrauten.
Er traute Hadan indes nicht ganz. Der Nekromant verbarg etwas, und es war eben diese Empfindung, die Menrad in der Annahme bestätigte, dass der Andere die Zeremonie nicht einzig der Wahrscheinlichkeit wegen durchführen wollte, dass sie alle den nächsten Tag nicht überleben würden. Doch sei es aus einer schicksalsergebenen Gleichgültigkeit, sei es aus einer merkwürdigen Zurückhaltung heraus, er, Menrad, hatte keine Fragen dazu gestellt.
Es war keinesfalls so, dass sein Inneres sich tot anfühlte, betäubt von dem nahenden Untergang. Im Gegenteil, er nahm mit allen Sinnen nahezu schmerzhaft eindrücklich wahr, wie sich dieser Abend gestaltete: Der Gestank der Toten und der schlackebedeckten Wüste, die vom Meer ausgehende Einsamkeit, der klebrige, unsaubere Wind, der ihn immer wieder durstig machte, wie viel Wasser er auch trank.
War es angesichts des Schicksals ihrer Welt nicht einerlei, wo sie sich alle befanden, und war es nicht ein trügerischer, aber wilder Trost, so zu tun, als zählten Dinge wie Vermählungen und Begräbnisse noch? Die sicheren Jahre im Westen und selbst jenes letzte im Osten erschienen ihm rückblickend wie ein Ausbund an Frieden.
So beobachtete der Paladin sich selbst dabei, dass ihn die Vermählung des Nekromanten und der Assassine und die Bestattung des barbarischen Kriegsherrn wirklich berührten. Er hatte den toten Krieger kaum gekannt, schwerlich mehr als zwei, drei Worte mit ihm gewechselt und seinen Fortgang nur auf den Gesichtern der Gefährten, dort aber verheerend, als Verlust mitangesehen. Dennoch war der Fall des jungen Barbaren nahezu ein Sinnbild für diese neue und grausame Zeit.
Sanktuario ging in die Knie. Langsam und verbissen widerstrebend wie im Osten, oder mit einer zerstörerischen Erschütterung wie hier in der westlichen Wüste, die den bösen Spalt zu einer fremden Welt in sich tragen musste. Jene Völker, die sich als Erste aufrafften, gingen als Erste unter. So gefiel es den Launen höherer Mächte offenbar.
Als der Leib des Barbaren zu Schlacke verbrannte und die Gefährten sich erschüttert abwandten, blieb Menrad mit Hadan und Ifrah allein nahe des Holzstoßes zurück.
Die Feuerhitze hatte sein Gesicht zum Glühen gebracht, doch unter der obersten Schicht von Haut und Fleisch fühlte es sich starr an, wie versteinert in Unausweichlichkeit. Er vermochte seine Gedanken nicht an den kommenden Morgen zu hängen, von dem er ohnehin ahnte, wie er verlaufen würde – ähnlich wie dieser, ein Geschrei und Gerenne in verzweifelter Abwehr, doch diesmal mit weit weniger Kriegern und überhaupt keiner Hoffnung mehr.
Kein Engel hatte sich gezeigt, um den Menschen beizustehen. Den Himmel, den Menrad noch bis vor kurzem dem Ursprung alles Guten gleichgestellt hatte, schien es nicht zu kümmern, all dies hier. Es war wahr: Sanktuario war des Interesses Höherer verlustig gegangen, was sein Leben anging. Sie sahen gewiss von irgendwo dort oben ungerührt zu, wie sie hier unten umherrannten, wie die entsetzten Völker sich den Feinden entgegenwarfen, warteten, zu wessen Gunsten sich das Blatt wenden würde, um dann herabzusteigen und in Besitz zu nehmen, was übrig blieb. Und selbst die Bitterkeit über diese furchtbare Einsicht nutzte sich bereits ab.
Wir sind allein. Uns umgibt nur ein Brodem aus vorgestellten Gottheiten und Idealen. Es ist ganz gleich, wie sie heißen, ob sie Licht oder Finsternis verkörpern. Das wahre Licht und die wahre Finsternis können sie nicht darstellen, weil es nicht von dieser Welt stammt.
Niemand wird uns zur Hilfe eilen.

Mitten in diesen schwarzen Gedanken blickte der Paladin auf.
Seine Wachsamkeit arbeitete noch, zäh, nicht bereit, nachzugeben, und sie sagte ihm, dass sich am Rande des Strands etwas änderte.
Nach einem Blick zu den beiden Magiekundigen, die ebenfalls stirnrunzelnd in die Finsternis starrten, die jenseits der Feuer aufragte wie ein rauchgesättigter Wall, ging er in Richtung des Fremden, das sich so plötzlich in sein Bewusstsein gedrängt hatte. Feinde konnten es schwerlich sein. Immer noch umstanden Wachen die gesamte Stadt.
Die Menschen auf dem Strand, die es ebenfalls wahrgenommen hatten, wagten es offenbar nicht, sich dem zu nähern, was da herangekommen war. Nur ein erschreckter, zitternder Mann im weißen Burnus der Stadtbeauftragten stand herum und versuchte augenscheinlich, sich zu einer Handlung zu entschließen. Menrad beachtete ihn nicht.
Er roch Schweiß. Leder. Pferde.
„Wer ist da?“, rief er in die Dunkelheit. Dann, ohne zu wissen warum, wechselte er ins Sandhaîn. „Heda! Gebt euch zu erkennen!“
Geräusche, Männer, die von ihren Reittieren abstiegen. „Heda!“, kam es zurück. „Hören wir da eine Stimme aus der Westmarsch?“
Menrad erstarrte. Der Eindruck, sehr nah an einer großen Anzahl von unsichtbaren Menschen zu stehen, wurde stärker, aber er konnte sich nicht rühren.
Eine Gestalt tauchte aus dem rauchigen Schwarz auf. Sie schritt auf ihn zu. Es war ein großer, hagerer, voll gerüsteter Mann, doch er trug keinen Helm, und sein Haar war kurz und zu hell für einen Wüstenbewohner. „Seid Ihr etwa ein Ordensbruder?“ Eine harsche, befehlsgewohnte Stimme.
Menrad stand und starrte, bis der Andere nah herangekommen war.
Ein anderer Paladin. Grundgütiger Himmel. Der mittlere Westen war gekommen.
„Gruß Euch, Bruder“, sagte der fremde Paladin. „Mein Name ist Adrian Benedict Evren. Kommandant der Gesandtschaft aus Fadraîs. Wir hörten, dass Lut Gholein in schwerer Bedrängnis steckt.“
Menrad musste sich einige Male räuspern, bevor er antworten konnte. „Menrad Victorin Callist“, gab er zurück, die Augen auf das fremde, lange, bärtige Antlitz geheftet. „Ehemaliger Kommandant der Mission zu Shanghar. Ich bin... der einzige Ordenbruder hier.“
„Das scheint mir auch so“, antwortete der andere Paladin, auf den nächtlichen Strand spähend. Hinter ihm schmolzen weitere Gestalten aus der Dunkelheit, wartend, die Schwerter und Kampfhämmer offen an den glänzenden Plattengürteln. Es wurden immer mehr, vielleicht dreihundert. Ein kleines Heer.
Die Männer sahen sich an.
„Wir haben“, hörte Menrad sich schließlich rau hervorbringen, „nicht mit einer Gesandtschaft aus Fadraîs gerechnet. Lut Gholein ist halb zerstört. Wir erwarten einen weiteren Angriff von... Dämonen bei Tagesanbruch.“
„Dämonen. Tatsächlich.“ Der fadraîsche Kommandant musterte ihn. „Nun, das deckt sich mit den Berichten einiger Nordländer, die wir auf unserem Weg trafen. Es heißt auch, da sei keine Unterstützung von, nun, sagen wir himmlischer Seite zu erwarten.“
Eine eigenartige Stille herrschte in Menrads Ohren. Sein Gegenüber unterschied sich so sehr von den Männern der unglückseligen Begegnung in der Marsch, dass er nicht damit hinterherkam, sich darauf einzustellen. Er fühlte sich schwanken, als gefalle es seinen Beinen gerade jetzt, nachzugeben. „Ihr spracht mit den Nordländern?“
„Gewiss“, gab der Kommandant zurück. Dann milderte sich der strenge Ausdruck seines Gesichts etwas. „Bruder, Ihr seid verwundet, und es ist offensichtlich, dass Euch die Neuigkeiten hier nicht erreicht haben. Armon Celestin, Princeps und Ordensführer zu Fadraîs, wurde gestürzt. Die alte Ordnung ist hin, der Krieg gegen die Nordlande beendet. Fadraîs untersteht jetzt vormaligen Aufständischen.“
Menrad blinzelte. Vage wurde er sich bewusst, was für ein Bild er abgeben musste: Das Gesicht dunkel verfärbt von der herabsinkenden Asche und vom Schweiß, die Rüstung ein Flickwerk aus in verschiedenen Städten zusammengesuchten Teilen, das Ordenshemd ein zerrissener Fetzen über dem pundarischen Kettenhemd.
Doch der Andere, wenngleich seinen Augen wenig entging, schien nicht abgestoßen. Er zeigte sogar ein dünnes Lächeln, als er fortfuhr: „Nun, ich habe mich wohl nicht getäuscht. Indes, wenn Ihr sagt, der Morgen bringe mit Sicherheit den neuen Angriff, ist keine Zeit für Neuigkeiten aus der Königsstadt.“ Er sah sich um. „Da hat der Feind wohl noch nicht alles Leben hier vernichtet?“ Wiederum blickte er Menrad an. „Wohlan, so muss es hier auch noch Anführer geben. Bringt mich zu ihnen.“
 
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