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[Story] Saqqara

Langsam aber sicher kommt es zu einem Ende, oder täusche ich mich da etwa:confused:
Dieses Update ist eines der "tiefsten", der ganzen Geschichte. Gerade der Weggang von Hadan ist sehr schön beschrieben. Die Reaktion von Menrad dazu auch. In meinem Wordfile ist die Geschichte schon über 500 Seiten lang und du schreibst schon über 1 1/2 Jahre daran. Einfach nur krass :eek:
Sich auf ein baldiges Update freut :D

mfg holy
 
Wuäääääh!

Was hat er nur vor? Lässt seine Frischgebackene einfach alleine... böser Nekro :cry:

Ich wage mal die Behauptung, es hat etwas mit seinem "Mit-Bewohner" zu tun... Aber die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wer benutzt hier wen?

Ach! Ich kann mich kaum entscheiden , ob ich auf die Auflösung all dieser Spannung hoffen soll (und damit auf das Ende der Geschichte), oder ich mir wünsche, du lässt uns ewig im Unklaren ;)

Aber jetzt husch, husch zurück in den Keller mit dem mächtigen Eichenschreibtisch un den darumherschwirrenden Musen..

Deine Insi
 
Huhu Reeba,

sehr schön, sehr schön das ganze... Das kannst du wirklich deine Leser in spannung zu versetzen. Wirklich gut.

Die Hochzeit und die Beerdigung haben mir auch sehr gut gefallen. Besonders auch wie sich Menrad immer weiter verändert hat. Es ist wahnsinn, wie du diese langsame Wandlung über so einen langen Zeitraum Stück für Stück vorrantreibst. Respekt

Ein Kritikpunkt habe ich zwischendurch gefunden und zwar bei dem update, bei dem der Hammer vom Paladin abgebrochen ist. Normalerweise bricht der direkt hinter dem Kopf ab. Dort wirkt die größte Kraft auf das Holz, gerade auch dann, wenn man ihn irgendwo raus reißt. Deshalb ist es nicht wirklich logisch, wenn er damit noch weiter kämpft.

Im großen und ganzen hoffe ich auf ein baldiges Update :)

Gandalf
 
So, nachdem ich dieses Meisterwerk Schriftstellerischer Kunst geradezu verschlungen habe wollte ich mich hier auch mal melden.

Danken will ich für dieses mitreissende und absolut fesselnde Werk, es ist lange her, dass ich eine Nacht durchgemacht habe weil ich gelesen habe.

Ich denke ich kann ohne Bedenken sagen, dass diese Geschichte zu den besten Gehört die ich, ob im Forum oder in Buchform, je gelesen habe!
Das letzte Kapitel hat mich wie kein anderes in deiner Geschichte bewegt und zutiefst gerührt, ich wollte vor 15 Stunden gepostet haben, aber ich konnte nicht, zu mitgenommen war ich durch Urels Tod und Hadans ungewisses Vorhaben-

Ich kann dir nur erneut zu dieser Glanzleistung gratulieren und muss mich wohl oder übel gedulden bis es weitergeht.

Lass dir alle zeit die du brauchst für das nächste Update, es wäre schade, wenn Eile das Werk erzittern lassen würde.
Ich denke allerdings, dass ich mir da keine Sorgen machen muss.

Eine Anmerkung hätte ich noch, wenn du irgendwann einmal zuviel Zeit hast würde ich dich bitten, die Auflistung der Kapitel im Startpost des Threads in Links zu den entsprechenden Posts umzuwandeln. Es ist ausgesprochen mühsam, wenn man auf Seite 31 aufgehört hatte zu lesen und sich dan wieder auf die Seite durchklicken musste :clown:

Du hattest, sollte ich mich nicht irren, im Laufe des Threads angeboten, Interessierten das Gesamtwerk als Dokument zukommen zu lassen.
Wenn du die Zeit findest (ich will dich unter keinen Umständen vom Schreiben abhalten *Druckmach*) schicke ich dir gerne eine e-mail Adresse per PN.

Ansonsten würde ich dir anbieten, die Links zu den Kapitelposts rauszusammeln und mir dabei die Geschichte selber zu kopieren.

In diesem Sinne,
Ein noch völlig ergriffener Darkut
 
Huhu und wie immer vielen Dank für eure Rückmeldungen.
@G4nd4lf: Sobald ich das Kapitel gefunden habe, in dem der Hammerstiel durchbricht, werde ich das rausnehmen.
@the_holyman: Nein, du täuschst dich nicht. Saqqara muss ja auch irgendwann mal fertig werden XD
Wenn ich nur mehr Zeit hätte...
@Insidias: just :kiss:
@Darkut: Dass es immer noch Leute gibt, die sich unter die Leser einreihen... ist ein sehr schönes Lob, vielen Dank! Es wird dank des Engagements von Segan eine Version der Story geben, die man evtl. sogar runterladen kann. Das wird dann eine revised edition sein, an der ich momentan arbeite (Verbesserungen, einige Stellen werden gestrafft etc.).
Diese Edition sowie die Links der Kapitel (im Anfangspost) werden kommen, sobald ich Gelegenheit dazu finde.

Tut mir nochmals Leid, dass sich das Tempo so verringert hat, liebe Leser - aber wg. Arbeit und RL geht's momentan nicht anders. Und irgendwann muss man ja auch mal ein paar Stunden schlafen *g*.
Hier ist aber trotzdem ein neues Kapitel.




******



LV. Der Ritus des Pakhra




Im Licht des neuen Morgens standen die Menschen von Lut Gholein auf der Stadtmauer.
Es waren nicht nur Soldaten. Unter sie, mit Waffen, hauptsächlich Bögen und Armbrüsten, in den Händen, mischten sich die Städter, die sich beim gestrigen Angriff noch glücklich geschätzt hatten, innerhalb der Befestigungen bleiben zu können. Jetzt hielt sie nichts mehr dort, nicht einmal die Furcht vor dem nahenden Untergang.
Sie wussten ihre Frauen und Kinder draußen auf dem Meer, wieder in den Schiffen. Aber niemand konnte zu dieser Stunde weit genug fort und sicher sein.
Mit dem Bewusstsein dieses Verlustes aller Sicherheit und aller Hoffnung im Herzen, schauten die Menschen nach Westen.
Sie standen dicht gedrängt. Viel Platz gab es hier oben nicht, und im Kampf würden sie sich gegenseitig behindern. Doch die Hauptleute der Stadtsoldaten hatten keinen ernsthaften Versuch gemacht, die Leute von der Mauer zu vertreiben. Denn es schien ihnen in aller Verzweiflung der Lage falsch und sonderbar grausam, dem Volk, das hier seit Jahrhunderten gelebt hatte, einen letzten Blick auf die Dächer und die Ebene zu verwehren.
So schauten sie alle.
Viele, die dafür vorher keine Zeit gefunden hatten, bereuten rasch, auf die Mauern gestiegen zu sein, aber sie blieben, wo sie waren.
Die Asche und der Rauch hatten sich endlich gesenkt. Die Sicht war frei, frei auf ein Feld wie zu Füßen eines feuerspeienden Berges: Schwarz, hart, ohne eine Spur von Leben darauf. Es war, als hätte es den weißen Sand vor Lut Gholein nie gegeben.
Das Juwel der Wüste war nun in eine grauenhafte Halterung eingefasst – starr und dunkel auf der einen, bodenlos und von kläglich schwankenden Punkten übersät auf der anderen Seite.
Wie die Hünen aus dem Norden und die Paladine der ungeliebten Westmarschener Hauptstadt so ruhig vor den Toren ausharren konnten, war den Leuten ein Rätsel.
Das Volk hier hatte sich stets seiner kriegerischen Vergangenheit gerühmt. Es hatte sich gut leben lassen in dem Wissen, dass selbst der reisende Händler, der mit wehendem Burnus von der Karawanenstraße kam, und der fett gewordene Kaufmann im nächsten Laden etwas von den säbelschwingenden, bärtigen Kriegern vergangener Tage in sich trugen.
An Mut fehlte es nicht auf den Mauern. Aber das Zuschlagen des Feindes, ja dieser neue Weltenfeind selbst, waren so furchtbar in Ausmaß und Gnadenlosigkeit, dass vielleicht auch die toten Kämpfer, Lut Gholeins Vorfahren, in ihrem Angesicht gezittert und gebetet hätten.
Jene, die bereits von ihrer aller Tod faselten, hatte man erbittert mundtot gemacht. Hinter vielen der Mienen jedoch, die man längs der Mauer sah, lauerten Hoffnungslosigkeit und Angst und Zweifel darüber, ob nicht eben jene, die den Kopf am schnellsten verloren und den letzten Tag der Stadt bejammerten, die Wahrheit sagten.
Zweifel kamen ihnen ebenfalls an den Helfern aus den nördlichen Regionen des Kontinents. Das alte Heer der Verbündeten war dahingerafft. Und keine Tapferkeit und kein Lichtglaube halfen denen da unten jetzt noch, oder ihnen hier oben.
Und Zweifel kamen ihnen auch an den Gestalten der Fremden, die man seit Beginn dieser unheilvollen Entwicklung der Dinge in den Gassen, unter den Barbaren und in der Schlacht gesehen hatte. Ihre Gesinnung mochte gut sein, und geschont hatten sie sich gewiss nicht.
Aber den von Angst fast gänzlich übermannten Menschen Lut Gholeins verband sich das Auftauchen dieser Fremden plötzlich stärker mit dem Auftauchen des Feindes.
Waren sie es nicht gewesen, die mit dem Bericht über einen Durchgang, über ein Tor in der Wüste zurückgekehrt waren? War auf ihre Rückkehr nicht der erste Angriff gefolgt?
Zutiefst verwirrt, nicht feindselig, aber auch nicht freundlich, warfen Viele den zwei Frauen, die zwischen ihnen auf der Mauer standen, heimliche Seitenblicke zu.
Konnte man bei alldem, das Weinen der eigenen Ehefrauen und Kinder noch in den Ohren und die Waffengriffe schweißnass in den Fäusten, nicht denken, dass sie den Feind erst aufgestört und hierher gebracht hatten?
Die Weitsichtigeren aber widmeten sich solchen Gedanken kaum. Sie erinnerten sich an die unguten Einflüsse und Veränderungen, derer das vergangene Jahr so voll gewesen war.
Sanktuario, dachten sie und starrten in die Ebene, erfuhr einen Wandel, wie es ihn zuvor nie gegeben hatte. Lut Gholein war vom Glück verlassen. Niemand begriff ganz, warum, doch Eines schien klar: Nach Lut Gholein würden andere Städte heimgesucht werden und fallen.
Alle Städte. Eine nach der anderen.
Keine weltliche oder geistige Macht konnte ausreichend viele Menschen aus den verstreuten Völkern zusammenführen, um den Eindringlingen Einhalt zu gebieten.
Davor waren der Stadtsoldat, der Hüne aus dem Norden, die junge Frau im schwarzen Lederpanzer, der Paladin mit seiner schimmernden Rüstung alle gleich.
Und als nach dem Schließen des Tors ein einzelner Mann, in dem die Menschen einen Angehörigen der Gruppe fremder Abenteurer erkannten, in die Ebene hinausging und schließlich mit der Graudämmerung nahe der Hügel verschmolz, erschien dieses eine unter aberhundert Ereignissen diesen Weitsichtigeren nur wie eine fast angemessene Narretei.
Denn alles war unsinnig geworden.
Deutlicher aber als Zweifel und Gedanken, deutlicher als die letzten der festeren Pfähle störrischen Widerstands, zog aus der Wüste, immer besser sichtbar über den Hügeln, eine große Schwärze heran.





Zwischen den Felsen war es still.
Ein leises Rieseln gelegentlich, sonst nichts.
Hadan strich mit der Rechten über den Sand vor sich. Die feste Schicht würde Zeichen tragen, lang genug, bevor der Wind sie verwehte. Er schloss die Augen.
Kein Geräusch, keine Seelenlichter, die anklopften, um Einlass bittend, bis auf eine verborgene Eidechse oder einen Käfer, die sich in ihr Leben unter dem lockeren Boden dieses Landes eingruben. Aber der Boden, auf dem er kniete, schwieg nicht. Er trug schon jetzt, obwohl sie noch eine gute Wegstunde entfernt sein mochten, das abgrundtiefe Grollen und Erzittern, das nur ein Heer hervorbringen konnte. Tausende und Tausende von Füßen.
Vor Harrogath waren sie mit Kriegsmaschinen angerückt, unter Peitschen geduckt – vor Kurast aus dem Grün gefallen wie eine Plage. Aber diese hier, diese Neuen, brauchten weder Katapulte noch Winkelzüge.
Sie konnten es sich erlauben, schnurstracks und offen überland zu ziehen, ihre Fähigkeit, zwischen dem Diesseits und einem Anderswo zu verschwimmen, und die stumme Waffe der Unwissenheit ihrer Gegner in der Hinterhand.
Der Gedanke an die Tapferkeit der wenigen Verbündeten, die sich um Lut Gholein drängten, ähnelte so auch mehr einer Ehrung denn einer Anerkennung von Stärken.
Nein, es war auf diese Weise, trotz aller unerwarteten Hilfe und aller aufgetürmten Berge aus Lehm und Eisen, nicht zu vollbringen. Lut Gholein musste und würde fallen. Auf diese Weise.
Hadan lauschte erneut.
Eine kleine Zeitspanne blieb ihm noch, um den Entschluss, auch wenn es unnötig war, noch einmal zu überdenken. Denken allerdings war womöglich nicht mehr das richtige Wort.
Mit Gedanken hatten die Wege seiner Kaste wenig gemein, und der Geist war es nicht gewesen, der diesen letzten Ausweg seit Wochen in seinem Inneren umschlichen hatte. Die Schriften und die Weisungen aus Jahrhunderten voller gesammelter Mysterien verkamen vor seinem Entschluss letztlich zu umherflatternden Blättern und tastenden Worten. Sie konnten ihm keine Stütze sein.
Kein Nekromant in diesen Jahrhunderten hatte getan, was er tun wollte.
Es gibt keinen anderen Weg.
Er sagte es halblaut zu dem stillen Wüstenfleck, wie um sich selbst zu ermutigen: „Es gibt keinen anderen Weg.“
Gut also, dass der Mann, der sich aus dem Nekromanten hervorgekehrt hatte, diesen noch nicht ausstach. Die Vertrauten, ihre Bilder, besaßen Macht über ihn, aber er fügte sie der Wut hinzu, die er absichtlich in sich genährt hatte.
Pakhra, so dachte er insgeheim seit Beginn seines eigenen Aufstiegs, antwortete auf Wut. Wie seltsam, herauszufinden, dass die Essenz eines Gottes sich nicht aus hehren Gefühlen zusammensetzt.
Rhaghav, der bessere, der wahre seiner zwei Meister, hätte ihm für die Äußerung einer solchen Ansicht, wusste Hadan, einen Hieb mit seinem Stock versetzt. Seine Lippen zuckten. Fast lächelte er. Eine Ansicht wie diese grenzte an Frevel.
Wieder tauchte der Alte aus der Vergangenheit auf, diesmal ohne Heiterkeit. Du siehst die Dinge in dieser Art, knarrte die erinnerte Greisenstimme, weil du in deinem Herzen kein Heiliger, sondern ein Schlächter bist.
Hadan öffnete die Augen. Ja, vielleicht.
Unbehindert durch den Brustpanzer, der zwei Schritte abseits lag, löste er die beiden Amulette, die ihm noch geblieben waren, von seinem Hals. Das dritte, fremde, hatte ihn seit Kurast in seiner Gürteltasche begleitet wie ein giftiger Stein. Er holte es hervor und betrachtete es sinnend. Es war kaum noch fraglich, dass die geschwungene Form inmitten des goldenen Doppelkreises ein Horn darstellte.
Hatten die Küster in Travincal die Dämonen auch vielleicht noch nicht mit eigenen Augen gesehen, so war ihnen ihre Gestalt gewiss in anderen Sphären erschienen, in ihren Träumen oder Visionen.
Die Amulette blinkten matt.
Hadan legte sie beiseite.
Das Crismesser fühlte sich kühl an. Die Schneide war scharf und sauber. Keine Unze des Blutes der Gegner, die mit ihr in Berührung gekommen waren, haftete mehr daran. Das Crismesser eines Nekromanten gehörte nicht in den Nahkampf. Weit eher war es eine heilige Waffe, geschmiedet für Verrichtungen mit Gift und Fleisch und Knochen – den Bestandteilen ihrer Welt, seiner Welt. Und für Rituale.
Langsam und sorgfältig, während sich der Himmel über der Wüste und auch über dem Fleck, auf dem er kniete, von unsauberem Violett zu gelblichem Blassblau verfärbte, zog Hadan die Kreise.
Einen äußeren, einen inneren, verbunden durch acht Linien. In die entstandenen Felder zwischen dem äußeren und dem inneren Kreis zeichnete er die acht Symbole der Ewigkeit des Gottes. Sava, die Versenkung, badhna, die Vergegenwärtigung, vikâm und nunya, den Geist und das innere Auge, baysathe und indryia, Geduld und Unnachgiebigkeit, marhvam, die Lehre von Tod und Leben, und schließlich, rechts des obersten der Verbindungsstriche, pundra, die diesseitige Macht.
Die zwei Amulette drückte er in der Kreismitte in den Sand.
Sein Herz begann schneller zu schlagen. Er runzelte die Stirn. Zu früh nach seiner Berechnung, aber es mochte sein, dass die veränderten Umstände aus Sand und ersten Schritten bereits machten, was drüben, in seiner Heimat, in unser beider Heimat, aus Stein und stets absichtlich unvollendeten Zeichen nie erstanden war.
Seine Seele spürte noch keine Angst. Sein Körper sah dies vielleicht anders.
Ruhig. Du hast dich lange genug vorbereitet. Auch auf den Tod.
Diesmal lächelte Hadan. Er hatte, nach über vierzig Jahren, das Leben lieben gelernt. Ausgerechnet in diesem Augenblick wurde es ihm wieder bewusst. War das nicht genug, um über sich selbst amüsiert zu sein?
Er lächelte immer noch, als das Crismesser in den vernarbten Unterarm drang. Der letzte Schnitt lag schon eine gute Weile zurück.
Das Blut indes begann gehorsam zu laufen, wie seit jeher und als versuche es gar nicht erst, in seinem Körper zu bleiben – als sei es froh, ihm zu entkommen. Hier aber, kein Zweifel, waren es zudem die Zeichen im Sand, die es anzogen.
Und nicht so sehr wie Blut, mehr wie ein aus großer Höhe betrachteter Heerzug, fand es, ohne Hadans Knie und den umgebenden Sand sonderlich zu besudeln, Einlass in den äußeren Kreis.
In der Ferne dröhnte die Streitmacht der Gegner. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie unweit seines Verstecks vorbeizogen, Tausende und Tausende, aus dem Spalt in der Wüste drängend wie eine elende Brut aus dem Geburtskanal eines bösen Schicksals, trampelnd, mordend. Die paar hundert Menschen vor der Stadt hatten geschworen, die Mauern nicht preiszugeben, aber was würden die aufgestachelten Barbaren und die hochherzigen Westmarschener tun, wenn die schwarze Flut erst die Mitte der Ebene erreicht hatte?
Und was würde er, Hadan, tun, wenn die rötlichen Kämme der Felsen plötzlich Schattenborten bekamen und sie ihn angriffen, bevor er seinen Plan bis zum Ende ausgeführt hatte?
Bis zum Ende. Wiederum nur ein Wort.
Er wusste es ja nicht. Er wusste, trotz allem, über den Ausgang dieser Handlung nicht mehr als ein Kind.
Dennoch durfte er sich am wenigsten von allem, weniger noch als Furcht oder Grauen, Zweifel anmerken lassen.
Zuvorderst war ein Gott grenzenlos stolz. Ein Gott, der um etwas gebeten wurde, um das noch nie ein Sterblicher gebeten hatte, ein Gott, dem sich ein Sterblicher mit dem Vorschlag eines Handels zu nähern wagte, würde noch grausamer und unnachgiebiger stolz sein.





Menrad kniff die Augen zusammen und suchte die Hügellinie ab.
Es war unnütz. Die undeutliche Linie aus Dunkelheit sah er ebenso wie alle Menschen um Lut Gholein seit einer guten Weile, und für das Erkennen einzelner Gestalten war das Heer der Feinde noch viel zu weit entfernt.
Und trotzdem nicht sehr weit.
Eine halbe Stunde des Wartens noch, sicher nicht mehr. Dann würden sie die Ebene erreicht haben.
Der Paladin holte bebend und angestrengt Luft. Die Angst, die sich um ihn zusammenzog, war so groß, so vollkommen, dass nicht einmal der Ärger über die Angst noch blieb. Verächtlich, lakonisch hatte er dem Tod entgegenschreiten wollen, bis zum letzten Hieb wenigstens in Teilen der Mann, an den er sich erinnerte, aber auch das hatte ihm das Kommende gestohlen. Wann genau an diesem vermaledeiten Morgen, entzog sich seiner Einschätzung.
Die flüchtige Kraft des Gebets war vergangen.
Ringsum, im schleichend heller werdenden Licht, beteten noch vereinzelte seiner Brüder, doch ihre Zahl nahm rasch ab. Die meisten starrten jetzt auf die Hügel.
Hinter ihnen war es, so viele Menschen auch auf der Mauer standen, unheimlich still. Das Schweigen der Barbaren zur Linken des Tors wirkte grimmiger, aber auch in ihren wehrhaften Reihen sah man kaum noch eine Bewegung, geschweige denn eine zuversichtliche Miene.
Menrad widerstand der Versuchung, sich das Kettenhemd vom Leibe zu hieven. Nicht einmal in der dunstigen Schwüle des Ostens war ihm das Luftholen so schwer gefallen.
Es ist die Angst.
Obgleich ihm jene Hünen dort drüben für die Äußerung eines Zweifels an ihrer Standhaftigkeit den Kopf von den Schultern gehauen hätten, ging von ihnen dasselbe aus wie von den wartenden Massen. Angst lag wie ein Nebel zwischen und über ihnen allen, Angst, soweit Auge und Ohr reichten, obwohl sie nicht anzuschauen und nicht zu erlauschen war.
Über dem westlichen Horizont leuchtete ein zerfaserter Wolkenstreifen auf, angestrahlt von der Sonne, die hinter Lut Gholein hervorklomm.
Lass es bald beginnen, damit das Warten ein Ende hat.
Menrad blickte sich um.
Eben, als er sie musterte, wurden in den Gesichtern seiner Nachbarn die Augen größer, als hätten sie gemeinsam etwas gesehen.
Der Paladin wandte sich hastig wieder der Hügelkette zu.
Ja, bei allen Guten und Gerechten, da waren sie.
Das feindliche Heer kam, mehr als eine Schatten- oder Sturmlinie jetzt. Von Dunkelheit gekrönt, reihte es sich mit zahllosen, selbst von hier aus zu erkennenden, schwarzen Umrissen auf den Hügeln auf.
Dann, als jage sie ein Befehl oder als stoße sie eine nachdrängende Menge vorwärts, stürzten die dunklen Punkte über den Kamm. Wie Ameisen wimmelten sie den Hang in die geschwärzte Ebene hinunter. Andere schlossen auf, schneller, mehr. Atemzüge später waren keine Lücken mehr auszumachen.
Gütiges Licht. Menrad presste die Zähne aufeinander, die Nasenflügel vor Entsetzen gebläht. Eine glühende Hand packte von innen her nach seinen Eingeweiden und riss daran. Dann waren sie fort, und er wusste, dass er es nur seiner Disziplin als Soldat verdankte, dass er noch hier stand und Hammer und Schild festhielt.
Die Entgeisterung um ihn her war greifbar.
Die Barbaren, ja selbst die Lut Gholeiner, hatten dem Feind bereits einmal ins Angesicht geschaut, und sie rechneten damit, dass er an diesem Morgen mit größerer Zahl zurückkehren würde, um den Widerstand der Stadt endgültig zu brechen. Menrads Brüdern jedoch war der Anblick dieser schwarzen Flut neu. Alle Worte seinerseits hatten nicht ausgereicht, um sie vorzubereiten.
Diesmal nahten die Gegner in einer Zahl, dass die ganze Wüste vor der Stadt voll von ihnen sein musste. Und sie nahten rasch.
Neben Menrad sprach ein Mann.
„Wir werden hier alle sterben.“ Er sagte es tonlos und nicht sehr laut, doch der Stille wegen, in die sich nun langsam ein abgrundtiefes Beben und Grollen zu mischen begann, hörte man ihn gut.
Niemand widersprach.
Menrad brachte kein Wort heraus. Er nickte nur.
Doch eben, als sich sein Bewusstsein dazu entschloss, der Allgewalt des Kommenden nicht mehr auszuweichen, eben als er erwartete, für überhaupt nichts mehr empfänglich zu sein, huschte etwas durch den dumpfen Wirrwarr hinter seiner Stirn. Oder war es eine leibhaftige Stimme von irgendwo hinter seinem Rücken?
Er wandte sich um, sich halb im Klaren darüber, dass er einen närrischen Anblick bieten musste: Der einzige Mensch weit und breit, der nicht mehr in die Ebene schaute, den Mund offen, die Brauen zusammengezogen in der verdutzten Anstrengung, zu horchen.
Horchen.
Nichts. Herlac brüllte etwas, einen Befehl oder Worte der Ermutigung. Ein oder zwei paladinische Kommandanten schritten die Reihen der Lichtkrieger ab und beteten laut. Aber das war es nicht gewesen.
Der Paladin drehte sich wieder um.
Es fehlte noch, dass er ausgerechnet jetzt den Verstand verlor.
Da erreichte es ihn wieder, mitten in einer Bewegung, mit der er sich straffen wollte, die Augen auf dem schwarzen Gewimmel, das mittlerweile das erste Drittel der Ebene überwunden hatte und dünnen Rauch und ein bedrohlicher werdendes Gemenge von Heereslauten vor sich hertrug. Doch die Störung stand matt, aber unmissverständlich dazwischen.
Niemand sonst gab ein Zeichen, dass er etwas bemerkt hatte. Gewiss, wie auch, in all dem aufstiebenden Tosen von Gefühlen und jetzt auch Geschrei, mit dem sich die Verteidiger bereitmachten.
Es war keine Stimme. Menrad schüttelte den Kopf, widerwillig, da ihm immer noch schwante, er sei endlich am Rande des Wahnsinns angelangt.
Dann schien ihm, er könne es entziffern, und für einen flüchtigen Augenblick vergaß er seine Angst.
Es war eine Empfindung. Woher und über welche verborgenen Pfade sie sich aus dem anhebenden Chaos herauslöste, wusste der Paladin nicht zu sagen. Aber einmal durch seine Aufmerksamkeit beehrt, wurde sie stärker, gewann an Eindrücklichkeit, fast an Vertrautheit, und blieb doch fremd.
Rings um ihn scharrten Stiefel im Staub. Waffen, die die Rüstungen ihrer Besitzer streiften, erzeugten metallische Kratzgeräusche. Ein gemeinsamer, stockender Atem bezeichnete die letzten Augenblicke vor dem Eröffnungsschlag. Der Boden begann zu beben. Kleine Steine tanzten.
Menrad aber stand, erstarrt, und lauschte in größere Ferne. So wenig er es auch begriff, er bezeugte und fühlte einen aus dem Nichts entsprungenen Kern, eine Sammlung von Strömungen, halb wesenlose Macht, halb Geist. Er bezeugte ein entstehendes Bewusstsein, das weit über der Welt und doch auf eben diesem einen, bebenden Boden mit seinen Staubschleiern und hüpfenden Steinchen das Haupt hob.





Das Heer zog vorbei.
Mit dem Teil seiner Sinne, die noch ihren angestammten Dienst in der äußeren Welt taten, hörte er das einem Donnern gleichende Auftreten Abertausender von Hufen und wie die trockene Erde und der Stein des Landes ergeben unter einem Gewicht aufstöhnten, wie die Welt es bis heute nicht gekannt hatte.
Sie werden Lut Gholein niederreißen und mit ihm alles, was wir je geliebt haben. Danach werden sie sich nach Norden wenden, oder auch nach Süden, um erst eine Hälfte des Kontinents ganz in ihren Besitz zu bringen. Vielleicht schreckt auch das große Meer sie nicht, und sie werden auf von den ausgebrannten Städten genommenen Booten hinübertreiben, während hinter der Haut um unsere Welt schon ihre Artverwandten nagen, bis auch im Osten ein Tor entsteht.
Geruhsam füllte das Blut die Linien der eingeritzten Symbole.
Er sah zu, ohne es wirklich zu sehen. Erst, als das warme Rot das Zeichen bedient hatte, über die Ränder stieg und das Symbol zu verzerren drohte, griff er abwesend nach einem Stoffstreifen und band die Armwunde ab.
Sein Puls flatterte. Fünf Schalen voll, hieß es, enthielt ein Leib an Blut, und wenigstens anderthalb hatte er dem Zeichen geopfert.
Hadan steckte das Crismesser weg. Warum er es so sorgsam wieder verstaute, war ihm unklar. Brauchen würde er es nicht mehr.
Einzig die größtmögliche Deutlichkeit des Zeichens zählte. Und auch dieses Wissen zerstob mit einem Mal, denn nun kamen die Bilder an die Reihe.
Bilder der Wut. Er brauchte sie, um auf sich aufmerksam zu machen.
Seines Werdegangs zum Trotz war er nur ein unbedeutender, kleiner Mensch, und was er in den Wüstensand gekratzt hatte, die Arbeit von ein paar Augenblicken und kaum der Aufmerksamkeit eines Gottes wert.
Die Bilder erschienen, blutige, mit Trauer und Verlust behangene Bilder: Zwischen dem Dünkel Mächtigerer herumgestoßene Menschen. Tränennasse Frauenwangen. Atemlos heulende Kinder, zu winzig, um zu verstehen. Zahllose Reihen von Verwundeten, von Toten, die ihn mit milchigen Augen anstarrten, ohne Vorwurf, aber auch ohne Trost darin, so wie der junge Chana hinweggerafft ohne selbst die Illusion eines kurzen Friedens. Ungeheure Gewalt, drein hackende Schwerter. Betende, unter ihnen Menrad, der sich in einen Irrsinnigen verwandelt hatte und mit altem Gesicht vergebens silbernes Blut von seiner Rüstung abzuwischen versuchte. Magier, die in ausgebrannten Höfen herumlagen, und Ifrah mit wehendem Haar. Eya, ihr liebes, zerquältes Gesicht, Shatryindjah, mein armer, heimatloser schwarzer Vogel. Und, immer wieder, Urel.
Urel mit seinem einen, traurigen Auge, mit dem abgetrennten Arm, dem zerstörten Antlitz, all den zerstörten Hoffnungen.
Mehr Wut, als er sich je erhofft hatte, durchzog die Adern des Nekromanten wie ein Fluch. Sie war nicht rein, war durchsetzt mit einer Unzahl anderer Empfindungen. Sie lehrte ihn, dass es reine Wut nicht gab, und sie erschütterte ihn derart, dass er, weil es an der Zeit war, den Namen eben noch herauspressen konnte, den Blick starr auf das Symbol gerichtet.
Pakhra.
Ein Name, im Kopf zuerst.
Dann wiederholte er ihn.
„Pakhra!“ Erst, als er ihn verhallen hörte, wurde ihm bewusst, dass er ihn geschrieen hatte. Nicht hergesagt in ehrfurchtsvollem Singsang eines Gebetsverses, sondern wie ein Mensch, der außer sich vor Zorn und Trauer nach einem Schuldigen im Nachbarzimmer schreit.
Gleichzeitig griff die Essenz seiner Kaste nach ihm, in vier Jahrzehnten gesammelte Klänge und Eindrücke, das Heilige und das Böse, die Heilkraft und die Vernichtungsgabe, all die Widersprüchlichkeiten, die zu ertragen ihm lange nur seine eigene Eitelkeit geholfen hatte. Dennoch, auch heute, begrüßte er sie mit Dankbarkeit. Das ist kein Beruf, den ich wechseln kann. Das ist nichts, das ich einfach abwerfen kann wie ein schmutziges Kleid, hatte er einst zu einer jungen Frau gesagt, im Zorn, und doch war es wahr.
Die Wucht der Antwort warf ihn beinahe in den Sand.
Das Licht ging aus. Hadan keuchte auf.
Er sah nichts mehr. Blind stützte er sich mit beiden Händen ab, hoffend, dass das Symbol keinen Schaden genommen hatte.
Ob er je wieder etwas sehen konnte, zählte nicht. Einzig die größtmögliche Deutlichkeit des Zeichens zählte.
Das Zeichen.
Pakhra.
Er kniete vornüber gebeugt. Das Herz wollte ihm aus dem Hals, und ohne etwas zu schmecken oder etwas zu fühlen, wusste er, dass er Blut im Mund hatte.
Ich rufe dich, mein Gott.
Andere Männer haben es vor mir getan, um sich deiner Unterstützung zu versichern.

Die Luft zog sich mit einem sachten Erschauern zusammen. Es pflanzte sich fort, hinein in die Erde, und alles, was an Lebendigem noch in Schatten und Felsspalten gekauert hatte, floh.
Aber ich werde mich nicht mit deiner Unterstützung zufrieden geben.
Steig herab. An welchem Ort auch immer du wohnst, verlasse ihn.
Ich rufe dich, Pakhra.

Es wurde dunkel jenseits seiner blinden Augen. Er brauchte keine Sehkraft. Die Dunkelheit, bräunlich, rötlich, verfinsterte den Fleck, auf dem er hockte. Das letzte, was er tun konnte, war, das fremde Amulett in den blutigen Sand zu pressen, bevor er sich selbst im Beginn verlor.
Und es begann.
Ein paar Meilen entfernt, trotz seiner Angehörigkeit zu einer ganz anderen Klasse, spürte ein befreundeter Paladin das Erwachen des Gottes.





Ifrah wartete nicht ab, bis sich die Linien von Angreifern und Verteidigern im entfesselten Auftakt der Schlacht ineinander verkeilten. Sie hatte genug gesehen.
Die Ebene war ein wimmelndes Meer, seine Wellenkämme Hörner und dunkle Klingen, sein Vordringen die Flut brüllender Vernichtungsgier.
Die Magierin stand breitbeinig auf dem Wall. Dank des Schnalzens der Bogensehnen und des Knarrens von Armbrüsten und Katapulten vernahm man das Angstgeheul der hier oben versammelten Menschen kaum. Sie packte ihren Stab und sammelte Energie für den Teleportschritt.
Unter ihr, gesprenkelt mit Säbelkatzen, die aus der überrannten Ebene zu den Verbündeten geflohen waren, stemmten sich die Reihen der Soldaten, Barbaren und Paladine gegen die Front des Gegners. Es war, als sehe man zwei einzige Fäuste miteinander ringen, und bereits jetzt zeichnete sich ab, dass die Verteidiger erbittert darum kämpfen mussten, nicht gegen die Mauern zurückgedrängt zu werden.
Sie waren so wenige.
Die Dämonen übertrafen ihre Zahl um das Zehn-, ach, das Fünfzehnfache. Genug, um sich vor der schieren Übermacht in den Staub zu werfen. Aber für das Grauen blieb ihnen keine Zeit.
Lebwohl, Maysan, mein Mädchen. Solltest du je nach Lut Gholein gelangen, wirst du nichts mehr vorfinden. Es wird sein, als hätte es die Vergangenheit nie gegeben.
Es tut mir Leid, kleiner Stern.

Aufwallende Hitze, ein launischer Wind vielleicht oder auch der Feuerglast, der den Dämonen voranzog, brannte Ifrah die Nässe aus den Augen.
Trocken, blickten sie sich hastig um.
„Ifrah!“
Sich an Bogenschützen vorbeiwindend, eilte Eya auf sie zu. Die junge Assassine war unverändert blass und ihre Lider gerötet, doch sie bewegte sich wieder und schien entschlossen, nicht als Einzige der Gefährten in Lut Gholein zurückzubleiben.
Den Schlachtenlärm im Ohr, rang die Magierin mit sich. Sie hatte keine Gelegenheit mehr dazu, abzuschätzen, ob es Mut oder, und bei diesem Gedanken verkrampfte sich ihr Inneres, Todessehnsucht war, was Eya antrieb.
Die Frauen starrten sich an.
„Nimm mich mit!“, bat Eya. Ihr Blick flatterte. Lass mich nicht allein hier oben. Wenn er schon fort ist, lass mich zumindest in deiner Nähe bleiben. „Bitte, Ifrah.“
Sie war kaum zu verstehen.
Ein Fauchen von irgendwo aus dem lebendigen, schwarzen Meer kündigte ein Feuergeschoss an.
Ifrah griff nach Eyas Hand. „Halt dich fest, Liebes.“
Sie verrannen ins kurze Nichts der Teleportation, eben als das Geschoss die Mauer traf.
Bröckelnder Lehm. Schreie. Erschütterungen, eingefasst in hochschlagende Flammenkaskaden.
Ifrah spürte den Nachhall davon, und er ließ sie taumeln, als sie und Eya den festen Boden vor dem Tor erreichten.
Der Platz war knapp bemessen. Die rauchgeschwängerte Dichte zwischen Trauben brüllender Krieger benahm den Frauen den Atem. Steine und Sand der geborstenen Mauer überschütteten sie. Sie sprangen vorwärts, stießen mit den hintersten der Soldaten und Paladine zusammen. Männer wandten kurz die Köpfe nach ihnen, bevor sie weiterstürzten, die Waffen erhoben in einem unüberschaubaren Gedränge, Rennen und Schieben.
Wortlos verständigten sich die Magierin und die Assassine.
Bisher war Eya in allen Kämpfen stets vorangegangen, schmaler Keil ihrer damaligen kleinen Front, gedeckt und beschützt durch Urel und die Sprüche und Flüche der beiden Magiekundigen. Doch nun musste sie sich hinter Ifrah halten, darauf vertrauend, dass die Blitzattacken eine Schneise in die fürchterlichen Widersacher fraßen und ihr am Rande dieser Schneise eine Angriffsfläche für ihre Klingen schufen.
Ifrah bahnte sich mit Mühe einen Weg durch die Verteidiger.
Hier unten war fast noch deutlicher, wie gering sich ihre Zahl gegen die dämonische Übermacht ausnahm, und doch oder gerade deswegen fochten Soldaten, Paladine und namentlich Barbaren mit einer Wildheit, die an Raserei grenzte. Mehr als einmal musste die Magierin einzelne Streiter umgehen, um nicht in die wuchtigen Bahnen von Schwertern oder Kampfhämmern zu geraten.
Sie atmete hastig, die Augen auf der näherkriechenden Borte aus Schwarz. Zugleich suchte sie nach bekannten Gesichtern.
Unweit, schien ihr, hörte sie Herlac brüllen und erzitterte. Doch es hatte nicht, noch nicht, nach einem Todesschrei geklungen.
Die Menge teilte sich, und dann waren sie vorn.
Zwei kleine Gestalten, rechts und links gesäumt von wirbelndem Silber und Braun und Eisengrau, vor einer schwarzen Mauer, die die Hölle mitten ins Land gestellt hatte.
Dämonen hinter Dämonen. Augenbälle in tanzenden Linien, Rachen, die aufklappten und die Front der Menschen mit Feuer übergossen.
Hinter ihre Schilde geduckte Paladine versuchten, eine Lücke in diese Mauer zu reißen. Barbaren, viele von Säbelkatzen begleitet, gingen rücksichtsloser vor. Aber es gab nicht mehr viele Unterschiede im Grat der Wucht, mit der gekämpft wurde.
Wenige Schritte von den Frauen entfernt hatte sich ein Mann einen Halbkreis in die Dämonen hinein erarbeitet.
Er trug weder Helm noch Schild. Einen Hammer in der Rechten, in der Linken eine langstielige Axt, schlug er beidhändig zu, mit rasender Geschwindigkeit und ohne innezuhalten, weiter und weiter. Das schwache Leuchten, das ihn wie eine Aureole umgab, reichte nicht hin, um der Düsternis zu schaden, doch es hatte ihn scheinbar bis hierher davor bewahrt, durch einen Flammenstoß zu Asche verbrannt zu werden. Selbst im Tosen der Schlacht stachen die Laute hervor, die seine Treffer erzeugten: Ein Splittern und Hacken, das die Gewalt hinter seinen Hieben besser offenbarte als sein Anblick.
Ifrah hob die Arme.
Hinter ihr duckte sich Eya, als sie einen Baum aus gleißendem Weißfeuer beschwor. Menrad, den die Blitze umtanzten, zuckte jedoch nicht einmal. Er focht weiter, zögerte nur kurz, um abzuschätzen, welchen der zurücktaumelnden Gegner hinter den tödlich verkohlten er zuerst angreifen sollte. Dann machte er einen Satz über rauchende Leiber hinweg, und die ungleichen Waffen begannen erneut zu kreisen, unermüdlich wie Flügel einer Windmühle.
Von beiden Seiten, ermutigt durch die dank Ifrahs Attacke entstandene Lücke, stürmten Barbaren und Paladine vor. Bolzen und Pfeile surrten über ihre Köpfe hinweg. Die Frauen ließen sich von der Truppenbewegung mitreißen.
Schwankend in Hitze und Rauch und versehentlichen Stößen ihrer männlichen Mitstreiter, erreichten sie Menrad.
Ifrah schrie seinen Namen.
Der Ton ging unter. Sie warf einen Funkenteppich aus, der die Verteidiger überholte und geisterhaft beleuchtete, dann versuchte sie es noch einmal.
Und Menrad wandte sich um.
Doch in diesem Augenblick war es, als zerre sich die Erde unter ihrer aller Stiefel glatt, und wo keine Stille sein konnte, wölbte sie sich als Blase inmitten des Getümmels.
Jede Kreatur im Umkreis, vielleicht gar im gesamten Umkreis der Ebene, verharrte für die Dauer eines Lidschlags.
Lärm und Kampf brachen sofort wieder los, doch die Gefährten standen, die Gesichter einander zugekehrt. Ifrah, im Augenwinkel die sich unausgesetzt verschiebenden Massen, Münder und Mäuler weit aufgerissen in nicht enden wollendem Geschrei und Grollen, sah die Röte der Anstrengung Menrads Gesicht schlagartig fliehen. Es wurde blass unter Asche und bräunlichem Schweiß.
„Das“, keuchte der Paladin, „war nicht das erste Mal.“
Niemand von ihnen benötigte eine Erklärung – er meinte, was sie eben alle gespürt hatten, und seine Züge glätteten sich zwischen Fassungslosigkeit und Erleichterung, weil Ifrah und Eya kein Zeichen gaben, ihn nicht zu verstehen.
Die Gedanken der Magierin rasten.
Menrad drehte sich nach Südwesten, steif, einer Holzpuppe ähnelnd. „Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu“, hörten sie ihn sagen, laut, aber zu einem Ruf schien ihm die Kraft zu fehlen. Sein einer Stiefel ruhte noch auf dem Schädel eines gefällten Dämons.
Eya zitterte von Kopf bis Fuß. Ihre Klinge staken stoßbereit aus ihren Fäusten, doch sie rührte sich nicht. Sie folgte Menrads Blick.
Und Ifrah wusste, wohin sie schauten. Es wurde ihr so plötzlich klar, dass die alles beherrschende Angst und die Allgewalt der Umgebung an Macht einbüßten.
Kurast. Das Dach, der fallende Tempel. Der Zorn, den sie nach dem Verebben der Druckwelle gespürt hatte.
Mit einem Schrei sprang sie vor. „Kommt!“
Das Schlachtengetümmel erstrahlte weiß in ihrem nächsten Blitz. Er war größer, länger, weit mächtiger als alle vorigen, eine Blitzfontäne, die ihr kaum mehr abforderte als ein Schlucken und Blinzeln, dicht gefolgt von einer Nova, die ein Rund in die schwarz herandrängende Mauer sprengte. Durch hinsinkende Reihen stolperte sie voran, nicht viel anders als durch ein Kornfeld und Lücken eines Sturms in einem Meer aus Ähren. Menrad war mit drei, vier Schritten an ihrer Seite. Eya jagte hinterdrein, und ein Vorstoß von Verteidigern folgte.
„Wir müssen uns in Acht nehmen“, hörte Ifrah den Paladin brüllen. „Das wollen sie gerade – dass unsere Schar sich aufspaltet!“ Doch ungeachtet seiner Worte hielt er sich an ihrer Seite, riss einen heranstürmenden Dämon mit einem einzigen Hieb von den Füßen, und vielleicht war es für seine Warnung ohnedies bereits zu spät.
Sie sahen und spürten es, während sie sich in die Ebene vorkämpften, rennend, dann wieder erbittert gegen einen schwarzen Feind nach dem anderen angehend, aufgehalten durch die schiere Masse ihrer Widersacher. Die Schlacht zog die Verteidiger ins offene Feld, weg von den Mauern, als zwinge eine gestaltlose Ebbe ihre verzweifelten Scharen hinaus.
Hinaus, auf den südlichen Rand der Hügel zu, hinter denen, so hatten es ihre drei unterschiedlichen Seelen erfasst, die Quelle einer Kraft ohne Namen saß.
In Wellen schlug es ihnen entgegen, nicht begrüßend, nicht feindlich, weder hell noch finster, und warum es sie in aller Not und absoluten Bedrängnis dorthin drängte, konnten sie sich nur mit einer irren, grundlosen Hoffnung erklären und mit der Vorahnung, etwas Neuem zu begegnen, Kinder inmitten eines Krieges, der über die Ränder der Welt hinausschwappte.





Ich rufe dich, Pakhra.
Bald mochte zwischen den Worten an seinen Gott und dem verbliebenen Rest eigener Gedankenströme keine trennende Wand mehr bestehen. Doch bald würde ihm Pakhra, so es ihm gefiel, ohnedies das Innere nach Außen kehren und alles, was als menschlich und heimlich gegolten hatte, in Besitz nehmen. Ebenso gut also konnte man nachgeben.
Wie ehrlich aber durfte man sein – zu einem Gott?
Wussten die Götter, glaubte man Schriften, die ihr Wesen beschrieben, auch alles über sie, die Niedrigeren, das Volk, die Untergebenen, so waren sie dennoch, ganz wie Könige und Fürsten, an vollendete Höflichkeit und eine Sprache gewöhnt, die jegliche Forderung dutzendfach verschleierte, die sich fügsam gab, die bat und bettelte, pries und dauerndes Lob sang.
Dennoch. Er durfte und wollte sich nicht betäuben lassen von Angst. Nicht so schnell.
Ich rufe dich her, Bronzefüßiger, Ziegenkönig, Verwalter des Todes. Denn sieh, die Zeiten haben sich geändert, und was einst eine Schwelle war, hat der Fall des roten Steins im Norden zu einer Haut herabgesetzt, dünner als Pergament.
Boden und Luft erzitterten ein weiteres Mal.
Hadan wurde sich bewusst, dass er weder die Wärme des Sandes noch die Bewegungen seiner eigenen, mühsamen Atmung noch die Strähnen seines Haars, das ihm um den Kopf hing, mehr spürte.
Etwas packte und schüttelte ihn wie eine Schatulle, um zu sehen, was darin sei.
Es schmerzte nicht, aber seine Kleidung, seine Haut und sein Fleisch begannen zu rauchen. Er bemerkte es nur anhand des neuen Geruchs. In entsetzter Erwartung zog sich sein Magen zusammen, doch es war nicht der Gestank verbrannten Fleisches.
Es stank nach Blut und nach Feuer.
Es war das Blut, das Männern aus aufgeschlitzten Leibern rann, doch auch das Blut Gebärender und das Blut in den Adern aller lebenden Wesen. Es war das Feuer der Zerstörung, aber auch das Herdfeuer, über dem Familien ihre Mahlzeiten kochten.
Es stank nach Jahrtausende alter Luft modriger Gewölbe, nach Öl und Sumpfgasen, nach verfaultem Pflanzendickicht, Blüten, Asche und Horn. Hundert weitere Gerüche mischten sich hinein, aber dies waren die deutlichsten.
Die Ausdünstungen eines Gottes. So also kündigte er sich an.
Gefangen zwischen Ehrfurcht, Hingabe und Ekel, spürte der Nekromant ihn kommen.
Lautlos, nicht mit einem Donnerschlag oder einem Regen aus Licht und Farben.
Doch dann, während sich die Luft verdichtete, der Fleck ringsum, den er nicht mehr sah, sich mit braunem Dunst füllte und die Luft zu kreisen begann, bis sie ein Sturm geworden war, in dessen Auge er kniete, hob ein Laut an. Viele Laute.
Ein Grollen, ein Singen altersschwacher Kehlen barfüßiger Priester, ein Erzittern einer von Schleim bedeckten Kehle, und was nie, außer in den Köpfen der weisesten Meditierenden oder der Verrückten, eine wirkliche Stimme besessen hatte, schuf sich eine Stimme, ein Organ in der diesseitigen Welt.
Sie antwortete.
Es zerrieb ihm fast das Mark zu Staub, aber sie antwortete.
Sieh an, schien sie zu sagen. Bei all ihrer Macht schwang etwas darin mit. Vielleicht war es auch bei einem Wesen dieser Größe die Anerkennung des nie da Gewesenen.
Du bist es also. Du maltest die Zeichen in diesen unwürdigen Staub.
Du warst es, der rief.

Ein Schweigen des Wartens, des Beobachtens.
Ich kenne dich, mein Jünger, gewiss. Eine elende Gasse schenktest du mir, ohne Zeichen noch, und nun diesen trockenen Fleck weitab jeder geheiligten Stätte.
Pakhra.
Lass mich sprechen. Lass mein Selbst und meine Stimme eins werden, auf dass ich gehört werden kann.
Ich höre dich, Kreatur. Die deiner Art, die mir am nächsten stehen, höre ich seit ihrem ersten Schritt, seit ihrem ersten ergebenen Gedanken. Pakhra ist nicht Liebe, aber von diesen wenigen, und du weißt es wohl, warst du mir der liebste seit Anbeginn. Mein arbeitsamster Getreuer. Mein Sohn.
Dem allein ist zu verdanken, dass du noch atmest, auch und namentlich in dieser Stunde.

Ich danke dir.
Danke mir nicht zu schnell.
Ich kenne dich. Gib dich nicht der törichten Hoffnung hin, mich täuschen zu können, so jung und nichtig, wie du bist.

Nein, es ist wahr.
Ich bin dankbar. Es tut weh. Vielleicht ist es die gerechte Strafe für die Vermessenheit, und ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, aber wenn das Dasein auf diese Art endet, dann endet es in deinem Angesicht.
Nein. Das ist nicht, was zu tun ich hergekommen bin.
Du wartest auf mein Staunen.
Staunen soll ich über den Eintritt in diese Welt, deren Grundfesten ich entstehen sah, deren Pfade ich ins Dickicht schlug, diese Welt, die fortbestehen wird, wenn deinesgleichen nicht einmal mehr eine Erinnerung im Blut der Urenkel des Ungeziefers ist, das die Würmer frisst, die eure Gebeine verschlungen haben. Darüber willst du mich staunen sehen.
Narr.
Siehe da, du empfindest Angst. Angst, ich könnte mich abwenden, und sei gewiss, mein Jünger, deine Angst ist mir tausendmal teurer als die Fäden, die dich zusammenhalten. Nach dir werden andere kommen. Die Welt ist ewig.
Sprich also und sag an, warum du gerufen hast, wenn nicht, um mich zu langweilen mit Formen und Dingen, die ich schon kenne. Sprich und sag an, warum du mich störtest, und überdenke deine Worte gut.

Weil die Welt nicht ewig ist.
Du täuschst dich.
Während wir miteinander sprechen dank deiner Geduld, reißen Kreaturen aus einer anderen Welt unsere Länder auf die Knie. Allerorts ist Tod und Leid.
Warum lachst du?
Tod und Leid. Tatsächlich.
Du klingst wie einer der windigen, wortverliebten Gelehrten, zu denen du nie gehören wolltest. Aber immerhin, du machst mich lachen.
Warum, Hadan Sakudhra, Nâkyshat na Lhabarna, sollten Tod und Leid die Waage meines Gefallens an dieser Welt ungünstig beeinflussen? Sag mir das. Der Tod ist der Blutkessel, aus dem die Reihen der Nachfolgenden steigen, und das Leid ist der Gesang der Kraft, die sie an das Leben bindet.
Eines ist so gut wie das Andere
Warum sollte mich das bekümmern?

Ich weiß, dass Zeit für dich keine Bedeutung hat, mein Gott. Die meine, die unsrige aber, ist knapp. Darum gestatte mir, ohne Umschweife zu sprechen.
Ich habe dich nicht gerufen, um deine göttliche Ruhe zu stören oder dein Wirken auf dieser und anderen Ebenen, sondern weil ein altes Gefüge zwischen Menschen und Göttern in Gefahr gerät. Die Macht einer Seite kann es nicht geben ohne jene andere Seite, die ihr unterlegen ist und ihr dient und den Sockel bildet, auf dem die Stätten stehen. Ist es nicht so?
Ich warne dich, Jünger. Deine Worte drohen mir zu missfallen.
Glaubst du, der Wandel der Welt sei von allen Wesen, die an dieser Welt teilhaben, gerade den Göttern verborgen geblieben? Ich schaue herab von oben, heraus aus allem, sehe euch zittern, und ihr tut gut daran, euch zu fürchten. Doch es ist eure Furcht, nicht die meine. Es ist die Blindheit eurer Welt, die euch die Zeichen nicht hat lesen lassen.
Fallt getrost allenthalben. Nach euch werden andere kommen. Und was bedeutet es meinesgleichen, welche Gesichter sie haben, mit welcher Stimme sie unser Lob singen? Die Welt ist seit ihrer Entstehung im Wandel, seit einer Zeit, an die sich nur die Götter und die Berge noch erinnern.
Was aus dem Nebenbei nahte, aus der Nachbarschaft, die vordem ein ewig fernes und unerreichbares Land war, ist mir bekannt, und es bedarf keines Menschen, mich darüber zu belehren.

Solltest du finden, dass dies ungebührlich ist, so nimm mich dafür.
Aber du täuschst dich dennoch. Warum unser Tod dich bekümmern sollte, fragst du.
Weil niemand mehr da sein wird. Es mag sein, dass die Welt ewig und dauerhaft im Wandel ist und dass nur uns dieser Wandel wie ein Fall ins Bodenlose erscheint.
Doch die, die jetzt kommen, deren Amulett ich dir in das Zeichen gelegt habe, die unsere Städte zu Ruinen zertreten und uns bis in die äußersten Winkel der Sümpfe und Wälder verfolgen werden, weg von den Feldern, auf denen dann nichts mehr wachsen wird, und weg von den Tempeln, deren Verfall keine Hand mehr aufhalten kann – sie werden sich dir und deiner Art erst zuwenden, wenn sie auf ewig in dieser Welt gefangen sind, und vielleicht nicht einmal dann.
Wer wird euch dann noch Rauchopfer darbringen und die Stufen eurer Tempel kehren? Wer wird eure Namen rufen, wenn er ein Kind aus dem Mutterblut hebt oder stirbt?
Es wird keine Tempel und keine Diener mehr geben, mein Gott. Sehr bald schon nicht mehr, und für eine sehr lange Zeit nicht. Abwägen können nur die Götter allein. Sie allein können entscheiden, ob es ihnen gefällt, die Welt, mit der auch sie verbunden sind, derart verändert zu sehen, und es mag sein, dass wir uns hierin täuschen und die Götter auf anderen Welten ebenso mächtig und daheim sind wie hier. Wenn dies so ist, ist unser Fall in der Tat bedeutungslos.
Wenn aber, Pakhra, unser Vergehen und der Austausch gegen eine andere Art, die diese Länder bevölkern wird, nichts bedeutet, warum habt ihr uns dann beigestanden bis hierher? Warum hast du mir dann gestattet, dich zu rufen?
Schweigen.
Schweigen.
Es kam kein Laut mehr.
Und obwohl Hadan wusste, dass für einen Gott weder Zeit noch Not zählten, und dies vor allem nicht für diesen einen Gott, erriet der Teil seines Bewusstseins, der ihm noch gehörte, der noch ein Gegenüber in dieser Unterhaltung war, dass Pakhra seine Worte abwog.
Jedes weitere Drängen, wenn ihn auch seine Unverfrorenheit noch nicht den Kopf gekostet hatte, wie es aussah, würde ihn töten. Er ahnte es. Er fasste sich in Geduld, seiner Umrisse nicht mehr gewahr.
Schließlich erfolgte die Antwort.
Pakhra brauchte keinen Hinweis auf einen Plan, ebenso wenig wie er sich zu einem weiteren Wort herablassen musste. Und so tat der Gott es auch nicht.
Stattdessen, in einem Aufheulen, in dem der Nekromant Sandrieseln, zerberstende Steine, das Zerbersten seiner eigenen Glieder und sein eigenes, irgendwann abreißendes Stöhnen erkannte, hob der braune Dunst ihn auf. Der fester werdende Schatten, der sich vielleicht irgendwo zwischen diesen Felsen in Eidechsenaugen widerspiegelte, den er aber nicht sah, nahm ihn an sich. Das, was von ihm übrig war.
Ein Handel.
Ja, ein Handel. Der Rest war Schmerz, aber nicht allein Schmerz.
Ich habe meine Bedingungen. Du sollst sie hören. Sehr bald schon.
Jede Faser Fleisch, jeder Fetzen von Gedanken, jede menschliche Regung, die bis hierher überdauert hatte, verging im Reißen der letzten Trennwand, und er verging mit ihm, als der Gott den Kopf hob und brüllte und sich streckte, um seinen ersten Schritt zu tun.
 
Heya Reeba :)

danke für das up - werde Kritik noch editieren :)

EDIT: Einfach nur :top: Gefällt mir sehr gut. weiter so.
 
Sehr schön, wieder ein Up.

Habs gleich mal ausgedruckt. Kommentare editiere ich nachher rein :)

Edit:

Also...ich habs mir nun durchgelesen...will mal folgende Punkte darlegen:

Kritik:
Fehlanzeige!


Bemerkung:

Trotz deiner RL-Belastung wirst du von Kapitel zu Kapitel immer besser. Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass dieses Kapitel vermutlich das bisher beste von den sage und schreibe 55 Kapiteln in "Saqqara" ist...


Dank dir für dieses grossartige Up :kiss:
 
sodala endlich zeit zum lesen gefunden!! GENIAL!!!! Endlich tut sich was entscheidendes ^^ bin mal wieder sooooo gespannt wies weitergeht :) mach weiter so is einfach genial das immer wieder mal zu lesen!!


:kiss: tigerle
 
ürks :cry:

Da fühlte ich mich doch auf einmal an ein gewisses Pic aus denem ersten Blder-Thraed erinnert.... , bei dem ich mich übrigens immer schon gefragt hatte, was zum Henker Hadan da grad macht.
Und wieder gruselt es mich bei dem Gedanken, dass du beim Zeichenen eben dieses Bildes schon genau gewusst haben musst, was gegen Ende deiner Story passiert (genau wie bei der Erwähnung, dass der Name der Story auch noch erklärt werden wird). Das macht es umso erstaunlicher, dass du deine Charaktäre sich langsam aber sicher entwickeln lässt, dass du deren Werdegang nicht verrätst, und dass du ihnen nicht untreu wirst.

Mein Respekt wächst ins Unermessliche.

Immer die Deine - Insi
 
:eek: Pakhra in Sanctuaryo, was das wohl für Konsequenzen haben wird? Naja, das überlasse ich auf jeden fall lieber dir. :angel:
Ein grossartiges Kapitel, wenn nicht wie schon erwähnt das beste. Was mich am meisten interessiert, was passiert jetzt mit Hadan? Ist seine Existenz verwirkt? Wir werden ja sehen :D

mfg holy
 
the_holyman schrieb:
Was mich am meisten interessiert, was passiert jetzt mit Hadan? Ist seine Existenz verwirkt? Wir werden ja sehen :D

mfg holy

Zeit, Vermutungen anzustellen :D

Ich vermute mal ganz stark, dass Hadan zwar nicht sterben wird, jedenfalls nicht direkt als Folge des Handels mit Pakhra, wird aber einen sehr hohen Preis dafür zahlen muss...
 
Insidias schrieb:
Da fühlte ich mich doch auf einmal an ein gewisses Pic aus denem ersten Blder-Thraed erinnert....
...das wahrscheinlich gar nicht umsonst genau den gleichen Namen wie das neueste Kapitel trägt, nur eben in englisch. A-ha, Reeba, wir haben dich durchschaut!
Das heißt, eigentlich nicht.

Egal, wieder ein tolles Kapitel. Die Strukturen des Dramas werden immer klarer, und es beeindruckt mich zu sehen, wie du schon alles von Anfang an genau so geplant hast, wie es jetzt verläuft. Du schaffst da etwas Endgültiges, nicht so ein Werk, das sich beliebig oft weiter ausdehnen lässt.

Trotz allem - Flüchtigkeitsfehler gefunden. ;)
Überflüssiges s deutlich markiert! :D
Da hab ich dich doch noch einmal erwischt!
Doch die, die jetzt kommen, deren Amulett ich dir in->s<- das Zeichen gelegt habe[...]
 
Segan schrieb:
Zeit, Vermutungen anzustellen :D

Ich vermute mal ganz stark, dass Hadan zwar nicht sterben wird, jedenfalls nicht direkt als Folge des Handels mit Pakhra, wird aber einen sehr hohen Preis dafür zahlen muss...

Naja, das mit dem Preis ist ja logisch. Mir wäre da ne Vermutung lieber, WAS der Preis ist den er zu zahlen hat.

mfg holy
 
Ich fürchte, daß vor Weihnachten kein Update mehr kommt, aber vielleicht, wenn wir alle ganz brav sind …

Besonders gut hat die Beschreibung von Pakhras auftreten gefallen. Es ist leicht, aus einem Gott eine Witzfigur zu machen, indem man ihn einfach nur als mächtiges Wesen, weit von jeder menschlichen Macht entfernt, aber letztlich doch so etwas wie ein Mensch, beschreibt (so wie Zeus oder Apoll – Götter zwar, und doch nur Menschen von ihrem Auftreten und Wandel her). Hier hingegen zeigt sich wirklich ein Gott: keine Möglichkeit, ihn zu beschwatzen, ihn zu übertölpen oder auch zu bestechen. Hadan kann nur bitten und muß die Entscheidung allein ihm überlassen.
 
@UndeadPoet: Thx, ich korrigiere das sofort :kiss:

Ganz habe ich es nicht mehr geschafft, aber hier kommt es als verspätetes Päckchen unterm Baum.
Euch allen noch eine schöne (nach-)Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Gruß, Reeba



********





LVI. Der wandelnde Gott




’Die großen Krieger werden denken, du habest dich aus Angst aus dem Kampfe zurückgezogen. Jene, die dich hochschätzten, werden ihren Respekt vor dir verlieren.
Deine Feinde werden viele unsagbare Worte über dich sprechen und über deine Fähigkeiten spotten. Was könnte schmerzlicher für dich sein als dies?
Du wirst den Himmel erreichen, wirst du in der Erfüllung deiner Pflicht getötet, oder du wirst, so du siegreich bist, des Königreichs auf Erden teilhaftig werden. Darum also erhebe dich in Entschlossenheit, zu kämpfen, o Arjuna.’

(The Bhagavad Gita)




Jenseits der Stadt, aber nicht weitab vom Schlachtfeld oder vom Weg der Dämonen zur Ebene, stieg eine Säule aus Rauch empor.
Sie besaß zunächst keine klare Farbe, nur eine Dunkelheit, die rasch dichter wurde. Sie stieg zu grade auf, unbeeinflusst von Bewegungen und Gesetzen der Luft. Über die Felsen, die ihre Entstehung zuerst bezeugten, hinausgekommen, erreichte sie bald die Höhe eines Hauses, dann eines Turms, doch sie hörte nicht auf zu wachsen.
Dünne Schwaden wanden sich um die Säulenmitte wie tastende Arme, zahlreicher, je gewaltiger das Gebilde wurde. Stumm schaute die menschenverlassene Wüste zu. Ein Schatten fiel auf Sand und Felsen. Zunächst war es der Schatten der Säule, aber als das Gebilde aufhörte, einer Säule zu ähneln, sich wölbte und blähte, verlor auch er seine anfängliche Form.
Der Wind hatte lange geschwiegen. Nun kam er aus dem Nirgendwo auf. Sand wurde mitgerissen, als er sich zurückzog und erneut anhob. Der Vorgang wiederholte sich spielerisch, bald regelmäßiger und stärker, bis schließlich Steine mit über den Boden rollten.
Sie schlugen gegen eine verlassene Rüstung. Sand kroch an dem schwarzsilbernen Metall vorbei.
Der nächste Windstoß erfasste die Rüstung, und gemeinsam mit den Steinen wehte sie eine Weile über den unruhigen Sand. Erst ein Spalt zu Füßen eines großen Felsens hielt sie auf, und hier blieb sie, damit der hinterdrein geblasene Staub beginnen konnte, sie zuzudecken.





Von weit oben aus gesehen musste sie einem winzigen, starken Leuchtfeuer an der Spitze eines Keils gleichen, der sich in die schwarze Übermacht hineinfraß.
Neben ihm aber war sie nur eine kleine Frau. Trotz der entfesselten Lichthölle, die ihre menschliche Quelle einmal ganz umfasste, sich dann wieder zu einzelnen Blitzen bündelte und die Gegner zurückschleuderte, war sie nur eine kleine Frau. Zwischen Hieb und Ducken erhaschte Menrad einen Blick auf ihr Gesicht. Es war fast unkenntlich vor Asche, Schweiß und Staub, doch der Widerschein, der darauf fiel, wann immer Ifrah ihre Arme gen Himmel reckte, ließ es scharf hervortreten.
Der Paladin wusste, so deutlich sah man Dinge nur am Rand einer Bedrohung für das eigene Leben. Auch wusste er, dass Ifrah, die mit ihm den Kopf des Verteidigervorstoßes bildete, nur noch stand, weil sie sich verausgabte und keinen Atemzug lang innehielt.
Die Dämonen standen dicht an dicht. Zwischen ihnen hatte kein Körper mehr Platz. Endlose Reihen, die mit zorndumpfen Augen auf ihn und seine Mitstreiter starrten und sich nur dank der mitgekommenen Barbaren und Lichtkrieger noch nicht wieder ganz hinter ihnen geschlossen hatten.
Welcher Teufel hat uns bloß geritten?
In seinem Rücken tobte Metall gegen Metall, keuchten und schrieen die Männer, und es waren seltener und seltener Befehle, die da geschrieen wurden. Viele starben. Er brauchte sich nicht umzudrehen, selbst wenn er es hätte wagen dürfen. Die Verschiebungen des feindlichen Heers, seine zähe, brutale Bewegung, der Klang, das Gefühl in seiner eigenen Brust verrieten es ihm.
Lut Gholein musste schon gute tausend Schritte entfernt sein. Wie viele Verteidiger sich dem Vorstoß nicht angeschlossen hatten und noch vor den Mauern kämpften, entzog sich seiner Einschätzung. Es gab Menrad einen kalten Stich ins Herz. Hatten sie, wie eine Herde einem irrwitzigen Ruf hinterherlaufend, die Stadt aufgegeben?
Das Warum war nirgends zu finden.
Mit zusammengebissenen Zähnen wich der Paladin einer dämonischen Schneide aus. Sie zischte so nah an seinem Gesicht vorbei, dass er den Luftzug spürte und auch die plötzliche Feuchtigkeit, die ihm in schweren Tropfen auf Wange und Schläfe klatschte. Blut eines Menschen.
Keine Zeit, es abzuwischen. Die aschefarbene Klinge kam zurück, scharf und so schwer, dass ihr Besitzer die Balance für den kreisenden Hieb mit einem ausgestreckten schwarzen Arm hielt, der wie alle schwarzen Arme in dieser Ebene in einer Klaue endete.
Menrad duckte sich unter der Klinge hinweg. Kaum war sie eine Handbreit entfernt, richtete er sich wieder auf, die Axt eines toten Barbaren in der Linken, den Kampfhammer rechts. Noch war der Boden nicht zu übersät mit Leichen für den sicheren Stand der eigenen Stiefel.
Der Paladin drehte sich – nicht schnell, aber mit aller Kraft seiner Erfahrung. Der Hammer traf die dunkle Bestie in der Deckungslücke des gegnerischen Schlags. Menrad spürte den Treffer anhand des ekelerregend vertraut gewordenen Widerstandes von hornig gepanzertem Fleisch. Zu hören war nichts mehr in diesem Moloch aus Lärm und Gewalt.
Er wandte fluchend das Gesicht ab, als das Abschiedsgeschenk des fallenden Dämons, eine Stichflamme aus bereits erstarrenden Kiefern, an ihm hinaufleckte. Hitze, verschmortes Haar, doch die Lichtaura, die ihn, er wusste nicht wie, immer noch begleitete, fing die größte Verheerungskraft des Feuers ab. Rauch, ein Ascheregen, dann war die Sicht wieder frei – auf die Brüder des eben Überwundenen, einander so schrecklich gleich.
Sie hatten nie über diese da nachgesonnen, woher sie wirklich kamen, welcher Geist hinter ihren Fratzen hauste, ob sie sich voneinander doch unterschieden durch Alter, Geschlecht oder Rang.
Es war ein Krieg zwischen sich zutiefst Fremden, zwischen Feinden vom ersten Atemzug an, ein Krieg ohne ein einziges vorausgegangenes Wort der Verhandlung, ja nicht einmal des Hasses. Der beiderseitige Hass benötigte keine Worte.
Und er, Menrad, hatte keine Zeit, zu denken, wie furchtbar dies war. Er musste zusehen, nicht einfach niedergewalzt und zu Asche verbrannt zu werden, so lange zu überleben, wie es ging.
Seine Herkunft, sein Werdegang, die Mission, sein Weg durch den Osten, all das gehörte zu einem Mann, den er irgendwo am letzten Wachfeuer zurückgelassen hatte, abgestreift wie eine zu eng gewordene Haut oder abgestellt wie den Schild, der zu Füßen der Stadtmauer verwaiste, ausgetauscht gegen eine zweite Waffe. Nur der Kämpfer war noch übrig. Der Paladin desgleichen?
Ich weiß es nicht. Ich gehe, ohne mich wieder mit mir selbst vertraut gemacht zu haben.
Ein Blitz erleuchtete die nähere Umgebung gleißend hell.
Jemand stolperte und fiel gegen Menrads Rücken, und ohne hinzuschauen, den nächsten Gegner bereits ins Auge fassend, streckte der Paladin die Axt nach hinten. Jemand packte zu und zog sich daran hinauf, jemand, der nur halb so viel wog wie die Männer, die sich ringsum erbittert auf den Beinen hielten. Eya. Sie war noch da.
Sie hechtete vor, eben als ein Dämon ihr seine Seite zukehrte, um einem Paladin, der ein paar Schritte entfernt focht, zuzusetzen. Ein spitzer, vogelartiger Schrei. Menrad sah aus dem Augenwinkel Klingen blitzen.
Verzweifelt musste sie sein – ohne Hadan, den Wahnsinn oder der Himmel wusste was in die offene Wüste hatte hinausgehen lassen. Mutig war sie auch, mutig jenseits von Vernunft.
Aber die Zeit der Vernunft hatte sie alle ohnedies bereits ausgestoßen. Sie fochten vor der Stadt wie vor der verschlossenen Tür all dessen, aus dem sie einst gekommen waren, darauf vertrauend, es werde sich niemals ändern und niemals enden.
Der attackierte Dämon heulte auf, als die Klingen ihm den hornigen Arm zerschnitten. Gewiss hatte er dieses Wesen kaum als Bedrohung wahrgenommen. Eya bewegte sich rücksichtslos, wild, bis ein Schlenkern des feindlichen Arms sie umriss. Sie fiel mit großem Glück nach hinten in eine Lücke der Verteidigerformation, nicht nach vorne, wo Kreaturen warteten, die sie einfach zertreten konnten.
Doch ihre Attacke hatte den Dämon kurzzeitig von seinem eigentlichen Opfer abgelenkt. Der fremde Paladin stieg über die Assassine hinweg, halb wie über ein Hindernis, halb, um vor sie zu treten und sie zu schützen. Er schlug die schwarze Bestie mit einer Ruhe nieder, die an diesem Punkt der Schlacht nur noch der steifen Würde entspringen konnte, für die Menrad seine Brüder angesichts ihrer aller Lage widerwillig bewunderte.
Mit neuerlicher Kraftanstrengung wandte er sich selbst dem nächsten Dämon zu.
Unweit ging eine Gestalt, die einmal ein Mensch gewesen war, schreiend in Flammen auf. Hiebe atemberaubender Gewalt schmetterten einen anderen Mann nieder. Säbelkatzen sprinteten durch das Chaos, fauchend, zerbrechlich, gelbes, verwischtes Fell.
Feuergeschosse zu Häuptern, hielt die Schar ihre Stellung inmitten eines Mahlstroms aus kupfergeströmtem Schwarz, und alle paar Augenblicke fiel einer der Ihren, um nicht wieder aufzustehen.
Die Ränder der Schar waren längst zerfetzt.
Menrad wagte nicht sich vorzustellen, wie viele der anfangs achthundert Verteidiger noch lebten.
Wir werden es nicht schaffen. Die Übermacht ist zu groß.
Himmel, es sind so viele. Warum hast du uns eine solche Zahl entgegengeschickt?

Der Tag war seit der ersten Stunde dem Untergang geweiht gewesen.
Dennoch, dennoch zog es ihn an, ihn und scheinbar auch die Anderen – dieses Ding, dieses Unaussprechliche jenseits der Hügel, auf die sie sich einen unsinnigen Pfad zubahnten. Männer gefährdend, die sie so dringend brauchten, die Stadt zurücklassend, der sie Treue geschworen hatten, schauten sie immer wieder dort hinüber – warum?
Als habe jemand oder etwas dort seine Verwirrung und die verzweifelte Frage gespürt, kam es wieder, eine neue, unsichtbare Welle. Lautlos rauschte sie durch die Ebene, nicht unähnlich jener, die das Verschwinden des Dämonenheers am vorigen Tag begleitet hatte.
Doch sie gehörte nicht zum Feind.
Für ein paar Atemzüge stockten sie alle. Die Wucht der Schlacht erlahmte.
Es reichte nicht hin, dass der Strom des Dreinschlagens und Tötens abriss, doch zahlreiche Köpfe drehten sich, als besitze die Masse zweier Lager nur noch wenige Gesichter, wenige Geister, von denen mehr als die Hälfte sich ablenken ließ, selbst aus einer Bedrängnis wie dieser.
Und worauf die Menschen nicht hatten hoffen dürfen, geschah.
Das Heer ihrer Gegner brach auf. Pfade, freie Plätze erschienen. Gewaltige Bewegungen gingen über die Ebene, von denen die Verteidiger nur sahen, was sich in ihrer unmittelbaren Umgebung abspielte. Doch sie spürten es mit der Erfahrung des Kriegers oder dem Instinkt der Säbelkatze.
Über Scharen versprengter Menschen hinweg hörte Menrad Herlac brüllen. Er verstand die Worte nicht. Aber was an Barbaren und Paladinen noch auf den Beinen stand, zweihundert Krieger vielleicht, floss zusammen, ballte sich, die Gesichter nach außen gegen die unruhigen Gegner, die Waffen erhoben.
Die Gefährten hasteten Seite an Seite vor. Ohne sich abzusprechen, ließen sie die Schar der Verteidiger hinter sich, wanden sich durch Zurückrennende, die Augen auf den schwarzen Feinden. Menrad erschlug zwei, die mit einem allein stehenden Paladin kämpften, und ein Knacken und Weißfeuer sagten ihm, dass Ifrah zaudernde Gegner attackierte, Eya im Gefolge.
„Was tun sie?“, schrie die Magierin, den Stab noch hoch in den Fäusten. Sie starrte auf die Dämonen.
Versengt von Blitzen waren sie immer noch furchtbare Gegner, doch jetzt, wider Erwarten, griffen sie die goldgepanzerte Frau nicht an.
Menrad schleuderte Blut von seinem Hammer, doch es geschah unwillkürlich. Er stand und schaute sich um. Ungeheure Verwunderung ergriff ihn.
„Sie fliehen“, flüsterte er. Dann schrie er es: „Sie fliehen!“
Gütiges Licht, ja.
Was geht hier vor?

Nicht alle zogen sich zurück, bei weitem nicht. Der Wall aus Schwarz jedoch war dahin.
Das vordem lückenlose Meer glich jetzt jeder anderen Schlacht mit dem Bild aus Gruppen und Zügen und Einzelnen, das es bot. Platz war wieder da, Platz zum Ausholen, Platz zum Laufen und Atmen.
Die Luft, die der Paladin sich in die Lungen riss, schmeckte nach Rauch und heißer Asche.
Die Sonne hatte sich hinter grauen Schleiern verborgen. Feuer standen im Dunst wie Irrlichter, brennende Leichen, schwelende Steine, doch die Sicht war besser als am vorigen Tag.
Menrad konnte den nahen Fuß der Hügel sehen, den Kamm ihrer Felsen und den Himmel darüber.
Hier waren die Hügel niedriger. Vereinzelt lieferten sich Säbelkatzen zwischen den Felsen erbitterte Gefechte mit Dämonen – Nachgerückte von Harebnashs Volk gegen Versprengte des riesigen Heers. Die Kämpfe hatten jedoch etwas sonderbar Wirres. Auch hier schienen die Dämonen plötzlich unschlüssig, ob sie zur Mitte der Ebene ziehen oder sich irgendwo jenseits von ihr sammeln sollten.
Weit und breit sah man keinen Puls mehr, der den Feind leitete. Innerhalb weniger Augenblicke war es wie eine zerstreuende Hand unter die Schlacht gefahren.
Ifrah tauchte an Menrads Seite auf, weitgeöffnete Bernsteinaugen, ein von Schweiß und Schmutz verschmiertes Gesicht mit unfreiwilliger Kriegsbemalung aus Blut und Asche. Eyas helle Haut war dunkelgrau. Nur unter den Augen schimmerte es fleckig – Spuren von Tränen?
Die Gefährten blinzelten den Hang hinauf, unter dem sie innegehalten hatten.
„Die Schlacht ist hinter uns“, keuchte Ifrah. „Ich weiß nicht, was...“ Sie brach ab.
Menrad verstand. Er sah es auch am Gesicht der Assassine, aus dem unter aller Asche das Blut floh.
Da war es wieder.
Es kroch wie Nebel über den Hügelkamm. Es kam zu ihnen in die Ebene, und Menrad, dem sich die Nackenhaare aufstellten, wollte zurückweichen, wollte sich umdrehen und laufen, fort von dieser unsichtbaren Quelle dort oben.
Aber er konnte sich nicht rühren, um nichts in der Welt.
Gelbe Gestalten auf den Hügeln, Säbelkatzen. Versuchten sie, wegzurennen?
Der kränkliche Schein der Sonne, so mutete es an, jagte Dämonen zwischen den Felsen hindurch. Richtungslos liefen sie auf ihren wuchtigen Gliedern hierhin und dorthin.
Menrad wusste plötzlich, dass er sich nicht geirrt hatte mit seiner Ahnung von einer dritten Macht. Sie steckte hinter der sonderbaren Verlockung, zu den Hügeln zu hasten. Sie war nicht von freundlicher Art. Niemand würde ihr entkommen.
Niemand.
Wir sind hier nicht sicher.
Er empfand es, aber sein Leib, ganz und gar ins Stehen und Starren ergeben, antwortete nicht. Mit Mühe wandte er den Kopf nach den Frauen.
Ihre Münder waren geöffnet, die Augen groß.
Ifrah sagte etwas. Kein Laut verließ ihre Lippen. Nach einer halben Ewigkeit hob sie stattdessen die Hand, um zu deuten.
Eyas Gesicht zeigte einen Ausdruck reinsten Entsetzens, unverfälschter Erschütterung. Es machte sie, ging es dem Paladin närrisch durch den Kopf, eigenartig schön.
Er drehte sich um.
Wenn in freiem Land Gehöfte brannten, heimgesucht von Banditen oder erzürnten Steuereintreibern, sah man Ähnliches: Eine dicke, dunkle Rauchsäule, die sich in den Himmel schraubte, Fanal für lichterloh entflammtes Holz, umrundet von kläffenden Hunden und händeringenden Bauern.
Aber es gab hier nichts, das so brennen konnte. Die Rauchsäule hatte keine Quelle, doch sie war da, und noch während Menrad schaute, hörte sie auf, einer Rauchsäule zu gleichen.
Nicht allein ihre Form wandelte sich.
Zu Seiten des Gebildes begann die Luft zu tanzen, zu wabern wie unter immenser Hitze. Der Rauch zerfaserte, trat zurück hinter einen Umriss, zuerst aus durchsichtigem Stoff, vielleicht Gallert, vielleicht die Essenz der Visionen von Männern, die heiliger oder verrückter waren als er, Menrad, der nur stand und starrte. Nichts weiter tat er, hilflos, auch gegen die Empfindungen, die ihm eingegeben wurden, von außen, ohne sein Zutun.
Nackte Angst. Ergebenheit. Ungeistige und entfleischte Lust, Zeuge zu sein. Gier womöglich. Verwandtschaft mit allem, was lebendig auf der Erde umherkroch. Und, wieder, Angst.
„Was ist das?“, fragte er, einfach nur, um überhaupt eine menschliche Stimme zu hören.
Ifrah schüttelte den Kopf. Dann mit einem Mal, den Warnungen zum Trotz, die mit den Strömungen der fremden Gegenwart den Hang hinunterflossen, lief sie weiter, wie entseelt.
Wir sollten dort nicht hingehen.
Menrad folgte ihr.
An den ersten Ausläufern der zu großen, runden Blöcken zersplitterten Felsenmassen vorbei hasteten sie den Hügel hinauf, knietief, dann brusttief verloren im Sog, der sie lockte und gleichzeitig fortstieß. Sie wussten nicht, was sie finden würden.
Es zählte nicht länger, nicht, wenn der Ursprung des Rauchs und der Angst ins Diesseits gekommen war, um den Feinden dieser Welt entgegenzutreten.





Ich weiß nicht mehr, wer ich war.
Das Fleisch, der Leib, es sind Trugbilder einer kurzen Lebensspanne zwischen dem Wurf ins Licht und dem Aushauchen des letzten Atems. Sie lösen sich auf.
Der Verlust schmerzt immer. Aber Schmerz ist nur ein Preis für das Geschenk des Lebens.
Ich habe euch nicht vergessen. Auch wenn ich eure Namen nicht mehr kenne.
Geht mir weg mit Worten wie Selbstlosigkeit und Treue. Für meinesgleichen bedeuten sie wenig.
Meinesgleichen? Ach, die Erinnerung.
Soll ich lachen oder weinen? Soll ich uns bedauern, uns Wenige, die wir noch weniger zählen im Vergleich zu den Städten und den Völkern, oder soll ich, muss ich nicht froh sein, dass er aufgegangen ist, der Plan.
Nicht wahr, er ist es doch.
Nicht wahr, Shatryindjah?
Ich kenne dich nicht mehr. Mein Ein und Alles.
Es tut mir Leid, dich zu verlieren, mehr als Worte sagen können, aber schau, der Pfad, auf den du hernach deine Stiefel stellen kannst, wiegt so viel schwerer als die kurze Geschichte zweier Seelen.






Sein Haupt streifte den Himmel.
Weit unter ihm, seinen brennenden, gierig starrenden Augen, lag fester Boden. Er setzte den Fuß darauf, und der Boden trug. Er atmete die Luft ein, mit einem langen, rollenden, neugeborenen Atemzug, und sie erwies sich als ausreichend.
Freudlos verzückt schwenkte er die breite Stirn, die vielfach gedrehten Hörner, ausladend genug jedes davon, um die tagblinden Sterne vom Himmel zu schaben. Nein, nicht ganz. So groß ließ ihn der geliehene Leib nicht werden, und er lachte, tief in einer zerfetzten, sich erst formenden Kehle, die Blut über seine dichter werdende Brust versprühte.
Die ersten Augenblicke, in denen der braune Rauch aus dem scheinbaren Nichts Fleisch an sich zog, um Fleisch zu werden, waren aus der Handvoll Mensch, seinem Jünger, gut bedient. Das freiwillige Opfer tat, was nötig war. Nicht einmal eine Anstrengung des Willens brauchte es, denn auch der fremde Wille bediente ihn noch, ein geringerer Gefährte, ein blindes kleines Seelenlicht im Sturm zu seinen Füßen. Bis es ein letztes Mal aufflackerte und verging, hatte er Zeit, um sie zu kosten, diese ganz neue Speise.
Hingabe im Fleisch. Das Werden, das seinesgleichen nicht kannte.
Jenseits des Vorhangs war er. Der Stoff, aus dem die Welt ihre Kreaturen formte und an den sie ihre göttliche Hand mit anlegten, war er. Die Wucht des Werdens und Seins, ihr Schmerz, ihre Verzückung, ließen ihn erzittern. Der Boden erzitterte mit ihm.
Der Rauch hatte den Umriss vorgelegt, jetzt gebar er purpurnen, nassen Nebel und alle nur erdenklichen, im Sturm umherwirbelnden Formen, große und kleine, Abertausende: Fetzen von Fleisch, Fasern und Stränge von Fleisch, in Blut wie in kostbare Schleier gehüllt.
Sie kreisten und wirbelten nur zum Schein, sie reihten sich in einen Sog ein und strebten einem Ziel zu.
Was jedem Leben dieses unendlich lang gehüteten Nachbarlandes schreienden Schmerz bereitet hätte, bedeutete ihm keinen Schmerz. Was jedem Leben, das nicht nur schaute, sondern auch verstand, mit einem Anblick wie diesem den Geist geraubt hätte, bedeutete ihm nichts Schreckliches.
Er kam zur Welt. Kaum für lange, aber es war einerlei.
Er würde mit einem einzigen Schritt jenseits der Schwelle, über die er sich bequemt hatte, in den Osten zurückkehren, wenn alles getan war, sehr bald schon. Zu den dampfenden, mit Singsang bekränzten Tempelbauten würde er zurückkehren, zu dem grünen Wasser, das an ihren in die Flüsse gebauten Stufen leckte.
Der breite, noch knöchern nackte Schädel, über den Fasern und Sehnen und Horn erst hinkrochen, wandte sich nach Osten, grollend, düster, mitleidlos und sehnsüchtig.
Der Osten – ein Atem, ein Lied. Das Lied - ungezählte Stimmen. Die Stimmen – Münder derer, die ihn gerufen hatten durch einen von ihnen.
Bis zu den gebogenen Schenkeln hinauf in Rauch gehüllt, die Brust mit den knarrenden Rippenbögen ein Blasebalg, ließ er einen langsamen, langen Blick umhergehen.
Immer noch wuchs er, doch die Ströme von Fleisch, zu roh, zu sehr aus dem rasch zerfallenden Stoff der Erscheinungen und Visionen gefertigt, wirkten nun an seiner endgültigen Form, nicht mehr an seiner Höhe oder Masse. Er war wahrlich groß genug. Unter dem Boden dieses Landes krachten tiefliegende Höhlen schon, dicht davor, unter seinem Gewicht einzustürzen.
Die See, die ihn auf dieser Welt vom Osten trennte, glich einer blassblauen Seidenbahn, sacht gebogen am Horizont. Klein lag die Menschenstadt vor ihr, und bis zu ihren Mauern reichte das andere Meer – die Fremden, derentwegen er gerufen worden war. Mit einem flüchtigen Gedanken erfasste er sie.
Sie waren stark, grausam, mächtig, auf geistlose und ungestüme Weise lebendig. Sie ähnelten ihm.
Er hätte sie zu seinen Kindern machen können, in einem anderen möglichen Lauf der Dinge. Winzig wie waffenstarrende Ameisen bedeckten sie den flachen Talkessel, zu seiner Linken, nun da er sich umgewandt hatte.
Wahrlich, sie hätten Kinder eines neuen, rücksichtslosen Triumphs sein können, Diener, Handlanger des Blutes, von dem er sich neben weiteren Dingen nährte. Eine Weile schaute er auf sie herab und auch auf die verzweifelten Ströme, die sich ihnen entgegendrückten. Tod sprang wie Flammen aus dem Wimmeln dort unten. Es schrie und zappelte, für ihn sehr leise, sehr erheiternd.
Versuchshalber brüllte er, finster erfreut von dem Ton, der hervorkam. Die Wüstenluft dehnte sich und bebte. Lang würde sie ihn nicht hinnehmen müssen, doch ein ums andere Mal sollte sie ihn hören – das, was keinem Ohr, ob menschlich oder fremder, vertraut und eine Kampfansage war.
Ich verkünde den Krieg.
Durch mich wird er vollkommen.
Euch verkünde ich ihn, die ihr hergekommen seid. Ihr müsst mich nicht kennen. Ihr werdet lernen, mich zu kennen.
Dies dort sind meine und unsere Kinder, ältere Kinder. Ihrer ist das ältere Recht. Euer ist nur die Schwere des Fehlers, euch gegen sie gewandt zu haben.

Die erste wirkliche Schritt ließ Felsen fortrollen. Andere zerkrachten zu Staub, während die Welt sich in einen Pulsschlag verwandelte, den er von nun an beherrschte.
Er hob sich in voller Größe über den Hügelkamm, angenehm behängt mit dem Gewicht des neuen Leibes, und sah die Macht seiner Erscheinung sich gleich Wellen ausbreiten. Weit dort unten blies sie Steine fort, Sand, Luft, selbst die Ursprungshitze dieser Lande, und mit all dem auch das Leben, das töricht genug gewesen war, nicht zu fliehen.
Er machte keinen Unterschied zwischen Haut und Fell und Horn. Längs seines Weges mussten sie selber sehen, ihm nicht in die Quere zu kommen. Aber er richtete seine nässenden Augen unbarmherzig auf das schwarze Gewimmel in der Ebene, ganz einerlei, ob es mit Silber oder Kupfer durchmischt war oder fleckenlos stand und bald hierhin und dorthin stürmte, betäubt, schließlich rasend in namenlosem Entsetzen.
Seelenlichter zerflackerten unter seinem Auftreten. Den Hügelkamm zwischen den Beinen, rauchend, mit wimmelnden Flanken, ragte er über der Ebene auf, ein wandelnder Gott, Fliehende zu Füßen wie ein Ehrengeleit. Selbst im Osten, wo man ihn verehrte, vergaß niemand, dass er zur selben Zeit Herr des Guten wie des Bösen, ein Segen und zugleich eine Plage war, und wie eine Plage kam er über die Gegner der Kinder dieser Welt.






Einige Klafter weit kamen sie nur.
Ifrah lief, was ihre Beine hergaben, den von Schweiß und Staub getrübten Blick auf die Bewegungen zwischen den Felsen geheftet. Sie wollte laufen und wachsam sein, doch ihr verfluchter Körper wog mit einem Mal so viel, und sie sah nichts als vorbeiziehende, rostrote Steinbuckel und gelegentlich einen schwarzen Schatten. Sie sah bei weitem nicht genug.
Man spürte die Gegenwart der Dämonen ringsum, hörte das Hasten wuchtiger Leiber, wie sie über den Sand rannten und sich im Lauf an Felsen rieben, auch sattere Geräusche, wo Schweres auf Schweres prallte.
Sie fliehen, doch warum treten sie nicht aus unserer Sphäre, wie sie es schon früher taten?
Ungeheure Hast war auf allen Seiten, in diesem Labyrinth auf einem ansteigenden Hang, aber seltsam und beängstigend stumm, ohne Worte, ohne mehr als ein eiliges Zischen und das seltenere Grollen der Säbelkatzen, die ihre Gegner verfolgten.
Irgendetwas treibt die Dämonen fort. Ifrah maß den vor ihr liegenden Teil des Hanges mit einem flüchtigen Blick, den Stab abwehrbereit erhoben.
Von hier aus sah sie die Erscheinung nicht mehr.
Doch sie war noch da, spürte die Magierin, und dachte sie an die Vorfälle in Kurast, wuchs ihre Angst rascher als ihre Hast. Es war nicht nur Kurasts wegen.
Es ging um Hadan.
Er hatte sie vollbracht oder zumindest begonnen, die Tat, auf die er sich – Ifrah begriff es, als habe nie der geringste Zweifel daran bestanden – vorbereitet hatte, heimlich, zwar nicht unter Lügen, aber in seiner ihm eigenen einzelgängerischen, starrsinnigen Art.
Aber warum ohne uns? Warum so weit fort von Lut Gholein? Haben wir nicht oft genug bezeugt, was deine Fähigkeiten aus dir machen? Und vor den Menschen der Stadt hätten wir dich doch beschützt. Selbst die Barbaren Herlacs hätten dir mittlerweile den Rücken freigehalten und dich verteidigt.
Als sie eben dies zuende gedacht hatte, streifte sie ein furchtbarer Verdacht.
Doch es kam nicht dazu, dass sie stehen bleiben und ihre zwei Gefährten rufen konnte.
Über ihnen, irgendwo auf der anderen Seite des Hanges, dort, wo er zur endlosen Fläche der Wüste wurde, zerbrach die Stille so plötzlich, dass sie taumelten.
Menrad, zwei Schritte entfernt, hielt mit Mühe sein Gleichgewicht. Eyas schwarze Silhouette gefror, und die leichtfüßige Assassine strauchelte. Sie rollte sich ab, kam dann hoch, als habe man sie mit einer Nadel gestochen. Ifrah selbst prallte seitlich gegen einen Felsen.
Der Laut, den sie hörte, verschluckte den dumpfen Schmerz.
Unsichtbar brüllte eine Kreatur, dass die ganze weite Luft zu ihren Köpfen mit dem Ton erzitterte, dass man meinte, die Felsen müssten bersten, gleich nach dem eigenen Herz. Es war ein Laut, wie sie ihn fürchten gelernt hatten – keine Stimme und kein Tier, das schrie, sondern ein Wesen von anderer Art.
Ihr gütigen Gestirne.
Das Brüllen dauerte an. Drei, vier Atemzüge lang.
Dann verrollte es wie Donner, und Stille folgte. Doch es war nur der Gegensatz, die Stille nach dem Sturm, und keine wirkliche.
Wind seufzte. Weit über ihnen zischte die Luft, und der Boden bebte ein weiteres Mal.
Noch bevor ihr bewusst wurde, dass es Atemzüge waren, die sie hörte, begriff Ifrah die Erschütterungen.
Unweit von ihr und den Gefährten bewegte sich etwas. Es musste ungeheuer groß sein.
Mit sich überschlagenden Gedanken suchte Ifrah in den Gesichtern der beiden Anderen nach einem Funken der Entschlossenheit, ganz gleich zu welchem nächsten Schritt, Weitergehen oder Flucht. Aber auch ihre Vertrauten, sah sie, nagelte die Entgeisterung dort fest, wo sie standen. Und da hauste in dem Fremden und Grausigen des Pulsschlages, den die neue Macht über die Wüste geworfen hatte, immer noch das Flüstern einer vertrauten Seele.
Ifrah erkannte den Widerschein dieser Seele in Eyas Augen.
Sie hingen fragend an ihr und wandten sich dann dem Kamm des Hügels zu.
Auch Menrad musste ihren Ausdruck bemerkt haben, der von Angst zu Besessenheit, fast zu Wahnsinn, wechselte. Der Paladin fiel der jungen Assassine in den Arm, als sie weitereilen wollte – blind den Hang hinauf.
Sie wand sich, aber Menrad, ihr mühelos überlegen, wenn es um reine Körperkraft ging, hielt sie fest. Ifrah sprang hinzu.
„Eya, nein!“
Das Grollen und den entsetzlichen Atem in den Ohren, griff sie nach dem schlanken Arm ihrer Freundin und erschrak ein zweites Mal über Eyas Augen.
„Eya, nein“, wiederholte sie, abwesend erstaunt darüber, dass es wie ein Aufschluchzen klang. „Das ist nicht Hadan, Liebes.“
Das weißt du nicht!, tobte es in den schwarzen Pupillen. Ihrer aller Atem pfiff.
Doch als schwanke auch sie im Innersten, ließ sich Eya mit zurückziehen. Menrad sicherte die Umgebung, spähte umher und zurück, ohne verbergen zu können, wie verstört er war.
Plötzlich glitt seine Hand, die Eyas Oberarm gehalten hatte, ab.
„Beim Himmel“, flüsterte er.
Ifrah folgte seinem Blick.
Und da war es, der Ursprung alles Fremden, all des Fliehsandes unter ihren Stiefeln, er, der Verursacher dieser lebendigen Angst, höher als irgendein Turm auf Sanktuario, obwohl er sich nicht voll aufgerichtet hatte und gesenkten Hauptes über der Wüste aufragte.
Die Luft um den gewaltigen Leib schimmerte, Brandluft, durchsetzt mit Asche, die von ihm abfiel wie von bröckelnder Glut. Rauchschwaden stiegen auf. Der Himmel hatte sich zur Feier seiner Ankunft nicht verdunkelt, doch seine Farbe stimmte nicht mehr, ebenso wenig wie am vorigen Tag. Da war sie schwefelgelb gewesen, nun ähnelte sie einem blassen Fleischton, kupfern an den Felsenrändern. Das helle Blau war beinahe erstickt, und der Koloss hielt unbekümmert seinen Schädel hinein, ein Reisender, der erstmalig Geruch und Farben eines unbekannten Morgens an sich zieht.
Die schiere Größe der Kreatur hielt nicht Schritt mit ihrer Erscheinung.
Ifrah war sie nur aus rankenüberschatteten Winkeln und altehrwürdigen Gewölben nicht selten verbotener Heiligtümer eines anderen Weltteils vertraut. Sie hatten ihn gut eingefangen, musste sie den Handwerkern vergangener Jahrhunderte zugestehen. Der Gedanke allein schrumpfte vor dem, was geschah, zu einem irren kleinen Lachen.
Woher hatten sie ihn gekannt, diesen Zwitter aus Mensch- und Ziegengestalt, woher, wenn nicht aus den murmelnden Worten der nekromantischen Welt? Denn halb Riese, halb Ziegenbock war er, der Koloss über der westlichen Wüste, zweite Offenbarung des blutjungen Zeitalters.
Ob ihn eine Macht nur unvollständig hatte erstehen lassen oder ob dies seine endgültige Erscheinung auf dieser Welt war, blieb ein Mysterium. Ifrahs Augen sahen, dass der Leib, der sich auftürmte wie ein aufrecht hingestellter Landrücken, an Verwesung und Wunden litt. Nein, vielleicht litt er nicht, doch dunkles Fell und graurote Haut, räudig, unregelmäßig gewachsen, zeigten Löcher, aus denen es hervorglomm, zahllose Risse, aus denen es blutig troff, und wo Rippenbögen eine knochige Brust aufspannten, war die Haut kaum mehr als ein Kettenhemd, straff gespannt über qualmendem Rot, halb Fleisch, halb Feuer gewiss.
Er besaß den Schädel einer Ziege ohne Lippen und Nase. An ihrer Stelle bleckte ein schwarzer Zaun aus Zähnen unter einem zerklüfteten Feld, das kein wirkliches Riechorgan erkennen ließ, nur flache, tiefe Löcher. Sie blähten sich.
Die Kreatur atmete. Sie lebte, sie entstammte keinem übergroß gewordenen Alptraum. Sie gehörte der Wirklichkeit an, und nun spürte Ifrah auch die Hitze, die zwischen den Felsen herankam. Der Gestank des Todes begleitete sie.
Mit Augenkugeln unbestimmter Farbe, von Brauen überwölbt, die ihnen gemeinsam mit der fehlenden Iris oder Pupille einen grausig starren, nackten Blick verliehen, spähte die Erscheinung umher.
Sie schaute nicht herab, wo weit unter ihren gebogenen Flanken, weit unterhalb ihrer unförmigen Klauenhände, die Wüste und alles Leben in Schrecken erstarrte. Sie schaute auf die Ebene vor Lut Gholein.
Obgleich Ifrahs Verstand vor dem, was sie sah und vor jedem Versuch, es zu begreifen, zurückschreckte, schien ihr mit einem Mal, in dem gewaltigen Antlitz dort oben blitze Hass auf, und sie könne erraten, wem er galt.
Der Stab lag fühllos in ihrer Hand. Eyas Bewegungen waren erlahmt. Sie stand neben Menrad, der sie losgelassen hatte und wie sie hinaufstarrte.
Wir alle wissen, wen wir sehen.
Pakhra.
Auch Menrad wusste es. Sein erblasstes Gesicht mit den fiebrigen, leeren Augen war nicht schlimmer anzuschauen als das Eyas. Dennoch bemitleidete ihn Ifrah in dieser Stunde auf besondere Weise, tief unter Hast und Not.
Die Wüste und der Osten waren nicht verbrüdert.
Der Handel und die ungeordneten, weniger im Ideal als in den Leidenschaften wurzelnden Hintergründe des Glaubens aber hatten sie einander stets nahe gehalten. Die Einen verehrten die Gestirne, die Anderen, was sie in Landschaft, Witterung, Leben und Tod, in Tieren und Träumen zu erblicken meinten. Da konnte man sich gegenseitig nicht lange als Narren beschimpfen, ohne dass einem die Begründungen ausgingen, und Gelegenheit, sich zu hassen und über den Glauben der Nachbarn, die ein Meer von der eigenen Türschwelle trennte, erschüttert zu sein, ergab sich oft genug im Krieg.
So führten die Wüstenvölker die Götter des Ostens als wunderliche Legenden durchaus im Munde, und die Verse von Badr und Junah fanden sich in den Schriften wieder, die Generationen gelehrter Männer vor der Fäulnis des feuchten Urwalds zu bewahren versucht hatten.
Für Menrad aber musste ein Weltbild zusammenstürzen, eine in Fleisch und Blut übergegangene Sicht der Dinge, die sich mit einem Schlag als nichtig und irrig erwies.
Es zeigte sich in seiner ganzen Gestalt. Um kein Jota verrückt, wirkte der Paladin auf einmal entkräftet, ausgehöhlt, und vielleicht war es nur die Unmöglichkeit, zu verstehen, die ihn langsam und hilflos den Kopf schütteln ließ.
Das kann nicht wahr sein.
Doch das war es. Sie spürten es ja. Alle Säbelkatzen waren geflohen, weiser als sie oder die Dämonen, ausgestattet mit einem älteren Sinn für Chaos und Wunder.
Auch für Gefahr. Die Magierin zuckte.
Schweiß lief ihr über die wundgescheuerte Haut. Ihr Körper antwortete, wo ihr zu menschlicher Verstand noch zögerte, selbst im Angesicht eines leibhaftigen Gottes.
Pakhra. Hadan hatte seinen Gott gerufen, und er war gekommen.
Es handelte sich nicht um einen Gott der Güte und der Rücksicht. Wie viel von dem Nekromanten in die Kreatur dort über ihnen hineingeflossen war, wussten sie nicht, und ebenso wenig, ob er überhaupt noch lebte.
In Menrads und Eyas Gesichtern dämmerten dieselben Gedanken herauf.
Als der Boden erneut erzitterte, regten sie sich endlich.
„Wir müssen weg von hier“, hörte Ifrah sich krächzen. Sie bereitete sich darauf vor, gegen Eya anzutreten, die womöglich versuchen würde, dorthin zu gelangen, wo ihr verlorener Gefährte in der Wüste verschwunden war. Doch die Seelenqual auf dem zarten Gesicht schaute kaum noch unter grenzenlosem Entsetzen hervor, und als die beiden Anderen von dem turmhohen Dunst, der die Beine und Füße des Gottes umkleidete, zurückwichen, folgte sie.
Wie sie in die umkämpfte Ebene fanden, erinnerte Ifrah später nicht mehr.
Sie flohen, weg von dem wenigen Vertrauten, was sie vielleicht in die Nähe des Hügelkamms gelockt hatte. Es mochte sein, dass dieses Vertraute in ihnen starb, denn sie schauten sich nicht mehr um.
Sie rannten wie besinnungslos, bald von den Staubschleiern eingeholt, rannten keuchend, mit aufgepeitschtem Herzschlag und auf immer wieder bebendem Boden.
Neben ihnen und ringsum floh alles. Menschen, Dämonen, letzte Säbelkatzenwächter von ferneren Hügeln.
Schwarze Ungetüme, die sie vor wenigen Augenblicken noch um jeden Preis niedergehauen hätten, bildeten Züge, Ströme aus Fliehenden, und es war nur eine geringe Befriedigung, dass die Eindringlinge endlich begriffen hatten – spät, so wie sie selbst.
Vor der Wut und der Gier hinter ihnen gab es keine Nachsicht und keine Unterschiede.
Pakhra folgte ihnen. Sie lasen es an den Erschütterungen ab, stürzten in die Ebene hinunter, wo die Schlacht noch in zähen Zuckungen lag, durcheinandergeraten, aber mit ihnen, als seien sie Boten einer Wende, endete auch das.
Ifrah erhaschte Blicke auf von Rauch halb unkenntlich gemachten Massen von Gegnern und Verbündeten. Sie alle sahen, was die Ebene betrat. Das Geschrei, in das die Gefährten wieder eintauchten, veränderte sich zu einem einzigen Ton sinnlos herausgeheulten Entsetzens.
Sie, die drei Gefährten, waren die Einzigen, die die riesige Schreckgestalt einordnen konnten, die den Barbaren und Paladinen hätten zurufen können, dass sie die fürchterliche Verbrämung einer dritten Kraft war, die sich zu ihren Gunsten einmischte. Aber was hätte diese Nachricht bedeutet? Bleibt stehen und habt Vertrauen? Hofft, dass ihr nicht mit hinweggerafft werdet, hofft, dass von dem Mann, der dies getan hat, noch genug übrig ist, damit dieses göttliche Monstrum euch nicht zu Asche verbrennt?
Denn Pakhra, wusste Ifrah, während sie lief, ohne zu wissen wohin und mit der tränenüberströmten Eya an ihrer Seite, war gekommen, um zu vernichten.
Einzig und allein aus diesem Grund war er hier. Es musste etwas geben, das ihn gelockt hatte – eine Beute, Wert genug, die Mühe der Gestaltwerdung auszugleichen.





Die Menschen vor und in Lut Gholein kämpften nach dem Verklingen der ersten, verzehrenden Furcht mit verzweifelter Ausdauer. Sie hatten mitangesehen, wie das zusammengewürfelte Heer der Verteidiger, das zu zwei Dritteln aus Landesfremden bestand, zerrieben und in die Ebene hinausgezogen worden war, doch als es dazu kam, hatten die Hauptleute das Tor bereits öffnen lassen und die in der Stadt verbliebenen Soldaten hinausgeführt, schreiend, mit gezückten Säbeln.
Mochte das Tor offen stehen. Es würde ohnedies nicht halten.
Die Mauern, dahinter die Häuser, die Gassen, der verwaiste Palast – sie waren, was sie verteidigen würden, einerlei, wie schlecht es stand, und niemand gab sich mehr Hoffnungen hin.
Lut Gholeins letzter Tag war in Gestalt dieses wimmelnden schwarzen Heers gekommen, das ihr geliebtes Land überrannte. Doch sie fielen, schrie es aus bärtigen Gesichtern – und unter ihnen waren viele Nomaden und einige zurückgekommene Fremdlinge – lieber mit dem Schamschir in der Hand, als in der Enge der Gassen von Verfolgern niedergetrampelt oder von Feuerbällen zerschmettert zu werden.
Unermüdlich beschossen die Männer auf den Mauern die dichteste Schwärze unter ihnen mit Pfeilen und Bolzen. Sie verfolgten, wie die Katapulte seltene Breschen in die Masse der Gegner schlugen, und die Hügel oder der Horizont waren nichts, was in ihren Herzen noch Platz hatte. Dann und wann jedoch spähte einer der wenigen Hauptleute, die noch auf dem Wall standen, zu den Rändern der geschwärzten Ebene hinüber, um einen weiteren Blick auf die Übermacht oder die Bewegung der Feinde zu werfen.
Sie waren somit die Ersten, die die Erscheinung sahen.
Zunächst glich es nur dem Auswurf eines großen Brandes, und dies war, seltsam oder nicht dort draußen, schwerlich genug, um sie von Geschrei und Kampf und Tod abzulenken. Doch der Himmel färbte sich gelblich, dann kränklich rosa über der Rauchsäule, und als diese Veränderung über die gesamte Länge der Hügel kroch, war sie nicht länger auszusparen.
Ein sonderbares, schleieriges Licht beschien die Ebene jetzt.
Kurz darauf erschien der Gott auf den südwestlichen Hügeln.
Während eine neue Angst Lut Gholein überfiel und das Gellen auf den Mauern und in den Gassen anhob, wo die Leute einander zeigten, was sie erspäht hatten, während sich Gebete unter das Gebrüll mischten und Viele wie erstarrt auf den Dächern standen, wandte sich der Gott der Ebene zu.
Das kleine Gemenge von Häusern am Ufer kümmerte ihn nicht.
Ihn kümmerte einzig, was zu seinen Füßen rannte und kroch, wild hin- und herlaufend, kopflos, blind in rasender Panik, denn kein Geschöpf auf Meilen hinaus übersah ihn länger. Selbst jene, die am dichtesten im Schlachtengedränge steckten, mussten durch das Dröhnen seines Auftretens stutzig werden, und sobald sie sich umwandten, ließen sie ihre Waffen und Gegner fahren. Manchen raubte der Anblick den Verstand. Andere beteten mit tauben Lippen. Die Meisten versuchten zu fliehen.
Das Dämonenheer, das seiner Ankunft bereits früher als viele Menschen gewahr geworden war und sich darüber zerstreut hatte, unternahm eine große Anstrengung, sich zu sammeln und vereint in die Hügel zu entkommen. Ein Grollen, das in Wahrheit ein Lachen war, fuhr über ihre schwarzen Wellen hin. Nichts auf diesem kargen Boden hatte die Macht, ihm zu entgehen.
Da mochten sie rennen, soviel sie wollten. Da mochten sie versuchen, sich in die Nachbarebene davonzustehlen, wie sie es zuvor getan hatten, nicht ahnend, dass seine Macht sie zurückhielt. Der Boden, nach dem es sie so sehr verlangt hatte, geriet zu ihrem Untergang.
Lässig, gelangweilt beinahe, senkte der Gott seinen Huf in die Ausläufer des schwarzen Heers. Wo er aufsetzte, verkohlte die Erde. Felsen zerbarsten wie Geschosse. Die Hitze erfasste alles im Umkreis vieler Dutzend Schritte, alles im Schatten seiner turmhohen Hinterläufe.
Immer noch rannten sie, und sie vergingen, ein kleiner Aufschrei von Seelen. Mehr starben mit seinem nächsten Schritt, wo das Schicksal sie dichter aufeinandergehäuft hatte.
Der stöhnende Boden zog die fallenden Leiber gnadenlos an sich. Glut und herabrinnendes, dunkles Nass fielen in Brocken und schweren Tropfen längs des Weges, den der wandelnde Gott beschritt.
Nicht nur schwarzes Gewimmel verendete, auch Silber und Bronze, Braun und Gelb verendeten, wo es mit dem gegnerischen Schatten vermischt und nicht rasch genug geflohen war.
In der Mitte der Ebene blieb der Gott stehen und brüllte, der Stadt, die sich hinter und vor den Mauern duckte, und den Kreaturen zu seinen Füßen zum Entsetzen.
Vernichtung brach sich Bahn und war für ihn nur ein Blinzeln. Was an Dämonen zurück Richtung Westen flüchtete, zurück zu dem Tor, das niemand, nicht Mensch, nicht Dämon, nicht Gott, zu schließen vermochte, zerstäubte zu grellen Schreien und Blut. Einmal auch, um mit den Kräften in dieser Welt zu spielen, beugte sich der gewaltige Leib sacht zur Erde, öffnete den Rachen, der weiter aufklaffte als ein Dorf groß war, und spie Feuer über die Ebene.
Niemand dort unten konnte wissen, an welchem Punkt der Geist in dieser ungeheuerlichen Erscheinung sein Eingreifen als ausreichend ansah. Es mochte auch sein, dass der Stoff, aus dem er gemacht war, und die Macht des Paktes ihn nicht länger hielten. Oder es war möglich, dass ihm die Lust am Töten verging, dass er ebenso launisch war, wie seine Jünger ihn sich stets gedacht und ihn seit jeher erfahren hatten.
Niemand dort unten verschwendete einen Gedanken an den Grund.
Sie waren zu eifrig damit beschäftigt, zu rennen, zu bluten, zu sterben, ihrer entflohenen Sinne wieder Herr zu werden oder einfach nur dazustehen und zu starren.
Der Gott wandte sich ab.
Die Stadt und das Meer im Rücken, tat er noch einige Schritte. Der letzte endete hinter dem Hügelkamm, der Ort seiner Geburt geworden war.
Hier begann er zu zerfallen, Horn in Horn, Panzerplatten wie rutschende Dachschindeln, Fleisch in verkohlenden Fetzen, unter denen bald blanke, fahle Knochen hervorsahen und zersprangen, Blut und Fellstücke, alles herabtaumelnd und zu Asche zerstäubend, bevor es den Sand berührte. Die riesige Gestalt sank in sich zusammen.
Doch es geschah langsam. Im Inneren des Schädels erlosch das Brennen der Augen, aber es glomm noch, Wachfeuer einer wieder aufgenommenen Unterhaltung.
Es zählte nicht, dass das Gegenüber nicht sprechen konnte.
Es hörte zu. Es musste zuhören, ohne Wahl, ohne Form, Funken in einer lose geballten Klauenfaust.
Das Zeichen im Sand war zertrampelt und gab den gerufenen Gott frei.
Es ist getan.
Du besitzt keine Stimme mehr, doch ich weiß, du dankst mir.
Danke mir nicht zu früh, Sohn des Pakhra. Ein Heer habe ich abgewendet und vernichtet, und seine Seelen waren mir in der Tat ein Wald aus Lichtern und ein Festmahl, doch ihr Tor, das das ihre genannt werden wird, solange ihr es nicht zu eurem macht, verbleibt in diesem Land als ewige Drohung.
Wir sind nun eins, du und ich. Was du warst, ist vergangen.
Ein Leichtes wäre es mir, es dabei zu belassen. Immerhin aber hast du einen Weg geöffnet, wie er auf dieser Welt nie zuvor begangen wurde, und aus diesem Grunde und auch, weil ein kleines Geschöpf dem Herrn eines Tempels auf dessen Stufen lieber sein kann als in den Bildersammlungen, sollst du gehen. Als mein Geschöpf, ganz und gar.
Ich erwarte deine Demut.
Zeigst du sie nicht, werde ich dich bestrafen. Vergiss das niemals.
Doch ich gewähre dir, mein Jünger, bevor du meine Bedingungen hörst, einen Wunsch.
Was du in der Brust trägst, kann dir nicht genommen werden. Täte ich es, du gingest zugrunde.
Deine Augen kann ich dir nehmen, dies allerdings. Diese Augen, die dich so sehr von deinesgleichen unterscheiden und dich auf ewig hässlich machen.
Da du dies aber nicht wünschst, wird es dies andere sein.
Wohlan. Solange sie leben, werde ich mich ihnen nicht nähern.
Du indes wirst mein Jünger bleiben, und höre, was du tun sollst als Entgelt für meine Mühen und zur Vermehrung meines Ruhmes, als Beweis meiner Großmut gegen dich und deine Art und als Warnung für kommende Geschlechter, die so leicht vergessen.
Bau mir einen Tempel, Hadan Sakudhra.
Bau den größten Tempel, den diese Welt je trug, und bau ihn hier, auf diesem Land, auf dieser Seite des Meeres. Tu es gut, und tu es bald.

Der Leib zerfiel in Asche.
Er sank in einer Wolke, als schraube sich die Rauchsäule, aus der er entstanden war, zurück in die Erde.
Nichts als Sand blieb, durcheinandergeworfen in einem verebbenden Sturm. Er war voller Gestank und einer Gewalt, die ihren Ursprung, der sich eben erst abgewandt hatte, in jedem Luftwirbel und jedem Korn trug.
Doch auch dies zerfiel zu Asche und verwehte.
An der Stelle, an der ein Zeichen und ein wenig Blut noch schwach im Sand erkennbar waren, blies der Staub über einen einsamen Körper. Bevor er ihn zudecken konnte, kamen die Gestalten aus der Wüste heran.
 
juhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!!!! *les* *bitte nit stoeren schildi raushaeng*

edit: boah....... so spannend! hats hadan also doch noch geschafft *froy* phew... das war echt eines der spannendsten kapitel find ich :) weiter so :top:

lg tigerle
 
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