Für die Reisenden waren die Wochen in den Werkstätten eine Zeit voller Wunder. Nie hätten sie es für möglich gehalten, wie tiefgreifend und fundamental die Realität verändert werden kann. Und noch etwas Gutes brachte der Aufenthalt in Gun-Dhark: Einer der gnomischen Baumeister hörte von dem Mißgeschick, daß einem der Reisenden zuteil geworden war, indem er durch den Angriff der Todesfürsten eines vorzeitigen Ablebens teilhaftig wurde. „Das können wir reparieren.“ meinte er nur und machte sich dann gleich daran, mit einigen Kollegen eine Art Feuergolem zu basteln. Aber im Gegensatz zu den Feuergolems, welche die Totenbeschwörer normalerweise beschwören, war dieser ungefähr einen Kopf größer, und er leuchtete in einer intensiven blauen Flamme. Dann begannen die Gnomen zusammen drei der Nekromanten ein kompliziertes Ritual, in dessen Verlauf der Geist des Verstorbenen, der ja die Reisenden weiterhin begleitete, mit dem Blaufeuergolem verbunden wurde. Am Schluß hatte der Golem sogar die Gesichtszüge des vormals Toten angenommen, bis hin zu der Drachen-Tätowierung im Gesicht.
„Es tut gut, wieder unter den Lebenden zu weilen.“ sagte er, als er sich den Rest der Reisegruppe wieder anschloß. Seine Stimme klang tief und rauchig und knisterte auch etwas. „Oh, wir machen so etwas von Zeit zu Zeit, wenn wir auf einen unserer Konstrukteure durch einen Arbeitsunfall verlieren. Der neue Körper ist robuster und kräftiger als dein alter menschlicher und sollte mindestens noch 150 Jahre halten. Aber er ist weder unsterblich noch unverwundbar, darum mußt du schon aufpassen und solltest kein unnötiges Risiko eingehen.“ „Hm, das ist gut zu wissen.“ entgegnete der Angesprochene, „wenigstens kann ich mit diesem Körper alles machen, was ich mit dem alten auch konnte. Und sogar noch ein bißchen mehr.“ Woraufhin er eine lange dünne Flammenzunge aus seiner rechten Hand hervorschießen ließ und wie mit einer Peitsche einen Ast von einem nahestehenden Baum hieb. Dann zog sich die blaue Flammenpeitsche wieder zurück und wurde zu einem flammenden Schwert in seiner Hand, mit dem der Nec einige Streiche führte, bevor es wieder verschwand.
Als sie wieder aufbrachen, folgten sie einer neuen Spur. Einer der Gnome war kürzlich von einer langen Reise aus dem Süden heimgekehrt. Er hatte Gerüchte aufgeschnappt, daß in Lut Golein anscheinend seltsame Dinge geschehen waren; es wurde von dämonischen Machenschaften geflüstert. Aber ebenso plötzlich, wie sie begannen, sollen diese unheimlichen Ereignisse auch wieder geendet haben - als hätte sie jemand abgestellt. Und so lautete das neue Reiseziel: Lut Golein.
Die Gruft materialisierte am frühen morgen einige Kilometer außerhalb der Stadt in der Wüste, die seit dem Ende der dämonischen Brüder wieder sicher war. Von dort machten sich die Reisenden in die Stadt auf, die sie am Vormittag erreichten. Die Stadt barst vor Leben und Geschäftigkeit! Seit die Straßen und Wege nach dem Ende der Brüder wieder gefahrlos benutzt werden konnten, war der Handel zwischen den Reichen des Westens und den alten Städten des Ostens sprunghaft angestiegen, und der Knotenpunkt, den alle Karawanen passieren mußten, kamen sie nun aus dem Osten über die Zwillingssee oder aus Khanduras im Westen, war die Hafenstadt Lut Golein. Überall sah man Angehörige der verschiedenen Völker ganz Sanctuarios in den Gassen der Stadt.
Den ganzen Tag bummelten die Reisenden durch die geschäftige Stadt und versuchten, Gerüchte aufzuschnappen oder näheres über die seltsamen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit zu erfahren. Leider blieben sie erfolglos, bis ihnen plötzlich der Zufall zu Hilfe kam. Gegen Abend trafen sie nämlich eine alte Bekannte wieder: Die Lehrerin aus Kurast, die sie in der Schule der Paladine kennengelernt hatten, war gerade dabei, mit einem Händler über Preis einiger Schaufeln, Pinsel und Siebe zu verhandeln. Sie war hoch erfreut, als sie die Totenbeschwörer und ihre Begleiter erkannte, und gemeinsam ging man in eine Taverne. Dort erzählte sie, was sich vor einigen Wochen in der Stadt ereignet hatte:
„Plötzlich verschwanden Menschen. Man fand sie nach einigen Stunden: tot und schrecklich zugerichtet. Auf ihrer Brust war ein Zeichen eingeritzt. Es sprach sich schnell herum, daß es das Zeichen eines Kultes von Dämonenanbetern war, der als der Kult der Geschwister bekannt ist. Dort werden zwei dämonische Geschwister verehrt, die Dämonin Ma-Phack und ihr Bruder, der nur als der Herr der fünf Sterne bekannt ist. Ihre Anhänger glauben, daß diese Dämonen ihnen übermenschliche Fähigkeiten und Segnung verleihen: das dritte Auge, das einem übersinnliche Wahrnehmung verleiht, oder Schutz in allen Gefahren, daß man in der Stunde der höchsten Not augenblicklich an einen sicheren Ort gebracht wird, oder einfach sagenhafter Reichtum. Diese Idioten! Die Einzigen, die von diesem Kult profitieren, sind ihre Anführer. Ihre gutgläubigen Anhänger werden ausgeplündert und schließlich beseitigt. Täglich fand man nun neue Leichen, in der abgelegenen Gassen, in der Kanalisation, vor den Stadtmauern hastig verscharrt im Wüstensand. Doch nach einer Woche endete es plötzlich. Keine neue Leichen, keine neuen Vermißten. Ich habe in diesen Tagen eine junge Frau beobachtet, die mit einer Karawane aus dem Westen kam. Sie trug einen Burnus, wie er in der Wüste üblich ist, aber ich bin mir sicher, unter diesem war sie mit einer dunklen, eng anliegenden Rüstung bekleidet. Meiner Ansicht war es eine Assassine, und sie war gekommen, um den Kult auszumerzen!“
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