Kapitel 32 – Rückkehr
Pfeifend schlendert der Meister durch die Gänge aus versteinerten Alpträumen, mit Mühe schleppe ich unseren Körper hinterher wie durch in Totenstarre gefallene Eingeweide ermordeter Riesen. So widerspenstig ich in jüngster Vergangenheit teilweise war, gegen den schieren Unwillen des Zweiten, irgendwas zu tun als in der nächsten Ecke einen kleinen Ball zu formen und leise zu sterben, ist es schwer anzukommen. Es ist nicht einmal so, dass er mich körperlich zwingen würde, gegen ihn anzukämpfen; wir streiten uns auch nicht um die Kontrolle. Im Gegenteil, er ist so zurückgezogen in sich, dass ich seit Langem überhaupt keinen Gedanken mehr daran verschwenden muss, ob er mir nicht gleich in den Rücken fallen wird und mich Dinge tun lässt, die ich gar nicht will.
Aber von seiner unleugbaren Präsenz in meinem Geist gehen ständige Wellen schwärzester Gefühle aus, die mich lähmen, als würde ich gegen sie anschwimmen müssen. Furcht. Nein, Panik. Terror. Verzweiflung, aber mehr noch, es ist keine enttäuschte Hoffnung – es ist die absolute Gewissheit der eigenen Ohnmacht. Ich kämpfe schon länger dagegen an, dass mich so etwas Ähnliches überfällt, aber der Zweite hat offenbar diesen Kampf schon vor hunderten von Jahren verloren, als sein Meister noch diese Hallen durchschritt mit dem gleichen unerschütterlichem Selbstvertrauen, das der meine jetzt an den Tag legt. Und deswegen sind alle diese fürchterlichen Gefühle eigentlich nur an der Oberfläche, die Lackierung über einem banalen und deswegen gerade für
mich absolut entsetzenden Kern: Taubheit. Der komplette, irgendwann sicher bewusste, aber mittlerweile längst automatische Ausschluss jeglicher Emotion außer blindem Gehorsam, seelenlos wie eines der vielen, vielen Skelette in unserer Armee.
Schritt um Schritt fällt es mir leichter, voranzukommen, und ich beginne, panisch den Zweiten anzuschreien, dass er ausbrechen soll, mit mir zusammen kämpfen soll gegen den Schmerz. Ich flehe ihn an, mir zu erlauben, ihm zu helfen, die Wunden zu heilen versuchen, welche sein Meister in ihm hinterlassen hat, und zu deren Schließung der Zweite nie Gelegenheit hatte.
Aber vergeblich. Er ist wieder fest in seiner undurchdringlichen Rüstung aus Verleugnen, Vergessen und Aussperren, die der Anblick seiner Vergangenheit kurz aufgebrochen hat, und ich erkenne mit größtem Erschrecken, dass dies sein
normaler Zustand ist. Seine Fassade aus ultimativem Pragmatismus, sein Abweisen unserer Menschlichkeit, das Verneinen unseren Lebens, unserer Seele? Nur ein Resultat seiner Methode, mit dem umzugehen, was ihm sein Meister angetan hat. Aber jetzt weiß ich, dass er hinter dieser Maske dennoch leidet, die ganze Zeit, und manchmal bricht es hindurch; aber nicht nur der Schmerz...wenn man bedenkt, wie er schon einmal versucht hat, den Meister zu ermorden...auch der Hass. Auf den alten General, ohne Frage, in einer Form, die nichts mit Zorn zu tun hat, mit überkochender Emotion aus der im Affekt gemordet wird; viel eher entsteht in mir der Eindruck, dass der Zweite sich jeden Tag aufs Neue ausmalt, wie er seinen Meister möglichst methodisch, ironisch und auskostend zu Tode foltert. Ohne bei seiner bis auf jede Betonung jeder Silbe durchgeplanten Rede, weswegen der General das verdient hat, die Stimme über Normalmaß zu heben.
Und jedes Mal, wenn der Zweite einen solchen Gedanken hat, jedes einzelne Mal, ergreift ihn ein anderer Teil von ihm und bestraft ihn dafür. Denn wie kann er nur so etwas über den Meister denken? Wenn der das erfahren würde...
Es folgt Selbstgeißelung, und die Fähigkeit des Zweiten dazu ist genauso ausgeprägt wie die, den General im Geiste zu vernichten. Denn wenn der Zweiten einen mehr hasst als den General, dann sich selbst. Dafür, dass er sich je hat brechen lassen. Dafür, dass er dennoch nicht seine Niederlage als absolut akzeptieren kann. Dafür, dass er überhaupt noch Gefühle hat.
Ich beginne, am ganzen Körper zu zittern, als mein Verständnis wächst. Woher dies auf einmal? Kenne ich den Zweiten wirklich so gut?
Oder...kennt er sich selbst so gut, und durch seine schwächer und schwächer werdende Verteidigung der eigenen Gedanken erreicht mich immer mehr und mehr von seiner so schonungs- wie hilflosen Selbsteinschätzung?
Bin ich im Moment nur eine von vielen einander widersprechenden Stimmen in seiner scheinbar heillos zerrütteten Psyche? Das muss es ihm einfach machen, mich zu ignorieren.
Aber wenn ich eines bin, dann bin ich stur.
Also versuche ich es, weiter und weiter. Greife seine Festung an, wende alle Tricks an, die ich von ihm selbst beigebracht bekommen habe, versuche, mehr von seinen inneren Konflikten aufzuschnappen, Kompromisse zu finden, zu schlichten...
Ich begehe Fehler. Wenn er meinen Zugriff spürt, versperrt er sich sofort. Viel Angriffsmöglichkeiten gehen mir so verloren. Aber ich darf nicht aufgeben...und was soll ich sonst tun? Mich auf die Welt außerhalb meines Kopfs konzentrieren?
In ihr greifen uns Monster an. Es sind die grotesk verdrehten Kreaturen, die wir schon aus der Hölle kennen, deren Gelenke alle völlig falsch herum zusammengesetzt sind. Sie haben eine wabernde, geisterhafte Aura um sich herum...
Der Meister wirft einen Blick auf sie, hält nicht eine Sekunde inne und geht einfach weiter. Die Armee stürzt sich auf die Dämonen, welche nahezu widerstandslos fallen.
Da zuckt die Aura um ihre Leichen, zieht sich zusammen, zerdrückt das Fleisch und formt es um, zu kleinen Wurmkreaturen, ebenfalls von dem wabernden Ektoplasma umgeben, aber nun kleiner, schneller. Pro Dämonenleiche sind drei dieser neuen Feinde entstanden. Ich mache mich doch bereit, einzugreifen, wo sie nun um die Füße der Skelette herumhuschen...
Der Meister schüttelt den Kopf, und mehrere kleine Explosionen zerreißen die Gegnermasse.
"Natürlich, setzt
Leichen gegen mich ein, das wird funktionieren...", murmelt er.
Oh.
"Aber woher kam die Aura...?", überlegt er, bleibt nun doch stehen, wirft einen Blick in einen Seitenraum und wird fündig. Er schnippt mit den Fingern, und aus der Wand des Nebenzimmers wächst eine Knochensäule, die etwas daraus vor uns schubst. Es ist ein schwebendes...Etwas, selbst geisterhaft-durchscheinend, eine Masse aus möglicherweise einmal tatsächlich lebendem Fleisch, völlig zerfetzt, auseinandergenommen, verknetet und neu zusammengesetzt, knochenlos dahängend wie im Schlachthaus eines besonders unfähigen Metzgers. Der Meister schnalzt missbillligend mit der Zunge.
"Die Idee ist nicht schlecht, aber die Umsetzung...horrend. Dennoch, geschenkte Gäule..."
Mit schneller Geste jagt er einen Knochenspeer in etwa durch die Mitte der zuckenden Masse, die offenbar für die leichenformende Aura verantwortlich war, und sie kollabiert. Rasch fängt der Meister das tropfende Elend auf, und es ersteht wieder – etwas zusammenhängender, mit weniger flackernder Geisteraura, und auf unserer Seite.
Wir gehen weiter, der Meister weiß offenbar exakt, wo er hinmuss. Ich würde ihn fragen, woher, und auch, wie er den Wegpunkt hierher gefunden hat, aber ich glaube, die Antwort würde mir so wenig gefallen, wie ich sie eigentlich auch weiß. Fast bin ich froh darüber, denn die Festung des alten Generals ist
gigantisch, ein vielstöckiger Palast von denen alleine drei unter der Erde sind, und zwar genau die, in denen wir uns befinden. Mit gewisser Resignation stelle ich fest, dass ich genauso wie der Meister, oder besser genauso wie der Zweite, den Weg exakt kenne. So vermeiden wir vermutlich einen Großteil der Monster, die Nihlathak von Baal zur Verfügung gestellt bekommen oder sogar selbst erzeugt hat – was die etwas verunglückten, aber zumindest nicht von anderen Höllenkreaturen kopierten, Fleischformer erklären würde.
Dennoch, einen Überfall müssen wir noch abwehren. Wieder stürmen Groteske auf uns zu, diesmal begleitet von einer Gruppe Eisbestien.
Der Meister gibt seinem wiederbelebten Leichenwandler einen stummen Fingerzeig. Die Aura legt sich um die gegnerischen Grotesken...und beginnt sofort, sich zusammenzuziehen.
Begleitet von grauenhaften Geräuschen sowohl aus ihren Kehlen als auch aus dem Rest ihrer Körper zerquetscht es die fleischlichen Feinde. Wieder werden ihre Überreste zu Würmern, die diesmal auf unserer Seite sind...und welche sich zwischen die Frostmonster stürzen, nur um prompt zu explodieren. Eiszapfen prasseln zu Boden, und der Weg ist frei zur Treppe nach unten. Himmel...wie soll den Meister nur überhaupt jemand aufhalten?
Auf den letzten Stufen der gewundenen, engen Treppe muss der Zweite kurz innehalten. Vermutlich völlig unbewusst entreißt er mir die Kontrolle, stützt sich gegen die Wand und fällt fast um.
Was ist hier passiert?
Ein Verrat, der heute rückgängig gemacht wird.
Damit stählt er sich, zieht sich wieder zurück, und ich kann weiter gehen. Wobei ich das absolut nicht will.
Also geht er.
Lass es über dich ergehen...wir können ohnehin nichts mehr tun.
Außer, Nihlathak besiegt ihn.
Das tonlose Lachen des Zweiten hallt in meinem inneren Ohr.
In diesem untersten Stockwerk, den Hallen von Vaught, führen vier Wege kreuzförmig von der zentralen Säule mit dem Treppenhaus darin in Räume mit nur einem Eingang. Die Kammern, die nur die treuesten Diener je von innen sahen und danach wieder gehen durften...
"Gib mir einen Tonklumpen von dir, Golem. Wenn ich ihn zerstöre, habe ich ihn gefunden. Wenn du ihn findest, klopfe mir damit gegen den Helm. Du gehst nach da hinten."
"Ich habe einen Namen."
Das Lächeln des Meisters ist herablassend und schneidet mir tief ins Fleisch. Er sagt nicht einmal etwas.
Also gehe ich meinen Weg entlang.
Am Ende finde ich Nihlathak. Er steht alleine auf einem Podium, vor einem Steinsockel, der ein Opferaltar sein könnte und sicher für Schlimmeres verwendet wurde. In seiner Hand ist der Gegenstand, der das Schicksal der Welt entscheiden könnte – Trang-Ouls Flügel, ein von einer Metallspitze als Griff durchbohrter Schrumpfkopf-Schädel.
"Ihr wart schneller, als ich dachte", erklärt der Älteste dünnlippig.
Ich klopfe beim Meister an, denn ich muss. Also beeile ich mich mit meinen nächsten Worten.
"Zu schnell, als das du den General aufhalten könntest?"
Er blinzelt. "Wovon redest du?"
"Du willst Trang-Ouls Avatar? Bitte, nimm ihn dir. Das Set zerstört die Seele meines Freundes. Ich gönne dir genau dieses Schicksal, wenn du es denn schon unbedingt haben willst."
Er hebt eine Augenbraue. "Und wie soll das funktionieren?"
"Wenn deine Worte wahr waren, dann willst du den Avatar, um damit über Harrogath herrschen zu können, weil sie dich ohne dessen Macht recht unzeremoniell lynchen würden. Das hat nichts mit dem General zu tun – im Gegenteil, er kann dich aus deinem zum garantierten Scheitern verurteilten Pakt mit Baal befreien, das wollen wir ohnehin. Also lass ihn am Leben, nimm ihm nur das Set, und ich werde dir dabei sogar helfen."
"Du ekelhafter Gut...mensch...Golem willst so einen Handel mit mir eingehen?"
Ich knirsche mit den Metallzähnen. "Du solltest am besten über pragmatische Entscheidungen Bescheid wissen."
Mir ist, als hätte ich Haut, die über und über kribbeln würde. Wie lange habe ich noch Zeit, bis der Meister hier ankommt? Hat Nihlathak sich bis dahin für einen Weg entschieden, der ihn nicht garantiert zum Tode verurteilt, egal, wie das hier ausgeht?
So gerne ich ihm natürlich meine Klauen in die Kehle rammen würde...aber ich
bin verzweifelt.
"Ich glaube, du unterschätzt hier etwas, Dorelem", lächelt Nihlathak gütig.
"Deinen Willen, zu überleben?", ätze ich.
"Nein, die Macht im Erbe des Generals! Du müsstest es wissen, als Teil davon – bist du nicht der stärkste und schlaueste Golem, den die Welt je gesehen hat? Nicht, dass dir das besonders viel bringt, aber es ist doch bemerkenswert! Wenn ich es richtig verstanden habe, bist du noch nicht einmal ein Jahr alt – und nun sieh dich an! Ich war ein extrem mittelmäßiger Eismagier, bis ich Trang-Ouls Flügel von meinem Mentor bekommen habe, und innerhalb weniger Tage hatte ich meinen ersten Knochenzauber gemeistert...mit dem kompletten Set...kann ich Baal auch selbst töten!"
"Du bist dir aber bewusst, dass der General mich erschaffen hat, bevor er auch nur ein Teil des Avatars in Händen hielt?"
Seine Maske eines wohlmeinenden Alten fällt von ihm ab. "Das kann nicht sein! Wir sind
mindestens gleich talentiert – wir sind beide Erben!"
"Nein, alter Mann", erklärt da der Meister, als der in den Raum tritt. "Du bist ein lausiger Totenbeschwörer. Deine Versuche, neue Kreaturen als Diener zu erzeugen, bringen mich zum Lachen. Deine verkrüppelten Giftschlangen im anderen Raum haben mich nur so lange aufgehalten, weil ihr tödlicher Atem in sich fehlerhaft ist! Du wolltest sie winzige Nadeln spucken lassen, die ein Ziel mit Sicherheit vergiften, nicht wahr? Ha! Selbst wenn ich nicht immun wäre, könnten mich zehn von ihnen gleichzeitig nicht umbringen! Und weißt du was? Genauso wie das hier..."
Er stampft auf den Boden und eine Knochensäule aus durchscheinendem Material, wie seine ätherisch um ihn schwebende Knochenrüstung, erscheint neben ihm.
"...sind die Nadeln stationär – wenn man sich nicht bewegt,
wird man nie gestochen!"
"Bist du fertig?", zischt Nihlathak.
Der Meister packt die Knochensäule, und sie wird in seiner Hand länger und spitzer.
"Gleich", sagt er und wirft sie, ohne seinen Arm zu bewegen.
Nihlathak reißt Trang-Ouls Flügel hoch und fängt den Knochenspeer damit auf.
"Du bist des Erbes nicht würdig!", brüllt er, macht eine große Geste und hinter uns wachsen Knochenwände nach oben, die den Raum absperren. Unsere Armee, oder was von ihr übrig ist, bleibt draußen. Er sagt etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe, und rote Portale wie das eine, das ich auf den Ebenen des Arreat schließen konnte, öffnen sich. Sklavensoldaten Baals strömen heraus, getrieben von Peitschern auf der anderen Seite.
"Und du bist es nicht würdig, mit die Stiefel abzulecken", murmelt der Meister, nicht einmal daran interessiert, dass Nihlathak ihn hört. Er schnippt mit den Fingern, und Nihlathaks Knochenwände zerfallen einfach zu Staub. Die Skelette stürmen in den Raum, er hat kein einziges von ihnen verloren. Sie treffen auf die Welle der Sklaven, und an den Schilden der Wächter zerbricht die Welle einfach. Die Krieger schlagen einen Keil in sie, dann verliert der Meister die wenige Geduld, die er noch hat, erzeugt eine Flammenwand geradewegs auf Nihlathak zu, der sie mit einem grimmigen Eisschwall aufhalten kann. Die Sklaven springen panisch zur Seite, und wo sie standen, gerade als die Flammen wieder verschwinden, wachsen zwei Knochenwände eng aneinander nach oben – sie formen einen Gang zwischen sich.
Da erschüttern zwei Explosionen den Raum, und mehrere unserer Skelette werden zerschmettert. Nihlathak grinst triumphierend, die Flügel hoch erhoben – er hat eine eigene Kadaverexplosion gezaubert!
So nicht, sagt der wackelnde Finger des Meisters, und seine eigenen Explosionen reißen ein gigantisches Loch in die Front der Feinde. Und jetzt gleiten von hinten Verstärkungen heran – die tatsächlich etwas ungesund aussehenden Schlangen, von denen der Meister gesprochen hat. Wiederbelebt und nun auf seiner Seite, und sein Zauber scheint sie abermals so gestärkt zu haben, dass sie eine ernste Gefahr sind. Ihr Giftnadelatem hinterlässt grün schimmernde Wolken, und obwohl sie durchscheinend und diffus sind, wird jeder Sklave in kleine Stücke gerissen, der es wagt, sich hinein zu begeben.
Nihlathaks Arm zuckt hin und her im verzweifelten Versuch, frische Leichen zu sprengen, aber der Meister ist immer schneller. Jeder nicht komplett zerstörte tote Sklave wird sofort wiederbelebt, dreht sich um und stürzt sich an seinen früheren Mitstreitern vorbei, durch die roten Portale und auf seine Anpeitscher.
Kurz darauf gehen die Portale zu.
"Nein! Ihr habt mir versprochen...", keucht Nihlathak.
Der Meister schreitet durch den Korridor auf ihn zu, die Hand ausgestreckt.
"Du hast etwas, das ich will."
Ich bin paralysiert. Zumindest
gewissen Widerstand hatte ich erwartet, dass der Älteste einen guten Kampf liefert, in dessem Verlauf ich den Meister entscheidend aufhalten kann, um ihm zumindest den Helm vom Kopf zu reißen, und...
Nun, das ist ja dann ohnehin hinfällig, da Nihlathak nicht auf mich hören wollte, nicht?
Jetzt, panisch, suchen seine Augen die meinen, aber ich bin zu weit weg, habe den Meister gehen lassen, weil ich derart hilflos bin.
"
Gib es mir!", brüllt der Meister, und ein Feuerball erscheint in seiner Hand.
Nihlathak zieht eine hässliche Grimasse, reißt die Arme nach vorne, und eine Wolke aus Frost explodiert von ihm. Sie hüllt den Meister komplett ein...aber ich weiß, dass er durch das Jade-Tan-Do auch vor Kälte geschützt ist. Aber wir sehen Nihlathak kurz nicht, also...
Ich laufe vor. Wenn der Alte dem Meister jetzt ein Messer in die Nieren rammt, ist mir auch nicht geholfen! Mein Feuer fegt die Eiswolke weg...
Und man sieht ein Stadtportal. Nihlathak ist geflohen...nach Harrogath, wohin sonst?
Der Meister rennt jetzt auch, und kurz nach ihm bin ich hindurch.
Durch die Ablenkung der Eiswolke ist der Älteste überraschend weit gekommen. Die Wachen waren offenbar verwirrt genug um ihn nicht sofort aufhalten zu können. Er läuft panisch um die nächste Häuserecke; was hat er überhaupt vor? Die ganze Stadt ist gegen ihn, seit ich nach Anyas Rettung erzählt habe, was er zugegeben hat.
Aber Moment...das kann er gar nicht wissen, oder gar damit rechnen. Der Meister ist ihm so schnell gefolgt, vermutlich durch einen nahen Wegpunkt nach der Abkürzung durch den Fluss, dass Nihlathak annehmen wird, dass Anya immer noch eingefroren ist! Somit ist er natürlich komplett verloren.
Wir laufen um die Ecke...und ich sehe nicht zuerst Nihlathak, sondern Lixt.
Die Novizen, jetzt natürlich frei, müssen gehört haben, dass auf dem Portalplatz etwas passiert ist. Und jetzt läuft der Älteste ihnen in die Arme...
Er wird langsamer, sein Blick schießt zwischen den drei jungen Nekromanten hin und her, und bleibt dann stehen. Der Arm mit Trang-Ouls Flügeln hebt sich, eine Knochenwand trennt plötzlich Lixt von den anderen beiden, und er ist auf einmal neben ihr, packt die junge Frau und hält sich um die Schultern fest. Der Schrumpfkopf landet an ihrer Schläfe. Sie wehrt sich, aber Nihlathak, so alt er ist,
ist ein Barbar; er ist viel größer als sie, hat in etwas doppelt so breite Schultern...und eine Waffe, die sie mit einem Gedanken töten kann.
"Keinen Schritt weiter, oder ich jage ihr einen Knochenspeer durch das Hirn."
Ich halte, als wäre ich gegen eine Wand gerannt. Lixt versteift sich, dann begegnet ihr Blick dem meinem, und sie entspannt sich etwas. Sie beißt die Zähne zusammen und scheint sich darauf zu konzentrieren, voerst keine Probleme zu machen. Der Meister...wird langsamer.
"Nein!", ruft Dostrian, blickt hektisch zum Meister, zieht eine Grimasse und atmet dann tief durch, seine kalte Fassade wiederhergestellt. Er studiert die Knochenwand, bemerkt, dass Nihlathak ihn dadurch nicht sehen kann, und schleicht zu ihrem Ende. Hunradil wirkt sehr hilflos.
"Wirst du wohl stehen bleiben!", zische ich dem Meister zu.
Er schreitet weiter voran. "Ein süßer letzter Versuch, deinem Schicksal zu entkommen, alter Mann; aber die Vergangenheit holt dich ein. Was denkst du, hiermit zu erreichen?"
"Du bist mit deiner Armee aus meinem Portal gekommen – wenn ich dadurch zurückgehe, schließt es sich und ich bin sicher. Lass nicht noch eine junge Frau durch meine Hand sterben...ich werde ihr nichts tun."
Der Meister geht weiter. "Anya ist, glaube ich, nicht tot. Also kannst du Lixt schon töten, dein Gewissen wird auch nicht mehr belastet."
Ich packe den Meister an der Schulter. "Ich schwöre dir, wenn du noch einen Schritt in seine Richtung machst..."
Er fährt herum und schlägt mir die behandschuhte Faust mit voller Wucht ins Gesicht. Es wirft mich auf den Rücken, und ich fühle mich, als wäre eine Lawine über mich gerollt. Lixt keucht, und Nihlathak drückt ihr den Schrumpfkopf stärker gegen die Schläfe. Ihre Augen weiten sich.
"Du hast überhaupt nichts mehr zu melden, Golem", erklärt der Meister und geht weiter.
Nihlathak weicht zurück, bis er eine Hauswand erreicht. Er sieht, dass mehr Leute heranstürmen, also erzeugt er noch mehr Knochenwände, bis er, der Meister, die Novizen und ich eingesperrt sind. Ich versuche, mich hochzuzwingen, aber das Geröll liegt immer noch gefühlt auf mir; als wäre mein Gehirn erschüttert, schlimmer, mein Genick gebrochen.
Dostrian hat das Ende seiner Knochenwand erreicht und lugt vorsichtig herum; er will nicht, dass Nihlathak ihn sieht...der Meister bemerkt ihn, glaube ich, aber ignoriert ihn vollkommen, statt auf Zeit zu spielen und meinem Rivalen eine Chance zu geben, die Frau zu retten, die wir beide lieben.
"Um Himmels Willen, General!
Willst du, dass ich sie umbringe?", brüllt Nihlathak in heller Panik.
"Dann fühlst du dich in deinen letzten Momenten noch einmal richtig schlecht, wenn ich dich richtig lese – warum auch immer, du kennst sie noch nicht einmal. Das fände ich durchaus lustig, ja."
"Du bist wirklich vollkommen durchgedreht, oder?", beschwert sich Lixt entgeistert. "Was ist aus dem General geworden, der zumindest so getan hat, als hätte ich ihm etwas bedeutet?"
"Ach, ich glaube, der Zeitpunkt ist längst gekommen, wo ich nicht mehr schauspielern muss. Gehört ohnehin nicht zu meinen Kerntalenten. Bei einem solchen Publikum jedoch scheint es völlig ausgereicht zu haben."
Er ist jetzt ganz nah an Nihlathak und der Frau, die ich liebe...und ich kann mich nicht bewegen, ich kann es nicht, so sehr ich es versuche. Ich spüre, auch der Zweite versucht es, aus voller Kraft, aber wir sind einfach körperlich zerrüttet, genau so, wie der Meister es wohl auch wollte.
Lixt ist jetzt einfach nur wütend. "Ich schäme mich, dass ich wegen dir Tränen vergossen habe. Es ist mir egal, ob dir dein wahnsinniger Seelenkäfig das Hirn durch den Fleischwolf dreht, irgendwann hast du beschlossen, ihn anzuziehen."
Nihlathak hat etwas vor...ich sehe es in seinen Augen. Ich glaube, er will sie dem Meister in die Arme schubsen...und dann beide gleichzeitig mit einem Knochenspeer durchbohren...
Aber da nähert sich Dostrian! Wenn Lixt sie beide noch eine Sekunde länger ablenken kann...
"
Ersticke an deiner eigenen Falschheit!", schreit sie da, und spuckt den Meister an, und es ist gut gezielt, und es trifft ihn am Kinn, aber das ist nicht alles. Von wo Trang-Ouls Flügel sich in ihre Wange graben, eruptiert eine giftig-grüne Wolke, die sich sofort aufteilt in verschiedene Fäden, die geisterhaft von ihr wegwabern, in einem kompletten Kreis auf ihrer Augenhöhe rasch wegfliegen und die beiden Männer um sie durchdringen. Dostrian wird auch getroffen...aber obwohl er aus Überraschung stolpert, scheint es ihm nichts anzuhaben.
Der Meister wird wie von seinem eigenen Schlag vorhin getroffen und es wirft ihn sofort um. Nihlathak keucht, würgt, und Lixts Ellenbogen landet ihn seinen Nieren, ihre Zähne an seinem Handgelenk und Trang-Ouls Flügel in ihrer Hand. Sie tritt ihn weg, als er zusammenbricht, und hebt den Schrumpfkopf.
"Und du, du scheußliche Schlange, was
fällt dir überhaupt ein?"
Unkontrollierbarer Zorn lässt ihr Gesicht glühen, ihre Knöchel werden weiß um den Griff des Schrumpfkopfs, während Nihlathak verzweifelt versucht, sich wegzudrehen, aber er windet sich noch immer von der Giftnova, an derem Epizentrum er stand.
"Tu es nicht!", ruft Dostrian. Ihr Blick fährt zu ihm herum, ihre Hand auch, aber da besinnt sie sich.
"Himmel", keucht sie. "Was ist das für ein Teufelsding? Ich fühle mich, als könnte ich...
alles...zaubern. Als könnte ich..." Sie hebt ihre Hand. "Nur mit meinen Fingernägeln töten, es wäre so einfach, ihnen ein grauenhaftes Gift aufzutragen, das jeden ihn Sekundenschnelle, aber unter grässlichen Schmerzen sterben lassen würde..."
Angeekelt hält sie Trang-Ouls Flügel so weit von sich entfernt, wie sie kann. "Können wir das nicht irgendwie verbrennen?"
Da stemmt sich der General hoch. "Oder du gibst es mir!"
"Nein, mir!", ruft Dostrian, und Lixt, schnell reagierend, wirft ihm den Schrumpfkopf zu.
Er fängt ihn geschickt, und echte Ehrfurcht tritt in seine Miene, die schnell durch ein Grinsen ersetzt wird, das ich bei ihm nicht erwartet hätte, und eigentlich aber bei niemandem gerne sehe.
Langsam, langsam könnte ich mich wieder bewegen, oder? Meine Finger krallen sich in den Boden.
Ja.
"Gib mir Trang-Ouls Flügel, Dostrian", befiehlt der Meister in einem Ton, der dem Novizen die Haare zu Berge stehen lassen sollte.
Aber er richtet stattdessen das Knochenzauber-Artefakt auf seinen Widersacher.
"Ich sollte dich hier und jetzt niederstrecken – du bist eine Gefahr für die Menschheit!"
"Ich bin ihre einzige Rettung, ob du es dir eingestehen willst oder nicht. Aber natürlich ist dir das egal, du würdest ja jeden verraten, um zu bekommen, was du willst, nicht wahr?"
"Zum letzten Mal, ich habe
keine Ahnung, wovon du redest!"
Der Meister lächelt und beginnt, auf ihn zuzuschreiten. "Vermutlich war ich nur einer von vielen, denen du in den Rücken gefallen bist, um dich bei deinem geliebten Valtores einzuschleimen. Hat er es denn wenigstens schön honoriert, dass du ihm von meinen Privatstunden erzählt hast? Bekamst du dann von ihm alleine Unterricht, statt das Wissen mit Hunradil und Lixt teilen zu müssen? Um dich weiter zu erhöhen, nur weil du dich für etwas
Besseres hältst?"
"Du redest so wirr, wie du handelst!", kreischt Dostrian, nun doch etwas aus der Fassung, weil der Meister einfach nicht stehen bleibt. "Mit diesem Ding bekomme auch ich eine tödliche Giftnova hin, und wir wissen ja, dass die durch deine Rüstung dringen wird!"
Endlich bleibt der Meister stehen. "Und dann, wirst du das Set an dich nehmen?"
Dostrian blinzelt. "Natürlich nicht, warum sollte ich das tun?"
"Siehst du, das ist ja auch das Problem", seufzt der Meister. "Du bist ja nicht einmal ein Erbe, also wäre es so an dich verschwendet wie es dein Talent ist. Durch Verrat und Betrug versuchst du, etwas aus dir zu machen, aber in Wirklichkeit bist du einfach nur ein ganz kleines Nichts."
Nun beeindruckt mich Dostrian – denn seine Antwort ist komplett ruhig. Seine kalte Schale mag nur aufgesetzt sein, aber er beweist in diesem Moment, dass es mehr ist als nur gespielte Überkorrektheit – er hat tatsächlich gewaltiges Rückgrat.
"Es ist mir völlig egal, wie viel Mehr als ich du möglicherweise bist. Ich habe den Schrumpfkopf, du nicht, und du wirst ihn nie bekommen", erklärt er.
"Doch," sagt der Meister, und zündet ihn an.
Dostrians Schreie aus der Feuerwand scheinen alles in Bewegung zu versetzen, was gerade beinahe zum Stillstand kam. Trang-Ouls Flügel fallen zu Boden aus seiner im Todeskampf verkrampfenden Hand. Der Meister schnippt mit den Fingern der Hand, die er gerade zum Zaubern erhoben hat, und errichtet auch noch ein Knochengefängnis um den verbrennenden Novizen. Lixt stolpert vor der Hitze zurück, schützt ihr Gesicht; hat sie noch nicht gesehen, was mit Dostrian passiert, oder will sie nicht?
Die Knochenwände, die Nihlathak errichtet hat, stürzen ein, die versammelten Bürger von Harrogath können sehen, was der Meister gerade getan hat.
Durch die Feuerwand hindurch stürmt Hunradil, so schnell, dass ihm die Flammen nichts anhaben. Er brüllt, völlig unzusammenhängend, seine hilflose Wut über den Mord an seinem Freund heraus, seine Trauer, seinen
Hass auf den Meister.
Ich hebe sinnlos die Hand – als könnte ihn das irgendwie aufhalten – weil ich klar und deutlich sehen kann, was gleich passieren wird...
Der Meister lässt seinen Arm zur Seite schießen, ein Feuerball löst sich auf seiner Hand und trifft Hunradil direkt am Kopf. Es fegt ihn zu Boden, sein Haar brennt, aber er ist bewusstlos und kann nichts dagegen unternehmen.
Ich stehe auf. Meine Paralyse ist verschwunden. Meine letzten Zweifel auch. Der Meister...hat nichts mehr mit dem Freund zu tun, den ich einmal hatte. Ob er seinen letzten Widerstand gegen das seelenvernichtende Set aufgewendet hat, um Anya zu retten?
Eine Hand greift sich Trang-Ouls Flügel. Das reißt den Meister los von der Ablenkung Hunradils und Dostrians feuriger Enden. Es ist Nihlathak, der sich mühsam hochstemmt.
"Noch bist du mich nicht los", spuckt er. Sofort feuert er Knochenspeere auf den Meister, hat nichts mehr zu verlieren. Dieser verteidigt sich mit eigenen Knochenbarrieren, die er im Weg der Geschosse erzeugt. Schießt eigene Speere zurück, die Nihlathak hastig auffangen muss. Der Kampf der Totenbeschwörer ist zumindest kurzzeitig ausgeglichen...
Ich gehe vorsichtig näher. Der Meister darf mich nicht hören...
Meine Klauen werden von Feuer umflammt.
...bis er mich spürt. Schaffe ich es, ihn ohnmächtig zu schlagen, durch die Rüstung?
Wage ich es? Wird Nihlathak ihn dann nicht einfach umbringen?
Aber die Zeit der Zweifel ist ja vorbei, nicht wahr?
Da beißt Nihlathak die Zähne zusammen und stellt sein Feuer kurzzeitig ein. Der Meister ist überrascht, nutzt dann aber die Gelegenheit, um einen hastigen Speer abzusetzen – er durchbohrt den Ältesten an der Schulter, aber er lässt die Flügel nicht fallen, sondern erzeugt, die Frucht seiner Konzentration, einen Knochengeist. Dieser fliegt direkt auf den Meister zu, der eine Barriere erzeugt...die sofort zersplittert, der Geist trifft ihn, lässt ihn zurück stolpern, und Nihlathak setzt noch einmal nach, ein Knochengefängnis entsteht um den Meister.
Ich lösche die Flamme vorerst. Wenn der Meister das Set nicht vervollständigen kann, dann ist es möglich, ihn auch anders aufzuhalten...besonders, wenn die ganze Stadt gegen ihn ist.
Nihlathak hastet zur Seite. "Damit hätte sich das erledigt – du kannst gerne noch einmal versuchen, mir die Flügel abzunehmen, aber vorerst bin ich hier weg! Und nächstes Mal..."
"Das wird es nicht geben!", schreit es plötzlich aus der Menge. Ich erstarre. Nein! Lasst ihn laufen, den Schrumpfkopf wegschaffen...dann können wir den Meister ausschalten, ohne dass ich dabei zwangsweise...
Nihlathak hält inne. "Anya...du lebst?"
Sie stürmt heran. "Ja, trotz deiner Bemühungen!"
Der Älteste breitet seine Arme aus. "Wie ich dir sagte – es tut mir extrem Leid, dass ich dazu gezwungen wurde, dich als Geisel zu nehmen. Es war nie meine Absicht..."
"Es geht mir nicht um mich", zischt Anya. "Immerhin habe ich überlebt, und das würde mir nicht das Recht geben, diesen Hammer in deinem Schädel zu versenken." Sie wiegt ihr magisches Schmiedewerkzeug in der Hand.
"Aber dass du meinen Vater und Bruder getötet hast,
das gibt mir dieses Recht!"
Und damit tötet sie den Verräter an seinen Kollegen und letzten Ältesten Harrogaths mit einem einzigen Schlag.
Das Knochengefängnis um den Meister zerbirst. "Vielen Dank, meine Liebe", grinst er Anya zu.
"Das war nicht gedacht, um dir zu helfen, du Monster – was ist
in dich gefahren?"
"Das Bewusstsein, was getan werden muss", erklärt der Meister großspurig, und sperrt den Platz erneut ab. Trang-Ouls Flügel bleiben darin liegen. Ich laufe los, um sie vor ihm zu erreichen...
"Du wirst dich nicht im Geringsten bewegen, bis ich dir es wieder erlaube, Golem", befiehlt er mir, und mein gesamter Körper hält auf einmal inne, als wäre ich in Stein eingeschlossen worden.
Lixt nimmt Trang-Ouls Flügel an sich. Hebt sie zögerlich gegen den Meister. Der bleibt stehen...und lacht.
"Wirklich? Willst du das wirklich versuchen?"
"Was immer notwendig ist...Himmel! Du hast sie
umgebracht, General! Du hast Dostrian und Hunradil...sie waren deine
Freunde!"
"Bitte, bitte, übertreibe hier nicht unnötig. Hunradil lebt noch, sonst könnte ich seine Leiche spüren. Und Dostrian war nie mein Freund. Freunde verraten einander nicht. Du hingegen...dich konnte ich immer gut tolerieren, also gib mir Trang-Ouls Flügel, und ich muss dich nicht auch töten."
"Dostrian hat dich nie verraten, du Wahnsinniger! Wie
kommst du überhaupt darauf, in was hast du dich da hinein gesteigert? Nur weil jemand Valtores gesagt hat, dass du dich in Gefahr bringst, indem du ganz offen höchstkomplexe Nekromantie-Techniken an Novizen weitergibt? Wenn das jemand
gesehen hätte von den anderen Meistern – sie hätten dich geschlossen gelyncht!"
Oh Himmel, ich glaube, ich verstehe...
Zweiter, es gilt jetzt. Wir durchbrechen jetzt zusammen die Beherrschung, oder sie stirbt.
Ich...
Der Meister zieht eine Fratze. "Das lag nicht an ihm zu entscheiden! Er hat mein Vertrauen missbraucht, und darum hat er es
verdient, zu sterben – genauso, wie Nihlathak das tat!"
Lixt rinnen wilde Tränen über das rußgeschwärzte Gesicht. "General, Dostrian
war es nicht, der dich verraten hat..."
Ihr Ausdruck zerreißt mich.
Ich...werde dir helfen.
"...ich habe Valtores gesagt, was du uns beigebracht hast. Dein Hass auf Dostrian, dein Mord an ihm...komplett fehlgeleitet, wie dein ganzes Streben nach diesem Set, das deine Seele zerstört! Wach endlich auf!"
Aber das wird er nicht...
Stattdessen erstarrt er. Sein Blick schießt zur verkohlten Leiche des Novizen, den er aus den völlig falschen Gründen getötet hat. Andererseits, hätte der Meister Dostrian verschont, wenn er nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass dieser ihn verraten hätte?
"
Du warst es?
Du hast meine Pläne zerstört?"
"Ich wollte dich schützen, du kranker Bastard! Das hast du ganz allein dir selbst zuzuschreiben, wenn nicht meiner eigenen Dummheit, dass ich mich von dir habe manipulieren lassen!"
In dem sichtbaren Teil seines Gesichtes und in seiner Stimme liegen blanker Hass. "Es ist dann wohl diese Dummheit, wegen der du mir erzählt hast, wie ich meinen kleinen Fehler wohl am besten korrigiere!"
Ein Feuerball löst sich aus seiner Hand...
Und trifft meinen unter schrecklichen Schmerzen in die Flugbahn torkelnden Körper. Ich baue mich zwischen ihm und Lixt auf – unbeweglich.
"Nein, deine Fehler muss wohl doch alle ich korrigieren", knirsche ich. "Lixt, du müsstest mit den Flügeln seine Knochenwände zerstören können...bring sie weg, irgendwohin, ich versuche, ihn irgendwie aufzuhalten!"
"Ach Dorelem", lächelt der Meister, und das ist das Schlimmste, was er in diesem Moment hätte tun können.
Er erzeugt noch drei Knochenwände hinter Lixt, und eine Gasse aus ihnen von mir zu ihr. Dann geht er zu mir, und ich kann mich nicht bewegen, mein Widerstand ist jetzt auch verbraucht. Er packt mich am Kopf.
"Du wirst mir Trang-Ouls Flügel bringen, und du wirst Lixt dabei töten."
"Das kann du nicht tun!", brülle ich, aber mein Körper setzt sich schon in Bewegung, an unsichtbaren Fäden gezogen.
"Ich tu gar nichts. Du tust!", erklärt er fröhlich. Bleibt stehen, mit verschränkten Armen.
"Wirf deinen Wahnsinn ab, General! Du willst das überhaupt nicht!"
"Aber du scheintest es so zu wollen, Dorelem – bitte, ich komme doch nur deinen Wünschen nach!"
Lixt weicht vor mir zurück, an die Knochenwand, hält den Schrumpfkopf dagegen, in panischem Versuchen, die Barriere zu durchdringen. Gerade, als ich sie erreiche, durchdringt sie die erste Wand, stürzt nach hinten, gegen die Zweite. Dreht sich um, zu mir, und ihre Angst vor mir ist noch viel schlimmer als das Lächeln des Meisters gerade.
"Dorelem...bitte..."
"Lixt, versuch es weiter!", rufe ich. "Ich kann nichts tun – oh Himmel...ich..."
Mein Arm streckt sich nach ihrer Kehle aus. "Es tut mir so Leid!"
Sie hämmert mit Trang-Ouls Flügeln gegen die Wand, an die ich sie drücke – und durchbricht sie. Ich stolpere nach vorne, presse sie gegen die letzte Barriere.
Meine freie Hand packt ihr Handgelenk und nimmt ihr den Schrumpfkopf ab – es gibt rein gar nichts, das sie gegen mich tun kann. Meine Stärke ist die eines mörderischen Dämons.
Mein Körper hebt die Faust, in der Trang-Ouls Flügel sind...
Mit aller Kraft versuche ich, irgendetwas, auch nur ein kleines Bisschen zu ändern...
Da fällt mir etwas auf. In meinem Schock aufgrund dessen, was der Meister mir befohlen hat zu tun, habe ich keine bewusste Entscheidung getroffen, wie ich meinen Körper steuere. Aber...es ist ja nicht so, dass dieser irgendwie von alleine bewegbar ist, nur eine Maschine, an deren Hebeln ich sitze, und die ein Eigenleben hat.
Jemand hat diese präzisen Bewegungsabläufe vollzogen, die ich gerade getan habe. Und sie beinhalteten
nicht, ihre Kehle zu zerquetschen, ihr eine Flammenlanze durch die Brust zu jagen, meine Klauen zu benutzen, um sie...
Meine Faust wurde auf ihren Kopf gerichtet...von...
Jetzt! Mit aller Macht!
Er konnte es mir nicht erklären, weil er alles daran gesetzt hat, es überhaupt möglich zu machen. Zum Glück habe ich es doch verstanden...oder hat er es mir verständlich gemacht, ohne es in Worte zu fassen?
Wieder ziehen wir an einem Strang, mit aller Kraft, die wir haben, und es ist eine beachtliche; es ist nur unsere Willenskraft allein, es ist unsere Liebe zu Lixt, und ich spüre sie, auch vom Zweiten, weißglühend wie es unser Flammenkörper nie erreichen könnte.
Diese Kraft ist genug, um unsere Faust nur wenige Zentimeter zur Seite zu lenken, und mit ihr schlagen wir an Lixts Kopf vorbei, ein Loch in die Barriere. Die Knochenwand zerbröselt unter der Wucht des Einschlags, und natürlich, um stehen zu bleiben, nicht zu stolpern,
müssen wir Lixt loslassen, nicht wahr?
Helfende Hände packen sie von der anderen Seite, ziehen sie weg von mir, und sie verschwindet in der Menge. Schreit sie meinen Namen? Ich höre nichts außer das Pochen des Schmerzes in mir, der mich dazu zwingen will, hinter ihr herzulaufen, alle Barbaren wegzustoßen, um sie zu meucheln, egal wie...
Aber ich muss doch auch die Flügel zurückbringen, oder? Der Schmerz wird weniger.
Jetzt muss ich nur noch...den Griff...um sie lockern...fallen lassen...sie mit abnehmen lassen...und die Bürger von Harrogath...können verhindern, dass der Meister sie...in die Finger bekommt...Zweiter!
Es tut mir Leid, Dorelem.
Was? Was meinst du damit?
Mein Körper dreht sich um. Zweiter! Was tust du da?
Die Zeit der Rebellion ist vorüber, Dorelem. Ich vermute, wir werden uns nie wieder sprechen. Ich wünsche dir, aus ganzem Herzen, dass du einfach verschwinden kannst.
Wir können ihm widerstehen, Zweiter! Was redest du? Wir haben es gerade geschafft, warum lässt du nicht einfach...?
Es gibt Befehle, die sind stärker als alles, was du dir vorstellen kannst.
Und damit schnappt sie zu, die Schale um die Gefühle des Zweiten, und er ist stumm, und steuert den Körper zusammen mit dem Befehl des Meisters, und ich kann nichts tun, absolut gar nichts – alleine bin ich machtlos. Einsam. Verlassen...und verraten.
"Sie ist nicht tot", stellt der Meister trocken fest.
Der Zweite kniet vor ihm nieder. "Es gibt keine Entschuldigung, Meister. Dorelem war in der Lage, Eueren Befehl gerade so zu verdrehen, dass er ihr erlauben konnte, zu überleben. Ich werde dafür sorgen, dass es nie wieder vorkommt."
Der Meister gibt keine Antwort und packt gierig Trang-Ouls Flügel. Alles in mir schreit dagegen auf, aber niemand kann es hören, wahrscheinlich nicht einmal der Zweite.
Der Meister blickt für einen Augenblick verwirrt. Dann bildet sich auf seinem Mund langsam ein verklärtes Lächeln.
Die Einzelteile des Sets, nun vereint, beginnen, leicht zu schimmern. Ein tiefrotes Funkeln bricht plötzlich aus den schwarzen Augenhöhlen hervor.
Der Meister lacht mit einer Stimme, die viel tiefer scheint als seine normale. Aber nicht so, als würde er sie verstellen...
Er reißt die Arme hoch, in einer Geste des Triumphs, und in der Bewegung reißt es auch seinen Körper nach oben, bis er einige Zentimeter über dem Boden schwebt, auf kleinen Plattformen aus glühenden Knochen. Eine Knochenrüstung wächst von ihnen nach oben, umgibt ihn und seine goldene Rüstung mit dem roten Schein aus den Gelenken, ein Netz aus geisterhaften Knochen, die sich zu einem dünnen Skelett formen, als wäre sein Innerstes nach außen gekehrt.
Der Schädel wendet sich dem Zweiten zu.
"Ja, es ist selbstverständlich gelungen – meine Wiederkunft ist vollendet! Dieser junge Körper, wie von mir vorgesehen, ist meine neue Hülle auf Sanktuario. Trang-Ouls Avatar hat mich beherbergt, und seine Vervollständigung hat mich befreit – du hast es geschafft! Dein Meister...ist zurück!"
Ich hatte es geahnt. Befürchtet. Nicht wahrhaben wollen. Aber natürlich ist es passiert.
"Es ist auch dir zu verdanken, mein treuester Diener, dass der Erfolg sich eingestellt hat. Deswegen werde ich großzügig sein."
Die Knochenhand des alten Generals landet schwer auf meinem Kopf.
"Du darfst überleben, trotz deiner Fehler. Weiterhin deinen Platz an meiner Seite inne haben. Aber wisse – sobald Baal gefallen ist, und meine Herrschaft dadurch ohne Gegner bestehen kann, wirst du die Novizin Lixt finden, und du wirst sie zu mir bringen. Dann werde ich mich entscheiden, was mit ihr geschieht – aber egal, was ich tue, du wirst Zeuge sein, und Vollstrecker. Dieser Befehl ist unverrückbar, und du wirst ihn ohne zu zögern ausführen. Hast du dazu etwas zu sagen?"
Nichts. Der Zweite sagt nichts.
Der General grinst ein Schädelgrinsen.
"Und um ganz sicher zu gehen, dass keine weiteren Fehler geschehen, werde ich dir nun die Stimme in deinem Kopf nehmen..."
Er packt mit an den Schläfen und sieht mir, ja, mir, direkt in die Augen. Der Druck auf mein Gehirn ist nicht auszuhalten.
"Der du dich Dorelem nennst – du wirst fortan für immer in den Erinnerungen meines Golems gefangen sein. Du wirst seine Existenz erleben, wieder und wieder, mit vollem Bewusstsein dessen, was an ihrem Ende steht, nämlich weitere ewige Knechtschaft. Nie wirst du daraus ausbrechen, denn ich werde die Unendlichkeit überdauern, und mein Golem mit mir!"
Ich werde in die Schwärze gezogen, mit einem wortlosen Schrei, und ich weiß, während meines mir angedrohten Schicksals wird mich nichts so quälen wie das Bewusstsein, dass dieser Körper, in dem ich stecke, Lixt töten wird, und das nur, weil ich versagt habe, weil ich es nicht verhindern konnte, als willenloses Werkzeug eines Wahnsinnigen, der mein Schicksal immer gesteuert hat, seit ich erschaffen wurde...ich war nie frei, und die Vorstellung, es zu sein, war immer lachhaft, ein Traum ohne gutes Ende. Der Zweite hatte Recht.
Ich falle und lande nie.