Kapitel 34 – Meister
Sie nannten mich den Zweiten, aber natürlich ist das lachhaft; wenn, dann wäre ich der Erste, und selbst das ist Unfug. Ich bin der Golem, besser,
ein Golem, denn man würde ja auch nicht sagen, dass ist
der Hammer, den ich mir gekauft habe, sondern ein Hammer.
Ein austauschbares Werkzeug also, das man vielleicht auf die Dauer zu schätzen weiß, weil es zuverlässig ist, aber mehr emotionale Bindung wäre einfach komisch; darum ist es auch kein Problem, das Werkzeug einmal von jemand anderen benutzen zu lassen, wenn der es dann nur am Ende zurück gibt.
Das ist nun also geschehen, und es ist völlig egal, was das Werkzeug darüber denkt.
Der Meister, glorreich dreißig Zentimeter über dem Boden schwebend, lässt die Knochenwände zerfallen, die den Platz eingeschlossen hatten. Die Menge an Harrogather Bürgern, wahrscheinlich jeder von ihnen, der sich überhaupt bewegen kann, weicht kollektiv zurück. Vor ihnen hängt eine ghoulische Erscheinung in der Luft, deren letzter Rest Menschlichkeit durch die überbetonte Knochenrüstung verdeckt ist, aus deren Schädeltiefen es rot schimmert; daneben steht eine eigentlich bekannte Figur, eine Mordmaschine aus Stahl, Ton und Feuer, die aber durch die völlig andere Situation in ganz anderem Licht erscheint.
"Mitkommen, Golem", befiehlt der Meister, und ich folge ihm. Aber da stellen sich uns drei Personen in den Weg, die bisher glaubten, uns am besten hier zu kennen, und deswegen wohl am meisten verwirrt und überrumpelt sind von der Rückkehr des alten Generals.
"Was ist gerade
passiert?", stößt Anya entgeistert hervor.
"General...seid Ihr noch...Ihr selbst?", fragt Deckard vorsichtig.
"Was glaubst du eigentlich, was du hier tust?", herrscht Malah.
"Nichts als das, was ihr ohnehin von mir erwartet. Ich werde zum Gipfel des Arreat reisen und Baal töten, weil er eine Gefahr darstellt. Dann werde ich ein weiteres Mal triumphierend wiederkehren, und ihr dürft mir dann in Ruhe huldigen."
Er schwebt einfach weiter.
"Du gehst nirgendwo hin!", ruft Malah.
"Golem", sagt der Meister ohne besondere Betonung; es ist kein Befehl, aber es macht wirklich keinen Unterschied. Wenn ich nicht tue, was er will, und ich
weiß, was er will, werden die Schmerzen schlimmer sein, als die Beherrschung es je zustande bringen könnte. Blitzschnell packe ich Malah an der Kehle, hebe die kleine Frau mühelos aus dem Weg, und der Meister kann weiter schweben. Deckard keucht, Anya packt sofort ihren Hammer und stürmt auf mich zu, aber ich hebe nur eine Hand und wackle warnend mit dem Zeigefinger.
"Ich habe kein Interesse daran, das zu tun, aber euch ist schon bewusst, dass ich euer ganzes dreckiges Dorf von der Landkarte fegen könnte, wenn ich das wollte, ja?", erklärt der Meister. Sein Tonfall ist bestenfalls leicht amüsiert.
"Gegen eine
Stadt voller Barbarenkrieger? Du darfst es gerne versuchen!", spuckt Malah. Ich erhöhe den Druck auf ihren Hals, bis sie unwillkürlich zu würgen beginnt.
"Ich bin mir
sicher, dass ihr mir einen schönen Kampf liefern würdet", lacht der Meister. "Und vielleicht, eine solche Möglichkeit besteht natürlich immer, würdet ihr es schaffen, mich zu töten – unter erheblichen Verlusten. Und dann, hm? Wer tötet dann Baal? Bring sie her."
Ich trage Malah zu ihm. Anya und Deckard laufen uns hilflos hinterher.
Jetzt hält der Meister an, und ich halte die Barbarin vor sein Gesicht.
"Ihr
braucht mich", erklärt er, und
jetzt liegt Drohung in seiner dunklen Stimme, die ich so jugendhaft schon lange, lange Zeit nicht mehr gehört habe. "Genauso, wie ihr mich immer gebraucht habt, weil ihr alleine noch nie in der Lage wart, für Ordnung zu sorgen. Ihr nutzlosen Parasiten wart schon immer so unglaublich stolz darauf, wie wild und frei ihr doch seid, und nie hat es euch mehr eingebracht als wohlverdiente Verachtung von allen auch nur halbwegs zivilisierten Nationen. Für jeden vernünftig denkenden Menschen seid ihr Hofnarren, als Volk samt und sonders, das einzige Potential außer
Amusement, das in euch wohnt, ist euere zugegebenermaßen beachtliche Stärke. Mit der richtigen Führung könnte man euch eventuell sogar als nützlich bezeichnen, mit viel Fantasie. Ohne sie seid ihr wie ein seit Jahrhunderten in einer Ecke verrottendes Skelett, das einem Menschen gehörte, der offenbar an seiner eigenen Dummheit gestorben ist. Mit eiserner Hand regiert erreicht ihr beinahe den Status eines Skelettes in meiner Armee: garantiert nicht in der Lage, für sich selbst zu denken, aber in manchen Situationen hat es den Anschein, als ob ihr zumindest eine kleine Rolle in meinem wohlchoreographierten Stück tanzen könnt.
Golem, Ohrfeige."
Ich verpasse Malah einen schallenden Rückhandschlag.
"Lass sie fallen."
Sie landet am Boden wie eine einstürzende Burgruine. Er schwebt über sie hinweg.
"Wenn ihr Glück habt, vergesse ich die Existenz dieser morastigen Provinzpfütze, sobald meine Macht absolut ist."
Wir haben den Wegpunkt erreicht. "Weg der Urahnen", intoniert der Meister, und der Teleportstein bringt uns in eine Eishöhle, die nicht viel anders aussieht als die, welche wir durchquert hatten, um zum Frostfluss zu gelangen. Aber wir befinden uns sicher nahe dem Gipfel, wenn man der Wegbeschreibung trauen kann; und die hat man uns schließlich verraten, als die Menschen in Harrogath noch glaubten, der Meister hätte tatsächlich ihre besten Interessen im Sinn.
Um uns herum liegen die Leichen eines heftigen Kampfes; Sklaven und langbeinige untote Krieger mit übergroßen Zweihändern, die der Meister ohne mich bezwungen hat auf dem Weg hierher von der Abkürzung nach dem Frostfluss.
Durch die Teleportation ist nun auch der Rest der Armee aus Nihlathaks...aus des Meisters Hallen von Vaught mitgekommen, überraschend wenig sogar. Es müssen manche der Skelette versucht haben, durch das rote Portal nach Harrogath zu kommen, aber die Barbaren werden diese vernichtet haben, und der Meister war vom Kampf gegen Nihlathak zu abgelenkt, um sie vernünftig zu steuern.
All dieser Verluste werden nun schnell ersetzt; ohne hinzusehen erschafft er alle fehlenden gleichzeitig, während er auf mich zuschwebt. Was nun?
Er stemmt die Fäuste in die Seiten. "Was für eine
himmlische Ruhe. Endlich Zeit, die Früchte meiner Arbeit zu genießen! So jung habe ich mich seit Jahrhunderten nicht gefühlt."
Betrübt blickt er auf seine Finger, die sich nicht völlig spreizen lassen. "Aber irgendwie hat dieser Narr es geschafft, sich beim Wirken der einfachsten Zauber zu verbrennen...unglaublich. Hättest du das nicht verhindern können?"
Ich arbeite hart daran, meine Miene und meine Stimme zu kontrollieren, besonders angesichts der Tatsache, dass der Meister sich seine Finger damals genau auf die gleiche Weise verbrannt hat wie der General.
"Ich wusste nicht, dass er diese Fähigkeit mitten im Kampf gegen Azmodan in Kaas Körper erlangen würde, Meister. Es tut mir sehr Leid."
"Kaa...möglicherweise erinnere ich mich sogar vage, dass dies passiert ist. Egal, wenigstens bin ich es so gewohnt. Das leicht verkrüppelte Bein hingegen...wann ist das passiert?"
"Als er noch sehr unerfahren war, wenige Tage nach meiner Erschaffung."
"Kein Regenerationstrank?"
Wie soll ich das jetzt erklären, ohne zu lügen, aber ohne, dass er mich bestraft? Ich bin schon viel zu sehr außer Übung! Immerhin weiß ich, dass den Meister "er meinte, dass Frauen auf die Narben stehen würden" nicht amüsieren wird.
"Er dachte vermutlich, dass die Verletzung nur zu Narben, nicht zu dauerhaften Beeinträchtigungen führen würde", antworte ich also nach hoffentlich nicht zu langer Denkpause.
"Bei einer solchen Einstellung kann ich ja froh sein, dass nicht mehr kaputt gegangen ist. Andererseits, nur der Pöbel benutzt seine Beine."
Der Meister spannt seine Armmuskeln an.
"Hat er sich ernsthaft Zeit genommen, an seinem Körper zu arbeiten?"
"Das ist vor allem einem speziellen Trank zu verdanken."
"Ach? Ist die Alchemie schon so weit? Warum hat er nicht genug davon getrunken, um Dämonen mit bloßen Händen zerreißen zu können?"
"Der Erfinder des Tranks ist leider tot."
"Und das hat einen Totenbeschwörer aufgehalten? Wenn wir hier fertig sind, wirst du mich zum Grab des Alchemisten führen. Ich werde ihm das Rezept abpressen, verfeinern und benutzen! Vielleicht könnte man es sogar mit meiner Seelenmagie mischen..."
Er hält plötzlich inne und sein verklärtes Lächeln verschwindet.
"Freust du dich denn nicht für mich, Golem?"
Oh Hölle, ich kenne diesen Tonfall nur zu gut. Was...was habe ich getan? Ich versuche, mir mein bestes Lächeln aufzulegen. Aber nicht
zu eifrig, das mag er auch nicht...
"Wenn Ihr es mir erlaubt, Meister, dann selbstverständlich!"
"Oh,
das erlaube ich aber überhaupt nicht!", spuckt er. "Auf die Knie!"
Ich falle zu Boden. "Meister, wenn ich Euch..."
Er ohrfeigt mich, und ich bin still. Dann packt er mich am feurigen Kinn.
"Ein
Gesicht? Was bildest du dir ein?"
Nein, nein, nein! Natürlich hasst er das, natürlich ist es falsch! Dorelem, du verdammter...
"Meister, bitte, ich hatte völlig vergessen, dass er..."
Er treibt seine Finger plötzlich tief in meine Augenhöhlen und ich kann nur noch schreien.
"Aber
Mienenspiel hast du nicht vergessen? Das treibe ich dir gleich aus! Lippenstift auf einem Streitkolben!"
Langsam, bewusst, als wäre es tatsächlich Haut, reißt er die Feuerhülle von meinem Metallschädel. Vor Schmerz funktionieren meine Gedanken nicht mehr, die...Schwärze...
Mein Gesicht verpufft zwischen seinen Fingern. Die scharfe Kälte der Eishöhle sticht wie in einer frischen Wunde.
"Gewöhn dir sowas nur ganz schnell wieder ab!", brüllt der Meister mit erhobenem Finger. "Ich hätte nicht übel Lust, dich hier und jetzt zu vernichten! Und glaub ja nicht, dass ich dich so sehr brauche, dass du erst einmal sicher bist. Auf! Wir haben einen Berg zu besteigen! Einen Gipfel zu erobern! Ein großes Übel zu vernichten! Ich will keine Fehler mehr sehen!"
"Jawohl, Meister", krächze ich, stehe auf und versuche verzweifelt, dabei nicht zu torkeln. Es ist nichts, Golem. Er droht dir
immer mit Vernichtung. Ignoriere es, ertrage den Schmerz, es ist ja nicht so, als ob er noch nachklingt. Du hast ja keinen Körper aus Fleisch, nur einen aus Elementen und Magie. Kein Leben, um das man sich fürchten müsste, keine Gefühle außer vorgegaukelte, nur dazu da, um zu verstehen, worüber Menschen reden...
Einfach Befehle befolgen, nicht denken, alte Routinen wieder finden, dann bestehst du weiter, kein Problem.
Der Meister erklärt mir knapp, welchen Weg er vom Ende der Abkürzung aus dem Frostfluss genommen hat, damit beginne ich wieder, im Kopf eine Karte zu zeichnen. Sicher finden wir so den Aufgang zu Gipfel bald. Aber was dann? Er will Baal töten, so viel habe ich mitbekommen. Was auch schon immer sein Plan war, früher oder später, der Pakt mit dem Großen Übel war gedacht, ihm Zeit zu gewinnen, um stark genug dafür zu werden.
Nun, egal – es hat mich nicht zu interessieren. Er wird mir sagen, was zu tun ist, und denken gehört nicht dazu.
Nach ein paar Minuten schüttelt der Meister auf einmal irritiert den Kopf. "He, Golem. Ich quetsche meinen Wirt gerade mehr und mehr aus, bald habe ich Zugriff auf seine letzten Erinnerungen, und nicht mehr lange danach werde ich den letzten Rest von ihm ausgelöscht haben. Was ist mit diesem 'Dorelem' in dir – machst du das Gleiche mit ihm?"
Der neue General ist noch nicht komplett verschwunden? Aber so, wie ihn der Meister im Griff zu haben scheint, ist das nicht einmal der Ansatz einer Chance. Die habe ich schon vor Jahrhunderten verloren...oder nie gehabt.
"Meister, seit Ihr Dorelem befohlen habt, in meinen Erinnerungen zu verschwinden, habe ich ihn nicht mehr gespürt", gebe ich ehrlich zu.
Er schwebt zu mir. "Ach?" Packt mich am Hals. "Sicher?" Drückt zu. Hebt mich vom Boden.
Es gibt körperlich keinen Sinn, aber halb drängt mich der Schmerz dazu, halb weiß ich, dass er das erwartet: meine Stimme ist ein Gurgeln. "Ja, Meister. Ich kann euch nicht anlügen, Meister."
Er lässt mich runter. "Leg deine Hand um deinen Hals, drück so fest zu wie ich gerade." Ich folge; es tut genauso weh.
"Dorelem, hörst du mich?", brüllt mich der Meister an. "Wenn ja, dann schließe jetzt deine Faust. Beende euere Existenz!"
Zur Hölle...wehe, wehe du bist wirklich noch irgendwo...wenn du mir das antust...
Zucken meine Finger? Sieht der Meister es? Nein! Was kann ich tun?
Da helfen mir meine jahrzehnte lang trainierten Instinkte, jedes Wort von Befehlen zu lesen.
Dorelem! Er hat "jetzt" gesagt, aber wenn du in meinen Erinnerungen bist, ist mein "jetzt" schon Vergangenheit! Du musst ihm nicht gehorchen!
Sekunden vergehen...
"Na, dann war das ja zumindest erfolgreich", schnaubt der Meister. "Du kannst loslassen und dich reparieren."
Meine verbogenen Halswirbel glätten sich. Ich atme innerlich auf, sage nichts; ich wurde nicht gefragt.
Ich mache mich wieder daran, den richtigen Weg zum Gipfel zu finden...da erschüttert plötzlich ein Beben den Berg. Bevor ich ernsthaft stolpere, hört es auf. Meine Hand bleibt noch am kalten Stein der Wand neben mir...und mir ist, als würde ich ein erbarmungswürdiges Heulen hören, das Geräusch von hilflosem Schmerz eines Verlusts, der nie wieder gut zu machen sein wird. Ich zucke zusammen, tief getroffen, aber der Schrei klingt nach, verursacht ein Echo tief in mir...oder hört er einfach nicht auf?
Was
war das?
Ein schneller Blick zurück verrät mir, dass der Meister nichts bemerkt hat – er schwebt schließlich. Und er wirkt ein wenig mit sich selbst beschäftigt.
Statt weiter darüber nachzudenken, beeile ich mich, voranzuschreiten, bevor er doch etwas bemerkt, denn das kann nicht gut sein.
Einige Abzweigungen und Sackgassen später, überlege ich mir kurz, den Meister in die Irre zu führen; niemals kennt er sich noch aus. Sofort töte ich diesen Gedanken und entsorge die Leiche. Es würde nichts ändern, nur verzögern; und je schneller wir wieder an einem Punkt ankommen, wie es früher war, desto schneller kann ich mich wieder in meine alte Rolle finden. Es war fast schmerzlos, zumindest für längere Strecken, immer mal wieder.
Als der Meister wieder aus heiterem Himmel irritiert dreinschaut, eine Grimasse schneidet, den Kopf schüttelt und sich dann gegen den Helm klopft, erlaube ich mir allerdings doch die Frage, ob er je wieder wird wie früher. Nicht, dass ich das gut fand, aber...
Still, Golem! Du hast nichts zu finden!
...aber er war berechenbarer. Das hat nichts damit zu tun, dass ich ihn irgendwie manipulieren würde, Diablo bewahre mich vor solchen Ideen, aber wenn man immer gehorchen muss, hilft es, die Befehle zumindest in Teilen kommen zu sehen.
Ist es nur der General, dessen Seele der Meister in seinem neuen Körper noch nicht komplett ausgelöscht oder übernommen hat, die ihn so instabil machen? Oder hat seine eigene Seele doch Schaden genommen nach der Verteilung auf fünf Setteile, und natürlich nach all den Beschwörungen von...mir...
Nein, das ist natürlich Unfug.
Aber Spuren hinterlassen werden sein Tod und seine Wiedergeburt vielleicht doch...
Golem! Du denkst schon wieder über Dinge nach, die dich nicht zu interessieren haben! Wer hat dir befohlen, zu denken? Wer hat es dir erlaubt? Zeichne die Karte im Kopf, führe den Meister, das ist deine Aufgabe, der Rest ist überflüssig. Welchen Floh hat dir Dorelem nur ins Ohr gesetzt? Du weißt, wozu solche Gedanken führen. Hoffnung, von der du weißt, dass sie sinnlos ist – der Beweis schwebt hinter dir, in diesem Moment! Was brauchst du mehr, um zu schweigen, grausames Hirn? Bei den Tiefen der Hölle! Wie sehr ich dich hasse, für jeden Moment, in dem du deinen Unsinn auf mir abgeladen hast, Dorelem! Kannst du mich hören? Du bist an allem schuld...ich...ich glaube, wenn du wenigstens auch dabei verschwindest, könnte ich es sogar akzeptieren, vom Meister vernichtet zu werden!
Nein, nein, nein! Zumindest daran sollst du nicht schuld sein dürfen...diesen letzten Verrat, an mir selbst, werde ich garantiert nicht begehen. Ich weiß nicht, was über mich gekommen war, damals...Monate der Schwäche...
"He, Golem. Warum hast du eigentlich im Schinder-Dungeon versucht, mich umzubringen?", schneidet der Meister meine Gedanken entzwei.
Ich bleibe vor Schock einen Moment stehen.
"Mephistos Einfluss hat mich beeinflusst, Meister", stoße ich hervor. Was, versichere ich mir, nicht falsch ist.
Er schwebt näher. Zu nahe.
"Mephisto weckt den Hass in den Seelen der Menschen. Bist du ein Mensch, Golem?"
"Nein", krächze ich.
"Nein,
Meister", knurrt er. Ich spüre seinen Atem über meinen Kopf streichen, er schwebt hoch genug. Meine Beine haben sich automatisch wieder in Bewegung gesetzt, zur Hölle, wenn er jetzt gegen mich stoßen sollte...
"Nein, Meister, es tut mir Leid", entschuldige ich mich mit eisernem Griff um meine Stimme. Kein Zittern, keine Angst darin. Angst ist etwas, das Menschen haben, Angst steht einem Werkzeug nicht, ein Werkzeug mit Angst ist defekt, defekte Werkzeuge werden aussortiert...
"Hast du eine Seele, Golem?", haucht der Meister über mich.
"Selbstverständlich nicht, Meister", erkläre ich tonlos. Wollte er dieses Wort hören? Habe ich übertrieben?
"Ja, das wäre doch wahnsinnig", lächelt er. Obwohl er hinter mir ist, kann ich sein Gesicht natürlich sehen. Er legt seine Hand auf meine Schulter, und von ihr geht eine Kälte aus, die das Feuer sofort löscht. Seine Finger ruhen auf dem Ton darunter, graben mühelos Furchen hinein, und es fühlt sich an wie die Klauen einer Bestie, die mich verschlingen will.
"Das wären die Gedanken eines Dieners, der für mich wertlos geworden ist, nicht wahr? Willst denn nichts wert sein, Golem?"
Kein. Verräterisches. Zittern. Obwohl mein Körper danach schreit...obwohl es keinen Sinn ergibt, ich habe keinen Körper, hatte nie einen, nur eine leere Hülle, mit keiner Füllung, warum
fühle ich überhaupt? Das ist so...so unfair! Bist du das, Dorelem?
"Ein Diener hat keinen Willen, Meister."
Er schwebt um mich herum, legt beide Hände auf meine Schultern und starrt auf mich herab. "Das heißt, es ist dir egal, wenn ich dich hier und jetzt vernichte...?"
Warum tut er das? Warum spielt er mit mir?
Golem!
Ruhe!
Es hat dich nicht zu interessieren, warum! Er tut, was er will, ganz besonders mit dir, hat das schon immer, und es wird nie enden. Wenn du es richtig machst, wird es nie enden. Antworte einfach weiter! Denke nicht!
"Meister, wenn es Euer Wille ist, dann vernichtet mich."
"So, wie es dein Wille war, mich zu vernichten...als wärst du der Meister gewesen in diesem Moment?"
Hölle hilf mir, er hat sich komplett verbissen in diese Erinnerung, die nicht einmal seine eigene ist!
"Meister, in diesem Moment war euer...Wirt...so schwach wie nie zuvor. Euer Befehl war,
Euch zurückzubringen. Den stärksten Totenbeschwörer, der je existiert hat und je existieren wird. Nicht ein von den Mächten der Hölle nach Belieben benutztes Wrack, das kaum in der Lage war, eine Höhle voller winziger Puppen zu durchschreiten! Ich fühlte mich...ich war
gezwungen, dafür zu sorgen, dass ein anderer, stärkerer Wirt für Euch kommen würde!"
"Und doch hättest du damit meine Wiederkunft verhindert!"
"Wie hätte ich das wissen sollen, Meister? Ich bin nur ein Golem!", rufe ich, und hoffe, ja,
hoffe, dass er meine Verzweiflung nicht hört.
Da sehe ich das Zucken seines Mundwinkels, ein Zucken, das ich kenne. Ein Zucken, das er immer hatte, wenn vor ihm jemand
brach, seine Familie verriet, ihre größten Geheimnisse ausbreitete, oder einfach nur noch betteln konnte.
Die Momente, in denen er der
Meister war über diese Menschen. Die er immer, ohne es jemals zuzugeben, aber ich wusste es seit dem ersten Mal, seit meiner Erschaffung, am meisten genoss von allen Momenten seines langen Lebens.
Er spielt mit mir, weil er Spaß daran hat. Er hat dies schon lange, lange Zeit nicht mehr getan, weil er wusste, dass ich längst gebrochen war, und so viele andere Menschen unter sich hatte, die es noch nicht waren. Aber jetzt hat er gerade niemand, darum muss ich herhalten.
Ist es nun vorbei? Kam der Moment und ging wieder? Bin ich ihm schon genug gebrochen, zum erneuten Mal?
Kann ich das überhaupt sein, wo ich doch immer noch klar analysieren kann, was er tut?
Ist er in seinem aktuellen Zustand überhaupt in der Lage, aufzuhören, oder genießt er sein neues Leben einfach zu sehr, um mich in absehbarer Zeit jemals vom Haken zu lassen?
Da sehe ich etwas, das eine viel brennendere Frage aufwirft.
Ein Monster stürmt heran. Ein gigantischer, drei Meter hoher Koloss aus Muskeln, Hörnern und einer blutroten Rüstung. Ein stierköpfiges Ungetüm, in jeder Hand eine Axt, unter seinen Füßen eine leuchtend rote Aura, die ihm die Geschwindigkeit eines Sprinters mit einem Zehntel seines Gewichts verleiht. Mit deren Hilfe er durch einen engen Gang
fliegt, der fast nicht in der Lage ist, ihn überhaupt aufzunehmen.
Der Meister wird ihn niemals rechtzeitig bemerken, da er ihn nicht sieht. Vielleicht erreicht das Schleifen von Hufen auf dem Eisboden, das metallische Schaben von Rüstungsteilen aneinander und das Schnauben und Stampfen des halben Dutzend
anderer Dämonen hinter ihm gerade erst seine Ohren, vielleicht wird er sich in einer weiteren halben Sekunde langsam, viel zu langsam umdrehen.
Und von den beiden Äxten, Knochenrüstung hin oder her, zu einem feinen roten Nebel verarbeitet werden.
Und dann?
Freiheit von seinem Wahnsinn? Kein Ventil mehr für seinen Sadismus, kein Werkzeug seiner perversen Machtgelüste...
Keine Existenz mehr...
Schwärze...
Blitzschnell packe ich ihn an den Hüften und reiße ihn zur Seite. "Passt auf!", schreie ich dazu, trete nach vorne, dem Monster entgegen, und etwas in mir geißelt mich, verflucht meine Schwäche, meine Angst vor der Schwärze, meine gefühlte Verantwortung vor etwas, das ich nicht definieren kann, nie konnte...nie wollte.
Aber dafür habe ich jetzt keine Zeit, nicht wahr?
Ganz kurz fühle ich mich noch wie ein Hase vor einer unkontrollierbar heranstürmenden Horde wilder Tiere. Woher hat Baal diese Monster? Sie kommen mir nicht bekannt vor...und die meisten seiner Truppen hat Baal nur von existierenden Dämonen seiner Brüder kopiert.
Egal, Golem. Hör auf zu denken.
Ich bin eine Kampfmaschine, ein Werkzeug des Todes. Ich weiß genau, was ich zu tun habe, es gibt keinen Platz für Zweifel...im Kampf. Und sonst auch nicht.
Als die erste Axt herabsaust, entschlüpfe ich ihr, denn bei einer solchen Geschwindigkeit nach
vorne kann er schlecht
zur Seite korrigieren. Er hat sie zu früh gehoben – so wusste ich, dass er mit der rechten Hand schräg von oben nach unten zuschlagen wird, in voller Erwartung, dass ich ihm nie entkommen würde und er jetzt durch meine beiden Hälften weiterlaufen kann.
Aber ich stehe noch. Und seine zweite Axt wird von der ersten blockiert. Er ist natürlich auch im Reagieren extrem schnell; bleibt stehen, schlittert nur ganz leicht auf dem gefrorenen Boden, dreht sich so um, dass er mit der zweiten Axt aus der Bewegung zuschlagen kann...
Zu spät, meine Faust hat bereits seine Seite gefunden. Er trägt schwere Rüstung, die meine Klauen nie durchdringen werden können; aber das muss er spüren. Es lässt ihn zusammenzucken, nur kurz, aber wieder lange genug. Ich packe die Axt direkt unterhalb der Klinge am Griff; lasse mich mitreißen, ohne die Kontrolle zu verlieren, weil sein Schlag nicht mehr die volle Wucht seiner dämonischen Stärke hinter sich hat.
Ich schwinge mich um den Griff, die Beine nach oben und umschere seinen Hals. Beinahe schaffe ich es nicht, meine Füße zusammenzubringen, so dick ist sein Nacken. Mit ihm selbst als Stütze reiße ich an der Waffe, während ich Ton- und Feuertentakel aus meinen Händen wachsen lasse, um seine Hände zu verbrennen, die Finger wegzuschlagen; es ist ein gewaltiger Kraftakt, aber er lässt los, und ich besitze ein Mordinstrument mit einer Zwillingsklinge, die halb so groß ist wie ich.
Er lässt die zweite Axt hochfahren, aber ich pariere mit meiner eigenen. Seine freie Hand greift nach mir...und ich lasse ihn. Er zieht mich von seinem Rücken weg, will mich werfen...
Mit beiden Händen, sonst könnte ich die gigantische Waffe gar nicht führen, spalte ich ihm den Schädel.
Derweil sind zwei seiner Kumpanen an mir vorbei gelaufen, aber gegen eine Wand aus Skeletten geprallt. Für einen Moment halten die Wächter sie ab; doch mit jedem Schlag ihrer Äxte werden die Monster schneller, bis ich überhaupt nicht mehr erkennen kann, wo die Klingen sich gerade befinden. Unter dem gewaltigen Ansturm der gegnerischen Raserei knicken sogar die mächtigen Diener des Meisters ein...
Ein genau gezielter Knochenspeer durchdringt das Auge eines der Monster. Sofort explodiert die frische Leiche und wirft den zweiten aus dem Gleichgewicht. Die noch intakten Skelette stürzen sich auf ihn...
Er fegt sie weg; sie kamen nicht durch seine Rüstung.
Ich hingegen...
Werde fast gezweitelt. Mit einer Rolle, gerade noch rechtzeitig, bringe ich mich in Sicherheit vor den Gegnern von hinten. Aber ich musste kurz inne halten, damit sie stehen bleiben, um die Äxte zu schwingen. Jetzt bin ich nahe an dem von der Explosion abgelenkten Minotauren. Ein Klauenhieb zerfetzt seine Achillessehne, er brüllt, fällt, ich tanze aus dem Weg, bringe seinen Körper zwischen ihn und die wieder nahenden anderen Angreifer, hole mit meiner freien Faust aus, forme eine Feuerlanze vor ihn und finde die Schwachstelle seiner Rüstung zwischen seinen Beinen. Mein Schlag lässt Rauch aus seinen Augenhöhlen quellen. Was ist mit den anderen...? Haben sie erkannt, dass ich eine große Gefahr bin, wollen sie mich ausschalten? Sind sie
noch schlauer und steuern stattdessen auf den Meister zu?
Da erhebt sich der gerade von mir Ausgeschaltete plötzlich wieder. Was zur Hölle, wie ist er
daran nicht...?
"Kümmere dich um den Helden!", schreit mir der Meister da zu, und ich verstehe. Der frisch Wiederbelebte packt mich...und wirft mich weit nach hinten, über die Köpfe zweier anderer Monster hinweg. Ich habe zum Glück immer noch Ton und Feuer um die Axt gewickelt...das Gefühl beschleicht mich, dass ich sie brauchen werde.
Als ich lande, entsteht hinter mir eine Knochenwand. Der gegnerische Held war zurück geblieben, womöglich um in Sicherheit zu garantieren, dass die Diener für den ganzen Kampf die Vorteile seiner Aura genießen können, aber jetzt muss er sich um mich kümmern...und muss weder auf Überraschungen von hinten achten noch darf ich auf Hilfe hoffen.
Er ist noch größer als seine Untergebenen, trägt scharlach schimmernde Rüstung über obsidianem Fell, seine Hörner sind Elfenbein. Die Zwillingsäxte sind aufwändig ziseliert, die Aura unter seinen Füßen macht ihn gottgleich erhaben.
Und ich muss ihn fällen. Sofort suche ich nach Schwachstellen in seiner Rüstung; eine offensichtliche habe ich ja gerade schon gefunden, ebenso wie die nackten Hufe und ihre Sehnen. Sein Hals ist zu breit, um ordentlich geschützt zu sein. Doch wie den Kampf beginnen?
Ich kann es kaum glauben, aber ich versuche eine Taktik von Dorelem...und rede mit ihm.
"Und mit wem haben wir hier die Ehre?", spotte ich, während ich in einem langsamen Halbkreis vor ihm schreite, die Axt wiegend.
"Wir sind die Fürsten des Mondes", donnert er. "Baals Triumph hat uns erweckt, und als seine ersten Heralde werden wir Zerstörung über den Arreat bringen!"
"So, wie ich das sehe, muss Baal erst noch mit uns klar kommen, bevor er wirklich endgültig gesiegt hat."
"Ach? Ist nicht die Korruption des Weltsteins bereits sein Triumph, alles danach an Widerstand aufsteigende nur hilfloses Winden bereits zertretener Würmer?"
Der Weltstein...ist bereits korrumpiert?
Wir sind zu spät?
Das Beben durch den ganzen Berg gerade eben! Nein...wir waren so nah!
Ich beiße meine Metallzähne zusammen. Das hat mich nicht zu interessieren, nicht im Geringsten. Die ganze Mission war von vorneherein nur ein Vorwand, um den Meister zurück zu holen. Für ihn ist es jetzt viel schwieriger, Baal zu schlagen – aber das ist sein Problem. Dunkel bezweifle ich, dass es ihn sonderlich kümmert. Er ist schon jetzt viel mächtiger, als er je war. Das würde er sicher nie offen zugeben, aber der junge General war auch ohne Trang-Ouls Setteile bereits ein unglaublich talentierter Nekromant. Sobald ich das erkannte, wollte ich ihn ja eigentlich auch...
Vorbei und zu vergessen. Was zählt, ist der letzte Befehl...immer nur das und nichts anderes.
"All dies mag sein", antworte ich also dem Mondfürsten. "Aber an diesen Würmern kannst du immer noch ersticken, und damit wird sich deine Rückkehr in Minuten messen."
Ich hole mit der Axt weit aus, beide Hände am Griff, schwinge sie in der Luft, einmal, zweimal drehe ich mich – und werfe sie dann. Habe mich geirrt vorhin...sie würde mich nur belasten.
Er wehrt sie natürlich ab, aber schon bin ich hinterhergestürmt, und er hat die Waffen erhoben. Ich werfe mich nach vorne, zwischen seinen Beinen hindurch, springe auf und...
...muss ausweichen. Hölle! Diese Geschwindigkeit muss von seiner Aura stammen, oder hat er meine Taktik kommen sehen?
Ein Hieb der anderen Axt, ich ducke mich erneut. Da kommt schon wieder die erste...schneller und schneller werden die Klingen. Hastig schlage ich ein Rad zur Seite, so agil war ich früher nicht! Aber ich habe es auch nicht gebraucht. Und so ungern ich es zugebe, Dorelems Unerfahrenheit kommt mir nun sehr zugute – er hat immer wieder neue Ideen in unsere Kämpfe gebracht, und irgendwie habe ich mich daran gewöhnt.
Meine Hand aus Feuer und Ton löst sich von den Knochen darunter, streckt sich vor und schnappt die Axt wieder. Ich ziehe sie heran, gerade rechtzeitig, um eine von denen des Mondfürsten abprallen zu lassen. Und den zweiten Hieb...ich ändere den Winkel...lasse ich abgleiten.
Ein Mensch könnte dies nicht, oder nur nach Jahrzehnten des Trainings, aber ich kann den Griff meiner Axt natürlich einfach in meinen Händen drehen, weil ich keine Haut habe, die Fest an den Muskeln darunter haftet. So verteidige ich mich, Hieb um Hieb, aber bald wird er mir zu schnell. Ich kann kaum mehr sehen, woher sein nächster Schlag kommt. Das weiß er auch, ein bestialisches Grinsen breitet sich in seinem Stiergesicht aus.
Aber das heißt, er verlässt sich darauf, mich einfach zur Geschwindigkeit zu übertrumpfen...
Er wird also nicht aus seinem Rhythmus brechen. Aber ich kann das! Wie hingegen? Verdammt, ich hätte nicht gedacht, dass ich Dorelems wahnsinnige Ideen
so schnell vermissen würde!
Ach was! Das bekomme ich auch hin. Vor mir ist absolut kein Durchkommen, ich kann nicht springen, ich kann nicht zur Seite, weil seine Schwünge zu weit sind. Hinter mir...
Die Knochenwand ist weniger als zwei Meter entfernt.
Ich lasse aus meinem Rücken eine Feuerpeitsche wachsen, länger, länger, schneller! Kaum komme ich mit der Abwehr nach, da, endlich, findet der tastende Tentakel Halt zwischen Knochenfragmenten.
Eine Axt saust durch die Luft, wo gerade noch ich war, als ich mich nach hinten weg ziehe. Der Mondfürst stolpert, weil er Widerstand erwartet hat, entweder von meiner Axt oder von meinen Metallknochen...
Ich lande genau richtig, winkle die Beine an und schieße wieder weg von der Knochenwand. Seine andere Axt ist noch erhoben, bereit für den nächsten Schlag. Mit den Fäusten voran pralle ich gegen die sie haltende Hand, breche ihm einen oder zwei Finger, und im Fallen packe ich sie für mich.
Jetzt habe ich zwei, und er eine. Aber auch meine Golemstärke ist nicht in der Lage, beide gleichzeitig vernünftig zu halten. Kurz ist der Titan noch abgelenkt; was jetzt?
Die Schwachstelle suchen! Ich nehme die leichtere Axt seines Dieners und schwinge sie schräg nach oben. Da dreht er sich weg, ich ändere den Kurs...und sie bleibt zwischen zwei Platten seiner Rüstung in seinem Rücken stecken.
Er greift mich der verletzten Hand nach mir, aber sein Ducken lässt den Axtgriff hochschwingen, und ich halte ihn noch, also bin ich gerade so außer seiner Reichweite.
"Du Pest!", brüllt er.
Eines seiner Hörner ist in Griffweite! Ich bekomme es schwach zu fassen, bevor er sich wieder aufrichtet. Blöde glotzt er mich an, als ich plötzlich vor ihm hänge. Meine Faust landet schwer auf seinen Nüstern, aber davon falle ich wieder, weil mein Griff nicht fest genug war. "Also Mörder von Millionen?", schreie ich zurück – er soll richtig rot sehen.
Und tatsächlich kommt da der nächste Axtschwung, aber nur mit einer Hand, also kann ich auf seine waffenlose Seite ausweichen.
Doch da hat er natürlich noch einen Arm, und damit packt er mich am Schädel.
"Ich werde dich zerquetschen!", schreit er. Das ist eine Drohung, die ich wirklich noch nie gehört habe. Er würde es wahrscheinlich auch schaffen, in wenigen Sekunden sogar, aber eben nicht
sofort – denn seine Hand ist verletzt! Der Druck auf meinen Schädel steigt, doch ich spüre ihn zucken, als der Schmerz in seinem Hirn ankommt. Da landet ein Feuertentakel auf dem Schutz seines anderen Arms, und ich stecke alle Hitze hinein, die ich noch habe.
Das Fell unter dem Metall explodiert sofort in Flammen. Mit einem Schrei, der mir kurz Sorgen wegen Höhleneinstürzen bereitet, lässt er mich los.
Ich gleite um ihn herum, packe die Axt, die noch in ihm steckt, und klettere seinen Rücken hoch. Mein langer Griff erreicht eine seiner zu Boden gefallenen Waffen. Mit den Beinen um seinen Hals geschlungen halte ich mich fest, und die Klinge saust herab...
Er fällt in die Knie und ich rolle davon. Drehe mich zu ihm um, stehe auf...und er auch. Die Axt steckt im Fleisch seines Nackens fest, Blut fließt an ihm herab, aber er ist noch am Leben, deutlich sogar. Er bückt sich nach seiner zweiten Waffe, wild schnaubend, was den Rauch von seinem Arm zerstäuben lässt.
"Genug", schneidet da die Stimme des Meisters in die momentane Ruhe. Der Mondfürst fährt hoch; ich zucke auch leicht zusammen. Wie lange sitzt der Meister da schon auf einem ätherischen Sessel aus Knochen, der in der Luft schwebt? Er legt seine Fingerspitzen zusammen.
"Deine Diener sind alle tot und mein Golem alleine ist dir über. Du wirst mir einige Fragen beantworten, und wenn ich zufrieden bin, werde ich dich schnell in die Hölle zurück schicken."
"Du kannst dort auf mich warten!", brüllt das Monster und läuft los...da stürzen zwei seiner ehemaligen Diener neben dem Meister hervor, schwingen ihre Äxte und treffen zielsicher die Kniescheiben der Rüstung ihres Helden. Ein hässliches Knirschen donnert durch den Raum, und Stierhörner bohren sich in den Boden. Ich gleite elegant zur Seite, um nicht zerschmettert zu werden.
"Hoch mit ihm, Golem!"
Ich steige über den Kopf des Mondfürsten hinweg, mit Krallen ausgestreckt. Meine Fußspuren brennen sich in das Fell. Der Meister will es so und nicht anders, das weiß ich natürlich...etwas in mir tut so, als wäre mir das unangenehm. Aber das ist natürlich Unfug, Quatsch, absurd, lächerlich. Werkzeug...Werkzeug.
Meine Beine landen hart im Rückgrat des Monsters, ich packe seine Hörner und reiße den Kopf nach oben, damit er den Meister ansehen kann.
"Wer bist du?", fragt der Meister.
"Dein schlimmster Alptraum!"
Eine Kopfgeste des Meisters zu mir. Ich wechsle meine linke Hand von Horn zu Axtgriff und drehe ihn etwas in der Halswunde. Der Minotaur zuckt unter mir, aber bleibt stumm. Der Meister seufzt. Verstärkter Schaden erscheint über dem Kopf des Monsters. Ich reiße die Axt aus ihm und ramme stattdessen meine Klauen in ihn. Mehr Kontrolle.
Er bäumt sich auf, aber die Hufe der Wiederbelebten halten seine Schultern auf dem Boden fest.
"Lister. Man nennt mich Lister", gibt er schließlich zu.
"Sehr schön. Lister, du hast gesagt, dass Baal den Weltstein schon korrumpiert hat. Das war keine Lüge?"
"Nein. Er hat bereits gewonnen, und ihr habt keine Chance mehr, ihn..."
Der Meister schneidet ihm mit einer seitlich gewischsten flachen Hand das Wort ab. So weit ist er schon? Lister wird nicht mehr lange durchhalten.
"Mehr Druck, Golem." Als der Meister das sagt, greifen die Minotauren nach den Hörnern, damit ich die Hände frei habe. Listers Kopf ist jetzt völlig unbeweglich. Also nehme ich die andere Hand, greife um seinen Kopf und lasse ihm die Klaue sehen. Sehr, sehr nahe an seinem Auge. Dann heize ich sie auf, bis sie rot glüht.
"Wenn sie weiß glüht, wirst du geblendet. Sobald du nichts mehr siehst, wird sie in deinem Schädel landen", erkläre ich.
Der Meister nickt. "Also fasse dich kurz. Baal hat den Weltstein korrumpiert?"
"Ja!"
"Warum hat es dann doch so lange gedauert? Ich hatte nicht den Eindruck, dass wir ihm wirklich dicht auf den Fersen waren."
"Er musste warten, bis jemand für ihn das Siegel brach...das Siegel, das den Turm versperrte!"
"Aha. Nun, noch ist nichts passiert, was ich bemerken würde. Also ist Baal noch nicht fertig damit, den Weltstein für sich einzunehmen?"
Lister zögert, bis ich meine Faust in ihm balle.
"Nein! Nein, ist er nicht! Ihr könnt ihn noch aufhalten!"
Meine andere Klaue wird heißer und heißer...ich spüre, wie Listers Fell sich vom Schweiß anfeuchtet. Sein Schmerz wird noch zusätzlich vom Fluch des Meisters verstärkt. Die gewaltigen Muskeln beginnen unter mir zu zittern. Der Meister bleibt stumm...
"Was wollt Ihr denn noch?", brüllt Lister verzweifelt.
Die Mundwinkel des Meisters zucken.
"Ich bin der General, was du wüsstest, wenn du nicht wertloses Exkrement wärst. Baal kennt mich hingegen gut, ich war sein treuer Diener. Das werde ich wieder sein. Überbringe ihm diese Nachricht. Oder brenne für immer in der Hölle, deine Entscheidung."
"Ich...ich werde es ihm sagen! Lasst mich los, und ich bringe Nachricht von Euch!", bettelt Lister. Meine Klaue verliert an Farbe...sein Auge verliert an Licht.
Der Meister blickt abwesend drein. "Ach, aber wie sollst du auf diesen Beinen Baal vor uns erreichen? Denkst du überhaupt einmal nach?"
"General, ich...", keucht Lister.
Langsam schwebt der Meister näher, unterbricht Lister mit einer erhobenen Hand. Wirft einen schnellen Blick auf meine Klaue; wieder das Zucken der Mundwinkel. Er richtet sich glatt auf, benutzt seine Beine für die letzten Schritte, kniet sich nieder, um Lister in das verbliebene Auge zu blicken.
"Natürlich wirst du einen kleinen Umweg machen. Schrei laut genug, damit Baal dich hört. Oder brenne für immer da unten. Hast du mich nicht klar genug verstanden?"
"Nein...!"
Der Meister steht auf und schwebt wieder hoch, dann an Lister vorbei. "Doch. Golem, bring ihn zum Verstehen."
Die Klaue landet in Listers Gehirn.
Wenige Minuten später haben wir den Aufgang zum Gipfel gefunden. Es ist eine etwas unscheinbare Treppe, aber helles Sonnenlicht zeigt sie uns. Natürlich ist der Arreat über den Wolken...wie hoch ist der Meister nur gestiegen in der recht kurzen Zeit, wo er alleine unterwegs war?
Wir treten aus einer Einhausung, ein Quader aus groben Steinen, der die Stufen vor Witterung schützt. Frische Fußspuren zeichnen sich im leuchtend pulvrigen Schnee ab, und auch sonst ist dieser alle andere als ungestört; es gab hier einen heftigen Kampf! Als ich weiter hinaus auf das überraschend flache Gipfelplateau trete, sehe ich, wie der Schnee überall zerwühlt ist, bis hinunter auf den blanken Stein. Zwei Reihen Steine ragen parallel aus dem Boden, führen nach hinten, von ihnen ist sogar einer zerbrochen. Zwischen ihnen zwei Torbögen, kunstvoll gemeißelt und verziert, und zwischen diesen eine erhobene, kreisrunde Plattform, mit in den Boden eingelassenen Ornamenten. Vier flache Stufen führen hinauf.
Hinter all dem, ein gewaltiger Turm – der Weltsteinturm. Ein Steinmassiv, klar funktionelle barbarische Architektur. Aber zunächst nicht wichtig. Auf der Plattform stehen fünf Objekte. Ein Steinblock in der Mitte, runische Schrift darauf eingemeißelt, schräg erhoben als wäre es ein Buchständer. Auf neun, zwölf und drei Uhr davon jeweils eine Statue aus Stein, von drei Barbarenkriegern; ein Schwertträger, dessen Waffe für die meisten Menschen zweihändig wäre, aber er hat ein Schild dazu. Ein Führer einer gewaltigen Hellebarde. Und schließlich ein Axtwerfer, wie Emund es war.
Aber es ist noch eine vierte Statue, fast genau auf sechs Uhr.
Ein Eisblock, aber darin eingefroren eine menschliche Gestalt...
Oh, es ist Natalya.