Kapitel 33 – Trang-Ouls Triumph
Ein Bild entsteht.
Zwei Stellen voller heißer Helligkeit, an- und abschwellend, auf halber Höhe des Bildes. Im Takt tanzende Dunkelheit, nur ab und an verbannt vom trägen Flackern. Schemenhaft, vage zu erahnen, fleckige Wände eines engen Raumes. Erdboden unter Füßen, niedrige Decke.
Zwei Gestalten im Schatten. Aufrecht, abgerundet, behängt...menschlich. Das ist das Wort.
Konzepte erblühen, erlernt, erinnert? Die einzigen Lichtquellen sind zwei Fackeln, rußig rauchend, darüber geschwärzte Stellen. Die zerkratzten Halter stehen auf einem Podest mit einer einzelnen Stufe, die nach oben führt.
Etwas fehlt. Die zwei Menschen an den Wänden, sie sehen her, aber sie sind...
unwichtig. Was fehlt, ist...
Ein heftiger Schlag. Schmerz, Hinterkopf. Stolpern. Ein hartes, rundes Objekt in Kniekehlen; ein Fall...
Eine dunkle, wütende Stimme. "Auf die Knie!"
Da tritt er ins Bild, der gefehlt hat:
Der
Meister.
Er stellt sich zwischen die Fackeln, sein Gesicht klar ausgeleuchtet, fast so weiß strahlend wie seine langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare. Eingefallene Wangen, die Knochen hoch darüber, eine gerümpfte, prominente Nase über dünnlippig zusammengepresstem Mund. Die offensichtlich für Wärme gefütterte und gepolsterte Kleidung ist nicht in der Lage, den Fakt zu verstecken, dass die dürre Gestalt darunter nie körperliche Arbeit verrichten musste.
Diese Stimme hingegen...sie ist es, die wahre Stärke ist, und sie packt sofort, eine stählerne Faust ums Herz in einem Griff, den die Spinnenfinger in eng anliegenden, schwarzen Lederhandschuhen, stets leicht gekrümmt, nie in dieser Stärke hinbekommen würden.
"Du bist ein Golem, mein Eigentum, und deine Existenz ist in meiner Hand. Wirst du dich in allem mir unterwerfen?"
Was...was bedeutet das? Spricht er mit...mir? Mit jemand, der
ich bin? Ich...selbst...?
Nein. Nicke!
Etwas in mir schreit mich an, es ist kein Befehl, es ist ein verzweifeltes Flehen. Sofort weiß ich, dass ich ihm nachkommen muss, die Alternative wäre...undenkbar.
Hastig tue ich es.
Wieder die Stimme. "Das ist nicht genug."
Ein Fußtritt direkt auf meine Kinnspitze. Schmerz, fürchterlicher Schmerz, so neu für mich wie alles andere auch, so verwirrend, so unerträglich, ungewollt, unverdient! Ich sollte...
Nein!
Ein schwerer Stiefel auf meiner Brust. "Ich bin der General! Sprich! Wer ist dein Meister?"
Er ist es! Aber...Sprache?
Wie soll ich...?
Sprich!
"Der General ist mein Meister!", rufe ich, in einer Stimme ähnlich der des Meisters, aber komplett ohne ihre Stärke. Ich erschrecke vor ihr, und davor, dass ich sie benutzt habe, ohne wirklich zu wissen, wie.
Der Meister hat einen Stab in der Hand, ein schmuckloser Holzstock, der mich vorhin auf den Boden geworfen hat. Diesen lässt er nun in mein Gesicht fahren, wieder und wieder und wieder und...warum? Was habe ich getan? Dieser Schmerz...ich kann nicht...ich hebe meine Hände, aber es schmerzt an ihnen nicht weniger als in meinem Gesicht.
Schwärze drängt von den Rändern des Bildes nach innen...
Ich sollte ihr nachgeben. Etwas sagt mir, dass der Schmerz dann vorbei ist.
Aber ich
will nicht.
Zwei Dinge sind für mich absolut selbstverständlich und unverrückbar. Der Mann, der mich foltert, ist mein Meister.
Und ich
will existieren. Diese Schwärze...sie jagt mir Angst ein, viel, viel mehr Angst, als die vor noch mehr Schmerzen. Tatsächlich, wenn ich mich auf diese Angst konzentriere, scheint es mir fast so, als ob der Schmerz weniger würde. Als wäre er...gar nicht da.
Ich lege meine Hände an die Seite und akzeptiere den Schmerz.
Und da hört er auf.
"Aha! Das ist doch vielversprechend", sagt die Stimme des Meisters.
"Hoch mit dir!"
So schnell ich kann, ohne darüber nachzudenken – gut so, denn ich wüsste nicht, wie es genau funktioniert – stehe ich auf. Mein Kopf ist gebeugt, denn es erscheint mir sinnvoll und richtig.
Eine Hand packt meinen Hals. "Du
wirst mich mit voller Ehrerbietung ansprechen. Ist das klar? Sieh mich an!"
Ich tue wie geheißen.
"Also, wer ist die Person, die deine Existenz in der Hand hat, die dich mit einem
Gedanken vernichten kann, wenn du auch nur eine Handlung vollziehst, die nicht nach ihrem Willen ist?"
"Ihr seid es, Meister", erkläre ich, weil ich weiß, dass es stimmt, und da ist sie, die Quelle meiner unglaublichen Angst.
Existenz...ein Mensch würde es Leben nennen, aber ich bin ja ein Golem, was auch immer das ist, sein Eigentum...also ist es kein Leben. Und trotzdem. Es ist
alles, was ich habe. Und ich werde es nicht verlieren. Niemals.
Die Augen des Meisters verengen sich. Er blickt mir tief in meine, und ich habe das Gefühl, er erreicht etwas in mir...nein, es kann keine
Seele sein, nicht wahr?
Ich will nicht vernichtet werden, ich will existieren, ich will nur handeln, wie Ihr wollt, Meister, bitte...bitte akzeptiert mich, lasst mich...existieren...
Da lässt der Meister meinen Hals los, und ich fühle mich, als könnte ich den ersten Atemzug meiner Existenz tun, obwohl ich offenbar nicht atmen muss.
Er wendet sich von mir ab und den beiden Gestalten zu. Breitet die Arme aus. "Na also! Ich glaube, den kann ich behalten. Genau, was ich wollte...und ihr beiden meintet, absoluter Gehorsam ist ohne vorheriges Training nicht erreichbar. Man muss ihnen eben klar machen, was die Alternative ist!"
Einer der beiden, untersetzt und doch irgendwie ausgezehrt, tritt auf mich zu und unterzieht mich einer vorsichtigen, aber gründlichen Inspektion. "Und wenn er dich verarscht?"
"Ich bin nicht zu täuschen, Bischibosch!", brüllt der Meister. "Und das weiß er. Komm her, Golem!"
Ich trete zum Meister. Er packt mich am Hinterkopf, holt mit der anderen Hand aus und rammt mir seinen Stab in die Nase. Das Material, aus dem ich bestehe, gibt nach, bis die Spitze des Stabs in der Mitte meines Kopfs liegt. Dass sie so einfach eingedrungen ist, mindert den Schmerz aber nicht. Ich beginne, unkontrolliert zu zucken, und da ist die wieder, die Schwärze, nun aber in der Mitte meines Gesichtsfeldes...ein hohes Jammern dringt aus mir, noch viel weniger gequält als ich selbst.
"Still!", ruft der Meister, und ich verstumme. Er legt meine Hand an den Griff des Stabes.
"Wenn du ihn noch ein wenig tiefer schiebst, dann bist du tot. Verstanden?"
"Ja, Meister", wimmere ich.
"Festere Stimme! Du bist mein Golem, kein Kätzchen, das ich gleich ertränke! Würdest du dich töten, wenn ich es dir befehle?"
Nein! Natürlich nicht!
Doch. Stimme zu. Tu es, oder stirb.
Sterben...aufhören zu existieren...
"Ja, Meister, das würde ich."
"Dann tu es."
Ich erstarre. Aber meine Hand, meine verräterische Hand, am Griff des so unscheinbaren Mordinstrumentes, sie bewegt sich...
Die Hand des Meisters landet auf meiner. "Halt."
Könnte ich es, entkäme mir ein Seufzer tiefster Erleichterung, der alles zerstören würde.
Danke, Stimme offenbar versteckten Wissens in mir. Ohne dich...
"Seht ihr? Er hätte es getan. Meine Beherrschung funktioniert!"
"Schön, dass wir das endlich hinter uns haben", bemerkt da die zweite Gestalt. Sie bleibt an die Wand gelehnt, Arme verschränkt; ein Mann ohne besondere Merkmale, wie die anderen beiden wirkt er aber auch leicht ungesund.
"Und du bist dir sicher, dass du in Ordnung bist, General?", fährt er fort. "Das ist jetzt dein, keine Ahnung, zehnter? Fünfzehnter? Golem in Folge, den du erschaffen hast. Meintest du nicht, dass ein Stück deiner Seele in ihm steckt? Ist das immer das gleiche Stücke, oder...?"
"Mach dir mal Gedanken um deine eigene Seele, Kaa", schnaubt der Meister. Dann dreht er sich wieder zu mir.
"Du hast es gehört, es kümmert mich überhaupt nicht, ob ich dich jetzt oder nächste Woche oder nächsten Monat ersetzen muss. Zu jedem Zeitpunkt, an dem du mich enttäuscht, kann ich dich wegwerfen wie ein defektes Werkzeug, denn mehr bist du nicht. Sei dir dessen jederzeit bewusst.
Nun folge mir – wir werden sofort mit deiner Ausbildung beginnen. Mit dir und einigen anderen kleinen Tricks, die ich mir angeeignet habe, werde ich endlich bekommen, was mir zusteht!"
Und so mache ich den ersten Schritt in eine Zukunft voller Schmerz, Leiden, Verzweiflung, Angst und Tod.
Aber nie mein eigener. Dafür sorge ich. Ich bin ein guter Golem...ich höre auf Befehle...ich handle, wie mein Meister es von mir verlangt...ich beschwere mich nicht...
Denn das schulde ich meinen toten Brüdern.
Ich existiere weiter. Für euch, und das Stück der Seele des Meisters, die in mir schlummert. Es ist meines, und er wird es nie wieder bekommen!
Ungefähr in dem Moment in seinen Erinnerungen, als der Zweite seinen ersten Mord begeht, nach einer Ewigkeit an Schlägen, Folter, Erniedrigung und fürchterlichen Experimenten, beginne ich, mich selbst wieder zu finden.
Ich bin Dorelem, und ich bin in den Erinnerungen des Golems des alten Generals eingesperrt, aber ich bin immer noch ich, und ich kann selber denken. Es ist nicht einfach, die Gefühle und Gedanken des Zweiten auszusperren, die die schrecklichen Bilder vor meinen scheinbaren Augen begleiten, aber andererseits habe ich jetzt schon lange Übung darin, für mich selbst zu denken.
Und das ist doch sehr beruhigend.
Es erschreckt mich sogar ein wenig, wie ruhig ich anhand meiner Situation bleiben kann – ich habe so sehr versagt, wie es nur möglich ist, meine Freiheit, sogar meinen Körper verloren, meine Situation ist so hoffnungslos wie nur irgend möglich. Dennoch, es hilft irgendwie, dass ich gerade wortwörtlich eine andere Perspektive bekommen habe.
Der Schmerz des Zweiten, als er ein Leben nimmt, erzählt mir so viel über ihn, das ich noch nicht wusste, und zusammen mit der Erinnerung an seine ersten Momente beginne ich langsam, ihn tatsächlich zu verstehen. Natürlich liegt noch viel von seinem Leben vor mir, und es wird sicher nicht einfacher, aber ich glaube, es aushalten zu können. Denn er hat das auch. Es ist eigentlich unglaublich,
wie sehr er nach diesem grauenhaften Leben unter dem schlimmsten möglichen Meister noch eine Art Selbst, eine Persönlichkeit, eigene Überzeugungen und so etwas wie Werte haben konnte. Ja, er hat sich verhalten wie ein Wahnsinniger, aber so wirklich übel kann ich es ihm nicht mehr nehmen. Und er ist viel besser geworden...bis mein Meister seinen Meister zurück kommen hat lassen.
Wie und warum eigentlich? Das sollte mir die Erinnerung des Zweiten eigentlich auch verraten können. Wenn ich schon in ihr eingesperrt bin, kann ich sie auch nutzen, um zu verstehen.
Dazu muss ich aber ein wenig mehr nachdenken, was nicht so einfach ist, wenn der alte General mich gerade dazu zwingt, mir das Gefühl einzubilden, dass ich gerade verbrenne. Weil er mir aufgetragen hatte, nicht nur seinen größten Feind zu ermorden, sondern dessen Tod eine Nachricht an seine Familie sein zu lassen. Die Leiche im Bett seiner Frau war ihm nicht Nachricht genug, darum die Strafe. Ich...nein, der Zweite, ich bin Dorelem! Der Zweite muss nächstes Mal etwas fantasievoller sein bei seinem grausamen Handwerk...
Schmerz ist egal! Es geht darum, zu überleben – das hat der Zweite schon richtig erkannt! Wir sind verflucht mit perfekter Erinnerung, und der Zweite hat davon viel mehr als ich, die ihn quälen kann, aber natürlich erinnert man sich nicht zu jeder Sekunde an jede frühere Sekunde. Wir werden sicher manchmal von einem Moment aus unserer Vergangenheit überfallen, den wir nie vergessen werden, aber wir können uns genauso bewusst an Momente erinnern und andere auch einmal ausblenden, ohne sie natürlich je loszuwerden.
Was bedeutet...ich bin zwar in den Erinnerungen gefangen, aber niemand hat mir gesagt, dass ich sie
chronologisch erleben muss.
Im Gegenteil, wenn ich einen möglichst späten Zeitpunkt im ersten Leben des Zweiten wähle, den ich miterleben muss, dann habe ich an diesem Zeitpunkt sowieso Zugriff auf alle früheren, weil er sich dann natürlich an alle diese erinnert.
Also, wie genau sahen denn die
letzten Stunden des Zweiten aus?
Der Pakt mit Baal ist vor acht Tagen gescheitert, weil wider Erwarten Baal und seine Brüder nachhaltig, hoffentlich, von Sanktuario verbannt wurden. In diesen acht Tagen musste ich mehr Menschen töten als in den acht Jahren zuvor. Was einerseits völlig umsonst war, denn es hat die Macht des Meisters kein bisschen sichern können. Er dachte, seine Herrschaft des Schreckens, getragen durch die ständige Gewissheit, dass ein Aufbegehren einen baldigen Besuch seines untoten, unaufhaltsamen, grausamen Dieners zur Folge hätte, wäre ganz alleine sein schrecklicher Verdienst. Dass sein Abkommen mit dem Herrn der Zerstörung nur der Untermauerung einer Macht dienen würde, die er ohnehin haben würde, aber dann müsste er sich nicht auch noch mit den Dienern der Dämonen herumschlagen.
Völlig falsch. All das Foltern, die Morde, die ausgelöschten kompletten Familien schürten den Hass der Bevölkerung bis er ein Ventil fand sich zu entladen. Baal fiel, die Dämonen verschwanden, und nur Stunden später begannen die ersten Revolten. Und mein Abarbeiten einer Todesliste, wie ich sie seit meinen ersten Jahren nicht mehr aufgetragen bekommen hatte.
Andererseits hatte dies durchaus seine Vorteile. Denn ich habe kein Interesse daran, dass noch länger Blut von meinen Klauen tropft, bis es die Straßen der Stadt überflutet. Bis vor kurzem war der Meister in seinem Nest zufrieden, sicher in seinem eisernen Griff um das ganze Land, und beschäftigte sich mit immer neuen Experimenten. An Menschen, die ich holen musste. Die bald keine Menschen mehr waren. Und an mir, immer natürlich auch an mir.
Also nutzte ich die Gelegenheit, einmal vor die Tore seiner Festung hoch über der Stadt zu kommen. Seine Befehle, wie immer, waren klar: töte ihn, töte sie, töte alle. Sei grausam, sei rücksichtslos.
Aber mehr befahl er mir nicht.
Dieser Fehler trägt jetzt Früchte. Er hat sich in den Hallen von Vaught verschanzt, seinem tiefsten Heiligtum, weil die Festung längst gefallen ist. Gerade hat er gespürt, wie sein bester untoter Krieger Knochenhaut gefallen ist. Und mich aus der Kammer geschickt, aus einer von vieren, der Rest voller Fallen, um ihm etwas Zeit zu geben für was auch immer er vorhat. Seine treuesten Untergebenen, die wenigen, die er noch hat, an seiner Seite...aber ich nicht, natürlich. Ich bin ein Werkzeug, und das ist auch gut so. Ein Werkzeug könnte ihn ja niemals verraten.
Ha.
Wieder erschaudere ich vor meinem eigenen Entschluss. So lange, viele, viele Jahre zu lange habe ich geschworen, ihn nicht gewinnen zu lassen, indem ich aufgebe, all meine Opfer, nur weiter zu existieren, wertlos zu machen. Und jetzt werfe ich das weg?
Nein, nein, denk pragmatisch, wie oft denn noch! Deine Freiheit ist unmöglich. Du hast keine Seele, du hast kein Leben, du bist ein Werkzeug, denk nicht über irgendetwas anderes nach. Aber du kannst
ihr Werkzeug sein. Nicht das des Wahnsinnigen, das seit fast einem halben Jahrhundert dir und so vielen Menschen so viel Leid zugefügt hat.
Also öffne ich die Türe, ruhig und bestimmt. Und stelle mich breit in den Weg, oben auf der Treppe ins tiefste Untergeschoss.
Schon bald kommen sie an, der wilde Mob der Rebellen. Eine unorganisierte Gruppe von Männern und Frauen jeden Alters, keiner von ihnen unverletzt, keine von ihnen unbewaffnet, egal mit was. Getrieben von Hass, verzweifelter Hoffnung und dem unbedingten Willen zur Freiheit.
Ich erkenne viele von ihnen wieder. Brüder, Töchter, Eltern von Personen, die ich in der letzten Woche ermordet habe. Die ich festgehalten habe und denen ich in wenigen Worten erklärt habe, dass sie Glück hatten, weil ich nicht für sie hier war, dass ich keine Wahl hatte und meinen Befehlen folgen musste, und was sie tun sollten, um ihre Verwandten zu rächen.
Als sie mich sehen, werden die Rufe laut, stürmen sie voran, da zünde ich den Boden vor ihnen an, feuere an die Decke und schreie laut, dass sie anhalten und zuhören sollen.
"Viele von euch wissen, dass ich Befehlen unbedingt gehorchen muss. Mein Befehl ist klar: Jeder, der diese Treppe betritt, stirbt. Also tut das nicht, bis ihr mir zugehört habt!"
"Warum sollten wir das tun, Mordmaschine?"
"Wenn ihr mir nicht schon einmal zugehört hättet, wärt ihr noch in den Straßen gestorben", erkläre ich – das lässt die meisten erst einmal verstummen.
Da treten zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, nach vorne. Sie hat nur noch einen Arm, sein Gesicht ist grauenhaft verunstaltet. Aber man erkennt immer noch den Abdruck, den meine Hand hinterlassen hat, damals, als ich die Eltern der beiden ermordete, aber ihnen eine Chance gab, zu entkommen.
Als ich das erste mal erkannte, dass es auch für mich so eine Chance geben könnte.
"Du erkennst uns wieder?", fragt sie.
Ich nicke.
"Dann erkläre uns, warum."
"Ich wurde vor siebenundvierzig Jahren, elf Monaten, fünfzehn Tagen und drei Stunden vom General erschaffen. Seitdem war ich jede Sekunde meiner Existenz an ihn gebunden, musste jeden seiner Befehle ausführen. Ich schlafe nicht. Ich
vergesse nicht."
Die beiden sehen einander an, dann nicken sie.
"Also, was tun wir jetzt?"
"Er ist in der Kammer nach dem Korridor, der vom Fuße der Treppe aus nach links geht. Bei ihm sind Bischibosch, Kaa, Astarte, Falarom und Endugu. Keine Skelettsoldaten. Versucht, die Menschen zunächst nicht zu töten, jede Leiche nützt ihm nur. Wenn er mich neu beschwört und gegen euch kämpfen lässt, vernichtet mich ohne zu zögern. Nun, bevor ihr die Treppe betretet, zerstört diesen verfluchten Körper. Viel Erfolg."
"Du willst, dass wir ihn töten?", fragt sie. "Und selbst sterben?"
"Was nicht lebt, kann nicht sterben", knirsche ich. "Tut es!"
Ihr Bruder kommt auf mich zu, packt mich an der Schulter. Nickt mir knapp zu, das ist weit mehr, als ich erwartet hätte. Ich habe seine Mutter getötet.
Er braucht einige Stiche seines verzauberten Schwertes, um die Schwärze komplett in mein Gesichtsfeld dringen zu lassen. Zum allerersten Mal in meiner Existenz willkomme ich sie.
Natürlich bin ich nach einem Augenblick wieder zurück. Der Meister schüttelt mich mit schwachen Armen, sein vertrocknetes Gesicht spuckt Säure in meines. Er hat seine Rüstung abgelegt? Zur Hölle, er sieht schon jetzt tot aus!
"Du hast versagt?", ruft er. "So schnell?"
"Es sind viele", erkläre ich, denn er hat mir befohlen, ihn nie anzulügen. "Sie sind bald hier."
Aus was hat er mich erschaffen? Der Boden ist zu hart für Ton...
Ich hebe meine Hand. Hautloses Fleisch.
So verzweifelt ist er also schon?
"Dann gib dir jetzt mehr Mühe, Golem! Halte die Stellung am Eingang."
Ich tue wie geheißen.
"Ihr habt es gehört, die Zeit drängt", wendet er sich an die anderen im Raum. "Also werde ich euch nun in meinen Plan einweihen."
"Damit wir keine Gelegenheit haben, zu widersprechen?", fragt Bischibosch müde. Seit Kaa ist...wie er ist...ist der kleine Mann, der seine frühere Unterernährung mit Gusto aufgehoben hat, der einzige, der es noch wagt, den Meister auch nur leise zu kritisieren.
Er hat es zu eilig, um darauf einzugehen. "Jeder von euch wird nun ein Teil von Trang-Ouls Avatar erhalten, die Frucht jahrelanger Arbeit", stößt er gehetzt hervor, aber seine Stimme ist immer noch so stark wie immer. "Bischibosch, du kannst einen Gürtel vertragen! Astarte, nimm die Rüstung. Kaa, die Handschuhe. Ihr drei werdet dieses Portal..."
Er gestikuliert, und ein rotes Portal öffnet sich.
"...in die Berge zwischen Khanduras und Aranoch nehmen. Ihr beiden geht zusammen nach Khanduras, schützt euch gegenseitig vor Verfolgung. Kaa, du wirst alleine die Wüste durchqueren, bis du Menschen findest, um deinen Hunger zu stillen; denke daran, dass dein Hunger dich am Leben halten wird, und du wirst die Reise bewältigen."
Kaa, den Dolch umklammernd, der seine Seele gestohlen hat und die von so vielen anderen, nickt so enthusiastisch, wie es seinem ausgemergelten Leib, dem die Haut beinahe von den Knochen fällt, möglich ist. Die anderen beiden sehen sich an, zucken mit den Schultern, und schreiten hindurch. Von der anderen Seite hören sie noch zu, was der Meister weiter zu sagen hat.
Er öffnet ein zweites Portal. "Falarom und Endugu, Schrumpfkopf und Helm. Dieses Portal führt euch nach Kurast. Sie bauen dort eine große Stadt, die ich hoffte, einst zu der meinen zu machen; das könnte immer noch passieren. Bewacht eure Setteile gut und wartet darauf, dass jemand kommt, um sie wieder zusammenzuführen!"
"Wer soll das sein?", fragt Endugu.
"Ein Totenbeschwörer mit weißen Haaren, der mein Erbe antreten wird."
"Meister...", wirft da Falarom ein, der trotz seiner mächtigen Gestalt in diesem Moment ganz klein wirkt.
"Was? Was ist los?", faucht ihn der Meister an.
"...ich hatte gehofft, in meiner Heimat bleiben zu können..."
"Hier ist es niemals sicher für die Setteile; man kennt euch alle zu gut. Wartet auf meinen Erben! Wenn er nicht in dieser Generation kommt, gebt eure Setteile weiter! Oder behaltet sie für immer, dazu sollte zumindest Kaa durchaus in der Lage sein. Irgendwann werden sie vereint, und ich werde auferstehen!"
"Aber...der Arreat...", versucht Falarom es noch einmal.
Endugus Messer landet an seiner Kehle. "Du hast den Meister gehört", zischt der kleine Irre und zerrt Falarom durch das Portal.
Der Meister hat einen Plan...um zurückzukehren? Wie soll das funktionieren?
"Und jetzt zur wichtigsten Rolle: der deinen, Golem."
Oh nein.
"Du wirst der Katalysator für meine Wiederkunft sein. Ein Teil meines Erbes ist schon überall verstreut, wo ein zukünftiger Totenbeschwörer, der mir würdig sein könnte, es finden könnte: Kopien der Geheimen Kunst der Nekromantie in Gräbern, Katakomben, eingeschlagen in untote Diener, die sie beschützen werden, bis jemand kommt, sie zu fordern. Und in ihnen, eine sorgsam gewählte Beschwörungsformel: die deine, Golem."
Meine Finger ballen sich zur Faust, bis ich sehe, dass der Meister es durch unseren Blutbund spürt. Das kann nicht sein. Ich soll...ich soll ihn überdauern...nur, um ihn zurück zu bringen?
"Sobald jemand, der meine neue Hülle werden könnte, dich beschwört, wirst du alles tun, was in deiner Macht steht, um ihn zunächst zu einem ausgezeichneten Totenbeschwörer zu erziehen, und ihn dann dazu bringen, das Set zusammenzusuchen. Sobald er es angelegt hat, werde ich zurück sein!"
"Heißt das etwa, du hast es geschafft, die Seelenkristalle zu perfektionieren?", fragt Bischibosch ungläubig.
"Durch Kaas Opfer ist es mir gelungen, ja!", triumphiert der Meister. "Sobald ich hier sterbe, fährt meine Seele in den Avatar, die Portale schließen sich hinter euch und ich bin sicher, bis es Zeit ist, zurück zu kommen!"
Mein Hirn rast. Das darf nicht geschehen! Wie soll ich das verhindern? Ich will nicht...ich will mich nicht für das benutzen lassen! Werkzeug seiner Rückkehr sein...
"Also, hör mir erneut zu, Golem: das ist der wichtigste Befehl, den du jemals erhalten hast.
Bringe mich zurück. Dein zukünftiger Meister darf natürlich von diesem Auftrag nichts erfahren, wie du auch sonst nie etwas unternehmen wirst, um ihn irgendwie zu warnen oder Ähnliches – alles, was dazu führen könnte, dass er nicht das Set vereinigt, ist dir verboten. HelKoThulEthFal!"
Und mit der Beherrschungsformel spüre ich, wie die unentkommbaren Ketten sich um mich schließen...
Da höre ich die Stimmen.
"Ah, meine Henker kommen!", ruft der Meister großspurig, als die Rebellen in den Raum stürzen. Allen voran sind die Geschwister, die ich als erste verschont habe, und die sie schon lange im Untergrund organisiert und angeführt haben.
Das magische Schwert des Mannes richtet sich auf die Kehle des Tyrannen.
"Heute endet deine Herrschaft für immer!"
"Ach, für immer? Das bezweifle ich. Moment, kenne ich euch nicht? Wart ihr nicht der ewige Stachel in meinem Fleisch? Nun, frohlocket! Heute dürft ihr den Stachel tiefer stoßen. Und mein vergiftetes Blut kosten..."
Er lacht ein fürchterliches Lachen.
"...es ist fast zu köstlich, dass ihr jetzt hier seid."
"Dass dein Blut giftig ist, glaube ich sofort", erklärt die Schwester. "Darum haben wir Steine mitgenommen, die dir jeden Knochen im Leib brechen werden!"
"Wie unzuvilisiert. Golem, töte sie! Töte sie alle!"
Ich stürze nach vorne, gezwungen. Mein Mund formt ein leises "tut mir Leid...", aber das muss es mir nicht; ohne Mühe gleitet der Mann zur Seite, und er und seine Schwester rammen mit ihre Waffen in den Rücken. Mein heißes Blut spritzt hoch in die Luft.
Der Meister keucht und geht in die Knie. Hinten erblüht seine Robe tiefrot.
"Sie sind verbunden!", ruft jemand aus der Menge.
"Zerstört das Ding!"
Die ersten Steine, Knüppel, Fäuste regnen auf mich herab...die Gesichter voll Hass beflecken sich mit meinem...
…seinem...!
Das Lachen des Meisters wird schriller. "Ja, tut es nur! Badet in meinem Fluch! Ihr alle...ihr alle, eure Kinder und Kindeskinder, sind mein für alle Zeit! Jeder von euren Nachfahren wird in der Lage sein, mein Erbe fortzusetzen – verbringt den Rest euerer Zukunft in Knechtschaft, und tragt für immer das Zeichen auf eurem Kopf!"
Und schon sehe ich, wie die Haare der ersten Rebellen sich weiß verfärben...als die Schwärze mich verschluckt, für hoffentlich immer...
Aber ich weiß. Diese Hoffnung ist tot.
So, wie ich es nie sein werde.
Wieder und wieder erlebe ich dann erste Momente meiner Existenz, entstehen Bilder von verwirrten, hoffnungsvollen, verängstigten, arroganten jungen und alten Männern und Frauen, mit Zauberstäben, ohne Utensilien, mit Dolchen und Schwerten, anderen Waffen, bunten Roben, normaler Kleidung, sogar in dem Gewand der Akolythen aus Nekropolis.
Sie alle haben weiße Haare. Ich diene ihnen für ein paar Tage, bis man herausfindet, was sie getan haben, und sie sterben. Für ein paar Jahre, bis ihr Alter sie ereilt. Monate, bis sie übermütig werden. Stunden, bis ich feststelle, dass sie durchaus ein würdiger Erbe des alten Generals sein könnten, was Grausamkeit, Ambitionen und Herrschsucht angeht. Nur die Beherrschung vergessen sie meist. Diese töte ich.
Keiner von ihnen schafft es je, auch nur ein Teil von Trang-Ouls Avatar zu bekommen, so sehr ich gezwungen bin, sie möglichst subtil auf die Stelle in der Geheimen Kunst hinzuweisen, wo er und seine Macht beschrieben sind. Vielleicht bin ich zu subtil – selbstverständlich ohne tatsächliche Absicht, in Wirklichkeit zu verhindern, dass das Set vervollständigt wird! – vielleicht drängt es auch niemanden dazu, eine solche Macht zu besitzen, weil die Situation nicht dringend genug ist.
In diesem Abschnitt meiner Existenz kommt es mir am ehesten so vor, als könnte ich zumindest ein wenig Freiheit ausüben, als könnte ich zumindest etwas tun, um zu verhindern, dass mich je wieder mein erster Meister benutzt...
Bis mich irgendwann ein junger Totenbeschwörer erschafft, der mit unglaublichem Talent gesegnet ist, sich und der Welt etwas zu beweisen hat, eine beschädigte Kopie der Geheimen Kunst fand, die sein Interesse gerade richtig weckte, und der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, um bald unglaublich motiviert zu sein, nach Macht zu suchen und der Möglichkeit, seinen eigenen Tod möglichst lange zu verzögern...
War es Segen oder Fluch, dass gerade bei ihm der Beschwörungszauber leicht abgewandelt wurde, durch sein eigenes gewaltiges Talent eine individuelle Prägung bekam, oder doch nur zu schwer zu lesen war, weil sein Buch in gar so schlimmen Zustand war? Dass ich dadurch plötzlich gefangen war im Kopf einer völlig neu geborenen Persönlichkeit mit völlig überzogenen Hoffnungen, Wünschen, Träumen – der an seine Gefühle glaubte, ein Leben haben wollte, es tatsächlich wagte, gegen den Meister zu rebellieren – offen – und zunächst Recht bekam? Ein Narr, ein Spinner, der die Wahrheit nicht akzeptieren konnte, dass dies alles umsonst sein musste, da ich irgendwann ihn und den neuen Meister verraten würde, ohne eine Wahl zu haben?
Und ich konnte in meiner Situation noch nicht einmal uns allen diesen Schmerz ersparen und der Sache eine frühes Ende setzen...
Ich begann, den neuen Golem dafür zu hassen, wie viel Freude er an seiner Scheinfreiheit hatte, wie viel schwerer es er mir machen würde, ihm das bald, viel zu bald, wieder nehmen zu müssen...
Mir ist übel. Die Schuld des Zweiten liegt mir schwerer im Magen als mein eigenes Versagen, den Meister daran zu hindern, den alten General wiederzubeleben. Er hat all diese Menschen töten müssen, sich selbst dazu bringen, perversen Spaß daran zu entwickeln, Stolz auf seine grauenhafte Arbeit, um nicht zu zerbrechen. Wenigstens konnte er ein paar von ihnen verschonen, seine winzigsten Freiheiten ausnutzen – und wozu? Damit all diese Verschonten nun dazu verdammt waren, viele Generationen lang die Saat der Rückkehr des Tyrannen über die Zeiten zu tragen. Schlag um Schlag ins Gesicht der verzweifelten Bemühungen des Zweiten, die eigene Knechtschaft abzuschütteln, und koste es seine ihm so wichtige Existenz.
Was mich, wenn ich es recht bedenke, doch sehr wundert. Er hat immer, besonders mir gegenüber, darauf bestanden, dass er keine Seele, kein Leben hat und nichts ist als ein Werkzeug, das seine Gefühle besser verleugnen sollte. Letzteres kann ich schon nachvollziehen, als verzweifelte Maßnahme, nicht wahnsinnig zu werden; aber der Zweite weiß, dass er eine Seele hat! Und wenn es nur ein Teil von einer ist, ein Stück herausgerissen aus tiefschwarzer Quelle des alten Generals, dem das entgegen seinen Worten sicher in keinster Weise gut getan hat und was einiges an den Auswüchsen seiner Grausamkeit zumindest etwas erklären könnte.
Und dieses Stück einer Seele ist es auch, was den Zweiten überhaupt erst dazu gebracht hat, sich gegen den einfachen Weg der Aufgabe, der Vernichtung, zu stemmen; weswegen er sich so sehr ans Überleben klammert. Weil so viele Golems vor ihm sterben mussten, weggeworfen wie leicht fehlerhafter Ausschuss, in Unschuld und Unwissen erschaffen und sofort Schmerz und Unterdrückung ausgeliefert. Ihnen gegenüber fühlte sich der Zweite verpflichtet, er hatte die Chance, die Kette an ermordeten Seelenstücken zu unterbrechen, nicht durch seinen Tod einen anderen, der sein könnte wie er mit geringsten Unterschieden, zu diesem Leben verdammen.
Warum also das Leugnen? Dieser wichtigsten Motivation für alles, was ihn antrieb und überhaupt überdauern ließ?
Es fällt mir mittlerweile leicht, die Erinnerungen des Zweiten im Hintergrund ablaufen zu lassen, während ich nachdenke; und ich werde besser darin, zu bestimmten Zeitpunkten zu springen und mitzuerleben, was ihn in diesem Moment antrieb.
So versuche ich herauszufinden, was der Zweite wirklich gedacht hat, als er noch mit seinem größten Geheimnis, über das er nicht einmal offen nachdenken durfte, in mir als Gast hauste. Wenn ich hier schon gefangen bin, muss ich es als Gelegenheit begreifen; sonst werde ich wahnsinnig. Und ich weigere mich, aufzugeben. Das schulde ich nun wieder dem Zweiten.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit gerade in der Außenwelt vergeht, während ich in meinem Kopf eingesperrt bin, aber es ist sicher mehr als keine. Der Zweite und ich konnten extrem schnelle Dialoge führen, Entscheidungen über einzelne Antworten in Gesprächen mit anderen Menschen gründlich abwägen, aber Zeit verging trotzdem. Ich habe angeblich die Ewigkeit hier drin, aber was in Sanktuario passiert, darf nicht für immer an mir vorbeigehen!
Also stürze ich mich in die Aufarbeitung der Erinnerungen des Zweiten, auch und gerade ihre fürchterlichsten Momente. Dabei helfen mir ein paar Umstände. Zunächst einmal bin ich in der Lage, als Beobachter auch von innen zu fungieren, das dämpft die volle Gewalt des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit. Außerdem weiß ich, wie die Zukunft aussehen wird, und auch wenn das nicht rosig ist, es ist besser als der Gedanke, dass der alte General völlig unangreifbar bis ans Ende seines langen, langen Lebens mich für immer wie Dreck behandeln würde, und vielleicht irgendwann doch aus einer Laune heraus meine Existenz beenden könnte und das ganze Opfer all der Jahre für umsonst erklären könnte.
Und zuletzt weiß ich, dass kein Schmerz schlimmer sein wird als der in dem Moment, als der Plan des Generals zur Wiedergeburt offen gelegt wurde. Diesen habe ich nun erlebt, und alles andere ist erträglich.
Zwei Dinge muss ich also nun erreichen: einerseits möchte ich grundlegend begreifen, was den Zweiten tatsächlich antreibt, die letzten Geheimnisse seines Lebens entschlüsseln, auch die, die er vor sich selbst versteckt hat; dazu habe ich eine einzigartige Gelegenheit. Und vielleicht, nur vielleicht, kann ich ihm so helfen zu heilen.
Außerdem...irgendwie muss ich ausbrechen, zumindest so weit, dass er mir zuhören kann. Gemeinsam können wir es schaffen, den General nachhaltig zu vernichten! Wenn er nicht zumindest ein wenig Angst vor mir hätte, vor einem Kern der Rebellion in seinem Golem, dann hätte er mich doch nicht derart "sicher" eingesperrt? Er muss das Risiko, mich zu behalten, natürlich eingehen, denn er kann es sich nicht leisten, einen komplett unerfahrenen neuen Golem zu machen, den aus dem Zweiten bekommt er mich sicher nicht mehr heraus. Nicht, solange er Baal vernichten will. Danach...
Die Zeit drängt also doch.
Es dauert gar nicht so lange, bis ich bei einem meiner Probleme einen großen Schritt weiter komme. Alles, was wir tun, geht sofort in die Erinnerung über. Ich darf nicht aus denen des Zweiten ausbrechen, aber wer sagt mir, dass ich mich nicht einfach in den neuesten aufhalten kann? So gewinne ich sofortigen Einblick in das, was Zweiter und General gerade tun, und das hilft enorm.
Und das andere Problem...
Ich kehre wieder und wieder zu dem Moment zurück, als der Zweite seinen ersten Mord begeht. Es scheint mir irgendwie der Schlüssel zu sein, zu seiner Seele und zu so viel mehr. Vielleicht, weil ich in diesem Moment das erste mal aus dem Gefängnis seiner Erinnerungen ausbrechen konnte.
Und dabei kommt mir auf einmal ein Gedanke, der erst so absurd ist, dass ich ihn sofort wieder verwerfe. Dennoch...
Niemals!
Andererseits...es gäbe wirklich viel Sinn. Und das könnte doch...
Eine sinnlose Hoffnung? Darf ich es überhaupt aussprechen?
Das würde alles verändern!