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Trang-Ouls Triumph [Ich denke, also bin ich: Teil 5]

ich weiß, du lässt dich nicht hetzen, trotzdem würde ich zu gerne noch etwas lesen bevor ich schlafen gehen muss... muss morgen um 4:45 raus, also bitte noch etwas vor Mitternacht? ... wenn möglcih? ... :D
 
Aber nur, weil ich euch liebe ;).

Darum auch die Information, die ich vor einer Weile schon angedeutet habe: Dorelem hört auf, Leute Meister zu nennen, wenn er keinen Respekt mehr vor ihnen hat.
Vielleicht mögt ihr im Folgenden ja darauf achten ;).

Simon
 
Kapitel 8 – Bruch


Valtores' Büro ist funktional, aber weniger spartanisch, als ich erwartet hätte. Er hat ein Regal bestückt nur mit was Erinnerungsstücke zu sein scheinen; mehrere kleine Tierschädel, blank poliert, schöne und weniger schöne Steine, geschmacklose und zierliche, grobe und feine Statuetten, gerahmte Pergamente in sauberer Schrift. Ein Kerzenhalter an der Decke, das Schmiedeeisen nicht verspielt, aber doch ein wenig verschnörkelt, wo Ornamente nicht im Weg sind. Drei Stühle stehen im Raum; alle sind gleich, nur einer steht eben hinter dem Schreibtisch, zwei davor. Der Blutgolem hat einen kleinen Schemel in der Ecke, aus dem gleichen Holz wie der Rest der Einrichtung. Wären wir hier nicht aus eher unangenehmen Anlass, würde ich es fast gemütlich finden.
"Es wurde also tatsächlich ein Anschlag auf dein Leben durchgeführt, wenn es stimmt, was du sagst. Was mich interessieren würde: Woher glaubst du zu wissen, dass die Suppe vergiftet war?"
Der General holt kurz Luft. "Ich bin kein Experte für Gifte, weil mich Beschwörung immer mehr interessiert hat." Dünnes Lächeln für den Meister dieses Fachs. "Aber ein wenig kenne ich mich auch aus – und damit natürlich auch mein Golem. Ich habe mir angewöhnt, ihn kurz vor jeder Mahlzeit selbige testen zu lassen, ob er etwas feststellen kann."
Ohne mit der Wimper zu zucken. Na, hoffentlich lässt Valtores das nicht nachprüfen.
Vielleicht könnten wir es lernen...aber ich wüsste, ehrlich gesagt, nicht wie.
Rosig. Einmal hätte ich mich gefreut, wenn du mir ein "natürlich geht das, Idiot" hingeschmettert hättest.
"Soso. Dann ist es ja gut, dass du ihn dabei hast. So etwas hatte ich mir schon gedacht, ein Grund, warum ich dir auch erlaubt habe, ihn zu behalten." Er nickt mir zu; da wir hier so privat sind, wie es geht, habe ich meinen Körper wieder aufgebaut. Ein bescheidenes Lächeln ist meine Antwort. Valtores redet weiter: "Nun, wir haben es ja besprochen. Wenn die Analyse der Suppenreste ergibt, dass du die Wahrheit gesagt hast, und davon gehe ich aus, haben wir einen Grund, dich zu versetzen. Du bekommst einen Golem als Eskorte, von mir persönlich ausgewählt, und ich werde es so erscheinen lassen, als würdest du zusätzlich weiter beobachtet. Ob du das nun wirklich wirst und wie, lasse ich im Dunkeln, insbesondere auch dir gegenüber. Ein Zimmer wird für dich bereit gemacht, auf der oberen Ebene, also in einem Bereich, wo schon auch mal ein Meister vorbeilaufen kann. Es wäre also umso schwerer, unbeobachtet Fallen zu hinterlassen."
"Außer für den vorbeilaufenden Meister selbst?", wagt der General einzuwerfen. Valtores macht eine entschuldigende Geste. "Vielleicht. Aber dafür gibt es ja die anderen Sicherheitsvorkehrungen."
Er beugt sich nach vorne. "Es liegt mir viel daran, herauszufinden, wer an dem Anschlag schuld hatte. Ich weiß, dass der Rat voller Intrigen und Geheimnisse ist, ich selbst pflege schließlich meine eigenen. Aber ein Mord an einem ausgesprochenen Schützling, entgegen des vorzeitigen Beschlusses, geht eindeutig zu weit. Wir haben keine wirkliche Gesetzgebung, um ein solches Verhalten zu bestrafen, nicht in unserer Position. Aber es wäre sehr...unwürdig eines Nekromantenmeisters. Was der oder die Schuldige auch zu spüren bekommen würde. Das hätte den Effekt, meine Position weiter zu stärken, und damit auch deine Sicherheit zu erhöhen. Es ist also in deinem Interesse, hier gut mit mir zusammenzuarbeiten."
Als ob er wüsste, dass der General ihm Einiges verschweigt!
Ich denke, in seiner Lage muss man davon ausgehen, dass jeder, mit dem man spricht, mindestens die Hälfte ungesagt lässt.
"Ich verstehe", nickt der General. "Selbstverständlich kann ich hier auf Euch vertrauen, und ich bin Euch auch sehr dankbar für die Mühe, die Ihr für mich aufwendet. Dennoch frage ich mich, ob es in diesem Fall nicht klüger wäre, mich zunächst einen Novizen bleiben zu lassen. Es ist ein Risiko, aber eines, das ich gewillt bin, einzugehen: Wenn der unbekannte Auftraggeber des Anschlags es noch einmal versucht, jetzt in Panik, weil der erste Versuch gescheitert ist, könnte seine Identität viel leichter zu bestimmen sein."
Valtores hebt eine Augenbraue. "Du würdest dich als Köder anbieten?"
"Ja", stimmt der Meister zu, aber erntet sofort ein Kopfschütteln. "Es wird sich bin in den hintersten Winkel herumgesprochen haben, was heute Mittag passiert ist. Daraus folgen zwei Dinge: Erstens, ein weiterer Anschlag kurze Zeit später ist unwahrscheinlich, weil du unter starker Beobachtung stehen wirst, so oder so. Außer, dieser Anschlag ist besonders tückisch, und das ist gefährlich für dich. Zweitens, es wäre überaus verdächtig, wenn ich jetzt einfach nichts unternehmen würde."
"Aber..."
"Kein Aber. Die Entscheidung steht bereits, und du wirst dich ihr fügen. Du weißt, dass ich es gut mit dir meine."
So viel zum weiteren fröhlichen Novizentum. Wenigstens kann sich Lixt so sofort an die unvermeidliche Trennung gewöhnen...
Der General gibt auf. "Na gut, ich vertraue Euch. Werde ich dann noch an Lektionen teilnehmen?"
"Hast du das Gefühl, bei denen viel zu lernen?"
"Na ja, teilweise..."
"Unfug. Du wirst feststellen, dass du bald genug zu tun hast. Man hat dein Talent erkannt; viele Meister und solche, die es werden wollen, werden mit dir sprechen wollen. Manche offen, manche wenn sie denken, dass sie unerkannt bleiben. Du wirst ausgefragt werden, wie viel von dem Wissen des Folianten du wirklich schon erhalten hast, wie du das Gefundene anwendest, und mehr. Das hat seine eigenen Gefahren; einige deiner Gesprächspartner werden dies nur tun, um sich selbst zu bestätigen, dass du einen schnellen Tod verdienst. Du wirst sehr vorsichtig sein müssen in dem, was du sagst. Dabei kann ich dir nicht helfen. Insgesamt aber wirst du feststellen, dass du um ein Vielfaches mehr lernen wirst, als wenn du Novize geblieben wärst. Was selbstverständlich sein sollte. Und wolltest du wirklich mehrere Jahre erzählt bekommen, was du schon weißt?"
Der General verzieht das Gesicht. "Nun, zuvorderst geht es mir ja nicht um Wissen, sondern um Glauben..."
"...und das ist ein langer Prozess, ja. Aber erzähl mir bitte nicht, dass du die Gelegenheit, mehr zu erfahren, nicht auch begrüßt."
Ein Klopfen erspart dem Meister die Antwort. Ich schlinge mich schnell um sein Handgelenk, während der Blutgolem an die Tür geht, sie öffnet und von einem anderen Golem einen Zettel entgegen nimmt. Er bringt den Valtores, der sich knapp bedankt.
"Soso, Elftränen. Und Schlafnessel. Da wollte jemand ganz gründlich sein. Gut, dass dem jungen Hunradil ein rasches und gründliches Bad nahe gelegt wurde."
Er legt den Zettel weg. "Es ist offiziell. Gift in großzügigen Mengen. Damit habe ich jede Handhabe, die besprochenen Maßnahmen einzuleiten. Alphon wird dich zunächst in dein neues Zimmer geleiten; bald darauf wird deine Eskorte sich vorstellen, und Weiteres wirst du noch erfahren." Sein Blick gewinnt an noch mehr Schärfe. "Denk daran, dich sofort bei mir zu melden, wenn dir etwas Wichtiges auf- oder einfällt. Ich überlasse es dir, zu entscheiden, was das ist."
Der General verbeugt sich zur Antwort leicht. "Erneut vielen Dank. Ich werde mich bemühen, Euerem Vertrauen gerecht zu werden."
"Solange du ehrlich zu mir bist, ist alles in Ordnung. Guten Tag", entlässt Valtores uns. Sein Golem öffnet die Tür, geht hindurch und bedeutet uns, mitzukommen. Der General starrt ihn kurz an, bevor er begreift. "Ach, du bist Alphon?"
Der Blutgolem nickt, sieht sich kurz um und murmelt "Ja. Folgt mir bitte."
Recht viel mehr Gelegenheit, sich zu unterhalten, gibt es auf dem Weg durch die heller erleuchteten und breiteren Gänge der oberen Ebene nicht; die Novizenquartiere waren meist wenig belebt, da man sich entweder in der Gemeinschaftshalle unterhielt oder gleich zurück ins Zimmer ging, um zu lernen. Hier wuseln Golems flink an sich angeregt unterhaltenden Nekromanten vorbei, menschliche Diener laufen zu der nächsten Aufgabe, für die man keine hirnlos geglaubte beschworene Kreatur abstellen möchte, es ist reger Betrieb. Aber unter allem, eine Aura der Verstohlenheit. Schnelle Blicke huschen in unsere Richtung, Gespräche ändern ihr Thema. Ich kann sie aufschnappen; der Zweite speichert bereits alles, analysiert Meinungen, merkt sich Gesichter. Es überwältigt mich. Schon jetzt ist mir der ganze Ort unangenehm; wo jedes Wort auf mehrere Goldwaagen gelegt wird, und eine jede anders geeicht. Wo die Meister quasi absolut regieren, und es unzählige selbsterkorene Kandidaten auf einen Posten im Rat gibt. Beziehungen, Netzwerke, Informationen, Gerüchte, Macht, Einfluss...ein Spiel, das mir fremd ist, das ich nicht um alles in der Welt spielen möchte.
Und doch weißt du, dass wir das müssen. Aber keine Sorge. Halte du nur den Mund, am besten immer, und der Meister und ich regeln das schon.
Ist ja beruhigend, dass ihr mich gar nicht braucht.
Das neue Zimmer ist deutlich größer, und hat ein echtes Bett sowie einen Schrank. Beinahe Luxus. Alphon verabschiedet sich, und wir sind allein. Der Zweite meldet sich sofort. "Wir werden nicht mehr viel Gelegenheit haben, privat zu reden. Fällt Euch eine Möglichkeit ein?"
Der General überlegt kurz. "Du kannst mir ins Ohr flüstern. Und ich tu so, als würde ich wichtige Dinge aufschreiben, stattdessen notiere ich die Antworten. Zumindest, wenn wir auch hier drin beobachtet werden, sonst kann ich ja flüstern."
"Gut. Solange wir noch Zeit haben, würde mich höflich interessieren, ob Ihr eine Vision habt, wem wir den jüngsten Anschlag zu verdanken haben."
Das lässt Verwirrung auf seinem Gesicht erblühen. "Na, Ingkrias?"
Der Zweite schüttelt den Kopf. "Ingkrias war sichtlich überrascht, dass Ihr noch gelebt habt heute Morgen. Und die ganze Lektion über war er gebunden. Die Suppe zu vergiften muss schon länger in Planung gewesen sein. Er ist dafür nicht verantwortlich."
"Verdammt, du hast Recht. Gut erkannt." Kurz sammelt er sich. "Fratella?"
"Eine Möglichkeit. Ich werde natürlich besonderes Augenmerk darauf richten, ob sich ihr Verhalten irgendwie ändert beim nächsten Mal, wenn sie den Folianten studiert."
Oder einfach ihren Golem fragen.
"Und vielleicht vorsichtig ihren Golem aushorchen."
"Stimmt, der ist ja auch schon Teil der Sache...entwickelt sich ja geradezu fantastisch. Wenn sich das auf noch mehr Golems von Meistern und solchen, die es werden wollen, ausdehnt, sitze ich wie eine Spinne im Netz. Ha!"
Bevor ich mein Missfallen über sämtliche Umstände ausdrücken kann, klopft es schon.
Auf das Herein des Generals tritt eine Frau ein, dicht gefolgt von ihrem Golem. Sie ist mittelgroß und mittelalt, breit gebaut, ihre etwa schulterlangen braunen Haare werden nicht komplett von der Kapuze gebändigt, die ihren Kopf bedeckt. Auf ihren fleischigen Lippen ist kein Lächeln, als sie dem General die Hand gibt. "Guten Tag, ich bin Estri. Meister Valtores hat gemeint, dass mein Golem in Zukunft ein wenig auf dich aufpassen soll. Du musst der sein, der sich General nennt?"
"Unglücklicherweise, wie es scheint", antwortet dieser neutral, und sie lacht ein Lachen, das deutlich heller ist als ihre Stimme. "Tut es das. Aber ich soll dich ja nicht so nennen. Neflum, war es das?"
"Nef genügt."
"Wenig gesprächig heute? War sicher ein Schock. Na ja, kommst schon darüber hinweg. Ich hörte, dein Golem ist sogar sehr gesprächig?"
"Da habt Ihr richtig gehört", gibt der General zu. Sie stemmt die Arme in die Hüften. "Ah, kannst mich schon duzen, mach ich ja auch. Noch bin ich keine Meisterin, nicht, dass mich das besonders reizen würde. Zu viel Geheimniskrämerei. Wirst du schon noch früh genug merken."
Auf einmal ist sie mir sehr sympathisch. Sie fährt fort. "Worauf ich hinaus will, meinen Golem kannst du auch fragen und er wird dir antworten. Nicht wahr, Estrilem?" Ihre Hand landet auf dem Kopf des scheinbar leidgewohnten Holzgolems mit den groben, wie selbst geschnitzt wirkenden Zügen. Diese versuchen ein Lächeln. "Ja, wenn sonst niemand zuhört."
Seltsam – das ist ja eine männliche Stimme. Ich dachte, das Geschlecht passt sich dem Beschwörer an?
Da...bist du nicht der einzige. Hm.
"Gut gemerkt!", ruft Estri jovial und klopft ihm auf den Rücken. "Ich hoffe, ihr kommt miteinander aus. Er wirkt vielleicht nicht so, aber wenn es hart auf hart kommt, steht er gut seinen Mann. Dafür habe ich gesorgt."
Sie lässt große Knöchel krachen. "Mein Zimmer ist...egal, schwer zu beschreiben, er kann es dir zeigen. Wenn was wäre. Ansonsten komme ich später sicher wieder vorbei und erklär dir ein paar Sachen, sobald sich der Staub deiner...nennen wir es Beförderung etwas gelegt hat. Tagesablauf und so. Und wenn der werte Meister gerade keine Zeit hat, sich mit profanen Dingen wie dir – Scherz – zu befassen, bin ich auch als Sprachrohr gedacht. Sie wie jetzt eben!"
Sie richtet das Wort an Estrilem. "Du passt vorerst auf, dass ihm nichts zustößt, Türen vor ihm öffnen und so weiter, wie besprochen. Behandle ihn einfach so, wie du mich behandeln würdest."
"Mit einer gehörigen Portion Spott und ansonsten wie ein Pulverfass?", gibt ihr Golem zurück, was sie wieder hell lachen lässt. "Vielleicht ist das gar nicht so verkehrt! Möchtest du noch etwas wissen?", frägt sie den General.
"Äh, danke, nein, ich bin glücklich soweit. Alles Nähere kann ich ja mit ihm besprechen, oder?"
"Klar, wenn du durch seinen Holzschädel dringst! Ich wünsch dir was, bis später oder so." Und damit ist sie wieder verschwunden.
Der General stößt Luft aus. "Kann es sein, dass deine Meisterin ein wenig anstrengend ist?"
"Versucht mal, Euer Leben mit ihr zu verbringen, dann reden wir weiter", gibt Estrilem trocken zurück. Der General grinst breit. "Du erinnerst mich an jemanden, der über mich sicher genauso denken würde..."
Ein wenig versucht sich der General noch an leichter Konversation, aber der Holzgolem ist darin nicht besonders gut, und redet auch nicht gerne über sich und seine Meisterin, recht viel mehr Gesprächsthemen gibt es aber nicht. Also warten wir in Stille darauf, dass etwas passiert. Ich hätte ein paar Fragen, aber schon klar, je mehr Geheimnisse wir haben, desto besser, ist anscheinend das Gebot der Stunde. Dass das stundenlanges Herumsitzen und Schweigen bedeutet, ist eben ein notwendiges Opfer, scheinen die beiden Spinner zu denken, mit denen ich mein Leben verbringen muss.
Endlich klopft es erneut, und ein stummer Golem schafft das spärliche Gepäck des Generals in das neue Zimmer. Das Jade-Tan-Do, stelle ich fest, ist nicht dabei. Es sollte also noch gut versteckt sein...hoffe ich. Sobald der Rest mit wenig Enthusiasmus verteilt ist, fällt dem General etwas ein. "Sag mal, Estrilem, wer weiß denn jetzt eigentlich alles, dass Golems denken und im Zweifelsfall auch sprechen können? Quasi ein engerer Kreis um Valtores?"
"Sofern nicht klar bekannt, sollte man annehmen, dass es niemand weiß", gibt der Golem zurück. "Es ist sehr gefährliches Wissen, habe ich mir sagen lassen."
"Weil es doch ein paar sehr brennende Fragen aufwerfen würde, ja. Aber wie stehst du dazu? Denkst du nicht, dass sich daran etwas ändern sollte?"
Seltsam, dass der General hier spricht, als könnte es von mir kommen.
Oh, ihm geht es sicher nicht um deine hehre Agenda, sondern mehr darum festzustellen, wie viele mögliche Konvertiten für unser Informationsnetzwerk es auf dieser Ebene gibt.
Danke, Zerstörer meiner Illusionen.
Den Titel pinne ich mir auf die Brust.
Estrilem lässt sich Zeit mit seiner Antwort. "Ich weiß nicht, ob ich mir dazu ein Urteil erlauben sollte. Sicher wisst Ihr das auch von Euerem Golem: Es ist ähnlich Euerer Begabung ein wirklich gesegneter Fluch. Es...schmerzt zu sehen, wie andere Golems behandelt werden. Gleichzeitig aber fühle ich mich...na ja, schuldig, dass ich privilegiert bin. Und wieder eine andere Sache ist, dass ich es so verstecken muss. Dann bringt es nicht viel. Es ist kompliziert, und ich bin kein komplizierter Golem. Darum denke ich ungern darüber nach."
Gesunde Einstellung.
"Dann tut es mir Leid, dass ich es angesprochen habe", entschuldigt sich der General. "Es ist gut", antwortet Estrilem, und das scheint das Ende der Konversation zu sein für ihn. Aber nicht, wenn es nach dem Menschen geht.
"Die Sache ist nur...ich glaube nicht, dass es auf ewig unter Verschluss bleiben kann. Wenn ich bedenke, dass unzählige Menschen schon gesehen haben, draußen in der Welt, dass ich mit meinem Golem geredet habe, viele haben sich mit ihm sogar angefreundet, weil er ein wirklich anständiger Bursche ist. Ob nicht irgendwann ein Nekromant der alten Schule gefragt wird, warum er denn nicht mit seinem Golem redet? Ich denke, ich habe längst etwas losgetreten, das sich meiner Kontrolle entzieht, geschweige denn der der hier Eingegrabenen."
Und mehr als das, natürlich.
Wieder schweigt der Golem lange. "Ich schätze, ich werde doch ein wenig darüber nachdenken müssen", sagt er schließlich, und das beendet jetzt endgültig die Unterhaltung.
Ab und zu starrt der General mit Sehnsucht auf seinen unendlichen Milchsack, der im Regal liegt. Aber auch das ein Geheimnis, für dessen Einhaltung er Hunger in Kauf nimmt, denn natürlich hatte er kein Mittagessen. Was für ein Wahnsinn. Nach einigen solchen Blicken bringt endlich ein Golem ein Tablett mit Butter und Brot. Gerade will der General sich gierig darauf stürzen, da hält ihn Estrilem auf.
"Möchtet Ihr es nicht auf Gift testen? Ich habe mir sagen lassen, dass das zu Eueren Fähigkeiten zählt."
"Sollte das nicht sicher...aber du hast Recht, man kann nicht vorsichtig genug sein."
Er überlegt kurz, dann setzt er eine ernste Miene auf, steckt einen Finger in die Butter und murmelt Sinnloses. Mit dem Brot macht er das Gleiche. "Alles sauber", erklärt er schließlich fröhlich, und isst – wieder ein notwendiges Opfer, damit die Lüge nicht auffliegt. Ich zucke innerlich bei jedem Bissen zusammen; ja, es sollte nun durchaus sicher sein, aber...verdammt.
Unter dem Teller liegt ein Zettel. Als ich die bekannt verschnörkelte Schrift darauf erkenne, durchfährt mich spontane Panik – was, wenn darauf die Warnung steht, nicht zu essen?
Meister Ingkrias erbittet Eure Präsenz in seinem Arbeitszimmer, steht stattdessen darauf.
Na, das ist doch mal interessant.
Der General sieht seinen Beschützer an. "Ich bin ja schon jetzt ziemlich beliebt. Du weißt natürlich, wo sein Arbeitszimmer ist?" Als Estrilem nickt, steht der General sofort auf. "Dann gehen wir da gleich hin. Frauen und Meister soll man nicht warten lassen." Gerade, als der Golem ihn nicht sehen kann, weil die Tür im Weg ist, hebt er den Armreif an sein Ohr, und ich zweige ein Stück meiner selbst ab.
Er wird da wirklich hingehen?
Was soll Ingkrias machen, hinter seinem Schreibtisch hervorspringen, Dolch gezückt? Wenn der Meister irgendwo sicher ist, dann in dessen Zimmer, noch dazu mit einem sicheren Zeugen im Gepäck.
Aber...was will Ingkrias dann von ihm?
Oh, ich kann mir da schon ein, zwei Szenarien denken.
Die er natürlich nicht mit mir teilt. Langsam kommt es mir vor, als würden der Zweite und der General besser zusammenpassen als ich und Letzterer.
Ich wusste ja immer, dass er irgendwann vernünftig wird.
Das würde voraussetzen, dass du jemals so etwas wie "Optimismus" besessen hast. Vor weniger als drei Monaten wolltest du ihn noch umbringen und hättest es fast geschafft.
Alles Mephistos Schuld.
Aber natürlich.
Und so sind wir vor dem Büro des alten Meisters, der schon zweimal versucht hat, uns um die Ecke zu bringen.
"Das gefällt mir überhaupt nicht", füge ich fürs Protokoll hinzu. Der General kann als Antwort für die Stimme in seinem Ohr nur mit den Schultern zucken, eine sehr kleine Bewegung, die nicht auffallen sollte.
Ingkrias' Zimmer ist so spartanisch, wie ich es von Valtores' angenommen hatte. Es gibt einen Schreibtisch, einen großen, hochlehnigen Sessel dahinter, einen einfachen Holzstuhl davor, zwei Regale schwer bepackt mit Büchern und das war es auch schon. Nicht einmal auf dem Tisch liegt viel; einer der Vorteile, wenn man einen Papiergolem hat, schätze ich. Unser zweimaliger Lebensretter hat die Tür nach dem Anklopfen des Generals geöffnet und stellt sich jetzt wieder unbewegt neben seinem Meister auf.
"Es freut mich, dass Ihr so früh für mich Zeit gefunden habt", schnarrt Ingkrias. "Bitte, setzt Euch."
Himmel, ist der auf einmal höflich. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich ihm zugestehen, deutlich netter und respektvoller dem General gegenüber zu sein als Valtores.
Natürlich hat er mehr Respekt, der Meister ist schon zweimal seinen Fallen entgangen. Und er möchte, dass der Meister genau zu dem Schluss kommt: Der Alte ist in Ordnung, weil nett.
"Vielen Dank, es war kein Umstand." Der General lässt sich, nach der Übung in letzter Zeit ein Kinderspiel, nichts anmerken. Ingkrias kneift die Augen zusammen. "Das ist aber nicht Euer Golem, oder?"
"Nein", gibt der General entschuldigend zu. "Es ist der von Estri. Meister Valtores hat mir gesagt, ich sollte eine Eskorte annehmen. Ich kann zwar ganz gut auf mich selbst aufpassen, aber ich verstehe die Notwendigkeit, etwas vorsichtiger zu sein, besonders nach dem heutigen Vorfall."
"Eine fürchterliche Geschichte." Der in seinem Sessel etwas untergehende spindeldürre Meister verschränkt seine spinnenbeinigen Finger. "Kommen wir zum Grund Eures Hierseins. Dafür muss ich zunächst ein Lob aussprechen. Ihr habt mich nachgradig beeindruckt in meinen Fluchlektionen. Selbstverständlich kann man viel davon Euerer ganz beträchtlichen Erfahrung zuschreiben, aber auch die kommt nicht ohne Talent aus."
"Ach, zu viel der Ehre...", versucht der General, die Schleimspur zu umgehen, aber Ingkrias macht einfach weiter.
"Nein, das sind nur Fakten. Wisst Ihr, ich war immer der Meinung, dass es dumm wäre, einen Mann von Eueren bereits bewiesenen Fähigkeiten einfach zu beseitigen, wie so viele Andere immer noch glauben. Meine Meinung habt Ihr vielfach bestärkt."
Ha!
Ich sehe, worauf das hinausläuft...
Der General legt den Kopf schief. "Ich habe ja heute herausgefunden, dass Manche ein gesteigertes Interesse daran haben, ihre...gegensätzliche Meinung durchzusetzen. Es ist gut, sich nun sicher fühlen zu können, so dass es wohl bei der einen Interessensbekundung bleiben wird."
"...bei der...einen, ja."
Autsch.
Volltreffer.
"Ich möchte nur, dass Ihr wisst, dass Ihr in mir einen Freund habt, auf den Ihr Euch verlassen könnt", versucht Ingkrias seinen Lapsus zu übertünchen. "Es würde mich schmerzen, wenn einem aufstrebenden Stern wie Euch etwas zustoßen würde, zumal Ihr ja so ein großes Interesse an meiner Fachrichtung zu haben scheint?"
Was macht er da?
Reim es dir selbst zusammen. Wenn das Gespräch vorbei ist, werde ich es ohnehin noch einmal für den Meister analysieren, dann kannst du ja abgleichen, ob du zu den gleichen Schlüssen gekommen bist.
"Oh, ich habe früh erkannt, dass Flüche nicht nur ein sehr nützliches Mittel zum Erfolg sind, sondern sogar essentiell sein können. Möchtet Ihr erfahren, wie es mit nur einem Fluch gelang, Diablo zu fällen?"
Und dann erzählt der General dem selbstverständlich interessierten Ingkrias, welches Potential Eiserne Jungfrau doch hat.
Weil der das schon weiß, wie wir festgestellt haben. Und du dachtest, das Spionieren ist sinnlos.
Dieser Mann hat zweimal versucht, uns umzubringen.
Und dein Punkt ist? Valtores hätte uns auch fast umgebracht. Mehrere Male.
Aber er...ist grundsätzlich anständig, und dieser, dieser...
Kann uns deutlich nützlicher sein als es Valtores je sein könnte. Denk einfach mal ein wenig nach.
So geht es weiter. In freundlichster Atmosphäre verabschiedet sich der General schließlich, mit der Hoffnung, bald weitere fruchtbare Gespräche führen zu können. Ich glaube es nicht. Mein Hass auf den alten hinterhältigen Dreckskerl ist fast greifbar, und mein Meister, den er ermorden wollte, ist jetzt auf einmal sein bester Kumpel?
Es ist schon spät, und nach Kontrolle des Zimmers bietet Estrilem an, zur Wahrung einer gewissen Privatssphäre die Nacht über vor der Tür zu warten. Gerne stimmt der Meister zu, und so können wir leise reden. Die Tür sollte dick genug sein, damit der Golem nicht mithören kann, zumal offenbar nicht viele von ihnen den Trick beherrschen, Sinneseindrücke effizient zu filtern.
"In Ordnung, Zweiter. Einschätzung."
"Ihr hat ihm gerade bestätigt, dass Ihr entweder nicht in der Lage seid, eins und eins zusammenzuzählen um Ingkrias mit den ersten beiden Anschlägen in Verbindung zu bringen. Oder ihm zu verstehen gegeben, dass Ihr bereit seid zu vergessen zu sein, wenn Ingkrias jetzt spurt. Er dagegen hat offiziell erklärt, dass er sich umentschieden hat, und Euch jetzt am Leben halten will, um Profit daraus zu ziehen. Er ist zwar leicht zu lesen, aber nicht dumm; jetzt seid Ihr viel unantastbarer, und ein dritter Versuch würde den letzten Idioten dazu bringen, an Ingkrias zu denken. Stattdessen stellt er sich lieber gut mit Euch, und davon haben beide was: Wissen – und Sicherheit."
Der General nickt, und ich kann etwas einschieben. "Das ganze Gerede von Profitieren und Ausnutzen macht mich wahnsinnig. Können wir die falsche Schlange nicht einfach mal nachts besuchen?"
Mit Schmerz im Gesicht schüttelt der General den Kopf. "Erklär es du ihm, Zweiter."
"Weil es Gedanken wie deine beim Meister vermutet, kriecht Ingkrias gerade. Er hat Angst, weil der Meister offenbar viel fähiger ist, als ursprünglich gedacht. Ingkrias bietet seine Unterstützung an, auch in Form offener Aussprache für den Meister im Rat – was er kann, weil er bisher strikt neutral geblieben ist – und möchte dafür, dass seine unschönen Entgleisungen unter den Teppich gekehrt werden."
"Und das wirst du einfach so machen?", frage ich ungläubig.
"Wenn er meine Andeutungen richtig gelesen hat, weiß er, dass ich ihn in der Tasche habe. Ein Wort zu Valtores wegen der bisherigen Übergriffe, und Ingkrias hat gewaltige Probleme. Sicherlich weiß er auch, dass das für mich unangenehm werden könnte, weil meine offizielle Version bisher ist, dass es nur einen Anschlag gab, aber weniger unangenehm für mich als für ihn. So kann er erst einmal ruhig schlafen, aber wird nichts Dummes tun."
Ich stoße mit meinem Finger vor seine Brust. "Ich glaube, du verstehst nicht, worauf ich hinaus will. Er. Hat. Versucht. Uns. Umzubringen."
Der General seufzt. "Ja, hat er. Mit ziemlicher Sicherheit. Und vielleicht könnte ich dich in sein Zimmer schmuggeln, und du könntest ihn im Schlaf erwürgen, und niemand würde es herausfinden. Dann würde ich einen wichtigen Verbündeten verlieren, denn das ist er jetzt. Nebenbei seinen Golem, der dein Freund ist, nicht? So muss ich die bittere Pille schlucken, freundlich zu diesem Bastard zu sein, mit Kusshand und Sahnehäubchen, aber ich gewinne so viel und verliere nicht mehr als Stolz...und du meintest ohnehin immer, dass ich davon zu viel habe."
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. "Das macht mich komplett fertig, weißt du das? All diese Lügen, dieses Geschachere, ich hasse es. Wir müssen jede Sekunde vorsichtig sein, was wir tun, was wir sagen, unsere besten Verbündeten sind unsere ärgsten Feinde, und man kann selbst unseren Freunden nur vertrauen, wenn man mit ihren Gefühlen spielt!"
Das hat ihn verletzt. "Musste das sein? Ich kann nicht mehr sagen, als dass es mir sehr Leid tut, aber es musste eben sein."
"Und es kostet nur dich ein wenig Stolz, oder was?"
Besorgt huschen seine Augen zur Tür; war ich zu laut? Interessiert mich das gerade?
"Dorelem...ich weiß, dass dir das sehr zu Herzen geht, aber was soll ich machen? Wir sind hier nicht mehr lange, höchstens noch einen Monat oder zwei, bis ich herausgefunden habe, was ich wissen will. Wenn ich jetzt ständigen Kontakt mit den Meistern habe, ist es doch ein Kinderspiel, und wenn die Golems weiter ihre stille Revolution ausbreiten..."
"Du weißt nicht einmal genau, was du suchst", klage ich ihn an.
"Da muss ich widersprechen", meldet sich der Zweite. "Wir wissen genau, was wir wollen: Langes, möglichst ewiges Leben. Die Geheimnisse dessen sind bekannt, vielleicht Manchen hier schon jetzt und vielleicht auch in dem Folianten. Irgendjemand wird sie finden, weil alte Meister auch leben wollen. Und wir haben eine ganz heiße Spur: Das Trang-Oul Kapitel. Und Ingkrias' Reaktion darauf."
"Korrekt", stimmt der General zu. Und seufzt dann wieder. "Ich muss dich um etwas bitten."
"Warum weiß ich", presse ich hervor, "dass mir das auch nicht gefallen wird?"
"Ich...würde mich freuen, wenn du zu Lixt gehst, und..."
"Nein."
"Bitte, Dorelem, lass mich wenigstens ausreden. Sie wird erwarten, dass ich alles versuche, um mit ihr in Kontakt zu treten, und sie weiß von dir. Wenn du jetzt nicht gehst, wird sie denken, dass mir etwas zugestoßen ist, und könnte etwas sehr Dummes tun. Selbst, wenn sie das nicht tut, wird sie todunglücklich sein, die anderen werden das merken, und das gibt Fragen, die hier niemand braucht. Weder ich, noch sie. Tu es nicht für mich, tu es um Ihretwillen."
"Und was, bitteschön, soll ich ihr dann sagen?"
Er blickt auf seine Fingernägel. "Na ja...Dinge...die man halt so sagt. Mir geht es gut. Ich vermisse sie. Keine Ahnung. Lass dir etwas einfallen. Ich bin ja nicht wirklich verliebt."
Eiskalte Wut kocht in mir hoch. Seit ich hier bin, nutzt er mich aus. Ich soll ihm Lösungen zuflüstern, für ihn putzen, spionieren, Nachrichten überbringen, mein Anliegen, die Golems zu befreien, ist für ihn nur eine Gelegenheit, ein Informationsnetzwerk aufzubauen. Ich fühle mich wertloser als zu der Zeit, als ich noch stummer Diener war und er nicht wusste, dass ich auch Gefühle habe. Jetzt soll ich für ihn lügen, soll Lixt betrügen, für ihn mit ihren Gefühlen spielen, was mir so zuwider ist wie es gerade irgendwie geht; und das ignoriert er, weil es sein muss. Weil sein Lügengespinst sonst zusammenbricht, das er sich so mühsam aufgebaut hat, ein Glaspalast voller Spiegel, und alle zeigen mir nur hässliche Gesichter. Warum sind die meisten davon seines? Ich bin kurz davor, ganz kurz davor, ihm all das ins Gesicht zu schreien, scheiß auf den Türsteher, und die immer lauter werdenden Proteste des Zweiten, den ich völlig ausblende. Ganz kurz davor. Und dann bricht etwas, tief in mir, und mir wird etwas ganz Grundlegendes klar.
Ich muss hier überhaupt nichts tun.
Nein, nein, nein! Du kannst nicht...du macht alles kaputt!
Meine Miene ist immer noch finster, aber jetzt bewusst. Innerlich bin ich völlig kalt und leer, mein Entschluss ist gefasst. "Ich bin zwar kein Experte", ätze ich, "aber ich werde es tun. Wie du sagst, kein bisschen davon für dich. Wir...sehen uns dann später."
"Pass auf dich auf!", sagt er, aber ich bin schon unter der Tür durchgeschlüpft, ganz vorsichtig in den Schatten, Estrilem ist eine große Gefahr, aber ich bezweifle, dass er seine Rundumsicht so gut gemeistert hat wie ich. In den Spalten zwischen den grob verfugten Steinen der Wände krieche ich weg, bis ich mehrere Gänge entfernt bin, lausche auf die Schritte von Skeletten und bin bald wieder im Novizentrakt, wo die Fortbewegung viel einfacher ist.
Du bist dir bewusst, dass dein Ausbruch überhaupt nichts bringen wird? Du wirst trotzdem weiter machen müssen, dich im Zweifelsfall Befehlen fügen, aber du hast keine Wahl. Du bist ein Golem.
Oh, ich bin mir dessen bewusst. Wohl aber auch, dass sein letzter Befehl nur war, dass ich auf mich aufpassen soll, sonst bin ich gerade ungebunden. Bis ich einen neuen höre...
Ich stehe vor Lixts Tür, eine lange Weile, dann schlüpfe ich hinein, klopfe erst innen sanft gegen das Holz.
Sie war noch wach, natürlich. Schreckt hoch aus ihrer schlaflosen Rückenlage, wischt sich wenige Tränen aus dem Gesicht. "Dorelem! Ich hatte schon gedacht, sie hätten euch...nein, egal, ich bin so froh! Geht es ihm gut?"
"Bestens, bestens. Ich muss dir viel von ihm erzählen."
Tu. Es. Nicht.
Gerade steigt dieses Gefühl wieder in mir auf, diese kochende Leidenschaft, nach der sie mich unbewusst benannt hat, der gerechte Zorn; meine so gebeutelten Prinzipien verlangen nach Wiedergutmachung, wollen, dass ich mit dem Schwert der Wahrheit genau in ihr Herz fahre, und so den General bestrafe, der mich so enttäuscht hat.
Und wieder vergeht die Flamme, als ich in ihr Gesicht sehe, so voller Hoffnung und dieser ehrlichen, unschuldigen Liebe. Es zerbricht wieder etwas, und jetzt weiß ich, was es ist, es ist mein Herz. Ob es dem General doch genauso geht? Ob er seine Gefühle nur, auch vor mir, dem er sie eigentlich anvertrauen kann, gut versteckt? Ist er einfach nur viel pragmatischer als ich?
Wenn dir das noch nicht klar ist...
So oder so...ich weiß, dass ich es nicht schaffen werde, noch ein oder gar zwei Monate oder noch länger diese Fassade aufrecht zu erhalten. Oder es dem Zweiten zu überlassen und mich zu verkriechen. Es würde mich kaputt machen. Ein Leben, für das ich nicht geschaffen bin, das meiner ganzen Natur zuwiderläuft. Ich kann nicht Spinne im Netz der Intrigen spielen, wie die beiden anderen es können.
Aber ich kann, so weh es mir tut, über meinen Schatten springen...und Lixt nicht auch das Herz brechen.
"Er möchte, dass du weißt, dass er immer an dich denkt...", beginne ich, und jedes Wort purster Falschheit sticht wie eine heiße Nadel. Es ist notwendig, ja. Der General hat Recht, vielleicht, und dennoch, es hätte nie so weit kommen müssen. Warum sind wir überhaupt hierher gekommen? Der ganze Plan...ist doch Wahnsinn.
"...und er möchte, dass du auf dich aufpasst." Da. Es ist vollbracht, mein eigenes Opfer für dieses Spiel, das keine Sieger kennt.
"Es ist so lieb von dir, dass du gekommen bist", haucht sie und drückt meinen kleinen Körper. "Bitte sag ihm, dass ich ihn auch nicht aus dem Kopf bekomme. Dass ich mich unglaublich freue, ihn kennen gelernt zu haben. Und dass seine Geheimnisse bei mir sicher sind."
Sie beißt sich auf die Unterlippe. "Es ist sicher gefährlich, wenn du zu mir kommst." Ich nicke knapp. "Dann muss es nicht oft sein", fährt sie fort. "Ich weiß ja, was seine Gefühle sind, und er kennt meine. Aber...wenn es irgendwie geht, dass wir uns treffen können...dann sag mir sofort Bescheid, ja?"
Ich lächle eines der falschesten Lächeln, das ich je produziert habe. "Selbstverständlich, Lixt. Ich möchte doch auch, dass ihr beide glücklich miteinander seid. Denk daran, was auch immer passiert, dass mir auch besonders dein Glück persönlich sehr wichtig ist."
Wieder drückt sie mich, was mir sehr gut tut, und wenn es noch so auf Lügen beruht. Zumindest glaube ich, dass meine Entscheidung, sie heute zu betrügen, im Namen des Meisters hin oder her, die richtige war. Nach zu langem Abschied stehe ich wieder vor ihrer Tür – und breche auf.
Du weißt, dass das die falsche Richtung ist?
Und du weißt nicht, welchen Ausmaßes meine Entscheidung vorhin war.
Da...geht es nach draußen.
Korrekt.
Wenn dich jemand sieht...
Dreck, der auf Dreck liegt? Mach dich nicht lächerlich.
Das kann ich nicht zulassen.
Los, mach was dagegen. Halte mich auf. Tu es!

Damit wäre das klar.
Ich stehe unter freiem Himmel, die Sterne funkeln auf mich herab. Hinter mir beginnen die ersten lebenden Bäume, die sich wie respektvoll vor der gewaltigen unterirdischen Stadt der Totenbeschwörer fernhalten. Nur kurz blicke ich zurück, dann trete ich ins Unterholz.
Er braucht uns. Du kannst den Körper nicht einfach mitnehmen. Er wird einen Teil von uns finden und dir befehlen, zurückzukommen. Du wirst bestraft werden, ganz fürchterlich.
Vielleicht. Aber vielleicht sieht er auch ein, dass es so besser ist. Was will er mit einem chronisch unzufriedenen Golem, der die ganze Zeit meckert? Sei du sein Golem. Ihr kommt ja geradezu traumhaft miteinander aus.
Der Körper...!
Wofür denkst du habe ich gestern Nacht geübt? Ich rufe Erde zu mir, verstärke meinen Körper, wachse. Bald erreiche ich einen halben Meter. Es wird ein wenig anstrengend, diese Form zu halten; immerhin habe ich auch noch eine passive Hülle über einem Buch stehen, etwas weiter weg von hier. Andere Hinterlassenschaften von mir wie der Klumpen an den Schuhen des Führers sind schon längst zu normalem Dreck geworden. Aber ich habe ja Zeit.
Du übernimmst.
Ich packe meinen Arm, reiße ihn ab und lasse ich verächtlich fallen. Ein kleinerer, voll ausgebildeter Golem formt sich daraus.
Das wird nicht funktionieren.
Ich sorge dafür, dass der Hauptkörper über dem Buch bestehen bleibt, zusammen mit dir. Jeder wendet eine Hälfte seiner Kontrolle für den auf, unbewusst. Du kannst den Homunkulus steuern, und ich nehme den Körper hier. Mit genug Übung bekomme ich ihn auf Normalgröße, da bin ich mir sicher.
Wir können nicht drei Körper gleichzeitig halten.
Oh doch, das können wir. Zeit, dass die zwei Seelen in meiner Brust mal etwas Nützliches tun. Jetzt raus aus diesem Körper und aus meinem Kopf, sei froh, dass du mich nicht mehr ertragen musst die nächste Zeit. Wenn ihr aus diesem Drecksloch verschwindet, dann komme ich gern wieder zurück, lasse den Körper hier zerfallen und wir teilen uns wieder eine Wohnung. Bis dahin könnt ihr mich gern haben. Sag das dem General. Und erzähl ihm keinen Unfug, wenn ich will, kann ich immer noch mithören.
Ich werde ihn gebührend über deinen Verrat informieren.
Du bist ja immer noch da.

Gut!
Ich starre auf das Blätterdach des Dschungels, der mir so gut gefällt. Werde etwas kleiner, bilde den Arm zurück. Atme, bildlich gesprochen, das erste Mal seit viel zu langer Zeit wieder tief durch.
Frei von diesem Sündenpfuhl. Frei von Lügen, Intrigen, Mauscheleien. Frei, frei, frei.
Leider werde ich Lixt so nicht mehr sehen, und ich mag Lixt sehr gerne. Auch die Golemrevolution kann ich nicht weiter verfolgen...aber die wird schon laufen. Wir sind ja vernünftig.
Vorerst...kann ich endlich tun, was ich immer schon wollte. Das macht so Vieles wieder gut.
Ich kann mein Leben leben, wie ich es will.
 
Wow - eine sehr interessante Entwicklung. Ich bin gespannt wie es weiter geht :) Thx 4 update!
 
Jap, war sehr interessant! Gutes Update.

Bin ich egtl. der einzigste, dem der zweite immer sympatischer wird während sich dorelem immer weiter zur superzicke entwickelt..?^^

@Simon:
Bekommt "der Zweite" egtl. auch noch einen Namen?

mfg
 
Der Zweite will keinen Namen, also kriegt er auch keinen ;).

Freut mich, dass es euch gefällt!

Simon
 
Also mir wird der zweite langsam unsympatisch, während mir dolerem nun sehr amüsant und damit sympatisch erscheint. Außerdem wird jemand, der fast durchdreht wohl eher wenig Pläne hinter jemandes Rücken ausdenken.
 
...während sich dorelem immer weiter zur superzicke entwickelt..?^^...

Ohje, so kann man das auch sehen :eek:

Ich muss gestehen, während der Lektüre dieses Kapitels habe ich mir immer gedacht: ja, ja, ja. Ein aufmüpfiger Golem. Das isses. Mach doch deinen Sch.... alleine, du hast mich nicht gefragt bevor du in dieser Schlangengrube eingecheckt hast.
Dieser Golem ist ein bisschen so wie jeder von uns (oder vielleicht auch nur ich :D) gerne sein würde. Immer da wenns haarig war, aber irgendwann ist Schluss. Jedoch dann auch wirklich zu gehen, das finde ich sehr mutig.
Erfahrungsgemäß hält man das aber nicht lange durch. Ich sage: der kommt wieder. Bald :)
 
dorelem kann immer noch mithören, also kann der general auch zum körper den der zweite kontolliert befehle geben, die dorelem ausführen muss. die einzige möglichkeit die ich mir vorstellen kann, ist das der general nicht mitbekommt das einer seiner golems weg ist. ich glaube nicht das dass lange hält und dann sagt der general einfach: dorelem komme schnellst möglich zu mir. oder er erschaft den golem neu, dann sind die alten gestalten auch zerfallen.
 
Außerdem wird jemand, der fast durchdreht wohl eher wenig Pläne hinter jemandes Rücken ausdenken.

Der von ihm durchgezogene Plan einfach abzudampfen zählt dann wohl nicht? *g*

Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich ein wenig enttäuscht bin, von der "guten" (??) hälfte unseres lieblings tonklumpen...lässt er doch tatsächlich einfach den general hängen..pff. Klar, in dem ganzen sumpf von intriegen und weiß gott was alles ist er wohl nicht perfekt aufgehoben, aber man kann sich doch mal zusammenreißen.

Achja...neubeschwören wäre keine gute idee weil dann die kontrolle über den folianten flöten ginge...was nicht so toll wäre^^

Wäre es für den Generall egtl nicht viel sicherer, wenn er im tonkörper vom Golem rumrennen würde? Quasi wie iron-man...oder Ton-man in dem fall^^

mfg
 
Wäre es für den Generall egtl nicht viel sicherer, wenn er im tonkörper vom Golem rumrennen würde? Quasi wie iron-man...oder Ton-man in dem fall^^

Haha die Idee find ich mega geil! Wäre vielleicht in der momentanen Situation des Generals eher unpraktisch, aber so in einfacheren Kämpfen könnt das irgendwie schon praktisch sein...Ein Golem-Körper kämpft und der andere spielt Kampfanzug :D
 
Haha die Idee find ich mega geil! Wäre vielleicht in der momentanen Situation des Generals eher unpraktisch, aber so in einfacheren Kämpfen könnt das irgendwie schon praktisch sein...Ein Golem-Körper kämpft und der andere spielt Kampfanzug :D
Stell mir das eher ein wenig unpassend im Ton vor ;).

Nebenbei...Ton < Knochen, und so eine Rüstung hat der Gute ja schon!

Simon


EDIT: Erster Ton = Stimmung, zweiter Ton = Material :D.
 
Wenn das mit dem Anzug sinnvoll wäre, dann ja wohl am ehesten mit dem Eisenkörper, und dann wärs Iron Man :D

Und wann kommt hier eigentlich mal was neues?!
 
Ja also wenn jetzt schon der Mod anfängt zu meckern, dann muss hier dringend für nachschub gesorgt werden :clown: Aber morgen gibts dann (laut Plan) endlich wieder ein update :) Ich bin schon gespannt wie der generall auf die Abwesenheit von dorelem reagieren wird...wird er bestimmt gleich spitzkriegen, da der zweite ja ein völlig anderes verhalten an den tag legt. und wie die meister auf einen streunenden golem in den umliegenden wäldern reagieren, bleibt auch ncoh abzuwarten^^ Ich halte das ja nach wie vor für eine sau dumme idee, die dorelem da ausgefuchst hat :irre:
 
Hätte jetzt aber auch gedacht, dass morgen regulär dran ist, wenn ich nicht ne ganze Woche vor lauter Chemie verpasst hab :D.

Und was Dorelems Plan und die Reaktion des Generals darauf angeht...da werdet ihr voll informiert werden, das kann ich euch zumindest versprechen ;).

Simon
 
Kapitel 9 – Ein alter Bekannter


Die Axt fährt ein letztes Mal in das Holz, dann ist der Baum am Ende. Zwei Serien von Hieben haben einen Keil im Stamm gelockert; mit der flachen Seite der Klinge wird dieser herausgeschlagen und fällt zu Boden.
Ein unangenehmes Knacken ertönt. Der Blick fällt auf das gerade entfernte Stück; es ist zur Mitte hin komplett verfault, der Baum war schon vor dem Kuss der Klinge von seinem perversen Leben befreit gewesen. Das bedeutet allerdings, dass es ein großer Fehler war, so viel herauszuschlagen...das noch übrige Stück Stamm wird das Gewicht der Krone nicht von selbst halten können.
"Verdammt!", ruft eine Stimme von hinten, als jemand die Gefahr bemerkt. Doch schon neigt sich die hässliche Riesenpflanze, noch im Tod gewillt, den verhassten Menschen so viel Leid zuzufügen, wie möglich...
Die Axt fällt aus den starken Händen des für den zu frühen Baumsturz Verantwortlichen. Er springt zurück, reißt die Arme nach oben, und – hält das Borkenungetüm auf.
"Lauft!", ruft er, und hört, wie seinem Befehl Folge geleistet wird. Dann geben auch seine Kräfte nach, und sein Körper wird unter sich noch trügerisch an das Grün klammernde Blätter, überraschend zähen Ästen und dem ganzen Gewicht des ausgehöhlten Stammes zerschmettert.
"Dorelem...", keucht jemand ungläubig von hinten.
Ich sammle mich wieder und fließe unter dem heimtückischen Holz hervor. "Alles in Ordnung, Leute. Tut mir Leid."
"Ist ja nichts passiert", grunzt Gajaraf, den ich gerade vor einem Ende bewahrt habe, an dem ich nicht ganz unschuldig gewesen wäre. Er ist ein wortkarger, klein gewachsener Mann mit der typisch olivfarbenen Haut und den leicht schräg stehenden Augen der Einheimischen Kurasts. Ich erinnere mich daran, dass ich ihn schon beim ersten Mal, als ich hier war, gesehen habe. Als Mephisto noch seinen so subtilen, aber so fürchterlichen Einfluss über den Docks stehen hatte, war Gajaraf ein bloßer Schatten seiner selbst. Ein hageres Kerlchen, der Tag für Tag zusammengesunken an einem Holzpfahl kauerte und den der Hass durchzog wie jeden anderen auch; auf seine Situation, auf die Ungerechtigkeit der ganzen Sache, und am meisten auf sich selbst. Seine ganze Familie ausgelöscht von den Dämonen, Frau, Kinder, nur sein Bruder hatte überlebt...und war vom Einfluss der Hypnotischen Kugel mutiert worden zu einem grauenhaften Monster, das dessen Familie umbrachte. Wir fanden ihn neulich, die Kehle mit dem eigenen Schwert durchgeschnitten, wohl schon bald nachdem der General die Kugel zerstört hatte.
Gajaraf dagegen hat einen neuen Sinn in seinem Leben gefunden. Seine Schultern sind nunmehr sicherlich doppelt so breit, als sie es einmal waren. In längst vergessenen, wenngleich nur wenige Monate zurückliegenden Zeiten, war er Rechnungsführer einer Bäckerei gewesen, körperliche Arbeit ihm unbekannt. Jetzt fällt er Bäume, wie so viele andere auch, aber sein Zahlentalent kann sich trotzdem noch bewähren: Er plant, wie viele pro Tag fallen müssen, damit die Arbeiter an den Docks und in der zerstörten Innenstadt genug Material haben; wie viele Menschen man braucht, um das Holz an den Zielort zu schaffen, und das immer wieder neu, wenn ein weiterer Abschnitt gerodet ist.
Kurast hat eine Katastrophe hinter sich, die eine der größten Städte der Welt innerhalb weniger Tage beinahe komplett ausgelöscht hat. Als Mephisto hier offen die Macht übernommen hatte, waren alle Einwohner, die zu nahe am Tempelbezirk Travincal waren, sofort durch die verfluchte Kugel grauenhaft verändert worden, ihnen sprossen Hörner, ihre Gesichter bekamen Schnauzen, der Körper wurde verzerrt, schlanker, größer, tödlicher. Zusätzlich zu diesen nunmehr willenlosen Sklaven sprangen die einst harmlosen Affen grotesk gewachsen hervor, auf ein Vielfaches ihrer Größe aufgedunsen; die Bäume selbst rissen sich aus dem Boden hervor, gewannen Dornen über und über, Arme, die gewaltige Keulen waren und hinterlistig glitzernde rote Augen, welche auf rudimentären und bösartigen Intellekt schließen ließen.
Die Fliehenden aus den weiter entfernten Stadtvierteln stellten fest, dass über Nacht der natürliche Bewuchs an knorrigen, gedrungenen Bäumen, Lianen und Büschen mit gesunden, tiefgrünen und feucht glänzenden Blättern explodiert war. Entlang des Flusses, der gerade noch harmlos den Hafen mit den Geschäftsbezirken verbunden hatte und an dessen Ufern sich viele Hütten der ärmeren Bevölkerung befunden hatten, war nun ein Dschungel. Ein nahezu komplett undurchdringliches Dickicht an Dornen, Schlamm, Fallstricken und nicht zuletzt unzähligen mordlustigen armgroßen Monsterpuppen, die, weit schneller als ein Mensch, ihre überlangen Fleischermesser mit größten Vergnügen führten, um so viele wie möglich abzuschlachten und in großen Töpfen zu kochen. Nur wenige entkamen diesen Fetischen, und nicht selten allein deswegen, weil ihre Freunde, Nachbarn oder Verwandten zahlreich genug waren, um durch ihren Tod die Schlächter lange genug abzulenken.
Viele der Dämonen sind mit der Vernichtung Mephistos verschwunden. Die Dornendrescher sind zu Holzspänen zerfallen, die Tempelwächter an der Masse ihrer eigenen unnatürlichen Muskeln erstickt, sobald die schwarze Dämonenmagie ihr perverses Leben nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Der Dschungel dagegen ist noch da; die Pflanzen sind zwar bei Weitem nicht so lebensfähig wie organisch über mehrere Jahre gewachsene Bäumen, und vielerorts zeigt sich durch fortschreitende Fäulnis, dass einige Jahre des Wartens das Problem sicher von selbst lösen würden, zumindest wenn man ignoriert, wie viele Parasiten, Mücken und Krankheiten durch die Verwandlung des grünen Würgegriffs in reine Biomasse gedeihen würden. So oder so ist niemand gewillt, Jahre zu warten. Mit dem Ende des Hasses hat endlich die Hoffnung wieder Einzug gehalten in Kurast; ihr Funke fiel auf reichen Nährboden, und nun verbrennt sie als Inferno die verfluchte Vegetation, die die Stadt so lange im Würgegriff hatte und ihr beinahe das Leben ausgequetscht hätte.
Als ich vor drei Wochen hier ankam, hatte ich erwartet, mehr tun zu müssen. Meine Reise war viel kürzer ausgefallen, als ich gedacht hätte, aber wenn man bedenkt, dass ich nie rasten geschweige denn schlafen muss, ist das gar nicht so überraschend. So war ich voller Energie, den Leuten hier zu helfen, zu sich zu finden, den Dschungel zurückzudrängen, das Übel zu beseitigen und ihre Stadt wieder aufzubauen.
Statt einem geschlagenem Volk auf der verzweifelten Suche nach dem Sinn und immer noch geschockt von ihren Traumata fand ich allerdings hektische Aktivität. Die Anzahl der Hütten auf und um die Docks hatte sich schon nach dieser kurzen Zeit mehr als verdreifacht. Die Bevölkerung war um einen noch größeren Faktor gestiegen. Wie ich später erfuhr, hatte Meschif sein Schiff und seine Kontake rege genutzt, und aus Lut Gholein eine ganze Reihe Freiwilliger gewonnen, die sich solidarisch zeigen wollten. Zumindest, um bald wieder Handelsbeziehungen mit Kurast über das Meer aufnehmen zu können. Die Wüstenstadt hatte ihre vergleichsweise nichtigen Probleme schon vor längerer Zeit in den Griff bekommen. Dennoch waren sich ihre Einwohner natürlich genauso des gerade noch abgewendeten schweren Schattens der Großen Übel bewusst, und voller Anteilnahme für Kurasts Schicksal. Eine rege Mischung aus Menschen aller Nationen, auch aus dem Westen, nun, wo der Weg über die Berge wieder frei von Dämonen ist, arbeitet fleißig daran, Kurast wieder aufzubauen.
Viele von ihnen kannten mich glücklicherweise schon. So gab es keine allzu große Aufregung, als ein Tongolem plötzlich aus dem Dschungel kam. Die Eisenwölfe, welche die Arbeiten professionell überwachen, empfingen mich herzlich, und ihre Anführerin Aschara, opportunistisch wie immer, spannte mich sofort ein. Was mir sehr Recht war. Ich wollte nie mehr, als mein Bestes zu geben um zu helfen, und Kurast war der ideale Ort, um damit anzufangen, am schwersten und vor kürzester Zeit betroffen. So hacke ich Tag und Nacht Bäume, entaste sie, trage die Stämme zu erfahrenen Zimmermännern und -frauen, ruhelos und ohne zu ermüden, und ich könnte nicht glücklicher sein. Die Menschen hier akzeptieren mich ohne Wenn und Aber; selbst die, welche mich nicht als den Diener ihres Retters kennen, interessiert nur, dass ich gute Arbeit leiste und ihnen ohne zu klagen beistehe. Abgesehen davon dürfen sie sich ohnehin keine Vorurteile leisten. Ich werfe einen Seitenblick zu Ithefel, der dafür zuständig ist, die menschlichen Mitglieder meines Trupps mit Wasser zu versorgen. Die vollen Flakons baumeln von seinen Hörnern, seine überlangen Beine erlauben ihm trotz ihres Gewichts flinke Schritte. Er war am Rande Travincals, als die Hypnotische Kugel ihre grauenvolle Wirkung entfaltete – so war er glücklicherweise nicht dabei, als der Meister so viele seiner Zealot-Kollegen ermordete. Ermorden musste. Vielleicht. Ithefel erwachte aus seiner Hypnose und weiß zum Glück nicht mehr, was er unter ihrem Einfluss getan hat. Beinahe hätte er trotzdem seinem Leben ein Ende gesetzt...aber er wollte zunächst wissen, ob seine Frau noch lebt.
Sie tut es. Und hat ihn wieder angenommen, so, wie er ist, und vermutlich auch bleiben wird. Sie sagt, sie liebt den Mann in dem grotesken Körper, denn es ist der gleiche wie vor seinem fürchterlichen Leidensweg. Kann ihre Liebe halten? Ich weiß es nicht, aber allein die Tatsache, dass sie ihnen beiden eine Chance gibt, ist so unglaublich viel wert.
Kurast ist auf einem guten Weg, da die Hoffnung wieder regiert. Die Menschen stemmen sich dem schrecklichen Erbe der kurzen Herrschaft Mephistos entgegen, und bald wird jede Spur davon beseitigt sein, und im Gegenteil zum Guten gewandelt; es wird viel mit Holz wieder aufgebaut werden, was einst Stein war, zumindest provisorisch. Aber so kann die Stadt wieder genesen. Durch den Willen und die Kraft ihrer Einwohner; der Menschen aus Ländern, die jegliche einstige Rivalität vergessen haben; und zu einem kleinen Teil auch durch mich. Wer rührt hingegen keinen Finger, den Menschen zu helfen? Weder Herold, der Gott der Zakarum, noch die Engel des Himmels, von denen ich zumindest weiß, dass sie existieren. Aber wer braucht die schon?
Ich wüsste zu gerne, was Deckard Cain, der letzte Weise der Horadrim und damit der Mensch, der dem Himmel noch am verbundensten ist, dazu zu sagen hätte. Aber Deckard ist nicht mehr hier; ich habe ihn knapp verpasst, vor nur zwei Tagen hat er die Docks eilig verlassen, nachdem er entscheidend mitgeholfen hatte, den Aufbau zu gestalten. Natürlich hat er niemand gesagt, was er vorhat. So gerne er seine Geschichten erzählte, was ihn selbst antreibt bleibt, wie üblich, im Schatten.
Noch ein Baum fällt; diesmal war ich vorsichtiger, und das zurecht; wieder ist der Stamm von innen her verfault, und das Holz damit völlig nutzlos für uns. Ich schüttle den Kopf. "Sieh dir das mal an, Gajaraf."
Der Holzfäller tritt näher, mit Ithefel im Schlepptau; ich scheine ihr Gespräch unterbrochen zu haben. Wortlos deute ich auf die Misere vor mir, und der breitschultrige Vorarbeiter tritt missmutig dagegen.
"Schon der fünfte heute. Verdammt, das wirft uns doch tatsächlich noch zurück."
"Ich kann ja Überstunden schieben?", schlage ich mit einem Grinsen vor. Die beiden lachen; würde ich noch eine Stunde länger pro Tag arbeiten, müsste er auf fünfundzwanzig davon ausgeweitet werden. Schnell vergeht dem Mensch das Grinsen allerdings. "Nein, das gefällt mir einfach nicht, ich wollte bis übermorgen mit dieser Sektion fertig sein. Die aus dem ehemaligen Fischmarkt sind seit Tagen am Meckern, dass sie zu wenig Leute haben. Wenn ich ihnen sage, dass sie noch länger auf Verstärkung von hier warten müssen, kriege ich gar keine Ruhe mehr."
Der dämonisch Entstellte legt mir eine Hand auf die Schulter. "Die sind doch so oder so nur neidisch, dass Dor für uns arbeitet."
Ich mache eine entschuldigende Geste. "Wenn es dem Frieden dient, kann ich ja öfter wechseln...", setze ich an, aber Gajaraf unterbricht mich unwirsch. "Du kommst hin, wo ich dich einsetze. Die sollen nur meckern, so viel sie wollen."
"Und nebenbei", füht Ithefel etwas zögerlich hinzu, "gefällt es mir hier überhaupt nicht. Ich bin froh, dass du in der Nähe bist."
Dafür verdient er einen skeptischen Blick von mir. "Was meinst du damit?"
"Ein ganz ungutes Gefühl, das ist alles..."
"Wenn wir dann fertig sind mit Altweibergewäsch", fährt Gajaraf wieder dazwischen, "dann hör mir mal zu, Ith. Ich möchte einen, idealerweise zwei weitere Fäller in diesem Gebiet, damit wir den Plan doch erfüllen. Entweder du nimmst selber eine Axt in die Hand..."
Der Vorschlag lässt den anderen erbleichen. Ithefel weigert sich strikt, eine Klinge in die Hand zu nehmen, seit er aus seiner Hypnose erwacht ist. Ich glaube, er hat Angst, dass er beim Halten einer Waffe sich doch noch erinnert, was er mit seiner Hellebarde alles getan hat im Dienste des Bösen...
"...oder", fährt unser Befehlsgeber fort, "du suchst mir Leute aus den Docks, die das übernehmen. Wenn du dich beeilst, und das kannst du gut, dann habe ich heute Nachmittag noch zwei Freiwillige hier."
Schnell nickt der Mutierte. "Das mache ich. Was kann ich ihnen anbieten?"
"Die übliche Rate und einen Extrabonus, wenn sie sofort anfangen – sagen wir ein Zehntel drauf. Nun hopp."
Mit einem schwachen Lächeln verabschiedet sich Ithefel von mir und sprintet sofort los, eifrig durch noch nicht gerodeten Dschungel, um eine Abkürzung zu nehmen. Ich tue so, als würde ich in die Hände spucken, und mache mich daran, wieder an die Arbeit zu gehen...
Da ertönt ein grauenhafter Schrei.
Gajaraf fährt herum, aber ich bin natürlich viel schneller. Bevor der Mensch auch nur einen Schritt machen kann, bin ich schon im Dschungel, Ithefel hinterher. Zwischen zwei Bäumen, die er auch mit seinem unmenschlich dünnen Körper umgehen konnte, kann ich mich einfach hindurch quetschen; und schon bin ich auf einer kleinen Lichtung, er ist nicht weit gekommen.
Fünf Schinder springen auf ihm herum, hacken mit ihren Messern, die gut und gerne so groß sind wie ihre kleinen vertrockneten Puppenkörpern; ihr irres Lachen weckt sehr unangenehme Erinnerungen.
Es sieht so aus, als werde ich nie erfahren, ob die Liebe zwischen dem Opfer grausamer Höllenmagie und seiner Frau eine Chance hatte. Alles ist voller Blut. Obwohl Ithefel ohne Zweifel sehr schnell gestorben ist, machen die Dämonenpuppen keine Anstalten, mit ihrem sinnlosen Werk aufzuhören. Sie zerfleischen die Leiche mit ekelerregender Hingabe.
Eiskalter Zorn erfüllt mich. Ich habe nie gerne gekämpft, schon gar nicht gegen Gegner wie die mutierten Menschen aus Travincal – welche gerettet werden konnten, ich wusste es – oder die Tempelaffen, die leider nie eine Chance hatten. Diese Kreaturen hingegen? Erschaffen nur, um zu töten, auf grausamste Weise. Flink, immer in großen Gruppen unterwegs, die rostigen Messer schärfer, als sie auf den ersten Blick scheinen, und offenbar ein so altes Unheil, dass der Wegfall von Mephistos Magie ihnen überhaupt nichts anhaben konnte.
Einen Moment lang will ich mich nur auf sie stürzen, ihre winzigen Hälse umdrehen, die Schrumpfköpfe zerquetschen. Aber mein Verstand lässt mich einen Augenblick inne halten. Immerhin will ich sie alle.
Es wäre eigentlich Aufgabe des Zweiten, Dinge zu werfen, aber da ich ihn gerade sehr glücklich damit bin, dass er ganz weit weg ist, muss ich mir eben selbst helfen. So schwer kann das nicht sein. Ich rufe mir alte Kämpfe ins perfekte Gedächtnis, hole aus und lasse die Axt fliegen.
Sie zerteilt einen der Dämonen. Na also. Noch während sie auf ihrem Weg war, bin ich schon vorgestürmt. Meine Arme haben sich zu Schwertklingen geformt, und wer denkt, dass Ton nicht scharf sein kann, versteht nicht, wie viel Kontrolle ich wirklich über das Material meines Körpers habe. Die Schneiden sind so dünn und tödlich, wie ich das will, und das ist in beiden Fällen im Moment sehr.
Bevor sie wirklich reagieren können, habe ich mit einem Schwung schon zwei auf einmal geköpft. Mein nächster Hieb verfehlt sein Ziel; die übrigen beiden springen auf, laufen weg. Ich stoße einem das Schwert in den Rücken, er war nicht schnell genug. Der letzte...meine andere Waffe weicht auf, formt wieder eine Hand, und ihn ihr bildet sich eine perfekte Kugel aus zähem Schlamm. Schon wieder ein Wurf...aber irgendwie gibt mir die Wut den nötigen Fokus. Ist das, wie der Zweite es macht? Das Projektil trifft den Fliehenden, zerplatzt, lässt ihn stolpern und nicht mehr hochkommen...bis ich über ihm stehe.
Ich packe die Puppe mit zwei Fingern, ignoriere das Zappeln, gehe langsam zurück. Plötzlich trifft mich die Trauer um Ithefel, und ich weiß weder, wie ich damit umgehen soll – und ob mir ein Fünftel seiner Mörder in meiner Hand dabei irgendwie helfen kann – noch wie ich es Gajaraf sagen soll.
"Ich habe ganz schlechte Nachrichten...", beginne ich lahm, bevor es mir die Sprache verschlägt, als ich die Szene vor mir sehe.
Der Vorarbeiter liegt am Boden, stöhnend, aus mehreren Wunden vor allem an seinen Beinen strömt Blut. Jeweils zwei Schinder halten seine Arme fest. Und über ihm aufragend steht, mich direkt ansehend, ein Schamane. Zwei der Püppchen übereinander, mit einem goldenen Schädel, verziert durch Federn und Knochen auf einem Holzpfahl, die der obere trägt. Sie tragen, im Gegensatz zu den dunkelgrünen Höschen der normalen Schinder, jeder einen türkisfarbenen Bastrock.
"Sieh an, wen haben wir denn da. Erinnerst du dich an mich, Golem?"
Wie soll ich mich an irgendeinen...da packt eine eiskalte Faust mein Herz, als mir tatsächlich einfällt, wo ich diese Stimme schon einmal gehört habe.
"Endugu!"
"Es ist so schön, von alten Freunden wieder erkannt zu werden!"
Die Bilder überschlagen sich in meinem Kopf. Der Hexendoktor, wie er neben Natalya steht, einen Dolch in der winzigen Hand, und sie von seinen Untergebenen mit einem glühenden Eisenstab foltern lässt, während der General und ich nur in ohnmächtiger Wut zusehen können. Wie er versucht, diese Wut zu Hass werden zu lassen, damit wir Mephistos Einfluss unterliegen. Der Feuersteindolch, wie er weiße Haut durchdringt, wieder und wieder, und das Blut der Frau, die der General liebt, auf den Boden tropft. Sein ständiges hämisches Gelächter...besonders, als er davon kommt, und ich keine Wahl habe, außer ihn gehen zu lassen, um das Leben der Assassine zu retten.
Dann später, als ich, der General halb tot an meiner Seite, meine Stahlfinger um Endugus Kehle geschlungen habe, seinen winzigen Hals zerbreche, den Kadaver, der dabei ist, mir in den Händen zu explodieren, an die Wand werfe...
Und wie der Träger wegrennt...von dem ich nur hoffte, dass es nicht Endugu selbst war in einem letzten Rollentausch, um uns zu verwirren...
All dies in dem Dungeon unter einem Schinderdorf, das wir dann niederbrannten, in dem ohnmächtigen Versuch, wenigstens etwas Rache zu üben, Hirne doch vernebelt von dem alles durchdringenden Hass...
...nur ein paar hundert Meter weiter, wenn ich es mir recht überlege, was ich bisher aber nicht getan habe. Nein! Was für ein fürchterlicher Fehler! Und jetzt ist ein Mensch gestorben, und ein anderer in tödlicher Gefahr, wegen mir...
Meine Faust ballt sich während mein Gesicht eine hässliche Grimasse formt. Das Zucken des Dämonen in meiner Hand ist vergessen. "Was willst du?", zische ich. Endugu lacht nur. "Was denkst du? Dich. Deinen Meister. Ich will euch leiden sehen. Bluten sehen. Sterben sehen! Aber nicht zu schnell! Hol ihn her, oder diese Ratte hier wird geröstet."
Ich wage es gar nicht, mir vorzustellen, was das Inferno eines Schinder-Schamanen auf so kurze Distanz mit dem Holzfäller anstellen würde. Aber...den General holen? Er ist mehrere Tagesreisen entfernt! Wenn Endugu das herausfindet...ich muss auf Zeit spielen.
"Warum sollte ich das tun? Du hast ganz offensichtlich eine Falle für ihn vorbereitet."
Einer der beiden Schinder, die den Schamanen formen, schnippt mit den Fingern. Ist es Endugu oder nur ein Untergebener von ihm, den er dazu abgestellt hat, Köder zu sein? So oder so gehorchen die anderen aufs Wort, und mit einer schnellen Bewegung hackt ein Messer Gajaraf einen Finger ab. Er brüllt, bis Endugus unterer Teil ihm in die Kehle tritt, was den Schrei in einem erstickten Husten untergehen lässt.
"Darum solltest du das tun. Dein Meister ist doch ein großer Held, niemals wird er es einfach zulassen, dass hier ein Unschuldiger seinetwegen gefoltert wird, oder?"
Das hässliche Grinsen auf den zugenähten Lippen lässt meine Faust zittern. Die Knopfaugen glitzern. Was soll ich tun? Weiter Zeit schinden?
"Mein Meister weiß nichts davon, dass hier jemand gefoltert wird. So, wie es aussieht, ist das ganz allein meine Entscheidung, ob er davon erfährt."
"Ach, ist das so?", spottet Endugu, und schon fährt das Messer wieder herab. Gajaraf kann nur noch schluchzen. Alles mit Regenerationstränken heilbar, sage ich mir immer wieder, wie ein Mantra. Wenn er nur überlebt.
"Und was ist deine Entscheidung?", fährt Endugu fort. "Holst du den General, oder möchtest du, dass wir den Rest auch noch abnehmen? Er hat ja vorerst noch genug Finger."
Was wird passieren, wenn ich ihm einfach sage, dass es nicht einmal eine Möglichkeit gibt, den Meister zu holen? Entweder, er glaubt mir nicht – mehr Schmerzen für sein Opfer. Oder er glaubt mir – dann gibt es für ihn überhaupt keinen Grund mehr, eine Geisel zu behalten. Ganz und gar keine gute Idee. Verdammt! Und er wartet auf eine Antwort...
"Wie stellst du dir das überhaupt vor? Ich bin nicht in ständiger Verbindung mit dem General. Ich müsste schon dort hinlaufen, wo er sich aufhält, und ihm persönlich sagen, dass seine Anwesenheit...erwünscht ist."
Vage genug?
"Ach, du hast keine Möglichkeit, zu kommunizieren? Das ist aber schade", ätzt Endugu, und sein Gesicht verzieht sich in schlecht gespieltem Bedauern. Das Messer seines Dieners zeichnet ein krudes Zickzackmuster aus Blut auf den Arm des Holzfällers. "Vielleicht fällt dir ja doch etwas ein, meinst du nicht?"
Für einen kurzen Moment versagt mein Denken. Endugu ist alles völlig egal. Wenn ich den General nicht holen kann, dann bringt er eben Gajaraf um, verzieht sich sofort wieder, und wir haben immer noch einen winzigen Bastard herumlaufen, der diesen Dschungel wie seine Westentasche kennt und dafür absolut keine Skrupel. Er spekuliert sicher auch darauf, dass ich das weiß; dass das hier meine beste, einzige Chance ist, ihn zu stoppen, bevor er unglaublichen Schaden anrichten kann. Dafür, dass er völlig wahnsinnig ist, ist er viel zu schlau.
Also bin ich in Zugzwang, und zwar bald. Wenn ich nicht irgendwie den General herbeizaubere, stirbt noch ein Mensch aufgrund meiner Schuld während ich nur zusehen kann.
Aber ich kann nicht zaubern.
Was kann ich also machen?
Der Schinder in meiner Hand zuckt wieder.
Ah, aber natürlich. Zaubern kann ich nicht. Aber so tun.
Mit einem Druck meines Daumens breche ich dem Dämon in meiner Hand das Genick und werfe seine kleine Leiche blitzschnell in Endugus Richtung. "Spreng ihn, General!", schreie ich und stürze gleichzeitig nach vorne.
Für eine halbe Sekunde denke ich, dass mein Plan aufgeht. Endugus Träger weicht einen Schritt zurück, bereit, zu fliehen vor der vermeintlich drohenden Kadaverexplosion...aber da hält er inne, während wieder dieses grauenvolle Lächeln auf dem Gesicht des oberen, der wohl doch der Hexendoktor selbst ist, erscheint.
Und mit einer Geste und einem Regen magischer Funken wird der fliegende Schinder in der Luft wiederbelebt. Das...hatte ich natürlich nicht bedacht...verdammt! Aber was hätte ich sonst tun sollen? Egal! Es gibt kein Zurück. Alles oder Nichts. Wenn er nur lange genug abgelenkt war...
Die Zeit scheint sich zu verlangsamen. Endugu sieht mich direkt an. Dann senkt sich sein Blick. Er wird doch nicht...
Der Feuerstrahl des Infernos bricht aus der Maske hervor und überspült den bewegungsunfähigen Menschen vor ihm. Gajarafs Schrei ist furchtbar. Ich nehme ihn wahr, als würde er Minuten anhalten, bevor ich endlich am Ziel ankomme, direkt vor Endugu, und den oberen Teil des Schamanenpaars mit voller Kraft wegschlage; der Feuerstrahl hat mich nur kurz betroffen, maximal die Faust etwas gehärtet, was mir ganz Recht ist, und mein Körper hat einiges an Hitze auffangen können, aber war das genug? Noch schreit das Brandopfer, was ein besseres Zeichen ist, als Stille es wäre. Ich maße mir allerdings nicht an, es gut zu nennen.
Der Träger zückt ein Messer. Ich lasse es nicht mal ansatzweise dazu kommen, dass er etwas unternehmen kann. Schnell stirbt er an meiner frisch geformten Klinge.
Der goldene, verzierte Schädel auf seinem Holzpfahl liegt am Boden, einige Meter enfernt. Endugu hat ihn fallen lassen, aber rappelt sich schon wieder auf. Er starrt mich an, dann den Schädel, dann den sich windenden Menschen unter mir. Und grinst hämisch. Schnell überbrückt er die Distanz zum Zeichen seiner Macht, wobei er mir näher kommt; ich will gerade ansetzen, ihn dafür zahlen zu lassen, als mich plötzliche Stille der Situation bewusst werden lässt. Gajaraf hat aufgehört zu schreien.
Er ist schwerst verletzt. Wenn ich Endugu jetzt verfolge, wird er sterben. Aber wenn ich es nicht schaffe, den Hexendoktor zu stellen...verdammt, was für eine Entscheidung!
"Was ist hier los? Himmel!", kommt plötzlich eine Stimme von hinten.
Natürlich. Wir sind ja nicht allein im Dschungel. Irgendjemand hat die Schreie gehört, ist gekommen, um nachzusehen. Idealerweise eine ganze Gruppe von Holzfällern, mit Äxten, und mehr als einer von ihnen wird auch Kampferfahrung haben. Vielleicht...habe ich heute doch das Glück, das ich brauche.
"Kümmert euch um ihn, schnell!", rufe ich nach hinten, und dann laufe ich los. Endugu hat sich den Schädel geschnappt und ist bereits auf der Flucht. Trotz seiner Last ist er unglaublich schnell; die dämonische Stärke in seinem Schinderkörper, welche den Püppchen sonst erlaubt, die Messer, gleich schwer wie sie, ohne Mühe zu tragen, lässt ihn jetzt damit seine Distanz halten.
Warum kann ich nicht schneller sein...aber mehr als einen Fuß vor den anderen setzen kann ich nicht. Der Fluss, ganz in der Nähe, fließt in die falsche Richtung, sonst könnte ich als Tonfisch oder wie auch immer geformt mit der Strömung an Boden gut machen. So entkommt er mir langsam aber sicher. Und er kennt sich hier deutlich besser aus als ich.
Schon sind wir im tiefen Dschungel, noch völlig unberührt von unseren Äxten. Ich erkenne langsam seinen Plan. Die faulenden Bäume – damit wir schneller in Richtung des Schinderdorfes vordringen, weil sie deutlich problemloser fallen als gesunde. Der Hinterhalt im Wald – um mich kurz wegzulocken von seiner potentiellen Geisel. Und jetzt? Hat er die Flucht auch geplant? Wo sind wir? Schnell rufe ich mir unseren ersten Besuch ins Gedächtnis. Natürlich ist der verfluchte Dschungel mir tief eingebrannt.
Also von wegen, er kennt ihn besser. Zumindest, solange er halbwegs auf der Route bleibt, die wir das erste Mal auch genommen haben. Soweit...ja. Und mein Tonkörper ist dann doch deutlich besser geeignet für die Umgebung, als mein metallener es war. Er versucht, über Wurzeln zu springen, durch enge Lücken zu schlüpfen, aber ich kann gar nicht stolpern – wenn mein Fuß hängen bleibt, lasse ich ihn eben zurück, forme einen neuen, absorbiere Material aus dem Untergrund einfach im Vorbeilaufen. Ich schwinge mich an Lianen über trügerische Löcher im Boden, ziehe mich an Ästen hoch, um mich vom Baum dahinter abzustoßen, nutze die Erfahrung, die ich in einem anderen, kälteren, sumpfigeren Dschungel erst vor kurzem gewonnen habe. Nach kurzer Zeit halte ich die Distanz zu Endugu. Und dann, ganz langsam, beginnt sie zu schrumpfen.
Und das weiß er. Sieht sich kurz gehetzt um. Verliert dadurch wieder zwei Sekunden. Ich krieg dich, du verdammter Bastard. Du ekelhafter wahnsinniger Folterer, Schlächter, Massenmörder. Alles in mir fokussiert sich auf dieses Ziel, und mit ihm vor Augen kann ich nicht scheitern. Er schlägt Haken, ich schneide Kurven, gewinne wieder an Boden. Er denkt, er könnte sich verstecken? Ich sehe ihn, zerschmettere einen Stamm zu Splittern, lasse ihn wieder rennen. Warum lässt er den goldenen Schädel nicht fallen? Ist er ihm so wichtig? Ist er ohne ihn machtlos? Einmal glaube ich, ich könnte ihm das Ding abnehmen – als müsste ich nur die Hand ausstrecken. Der Moment geht vorbei – aber vor allem, weil ich zögere. Ich will ihm nicht seine Trophäe nehmen. Ich will sein verfluchtes hässliches Unleben aus ihm herauswringen. All der Hass, den ich mir nicht erlauben konnte, als Mephisto noch regierte, kocht in mir hoch. Ich mache ihn zu meinem Schwert. Immer näher...immer näher...
Da hören die Bäume plötzlich auf. Ruinen umgeben uns, was von kleinen Hütten übrig ist. Ein paar Steine, verkohlte, nicht völlig verbrannte schmutzige Leinentücher, der ein oder andere Holzbalken, nur ganz grob bearbeitet. Die umgestoßenen Kochtöpfe, der Inhalt zum Glück größtenteils schon verfault, davon gespült, bis auf die weißen Knochen, die noch ab und an darunter hervorblitzen. Das Schinderdorf.
Und Endugus Ziel. Er hält direkt auf die Treppe zu, die, unauffällig ummauert, nach unten führt...in den Schinder-Dungeon. Wo wir damals eines von Khalims Organen fanden, die uns letztlich erlaubten, die hypnotische Kugel zu brechen. Wo der General fast starb durch unzählige heimtückische Fallen, ich kurzfristig die Kontrolle meines Körpers an den Zweiten verlor, und er beinahe gegen Mephistos Einfluss. Mein Stahlgriff um die Kehle des Menschen, der mir kurz davor noch sagte, dass er mich liebt wie einen Bruder.
Der Hexendoktor verschwindet in den Untergrund. Jetzt ist er wirklich auf heimatlichem Territorium. Ihm da hinunter zu folgen, wäre Wahnsinn. Ich kann nur verlieren.
Der Dungeon hat nur einen Eingang.
Und ich weiß, wie brüchig die Decke ist.
Nur Minuten später stehe ich in der Dunkelheit. Hinter mir fällt der letzte Stein zu Boden. Keine noch so kleine Dämonenpuppe wird hier in naher Zukunft entkommen.
Du wolltest mich und den General in eine Falle locken? Bitte, ich bin hier.
Jetzt werden wir ja sehen, wer hier mit wem gefangen ist.
 
AHHHHH!!! und schon wieder lässt er uns hängen wenns am spannensten ist!!! ...zwei wochen...:motz:
aber das kapitel war gut :top:
 
interesannte interpretierung der kurast "vorgeschichte"
do like (auch wenn sie gegen das d2 handbuch spricht in welchen mephisto den rat und die umgebung mehrere jahre über beeinflusst)
 
interesannte interpretierung der kurast "vorgeschichte"
do like (auch wenn sie gegen das d2 handbuch spricht in welchen mephisto den rat und die umgebung mehrere jahre über beeinflusst)
Jo, da musste ich auch in Teil 3 schon ein wenig tricksen. Ich finds einfach spannender, wenn der Dschungel spontan die ganze Stadt zerstoert, statt langsam ein wenig gefaehrlicher wird. Ist ja eigentlich auch so, dass der Dschungel schon immer da war und die Docks nur ausgegliedert - ich hab die Docks in die Stadt verlegt und alles zwischen Docks und Unter-Kurast war mal voller Leute...und ist jetzt gruene Hoelle.

Simon
 
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