TwinYawgmoth
Champion des Hains, Storywriter of the Years
- Registriert
- 14 März 2006
- Beiträge
- 8.841
- Punkte Reaktionen
- 0
Kapitel 27 – Fassadenbruch
"Emund ist was?"
"Wer ist Emund?", fragt Lixt verwirrt. Mein Blick schießt zwischen ihr und dem Überbringer der fürchterlichen Nachricht hin und her, und mir ist, als hätte ich Kopfschmerzen.
"Lixt, es tut mir Leid, aber...ich muss herausfinden, was los ist. Schnell." Ich nehme ihre Hände. "Wir finden eine Gelegenheit, weiter zu reden. Bitte, ich sage dir später gerne, was passiert ist, sobald ich es selber weiß. Kommst du alleine zurück in euer Haus?"
Sie nickt hastig. "Ich...sollte mich sowieso wirklich hinlegen. Hilf Rathma, dass alles in Ordnung kommt."
Ich scheuche den Barbaren. "Na dann, was ist los?"
"Komm einfach mit."
Auf dem Weg zum Spital redet er nicht mit mir, sondern läuft nur grimmig voran. Er weist mich hinein, bleibt selbst zurück. Drinnen stehen Anya und Malah neben dem Bett, in dem Emund liegt. Er sieht aus, als würde er schlafen. Aber auf der weißen Decke ist ein Blutfleck, kaum erkennbar; und wo sie gelegen ist, über seinem Herz, hat er eine Wunde. Vielleicht einen halben Zentimeter im Durchmesser. Aber viel zu tief.
Anya schluchzt erbarmungswürdig.
"Was ist passiert?", frage ich mit eisernen Griff um meine Stimme.
"Ich weiß es nicht", knurrt Malah. "Was ich weiß, ist dass jemand einen meiner Patienten ermordet hat. In meiner Obhut! Irgendwie wurde er erstochen, mit einer Waffe, die ihn komplett durchstoßen hat, ohne dass er Gelegenheit hatte, zu rufen; es kann nicht länger als zwei Stunden her sein. So lange hat es gebraucht, bis das Blut durch den Bezug gedrungen ist und ich bemerkte, dass er nicht nur schläft."
Da sehe ich, dass Emund durchaus stark geblutet hat, aber der Mörder hatte den Kissenbezug so über die Wunde gepresst, dass es eine Weile dauerte, bis der Tod offensichtlich wurde.
Ich trete näher. Lege meine Hand auf die Stirn des Ermordeten.
"Ich kannte ihn nur ein paar Tage. Aber er war schon jetzt ein guter Freund."
"Ich weiß. Darum habe ich dich holen lassen", erklärt Malah wie ein Giftdolch. "Du hast nicht nur, weil er euer Helfer war, ein Recht zu erfahren, dass Emund tot ist. Und du verstehst, wie sehr wir den Schuldigen finden und bestrafen wollen."
Meine Fäuste ballen sich als die Flamme um meinen Kopf Weißglut erreicht, sodass Anya sich wegducken muss.
"Das verstehe ich sehr gut."
Der stolze Krieger, im Schlaf gemeuchelt...
Ja, ganz unehrenhaft. Aber das kann ihm egal sein, er ist tot. Was viel wichtiger ist: wer war es?
Und warum?
Na, um uns zu schwächen, natürlich. Emund hat seinen Wert als Helfer gezeigt, das müssen die Dämonen erkannt haben. Vielleicht war es ja Belial? Er scheint zu wissen, was wir tun. Sicher kann er einen Meuchelmörder schicken. Eventuell ist es gleichzeitig auch sein Spion, der ihn auf dem Laufenden hält, was unser Handeln angeht?
Diese Art von Analyse ist mir gerade scheißegal!
Ich weiß, deswegen bist du gerade nutzlos. Reiß dich zusammen. Wir sollten hier beide überlegen, dann kommen wir besser voran. Oder steh mir wenigstens nicht im Weg; ich muss etwas nachsehen.
Der Zorn in mir offenbart langsam seine Hilflosigkeit; diesem Gefühl gebe ich nach, als ich den Zweiten übernehmen lasse. Sofort fährt er die Flamme auf Normalmaß zurück und tritt näher an das Bett. Legt einen Klauenfinger sanft auf die Brust Emunds – und schneidet tief ein.
He!
Was? Er spürt das sicher nicht mehr.
Malah wirkt so geschockt wie ich. "Ich muss herausfinden, ob sich mein Verdacht über die Wunde bestätigt", erklärt der Zweite, bevor sie mündlich protestieren kann. Der Zweite zieht die Klaue zurück, umgibt die stumpfe Fingerkuppe mit Feuer, lässt den Finger sanft in das tödliche Loch gleiten. Mit leichtem Ausdehnen unserer Flammenhaut tastet er alle Seiten der Wunde gleichzeitig ab.
Er nickt. "Ich dachte erst an einen Speer mit extrem schlanker Spitze, selbst dann ist ein kreisrunder Einstich unwahrscheinlich, aber eventuell möglich. Jedoch gibt es keine Anzeichen, dass diese Speerspitze auch wieder zurückgezogen wurde – keine sekundären Einschnitte. Es hätte ein angespitzter Holzstab sein können, ganz ohne Widerhaken; aber dafür ist die Wunde zu glatt. Kein Holz ist jemals scharf genug. Mal ganz abgesehen davon, was für einen Lärm es gemacht hätte, wenn eine nicht perfekt geschliffene Waffe durch einen menschlichen Körper dringt. Die einzige Erklärung...besonders, wenn man bedenkt, was sich sicher gleich bestätigt..."
Er hebt Emunds Leiche vom Bett, und legt ein Loch in der Abdeckung der Strohmatratze frei.
"...richtig. Perfekt gleicher Durchmesser, das Projektil ist glatt durchgedrungen. Die Erklärung ist, wie gerade angedeutet, Magie."
Anya keucht. "Aber...niemand hier kann zaubern!"
"Dummes Kind!", schnappt Malah. "Denkst du, ein Barbar hätte so ein Verbrechen begangen?"
"Ihr beide könnt zaubern", bemerkt der Zweite. "Es ist nicht unmöglich."
"Niemals", winkt Malah ab.
"Dass es keine Verräter in ihren Reihen gibt, haben schon viele Menschen gedacht. Aber die Macht der Dämonen ist nicht zuletzt, die Herzen der Sterblichen zu verderben", flüstere ich.
"Es war keine besonders gute Idee, die Wache als Boten zu verwenden", kritisiert der Zweite. "Wenn wir die Nachricht geheim gehalten hätten, wäre es deutlich einfacher gewesen, den Schuldigen zu finden."
"Lass es mal unsere Sache sein, wie wir das hier...aufklären, Dorelem", gibt Malah eiskalt zurück. "Ich werde Nihlathak bitten, gleich bei Tagesanbruch eine Versammlung zu berufen. Du und dein Meister sind selbstverständlich dabei. In einer Stunde geht die Sonne auf; du kannst ihm die Nachricht ja schon mal überbringen."
"Ja. Das sollte ich wohl tun."
Ich donnere eine Faust gegen die Wand, welche überraschend tief nachgibt.
"Tut mir Leid", murmle ich. Malah scheucht mich nur wortlos davon.
Zur Hölle! Warum musste das passieren?
Und vor allem...wie werde ich den Meister finden, schlafend...natürlich in der verfluchten Rüstung?
Was meinst du damit?
Stell dich nicht so blöd wie du es gerade getan hast. Emund wurde mit einem Knochenspeer ermordet. Wir haben genug Wunden dieser Art an Dämonen gesehen.
Na schau mal einer an, du bist ja doch nicht völlig nutzlos.
So gerne ich es wäre. Aber warum...warum sollte der Meister ihn umbringen? Kann das überhaupt...nein, das wird er doch nicht getan haben?
Nun, wer weiß – wir können ihn ja einfach fragen, vielleicht antwortet er sogar? Aber prinzipiell ist das natürlich seine Sache. Auf jeden Fall ist es sicherer für das Set, wenn Emund nicht mehr dabei ist. Ich sage dir, er wollte es stehlen. Vielleicht hat der Meister ihn darum umgebracht.
Du...verdammter Bastard!
Ich bitte dich, das gibt nur Sinn. Jetzt, wo wir unsere Bestform erreicht haben, brauchen wir auch Emund nicht mehr. Hatte noch gar keine Gelegenheit, dir ein paar Tricks zu zeigen; wusstest du, dass...
Halt dein dreckiges Maul.
Wenn schon ein Gefühlsextrem nach dem anderen, dann richtig. Ich gehe sofort zu unserem Domizil.
Der Meister schläft natürlich in voller Montur. Aber wenigstens schläft er. Für eine Weile beobachte ich ihn dabei; er liegt da wie eine Leiche, ruhig auf dem Rücken.
Na los.
Er scheint wirklich nicht nur so zu tun...
Etwas zu unsanft rüttle ich ihn an der Schulter. Sofort schießt er nach oben, und eine Knochenrüstung formt sich um ihn.
"Ruhig, General. Ich bin es nur."
"Sonst hätten die Skelettwachen auch schwer versagt."
Warum dann die Rüstung? Ach, was wundere ich mich...
Du passt auch auf, ja?
Wir haben ein perfektes Gedächtnis. Wenn dir etwas nicht sofort anfällt, dann spiel die Szene doch einfach noch dreimal in deiner Erinnerung nach?
…
"Warst du die ganze Nacht hier?", frage ich vorsichtig.
"Das ist eine seltsame Art, mir guten Morgen zu wünschen. Ist es denn überhaupt schon..."
Er hält inne. Sein Blick schießt plötzlich zur Seite, an mir vorbei.
"...was habt ihr angestellt?"
Spinnt er komplett?
"Wir haben überhaupt nichts angestellt. Die Frage ist, ob du etwas angestellt hast."
Sein Blick schießt wieder zu mir. "Jetzt stell du dich nicht an und sag mir gefälligst, was los ist!"
Das ist leider ein Befehl.
"Emund ist tot."
Seine Mundwinkel wandern leicht nach unten...in...dezenter Verstimmung? "Das ist nicht die Nachricht, die ich erwartet habe."
Mein Unterkiefer fällt herab. "Du...was?"
Wieder schweift sein Blick in die gleiche mysteriöse Ferne.
"Aber weißt du was, vielleicht...also, was ist mit Emund?"
"Er wurde ermordet. Mit einem Knochenspeer."
Der General schlägt sich klirrend mit der Faust in die Handfläche. "Ja! Großer Fehler, großer Fehler...jetzt ist es bald so weit."
Ich breite in völligem Unglauben meine Arme aus. "General, wovon redest du? Emund ist tot!"
"Ja, das ist natürlich tragisch", murmelt er im Aufstehen. "Aufgrund der Art der Mordwaffe will man mich sicher sprechen?"
Ich bin sprachlos. Der Zweiter übernimmt.
"Es wird bald eine Versammlung geben."
"Dann lass uns gleich losgehen...ich bin sehr gespannt, wer welche Fragen an mich hat..."
Er stürmt an mir vorbei...aber ich stelle ihm ein Bein.
Sofort rollt er sich auf den Rücken und stemmt sich blitzschnell auf die Ellenbogen. Und das in der vollen Rüstung! Die Skelette umringen mich, bevor ich irgendetwas tun kann.
"Bist du des Wahnsinns, Dorelem?", donnert er.
Ich knirsche mit den Metallzähnen. "Unser Freund ist tot, General! Ist dir das nicht mehr wert als ein Nebensatz?"
Er steht ruhig auf und wischt sich demonstrativ die matt schimmernden Arme ab.
"Ich weiß wirklich nicht, was du mehr von mir erwartest."
Der Meister tritt näher während die Skelette zwischen uns zur Seite gleiten. Er packt mich am Kinn, seine Finger durchdringen die Feuerhülle ohne Widerstand, und es tut weh.
"Du wirst so etwas nie wieder tun", flüstert er Zentimeter vor meinem Gesicht.
Ich versteife mich. "Nach deinem Befehl habe ich wohl keine Wahl, oder?", zische ich zurück.
Um Baals Willen, du Irrer! Lass den Mist!
Der Meister schubst mich zurück, ich stolpere und lande meinerseits auf dem Rücken. Er dreht sich auf dem Absatz um.
"Bleib dir nur dessen bewusst, Dorelem."
Himmel, ist es schlimm um ihn!
Du hast verdammtes Glück, dass es noch lange nicht so schlimm ist, wie es sein könnte.
Auf dem Weg zur Halle der Ältesten schließen sich uns schweigend Krieger, die sich offenbar selbst nicht ganz entscheiden können, ob sie mehr Eskorte oder mehr Bewacher sind. Der Meister ignoriert sie natürlich vollkommen und schreitet mit großen Schritten unter dem langsam hell werdendem Himmel voran. Ab und an wirft er einen verstohlenen Blick auf diese eine Stelle in der Ferne...befindet sie sich etwa in der Stadt?
Oh. Oh! Haha, ja...das erklärt natürlich Einiges.
…
Nein, natürlich sagst du es mir nicht. Ich...ich habe langsam keine Lust mehr.
Armes Kind. Dann lass doch die Erwachsenen die Verantwortung übernehmen?
Ich bin nicht gewillt, die Hoffnung aufzugeben, indem ich die Zügel jetzt aus der Hand fallen lasse.
Als ob du auch nur ein wenig Kontrolle hättest über was seit Monaten passiert. Süß.
In der Halle erwartet uns Deckard Cain schon. Ich würde mich wundern, dass er offenbar vor den Meisten hier Bescheid weiß; aber dann kennte ich ihn schlecht.
Der Horadrin-Weise zieht den Meister zur Seite und flüstert unter den misstrauischen Blicken der immer mehr werdenden Barbaren auf den Rängen mit ihm.
"Dorelem hat Euch gesagt, worum es geht?"
"Emund ist tot und ich bin aufgrund der Mordwaffe im Verdacht."
"Exakt. Ich hatte leider keine Gelegenheit herauszufinden, wie viele der Anwesenden Eurem Wort glauben würden, wenn es darauf ankommt. Malah sollte auf Eurer Seite sein, aber ich weiß nicht, wie es um Nihlathak steht."
"Nihlathak wird mich unterstützen", erklärt der Meister. "Außer, er ist überzeugt davon, dass ich Emund umgebracht habe."
"...ich frage das ungern...", beginnt Deckard, aber der Meister lacht nur und klopft ihm kumpelhaft auf die Schulter. "Keine Sorge, Deckard. Ich hatte keinen Grund, ihn um die Ecke zu bringen. Wollen wir uns trennen, bevor man denkt, wir hecken hier irgendwelche Verschwörungen aus? Das hier ist keine Gerichtsverhandlung, oder?"
"Es könnte eine werden", brummt Deckard dunkel. Ich kann nur hilflos mit den Schultern zucken. Mit schwerem Kopfschütteln sieht Deckard zu, wie der Meister davonzieht, um sich auf einem aus Skeletten geformten Stuhl noch vor der ersten Reihe niederzulassen. Die hinter ihm Sitzenden rücken weg.
Wie einfach sich die furchtlosen Barbaren einschüchtern lassen.
Ich glaube, sie sind mehr irritiert davon, wie unglaublich unhöflich er ist.
Bald sind die Reihen gefüllt. Malah und Nihlathak stehen im Mittelpunkt des runden Gebäudes; Anya sitzt auf den Rängen neben Larzuk. Sie hat leicht gerötete Augen, aber ansonsten blickt sie so hart und finster drein wie ihr Nachbar.
Malah klatscht in die Hände. "Darf ich eröffnen? Danke. Wie ihr alle wisst, isst der Grund für unsere Versammlung der Verlust eines unserer Krieger. Ich wünschte, Emunds Tod alleine wäre ungewöhnlich, aber leider sind es nur die Umstände. Er wurde durch Magie ermordet, zu meiner Schande in meiner Obhut. Irgendwo unter uns befindet sich ein Meuchelmörder, und es liegt an uns allen, den Schuldigen zu finden."
"Wir haben ihn doch schon!", ruft einer der Barbaren...es ist Hoku. Sein Arm deutet anklagend auf den Meister. "Wer sonst kann hier zaubern?"
Der Meister grinst herablassend und sagt nichts. Das bringt ihm nicht wirklich Sympathiepunkte ein. Aber Qua-Kehk, überraschenderweise, scheucht Hoku zur Ruhe. "Ein wenig vorschnell, meinst du nicht? General, was hast du dazu zu sagen?"
Jetzt regt sich der Meister. "Natürlich habe ich Emund nicht umgebracht, der Vorwurf ist völlig lächerlich. Ich hatte Stunden über Stunden Gelegenheit, ihn auf dem Berg zu ermorden und es den unzähligen Dämonen dort in die Schuhe zu schieben."
Hoku weiß darauf nichts vorzubringen außer die Anzahl der Dolche in seinem Blick zu erhöhen.
"Wobei der Verdacht natürlich grundsätzlich nicht unberechtigt ist."
Auf diesen Satz reagiert der Meister das erste Mal mit einer anderen Emotion als amüsierter Herablassung. Er ist so überrascht wie ich, denn er kam von – Nihlathak. Was zur Hölle?
"Ein wichtiges Detail sollte nämlich nicht unerwähnt bleiben", fährt der Älteste fort. "Emund ist an einem Projektil gestorben, das ihn in völliger Stille durchbohrt hat. Keine Feuermagie, keine Eismagie, keine Blitze. Ich weiß, dass Dorelem die Leiche untersucht hat. Kannst du uns etwas dazu sagen?"
Aller Augen richten sich auf mich. Ich erstarre. Dass von allen Menschen hier Nihlathak uns in den Rücken fällt, hätte ich nicht erwartet. Was soll ich denn jetzt antworten?
Du sagst gar nichts. "Euere Informationen sind korrekt, Ältester", erklärt der Zweite.
"Dann möchte ich jemanden um einen Kommentar bitten, den man zu Recht als absolute Koryphäe auf dem Gebiet der Magie bezeichnen darf. Deckard Cain – ist euch eine Magieform bekannt, die absolute keine Spuren hinterlässt außer einer glatten Wunde mit geringem und komplett regelmäßigem Durchmesser?"
Deckards Miene verdunkelt sich mit jedem Wort, dann seufzt er. "Ich glaube, Ihr erwartet eine bestimmte Antwort, die Ihr schon kennt, Ältester. Diese kann und muss ich bestätigen: es könnte sich sehr wohl um Knochenmagie gehandelt haben."
Der Saal explodiert. Manche Barbaren wollen sich auf den Meister stürzen, aber die Skelette sind sofort zur Stelle, um sie aufzuhalten; ohne Waffen sind auch die stärksten Menschen völlig hilflos gegen die absurd durch Magie aufgepumpten Krieger des Meisters.
"Beruhigt euch! Ist das hier eine Versammlung oder eine Kneipenschlägerei?", brüllt Malah. Die Barbaren halten in ihren Anstrengungen, die Skelette zur Seite zu zwingen, inne, gehen aber nicht auf ihre Plätze zurück.
"Könnte es denn auch eine andere Form von Magie gewesen sein?", ruft Anya Deckard zu. Dieser hebt etwas hilflos die Hände. "Möglich ist Vieles..."
"Aber wahrscheinlich? Wer weiß", meldet sich plötzlich der Meister. "Dorelem, war es ein Knochenspeer?"
Ich runzle die Stirn. Was hat er denn jetzt wieder vor? Erwartet er, dass ich lüge?
...die Frage kann ich dir jetzt auch nicht beantworten. Aber Nihlathak weiß offenbar genau, was hier los ist. Zu genau vielleicht?
Meinst du etwa, er...?
Zumindest verhält er sich uns gegenüber überraschend anders.
Einer seiner Vertrauten ist tot, das ist doch wohl verständlich!
Wenn du meinst. Jetzt antworte endlich, mit der Wahrheit. Sonst zerreißt uns Nihlathak in der Luft.
"Mit ziemlicher Sicherheit."
Der Meister nickt. "Es gibt doch keinen Grund, hier um den heißen Brei zu reden." Sein Blick durchbohrt Nihlathak.
"Ist das ein Schuldgeständnis?", donnert Qua-Kehk.
Der Meister winkt ab. "Natürlich nicht. Nebenbei, könnte ich ein Blatt Papier haben?"
Wieder ist die Menge kurz davor, in Chaos auszubrechen.
"Wollt Ihr uns zum Narren halten, General?"
Nihlathaks sanfter Satz verhindert dies zeitweilig. Derweil zieht Anya von irgendwoher einen Zettel und winkt mich zu ihr. Ich überbringe ihn, während der General erneut abwinkt. "Ich stelle nur sicher, dass die Fakten auf dem Tisch liegen. Dorelem, Stift."
Wie soll ich...
So.
Der Zweite formt ein Stück Ton zu einem schlanken Zylinder, spitzt ihn an und verbrennt die Spitze. Damit schreibt der Meister heimlich ein paar Worte. Deckard meldet sich derweil zu Wort.
"Es gibt einige Dämonen, die Totenbeschwörerzauber nutzen können. Es ist wohl im Bereich des Möglichen, dass ein solcher hier eingedrungen ist und Emund ermordet hat."
"Ja, aber dass er der Mörder ist, ist viel wahrscheinlicher!", ruft jetzt wieder Hoku. Qua-Kehk scheint unschlüssig. Anya schlägt mit den Fäusten auf das Holz vor ihr. "Ich glaube das einfach nicht! Warum sollte er Emund umbringen?"
"Das ist in der Tat eine Frage, die wir lösen müssen. Denkt ihr, das ist so einfach möglich?", gibt Nihlathak zu bedenken.
"Worauf wollt Ihr hinaus, Ältester?", seufzt Malah.
"Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber solange nicht klar ist, dass Ihr unschuldig seid, besteht große Gefahr für uns alle, wenn ihr frei herumläuft, General", erklärt Nihlathak mit Bedauern in der Stimme. "Meines Erachtens müssen wir Euch einsperren, bis wir den wahren Schuldigen gefunden haben, ob Ihr das seid oder nicht, ist erst einmal irrelevant."
Darauf will er also hinaus...
"Das könnten doch nicht einfach so machen!", beschwert sich Anya. "Das gibt keinen Sinn!"
"Warum genau verteidigst du ihn so stark, Kind?", schnappt Malah. Ihre Tochter zuckt zurück, aber lässt nicht locker.
"Ich vertraue ihm! Du weißt, wie viel Gutes Dorelem getan hat – ihr alle wisst das!" Ihre Geste fasst die ganzen Wachen, mit denen ich mich in den letzten Tagen angefreundet habe, zusammen. Viele nicken.
"Ja, aber was hat Dorelem mit dem General zu tun?", fragt Malah.
Danke, Malah. So komisch es klingt, tut mir das sehr gut. Aber...natürlich nicht dem General.
Sie richtet sich an mich. "Dorelem, ich vertraue dir in der Tat, und dass du zumindest keine Schuld haben kannst, wissen wir; du warst die ganze Nacht in Gesellschaft. Aber du kannst selbst nicht sagen, ob dein Meister unschuldig ist, weil du ihn die ganze Nacht eben auch nicht gesehen hast, nicht wahr?"
Ich schieße einen Blick zum Meister, der immer noch schreibt; er sieht kurz hoch, schüttelt mit leichtem Schmollmund den Kopf, und schreibt weiter.
"Nein, ich kann ihm kein Alibi geben", stelle ich fest.
"Dann glaube ich nicht, dass wir eine Wahl haben", fährt Malah fort. "Nihlathak hat Recht. Wir wissen nicht, warum der General Emund hätte ermorden sollen, aber wir können uns nicht sicher sein, dass er es nicht getan hab, und bis dahin ist er eine Gefahr."
Der Meister pfeift mich zu sich und gibt mir das beschriebene Papier. "Für Anya. Nicht lesen und nicht lesen lassen."
Schnell überbringe ich es, während der Raum lauter wird, die Barbaren wieder zusammenrücken, aber mich in Ruhe lassen. Die Skelette werden zurückgedrängt von der schieren Masse ihrer Körper.
Da schießt aus ihrer Mitte ein Feuerball an die Decke und zerplatzt. Sie schrecken zurück.
"Ruhe, jetzt rede ich", erkärt der Meister. Malah keucht. "Was erlaubt Ihr Euch..."
"Alles, weil ich es kann", sagt der Meister im Aufstehen. Er tritt in die Mitte.
"Ich glaube, ihr schätzt die Situation kollektiv ein wenig falsch ein. Ich bin hier, um Baal zu töten, was euch nebenbei extrem zugute kommen wird. Das werde ich auch tun, darum werde ich in spätestens zehn Minuten weiter den Berg hochstapfen, und es ist mir völlig egal, ob ihr etwas dagegen habt. Irgendjemand hier will mich offenbar aufhalten, indem er meinen Helfer tötet und es so aussehen lässt, als wäre ich es gewesen, aber das wird nicht funktionieren, weil ich mich nicht aufhalten lasse. Oder glaubt ihr im Ernst, dass ihr das könntet?"
Hoku lässt die Knöchel krachen. "Ist das eine Herausforderung?", knurrt er.
"Es ist eine Drohung", stellt der Meister sachlich fest. "Ich sage es ganz deutlich: Ich habe Emund nicht umgebracht, weil es, absolut richtig, keinen Grund dazu gab. Aber wenn sich mir einer in den Weg stellt, aus Böswilligkeit oder auch nur aus Dummheit, werde ich ihn töten. Und ihr könntet immer noch nichts dagegen tun."
Er breitet die Arme aus. "Seht es ein – ihr braucht mich. Baal ist kurz davor, den Weltstein zu erreichen, und wenn er das tut, habt ihr mit euerem Wachauftrag noch mehr versagt als ihr es ohnehin schon getan habt. Euere einzige Hoffnung ist, dass ich vor ihm da oben bin und ihm das Herz herausreiße. Was ich tun werde."
Ich starre ihn so ungläubig an wie der Rest der Versammlung. Aber das beachtet der Meister gar nicht – er dreht sich um und die Skelette folgen ihm in perfekter Formation.
"Malah, das kannst du doch nicht...", flüstert Nihlathak, aber sie schneidet ihn ab.
"Und was ist mit dir, Ältester?", zischt sie. "General, warte!", ruft sie.
Er hält inne, dreht sich aber nicht um. Sie fährt mit Stahl in der Stimme fort.
"Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber das ist mir auch egal. Du hast Recht damit, dass wir dir viel verdanken und wenn du weiterhin Erfolg hast noch mehr verdanken werden. Du hast allerdings kein Recht, dich deswegen so aufzuführen. Ob nun aus gekränktem Stolz oder warum auch immer."
Der Meister sieht über die Schulter zurück. "Und?"
Malah verschränkt die Arme. "Nichts und. Es wäre närrisch und unwürdig, wegen deines Verhaltens jetzt unsererseits in kindische Drohungen zu verfallen. Geh deines Weges, während wir herausfinden, wer Emund ermordet hat. Aber eines sage ich dir: du kannst unser Gast bleiben, aber Gastfreundschaft kannst du erst wieder erwarten, wenn du dich entschuldigst. Und falls wir herausfinden sollten, dass du doch für Emunds Tod verantwortlich bist, wirst du schon sehen, wie weit dich deine Drohungen bringen."
"Zur Kenntnis genommen", eist der Meister und verlässt den Raum.
Ich bleibe allein zurück.
"Es...tut mir wirklich, wirklich Leid...", versuche ich es gegenüber Malah, aber sie wendet sich nur ab.
Deckard tritt auf mich zu. "Du hattest versucht, mich zu warnen, aber ich habe glaube ich nicht begriffen, wie schlimm es um ihn stand, Dorelem. Ich kann nur als Ansatz einer Entschuldigung versuchen, die Wogen etwas zu glätten. Jetzt aber ist es glaube ich besser, wenn du gehst."
Ich presse die Handfläche gegen die Stirn wegen eines latenten eingebildeten Kopfschmerzes. "Wenn ich einfach gehen könnte, würde ich mich auch freuen."
Mit schnellen Schritten laufe ich zu Anya, die mit schwerem Stirnrunzeln den Brief des Meisters liest. Als sie mich sieht, steckt sie ihn hastig weg.
"Anya, bitte – nach dieser Vorstellung würde ich ihm auch nicht helfen wollen, aber wir sind jetzt ohne Führer und ich habe keine Lust, dass die Welt wegen der Arroganz des Generals untergeht weil wir uns heillos verlaufen und erfrieren. Wie ist der weitere Weg zur Spitze?"
Sie seufzt. "Ihr solltet problemlos über die Hochebene zum Bergmassiv kommen, an dessen Rand sollte ein Wegpunkt sein. Von dort aus müsst ihr eine Höhle finden, die tief in den Berg und langsam nach oben führt, zu einem weiteren Hochplateau. Dies ist das letzte vor dem höchsten Teil des Gebirges, dessen Steilwände ihr wieder durch eine Höhe umgehen könnt – sie ist der Weg der Urahnen, der zum Gipfel führt."
Ich imitiere ein Schlucken. "Das klingt aber nicht gerade nach einer Kurzstrecke."
Sie sieht mir über die Schulter; Malah nähert sich mit Feuer im Blick. Schnell beugt sich Anya zu mir. "Aber es gibt noch einen anderen Weg..."
Etwas reißt an mir und ich stehe im Schneefeld. Die Armee ist durch das Portal getreten und es hat mich unsanft mitbefördert.
Gerade will ich mich über einige Dinge beschweren, da bemerke ich, wer um uns steht.
Die Dämonen müssen das Portal gefunden haben und beschlossen, es nicht als Weg in die Stadt zu nutzen. Zu Recht, da die Wachen sie einzeln ohne Probleme gemeuchelt hätten und es dann schnell geschlossen worden wäre.
Stattdessen hat sich eine halbe Armee um die Stelle, wo gerade noch das Portal war, positioniert. Wir sind umringt von Sklavensoldaten, Tentakeldämonen, Peitschenaufsehern, unzähligen Kobolden und sogar Skelettmagier haben die Gegner aufgefahren.
Der Meister zieht sofort eine Knochenwand um sich herum hoch. "Zeig, was du kannst, Dorelem. Gib mir ein paar Leichen!"
Zu schade, dass du heute Nacht andere Beschäftigungen dem Üben vorgezogen hast. Gut nur, dass zumindest einer von uns Erfahrung mit diesem Körper hat, hm? Also, dann zeige ich dir mal auch, was wir können.
Ungefragt übernimmt der Zweite die Kontrolle, ballt die Fäuste und Flammen eruptieren um sie, was die Klauen tiefrot glühen lässt.
Die Peitschen knallen, und die Sklaven rennen. Ich habe einige von ihnen nur für mich; der Meister vertraut darauf, dass die Skelette die anderen Fronten halten, ich bin für mich. Er sieht mir mit erwartungsvollem Grinsen zu.
Der Zweite schreitet ruhig voran. Bald hat uns ein Sklave erreicht, er hebt seinen Knüppel...
So schnell schießt unser Arm vor dass das Feuer um die Hand einen Schweif zurücklässt. Der Zweite spießt den Dämon glatt auf, und mit solcher Gewalt, dass unsere Klauen hinten aus der harten Schale dringen.
Die Sklaven schlittern zu einem unsanften Halt. Verächtlich schleudert der Zweite die Leiche ihres Kollege davon, in eine Gruppe von Tentakeldämonen, die der Meister sprengt. Wir sind jetzt umgeben von drei vorsichtigen Dämonen; der Zweite zögert keine Sekunde, springt plötzlich nach vorne und landet Klauen voran auf einem von ihnen, dessen Kopf noch nicht zu Boden gefallen ist als der nächste schon von Flammen umgeben ist, die aus unserem ausgestrecktem Arm züngeln. Mit einer Wucht, die uns zur Seite drückt, was der Zweite wollte; er nutzt den Schwung, fliegt dadurch geradezu auf den letzten zu und packt ihn am Kinn. Der Ton um unseren Arm wird weich, dann vorne spitz und schießt von unserem Handgelenk nach vorne. Von Gaumen bis Augenhöhle durchbohrt haucht unser Opfer sein Leben aus und wird sofort zur nächsten Granate für die Kadaverexplosion.
Kobolde teleportieren sich an uns vorbei, um den Meister direkt anzugreifen. Der Zweite kniet nieder, heizt den Boden auf und streckt einen Arm nach hinten. Ohne sich umzusehen – unnötig, da wir ja nicht an die Sicht aus unseren ohnehin fehlenden Augen gebunden sind – zieht er mit jeder Kralle auf einen der für ihren Feuerblitzzauber kurz innehaltenden Kobolde. Ton fließt um die Klauen, formt wieder eine Spitze, zieht sich zusammen und ähnlich als würde er Brotkrümel wegschnipsen, katapultiert der Zweite kleine steinharte Dolche zielgenau weg.
Ein Peitschenhieb trifft uns an der Schulter, dann ein zweiter aus anderer Quelle. Diese Peitsche schlingt sich um unseren Arm, dann schlägt der erste erneut zu, was Funken und Tontropfen stieben lässt.
Der Zweite zieht unsere Feuerbrauen irritiert zusammen, öffnet die freie Hand und lässt einen Tonklumpen darin wachsen, für den er das Material aus dem Boden zieht. Der Klumpen wird hohl – er füllt ihn mit Feuer! Bevor ein dritter Schlag landet, fliegt die Bombe und trifft den Peitscher im Gesicht. Er kreischt, als Flammen ihn umhüllen.
Jetzt weißt du, warum ich so gut werfen kann.
Hastig versucht der zweite Peitscher, seine Waffe von uns zu lösen, aber der Zweite hat sie mit Ton umgeben und geht auf ihn zu, mit jedem Schritt lässt er das Feuer um uns höher brennen; dass es immer noch extrem kalt ist, scheint ihn dabei nicht wirklich zu beeinträchtigen.
Natürlich nicht. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir nur eine Feuerhülle für rein offensive Zwecke haben oder unser ganzer Körper aus dem Feuer besteht, das einen Großteil seiner magischen Energie verwenden muss, nur um uns am Laufen zu halten.
Der Dämon kreischt um Hilfe, aber ohne seine Peitsche kann er keinen seiner Sklaven dazu bringen, uns anzugreifen. Der Zweite erreicht ihn, endlich lässt er die Peitsche fallen, aber kann seinen aufgedunsenen Leib nicht in Sicherheit bringen. Er schafft es noch, sich umzudrehen, da schlingt ihm der Zweite den Lederriemen um den Hals und zieht zu, bis der Dämon das Zucken aufhört.
Der andere ist immer noch damit beschäftigt, mit den Folgen einer Explosion in seinem Gesicht umzugehen. Fast sanft legt ihm der Zweite die Hand auf den Bauch. Das Kreischen des Dämon wird lauter und höher, als Rauch von der Berührung aufsteigt, und ich fühle, wie die grotesk gespannte Haut Blasen schlägt. Dann schiebt der Zweite seinen Arm tief in die Eingeweide des Dämons, zündet eine Stichflamme und wir stehen in eine Wolke aus Ekel, als unser Opfer detoniert.
Nichts davon bleibt an uns hängen, als wir wieder etwas sehen; schon vorher hat sich der Zweite weiterbewegt. Die Sklaven beginnen zu fliehen, aber der Zweite hat keine Bedenken, ihnen in den Rücken zu stechen. Einer nach dem anderen fällt, aber wir verfolgen sie nicht zu lange. Gerade, als wir uns umdrehen, läuft uns ein Selbstmordsklave fast in die Arme.
Oh, das ist natürlich eine Möglichkeit, sie doch zum Angreifen...
Die Explosion ist für uns deutlich schlimmer als die von uns selbst verursachte, und ich erwarte die Umarmung der Schwärze.
Aber wir fallen nicht einmal. Unser Feuer ist einfach ausgeblasen worden von der Druckwelle, ein Teil des Tons verbrannt und der Rest hängt leicht zerfetzt von unserem Skelett, aber...wir brauchen nicht mehr als das. Schon stürmen weitere Attentäter heran, aber der Zweite hat sein Gleichgewicht schon wieder gefunden, gräbt in Ermangelung von Material an uns kurzerhand mit beherztem Klauenstechen nach unten einen Stein aus dem Boden und wirft ihn auf die Angreifer, was eine der lebenden Bomben zur Explosion bringt. Ihre Mitläufer stürzen, versuchen sich irgendwie wieder aufzurappeln, was aufgrund der gewaltigen Blase an explosiven Substanzen, die aus ihrem Rücken gewachsen ist, nicht so einfach ist, aber derweil ballt der Zweite ohne hin die Fäuste, lässt Ton vom Boden hochfließen, und mit gewisser Anstrengung entzündet er unser Feuer selbst wieder. Er reißt beide Arme nach vorne, deutet mit den Fäusten auf die gestürzten Gegner, und tränkt sie in einen kontinuierlichen Feuerschwall.
Und so geht es weiter. Die Dämonen haben uns nichts entgegen zu setzen; sie sind offensichtlich als Kanonenfutter gedacht, und wir sind die Kanone. Der Meister ist vollkommen sicher hinter seiner Wand aus Skeletten, Knochen und der Rüstung; gelegentlich unterstützt er eine Front durch einen Fluch, wenn doch einmal ein Skelett stirbt. Wir hingegen benötigen keine Unterstützung. Der Zweite vernichtet effizient Gegner um Gegner, steckt einige Schläge ein, aber unser magieverstärktes Metallskelett ist quasi unzerstörbar für die Offensive der anderen. Einzig Knüppel der Sklaven könnten uns verbiegen, aber dazu lässt es der Zweite nicht im Ansatz kommen. Da reißt er wieder einem den Arm aus und rammt dem kreischenden Dämon das Ende mit gesplitterten Knochen ins Gesicht. Und da zeigt sich ein weiterer Grund für unsere Unverwundbarkeit: wo ich schon zusammenzucke ob dieser Grausamkeit, fliehen die Kollegen des Gemeuchelten in heller Panik. Natürlich kommen sie nicht weit.
Dennoch wundert mich etwas.
Erleuchte mich.
Das ist es doch gerade – du kannst in aller Ruhe mit mir reden, während du metzelst. Sogar deine übertriebenen Mordmethoden sind kalkuliert, um einzuschüchtern.
Das sind sie immer.
Unfug. Du hattest Spaß bei der Sache. Nicht, dass ich das zurücksehne, aber was ist los mit dir?
Spaß? Den kann der Meister haben. Für mich ist das nicht relevant. Ich muss nur funktionieren.
Das widerspricht deinem früheren Verhalten aber direkt.
Oder ich wollte dich einschüchtern, damit du keine blöden Diskussionen mit mir anfängst.
Tja, aber für Einschüchterung ist es jetzt ein wenig zu spät, nicht wahr? Erzähl mir keine Scheiße, ich möchte dich nur noch einmal daran erinnern dass ich deine Gefühle spüren kann.
Dann fühl mein Ignorieren deiner.
Aber stattdessen...fühle ich...Unsicherheit? Bin ich das, oder ist er es? Ich glaube, ich bin immer näher dran, zum Zweiten durchzudringen – ihn doch irgendwann zu verstehen und ihn dazu zu bringen, im Gegenzug mich zu verstehen. So lange wohnen wir schon im gleichen Körper, aber so viele Geheimnisse hat er immer noch vor mir, so wenig vertraut er mir...obwohl er doch genauso wie ich spüren müsste, wenn ich ihn anlüge, wenn ich ihm etwas verheimliche. Wie diese Gedanken, die ich gerade habe. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich darin so gut bin. Liest er alles, was ich denke?
Endlich ist das Töten vorbei, der Meister jagt einen Knochenspeer in den letzten Kobold, der versucht, sich wegzuteleportieren. Seine Schutzmauer hat er schon vor einer Weile abgebaut, als offensichtlich keine Gefahr mehr bestand. Er tritt vor mich. "Zweiter, nehme ich an?"
Der Zweite nickt.
"Ich bin zufrieden. Weiter so", erklärt der Meister und sammelt die Armee hinter sich; ohne noch ein Wort mit uns zu wechseln, geht er weiter.
Für den Hinterhalt am Portal haben die Dämonen offenbar ihre Kräfte verausgabt; wir werden beim Stapfen durch den frisch gefallenen Schnee für eine lange Zeit nicht belästigt. Eine leise Zeit. Der Meister ist schon seit Längerem nicht mehr an den ungezwungenen Konversationen interessiert, die ich immer so genossen habe; leichte Spitzen zwischen Freunden, das gegenseitige Ermutigen im Angesicht unserer völlig wahnsinnigen Mission...je mehr es scheint, dass das ganze Unterfangen doch nicht so wahnsinnig war, wie wir ursprünglich dachten, desto weniger können wir darüber reden. War unsere Freundschaft doch von Anfang an nur an den Zwang zum Erfolg gekoppelt? Mussten wir doch immer nur funktionieren? Deckard zumindest hat es nie wirklich anders gesehen, wenn ich es recht bedenke. Ich war ihm sicher ein besserer Freund als der Meister es war, aber er hat mich dennoch immer nur als den gesehen, der den Meister auf dem Boden der Tatsachen halten sollte, als die Stimme der Vernunft agieren sollte. Das war meine Aufgabe in unserer Mission.
Ich balle die Fäuste, wobei ich die Klauen ungewohnt zwischen die stilisierten Handknochen falten muss. Wie lange werde ich eigentlich schon von allen benutzt, und wer hat mich eigentlich nicht als Werkzeug gesehen?
Willkommen in meinem Leben.
Ein Klischee, der Ausdruck...der einzige Grund, warum du es nun doch als "Leben" bezeichnest?
Welchen Unterschied macht es noch? Du bist doch sowieso in deinen Terminologien verfangen. Was zählt ist, dass du offenbar endlich begriffen hast, dass du nie so frei warst, wie du dachtest, dass du bist. Eine schöne Illusion, die du dir gebildet hast, um nicht wahnsinnig zu werden. Wie ist es jetzt, wo die Illusion endlich bröckelt? Schmerzhaft, nicht wahr? Ein Schmerz, den du dir schon lange hättest sparen können, wenn du nur von Anfang an auf mich gehört hättest.
Ich bin jetzt freier als ich es nach meine Erschaffung war. Ich weiß von Freiheit, ich weiß, dass es sie gibt.
Und du wirst sie nie haben. Gratuliere. Du hast die süße Hoffnung kosten wollen, jetzt darfst du nur noch bitteren Nektar der traurigen Realität deiner verfluchten Existenz schlürfen. Hättest du dich nur daran gewöhnt.
Dir schmeckt er also?
Habe ich eine verdammte Wahl?
Ich richte meinen Blick in die weite Ferne, in der vermutlich meine Erlösung liegt. Deine Fassade bröckelt weit schneller als es meine Illusionen tun, mein Freund. Es schmeckt dir überhaupt nicht, und dass du mit deinem Los wenn schon nicht zufrieden, dann doch darin resigniert warst, ist deine Illusion.
Wie schmerzhaft ist das?
Kannst du es dir denken? Wenn ja, für wie richtig hältst du es, weiter nachzubohren?
...ich schätze, ich muss mich entschuldigen.
Spar dir einfach dein Mitleid, es ist doch ohnehin nur ekelhaftes Selbstmitleid. Damit habe ich gleich gar nicht angefangen, du höllenbegrüßter Tagträumer.
Das Bergmassiv in der Ferne kommt näher. Jetzt, wo das Wetter klar ist, kann ich meine übermenschlich gute Sicht voll anwenden – ich glaube, das Hochplateau eine Ebene über dem, auf dem wir uns gerade befinden, erkennen zu können. Anya meinte, über eine Höhle dorthin vorzudringen, es zu überqueren und noch eine Höhle zu finden liegt vor uns...wenn wir nicht einen ominösen anderen Weg finden. Hätte der Meister mich doch nicht so hastig mitgerissen!
Vielleicht ist er ja den Kindern begegnet...
Himmel, ja. Das steht uns auch noch bevor.
Bezweifle ich. Wenn wir tatsächlich noch einmal mit dem Meister zusammen die drei sehen, wirst du kein Wort sagen können, bevor er sie zur Hölle jagt. Also keine Sorge.
Das ist es doch, was mir Sorgen bereitet.
"He, was ist das denn?", zerschneidet plötzlich die Stimme des Meisters die Stille. Er hastet ein paar Meter ab von dem Weg, den wir gewählt haben. Skelette sind schon vorgeeilt und haben etwas freigefegt.
"Na, das nenne ich mal gelegen", grinst er. Es ist ein Wegpunkt! Er stellt sich auf die Steinplatte und beginnt, die Formel zur Aktivierung zu intonieren.
Da bebt die Erde und reißt ihn glatt von den Füßen. Nur mein tieferer Schwerpunkt bewahrt mich vor dem gleichen Schicksal. Pflichtbewusst springt der Zweite vor und hilft ihm flüssig auf. Aber wir erstarren mitten in der Bewegung.
Etwa zweihundert Meter vor uns steht ein gewaltiger Dämon, dessen Größe durch die Distanz nicht im Mindesten gemindert scheint. Das gigantische Biest ist ähnlich reptilienartig und vornübergebeugt wie die Tentakelmonster, hat aber einen klar erkennbaren vorgestreckten Kopf, der wie der Rest des Körpers von glänzenden Stahlplatten umgeben ist. Die Rüstung umgibt baumstammdicke Beine, einen massigen Torso und überlange Arme, die bis zum Boden reichen. Künstliche oder ummantelte Klauen wachsen aus den Pranken, jede so groß wie ich.
"Wo zur Hölle kam der jetzt her?"
Der Zweite deutet nach oben auf die Hochebene über uns. "Er ist gesprungen!"
"Das erklärt das Beben...dann ist das jetzt ja kein Problem mehr."
Aus den Schlitzen, die im Helm für die Nüstern gelassen wurden, zischt dicker weißer Dampf. Ein Bein hebt sich und donnert auf die Erde.
Der Meister fällt mir in die Arme, als wir rückwärts umgefegt werden.
"Soviel dazu", grunzt er. Das Monster setzt sich in Bewegung, behäbig aber mit großen, großen Schritten. Da sehe ich, dass sich um es herum ein Kordon aus Fußsoldaten gebildet hat, mehr Tentakeldämonen, Sklaven und Anpeitscher.
Der Meister lässt eine Knochenrüstung um seine Knöchel wachsen, verlängert sie nach kurzem Nachdenken bis über seine Knie und verankert sich so.
"Wir weichen keinen Meter! Das nächste Beben, das mich umwirft, kommt vom Aufschlag dem seiner Leiche auf dem Boden!"
Der Zweite heizt die Klauen zur Weißglut.
Eine Belagerungsbestie...gegen einen Menschen.
Himmel, warum haben sie die Dinger nicht gegen Harrogath eingesetzt? Die Stadt wäre längst gefallen!
Weil es Baal nie um Harrogath ging...nur um die aus Harrogath kommen. Wir.
Ich verziehe mein Feuergesicht zur Grimasse, die sicher einen interessanten Konstrast zu dem ewigen Grinsen des Schädels darunter bildet.
Nun, dann ist es ja schön, dass wir eine unzerstörbare Mordmaschine sind, nicht wahr? Ich verspreche, mich kein einziges Mal über deine Methoden zu beschweren. Reiß dem Ding den Arsch auf!