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Trang-Ouls Triumph [Ich denke, also bin ich: Teil 5]

Kapitel 27 – Fassadenbruch






"Emund ist was?"
"Wer ist Emund?", fragt Lixt verwirrt. Mein Blick schießt zwischen ihr und dem Überbringer der fürchterlichen Nachricht hin und her, und mir ist, als hätte ich Kopfschmerzen.
"Lixt, es tut mir Leid, aber...ich muss herausfinden, was los ist. Schnell." Ich nehme ihre Hände. "Wir finden eine Gelegenheit, weiter zu reden. Bitte, ich sage dir später gerne, was passiert ist, sobald ich es selber weiß. Kommst du alleine zurück in euer Haus?"
Sie nickt hastig. "Ich...sollte mich sowieso wirklich hinlegen. Hilf Rathma, dass alles in Ordnung kommt."
Ich scheuche den Barbaren. "Na dann, was ist los?"
"Komm einfach mit."
Auf dem Weg zum Spital redet er nicht mit mir, sondern läuft nur grimmig voran. Er weist mich hinein, bleibt selbst zurück. Drinnen stehen Anya und Malah neben dem Bett, in dem Emund liegt. Er sieht aus, als würde er schlafen. Aber auf der weißen Decke ist ein Blutfleck, kaum erkennbar; und wo sie gelegen ist, über seinem Herz, hat er eine Wunde. Vielleicht einen halben Zentimeter im Durchmesser. Aber viel zu tief.
Anya schluchzt erbarmungswürdig.
"Was ist passiert?", frage ich mit eisernen Griff um meine Stimme.
"Ich weiß es nicht", knurrt Malah. "Was ich weiß, ist dass jemand einen meiner Patienten ermordet hat. In meiner Obhut! Irgendwie wurde er erstochen, mit einer Waffe, die ihn komplett durchstoßen hat, ohne dass er Gelegenheit hatte, zu rufen; es kann nicht länger als zwei Stunden her sein. So lange hat es gebraucht, bis das Blut durch den Bezug gedrungen ist und ich bemerkte, dass er nicht nur schläft."
Da sehe ich, dass Emund durchaus stark geblutet hat, aber der Mörder hatte den Kissenbezug so über die Wunde gepresst, dass es eine Weile dauerte, bis der Tod offensichtlich wurde.
Ich trete näher. Lege meine Hand auf die Stirn des Ermordeten.
"Ich kannte ihn nur ein paar Tage. Aber er war schon jetzt ein guter Freund."
"Ich weiß. Darum habe ich dich holen lassen", erklärt Malah wie ein Giftdolch. "Du hast nicht nur, weil er euer Helfer war, ein Recht zu erfahren, dass Emund tot ist. Und du verstehst, wie sehr wir den Schuldigen finden und bestrafen wollen."
Meine Fäuste ballen sich als die Flamme um meinen Kopf Weißglut erreicht, sodass Anya sich wegducken muss.
"Das verstehe ich sehr gut."
Der stolze Krieger, im Schlaf gemeuchelt...
Ja, ganz unehrenhaft. Aber das kann ihm egal sein, er ist tot. Was viel wichtiger ist: wer war es?
Und warum?
Na, um uns zu schwächen, natürlich. Emund hat seinen Wert als Helfer gezeigt, das müssen die Dämonen erkannt haben. Vielleicht war es ja Belial? Er scheint zu wissen, was wir tun. Sicher kann er einen Meuchelmörder schicken. Eventuell ist es gleichzeitig auch sein Spion, der ihn auf dem Laufenden hält, was unser Handeln angeht?
Diese Art von Analyse ist mir gerade scheißegal!
Ich weiß, deswegen bist du gerade nutzlos. Reiß dich zusammen. Wir sollten hier beide überlegen, dann kommen wir besser voran. Oder steh mir wenigstens nicht im Weg; ich muss etwas nachsehen.
Der Zorn in mir offenbart langsam seine Hilflosigkeit; diesem Gefühl gebe ich nach, als ich den Zweiten übernehmen lasse. Sofort fährt er die Flamme auf Normalmaß zurück und tritt näher an das Bett. Legt einen Klauenfinger sanft auf die Brust Emunds – und schneidet tief ein.
He!
Was? Er spürt das sicher nicht mehr.
Malah wirkt so geschockt wie ich. "Ich muss herausfinden, ob sich mein Verdacht über die Wunde bestätigt", erklärt der Zweite, bevor sie mündlich protestieren kann. Der Zweite zieht die Klaue zurück, umgibt die stumpfe Fingerkuppe mit Feuer, lässt den Finger sanft in das tödliche Loch gleiten. Mit leichtem Ausdehnen unserer Flammenhaut tastet er alle Seiten der Wunde gleichzeitig ab.
Er nickt. "Ich dachte erst an einen Speer mit extrem schlanker Spitze, selbst dann ist ein kreisrunder Einstich unwahrscheinlich, aber eventuell möglich. Jedoch gibt es keine Anzeichen, dass diese Speerspitze auch wieder zurückgezogen wurde – keine sekundären Einschnitte. Es hätte ein angespitzter Holzstab sein können, ganz ohne Widerhaken; aber dafür ist die Wunde zu glatt. Kein Holz ist jemals scharf genug. Mal ganz abgesehen davon, was für einen Lärm es gemacht hätte, wenn eine nicht perfekt geschliffene Waffe durch einen menschlichen Körper dringt. Die einzige Erklärung...besonders, wenn man bedenkt, was sich sicher gleich bestätigt..."
Er hebt Emunds Leiche vom Bett, und legt ein Loch in der Abdeckung der Strohmatratze frei.
"...richtig. Perfekt gleicher Durchmesser, das Projektil ist glatt durchgedrungen. Die Erklärung ist, wie gerade angedeutet, Magie."
Anya keucht. "Aber...niemand hier kann zaubern!"
"Dummes Kind!", schnappt Malah. "Denkst du, ein Barbar hätte so ein Verbrechen begangen?"
"Ihr beide könnt zaubern", bemerkt der Zweite. "Es ist nicht unmöglich."
"Niemals", winkt Malah ab.
"Dass es keine Verräter in ihren Reihen gibt, haben schon viele Menschen gedacht. Aber die Macht der Dämonen ist nicht zuletzt, die Herzen der Sterblichen zu verderben", flüstere ich.
"Es war keine besonders gute Idee, die Wache als Boten zu verwenden", kritisiert der Zweite. "Wenn wir die Nachricht geheim gehalten hätten, wäre es deutlich einfacher gewesen, den Schuldigen zu finden."
"Lass es mal unsere Sache sein, wie wir das hier...aufklären, Dorelem", gibt Malah eiskalt zurück. "Ich werde Nihlathak bitten, gleich bei Tagesanbruch eine Versammlung zu berufen. Du und dein Meister sind selbstverständlich dabei. In einer Stunde geht die Sonne auf; du kannst ihm die Nachricht ja schon mal überbringen."
"Ja. Das sollte ich wohl tun."
Ich donnere eine Faust gegen die Wand, welche überraschend tief nachgibt.
"Tut mir Leid", murmle ich. Malah scheucht mich nur wortlos davon.
Zur Hölle! Warum musste das passieren?
Und vor allem...wie werde ich den Meister finden, schlafend...natürlich in der verfluchten Rüstung?
Was meinst du damit?
Stell dich nicht so blöd wie du es gerade getan hast. Emund wurde mit einem Knochenspeer ermordet. Wir haben genug Wunden dieser Art an Dämonen gesehen.
Na schau mal einer an, du bist ja doch nicht völlig nutzlos.
So gerne ich es wäre. Aber warum...warum sollte der Meister ihn umbringen? Kann das überhaupt...nein, das wird er doch nicht getan haben?
Nun, wer weiß – wir können ihn ja einfach fragen, vielleicht antwortet er sogar? Aber prinzipiell ist das natürlich seine Sache. Auf jeden Fall ist es sicherer für das Set, wenn Emund nicht mehr dabei ist. Ich sage dir, er wollte es stehlen. Vielleicht hat der Meister ihn darum umgebracht.
Du...verdammter Bastard!
Ich bitte dich, das gibt nur Sinn. Jetzt, wo wir unsere Bestform erreicht haben, brauchen wir auch Emund nicht mehr. Hatte noch gar keine Gelegenheit, dir ein paar Tricks zu zeigen; wusstest du, dass...

Halt dein dreckiges Maul.
Wenn schon ein Gefühlsextrem nach dem anderen, dann richtig. Ich gehe sofort zu unserem Domizil.
Der Meister schläft natürlich in voller Montur. Aber wenigstens schläft er. Für eine Weile beobachte ich ihn dabei; er liegt da wie eine Leiche, ruhig auf dem Rücken.
Na los.
Er scheint wirklich nicht nur so zu tun...
Etwas zu unsanft rüttle ich ihn an der Schulter. Sofort schießt er nach oben, und eine Knochenrüstung formt sich um ihn.
"Ruhig, General. Ich bin es nur."
"Sonst hätten die Skelettwachen auch schwer versagt."
Warum dann die Rüstung? Ach, was wundere ich mich...
Du passt auch auf, ja?
Wir haben ein perfektes Gedächtnis. Wenn dir etwas nicht sofort anfällt, dann spiel die Szene doch einfach noch dreimal in deiner Erinnerung nach?

"Warst du die ganze Nacht hier?", frage ich vorsichtig.
"Das ist eine seltsame Art, mir guten Morgen zu wünschen. Ist es denn überhaupt schon..."
Er hält inne. Sein Blick schießt plötzlich zur Seite, an mir vorbei.
"...was habt ihr angestellt?"
Spinnt er komplett?
"Wir haben überhaupt nichts angestellt. Die Frage ist, ob du etwas angestellt hast."
Sein Blick schießt wieder zu mir. "Jetzt stell du dich nicht an und sag mir gefälligst, was los ist!"
Das ist leider ein Befehl.
"Emund ist tot."
Seine Mundwinkel wandern leicht nach unten...in...dezenter Verstimmung? "Das ist nicht die Nachricht, die ich erwartet habe."
Mein Unterkiefer fällt herab. "Du...was?"
Wieder schweift sein Blick in die gleiche mysteriöse Ferne.
"Aber weißt du was, vielleicht...also, was ist mit Emund?"
"Er wurde ermordet. Mit einem Knochenspeer."
Der General schlägt sich klirrend mit der Faust in die Handfläche. "Ja! Großer Fehler, großer Fehler...jetzt ist es bald so weit."
Ich breite in völligem Unglauben meine Arme aus. "General, wovon redest du? Emund ist tot!"
"Ja, das ist natürlich tragisch", murmelt er im Aufstehen. "Aufgrund der Art der Mordwaffe will man mich sicher sprechen?"
Ich bin sprachlos. Der Zweiter übernimmt.
"Es wird bald eine Versammlung geben."
"Dann lass uns gleich losgehen...ich bin sehr gespannt, wer welche Fragen an mich hat..."
Er stürmt an mir vorbei...aber ich stelle ihm ein Bein.
Sofort rollt er sich auf den Rücken und stemmt sich blitzschnell auf die Ellenbogen. Und das in der vollen Rüstung! Die Skelette umringen mich, bevor ich irgendetwas tun kann.
"Bist du des Wahnsinns, Dorelem?", donnert er.
Ich knirsche mit den Metallzähnen. "Unser Freund ist tot, General! Ist dir das nicht mehr wert als ein Nebensatz?"
Er steht ruhig auf und wischt sich demonstrativ die matt schimmernden Arme ab.
"Ich weiß wirklich nicht, was du mehr von mir erwartest."
Der Meister tritt näher während die Skelette zwischen uns zur Seite gleiten. Er packt mich am Kinn, seine Finger durchdringen die Feuerhülle ohne Widerstand, und es tut weh.
"Du wirst so etwas nie wieder tun", flüstert er Zentimeter vor meinem Gesicht.
Ich versteife mich. "Nach deinem Befehl habe ich wohl keine Wahl, oder?", zische ich zurück.
Um Baals Willen, du Irrer! Lass den Mist!
Der Meister schubst mich zurück, ich stolpere und lande meinerseits auf dem Rücken. Er dreht sich auf dem Absatz um.
"Bleib dir nur dessen bewusst, Dorelem."
Himmel, ist es schlimm um ihn!
Du hast verdammtes Glück, dass es noch lange nicht so schlimm ist, wie es sein könnte.
Auf dem Weg zur Halle der Ältesten schließen sich uns schweigend Krieger, die sich offenbar selbst nicht ganz entscheiden können, ob sie mehr Eskorte oder mehr Bewacher sind. Der Meister ignoriert sie natürlich vollkommen und schreitet mit großen Schritten unter dem langsam hell werdendem Himmel voran. Ab und an wirft er einen verstohlenen Blick auf diese eine Stelle in der Ferne...befindet sie sich etwa in der Stadt?
Oh. Oh! Haha, ja...das erklärt natürlich Einiges.

Nein, natürlich sagst du es mir nicht. Ich...ich habe langsam keine Lust mehr.
Armes Kind. Dann lass doch die Erwachsenen die Verantwortung übernehmen?
Ich bin nicht gewillt, die Hoffnung aufzugeben, indem ich die Zügel jetzt aus der Hand fallen lasse.
Als ob du auch nur ein wenig Kontrolle hättest über was seit Monaten passiert. Süß.
In der Halle erwartet uns Deckard Cain schon. Ich würde mich wundern, dass er offenbar vor den Meisten hier Bescheid weiß; aber dann kennte ich ihn schlecht.
Der Horadrin-Weise zieht den Meister zur Seite und flüstert unter den misstrauischen Blicken der immer mehr werdenden Barbaren auf den Rängen mit ihm.
"Dorelem hat Euch gesagt, worum es geht?"
"Emund ist tot und ich bin aufgrund der Mordwaffe im Verdacht."
"Exakt. Ich hatte leider keine Gelegenheit herauszufinden, wie viele der Anwesenden Eurem Wort glauben würden, wenn es darauf ankommt. Malah sollte auf Eurer Seite sein, aber ich weiß nicht, wie es um Nihlathak steht."
"Nihlathak wird mich unterstützen", erklärt der Meister. "Außer, er ist überzeugt davon, dass ich Emund umgebracht habe."
"...ich frage das ungern...", beginnt Deckard, aber der Meister lacht nur und klopft ihm kumpelhaft auf die Schulter. "Keine Sorge, Deckard. Ich hatte keinen Grund, ihn um die Ecke zu bringen. Wollen wir uns trennen, bevor man denkt, wir hecken hier irgendwelche Verschwörungen aus? Das hier ist keine Gerichtsverhandlung, oder?"
"Es könnte eine werden", brummt Deckard dunkel. Ich kann nur hilflos mit den Schultern zucken. Mit schwerem Kopfschütteln sieht Deckard zu, wie der Meister davonzieht, um sich auf einem aus Skeletten geformten Stuhl noch vor der ersten Reihe niederzulassen. Die hinter ihm Sitzenden rücken weg.
Wie einfach sich die furchtlosen Barbaren einschüchtern lassen.
Ich glaube, sie sind mehr irritiert davon, wie unglaublich unhöflich er ist.
Bald sind die Reihen gefüllt. Malah und Nihlathak stehen im Mittelpunkt des runden Gebäudes; Anya sitzt auf den Rängen neben Larzuk. Sie hat leicht gerötete Augen, aber ansonsten blickt sie so hart und finster drein wie ihr Nachbar.
Malah klatscht in die Hände. "Darf ich eröffnen? Danke. Wie ihr alle wisst, isst der Grund für unsere Versammlung der Verlust eines unserer Krieger. Ich wünschte, Emunds Tod alleine wäre ungewöhnlich, aber leider sind es nur die Umstände. Er wurde durch Magie ermordet, zu meiner Schande in meiner Obhut. Irgendwo unter uns befindet sich ein Meuchelmörder, und es liegt an uns allen, den Schuldigen zu finden."
"Wir haben ihn doch schon!", ruft einer der Barbaren...es ist Hoku. Sein Arm deutet anklagend auf den Meister. "Wer sonst kann hier zaubern?"
Der Meister grinst herablassend und sagt nichts. Das bringt ihm nicht wirklich Sympathiepunkte ein. Aber Qua-Kehk, überraschenderweise, scheucht Hoku zur Ruhe. "Ein wenig vorschnell, meinst du nicht? General, was hast du dazu zu sagen?"
Jetzt regt sich der Meister. "Natürlich habe ich Emund nicht umgebracht, der Vorwurf ist völlig lächerlich. Ich hatte Stunden über Stunden Gelegenheit, ihn auf dem Berg zu ermorden und es den unzähligen Dämonen dort in die Schuhe zu schieben."
Hoku weiß darauf nichts vorzubringen außer die Anzahl der Dolche in seinem Blick zu erhöhen.
"Wobei der Verdacht natürlich grundsätzlich nicht unberechtigt ist."
Auf diesen Satz reagiert der Meister das erste Mal mit einer anderen Emotion als amüsierter Herablassung. Er ist so überrascht wie ich, denn er kam von – Nihlathak. Was zur Hölle?
"Ein wichtiges Detail sollte nämlich nicht unerwähnt bleiben", fährt der Älteste fort. "Emund ist an einem Projektil gestorben, das ihn in völliger Stille durchbohrt hat. Keine Feuermagie, keine Eismagie, keine Blitze. Ich weiß, dass Dorelem die Leiche untersucht hat. Kannst du uns etwas dazu sagen?"
Aller Augen richten sich auf mich. Ich erstarre. Dass von allen Menschen hier Nihlathak uns in den Rücken fällt, hätte ich nicht erwartet. Was soll ich denn jetzt antworten?
Du sagst gar nichts. "Euere Informationen sind korrekt, Ältester", erklärt der Zweite.
"Dann möchte ich jemanden um einen Kommentar bitten, den man zu Recht als absolute Koryphäe auf dem Gebiet der Magie bezeichnen darf. Deckard Cain – ist euch eine Magieform bekannt, die absolute keine Spuren hinterlässt außer einer glatten Wunde mit geringem und komplett regelmäßigem Durchmesser?"
Deckards Miene verdunkelt sich mit jedem Wort, dann seufzt er. "Ich glaube, Ihr erwartet eine bestimmte Antwort, die Ihr schon kennt, Ältester. Diese kann und muss ich bestätigen: es könnte sich sehr wohl um Knochenmagie gehandelt haben."
Der Saal explodiert. Manche Barbaren wollen sich auf den Meister stürzen, aber die Skelette sind sofort zur Stelle, um sie aufzuhalten; ohne Waffen sind auch die stärksten Menschen völlig hilflos gegen die absurd durch Magie aufgepumpten Krieger des Meisters.
"Beruhigt euch! Ist das hier eine Versammlung oder eine Kneipenschlägerei?", brüllt Malah. Die Barbaren halten in ihren Anstrengungen, die Skelette zur Seite zu zwingen, inne, gehen aber nicht auf ihre Plätze zurück.
"Könnte es denn auch eine andere Form von Magie gewesen sein?", ruft Anya Deckard zu. Dieser hebt etwas hilflos die Hände. "Möglich ist Vieles..."
"Aber wahrscheinlich? Wer weiß", meldet sich plötzlich der Meister. "Dorelem, war es ein Knochenspeer?"
Ich runzle die Stirn. Was hat er denn jetzt wieder vor? Erwartet er, dass ich lüge?
...die Frage kann ich dir jetzt auch nicht beantworten. Aber Nihlathak weiß offenbar genau, was hier los ist. Zu genau vielleicht?
Meinst du etwa, er...?
Zumindest verhält er sich uns gegenüber
überraschend anders.
Einer seiner Vertrauten ist tot, das ist doch wohl verständlich!
Wenn du meinst. Jetzt antworte endlich, mit der Wahrheit. Sonst zerreißt uns Nihlathak in der Luft.
"Mit ziemlicher Sicherheit."
Der Meister nickt. "Es gibt doch keinen Grund, hier um den heißen Brei zu reden." Sein Blick durchbohrt Nihlathak.
"Ist das ein Schuldgeständnis?", donnert Qua-Kehk.
Der Meister winkt ab. "Natürlich nicht. Nebenbei, könnte ich ein Blatt Papier haben?"
Wieder ist die Menge kurz davor, in Chaos auszubrechen.
"Wollt Ihr uns zum Narren halten, General?"
Nihlathaks sanfter Satz verhindert dies zeitweilig. Derweil zieht Anya von irgendwoher einen Zettel und winkt mich zu ihr. Ich überbringe ihn, während der General erneut abwinkt. "Ich stelle nur sicher, dass die Fakten auf dem Tisch liegen. Dorelem, Stift."
Wie soll ich...
So.
Der Zweite formt ein Stück Ton zu einem schlanken Zylinder, spitzt ihn an und verbrennt die Spitze. Damit schreibt der Meister heimlich ein paar Worte. Deckard meldet sich derweil zu Wort.
"Es gibt einige Dämonen, die Totenbeschwörerzauber nutzen können. Es ist wohl im Bereich des Möglichen, dass ein solcher hier eingedrungen ist und Emund ermordet hat."
"Ja, aber dass er der Mörder ist, ist viel wahrscheinlicher!", ruft jetzt wieder Hoku. Qua-Kehk scheint unschlüssig. Anya schlägt mit den Fäusten auf das Holz vor ihr. "Ich glaube das einfach nicht! Warum sollte er Emund umbringen?"
"Das ist in der Tat eine Frage, die wir lösen müssen. Denkt ihr, das ist so einfach möglich?", gibt Nihlathak zu bedenken.
"Worauf wollt Ihr hinaus, Ältester?", seufzt Malah.
"Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber solange nicht klar ist, dass Ihr unschuldig seid, besteht große Gefahr für uns alle, wenn ihr frei herumläuft, General", erklärt Nihlathak mit Bedauern in der Stimme. "Meines Erachtens müssen wir Euch einsperren, bis wir den wahren Schuldigen gefunden haben, ob Ihr das seid oder nicht, ist erst einmal irrelevant."
Darauf will er also hinaus...
"Das könnten doch nicht einfach so machen!", beschwert sich Anya. "Das gibt keinen Sinn!"
"Warum genau verteidigst du ihn so stark, Kind?", schnappt Malah. Ihre Tochter zuckt zurück, aber lässt nicht locker.
"Ich vertraue ihm! Du weißt, wie viel Gutes Dorelem getan hat – ihr alle wisst das!" Ihre Geste fasst die ganzen Wachen, mit denen ich mich in den letzten Tagen angefreundet habe, zusammen. Viele nicken.
"Ja, aber was hat Dorelem mit dem General zu tun?", fragt Malah.
Danke, Malah. So komisch es klingt, tut mir das sehr gut. Aber...natürlich nicht dem General.
Sie richtet sich an mich. "Dorelem, ich vertraue dir in der Tat, und dass du zumindest keine Schuld haben kannst, wissen wir; du warst die ganze Nacht in Gesellschaft. Aber du kannst selbst nicht sagen, ob dein Meister unschuldig ist, weil du ihn die ganze Nacht eben auch nicht gesehen hast, nicht wahr?"
Ich schieße einen Blick zum Meister, der immer noch schreibt; er sieht kurz hoch, schüttelt mit leichtem Schmollmund den Kopf, und schreibt weiter.
"Nein, ich kann ihm kein Alibi geben", stelle ich fest.
"Dann glaube ich nicht, dass wir eine Wahl haben", fährt Malah fort. "Nihlathak hat Recht. Wir wissen nicht, warum der General Emund hätte ermorden sollen, aber wir können uns nicht sicher sein, dass er es nicht getan hab, und bis dahin ist er eine Gefahr."
Der Meister pfeift mich zu sich und gibt mir das beschriebene Papier. "Für Anya. Nicht lesen und nicht lesen lassen."
Schnell überbringe ich es, während der Raum lauter wird, die Barbaren wieder zusammenrücken, aber mich in Ruhe lassen. Die Skelette werden zurückgedrängt von der schieren Masse ihrer Körper.
Da schießt aus ihrer Mitte ein Feuerball an die Decke und zerplatzt. Sie schrecken zurück.
"Ruhe, jetzt rede ich", erkärt der Meister. Malah keucht. "Was erlaubt Ihr Euch..."
"Alles, weil ich es kann", sagt der Meister im Aufstehen. Er tritt in die Mitte.
"Ich glaube, ihr schätzt die Situation kollektiv ein wenig falsch ein. Ich bin hier, um Baal zu töten, was euch nebenbei extrem zugute kommen wird. Das werde ich auch tun, darum werde ich in spätestens zehn Minuten weiter den Berg hochstapfen, und es ist mir völlig egal, ob ihr etwas dagegen habt. Irgendjemand hier will mich offenbar aufhalten, indem er meinen Helfer tötet und es so aussehen lässt, als wäre ich es gewesen, aber das wird nicht funktionieren, weil ich mich nicht aufhalten lasse. Oder glaubt ihr im Ernst, dass ihr das könntet?"
Hoku lässt die Knöchel krachen. "Ist das eine Herausforderung?", knurrt er.
"Es ist eine Drohung", stellt der Meister sachlich fest. "Ich sage es ganz deutlich: Ich habe Emund nicht umgebracht, weil es, absolut richtig, keinen Grund dazu gab. Aber wenn sich mir einer in den Weg stellt, aus Böswilligkeit oder auch nur aus Dummheit, werde ich ihn töten. Und ihr könntet immer noch nichts dagegen tun."
Er breitet die Arme aus. "Seht es ein – ihr braucht mich. Baal ist kurz davor, den Weltstein zu erreichen, und wenn er das tut, habt ihr mit euerem Wachauftrag noch mehr versagt als ihr es ohnehin schon getan habt. Euere einzige Hoffnung ist, dass ich vor ihm da oben bin und ihm das Herz herausreiße. Was ich tun werde."
Ich starre ihn so ungläubig an wie der Rest der Versammlung. Aber das beachtet der Meister gar nicht – er dreht sich um und die Skelette folgen ihm in perfekter Formation.
"Malah, das kannst du doch nicht...", flüstert Nihlathak, aber sie schneidet ihn ab.
"Und was ist mit dir, Ältester?", zischt sie. "General, warte!", ruft sie.
Er hält inne, dreht sich aber nicht um. Sie fährt mit Stahl in der Stimme fort.
"Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber das ist mir auch egal. Du hast Recht damit, dass wir dir viel verdanken und wenn du weiterhin Erfolg hast noch mehr verdanken werden. Du hast allerdings kein Recht, dich deswegen so aufzuführen. Ob nun aus gekränktem Stolz oder warum auch immer."
Der Meister sieht über die Schulter zurück. "Und?"
Malah verschränkt die Arme. "Nichts und. Es wäre närrisch und unwürdig, wegen deines Verhaltens jetzt unsererseits in kindische Drohungen zu verfallen. Geh deines Weges, während wir herausfinden, wer Emund ermordet hat. Aber eines sage ich dir: du kannst unser Gast bleiben, aber Gastfreundschaft kannst du erst wieder erwarten, wenn du dich entschuldigst. Und falls wir herausfinden sollten, dass du doch für Emunds Tod verantwortlich bist, wirst du schon sehen, wie weit dich deine Drohungen bringen."
"Zur Kenntnis genommen", eist der Meister und verlässt den Raum.
Ich bleibe allein zurück.
"Es...tut mir wirklich, wirklich Leid...", versuche ich es gegenüber Malah, aber sie wendet sich nur ab.
Deckard tritt auf mich zu. "Du hattest versucht, mich zu warnen, aber ich habe glaube ich nicht begriffen, wie schlimm es um ihn stand, Dorelem. Ich kann nur als Ansatz einer Entschuldigung versuchen, die Wogen etwas zu glätten. Jetzt aber ist es glaube ich besser, wenn du gehst."
Ich presse die Handfläche gegen die Stirn wegen eines latenten eingebildeten Kopfschmerzes. "Wenn ich einfach gehen könnte, würde ich mich auch freuen."
Mit schnellen Schritten laufe ich zu Anya, die mit schwerem Stirnrunzeln den Brief des Meisters liest. Als sie mich sieht, steckt sie ihn hastig weg.
"Anya, bitte – nach dieser Vorstellung würde ich ihm auch nicht helfen wollen, aber wir sind jetzt ohne Führer und ich habe keine Lust, dass die Welt wegen der Arroganz des Generals untergeht weil wir uns heillos verlaufen und erfrieren. Wie ist der weitere Weg zur Spitze?"
Sie seufzt. "Ihr solltet problemlos über die Hochebene zum Bergmassiv kommen, an dessen Rand sollte ein Wegpunkt sein. Von dort aus müsst ihr eine Höhle finden, die tief in den Berg und langsam nach oben führt, zu einem weiteren Hochplateau. Dies ist das letzte vor dem höchsten Teil des Gebirges, dessen Steilwände ihr wieder durch eine Höhe umgehen könnt – sie ist der Weg der Urahnen, der zum Gipfel führt."
Ich imitiere ein Schlucken. "Das klingt aber nicht gerade nach einer Kurzstrecke."
Sie sieht mir über die Schulter; Malah nähert sich mit Feuer im Blick. Schnell beugt sich Anya zu mir. "Aber es gibt noch einen anderen Weg..."
Etwas reißt an mir und ich stehe im Schneefeld. Die Armee ist durch das Portal getreten und es hat mich unsanft mitbefördert.
Gerade will ich mich über einige Dinge beschweren, da bemerke ich, wer um uns steht.
Die Dämonen müssen das Portal gefunden haben und beschlossen, es nicht als Weg in die Stadt zu nutzen. Zu Recht, da die Wachen sie einzeln ohne Probleme gemeuchelt hätten und es dann schnell geschlossen worden wäre.
Stattdessen hat sich eine halbe Armee um die Stelle, wo gerade noch das Portal war, positioniert. Wir sind umringt von Sklavensoldaten, Tentakeldämonen, Peitschenaufsehern, unzähligen Kobolden und sogar Skelettmagier haben die Gegner aufgefahren.
Der Meister zieht sofort eine Knochenwand um sich herum hoch. "Zeig, was du kannst, Dorelem. Gib mir ein paar Leichen!"
Zu schade, dass du heute Nacht andere Beschäftigungen dem Üben vorgezogen hast. Gut nur, dass zumindest einer von uns Erfahrung mit diesem Körper hat, hm? Also, dann zeige ich dir mal auch, was wir können.
Ungefragt übernimmt der Zweite die Kontrolle, ballt die Fäuste und Flammen eruptieren um sie, was die Klauen tiefrot glühen lässt.
Die Peitschen knallen, und die Sklaven rennen. Ich habe einige von ihnen nur für mich; der Meister vertraut darauf, dass die Skelette die anderen Fronten halten, ich bin für mich. Er sieht mir mit erwartungsvollem Grinsen zu.
Der Zweite schreitet ruhig voran. Bald hat uns ein Sklave erreicht, er hebt seinen Knüppel...
So schnell schießt unser Arm vor dass das Feuer um die Hand einen Schweif zurücklässt. Der Zweite spießt den Dämon glatt auf, und mit solcher Gewalt, dass unsere Klauen hinten aus der harten Schale dringen.
Die Sklaven schlittern zu einem unsanften Halt. Verächtlich schleudert der Zweite die Leiche ihres Kollege davon, in eine Gruppe von Tentakeldämonen, die der Meister sprengt. Wir sind jetzt umgeben von drei vorsichtigen Dämonen; der Zweite zögert keine Sekunde, springt plötzlich nach vorne und landet Klauen voran auf einem von ihnen, dessen Kopf noch nicht zu Boden gefallen ist als der nächste schon von Flammen umgeben ist, die aus unserem ausgestrecktem Arm züngeln. Mit einer Wucht, die uns zur Seite drückt, was der Zweite wollte; er nutzt den Schwung, fliegt dadurch geradezu auf den letzten zu und packt ihn am Kinn. Der Ton um unseren Arm wird weich, dann vorne spitz und schießt von unserem Handgelenk nach vorne. Von Gaumen bis Augenhöhle durchbohrt haucht unser Opfer sein Leben aus und wird sofort zur nächsten Granate für die Kadaverexplosion.
Kobolde teleportieren sich an uns vorbei, um den Meister direkt anzugreifen. Der Zweite kniet nieder, heizt den Boden auf und streckt einen Arm nach hinten. Ohne sich umzusehen – unnötig, da wir ja nicht an die Sicht aus unseren ohnehin fehlenden Augen gebunden sind – zieht er mit jeder Kralle auf einen der für ihren Feuerblitzzauber kurz innehaltenden Kobolde. Ton fließt um die Klauen, formt wieder eine Spitze, zieht sich zusammen und ähnlich als würde er Brotkrümel wegschnipsen, katapultiert der Zweite kleine steinharte Dolche zielgenau weg.
Ein Peitschenhieb trifft uns an der Schulter, dann ein zweiter aus anderer Quelle. Diese Peitsche schlingt sich um unseren Arm, dann schlägt der erste erneut zu, was Funken und Tontropfen stieben lässt.
Der Zweite zieht unsere Feuerbrauen irritiert zusammen, öffnet die freie Hand und lässt einen Tonklumpen darin wachsen, für den er das Material aus dem Boden zieht. Der Klumpen wird hohl – er füllt ihn mit Feuer! Bevor ein dritter Schlag landet, fliegt die Bombe und trifft den Peitscher im Gesicht. Er kreischt, als Flammen ihn umhüllen.
Jetzt weißt du, warum ich so gut werfen kann.
Hastig versucht der zweite Peitscher, seine Waffe von uns zu lösen, aber der Zweite hat sie mit Ton umgeben und geht auf ihn zu, mit jedem Schritt lässt er das Feuer um uns höher brennen; dass es immer noch extrem kalt ist, scheint ihn dabei nicht wirklich zu beeinträchtigen.
Natürlich nicht. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir nur eine Feuerhülle für rein offensive Zwecke haben oder unser ganzer Körper aus dem Feuer besteht, das einen Großteil seiner magischen Energie verwenden muss, nur um uns am Laufen zu halten.
Der Dämon kreischt um Hilfe, aber ohne seine Peitsche kann er keinen seiner Sklaven dazu bringen, uns anzugreifen. Der Zweite erreicht ihn, endlich lässt er die Peitsche fallen, aber kann seinen aufgedunsenen Leib nicht in Sicherheit bringen. Er schafft es noch, sich umzudrehen, da schlingt ihm der Zweite den Lederriemen um den Hals und zieht zu, bis der Dämon das Zucken aufhört.
Der andere ist immer noch damit beschäftigt, mit den Folgen einer Explosion in seinem Gesicht umzugehen. Fast sanft legt ihm der Zweite die Hand auf den Bauch. Das Kreischen des Dämon wird lauter und höher, als Rauch von der Berührung aufsteigt, und ich fühle, wie die grotesk gespannte Haut Blasen schlägt. Dann schiebt der Zweite seinen Arm tief in die Eingeweide des Dämons, zündet eine Stichflamme und wir stehen in eine Wolke aus Ekel, als unser Opfer detoniert.
Nichts davon bleibt an uns hängen, als wir wieder etwas sehen; schon vorher hat sich der Zweite weiterbewegt. Die Sklaven beginnen zu fliehen, aber der Zweite hat keine Bedenken, ihnen in den Rücken zu stechen. Einer nach dem anderen fällt, aber wir verfolgen sie nicht zu lange. Gerade, als wir uns umdrehen, läuft uns ein Selbstmordsklave fast in die Arme.
Oh, das ist natürlich eine Möglichkeit, sie doch zum Angreifen...
Die Explosion ist für uns deutlich schlimmer als die von uns selbst verursachte, und ich erwarte die Umarmung der Schwärze.
Aber wir fallen nicht einmal. Unser Feuer ist einfach ausgeblasen worden von der Druckwelle, ein Teil des Tons verbrannt und der Rest hängt leicht zerfetzt von unserem Skelett, aber...wir brauchen nicht mehr als das. Schon stürmen weitere Attentäter heran, aber der Zweite hat sein Gleichgewicht schon wieder gefunden, gräbt in Ermangelung von Material an uns kurzerhand mit beherztem Klauenstechen nach unten einen Stein aus dem Boden und wirft ihn auf die Angreifer, was eine der lebenden Bomben zur Explosion bringt. Ihre Mitläufer stürzen, versuchen sich irgendwie wieder aufzurappeln, was aufgrund der gewaltigen Blase an explosiven Substanzen, die aus ihrem Rücken gewachsen ist, nicht so einfach ist, aber derweil ballt der Zweite ohne hin die Fäuste, lässt Ton vom Boden hochfließen, und mit gewisser Anstrengung entzündet er unser Feuer selbst wieder. Er reißt beide Arme nach vorne, deutet mit den Fäusten auf die gestürzten Gegner, und tränkt sie in einen kontinuierlichen Feuerschwall.
Und so geht es weiter. Die Dämonen haben uns nichts entgegen zu setzen; sie sind offensichtlich als Kanonenfutter gedacht, und wir sind die Kanone. Der Meister ist vollkommen sicher hinter seiner Wand aus Skeletten, Knochen und der Rüstung; gelegentlich unterstützt er eine Front durch einen Fluch, wenn doch einmal ein Skelett stirbt. Wir hingegen benötigen keine Unterstützung. Der Zweite vernichtet effizient Gegner um Gegner, steckt einige Schläge ein, aber unser magieverstärktes Metallskelett ist quasi unzerstörbar für die Offensive der anderen. Einzig Knüppel der Sklaven könnten uns verbiegen, aber dazu lässt es der Zweite nicht im Ansatz kommen. Da reißt er wieder einem den Arm aus und rammt dem kreischenden Dämon das Ende mit gesplitterten Knochen ins Gesicht. Und da zeigt sich ein weiterer Grund für unsere Unverwundbarkeit: wo ich schon zusammenzucke ob dieser Grausamkeit, fliehen die Kollegen des Gemeuchelten in heller Panik. Natürlich kommen sie nicht weit.
Dennoch wundert mich etwas.
Erleuchte mich.
Das ist es doch gerade – du kannst in aller Ruhe mit mir reden, während du metzelst. Sogar deine übertriebenen Mordmethoden sind kalkuliert, um einzuschüchtern.
Das sind sie immer.
Unfug. Du hattest Spaß bei der Sache. Nicht, dass ich das zurücksehne, aber was ist los mit dir?
Spaß? Den kann der Meister haben. Für mich ist das nicht relevant. Ich muss nur funktionieren.
Das widerspricht deinem früheren Verhalten aber direkt.
Oder ich wollte dich einschüchtern, damit du keine blöden Diskussionen mit mir anfängst.
Tja, aber für Einschüchterung ist es jetzt ein wenig zu spät, nicht wahr? Erzähl mir keine Scheiße, ich möchte dich nur noch einmal daran erinnern dass ich deine Gefühle spüren kann.
Dann fühl mein Ignorieren deiner.

Aber stattdessen...fühle ich...Unsicherheit? Bin ich das, oder ist er es? Ich glaube, ich bin immer näher dran, zum Zweiten durchzudringen – ihn doch irgendwann zu verstehen und ihn dazu zu bringen, im Gegenzug mich zu verstehen. So lange wohnen wir schon im gleichen Körper, aber so viele Geheimnisse hat er immer noch vor mir, so wenig vertraut er mir...obwohl er doch genauso wie ich spüren müsste, wenn ich ihn anlüge, wenn ich ihm etwas verheimliche. Wie diese Gedanken, die ich gerade habe. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich darin so gut bin. Liest er alles, was ich denke?
Endlich ist das Töten vorbei, der Meister jagt einen Knochenspeer in den letzten Kobold, der versucht, sich wegzuteleportieren. Seine Schutzmauer hat er schon vor einer Weile abgebaut, als offensichtlich keine Gefahr mehr bestand. Er tritt vor mich. "Zweiter, nehme ich an?"
Der Zweite nickt.
"Ich bin zufrieden. Weiter so", erklärt der Meister und sammelt die Armee hinter sich; ohne noch ein Wort mit uns zu wechseln, geht er weiter.
Für den Hinterhalt am Portal haben die Dämonen offenbar ihre Kräfte verausgabt; wir werden beim Stapfen durch den frisch gefallenen Schnee für eine lange Zeit nicht belästigt. Eine leise Zeit. Der Meister ist schon seit Längerem nicht mehr an den ungezwungenen Konversationen interessiert, die ich immer so genossen habe; leichte Spitzen zwischen Freunden, das gegenseitige Ermutigen im Angesicht unserer völlig wahnsinnigen Mission...je mehr es scheint, dass das ganze Unterfangen doch nicht so wahnsinnig war, wie wir ursprünglich dachten, desto weniger können wir darüber reden. War unsere Freundschaft doch von Anfang an nur an den Zwang zum Erfolg gekoppelt? Mussten wir doch immer nur funktionieren? Deckard zumindest hat es nie wirklich anders gesehen, wenn ich es recht bedenke. Ich war ihm sicher ein besserer Freund als der Meister es war, aber er hat mich dennoch immer nur als den gesehen, der den Meister auf dem Boden der Tatsachen halten sollte, als die Stimme der Vernunft agieren sollte. Das war meine Aufgabe in unserer Mission.
Ich balle die Fäuste, wobei ich die Klauen ungewohnt zwischen die stilisierten Handknochen falten muss. Wie lange werde ich eigentlich schon von allen benutzt, und wer hat mich eigentlich nicht als Werkzeug gesehen?
Willkommen in meinem Leben.
Ein Klischee, der Ausdruck...der einzige Grund, warum du es nun doch als "Leben" bezeichnest?
Welchen Unterschied macht es noch? Du bist doch sowieso in deinen Terminologien verfangen. Was zählt ist, dass du offenbar endlich begriffen hast, dass du nie so frei warst, wie du dachtest, dass du bist. Eine schöne Illusion, die du dir gebildet hast, um nicht wahnsinnig zu werden. Wie ist es jetzt, wo die Illusion endlich bröckelt? Schmerzhaft, nicht wahr? Ein Schmerz, den du dir schon lange hättest sparen können, wenn du nur von Anfang an auf mich gehört hättest.
Ich bin jetzt freier als ich es nach meine Erschaffung war. Ich weiß von Freiheit, ich weiß, dass es sie gibt.
Und du wirst sie nie haben. Gratuliere. Du hast die süße Hoffnung kosten wollen, jetzt darfst du nur noch bitteren Nektar der traurigen Realität deiner verfluchten Existenz schlürfen. Hättest du dich nur daran gewöhnt.
Dir schmeckt er also?
Habe ich eine verdammte Wahl?
Ich richte meinen Blick in die weite Ferne, in der vermutlich meine Erlösung liegt. Deine Fassade bröckelt weit schneller als es meine Illusionen tun, mein Freund. Es schmeckt dir überhaupt nicht, und dass du mit deinem Los wenn schon nicht zufrieden, dann doch darin resigniert warst, ist deine Illusion.
Wie schmerzhaft ist das?
Kannst du es dir denken? Wenn ja, für wie richtig hältst du es, weiter nachzubohren?
...ich schätze, ich muss mich entschuldigen.
Spar dir einfach dein Mitleid, es ist doch ohnehin nur ekelhaftes Selbstmitleid. Damit habe ich gleich gar nicht angefangen, du höllenbegrüßter Tagträumer.
Das Bergmassiv in der Ferne kommt näher. Jetzt, wo das Wetter klar ist, kann ich meine übermenschlich gute Sicht voll anwenden – ich glaube, das Hochplateau eine Ebene über dem, auf dem wir uns gerade befinden, erkennen zu können. Anya meinte, über eine Höhle dorthin vorzudringen, es zu überqueren und noch eine Höhle zu finden liegt vor uns...wenn wir nicht einen ominösen anderen Weg finden. Hätte der Meister mich doch nicht so hastig mitgerissen!
Vielleicht ist er ja den Kindern begegnet...
Himmel, ja. Das steht uns auch noch bevor.
Bezweifle ich. Wenn wir tatsächlich noch einmal mit dem Meister zusammen die drei sehen, wirst du kein Wort sagen können, bevor er sie zur Hölle jagt. Also keine Sorge.
Das ist es doch, was mir Sorgen bereitet.
"He, was ist das denn?", zerschneidet plötzlich die Stimme des Meisters die Stille. Er hastet ein paar Meter ab von dem Weg, den wir gewählt haben. Skelette sind schon vorgeeilt und haben etwas freigefegt.
"Na, das nenne ich mal gelegen", grinst er. Es ist ein Wegpunkt! Er stellt sich auf die Steinplatte und beginnt, die Formel zur Aktivierung zu intonieren.
Da bebt die Erde und reißt ihn glatt von den Füßen. Nur mein tieferer Schwerpunkt bewahrt mich vor dem gleichen Schicksal. Pflichtbewusst springt der Zweite vor und hilft ihm flüssig auf. Aber wir erstarren mitten in der Bewegung.
Etwa zweihundert Meter vor uns steht ein gewaltiger Dämon, dessen Größe durch die Distanz nicht im Mindesten gemindert scheint. Das gigantische Biest ist ähnlich reptilienartig und vornübergebeugt wie die Tentakelmonster, hat aber einen klar erkennbaren vorgestreckten Kopf, der wie der Rest des Körpers von glänzenden Stahlplatten umgeben ist. Die Rüstung umgibt baumstammdicke Beine, einen massigen Torso und überlange Arme, die bis zum Boden reichen. Künstliche oder ummantelte Klauen wachsen aus den Pranken, jede so groß wie ich.
"Wo zur Hölle kam der jetzt her?"
Der Zweite deutet nach oben auf die Hochebene über uns. "Er ist gesprungen!"
"Das erklärt das Beben...dann ist das jetzt ja kein Problem mehr."
Aus den Schlitzen, die im Helm für die Nüstern gelassen wurden, zischt dicker weißer Dampf. Ein Bein hebt sich und donnert auf die Erde.
Der Meister fällt mir in die Arme, als wir rückwärts umgefegt werden.
"Soviel dazu", grunzt er. Das Monster setzt sich in Bewegung, behäbig aber mit großen, großen Schritten. Da sehe ich, dass sich um es herum ein Kordon aus Fußsoldaten gebildet hat, mehr Tentakeldämonen, Sklaven und Anpeitscher.
Der Meister lässt eine Knochenrüstung um seine Knöchel wachsen, verlängert sie nach kurzem Nachdenken bis über seine Knie und verankert sich so.
"Wir weichen keinen Meter! Das nächste Beben, das mich umwirft, kommt vom Aufschlag dem seiner Leiche auf dem Boden!"
Der Zweite heizt die Klauen zur Weißglut.
Eine Belagerungsbestie...gegen einen Menschen.
Himmel, warum haben sie die Dinger nicht gegen Harrogath eingesetzt? Die Stadt wäre längst gefallen!
Weil es Baal nie um Harrogath ging...nur um die aus Harrogath kommen. Wir.
Ich verziehe mein Feuergesicht zur Grimasse, die sicher einen interessanten Konstrast zu dem ewigen Grinsen des Schädels darunter bildet.
Nun, dann ist es ja schön, dass wir eine unzerstörbare Mordmaschine sind, nicht wahr? Ich verspreche, mich kein einziges Mal über deine Methoden zu beschweren. Reiß dem Ding den Arsch auf!
 
wow, guter kampf. ich glaube das ist auch das erste mal, dass du wirklich von D2 abweichst. du scheinst dich von D3 inspieriert zu sein bei dem monster. ich bin schon auf den kampf gespannt.
 
Ok, dann ist das letzte mal das ich in D2 keine bossruns gemacht habe nur zu lange her. die sache ist, bei d3 gibt es auch so ein Monster und das ist explizit eine belagerungsbestie. das war übrigens nicht negativ gemeint, ich hätte nichts dagegen, wenn du deinen eigenen weg gehen würdest und von der d2 quest reihe/folge abweichst.
 
Keine Sorge, das mach ich eh :D (schon bemerkt, dass erstaunlich wenig Barbaren befreit wurden im Eishochland?)
 
Das Barbaren-Befreiungszeugs ist ja wohl auch die unnötigste Quest im Spiel..ach ne, hab akt 3 vergessen.. :p

Super dass du wiedermal ein Kapitel geliefert hast! Anfangs hatte ich Mühe wieder in die Story reinzukommen da das letzte Kapitel so lange her ist. Hat jedoch nicht lange gedauert und schon ist man wieder reingesogen worden, und ehe man sich versieht ist das Kapitel zu Ende und man denkt: "Neeeeein schon wieder ein ewiges warten..." (Du könntest jetzt natürlich sagen dass es diesmal nicht wieder so lange dauert....könntest du echt sagen.....:ww:)

Zum Kapitel selber, wieder mal wie gewohnt hervorragend :top:
 
kannst mal sehen, die babaren-befreiungs-aktion hatte ich komplett vergessen.
 
und ich hatte schon aufgegeben hier jemals wieder ne Fortsetzung lesen zu können :/
wehe das dauert nochmal so lang :autsch:

mir ist eigentlich garnicht aufgefallen, dass wenig Barbaren befreit wurden (oder ich habe dieses "aufgefallen" einfach mit der Zeit vergessen :p) mir ist nur erstaunlich viel Anja vor der Rettung aufgefallen^^
 
Der grund für das wenige feedback ist, dass es schlicht und einfach nichts zu bemängeln gibt und immer nur "tolles kapitel" zu lesen wird auf dauer doch langweilig.




edit by rabbel
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Meine Güte...Twin schreibt ja immer noch.

Beste Grüße mein Lieber, aus alter Zeit :)
 
Oh hallo, eine willkommene Überraschung :). Na ja, man muss doch beenden, was man angefangen hat, oder ;)? Grüße zurück!

Das nächste Kapitel ist bereits angefangen - aber ich kann auf keinen Fall regelmäßige Updates versprechen. Das steht ihr aber durch, glaube ich!
 
Ich finde es super, dass du immer noch weiter schreibst. Ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass du es bis wirklich zum Ende durchhältst. Bin im Moment dabei, wieder alle Teile von Anfang an durchzulesen, und bin dabei nicht selten so sehr gefesselt, dass ich die Zeit vergesse. :clown:

Liebe Grüsse von Ratopher, der lange weg war, aber jetzt wieder da ist :)
 
Freut mich sehr, dass so viele Leute, die von Anfang an dabei waren, mir immer noch die Treue halten in diesem antiken Forum :D. Da schreibt man doch gerne weiter!

Das nächste Kapitel (und ja, es ist fertig geworden über die Feiertage!) ist recht kurz geworden, einerseits, weil es von der Taktung so imho am besten passt, andererseits, weil ich gerade die Dialogszene stark eingedampft habe, indem ich mich auf das meines Erachtens Wesentliche konzentriert habe. Wenn ihr Lust habt, das zu diskutieren, hier der Ansatz für nachdem ihr das Kapitel gelesen habt:
Ich zeige zum Beispiel überhaupt nicht, was der General genau zu Malah sagt, sondern deute es nur an durch die Interpretation des Zweiten und ihren Dialog danach. Die Unterhaltung, egal wie kurz, zwischen Dorelem und den Novizen ist mir deutlich lieber als Fokus. Sicher könnte ich beides parallel laufen lassen und Dorelem auch auf Meister - Malah hören lassen, aber wie gesagt, das ist mir nicht so wichtig und die Szene sollte auch ohne funktionieren.

Grundsätzlich denke ich, es ist besserer Stil, wenn ich nicht wirklich alles sage, was passiert, und den Leser öfter mit Fantasie über Andeutungen diese Lücken füllen lasse. Natürlich wirkt es jetzt gegen Ende der Geschichte eventuell ein wenig schlampig und ich gebe gerne zu, dass ich mich AUCH vom "dann wird es schneller fertig, woo" Gedanken leiten lasse. Findet ihr das falsch bzw. fällt es schwer negativ auf? Danke für euer Feedback!
 
Kapitel 28 – Fehdehandschuh






Langsames Stapfen kann sehr schnell scheinen, wenn jeder Schritt gut fünfmal so lang ist wie der eines Menschen. Oh, und den Boden zum Zittern bringt, obwohl man selbst noch weit entfernt ist. Aber immer weniger weit.
Wir müssen das Ding aufhalten, bevor es dem Meister zu nahe kommt!
Wir können auf keinen Fall alleine vorstürmen. Seine Eskorte wird uns zerlegen.
Die Tentakelmonster? Was ist denn an denen das große Problem?
Die Menge natürlich! Gegen einen von ihnen sind wir quasi immun, aber lass fünf von ihnen uns durchbohren und wir sind auch festgehalten. Dann tritt der Dicke auf uns und der Meister kann sich ein neues Metallskelett bauen lassen, gleich nach dem Ersatz für seine eigenen pulverisierten Knochen.
Oh, und was ist mit, ich weiß nicht, ausweichen?
Dir ist es vielleicht noch nicht aufgefallen, aber wir bestehen aus einem massiven Skelett mit einigen Kilo Tonüberzug, nicht mehr einem dünnen Flämmchen ohne Masse. Das beschränkt uns ein wenig.
Nein, tut es nicht?
Ich schüttle unseren Körper kurz – und der gesamte Ton bröckelt ab. Ich verstärke die Flamme, sodass wir nach außen ein ähnliches Volumen wie vorher einnehmen. Dann renne ich los.
Das nimmt uns eine ganze Menge Möglichkeiten!
Und gibt uns die, die wir brauchen! Himmel, warum bist du eigentlich so schlecht im Improvisieren?
Das Schweigen des Zweiten wirkt verletzt. Auch deswegen, weil ich immer mehr von seinen Gefühlen mitbekomme. Aber ich habe doch Recht – ich bin immer der, der sich Dinge einfallen hat lassen. Die ganzen Techniken dieses Körpers, die er mir im letzten Kampf demonstriert hat, waren beeindruckend, aber er scheint auf die beschränkt zu sein und auf keine neuen Ideen zu kommen. Wenn ich es recht bedenke, war das auch schon immer der Unterschied in unseren Kampfstilen – er verlässt sich auf brutale Gewalt, um die Gegner einzuschüchtern; in seinen Methoden, seine Widersacher möglichst grausam zu zerstückeln, ist der größte Teil seiner Kreativität verschwendet. Darum bevorzugt er auch Klauen, während ich sofort meine Liebe zu Schwertern entdeckt habe; der Kampf mit ihnen erfordert eine gewaltige Menge an spontanten Entscheidungen, Finten, Plänen, Erkennen von Mustern im Verhalten des Gegners, alles Dinge, die sich nicht in feste Regeln zwingen lassen. Durch die konstante Übung auch gegen wahre Meister wie Belial bin ich sogar mehr als passabel geworden, nicht zuletzt deswegen weil ich perfekt aus Fehlern lernen kann. Jede Bewegung, die ich je falsch gemacht habe, ist mir schließlich ins Gedächtnis gebrannt. Jede Taktik, die einmal funktioniert hat, kann ich replizieren oder intelligent modifizieren. Und ich denke viel schneller als ich handeln muss.
All das könnte der Zweite aber auch – also warum tut er es nicht?
Der erste Tentakel zischt heran, ich ducke mich darunter weg. Ich sehe, wie sich zwei herangraben, also springe ich schnell nach vorne, rolle mich ab und hechte wieder hoch, während die Spitzen der tödlichen Pfählwaffen sich hilflos hinter mir aus dem Boden graben. Ich bin nah genug bei einem der Gegner, um ihn mit einem Flammenfinger zu packen, in die Schussbahn eines seiner Kameraden zu ziehen und damit den Angriff genug abzuschwächen, dass er zwar zwischen meine Rippenbögen dringt, aber nicht zu tief; ich werfe die Leiche zur Seite, das war nur eine günstige Gelegenheit, aber die Eskorte ist nicht mein Ziel. Es ist...
Die Pranke trifft mich voll und schleudert mich meterweit durch die Luft. Während ich fliege, habe ich genug Zeit, mich von der Überraschung zu erholen, wie lang die Reichweite der Bestie eigentlich ist. Meine eine Seite ist schwer eingedellt, aber solange ich keine großen Stücke verliere, ist das schnell genug behoben. Ich lande unsanft, rolle eine Schneise in den Schnee, aber nur mit den Knochen; das Feuer spare ich mir auf, ziehe es um die Knochen zusammen, heize die verletzten Stellen blitzschnell auf und forme das flüssige Material wieder in den Ursprungszustand zurück. Das kostet mich allerdings recht viel Energie; die nächsten paar Minuten könnte ich sicher keine Flammenteppiche auswerfen, wie der Zweite es im letzten Kampf vorgemacht hat. Stattdessen überziehe ich mich mit einer dünnen, aber harten Schicht Ton aus dem Boden, damit der nächste Schlag, sollte ich wieder einen Fehler machen, nicht ganz so schwer trifft.
Ein Tentakel durchstößt meine Augenhöhle und holt mich von den Beinen, da meine Schädeldecke hält. Rechtzeitig schaffe ich es, mein Gleichgewicht zu finden, lande auf den Füßen, packe das Fleisch in mir und durchbohre es mir der freien Hand. Es zuckt um meine Klauen, aber ich lasse nicht locker, schließe meine Finger darum und reiße meinerseits den Dämon von den Beinen; meine eigenen umgebe ich mit einem festen Sockel aus Erde, ähnlich dem Knochenschutz, den der Meister für sich aufgezogen hat. So verankert schwinge ich meinen Gegner im Kreis um mich herum und werfe mehrere seiner Kollege um, bevor ich mein Opfer auf den Hünen schleudere.
Ein lautes Knacken verrät mir, dass das Genick des Geschosses gebrochen ist, aber er prallt nur effektfrei von der Rüstung ab. Kurz darauf detoniert er noch in der Luft, was die Belagerungsbestie kurz wegzucken lässt, aber auf keinen merklichen Einfluss auf ihr unaufhaltsames Voranschreiten hat.
Ich studiere die Flanke des Monsters, während ich darauf zulaufe. Hier ist das Kniegelenk der Einschalung, manchmal sieht man einen Quadratzentimeter Reptilienhaut; aber selbst diese wirkt so zäh, dass ich bezweifle, nur mit Feuer etwas ausrichten zu können; und meine Klauen sind zu kurz. Aber für andere Zwecke sind diese Lücken nützlich...zumal ich keine Finger brauche, die eingeklemmt werden könnten. Dekorative oder angewachsene Knochendornen ragen aus dem gepanzerten Rücken; auch diese könnten...ich festige meinen Plan. Jetzt noch den richtigen Zeitpunkt in seinem Gehzyklus abpassen...
Tief aus dem Stahlhelm blitzt ein Dämonenauge rot hervor.
Vorsicht!
Zu spät bemerke ich, was passiert ist, als ein Tentakel heranschießt...und meinen Arm an der Schulter abtrennt. Über meinem Kopf tanzt die orange Flamme des verstärkten Schadens; das Monster kann auch noch verfluchen?
Es ist ein Held! Sie meinen es ernst!
Wir auch! Geistesgegenwärtig fange ich meinen Arm in der Feuerhülle auf, die mich schwach umgibt, und halte ihn so notdürftig fest. Das ändert den Plan. Hastig weiche ich dem nächsten Tentakel aus, hechte zur Seite statt nach vorne, überrasche einen Dämon, auf den ich direkt zulaufe; ich werfe meinen eigenen Arm nach ihm, die ausgestreckten Klauen bohren sich in seine Kehle, dann hole ich mein Wurfgeschoss wieder zurück. Glatt gleitet es aus der kauterisierten Wunde, und bevor der Gegner umfällt, bin ich auf seine Schultern gesprungen, stoße mich ab und fliege, einen Feuerschweif hinterlassend, noch ein wenig weiter...
Die Klauen meiner noch angebrachten Hand bohren sich in die Lücke zwischen zwei Beinplatten des gigantischen Helden.
Und jetzt?
Daran arbeite ich noch. Ein Heben, Senken, Stampfen des Beinstamms lässt mich unsanft gegen das Metall prallen, aber mein Griff hält. Hektisch arbeite ich daran, meinen Arm wieder anzuschmelzen.
Der Zweite greift sich ungefragt die Kontrolle über meine Beine, tritt damit Tentakel weg, die von unten nach uns schlagen; zum Glück sind sie dafür gebaut, sich in den Boden zu graben, und hier oben wenig effektiv.
Jetzt glaube ich, dass ich meiner Schulter halbwegs vertrauen kann. Ich teste sie gleich aus indem ich über mir nach einem weiteren Halt greife, aber finde ihn nicht. Wenn ich den Rückenstachel erreichen könnte...
Das wird nie etwas.
Wetten? Ich reiße unseren Körper nach oben, fliege mit ausgestrecktem Arm nach oben...
Da stürzt die Bestie nach vorne, um mit einem Schwinger drei Skelette zu pulverisieren. Der Knochendorn ist außer Reichweite und ich falle. Der Zweite dreht uns sofort so, dass wir auf den Beinen landen, angenehm ist es trotzdem nicht. Und der nächste Schritt des Giganten wirft uns um, bevor wir das Gleichgewicht gefunden haben; zwei Tentakel bohren sich zwischen unsere Knochen.
Du hast verloren.
Freu dich nur schön darüber, das ist jetzt hilfreich. Ich stelle fest, dass ich den Körper nicht genug aufheizen kann, damit es den Fleischfortsätzen in uns unangenehm wird; stattdessen sauge ich Ton aus dem Boden und verenge ihn um sie, bis die Gegner keine Wahl haben als zurückzuziehen, bevor ich ihre Waffen zerquetsche.
Direkt kommen wir da nicht hoch...aber wenn wir...
"General! Kannst du ihn zum Stolpern bringen?"
Kommentarlos flucht der Meister Schwächen und zieht eine Knochenwand in den Weg des unaufhaltsam heranrumpelnden Monsters; das plötzliche Hindernis verfängt sein erhobenes Bein, er gerade ins Wanken – und fällt auf ein Knie. Sofort schwärmen die Skelette näher heran, um die Tentakeldämonen im Nahkampf zu beschäftigen, wovon der Dicke sie bisher abgehalten hat...und ich habe meine Chance.
Mit einem Hüpfer auf die gepanzerte Ferse bereite ich meinen Sprung vor, und von da komme ich hoch genug, gerade als der Fuß unter mir sich wegbewegt. Meine Hand schließt sich um den Knochendorn und ich ziehe mich auf den Rücken des Monstrums, dessen Schwung beim Hochhieven mich entscheidend dabei unterstützt.
Und jetzt?
Lücken in der Rüstung...
Schaffst du es zum Auge?
Riskant. Gelenke?
Von hier oben genauso schwierig.
Hat er uns überhaupt schon bemerkt?
Eine Klaue fegt plötzlich nach oben, und ich habe meine Antwort. Ich rolle zurück, vermeide sie gerade so, falle beinahe, aber fange mich wieder an einem der Dornen.
Ha, wenn sie seine Rüstung schnörkellos gemacht hätten, wären wir chancenlos!
Da sehe ich, dass der Schlag eine der Platten gelockert hat. Wenn wir da Zugang finden...!
Ich laufe nach vorne. Ja, da spitzt nackte Reptilienhaut nach draußen! Beide Klauen erhitzen sich, ich reiße sie über meinem Kopf hoch und ramme sie mit voller Gewalt nach unten.
Wenige Zentimeter dringe ich ein, für mehr reicht es nicht. Gerade genug, um Schmerz spüren zu lassen. Die Bestie brüllt, bäumt sich auf, und meine Füße verlieren Bodenhaftung. Ich falle nach hinten...
Und fange mich an dem Feuerseil, das ich um den Rückendorn geschlungen habe. Ich schwinge um das Hinterteil des Monsters, wieder nach oben und bekomme einen zweiten Dorn zu fassen.
Von dort werfe ich einen schnellen Blick über das Schlachtfeld. Die Tentakeldämonen sind größtenteils besiegt; die Magier haben die unter Kontrolle, die die Skelette während der kurzen Zeit ungestörten Angreifens und mein ursprünglicher Ansturm nicht ausschalten konnten. An der Panzerung des Helden jedoch prallen alle Schüsse ab. Da stellt sich ein Wächter dem Koloss in den Weg, Schild erhoben; für einen Moment verwirrt mich das, bis ich die Eiserne Jungfrau über den Kopf meines Reittiers sehe. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Feuergesicht aus, als die Faust auf den Wächter niederfährt; es schwindet jedoch, als der Schläger nur kurz verdutzt innehält, irritiert die Pranke schüttelt und weiter voran donnert.
Der Schaden, den ein einzelnes Skelett reflektieren kann, ist bei Weitem nicht genug, um ihm signifikant weh zu tun!
Ein einzelnes, huh?
Mitglieder der Armee tragen Leichen hinter dem Giganten her, versuchen, sie als Minen unter seine Füße zu bekommen, aber nicht einmal die mächtige Kadaverexplosion kann ihn aufhalten. Bald ist er beim Meister – und ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt verletzen kann!
Die Augen!
Aber am Kopf hat er keine Dornen, wenn er mich bemerkt, verliere ich den Halt – und noch eine Chance bekommen wir nicht, ihn zu besteigen!
Hilflos werde ich Feuerbälle auf den Helm, aber das führt nur zu einem weiteren Wischen der Pranke über den Rücken, als wäre ich ein Insekt. Gerade so kann ich mich wegducken, wohl nur, weil er vorsichtiger ist nach dem letzten Mal, als er die Rückenplatte verschoben hat.
Nein, der irrsinnige Schaden, den er anrichten kann, ist sicher der Schlüssel...
"General! Spreng nicht die Leichen, mach so viele Skelette wie möglich! Stell sie ihm gemeinsam in den Weg!"
"Das wird euch genausowenig helfen, Wicht!", donnert es plötzlich von unten. Ich packe meinen Halt fester und antworte dem Helden.
"Doch ein Gesprächiger? Wir werden nicht vor dir einknicken! Das ist der General, der zwei große und drei geringere Übel vernichtet hat!"
"Und Dresch Zocker wird nun ihn zerstampfen", rumpelt es zurück. "Bald zerfällst du ins ewige Vergessen, Golem!"
Das große Problem dabei, dass er mich versteht, ist, dass ich dem Meister nun den Plan nicht erklären kann...hoffentlich begreift er...
"Das ist also euere mächtige Armee aus Skeletten, was?", höhnt Zocker. Vor ihm haben sich die Krieger aufgebaut, und tatsächlich, viele sind frisch erschaffen. Sogar die Magier sind dazu getreten. Versteht der Meister?
"So viel sind sie wert!", brüllt die Bestie und stampft auf den Boden.
Manche Skelette stürzen. Aber sobald sich das gewaltige Bein hob, hat der Meister Knochengefängnisse um seine Krieger gezaubert; so bleiben diese auf den Beinen. Schnell helfen sie ihren Kameraden hoch...und heben sie höher. Mehr von ihnen klettern auf die Schultern der anderen, und im Handumdrehen steht eine Skelettpyramide vor uns, die Dresch Zocker in die Augen sehen kann.
"Hm", schnaubt er. "Das ist ja süß. Und macht es mir deutlich einfacher!"
Er breitet die Arme aus...noch nicht, noch nicht...
Die Bewegung beginnt.
"Eiserne Jungfrau, General!"
Für einen beinahe zu langen Moment zögert der Meister, dann landet der Fluch kurz bevor die Handflächen um die Skelette zusammendonnern.
Alle zusammen werfen den tödlichen Schaden, den sie erhalten haben, auf Dresch zurück; und jetzt zuckt er das erste Mal einen vollen Schritt zurück, vom Schmerz einen Moment betäubt.
Nun sehe ich aber auch, was der Meister geplant hat; eines der Skelette, bewaffnet mit einer ungewöhnlich langen und schweren Lanze, hat überlebt – es war ganz an der Spitze der Pyramide. Und ist kurz vor deren Vernichtung gesprungen. Der Meister hat aber nicht damit gerechnet, dass Dresch durch die Jungfrau zurückzuckt; also fällt das Skelett, der Sprung war nicht weit genug...
Ich fange es mit einem langen Feuerarm, gleichzeitig laufe ich los. Jetzt oder nie! Gegenüber von mir hebe ich den Lanzenträger hoch, springe vor, und wenngleich der Kopf der Bestie wankt, er begreift nicht schnell genug, dass er hätte schütteln sollen.
Die Finger unserer Hände sind verschränkt, die Arme hängen an beiden Seiten des dicken Halses nach unten. Das Skelett und ich stützen uns gegenseitig – und am Kinn des Zockers finden wir einen Halt für unsere Füße. So holen wir gleichzeitig aus, eine Knochenlanze und eine aus Feuer bereit, auf unser Ziel gerichtet, je ein glühend rotes Dämonenauge tief in einem Helm aus Dämonenstahl.
Der Knochen schabt an meinem Handgelenk vorbei. Feuer züngelt um den Arm des letzten Skeletts der Armee.
Dresch Zocker hat ausgebrüllt. Nur mehr ein hilfloses Pfeifen entweicht seinen Lungen, und dann fällt er wie ein Erdrutsch. Nach vorne.
Gerade so schafft der Meister es, die Knochen um sich aufzulösen, stolpert rückwärts – und der Aufprall des Giganten wirft ihn von den Beinen.
Ich lande sanft, schlendere zu ihm und möchte ihm eine Hand anbieten, aber er hat sich schon alleine hochgestemmt.
"Befehl erfüllt", erkläre ich. "Nur sein Sturz hat dich umfallen lassen."
Er funkelt mich an. "Schön, dass ich mich auf deinen Gehorsam so verlassen kann, Dorelem."
Während er sich Schnee von der Rüstung klopft, eruptiert Dresch Zockers Kadaver plötzlich in einem Schauer aus Fleischstückchen. Zwischen den Panzerplatten treten neue Skelette hervor.
Fast Verschwendung, diese Mengen an Metall einfach liegen zu lassen...
Hm.
Wenige Minuten später starren wir eine fast senkrechte Felswand hoch.
"Klettern behagt mir so gar nicht", bemerkt der Meister.
"Es soll eine Höhle geben, durch die wir einfach höher gelangen können."
Er hebt eine Augenbraue in meine Richtung. "Und woher weißt du das?"
"Ich rede mit Leuten", beiße ich zurück. Sein Mund verzieht sich, aber ich lasse nicht locker. "Und wenn du nicht gar so schnell davon gestürmt wärst, wüsste ich auch noch eine weitere Abkürzung. Davon wollte Anya mir nämlich erzählen, gerade als du mich durch den Wegpunkt gerissen hast."
Er zuckt mit den Schultern. "Die drei Novizennasen haben auf mich gewartet. Da ich dich nicht zur Ablenkung da hatte, habe ich mir verzogen."
Ich breite ungläubig die Arme aus. "Wie kannst du mir das so locker erzählen und dich nicht gleichzeitig abscheulich und feige finden?"
"Du wärst überrascht, wie leicht mir das fällt", brummt er. "Also, wo ist diese Höhle?"
"Vermutlich in der Felswand! Genauere Beschreibungen gibt es nur, wenn man nett Leuten ist, die einem ohnehin helfen wollen!"
"Wir gehen nach rechts", beendet der Meister eisig die Unterhaltung.
Tatsächlich war es die richtige Richtung, und ein offensichtlicher Höhleneingang präsentiert sich uns. Und noch etwas – ein Wegpunkt davor, sauber eingezäunt!
"Begrenzt praktisch, aber ich nehme ihn", erklärt der Meister. "Wie heißt die Gegend?"
"Arreat-Hochebene", antworte ich abwesend.
"Wenn ich dazu anmerken dürfte", meldet sich der Zweite. Der Meister nickt, dann erst redet der Zweite weiter.
"Die Barbaren würden garantiert eine Lieferung bereits verarbeiteten Metalls schätzen. Dresch Zockers Panzerung liegt nicht fern von hier und die Skelette könnten sie komplett tragen. Wenn wir sie mit dem Wegpunkt in die Stadt schaffen, ist es sicher möglich, dafür etwas über diese mysteriöse Abkürzung zu erfahren."
Der Meister zuckt mit den Schultern. "Es ist einen Versuch wert und kostet kaum Zeit."
Schon machen sich die Skelette auf den Weg zurück, während der Meister den Wegpunkt aktiviert. Kurz darauf kommen wir in der Stadt an, die Krieger voll beladen.
Mehrere Barbaren, die auf dem Hauptplatz eher lustlos Wache hielten, springen hastig auf die Füße, aber der Meister beschwichtigt. "Bin nur ich, und ich habe Geschenke dabei. Möchtet ihr Larzuk Bescheid sagen, der will sicher einen Blick darauf werfen?"
Ich bemerke, dass Hunradil in der sich schnell sammelnden aber überschaubaren Menge steht und gerade etwas zu einem Barbaren gesagt hat. Jetzt nähert er sich und ich tippe dem Meister bewusst übertrieben auf die Schulter.
Er seufzt theatralisch, als er sich zu dem Novizen umdreht. "Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt mich in Frieden lassen?"
"Du hast nicht viel gesagt, bevor du davon gelaufen bist", ätzt Hunradil zurück. "Hast du Angst vor uns? Wir sind bereit, ein ruhiges Gespräch mit dir zu führen, obwohl jeder von uns Gründe hätte, dich niederzubrüllen. Bist du dazu etwa nicht in der Lage?"
"Ich bin auch nicht an einer zivilen Konversation mit den Fliegen interessiert, die ich wegscheuche." Der Meister dreht sich weg, weil Larzuk aufgetaucht ist. "Oder zerquetsche", fügt er halblaut hinzu, bevor er den Barbaren anspricht. Ich beschließe, nicht zuzuhören und geselle mich stattdessen zu Hunradil.
"Keine Ahnung, was ich tun soll, wirklich."
Sein Blick ist unverhohlen feindselig. "Ach wirklich."
Da kommen Lixt und Dostrian. Die drei Novizen nicken einander zu, dann fühle ich etwas sehr Angenehmes, als Lixt zu mir tritt und eine Hand auf meine Schulter legt. "Du hast es nicht geschafft, ihn zu überzeugen, oder?"
"Ich würde ja sagen, ich hatte keine Gelegenheit, aber in Wirklichkeit war ich zu sehr damit beschäftigt, damit klarzukommen, dass er sich quasi aus der Stadt hat werfen lassen."
"Dafür scheint er jetzt ja doch wieder recht beliebt zu sein...", merkt Dostrian trocken an.
"Meine Idee", flunkere ich. "In Wirklichkeit will er etwas von ihnen...das könnte fast die einzige Möglichkeit für euch sein, an ihn heranzukommen. Wenn ihr nicht wie ich krampfhaft darauf hofft, dass er seine goldene Seelenfalle sofort auszieht, sobald Baal gefallen ist."
"Und das ist beschlossene Sache?", stichelt Hunradil.
Ich seufze. "Es kommt mir zumindest deutlich schaffbarer vor als ihn nur mit Worten von seinem Weg abzubringen."
Dostrian schießt einen Blick zu jedem von uns. "Nur mit Worten, hm?"
Hunradil schlägt eine Faust in die Handfläche. "Wenn wir schnell genug handeln..."
Eine vage Hoffnung flammt in mir auf, aber da springt der Zweite in den Vordergrund und zertritt sie. "Ich bin unter seiner absoluten Kontrolle. Selbst wenn ich euch helfen sollte, ein Wort von ihm und meine Klauen landen in euren Kehlen."
"Kling nicht gar so begeistert", knurrt Hunradil. Lixt wird kurz bleich, ich fühle mich ähnlich, aber dann formen ihre Lippen die "Zweiter?"-Frage, und ich nicke ihr unmerklich zu, wenigstens an dieser Front beruhigt.
Da bemerke ich, dass der Meister mit Malah geredet hat...und auf unsere Gruppe deutet. Die Barbarin wirft uns einen Blick zu, scheint kurz zu überlegen, zu einer Entscheidung zu kommen, und deutet dann zuerst auf drei Krieger, dann auf uns.
Die Barbaren stapfen auf uns zu, an mir vorbei, und packen Dostrian, Hunradil und Lixt an den Oberarmen, bevor diese reagieren können.
"Was soll das?", protestiere ich. Malah schüttelt übertrieben den Kopf in meine Richtung; sie will, was auch immer hier vor sich geht, offenbar schnell über die Bühne bringen. Der Meister ignoriert ihren unausgesprochenen Wunsch, tritt zu uns und versetzt dem wehrlosen Dostrian eine Ohrfeige mit voller Wucht. Die Schuppen seines Handschuhs reißen Wunden in die Wange des Novizen.
Lixt keucht. Hunradil reißt den Mund auf und wilde Flüche auf den Meister entfahren ihm. Ich trete einen Schritt nach vorne...
"Keinen Zentimeter wirst du dich bewegen, Dorelem."
Ich muss inne halten, kann nicht mal vor Wut zittern. Aber im Gegensatz zu einem Menschen muss ich keinen Muskel bewegen, um etwas zu sagen.
Nein! Du wirst die Klappe halten, sonst machst du garantiert alles noch viel schlimmer!
Ich muss etwas tun!
Du kannst nichts tun – seit Monaten nicht! Sieh es endlich ein!
Der Meister packt Hunradil am Kinn und zieht seinen Kopf ganz dicht an den eigenen.
"Sei still", erklärt er, und Hunradil gehorcht. Der Meister tritt weit genug zurück, um alle drei Novizen gleichzeitig ins Auge fassen zu können.
"Ihr habt hiermit die eindeutige Weisung erhalten, mir nie wieder unter die Augen zu treten. Meine Freunde werden euch wegsperren, weil euere bloße ablenkende Existenz eine Gefahr für meine Mission darstellt. Unabhängig davon, ob ihr etwas mit dem Tod von Emund zu tun habt, sind Verräter grundsätzlich nur als Leichen in meiner Nähe geduldet."
Emunds...ernsthaft?
Natürlich – er hat Malah gesagt, dass sie als Totenbeschwörer natürlich genauso den Mord verübt haben könnten. Die Jungen haben kein Alibi, und Malah wie auch Nihlathak brauchen einen Erfolg, um nicht an Macht zu verlieren nach der Vorstellung des Meisters heute Morgen.
Dostrian, wofür ich ihn in diesem Moment bewundere, kann man immer noch fast keine Emotion in der Stimme nachweisen.
"Wovon redest du überhaupt, Neflum? Niemand hat dich in irgendeiner Weise verraten! Wir wollen für ein paar Minuten mit dir reden, warum behandelst du uns wie Todfeinde?"
Der Meister hatte sich schon halb abgewandt, jetzt fährt er wieder herum. "Wenn du dich erinnerst, du Made – jemand hat Valtores von unseren kleinen privaten Unterrichtsstunden erzählt. Das hat meine Pläne gewaltig umgeworfen und aufs Schlimmste in Gefahr gebracht. Ich habe keine Ahnung, welchen positiven Effekt du dir dabei erhofft hast, außer natürlich deine Nase noch tiefer in das meisterliche Arschloch schieben zu können, aber was ich weiß ist, dass ich dich in Zukunft so fern wie möglich von mir halten werde! Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, dass hier wider erwarten doch so etwas wie Zivilisation herrscht, sonst könnten dich deine wertlosen Freunde schon längst von den Wänden putzen. Verrotte in einem Verließ oder so und lass mich in Ruhe."
Und damit lässt er die Novizen endgültig zurück, die unter wenig Protest von den Barbaren abgeführt werden.
"Du hast dir in den Kopf gesetzt...dass Dostrian dich verraten hat...und das alles nur deswegen?", flüstert Lixt, genug hörbar auch wenn man nicht ich ist, aber der Meister ist taub für sie. Und ich kann mich immer noch nicht bewegen.
Während der Großteil der noch verbliebenen Barbaren sich gerne von Larzuk einspannen lässt, um die Metallteile zu verräumen, tritt Malah für ein Vieraugengespräch zum Meister.
"Du bist dir natürlich relativ sicher, dass sie nicht für Emunds Tod verantwortlich sind", bemerkt sie missbilligend.
"Die? Nie im Leben, das sind ekelhafte Gutmenschen. Hunradil vielleicht, aber der ist dafür viel zu blöd. Nein, ich wollte sie aus dem Weg haben, und das nutzt, wie gesagt, uns beiden. Wenn du sie einfach hinter Gittern hältst, bis Baal tot ist, bin ich schon glücklich."
"Ich werde dafür sorgen, dass es ihnen gut geht, und die Wunden des armen Jungen versorgen", funkelt Malah den Meister an. Dieser bemerkt die Spitze natürlich nicht oder ignoriert sie. Stattdessen spricht er an, weswegen er überhaupt vorzeitig in die Stadt gekommen ist.
"Ich müsste mit Anya reden, wo finde ich sie?"
"Das wüsste ich selbst gerne, General. Sie ist seit heute Morgen verschwunden."
Sein Kopf fährt herum, aber nicht zu Malah, sondern in die Richtung, die ihm schon nach dem Aufwachen so wichtig war. Sein Mund verzieht sich zur Grimasse.
"Wo ist Nihlathak?"
"Auch den habe ich..."
Malah verstummt.
"Was weißt du, was ich nicht weiß?", stößt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Oh-oh...
Der Meister reibt sich die Hände.
"So Einiges. Aber das Relevante im Moment ist, dass ich auf Ältestenjagd gehen werde, und du wirst mir dabei nur zu gerne helfen, Malah."
 
Das Kapitel ist wie immer spitze. Dass du nicht alle Gespräche als Gespräche zeigst, fällt kaum auf (habe es erst durch den Spoiler überhaupt bemerkt). Negativ ist es auf keinen Fall, aber du könntest die dadurch gesparten Seiten einfach mit mehr Story füllen :D. Dann wirst du noch schneller fertig und wir haben noch mehr zu lesen ;).
 
Spaß macht es nämlich schon, aber ich hab natürlich auch noch andere Verpflichtungen ;).

Dennoch! Dieses Wochenende wieder mit dem Zug gefahren, und das trägt immer schwer zur Produktivität bei. Dachte zunächst auch, das Kapitel muss noch viel länger werden, bevor ich es euch gebe; aber dann ist mir aufgefallen, dass ich einige nette Szenen mit eigentlich ganz interessanten Gegnern bringen könnte, und hab die unausweichliche Konfrontation doch aufs nächste Kapitel verschoben. Macht die Sache derweil...spannender, nicht?
 
Kapitel 29 – Temperatursturz






In unserem Haus lässt sich der Meister Zeit damit, seine warme Milch zu genießen, die er gefordert hat, bevor er Malah – und mir! – erzählt, was er offenbar besser weiß als wir. Der Zweite könnte mittlerweile darauf gekommen sein, aber der ist natürlich auch wenig zuvorkommend.
Endlich ist die Tasse leer. Es ist klar, dass das nur als Machtdemonstration gedient hat – soweit ich weiß, mag der Meister Ziegenmilch nicht einmal. Das mag Malah auch klar sein, aber sie kann im Moment genauso wenig tun wie ich. In kürzester Zeit hat der Meister bewiesen, wie nützlich er ist, dann wie unersetzlich er ist, und dann, wie viel er sich erlauben kann: alles. Mir ist das mindestens so unrecht wie den Barbaren.
"Nihlathak hat Emund ermordet", erklärt der Meister nun ruhig, und Malah keucht, während ich ruhig bleibe; dass er darauf hinaus will, war mir schon klar. Der Älteste, der uns bisher immer unterstützt hat, durch sein Wort, durch Taten...ich kann es mir selbst schwer vorstellen, dass ausgerechnet er uns verraten hat. Die Frage ist also, ob der Meister Nihlathak nur genauso wie die Novizen für ein Verbrechen anschwärzen will, dass er nicht begangen hat, oder ob es tatsächlich die Wahrheit ist.
"Das ist eine stolze Behauptung", antwortet Malah zähneknirschend, aber der Meister lächelt nur und schnippt nach neuer Milch. Bevor Malah sich dazu herab lassen muss, trete ich hinzu und übernehme es; heizen kann ich sie selber und ich kann auch aus dem Nebenraum hören, was sie bereden.
"Mein Beweis ist ganz einfach, denn er hat ihn selbst erbracht", erklärt der Meister weiter. "Wie dir sogar die drei Versager aus Nekropolis bestätigen können, bin ich auf der Suche nach den Teilen von Trang-Ouls Avatar, einem Rüstungsset, von dem ich bereits vier Teile trage. Dies ermöglicht es mir, den Aufenthaltsort des letzten zu spüren, zumindest sollte es das. Ich wusste die ganze Zeit, dass es hier in der Gegend ist, aber etwas hat meine Wahrnehmung genug gestört, dass ich nicht genau sagen konnte, wo ich es finde. Das hat sich aber heute morgen geändert; als ich aufwachte, war es mir klar. Trang-Ouls Flügel, der noch fehlende Schrumpfkopf, war in Nihlathaks Haus."
"Auch das kann ich nicht als Beweis gelten lassen..."
Der Meister hebt den Daumen. "Der Flügel verstärkt Knochenzauber wie den, der Emund ermordet hat. Auch ein Anfänger könnte damit einen tödlichen Knochenspeer hervorbringen."
Er wechselt auf Zeige- und Mittelfinger; man erkennt wieder deutlich, dass er sie nicht ganz ausstrecken kann. "Es ist gut möglich, dass diese Benutzung des Kopfes dazu geführt hat, dass ich ihn wieder spüren konnte. Da der Mord über Nacht passiert ist und ich es gleich nach dem Aufwachen bemerkt habe..."
Drei Finger. "Und zuletzt: ich habe mit meiner Nachricht während der Versammlung Anya gebeten, in Nihlathaks Haus für mich nachzuforschen. Jetzt sind sie und der Älteste verschwunden. Hat sie sich vielleicht erwischen lassen und wurde erführt, hm?"
Malahs Hände verkrampfen sich. "Du...bist für ihr Verschwinden verantwortlich?"
Mit zynischem Lächeln schüttelt der Meister den Kopf. "Keineswegs – das sind Nihlathak und ihre Unfähigkeit, sich nicht erwischen zu lassen. Ich habe lediglich versucht, meine eigentliche Mission voranzustellen, nämlich den Berg und die Welt von Baal zu befreien. Aber wenn du mich nett bittest, dann kann ich meine Prioritäten natürlich auch ändern."
"Nein", knurrt Malah, was den Meister nicht eindeutig sichtbar, aber ich denke doch überrascht.
"Ich werde nicht vor dir zu Kreuze kriechen, du Schlange", fährt die Barbarin fort. "Dass Anya auf deine vergifteten Bitten gehört hat, ist in der Tat ihre Schuld. Niemals würde sie wollen, dass ich noch mehr Schuld auf sie lade, wenn ich dir jetzt nachgebe, nur damit du bekommst, was du willst und sie nebenbei rächst."
Sie steht auf und rammt dem Meister einen Finger vor die Brust. "Du wirst den Tod meines letzten Kindes nicht als Hebel verwenden können. Dass du das versucht hast, sagt mir, dass ich keinem deiner Worte je glauben sollte. Ich werde jetzt gehen und dich aus dem Dorf werfen lassen, weil ich glaube, dass du noch viel gefährlicher bist als Baal es je sein könnte. Versuch nur, mich aufzuhalten!"
Ihre feurigen Augen kommen der Maske des Meister ganz nahe.
"Ich habe nichts mehr zu verlieren."
Bravo!
Du wirst dem nicht ernsthaft applaudieren.
Sie hat das ausgesprochen, was ich auch gerne würde.
"Mit dem Tod deiner Tochter würde ich nicht handeln, und auch nicht mit dem Nihlathaks, wobei das sicher geschehen wird. Mit ihrem Leben hingegen...damit kann ich dienen, denke ich."
Malah war schon halb zur Tür, aber jetzt hält sie inne. "Gibst du zu, dass du sie als Geisel hast? Das wird meine Entscheidung genausowenig beeinflussen."
"Nicht ich, Nihlathak hat sie als Geisel. Und zwar nicht, um Druck auf dich auszuüben...sondern auf mich. Er will den Rest des Sets, das ist mir jetzt klar. Darum hat er Emund darauf angesetzt, es mir abzunehmen, darum hat er versucht, mich einsperren zu lassen – denn dann hätte man mich garantiert die Rüstung ablegen lassen."
"Was soll ihm Anya als Geisel denn dir gegenüber bringen?", frage ich entgeistert.
"Er denkt, dass ich ein Held bin", kichert der Meister in meine Richtung, und das gibt Sinn, und dass er es lachhaft findet jagt mir die kältesten Schauer über den Rücken.
"Wenn Emund sein Agent war, warum hätte er ihn umbringen sollen, und nicht irgendjemand anders?", fragt Malah vorsichtig. Ihre Hand ist auf dem Türknauf.
"Ich gebe zu, dass ich diese Frage nicht beantworten kann. Aber das ist irrelevant – ich kann und werde Anya retten, weil Nihlathak sie als Köder für mich ausersehen hat."
"All das beruht immer noch ein wenig zu sehr auf der Annahme, dass ich dir als selbsterklärten schlechten Menschen Glauben schenke. Nihlathak könnte aus unzähligen Gründen zusammen mit Anya verschwunden sein."
Die Antwort auf die Frage, warum Emund gestorben ist, ist doch offensichtlich...nur nicht für den Meister in seinem jetzigen Zustand. Wobei ich es natürlich auch noch besser weiß, da ich tatsächlich mit Emund geredet habe. Aber ich werde das jetzt nicht aussprechen. Malah wird die Tür öffnen und das ganze Dorf wird dem Meister hoffentlich Sinn und Verstand einprügeln – beginnend mit einer überfälligen Entschälung aus einem gewissen goldenem Käfig.
Ach, was ist denn der Grund für Emunds Tod? Warte...
Nein!
Oh! Ja, das gibt natürlich Sinn. Denk nächstes Mal leiser, mein Lieber!
Sei still!
Keine Chance.
"Ich weiß, warum Nihlathak Emund umgebracht hat", sagt der Zweite, und ich kann ihn nicht aufhalten.
"Du bist auf seiner Seite, Dorelem?", fragt Malah entkräftet.
"Ich bin auf der Seite der Wahrheit", erklärt der Zweite großspurig. "Emund hat viel mit mir geredet, und mir anvertraut, wie beeindruckt er von den Fähigkeiten meines Meisters doch ist. Nach ein paar Kämpfen mit uns war er davon überzeugt, dass wir dieser Welt retten können – nie hätte er uns danach verraten, uns entscheidend geschwächt und Nihlathak die Rüstungsteile überbracht. Als ich mich das letzte Mal von Emund verabschiedete, an seinem späteren Totenbett, kam gerade Nihlathak herein. Er wird seinen Agenten gefragt haben, warum dieser noch keinen Erfolg hatte. Emund, ehrlich wie er ist, wird ihm gesagt haben, dass er nunmehr aus Überzeugung für meinen Meister arbeiten möchte. Nihlathak hat befürchtet, dass dies bedeuten würde, dass Emund verrät, ursprünglich nur für Nihlathak gearbeitet zu haben, und ihn umgebracht – was gleichzeitig eine Möglichkeit für den werten Ältesten war, meinen Meister des Mordes anzuklagen und ihn unberüstet ins Gefängnis werfen zu lassen."
Malah überlegt für einen entscheidenden Moment...und nimmt die Hand vom Türknauf.
"Ich vertraue dir, Dorelem. Wenn du glaubst, dass es so war, dann möchte ich dich bitten, einen Beweis zu liefern."
Du Bastard!
Was, willst du Nihlathak nicht dafür büßen lassen, was er getan hat?
Wenn er es getan hat, natürlich! Aber viel lieber hätte ich den alten Meister zurück gehabt!
Du hängst immer noch an dieser leeren Hoffnung? Hör auf zu träumen, bald ist ohnehin Zeit, aufzuwachen.
Was meinst du damit?
"Vielen Dank, Malah", sagt der Zweite. "Das sollte nicht schwer sein. Ich stimme meinem Meister zu, Anya ist als Köder für ihn entführt worden. Alles, was wir tun müssen, ist in die Falle zu laufen."
"Du musst in die Falle laufen, Dorelem. Niemand sagt hier etwas über den General."
"Das wird nicht funktionieren, Malah", grinst der Meister selbstgefällig. "Nihlathak will mich oder besser meine Rüstung. Wenn ich nicht komme, ist Anya verloren. Also regeln wir das gemeinsam, und Dorelem kann dir danach bezeugen, dass Nihlathak tatsächlich Schuld hatte."
Sein Grinsen geht nun an mich, oder besser an den Zweiten; ich würde etwas sagen...aber ich kann nicht.
"Der darf sich dann schon selbst verteidigen", knurrt Malah.
Der Meister schnaubt amüsiert und belässt es dabei; nein, er hat nicht im Mindesten die Absicht, den Ältesten leben zu lassen. "Die Frage ist nun, wo er möchte, dass wir ihn finden", sagt der Meister stattdessen.
"Anya wollte mir eine geheime Route durch den Berg verraten, mit Hilfe derer man schneller an die Spitze käme", wirft der Zweite ein. "Kennt Nihlathak diese auch?"
"Sie wollte dir was verraten?", ruft Malah entgeistert. "Ich vertraue dir ja auch, aber doch nicht damit!"
Der Zweite zuckt mit den Schultern. Der Meister macht eine ungeduldige Geste.
"...ja, es gibt einen solchen Weg, und ja, als Ältester kennt Nihlathak ihn", knirscht Malah.
"Und du auch nur, weil du mit einem Ältesten verheiratet warst, hm?", stichelt der Meister. "Das ist die Verbindung zwischen dir, Anya und Nihlathak. Falls sein Plan wirklich war, Anya als Geisel zu nehmen, ist das ein klares Zeichen auch an dich, Malah – nur du kannst mir sagen, wo der Geheimweg ist, und nur ich kann dort überhaupt hin, ohne massakriert zu werden. Damit würde er bekommen, was er will. Also sage ich, statt auf eine Einladung zu warten, gehen wir da hin und haben die Chance, ihn zu überraschen. Wenn nicht, sind wir Baal einen Riesenschritt näher gekommen und suchen eben als Nächstes wo anders. Also – rück das Geheimnis raus!"
"Ich schwöre dir, wenn es nicht um das Leben meiner Tochter ginge..."
"Tut es aber. Los."
"Gib mir etwas zu schreiben", stößt Malah zwischen den Zähnen hervor. Sie tut mir so Leid...aber bei Lichte betrachtet geht es mir noch schlechter als ihr. Wenigstens kann sie noch überhaupt etwas tun, wenn sie will. Und sie wird das niemals auf sich sitzen lassen...so gesehen muss ich es eigentlich begrüßen, dass der Meister sie mit derartiger Verachtung behandelt. So ist es wahrscheinlicher, dass sie sich etwas einfallen lässt, um ihn aufzuhalten. Ich hasse es, so denken zu müssen, aber was habe ich sonst für Optionen?
Aufhören, zu denken?
Bald ist eine grobe Karte der Höhle gezeichnet, die wir gesehen haben. "Dieser Gang wirkt unpassierbar, da konstant Wasser von der Decke tropft. Es friert, und wirkt dann wie eine von Eis überzogene Wand, von denen es einige im Kristalldurchgang gibt. Aber man kann sich einfach hindurch schmelzen, was dir möglich sein wird", erklärt Malah mit einem Blick zu mir.
"Dann müssten wir ja ohnehin sehen, wenn Nihlathak diesen Weg genommen hat", wirft der Meister ein.
"Nein, er ist ein passabler Eismagier. Nach dem geheimen Durchgang liegt ein kleines Labyrinth an Gängen, von denen wieder einer, der nur unpassierbar scheint, der richtige ist; die Bedingungen in der Höhle sind tatsächlich nicht geeignet, um Stalaktiten wachsen zu lassen, wenn ihr solche seht, sind sie falsch und lassen sich lockern. Bald nach diesem Hindernis werdet ihr dann eine Felstreppe erreichen, die auf der Rückseite eines Felsens eingehauen ist, der auf den ersten Blick so wirkt, als würde er einfach nur an der Wand lehnen."
"Das ist aber ganz schön ausgeklügelt, nur um eine kleine Abkürzung zu verbergen", spielt der Meister herunter.
"Eine 'kleine Abkürzung', die drei Tagesmärsche spart – Zeit, die Baal zum Beispiel länger gebraucht haben wird, um den Gipfel zu erreichen. Jede Sicherheitsvorkehrung wiegt diesen Gewinn um ein Unendliches auf."
"Na dann. Hast du dir die Karte eingeprägt?", frag mich der Meister. Der Zweite bejaht.
"Dann geht mir aus den Augen und ich bete zum den Vorvätern, dass ich nicht gerade den größten Fehler meines Lebens begangen habe!", spuckt Malah. Der Meister verbeugt sich mit breitem Grinsen, und wir marschieren unbehelligt zum Wegpunkt.
Bald darauf sind wir in der Höhle. Es ist überraschend hell – mein Feuer reflektiert von unzähligen Eiskristallen, die die Wände über und über bedecken, verzieren. Es ist wunderschön.
"Mach ein wenig heißer", befiehlt der Meister.
Ich drehe die Flamme auf, bevor mich die Beherrschung packt. "Das könnte aber die Wände anschmelzen", protestiere ich.
"Dann stehen wir eben nicht blöd rum und bewundern die Szenerie. Du führst uns."
Ich seufze. Durch die engen Passagen können gerade einmal drei Skelette nebeneinander gehen, was dem Meister natürlich auch unschlagbar Sicherheit gibt, falls uns etwas angreifen möchte. Zielstrebig lasse ich einige Seitengänge hinter mir, im genauen Bewusstsein, wohin es geht. Wenn Malah uns nicht die Karte aufgezeichnet hätte, wir wären hier Stunden unterwegs gewesen und nur damit beschäftigt, uns zu verlaufen.
Natürlich nicht, wir hätten immer noch eine geistige Karte gehabt.
Du weißt, was ich meine. Und ich meine auch, dass wir Malah viel einfacher dazu hätten bringen können, uns diese Route zu verraten. Oder wir hätten Anya reden lassen können.
Hätte, wäre, wenn. Die Zeit drängt, und das was bei Weitem das Effizienteste. Du kannst dich ja im Nachhinein wortreich entschuldigen, wenn dir danach ist.
Plötzlich ein Fauchen von hinter mir. Aus dem dunklen Durchgang, den ich gerade passiert habe, aber noch bevor der Meister mit seinem Kordon an leuchtenden Feuermagiern ihn erhellt hat. Ich fahre herum.
Der Meister schnippt mit den Fingern. Die Skelette formieren sich um und machen mir eine Gasse. Zwei Wächter stellen sich neben mir auf.
"Schau nach."
Ich tue wie geheißen.
Etwa ein halbes Dutzend Stacheln bohren sich in meinen Tonkörper.
Das Licht meiner unbeindruckt weiter leuchtenden Flamme zeigt mir geduckte Körper, die in den Schatten kriechen. Die Silhouetten kommen mir bekannt vor...
Sind das Stachelratten?
Aber mit Eisstacheln.
Der Zweite badet sie in Feuer.
Ich sehe kein Eis.
Die herrlichen Kristalle an den Wänden liegen schmelzend auf dem Boden, löschen die dampfenden Leichen der Dämonen schnell.
Ich auch nicht mehr...
Noch zwei mal versuchen sich die Monster an einem Hinterhalt, aber die erste Gruppe hätte ihre Präsenz nicht verraten sollen, jetzt sind wir gewarnt. Die letzten lässt der Meister im Vorbeigehen von Skeletten ausheben, ich muss nicht einmal stehen bleiben.
Gleich sollten wir die Wand erreicht haben, die keine ist. Hinter der nächsten Biegung...
Ich halte inne.
"Was ist los?", verlangt der Meister.
"Hier sollte die Eiswand sein – der Weg ist aber offen", erkläre ich.
"Also will Nihlathak, dass wir him folgen."
"Oder er war sehr in Eile."
Der Meister schnaubt. "Mit mir auf den Fersen würde ich auch rennen. Aber nein, die Falle beginnt spätestens ab hier. Du gehst voran."
Zückersüß.
Es scheint, als wäre hinter dem gefrorenen Wasserfall grundsätzlich mehr Wasser geflossen, als es noch flüssig war. Der Weg verengt sich, Eis umschließt uns in kalter Umarmung; es ist so massiv, dass ich nicht mehr viel davon anschmelze. Tatsächlich drehe ich die Hitze langsam etwas herunter; ich muss auch in diesem neuen Körper zumindest etwas haushalten mit meiner Energie unter diesen extremen Bedingungen. Der Atem des Meisters ist klar sichtbar; er ist regelmäßig und ruhig. Eiskalt. Ob ihm die Kälte zumindest heimlich etwas ausmacht?
Es ist unglaublich trocken hier, besonders jetzt, wo wir keinen Dampf mehr erzeugen. Das kann man gut aushalten.
Durch eine besonders enge Passage muss ich mich seitwärts quetschen. Hoffentlich wird das nicht noch enger! Und ich dachte, nach der Wurmgruft hätten wir schon alles gesehen.
Die Skelette zwischen mir und dem Meister können normal hindurch gehen, nur eines bleibt mit der Schulter an einem Eiszapfen hängen, der aus der Wand absteht.
Jetzt ist der Meister dran, wegen seiner Rüstung muss er sich schon drehen...
Moment, abstehende Eiszapfen?
"Halt!", brüllt da der Zweite.
Der Meister zuckt instinktiv zurück – und die eisbezackten Wände rammen zusammen, erwischen immerhin nur seinen Arm. Als sich unter Knirschen das Eis entfaltet, schafft der Meister eine Geste. Eine Knochenrüstung formt sich von seiner Schulter an, den Arm herab, drückt das Eis auseinander, und er ist frei.
Lange, affenartige Arme; halslose Köpfe ohne Gesichtszüge; schlanke Körper, die nur aus Dornen bestehen, halb durchsichtig. Was wir eine Verengung glaubten, waren zwei Monster aus Eis, die sich an die Wand geklammert hatten.
Sie öffnen Kiefer wie Gletscherspalten, und todeskalte Luft entweicht. Man würde es als sofort kristallisierendes Wasser sehen, wenn die Luftfeuchtigkeit hier höher wäre. So trifft es den Meister, der weiter zurückstolpert, ohne ihm Raureif ins Gesicht zu zaubern; aber von der plötzlichen Kälte zerspringen seine Lippen fast sofort, wie sie sich auch blau färben. Das ganze Antlitz, um genau zu sein; seine Bewegungen verlangsamen sich...die Kälte ist mehr als nur gewaltig. Sie ist magisch.
Die Hand am unverletzten Arm findet den Knauf des Jade-Tan-Do. Der Anteil der Magie wird negiert, das Stolpern des Meisters gewinnt normale Geschwindigkeit, und ein Hieb aus grausamen Zapfenklauen zerschmettert ihm nicht die Brust in der Rüstung, sie streift diese nur, wirft ihn zurück, aus der Bahn des Eisatems.
Die Wächter hinter mir haben sich umgedreht und prügeln auf die Monster ein, aber obwohl sich Splitter noch und nöcher lösen, zeigen die sich relativ unbeeindruckt. Sie schreiten wohlkoordiniert nebeneinander auf den gefallenen Meister zu...
Zwei Flammenspeere finden ihr Ziel, durch die Brustkörbe der Skelette hindurch. Unter Dampfen und Zischen vergehen die Monster.
Der Meister hat sich von zwei Magiern aufheben lassen und wärmt sich an den Feuerkugeln des dritten. Seine Stimme ist ein Krächzen. "Wie hast du sie gerade noch rechtzeitig erkannt?"
Der Zweite erklärt. "Nie wieder", nickt der Meister.
Gern geschehen.
Wir machen unsere Arbeit, und das war gerade fast schlecht.
Es war ziemlich gut.
Wir wollten vorsichtig sein, waren es aber nicht. Das sehe ich genauso wie er als Versagen. Hoffentlich ist sein Arm in Ordnung. Willst du ihn fragen?
Du nicht?
Steht mir nicht zu, wenn er es nicht freiwillig mitteilt.
Und ich soll deine Drecksarbeit machen bei dem Irren, zu dem er geworden ist? Nein, danke. Und wenn er gebrochen ist, das wird er genauso ignorieren wie seine verbrannten Hände. Man könnte meinen, es sei nicht sein eigener Körper.
Auch die Steinsäulen der zweiten Verschleierung des echten Weges liegen achtlos verstreut.
"Will Nihlathak, dass Baal den geheimen Aufgang findet?", frage ich ungläubig.
Der Meister lässt den Blick gedankenverloren an die Decke wandern. "Könnte man fast meinen...worauf wartest du?"
Ich sage nichts, gehe weiter.
Da zischen an mir vorbei und über mich Feuerblitze. Wieder ein Fauchen...
Vorsicht!
Der Zweite übernimmt einfach gleich die Kontrolle und bewegt uns zur Seite, aber es ist zu spät. Mit großem Splittern landet eine Eisbestie auf uns, und für einen Moment muss ich mich erst wieder sammeln.
"Du passt also auf, ja?", hebt der Meister eine Augenbraue.
Ich balle die Fäuste, stemme mich hoch, ignoriere ihn und marschiere weiter.
Nur kurze Zeit später erreichen wir den Felsen, der die Treppe nach unten maskieren soll.
Mein Blick streift über die Wände. "Das wäre der ideale Ort für einen Hinterhalt."
"Zum Beispiel von hinter dem Felsen", stimme ich zu.
Der Zweite tritt einen Schritt näher zum Meister. "Verzeiht bitte", sagt er, lehnt sich näher hinzu und flüstert ihm ins Ohr. "Haltet Ihr es für eine gute Idee, Widerstandsschwund zu fluchen, wenn ich ein Zeichen gebe?"
Er nickt knapp. Der Zweite schlendert um den Felsen herum; tatsächlich ist er an der Rückseite ausgehöhlt und Stufen sind in den Berg getrieben.
Eng hier.
Du meinst, hier warten wieder welche?
Nun, das findet sich ja leicht heraus.
"Hier ist es sicher!", ruft der Zweite – aber deutet gleichzeitig rasch auf drei Stellen an der Wand, bei denen ich mir auch nicht ganz sicher bin.
Der Meister hebt die Hand, Lichter tanzen – und setzen sich an zwei der Stellen fest.
Meine linke Faust entflammt, fliegt zur Seite, rammt sich in die Wand, und um sie herum vergeht ein Eismonster. Ein zweites löst sich in einer Salve der Feuermagier auf.
Da, ein paar Meter weiter, als ich erwartet hatte, löst sich ein drittes von der Wand und stürmt auf den Meister zu...
...rennt gegen einen Wächterschild, der seine Knochenzehen in den Boden gegraben hat, dem Ansturm stand hält. Drei Skelette und noch zwei Wächter stürzen sich auf das Monster und zerknüppeln es in Sekunden. Offenbar hat der Meister einige der Skelettwaffen von Klingen auf Keulen umgestellt, und das ohne neue zu beschwören.
Gut so, und auch gut, dass wir ohne Verluste vorrücken. Aus den Biestern kann man immerhin keine neuen erschaffen.
Richtig, das hatte ich gar nicht bedacht...
Wir nehmen die Treppe. Unten weitet sich der Raum sofort. Wir befinden uns nicht mehr in Gängen, die nach und nach in den Berg getrieben wurden, sondern in einer großen, natürlichen Höhle. Der Grund für ihre Existenz schlängelt sich ein paar Meter an uns vorbei: ein träge fließender unterirdischer Strom. Wo kommt dieses ganze Wasser her?
Abfluss von Gletschern.
So oder so sorgt der Fluss dafür, dass es hier paradoxerweise etwas wärmer ist als oben. Es gibt weniger Eis an den Wänden, die auch weiter entfernt sind, also sehen wir weniger. Ich erhöhe meine Helligkeit. Nicht tragisch, da ich durch die höhere Temperatur schließlich auch Energie spare.
Flussaufwärts ist bald Schluss; er entspringt einem Loch aus der Felswand, die das Wasser vor Jahrhunderten durchbrochen hat. Aber man erkennt ohnehin einen von Menschenhand angelegten Weg in Fließrichtung; es gibt sogar stabil aussehende Holzbrücken.
Der Meister kommt an. "Malerisch", bemerkt er. "Nun, es ist klar, wohin es geht – bald sollten wir einen alten Mann, der sich viel zu viel auf seine Schläue einbildet, finden, und dann töten."
Nicht, dass ich Nihlathak Emunds Ermordung nicht auch heimzahlen möchte, aber die komplette Gefühllosigkeit in der Stimme des Meisters lässt mich dennoch erschauern. Er macht das hier nicht aus Rache, aus Zorn, oder gar aus zähneknirschender Notwendigkeit. Es ist für ihn nur der nächste logische Schritt um zu bekommen was er will, und dass es eine Möglichkeit gäbe außer den Ältesten zu ermorden, kommt ihm überhaupt nicht in den Sinn.
Alles andere gäbe nur endlose Probleme.
Malah wollte ihn lebend, damit man ihm den Prozess machen kann. Denkst du nicht, sie würde ihn härter bestrafen als wir das mit einem Schwert durch die Brust je könnten?
Es ist völlig irrelevant, was Malah will.
Wir wissen noch nicht einmal sicher, dass er es überhaupt war!
Auch das ist völlig irrelevant.
Ich seufze laut.
"Ist was?", will der Meister wissen.
Eigentlich würde ich meine Gefühle ja mit ihm teilen, aber ich weiß doch auch, dass es schon lange sinnlos ist. Also schüttle ich den Kopf.
Das wundert mich jetzt aber.
Dass ich allmählich den Mut verliere? Keine Sorge, ich suche mir meine Schlachtfelder nur sorgfältiger aus.
Was interessiert mich das? Nein, ich frage mich, woher dieses Flimmern kommt. Es wird hier doch niemals heiße Luft vom Boden aufsteigen?
Mein Blick schießt auf eine der Stellen, die der Zweite meint. Himmel...das wäre ganz schlecht...
Das Flimmern bewegt sich. Mist.
"Verstreu die Skelette etwas", flüstere ich dem Meister zu.
Er verzieht den Mund, tut es aber. Aus meiner Hand löst sich ein Feuerball, in den Weg der Luftanomalie gezielt...
Als er auftrifft, ein Heulen; für einen Moment wird die Luft stofflich, ein weißes, spinnfadenartiges Gewebe, mit durchsichtigen Auswüchsen wie eine flüssige Flamme, die jetzt in Agonie tanzt. Dann vergeht die Erscheinung, das Heulen klingt hingegen noch lange nach.
Und wird von seinem Surren von überall her beantwortet.
In allen Richtungen um uns herum werden die geisterhaften Seelenkreaturen sichtbar.
Die Luft beginnt zu knistern.
 
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