Kapitel 16 – Sich ähnliche Seelen
Die ersten Giftfürsten sehen uns und grunzen in ihrer gutturalen Sprache kurze Wörter nach hinten. Bald darauf tritt Izual vor seine Truppen. Der Meister pfeift durch die Zähne.
„Du hast nicht übertrieben mit seiner Beschreibung.“
„Alles nur Fassade...“
„General. Ihr habt nicht lange gebraucht, um persönlich vorbei zu kommen.“
„Gab keinen Grund dazu. Izual, also. Welch Freude, dich kennen zu lernen. Golem hat mir schon viel von dir erzählt.“
Izual rammt sein mächtiges Schwert in den Boden.
„Euer Golem ist impertinent, aber Ihr steht ihm kaum nach! Gut, dass Ihr ihn offenbar durch einen neuen ersetzt habt.“
Ich winke mit meiner feuchten Hand.
„So viel Glück hast du nicht, wir dachten nur, dass für dich Metall zu viel wäre, also lasse ich es etwas langsamer angehen.“
„Diese unverschämten Worte wird dein Meister zu spüren bekommen, Golem! General...Ihr beleidigt mich.“
„Oh, das ist natürlich nicht gut, weil das würde ja bedeuten, dass wir diesen Ehrverlust nur durch einen Kampf auf Leben und Tod ausmachen können...wenn ich mich entschuldige, wärst du bereit, eine Tasse Tee mit mir zu trinken und deine Kapitulation zu besprechen?“
„Was...? Ihr redet wirr! Ich werde Euch vernichten!“
Der Meister sieht zu mir herüber und zuckt mit den Schultern.
„Klingt nach einem Nein. Na denn, Attacke!“
Und bevor Izual es sich versieht, stürmen die Skelette auf ihn los. Schnell brüllt er einen Befehl und zieht sich zurück, nicht, dass er sich verstecken könnte: Die Größe seiner Flügel und das schon jetzt aufgeblühte orange Halo über seinem Kopf verraten uns seine Position.
„He, Feigling! Komm doch raus und kämpfe, wenn du schon unbedingt willst!“
Ich ignoriere den Spott des Meisters und zerfließe zu einer Pfütze; wie ich festgestellt habe, ist das die schnellste Art, voranzukommen. Sollen wir an ihren Füßen vorbei und direkt zu Izual?
Dann würden wir innerhalb einer Millisekunde von den Fürsten um ihn vaporisiert. Keine gute Idee.
Na schön. Dann kämpfen wir halt so.
Die Perspektive, aus der ich jetzt sehe, ist etwas ungewohnt, weil selbst auf dem Boden liegend sollte man normalerweise nicht so niedrig sein, aber zu sehen selbst ist kein Problem. Ist ja nicht so, als ob ich Augen benötigte. So habe ich deutlich im Bild, wie der Giftfürst, dem ich mich nähere, keine Ahnung hat, wie er mit mir umgehen soll. Ich fließe auf ihn zu, als er eine Flammenzunge zu Boden speit, blitzschnell weg, lasse einen Teil meines Körpers zurück und strecke den anderen zwischen seinen Beinen hindurch.
Er schlägt auf den Ausläufer, während ich hinter ihm in die Höhe wachse. Mein rechter Arm wird zu einem langen Eiszapfen, und ich übergebe dem Zweiten die Kontrolle, welcher die richtige Position findet, um ihn direkt in das Herz des Gegners zu rammen. Er vergeht, und mit ihm noch mehrere andere seiner Art; unterstützt durch Verstärkten Schaden haben die Skelette keine Probleme, mit ihnen fertig zu werden. Tatsächlich sehe ich sogar, wie eines von ihnen in zwei Infernos steht...jetzt nur noch einem, die Quelle beseitigt...ohne zu zerfallen.
Wenn du aufgepasst hättest, wüsstest du, dass er sie mit dem Stab beschworen hat, der seine Beschwörungszauber verstärkt.
Der Widerstand also?
Vielleicht, oder ihre Lebenskraft. So oder so – sie haben in der Tat keine Chance.
Und da erklingen die ersten Explosionen, die, auch stabverstärkt, gewaltige Löcher in die Formation der Gegner reißen. Es sind viel mehr, aber gegen diese Art von Artillerie kommen sie nicht an.
Sicher?
Ich sehe mich kurz um. Wir haben noch kein Skelett verloren – oder der Meister hat zerstörte ersetzt – aber sie sind tatsächlich schlicht zu wenige, um eine Front zu halten. Die durch die Explosion entstandenen Lücken können wir nicht ausnutzen, weil wir keine weiteren Truppen in die Bresche bringen können. Außer mir vielleicht, aber ich bin auch nur allein...
Die Gegner sind wohl zu ähnlichen Resultaten gekommen und fächern sich auf. Der Meister zieht die Skelette zurück; sie müssen schleunigst näher zu ihm, damit er nicht umzingelt wird.
Und das sollte ich auch. Die rechte Flanke hat ein Skelett weniger zur Verfügung, also gleite ich dorthin. Drei Fürsten überrennen geradezu einen Wächter, das heißt, ich komme gerade rechtzeitig. Mit einem Spritzer zur Seite lenke ich den Führenden ab, dann schieße ich einen Wassertentakel vor, schlinge ihn um den Knöchel eines anderen und lasse den dritten darüber stolpern.
Der erste schlägt sein Schwert durch mich hindurch. Gewaltige Desorientierung setzt ein, als mein Blickfeld zweigeteilt wird...wie mein ganzer Körper.
Reiß dich zusammen!
...ja. Ich forme meine normale Form zurück, und das Schwert bleibt in mir stecken, weil ich das so will. Der Giftfürst bereit ein Inferno vor.
Lass ihn nicht...!
Diese Flammen löschen wir! Ich ziehe mich an seinem Arm hoch, werde zu einer Fontäne, die sich vor ihm aufbäumt – und gerade, als er aus seinem Schlund das Feuer speien will, ströme ich genau dorthinein.
Bist du wahnsinnig?
Hier drin ist es verdammt heiß, dunkel und extrem unangenehm. Aber, Zweiter...hier sind wir nicht lange...du weißt doch sicher besser als ich, dass Eis mehr Volumen hat als flüssiges Wasser.
Ich schockgefriere mich, und bin plötzlich wieder frei. Schnell ziehe ich mich wieder zusammen, entferne Alles aus mir, was nicht zu mir gehört, und drehe mich schnell zum Rest der Gegner, damit ich nicht direkt sehen muss, was ich gerade mit dem letzten angestellt habe.
Schade. Das war...eine ziemlich gute Idee. Hätte ich eigentlich auch drauf kommen müssen.
Mir wird leicht schlecht, als der Zweite überlegt, welchen Effekt es wohl genau auf den Kopf des Fürsten hatte und die Bilder sehr deutlich offen legt. Schnell stürze ich mich in den Kampf gegen den nächsten, der sich aufgerappelt hat. Er zündet sofort das Feuer...und ich glaube nicht, dass ich ausweichen kann.
Es trifft meine schnell hingedrehte Schulter...und Himmel, ist das heiß! So schnell, wie ich gerade gefroren bin, verdampft meine Substanz.
Halt dich zusammen! Das geht, hast du selbst gesagt!
Gaah...ich strecke mich weg von dem Flammenzylinder, ziehe mich zusammen und stelle mich wieder hin. Ganz so schlimm war es jetzt doch nicht.
Wir sind kleiner! Du hast viel zu viel Wasser verdampfen lassen!
Oh...
Sofort muss ich wieder ausweichen, als ein weiterer Feuerstrom kommt. Dieser bricht allerdings abrupt ab, als der Meister mein erstes Opfer explodieren lässt.
„Danke!“
„Komm zurück zu mir, hier wird es ziemlich...“
Da schwirrt plötzlich etwas an mir vorbei, das ich sehr deutlich spüre, ohne es genau zu sehen. Die Luft verzerrt sich dahinter, und nimmt einen leicht rötlichen Ton an...
Oh nein. Das hatte ich befürchtet.
Die Luftverzerrung hält an...und es formt sich eine nur wohlbekannte Form daraus: Eine Seele, wie die im Dschungel. Der Satz des Meisters geht in einen Schrei über, als aus der rot glühenden Erscheinung ein Blitz schießt, der die Wächter vor ihm einfach durchdringt und ihn mit Statik überzieht.
Und bevor er sich auch nur ein wenig erholen kann, schlagen zwei weitere Blitze in ihn ein.
Die Seele vor mir will erneut feuern, aber ich bin längst in ihre Richtung unterwegs. Ich forme einen Eishammer aus meiner linken Hand und schmettere ihn herab, mit der breiten Seite; das bisschen physische Präsenz, das die Seele hat, wird zerschmettert und sie löst sich auf. Ich werde wieder zur Pfütze und fließe so schnell als irgend möglich auf den Meister zu. Dieser richtet sich gerade wieder auf ein Knie auf...
Ich schubse ihn weg, gegen ihn platschend wie aus einem Eimer geschüttet, nur mit dem Effekt, dass ich von einem Blitz getroffen werde...und den Strom an ihn weiterleite. Ein unartikuliertes Heulen entweicht mir...aber ich beiße metaphorisch die Zähne zusammen, löse mich schnell von ihm und versuche, die Quelle der Angriffe ausfindig zu machen. Das...tat weniger weh als letztes Mal?
Wasser leitet auch wesentlich schlechter als Eisen!
Das...gibt natürlich Sinn. Wieder trifft mich ein Schlag, der kurz meine Welt weiß aufstrahlen lässt, da ich vor plötzlichem Schmerz Nichts mehr sehe, aber die akute Pein geht schnell in ein eher irritierendes Pochen über, als sich der Strom langsam über meinen Körper verteilt.
„Danke, Golem...aber du brauchst wirklich nicht als lebendes Schild fungieren. Ich weiche den Blitzen jetzt aus, so schnell schießen die nicht, du kümmerst dich um Izual! Wir haben genug Fürsten erledigt, damit er sich nicht mehr verstecken kann!“
„Bist du dir...“
„Ja, natürlich! Los jetzt!“
Ich zerfließe zu meiner Fortbewegungsform, gerade rechtzeitig, um einem Blitz auszuweichen...der den Meister hinter mir laut fluchen lässt. Sie scheinen nicht akut tödlich zu sein, dem Himmel sei Dank, aber wenn mehrere von ihnen sich auf einmal auf ihn konzentrieren...die grillen ihn!
Umso mehr Grund, ihren Befehlshaber auszuschalten.
Ich weiß gerade nicht, wo er ist. Ich denke, der Meister wird mir verzeihen, wenn ich in einer Richtung suche, wo ich etwas Druck von ihm nehmen kann.
Als ich auf die nächste Seele zugleite, sehe ich, wie der Rest des Kampfes läuft. Abgesehen von den Blitzen – ziemlich gut. Die Fürsten haben nicht den Hauch einer Chance gegen die Skelette, und diese sind quasi immun gegen die Elektrizität.
Magier haben nun ein Prioritätsziel, die Seelen: Feuerblitze beharken diese. Aber auch die Gegner werden mobiler, wechseln oft die Positionen, um nicht getroffen zu werden. Das hält natürlich etwas Sperrfeuer vom Meister ab. Bedeutet allerdings auch, dass die Seele, die ich auf dem Weg zu Izual ausschalten wollte, verschwunden ist. Wohin...
Gehorch seinem Befehl. Izual ist wichtig, die Seelen nicht!
Hier laufen mir immer noch zu viele Fürsten herum...he du, ich brauche etwas bessere Aussicht.
Bevor einer der Dämonen es sich versieht, habe ich mich an ihm hochgeschlungen, bin in jede verfügbare Öffnung seines Kopfes eingedrungen und ertränke ihn somit. Während er unter mir wild um sich schlägt und schwächer wird, strecke ich mich über ihm hoch...und sehe Izual, weit hinter dem Schlachtfeld. Er ist feige.
Der Dämon löst sich unter mir auf. Ich lande sanft, den Weg vor Augen.
Im Moment allerdings noch versperrt von zwei Gegnern.
Lass mich mal.
...wenn es sein muss...bei Dämonen ist mir egal, was du mit ihnen machst.
Der Zweite lässt uns zwei Eissicheln wachsen. Oh...
Einige abgetrennte Gliedmaßen später ist Izual in Sichtweite, und er sieht nicht besonders glücklich aus. Wenn man sein verzerrtes Gesicht überhaupt lesen kann.
„Golem. Du bist eine größere Plage, als ich gedacht hätte.“
„Stets zu Diensten.“
„Und jetzt stirb.“
Auf einmal bin ich das Epizentrum einer Explosion reinster Elektrizität. Damit hatte ich nicht im Geringsten gerechnet. Er hat nicht weniger als fünf Seelen zu seinem eigenen Schutz zurückbehalten? Die Absurdität des Ganzen geht ein wenig unter in meiner Agonie, als mein Körper zu kochen beginnt. Die Schwärze dringt in mein Blickfeld...
Halt...dich...zusammen...
Hilf mir!
Ja...
Der Zweite und ich verwenden unsere gesamte Willenskraft darauf, nicht in einer Wolke Dampf zu verschwinden, als die Blitze kommen. Einer verliert immer wieder die Konzentration, als der Schmerz unterträglich wird, aber nie passiert uns das gleichzeitig. Und so ist auch einer von uns gerade voll unter Kontrolle seiner Sinne, als eine winzige Pause in den Schüssen entsteht.
Wer von uns? Ich weiß es nicht. Aber er wirft uns aus der Schusslinie, bringt den anderen wieder zu sich, und gemeinsam erarbeiten wir uns einen schnellen Plan, wie wir den Seelen – korrigiere, den Brennenden Seelen, das Licht ausschalten können ohne zu sehr beharkt zu werden.
Langsam teilt sich unser Bewusstsein wieder. Ich lasse uns zerfließen und wilde Haken schlagen, die möglichst unvorhersehbar sind. Der Zweite bereitet sich vor...
Die nächste Seele schwebt in diese Richtung. Schnell informiert er mich, und ich wechsle den Kurs, versuche, sie abzufangen...für einen kurzen Augenblick ist die Luftkrümmung direkt über uns.
Mein Körper wird zu fünf Eisstacheln, die scheinbar aus dem Boden hochschießen. Sie zerreißen den rot schimmernden Feind sofort, dann werden wir wieder flüssig und machen Jagd auf die nächste Beute. Ein Blitz trifft uns, aber einer ist tragbar. Die Masse ist das Problem. Hoffentlich geht es dem Meister gut...
Nach und nach schalten wir so die Seelen aus. Eine muss immer stehen bleiben, um auf uns zu schießen; wir können aber sehr schnell die Richtung ändern...und sie schweben langsamer als wir gleiten. Nur gerade so, aber es klappt.
Die letzte hingegen kann in aller Ruhe auf uns feuern. Wir können ihr auch ausweichen, aber wir können garantiert nicht mit ihr noch am Leben gegen Izual antreten, der die ganze Szene mit zunehmender Sorge betrachtet.
Bleib kurz stehen, bis sie es auch tut.
Was hast du vor?
Etwas, das du noch nie konntest.
Ich lasse den Zweiten sein Ding tun. Die Seele hält inne, weit weg von uns. Sie lädt den Blitz auf...
Eine Eiskugel trifft sie direkt in der Mitte, und mit einem Fauchen ist auch sie Geschichte.
Werfen.
Oh ja. Dafür sollte es Anleitungen geben.
Bevor zu viel davon schmilzt, integriere ich das Material wieder in uns. Hm...wenn wir das an einem Fluss machen würden, wäre ich in kurzer Zeit ganz schön groß...aber wozu das führt, weiß ich ja schon, also besser nicht darüber nachdenken.
Zwei Giftfürsten stürmen auf mich zu.
Kurz darauf stehe ich Izual gegenüber, der ganz offenbar keine Optionen mehr hat.
„Stellst du dich jetzt endlich?“
„Ich freue mich schon darauf, dir dein freches Mundwerk zu stopfen, Golem!“
„Für die Vorfreude hast du dir aber ganz schön viel Zeit genommen. Oder wolltest du erst noch all deine Freunde mit mir spielen lassen, damit die auch ein Stück des Spaßes abbekommen?“
Er brüllt und rennt auf mich zu, Schwert erhoben. Ich stehe ruhig da...und zerfließe, gerade als er zuschlägt. Sein Schwung geht ins Leere, er stolpert über mich hinweg, ich richte mich wieder auf und schlinge einen Wassertentakel um seinen Knöchel. Mit einem Grunzen geht Izual zu Boden.
Das gibts doch nicht.
Ich glaube, es gibt einen sehr guten Grund, warum er sich dir nicht gestellt hat: Was soll er denn auch machen? Wir sind für ihn völlig unverwundbar.
Bevor er sich wieder aufrichten kann, platsche ich auf seinen Rücken. Eine Eisspitze ist hoch über seinem Nacken erhoben.
„Gleich kannst du einem alten Freund Hallo sagen!“
„Ganz so...einfach...wird das nicht!“
Und plötzlich dringt ein blaues Leuchten aus Izuals Körper, ein sich blitzschnell ausweitender Ring – aus eisiger Kälte. Sofort erstarre ich zu solidem Eis. Was? Er kann Frostnovae zaubern? Ohne dafür sterben zu müssen?
Denk nicht lange, handle! Das wirft uns nicht im Mindesten zurück, du kannst doch kontrollieren, wie du bist!
Oh...ja! Schnell arbeite ich daran, wieder flüssig zu werden...da schlägt eine weitere Nova ein und macht meine Mühen zunichte. Izual stemmt seinen massigen Körper hoch und wirft mich ab; mit einem Klirren schlage ich auf dem Boden auf, um einen Arm ärmer.
„Nicht mehr so vorlaut, was?“
„Wer konnte damit auch rechnen!“
„Hier in der Hölle muss man auf Alles vorbereitet sein. Ich weiß das. Du nicht. Und dein Meister wird gleich erleben, was es bedeutet, mich zu unterschätzen!“
Hektisch versuche ich, zu einer Pfütze zu werden...aber Izual zündet eine dritte Nova.
Dann trifft sein Schwert meine Mittsektion, mein Bewusstsein zersplittert in unzählige Stücke und erlöscht dann.
Und entsteht wieder. Der Meister sieht mich ernst an.
„Tut mir Leid.“
„Was de...aaah!“
Wieder durchzuckt mich der bekannte Schock eines Blitzes direkt in den Rücken. Der Meister hat mich vor sich beschworen, gerade rechtzeitig, um ihn aufzufangen. Ich fluche halblaut und fahre herum.
Mindestens drei Seelen tanzen in der Entfernung.
„Golem, ich brauche einfach ein paar Sekunden Ruhe, um einen Manatrank trinken zu können. Die Dinger saugen...gah!...welches ab.“
Während er hastig die Sätze herausspuckt, trifft ihn wieder ein Schuss. Hinter uns sind auch Seelen? Einige Skelette leben noch und machen Jagd auf sie, aber richten wenig aus.
„In Ordnung. Ich halte sie auf.“
Er wird wieder getroffen und zischt. Verdammt – er raucht geradezu. Vielleicht sollte er lieber einen Heiltrank trinken, das sieht überhaupt nicht gesund aus...
Da kommt ein Blitz. Schnell strecke ich die Hand aus, um ihn aufzufangen, mich gegen die Schmerzen wappnend...
Er trifft. Es brennt. Zuckt mir den Arm hoch.
Aber...es könnte deutlich schlimmer sein?
Weniger wundern, mehr umsehen!
Mein Kopf zuckt hin und her. Von da hinten...und von vorne bereiten sich zwei vor! Ich strecke mich hoch, über den Kopf des Meisters hinweg, forme einen Flüssigkeitsbogen und verbreitere mich so, dass garantiert keine Elektrizität durchdringt.
Zwei Einschläge kurz hintereinander. Wieder die Pein, aber wieder...seltsam geschwächt.
Da wird mir bewusst, durch meine verzerrte Perspektive klar, dass ich nicht mehr wässrig-klar bin.
Sondern weiß.
„Ich bin aus Milch?“
Der Meister schwitzt nicht mehr und scheint wieder in Ordnung. Zwei leere Glasfläschchen liegen neben ihm. Ich haste auf Zuruf des Zweiten wieder in den Weg eines Geschosses.
„Davon floss hier ja genug heraus. Wasser war etwas schwerer zu finden. Und du bist nebenbei in der Form erstaunlich wenig manaintensiv.“
Und Milch leitet viel schlechter als Wasser.
Natürlich! Darum...gah, fast hätte ich die zwei verpasst...tut es weitaus weniger weh.
Langsam werde ich aber stellenweise braunschwarz. Das ist definitiv verbrannte Milch. Und die bekomme ich auch nicht mehr weiß.
Nun stehen aber vier neue Skelettmagier, zwei Feuer, zwei Eis. Der Meister schnaubt.
„Mehr als die Atempause habe ich nicht gebraucht.“
Und jetzt schießen wir zurück. Die Eisbolzen treffen die Seelen, welche sich gerade zum Feuer vorbereiten, sie versuchen zu fliehen, aber sind verlangsamt; die Skelette erreichen sie. Feuerblitze suchen sich gerade bewegliche Ziele, in ihren Lauf abgeschossen treffen auch die.
Kurz darauf sind die Seelen Geschichte. Die Giftfürsten, die uns angegriffen haben, ohnehin; die Armee hat kurzen Prozess gemacht.
Nur Izual steht noch, hinter ihm ein kleines Kontingent seiner Truppen, die er wohl zur Reserve zurückgehalten hat; das nützt ihm jetzt auch Nichts mehr. Der Meister und ich wenden sich ihm zu.
„Das wars für dich, gefallener Engel!“
„Oder für Euch, General; denn ich bin kein Engel mehr, sondern Dämon, und weiß diesen Körper zu nutzen!“
Er reißt sein Schwert hoch und stürmt auf uns beide zu. Der Meister wirft ihm zwei Wächter entgegen, die aber einfach weggefegt werden. Immer näher rennt der blaue Teufel heran. Die Magier beginnen, ihn mit Bolzen zu beharken, aber das scheint ihm überhaupt Nichts auszumachen; am wenigsten natürlich das Eis...und ich bin immer noch kälteanfällig!
Moment.
„General, schnell, Eisenform!“
„Ist die hier nicht besser geeignet...?“
„Beeil dich!“
Mit einem kurzen Sprung ins Schwarze stehe ich ein paar Schritte entfernt als Eisengolem da, zwei Giftfürstschwerter als Waffen. Ruhig trete ich Izual in die Laufbahn, eines auf ihn gerichtet; er wird langsamer.
„Doch wieder die Eisenform.“
„Wir entscheiden das jetzt.“
„Es sind noch mehr Spieler auf dem Feld!“
Der Meister schüttelt den Kopf.
„Keine Chance. Ihr beide. Wenn einer von deinen Freunden näher kommt, gibt es Giftfürstgulasch.“
Die Skelette bilden einen losen Ring um uns. Die vielleicht noch ein Dutzend verbliebenen Gegner rühren sich nicht von der Stelle.
„Nun kommt schon, ihr Feiglinge!“
Ein Grunzen aus vielen Kehlen ist die Antwort.
„Ich muss euch nicht daran erinnern, dass euere Seelen an meine gebunden sind? Wenn ich falle, seid ihr Geschichte!“
Einer der Fürsten tritt einen Schritt vor; sofort streckt ihm ein Skelett die Waffe entgegen, aber er hebt beschwichtigend die Pranken.
„Das wir wissen. Wir dennoch nicht kämpfen. Totenbeschwörer uns vernichten. Wir Chance zu überleben – wenn du gewinnen. Wenn wir jetzt kämpfen, wir sicher sterben.“
„Ich werde euch danach so oder so alle vernichten, wenn ihr jetzt nicht kämpft!“
„Dann du gar keine Armee mehr. Schlechte Idee.“
Izual zögert. Der Meister grinst ihn breit an.
„Tja, da hat dir wohl ein kleiner Dämonensklave klar gemacht, dass du völlig frei von Optionen bist, Izual...selbst wenn du gegen uns siegst, was hat dir das gebracht? Deine Armee ist geschlagen, der Rest meutert. So viel zu deinen Plänen.“
„Wenn ich siege, werde ich wenigstens das Grinsen aus deinem Gesicht gewischt haben! Und endlich, endlich wird die Hölle mich anerkennen! Stirb, General!“
Sein wilder Schwerthieb prallt von meiner Waffe ab.
„Nicht so schnell, Freundchen.“
Und damit bin ich in einem Duell gegen einen gefallenen Engel, der jetzt ein Dämon ist. Genauer gesagt: Der Zweite ist es. Das ist klar seine Expertise.
Schnell wird mir aber klar, dass sogar ich damit klar gekommen wäre...denn Izual war vielleicht einmal ein großer Krieger. Als Engel. Aber wenngleich er diesen verzerrten Körper schon lange bewohnt, ist sonnenklar, dass er ihn nicht beherrscht. Vermutlich, weil er dies gar nicht will; immerhin ist er seine Strafe, sein Gefängnis. Auch ich habe mich lange gesträubt gegen den Eisenkörper, aber sobald ich ihn akzeptiert hatte, konnte ich ihn schätzen lernen für das, was er ist, nämlich ein hervorragendes Werkzeug, um Dämonen auszuschalten, also genau, was nötig ist in diesen Zeiten.
Was Izual jetzt bräuchte, wäre Kontrolle über sein Werkzeug, Krieger des Lichtes auszuschalten. Aber seine eigene Vergangenheit als solcher ist zu tief in ihm drin. Jeder Hieb von ihm ist mächtig, aber völlig ohne Finesse; mühelos pariert der Zweite sie, zwingt ihn in die Defensive, und nur zaghaft kommen die Abwehrversuche.
Da wäscht wieder eine Frostnova über uns hinweg, komplett wirkungslos; er versucht es gelegentlich erneut, immer verzweifelter werdend.
Natürlich dürfen wir nicht unvorsichtig werden. Ein Treffer an der falschen Stelle und wir sind Schrott. Aber da kann ich dem Zweiten vertrauen, dass er es nicht dazu kommen lässt. Methodisch und effizient findet er einen Rhythmus gegen Izual, mit dem dieser einfach nicht mitkommt. Andere Duelle sind ein Tanz; das hier...eine Tracht Prügel.
Und urplötzlich ist es vorbei. Der Zweite schlitzt Izuals Schwertarm auf. Dieser zuckt zurück, in einem völlig falschen Moment; sein Handgelenk wird durchbohrt, das Schwert fällt zu Boden, der Zweite setzt nicht nach – was nur die instinktiv hochgeworfenen Arme unseres Gegners getroffen hätte – sondern wirbelt noch einmal auf dem Absatz herum, eine halbe Sekunde länger wartend, zielend, und versenkt mit diesem vollen Schwung das andere Schwert in der Kehle des hoch auftürmenden, aber völlig machtlosen blauen Dämons.
Die Giftfürsten brauchen eine Sekunde, um das zu begreifen. Dann brüllen sie auf, laufen los...
Und vergehen gleichzeitig in Flammen.
Izuals massiger Körper sinkt vor mir zusammen...und eine blau leuchtende Erscheinung steigt daraus hervor. Es ist ein Engel, ganz ohne Zweifel; wie bei Tyrael ist sein Gesicht von einer Kapuze beschattet, träge hin- und hermäandernde Tentakel aus in diesem Fall blauem Licht wachsen aus seinem Rücken...ebenso ein paar Flügel, das dem des Dämonenkörpers in Magnifizenz in Nichts nachsteht. Tatsächlich unterscheiden ihn nur Details der Rüstung, die er ebenfalls trägt, von Tyrael selbst.
Der Meister nickt zustimmend. Die Erscheinung hebt die Hände vor ihr verborgenes Gesicht.
„Das ist...vollkommen unerwartet.“
Die Stimme ist noch die gleiche. Der Meister verschränkt die Arme.
„Ja, wie ich sagte, ein alter Freund wollte mit dir reden. Tyrael meinte, du hättest genug Strafe gehabt und hat für eine Fahrkarte nach oben gesorgt, wenn du artig bist.“
„Ihr...hattet einen Auftrag?“
„Exakt. Wir sollten dich von diesem Ding da...“
Er deutet mit dem Fuß auf den Dämonenkörper.
„...erlösen. Hätte ich vielleicht erwähnen sollen. Wärst du dann freiwillig abgegangen?“
Izuals Seele senkt den Kopf.
„...vermutlich nicht. Ihr...müsst verzeihen, dass ich etwas verwirrt bin über die Situation, in der ich mich befinde.“
Der Meister knurrt.
„Ja, Verwirrung scheint ein ziemlicher Dauerzustand bei dir zu sein. Sonst hättest du mir gerade sicher nicht so viele Blitze in den Hintern gejagt.“
Izual schweigt. Ich sehe den Meister mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Es ist jetzt vorbei. Lass es doch gut sein. Denkst du, du wüsstest noch, was du tust, wenn du Jahrhunderte oder noch länger in einem Körper, den du hasst, in der Hölle eingesperrt warst?“
„Und gerade am Planen bin, den Laden zu übernehmen? Nein, da bin ich mir ganz sicher, dass ich schon meinen verdammten Verstand verloren hätte! Willst du jetzt ernsthaft den da verteidigen?“
Was zur Hölle ist los mit dir, ja?
Ich wollte doch nur...
„Nein! Das heißt...ja, eigentlich schon. Beweist doch nur ein Argument von mir. Es bringt Nichts, Seelen hier unten einzusperren. Sie werden nicht reuig. Sie werden bitter. Sieh ihn dir an! Wie er sich aufgeführt hat in seinem Dämonenkörper. Was für eine Strafe sollte das sein?“
„Eine gerechte, wenn man bedenkt, dass er sich offenbar mit der Situation genug arrangiert hatte, um Pläne zu schmieden! Golem, das ist doch Unfug. Tyrael hat nur ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, weil er Informationen von ihm wollte. Weiter schmoren hätte er sonst auf jeden Fall können.“
„Das hat er aber nicht...“
„Tyrael war ein Narr, mir zu vertrauen.“
Izual flüstert nur, aber wir sind beide sofort still.
„Ich war einst, vor so langer Zeit, ein Krieger. Hatte mich dem Licht verschrieben und unter der Flagge des Himmels Königreich um Königreich vereint; sie beugten sich vor dem Glauben an das Gute...und vor mir. Für Ersteres, dafür, dass ich so viele Menschen zur Wahrheit geführt hatte, wurde ich zum Engel gemacht. Aber was Niemand von denen, die nun meine Gleichgestellten waren wussten, war, dass ich es für Zweiteres getan hatte.“
Sein Blick scheint in die weite Ferne zu schweifen...und gleichzeitig in seine eigene Seele.
„Immer hatte ich mich gesonnt in der Bewunderung Anderer, in ihrer Verehrung. Keine Anerkennung war mir je genug, ich wollte immer mehr davon, und von der Macht. Selbstverständlich war es da für mich, ein General in den Armeen des Himmels zu werden, als wir den letzten großen Krieg gegen die Hölle führten. Ich würde sie unterwerfen, die Hölle, sie für den Himmel bezwingen wie einst die Länder Sanktuarios.
Das war mein wahrer Traum; nie tat ich es für den Himmel. Immer nur für mich.
Es war ein leichtes für die Hölle, mich nach meiner Niederlage für ihre Sache zu gewinnen. Sie baumelten die Chance, meine selbstauferlegte Mission zu Ende führen zu können, vor meiner Nase. Du wirst deine Strafe erhalten, sagten sie. Aber dadurch kannst du zeigen, was du vermagst. Steige auf in den Rängen der Hölle; werde zu unserem General. Und irgendwann, wenn wir nicht aufpassen, versuche, uns den Dolch in den Rücken zu stoßen. Man erwartet das hier. Ich könnte immer noch Herrscher über die Hölle werden – als Nachfolger der Großen Übel selbst.“
„Aber sie haben dich verarscht.“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte es etwas werden können. Ich hatte meine Armee. Zeit hatte ich ja genug. So viel Zeit...“
Ich stutze, als mir etwas klar wird.
„General...die haben mit ihm genau das gemacht, was der rote Ritter dir angeboten hat.“
Seine Augen werden groß. Bevor er aber etwas sagen kann, hält Izual inne.
„Ich spüre den Ruf. Bald werde ich wohl Tyrael Rede und Antwort stehen müssen.
Ich weiß immer noch nicht, ob ich Euch danken oder Euch hassen soll, General.“
Dieser seufzt und schließt die Augen kurz.
„Weißt du was? Ist mir völlig egal. Sag Tyrael von mir, dass ich ihn nicht ausstehen kann. Da sind wir uns wohl ähnlich.“
Wir schweigen uns kurz an.
Izual beginnt, fahler zu werden. Seine Seele schwindet in höhere Sphären. Da hebt er noch einmal den Kopf.
„Ich weiß von den Versuchen dessen, den Ihr den roten Ritter nennt.“
Der Meister ist sofort ganz Ohr.
„Was? Was weißt du über ihn?“
„Ich weiß, dass Ihr Euch in Acht nehmen solltet. Es ist ein sehr Ehrgeiziger, dieser. Mir und Euch nicht unähnlich...aber, ich wage es, dies zuzugeben, weitaus schlauer bei seinem Vorgehen als ich. Als Ihr? Vielleicht. Der Andere...dieser ist nicht so schlau. Bei Weitem nicht. Aber nicht weniger gefährlich. Denn Ihr wisst noch nicht von ihm, und so könnte er siegen.“
Izual ist fast völlig verschwunden. Der Meister tritt einen Schritt vor.
„Was? Welcher Andere? Warte!“
„Nehmt dies als Dank an, General...“
Und damit ist Izual verschwunden, mehr Fragen als Antworten zurücklassend.