Kapitel 14 – Untiefen
„Warte kurz, Meschif, ich muss noch kurz zu meiner Truhe.“
„Du hast eine Truhe?“
„Äh, die von meinem Meister meinte ich.“
„Ah, Alles klar. Treffen wir uns vor meinem Schiff?“
„In fünf Minuten bin ich da.“
Schon so vermessen, dass du komplett vergessen hast, wo hier die wahren Besitzverhältnisse liegen?
Wer hat dir jetzt eigentlich erlaubt, zu reden?
Du.
Was? Ach...das Schwert, oder wie? Aber du hast Krallen!
Eine Waffe ist näher an meiner Form als keine Waffe, egal welche. Nur keine Sorge, du hast mich immer noch gefesselt. Aber meine Frage steht noch aus.
Warum sollte ich dir antworten?
Weil du dir die gleiche Frage gerade selbst stellst – du hast gar keine Wahl, deine Gedanken sind ein offenes Buch für mich. Zumindest, solange du mich so eng umschlingst, wie du es im Moment tust. Ist das nicht ironisch? Du hältst mich gefangen, aber dadurch kann ich dich weit besser quälen als je zuvor.
Ja...ironisch.
Und natürlich hat er Recht. Wie komme ich dazu, des Meisters Truhe als meine zu bezeichnen? Nur, weil ich sie in letzter Zeit verwaltet habe, habe ich wirklich keinen Anspruch darauf...
Ich bleibe vor ihr stehen und starre sie an.
Hätte ich aber gerne. So sehr ich es vermisse, den Meister neben mir im Kampf zu haben, so...erfrischend war es, auch mal völlig alleine zu sein. Ohne ihn...ohne den Zweiten, zumindest bis vor Kurzem...wird der Meister geheilt, muss ich das wieder aufgeben, er wird immer in der Nähe sein, ich bin sein Diener, es ist meine Pflicht. Was natürlich nicht heißen soll, dass es mir Leid tun wird, wenn er wieder gesund ist! Was denke ich da.
Ach, Unabhängigkeit ist doch ein Segen und ein Fluch zugleich, nicht wahr? Ich weiß ganz genau, warum ich mich darauf nie eingelassen habe. Zu viel über sich nachzudenken beschränkt einen beträchtlich, wenn es hart auf hart kommt – und wer sich Zweifel im Kampf leistet, ist schnell Staub, und sein Meister dazu.
Und wer genug nachdenkt, hat keine Zweifel mehr.
Tztztz, du denkst doch dauernd nach, viel zu viel sogar, und – hast du weniger Zweifel als zuvor?
Ich zweifle sicher nicht mehr daran, dass ich nicht auf dich hören sollte.
Sicher.
Da er schweigt, lasse ich das auf mir beruhen – meine...Gedanken, keine Zweifel...ignorierend. Die Jadefigur wandert aus der Truhe – diesmal kann ich sie problemlos öffnen, ich schiebe einfach mein Schwert unter den Rand. Hoffentlich verkratzt das Holz nicht zu schlimm...es ist noch früh; Keiner ist auf dem Leuchtturmplatz. Später werde ich mich wieder mit Deckard unterhalten, aber zunächst ist es Zeit, zu sehen, was Meschif für mich hat.
Für uns.
Jaja, wir teilen das brüderlich.
Ich meinte damit „wir“ im Sinne von „ich...und der Meister“. Wolltest du das nicht sagen?
Ja. Natürlich wollte ich das.
Meschif wartet schon vor seinem Schiff, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, ein Grinsen auf dem Gesicht. Er hat doch nicht wieder getrunken...? Nein, das glaube ich nicht. Als ich näherkomme, nickt er mir zu, immer noch strahlend.
„Schön, dass du wirklich pünktlich bist – bin ich gar nicht gewöhnt hier. Nun schau dir das an, was hältst du davon?“
Er holt seine rechte Hand hinter dem Rücken hervor und präsentiert mit großer Geste, was er darin gehalten hatte. Es ist ein Gegenstand, den ich schon einmal gesehen hatte: Der goldene Vogel, der den Platz der Jadefigur eingenommen hatte, und dort so wenig gepasst hatte. Ich lege den Kopf schief.
„Zweifelsohne nicht schlecht vergoldet, man bemerkt keinerlei Abblättern – ist der neu gekauft? Ein Souvenir?“
Meschif schüttelt den Kopf.
„Nicht doch, nicht doch. Vergoldet? Was denkst du, wie tief ich meine Standards setze? Das ist echtes Gold.“
Das schockt mich jetzt doch ein wenig. Dieses billige Ding?
„Warum sollte Jemand so ein wertvolles Material auf so eine schlechte Skulptur verschwenden?“
„Schlecht? Ich glaube, ich habe mich verhört! Gut, du bist kein Experte, was Figuren angeht, aber bitte. Das ist ein Meisterwerk aus vergangener Zeit, mindestens ein Jahrhundert alt!“
Alt nennt der das?
Oh, das ist mir jetzt peinlich...das muss ich schnell überspielen – mit einem Frontalangriff.
„Was hältst du denn im Gegensatz dazu von diesem Meisterwerk?“
Ich präsentiere die Jadefigur. Seine Augen blitzen kurz auf, dann winkt er ab.
„Das? Das ist Tand, aber solchen sammle ich nun mal. Tatsächlich...hat es nur ideellen Wert...das ist Alles.“
Warum macht er diese Pause? Er hat doch was zu verbergen...wie viel wert ist dieses Artefakt wirklich?
„Ach so. Dann ist natürlich klar, weswegen du so aufgeregt warst, als Marius sie geklaut hat.“
Bloß nicht zu früh auf den Punkt kommen.
„Ich bin froh, dass du das verstehst...pass auf...ich hätte dir diesen Vogel auch so gegeben, nachdem mir klar geworden ist, dass ich hier nicht einfach rumsitzen kann. Ein kleiner Beitrag für eine bessere Welt – du kannst ihn sicher teuer verkaufen und die Heilung des Generals so finanzieren. Würde mich sehr freuen, wenn das passierte. Da der Vogel umsonst ist...kann ich dir leider nur meinen tiefsten Dank für die Jadeskulptur anbieten.“
Er will...nicht tauschen? Mir den Vogel einfach schenken? Erwartet er, dass ich ihm das abnehme? Es muss mehr an dieser Figur sein...vielleicht sollte ich noch ein wenig nachbohren.
„Weißt du, Meschif, ich bin echt froh, dass wir so gute Freunde geworden sind. Diese Figur...“
Ich halte sie hoch.
„Was bedeutet sie denn wirklich für dich? Ich würde gerne die ganze Geschichte hören.“
Wenn er keine hat – dann ist sie mehr Wert, als er zugeben will. Er dreht sich ein wenig von mir weg, und flüstert.
„Ich möchte eigentlich nicht so gerne darüber reden.“
A-ha! Habe ich dich! Das heißt, ich habe eine herrliche Verhandlungsbasis...aber vielleicht sollte ich mir erst einmal den Vogel...
„Habe ich dich gefunden, du Schuft!“
Was...
Ein Schlag trifft meinen Hinterkopf, aber es ist kein physischer – dieser ist eiskalt. Ich spüre, wie ich mich ein wenig zusammenziehe, und die Wucht des Eiseinschlags wirft mich einen Schritt nach vorne – die Jadefigur fällt aus meinem überraschten Griff zu Boden.
Blitzschnell fahre ich herum. Wer war das?
Ein Mann steht vor mir, beide Hände vor sich ausgestreckt, die Finger verkrümmt, zitternd. Sein kurzes, dunkles Haar über den leicht schräggestellten Augen, die olivfarbene Haut, die braune Kleidung, schlicht, einfach – sie sagen mir Nichts. Doch da...
Eine Kältelanze entweicht seinen Handflächen, und ich hebe die linke Hand, um sie abzufangen. Mein Schwert erwischt sie vor meinem Gesicht, und das dicke Metall spürt kaum eine Veränderung. Das sind Gletschernadeln, wie sie der Gespensterbeschwörer eingesetzt hat! Ein Zauberer? Noch einer? Wann habe ich ihn je...
Etwas klickt geradezu in meinem Kopf, als ich die Gesichtszüge einordne. Das ist ja – Devak! Was hat ihn denn gebissen? Noch eine Nadel schießt heran, und ich weiche ihr aus. Beim zur-Seite-Tanzen bemerke ich die auf dem Boden liegende Jadefigur. Nein, die sollte jetzt besser nicht kaputt gehen. Ich springe nach hinten, und bücke mich, um sie aufzuheben.
Ein Kältestrahl trifft sie, und eine Eisschicht schließt sich darum. Mein Blick schießt hoch. Devak rennt auf mich zu, zusammenhangslos schreiend.
„Nein, Devak, schlag mich nicht!“
“Warum kannst du nicht einfach schmelzen?“
Sein Fuß schießt von unten und der Seite heran, und ich springe darüber. Statt meinen Beinen trifft er die Figur, und sie klappert über den Steinboden, rutschend...und fallend, über den Rand des Docks.
“Nein!“
Das waren weder ich noch der Söldner in Zivil. Seine Fäuste schießen vor, ich mühe mich, den Schlägen auszuweichen – wer weiß, wie stark meine Dornenaura ist? Ich will ihm Nichts tun! Wenn ich seine Arme packen könnte...aber ich habe nur eine Hand! Die ist dauerbeschäftigt, und...
„Du verdammtes Schwein!“
Eine Faust schießt von der Seite heran, und trifft Devak völlig unvorbereitet an der Schläfe. Er fällt nach hinten. Meschif schiebt sich zwischen uns.
„Niemand prügelt sich mit meinen Freunden ohne, dass ich was dagegen sage! Und meine Figur versenkt auch Niemand ungestraft!“
Der Söldner weicht zurück, ein grausames Grinsen auf den Lippen, als ein Blutstrom aus seinem Mund fließt – offenbar hat er sich auf die Zunge gebissen.
„Denkst du stinkender Fremder, du könntest es mit mir aufnehmen?“
Wieder schießen seine Hände vor, und Meschif, der auf ihn zustürmt, hat keine Chance auszuweichen, als ihn eine Gletschernadel in der Magengrube trifft. Er erstarrt sofort, blau angelaufen und mit einer dünnen Eisschicht auf der Haut und Kleidung...am Boden festgefroren, zum Glück, sonst hätte ihn sein Schwung umfallen lassen!
Aber genau diese Ablenkung habe ich gebraucht.
„Es reicht, du Irrer!“
Ich balle meine Finger zur Faust und lasse sie vorschießen. Was fällt diesem Wahnsinnigen eigentlich ein? Wenn Meschif tot ist...!
Dann kannst du nicht mehr mit ihm über die Figur verhandeln, die rechtmäßig ihm gehört? Ja, eine Schande. He, mich würde interessieren, warum der uns eigentlich angreift, kannst du mal ein wenig langsamer machen?
Langsam...oh, Himmel! Meine Faust stoppt sofort, Zentimeter von Devaks Gesicht entfernt, der gar keine Zeit gehabt hätte, sich auch nur zur Seite zu drehen, und nur mein Mittelfinger, von dem immer noch tief in mir schwelendem Ärger, ja, Hass getrieben, schnellt nach oben, mit einem ekelhaften Krachen sich mit der Nase meiner Angreifers verbindend, und als hätte ihn ein Sandsack umgehauen, fliegt der Söldner nach hinten und landet äußerst hart auf dem Hinterkopf. Verdammt, wenn ich mit voller Wucht zugeschlagen hätte, wäre sein Hirn über das Dock verteilt! Was ist in mich gefahren?
Und was ist mit...Meschif? Gerade sehe ich noch, wie das Blau langsam zurückweicht, da taut auf einmal das Eis, und er stürzt, den Schwung seiner gerade begonnenen Bewegung zu Ende führend, nach vorne, aber ohnmächtig.
Gerade noch schaffe ich es, ihn aufzufangen. Verdammt, war das knapp. Und Devak...
Ich schnelle auf die Knie. Nein, das kann nicht zu hart gewesen sein, lass es nicht zu hart gewesen sein...
Meine feinen Ohren hören, wie er atmet – blubbernd, durch das, was von seiner Nase noch übrig ist. Nicht gut, gar nicht gut! Das...das ist ganz und gar meine Schuld...was soll ich jetzt...
Hm, du könntest ihn ins Wasser werfen, vielleicht kommst du damit sogar davon. Oder du beschuldigst gleich Meschif, immerhin kann sich der gerade schlecht verteidigen.
Du kranker...nein, da gibt es immerhin noch Jemand, der mir einen Gefallen schuldet, und ich sei verdammt, wenn ich das nicht jetzt einfordere! Ich packe Devak, so sanft es mit meiner Hand möglich ist, am Kragen, hebe ihn mühelos hoch und renne über die Holzbrücken zu meinem Ziel. Meschif ist mir im Moment völlig egal. Wenn ich mehr als seine Nase gebrochen habe...immer wieder und wieder durchdringt das perfekt memorierte Geräusch des Aufpralls meines Fingers meine Gedanken, und immer wieder und wieder zucke ich innerlich zusammen. Nein, ich kann nicht gerade einen Menschen getötet haben, willentlich, egal, ob ich gezögert habe, dass ich den Finger ausgestreckt habe, dass ich überhaupt den Schlag begann, Alles meine Schuld...und nur dem Zweiten, ihm, verdanke ich es, dass es nicht ohnehin schon zu spät für Reue ist. Jetzt bleib mir erhalten, Devak, bitte! Egal, ob du den Kampf angefangen hast, so darf es nicht enden!
Ich überlege nur ganz kurz vor der Tür der Hütte – ich kann sie nicht mit der anderen Hand aufreißen! – und zerschneide sie kurzerhand mit dem Schwert. Drinnen trommle ich an die Wand. Die Figur im Bett fährt hoch.
„Ihr werdet Ormus niemals lebend bekommen!“
„Ormus, keine Spielchen, ich bins, der Golem! Bitte, du musst mir helfen, heilen, Devak, er ist verletzt...“
„Was...du...warum so früh...was soll das?“
“Keine Zeit, keine Zeit! Bitte, Ormus, hilf ihm, ich tue Alles, was du willst!“
Das Licht ist schwach – die schlimmste Art der Beleuchtung, da meine Nachtsicht sich nicht einschaltet, es aber trotzdem zu dunkel ist - aber ich sehe, wie der Taan-Magier seinen Kopf schieflegt.
„Soso. Alles. Bring ihn zu Ormus, damit er ihn sich ansehen kann.“
Ich halte Devak vorsichtig auf die Augenhöhe des alten Mannes, der ihm nur kurz ins Gesicht starrt, dann nickt.
„Ja, das ist kein Problem. Kann er stehen?“
„Nein! Er könnte schon tot sein, soweit ich weiß!“
„Das wäre schlecht, das kann er nicht heilen. Gib mir meinen Stab.“
„Ja...ja...wo ist er?“
„Hinter dir an der Wand...Ormus hofft, du hast ihn nicht...oh. Du hast ihn umgeworfen.“
Ich fahre herum, Devak noch haltend, aber natürlich kann ich ihn mit der linken Hand nicht heben. Entschuldigungen stotternd lege ich den stillen Körper des Söldners schnell auf den Boden, und hole den knorrigen Stab. Ormus seufzt.
„Wenn er gesplittert ist...“
„Ich ersetze dir Alles, es tut mir Leid, aber heil ihn, schnell!“
„Nur die Ruhe, Golem. Nur die Ruhe. Nun sieh. TirIthSolKo.“
Harmonie...
Und Devak zuckt auf dem Boden, sein Gesicht...es ist nicht verändert? Nein!
„Ormus, er...“
„Ist geheilt, ja. Könntest du...mich...dann alleine lassen? Ormus kommt auf dich zurück, wenn ich in Ruhe aufgestanden bin. Die Tür könntest du auch wieder aufheben, wobei sie kaputt zu sein scheint...auch darüber redet ihr später.“
„Ja, ja...natürlich...danke, Ormus...vielen Dank...und es tut mir Leid...“
Devak hinter mir herschleifend, hebe ich schnell die Teile der Tür auf, aber die fallen gleich wieder um. Ein Seufzer aus dem Inneren lässt mich fliehen. Auf halben Wege zurück zu den Docks schüttelt meine Last den Kopf. Da sehe ich, dass seine Nase wieder völlig in Ordnung ist – nur das Blut ist nicht aus seinem Gesicht verschwunden. Darum schien er noch schwer verletzt!
„Aah...he, wer immer du bist, ich glaube, jetzt kann ich wieder gehen...das letzte Glas muss schlecht gewesen sein.“
„Einen Moment, bitte. Einen Moment.“
„Was? Bist du...oh nein, du! Reicht es dir nicht, was du schon getan hast, jetzt erinnere ich mich – das hat weh getan! Setz mich ab und kämpf wie ein Mann! Wie ein Monster, das du bist! Lass mich los!“
Ich ignoriere sein Geschrei, während meine Gedanken rasen. Egal, wie tief ich mich gerade bei Ormus verschuldet habe, bei Allem, was heilig ist, verschuldet habe, er lebt. Er ist gesund und lebt. Das ist Alles, was zählt.
Ach, du denkst nicht, dass du gerade jede Chance verscherzt hast, dass Ormus sich den Meister ansieht?
Der...Meister...oh, Himmel, aber was hätte ich tun sollen? Devak sterben lassen? Durch meine Schuld?
Bah, denk doch mal ein wenig nach! Du hast überreagiert. Menschen halten mehr aus, als du denkst, mich hat ihre verdammte Zähigkeit unzählige Male unangenehm überrascht, manchmal glaube ich, man muss jeden Teil von ihnen einzeln töten. Von manchen nur die Zunge.
Ja...aber...war das denn nicht...doch, ich bin in Panik ausgebrochen, das war es. Ich habe nicht nachgedacht. Ruhig, Golem. Ruhig. Was mache ich jetzt?
„Hast du mich nicht gehört, du metallgewordenes Böses? Ich werde dir...“
Ich lasse ihn fallen, weil ich vor Meschifs Schiff angekommen bin. Dieser steht schon wieder, hat sich beim Geräusch meiner schweren Schritte umgedreht; vorher tief ins Wasser gestarrt...wo die Figur verschwand.
„Ach, wo wart ihr, wie es aussieht, hast du ihm ein paar Manieren beigebracht? Bin ich als Nächster dran? Ich reagiere meist ziemlich hitzig auf extreme Kälte!“
„Komm doch und hol dir deine Abreibung, du...“
“Ruhe!“
Beide halten inne, die Gesichter wutverzerrt, als ich zwischen sie trete – Devak halte ich auf Schwertlänge von mir fern, für Meschif reicht die Handfläche.
„Ich will wissen, was hier los ist, danach könnt ihr euch so lange prügeln, wie ihr wollt, das ist nicht meine Sache. Devak, was zur Hölle ist in dich gefahren? Warum greifst du mich ohne Grund an?“
„Ohne...ich glaube, ich spinne! Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, nie erschaffen worden zu sein, du kalter Bastard!“
Ich packe ihn am Kragen und ziehe ihn nah an mein Gesicht. Seine Augen weiten sich.
„Du hörst mir jetzt mal ganz genau zu. Ich habe gerade dein Gesicht neu gestaltet, was ich in der Härte nicht vorhatte und was mir sehr Leid tut. Dafür kannst du mich hassen. Aber ich habe dich auch gerade in höchster Eile zu einem Heiler geschafft, damit du nicht an deinem eigenen Blut ertrinkst, und ich erwarte dafür zwar keine Dankbarkeit, aber dass du mich nicht zwingst, dich gleich wieder in so einen Zustand zu versetzen, und glaub mir, dazu bin ich problemlos in der Lage! Jetzt erzählst du mir ganz genau, was ich dir deiner Meinung nach angetan haben soll!“
Oh, jetzt wird es spannend.
Seine Augen zucken, sein Mund formt eine Grimasse, dann tritt etwas Kaltes in seinen Blick – so kalt, dass es mir Schauer über den Rücken jagt, die nicht da sein sollten.
„Du hast dafür gesorgt, dass Aschara mich aus der Truppe wirft, du Arschloch.“
Ich lasse ihn los, einen Schritt zurücktretend.
“Was? Daran würde ich mich erinnern!“
Tust du nicht? Ich dachte, du könntest Nichts vergessen? Hähä, ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist nur Sekunden entfernt sowie sehr lustig.
„Ach so? Wer hat ihr denn bitte gesagt, er wäre ein Freund von mir, obwohl wir uns genau einmal kurz gesehen haben? Was sollte das denn bezwecken, außer, dass sie mich wegen Lügens unzeremoniell entfernt?“
Uuuund hier kommt sie: Die Schuld! Perfekt! Wunderschön! Jedes Mal wieder schön!
...wie ein Schlag in die Magengrube sich wohl anfühlen muss. Natürlich. Die Information, die Aschara von mir wollte, für die ich das Schwert bekommen habe, das mich gerade weitaus mehr behindert hat als dass es mir genützt hätte...was es eh noch nie tat. Nein, sonnenklar! Dass ich so blöd gewesen sein könnte! Darum hat die Söldnerführerin mich gefragt, wer der zweite Name war – nur Vanji hatte bisher zugegeben, mich zu kennen, Devak wird das einfach vergessen haben...aber für sie musste es so klingen, als hätte er es bewusst verheimlicht...
„So still, Dämon? Genießt du deine Untat und lachst still, oder was?“
Ich...ich...oh nein...wie konnte das so schief laufen? Ich dachte, ich hätte ein Unentschieden erreicht gegen Aschara, aber in Wirklichkeit hat einfach nur Devak, völlig unschuldig, verloren – und dadurch habe letztlich ich verloren, weil ich es mir gerade mit Ormus verscherzt habe! Was...was habe ich falsch gemacht? Wann hätte ich besser aufpassen können? Warum schon wieder? Ich bin einfach noch zu unerfahren in diesem Spiel...der Intrigen...aber wie hätte ich üben sollen? Was soll ich jetzt tun?
Eine Gestalt schiebt sich an mir vorbei – Meschif. Er sieht Devak mit mühevoll gezügelter Wut an.
„Sag mal, spinnst du völlig? Der Golem würde so etwas nie tun, ich kenne ihn wohl weitaus länger als du, wer auch immer du bist – ich muss den Menschen noch treffen, der ehrlicher ist als er. Wenn du nicht innerhalb von zehn Sekunden aus der Sichtweite meines Schiffs bist, werden wir mal sehen, was du tust, wenn du zu beschäftigt bist mit bluten, um zu zaubern. Eins. Zwei. Zeh...“
Der ehrlichste...ehrlicher als...nein, das ist zu viel.
Ja, wirklich, ich sterbe hier vor Lachen! Hör auf, bitte! Wenn du dich noch tiefer reinreitest, platze ich!
„Nein, Meschif! Nein! Lass ihn in Ruhe! Er hat Recht! Ich habe dafür gesorgt, dass er seine Anstellung verloren hat! Devak...es tut mir Leid. Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gutmachen kann. Bitte, glaub mir, ich wollte das nicht. Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen, ich habe nicht nachgedacht, und ich habe mich in Versuchung führen lassen, Dinge zu tun, die ich nie hätte tun sollen.“
„Ach? Das hilft mir jetzt viel! Wie soll ich in diesem Drecksloch überleben? Betteln bei Leuten, die Alles verloren haben?“
Nein...seine Wut auf mich, und wie Recht er damit auch noch hat...
He, mir gefällt jetzt aber gar nicht mehr, welchen Gedanken du gerade formst.
Ich hebe meine Hand und lege sie langsam auf Devaks Schulter. Er zuckt zusammen, aber starrt mich weiter hasserfüllt an.
„Bitte, Devak, ich kann dir nicht oft genug sagen, wie Leid mir das tut. Und ich werde es wieder gut machen. Ich verspreche dir das bei allen Engeln, ich sorge dafür, dass du wieder zurück zu den Söldnern kannst, egal, wie. Und solange du Nichts verdienst, bin ich in deiner Schuld.“
Bist du völlig irre?
Das überrascht jetzt aber beide Männer.
„He, dieser Dreckskerl hat gerade meine Figur versenkt, und du bist bereit, ihm das einfach so zu vergeben?“
„Was soll das? Ich brauche dein Mitleid nicht! Hättest du keine Scheiße erzählt, würde ich jetzt nicht in der stecken – und du mit drin!“
„Ihr seid jetzt still, ihr zwei Streithähne! Devak, glaub mir, wenn ich gewusst hätte, was ich mit dieser einen Bemerkung anstelle, dann wäre ich lieber gestorben, als sie zu machen. Meschif, auch du reg dich ab. Ich regle das. Ich bring Alles in Ordnung. Geht euch jetzt nicht an die Kehle, ich bin sofort wieder da.“
Damit trete ich langsam rückwärts zurück, die beiden beobachtend – sie scheinen gewillt zu sein, erst einmal friedlich zu bleiben.
Dann springe ich nach hinten und ins Hafenbecken.
Jetzt hat dich der Wahnsinn aber endgültig erwischt! Wie sollen wir hier je wieder rauskommen?
Mit einem gewaltigen Platschen – ich hoffe, es kühlt die zwei da oben ein wenig ab! – durchschlage ich die Wasseroberfläche. Ich scheine nicht ganz dicht konzipiert worden zu sein – oder die bisherigen Kämpfe haben schon Spuren hinterlassen – auf jeden Fall schwebt ein steter Strom Luftblasen an meinen Augen vorbei...und ich spüre, wie ich volllaufe. Und sinke. Schon in einem halben Meter Tiefe dringt kaum Licht zur Erleuchtung dessen, was vor mir liegt durch...und da kann ich wieder sehen, schwarz-weiß, sehr gut. Wenn das nicht funktioniert hätte, wäre ich wohl ernsthaft in Panik geraten.
Denkst du eigentlich jemals nach, bevor du was machst?
In diesem Fall denke ich wohl klarer als ich das den ganzen letzten Tag getan habe.
Soso. Was immer du sagst. Oh, kann ich nicht in Ruhe sterben statt bei dir gefangen zu sein?
Wie tief ist dieses Meer? Natürlich müssen hier Schiffe hineinfahren können, aber so...ah, da treffe ich auf Schlammgrund. Mein Blick wandert nach oben; vage kann ich die Sonne sehen, die sich auf der Oberfläche spiegelt. Gut, das sind wohl etwa fünf, sechs Meter – kam mir länger vor, aber gut. Ich hebe die Hand vor mein Gesicht; meine Bewegungen sind sehr langsam...kein Wunder: außen und innen stemmt sich die Flüssigkeit dagegen. Hilft Nichts. Jetzt wo...
Da! Das ging schnell – aber sie ist nicht weit gerutscht. Da liegt die Jadefigur in all ihrer kruden Bearbeitung. Langsam packe ich sie und stecke sie in meinen Gürtel, dem Schlüssel gegenüber. Die Schlingen hieran sind ideal! So. Und jetzt?
Nachdenken...
Nein, es ist nicht zu spät dafür. Irgendwo wird es doch eine normale Küste geben hier!
Wenn man bedenkt, dass Kurast eine Küstenstadt war, also womöglich kilometerlang eine Hafenmauer das Meer von der Zivilisation abgetrennt hat, bis der Dschungel kam...kannst du wohl fast bis Lut Gholein zurücklaufen, das dürfte schneller gehen.
Ach, verdammt!
Ja, verdammt. Und jetzt?
Ich starre das Schwert an.
Das könnte eine Weile dauern. Hoffentlich bringen sich die beiden da oben nicht um, bis ich zu ihnen stoße.
Ich ramme meine Waffe in Kopfhöhe zwischen zwei algenbewachsene Steine, die das Dockfundament darstellen. Komm schon, Mörtel, gib nach...ja. Tut er. Das Schwert hält halbwegs, und ich ziehe mich daran hoch, meine leider furchtbar glatten – und zehenlosen, verdammt! – Füße gegen die Wand stemmend...so, und jetzt? Meine freie, aber schwertlose Hand, gräbt sich in die Wand. Noch ein wenig tiefer...gut. Hält. Und ich ziehe mich hoch...
Da bricht der Stein unter meinem Griff, und ich falle zurück auf dem Grund.
Du kannst keine senkrechte Wand aus Stein unter Wasser hochklettern!
Unter Wasser schon...aber sobald mein volles Gewicht über der Oberfläche ist, wenn hier unten schon die Steine brechen...ach, Scheiße, wie komm ich da jetzt wieder hoch?
Da senkt sich etwas neben mir hinunter. Ich glotze es an. Ein Stein an einem dicken Seil.
Jemand hat an mich gedacht!
Hast du ein Glück. Viel zu viel davon. Irgendwann verlässt es dich, und dann haben deine Dummheiten auch wirklich Konsequenzen! Geschähe dir Recht!
Nun bloß nicht weinen, ich wette, du kannst dir auch Schöneres vorstellen, als hier unten mit mir zusammen zu rosten. Ich packe das Seil mit der einen Hand, die das kann, und ziehe kurz daran; dann warte ich.
Ja, es wird an der anderen Seite daran gezogen – und das kräftig genug, um mich mit einem Ruck hochzubefördern, nachdem ich kurz einen Sprung gemacht habe, um vom Schlamm loszukommen, in den ich schon tiefer eingesunken war, als ich gedacht hatte. Jetzt steige ich zur Sonne. Wunderbar.
Mein Kopf durchbricht die Oberfläche – könnte ich, würde ich tief Luft einsaugen, aus reiner Erleichterung.
Jetzt bitte, denk einmal nach.
Ah.
„Ein wenig langsamer, ich muss erst leer laufen, sonst wird das für das Seil zu viel!“
Wer auch immer zieht, hört mich, und ich steige zögerlich, nach meinem rechten Arm leert sich mein Kopf, danach rinnt das Wasser aus meinem Schwertarm, meine Schultern...gut. So wird das was.
Offenbar hat Meschif auf seinem Schiff einen Flaschenzug – klar, wie bekommt er sonst Last darein? Können nicht alles die Träger machen, die er dafür in Lut Gholein angeheuert hatte, wenn er einmal schwerere Ladung befördern will...
Als ich über die Reling blicken kann, aus allen mir bisher unbekannten Ritzen dreckige Flüssigkeit strömend, traue ich meinen nicht vorhandenen Augen kaum: Meschif und Devak ziehen mit voller Kraft an der Seilrolle, deren Hanfkind mich hält. Nur kurz habe ich Zeit, mich zu wundern, dann bin ich hoch genug, um mich darauf konzentrieren zu können, sie von ihrer Last zu erlösen – ich schwinge zurück – sie müssen sich kurz besonders anstrengen – das Seil sackt ein wenig durch...oh, verdammt...Devak schwächelt...und lässt los. Nein! Meschif kann mich nie lange genug alleine halten...und mein Schwung ist zu wenig. Doch der ehemalige Söldner rennt nicht weg – er rennt auf mich zu! Was...
Ich falle, und sehe sein angespanntes Gesicht. Nicht wieder ins Wasser...!
Es knirscht, und ich wundere mich doch sehr, wie hart so ein Hafen sein kann. Ist das...
Nicht wackeln!
Ah! Es rutscht! Doch da festigt sich meine Lage wieder...puh, das war knapp, fast wäre ich abgerutscht. Jetzt riskiere ich einen Blick.
Ja, Devak hat das Wasser unter mir zu Eis gefroren und ich bin auf der Scholle gelandet! Weitere Gletschernadeln auf allen Seiten haben sie fixiert, jetzt kann ich aufstehen. Da hat er aber schnell gedacht.
Ja, werd nur neidisch.
Jetzt kann das Wasser komplett aus mir herauslaufen, und gleich können sie mich erneut in Ruhe hochziehen. Und ich warne sie vor dem Schwung.
„Danke! Vielen Dank! Aber...warum?“
Devak, ziemlich müde aussehend, mehr vom Zaubern als vom Ziehen, wie mir scheint, zieht die Augenbrauen zusammen.
„Ich bin einfach zu neugierig – ich will sehen, wie du denkst, dein Versprechen einlösen zu können, Kamerad.“