Danke @Dame Venusia und alle anderen
Zum neuen Kapitel muss ich unbedingt hinzufügen, dass bedeutende Teile davon nicht allein meine Idee waren. An dieser Stelle nochmals ein dickes Danke an meinen einen Betaleser Stalker_Juist, der maßgeblich an der Entstehung von 'Saqqara' mitbeteiligt ist. Ich bin wirklich überglücklich, ihn und Dingior als B.leser zu haben.
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XXVII. Die vergessenen Völker
Frühnebel lag über Kurast.
Im Südosten der Stadt stand ein Mann auf einem niedrigen Hügel. Hier fehlten die Waldhänge, die Kurast einschlossen – ein Stück flaches Land, von weit verstreuten Salbäumen bedeckt, gab den Blick auf das ferne Häusermeer frei.
Nicht vollständig still war es ringsum, doch die hellgraue Decke des Nebels dämpfte jeden Laut, auch das nie verstummende Klanggemenge eines lagernden Heeres.
Die Welt zeigte sich unwirklich im Grau. Man sah noch schlechter, als man hörte.
Menrad ließ einen letzten, langen Blick über das freie Feld vor der Stadt gehen. Nichts regte sich zwischen seinem Standort und der schattigen Linie zu erahnender Häuser. Auch wenn Kurast mit den Angreifern rechnete, waren sie durch den Nebel vermutlich kaum zu sehen. Er sog die vergängliche Kühle des Morgens ein, angespannt, doch in der Anspannung eigenartig froh.
Kurast war eine gefährliche, klare Herausforderung und der unerwartete Zusammenhalt des Kriegszuges ein starkes Rückgrat für jeden rastlosen Geist. Des Paladins Brust berührte seinen Harnisch, als er sich straffte, beide Stiefel fest im Sand, hier, ein Stück über den Häuptern des Heeres.
Er wandte den Kopf, als ein Anführer der Pundarkrieger zu ihm hinaufstieg. Die Männer grüßten einander, verzichtend auf höfliche Umständlichkeiten. Sie hatten sich in den vergangenen Wochen ohne viele Worte schätzen gelernt.
Gesten und Gesichter dieser Menschen würden Menrad auf ewig fremd bleiben, aber sie waren ausdauernde Krieger, erstklassige Soldaten, verlässlich in all ihrer Wildheit. Absichtlichen Ungehorsam sah man selten. Aberglaube und Unbeherrschtheit, bei einigen zu irrsinniger Gewalt gesteigert, waren ihre Schwächen.
Ihre gleichzeitige feine Schärfe im Kampf und ihre plötzliche Raserei, ihre Leidenschaft, die seltsame Züge annehmen konnte wie offenen Sanftmut oder lähmende Trauer, ließen ihm ihre dunklen Gesichter zu Masken werden, hinter die er nur selten zu blicken verstand.
„Kein Zeichen drüben?“ Der Angekommene folgte Menrads Blicken in den Nebel.
„Alles sieht ruhig aus, Amal“, entgegnete der Paladin. Erstaunt und dankbar nahm er den Kupferbecher mit Tee an, den der junge Mann mit dem bubenhaften Gesicht ihm reichte. Amal erinnerte ihn sehr an Basruth, und das Äußere täuschte. Er war einer der gefährlichsten Kämpfer an der Seite des Fürsten.
Tee. Im Lager – ganz gleich, ob sie im nächsten Augenblick angegriffen würden – schwelten kleine Feuer, Teefeuer, wie Menrad sie nannte.
Immer kochen sie Tee.
„Mögen unsere Verbündeten bald eintreffen“, sagte der Pundarkrieger. „Sonst werden wir, sollte Kurast unser Lager attackieren, oder auch bei einem eigenen Angriff, in starke Bedrängnis geraten. Der Tag stimmt.“
„Zweifelt Ihr daran, dass sie kommen?“ Menrad spürte einen Schauder der Ungewissheit. Sie verließen sich auf einige wenige Menschen. Auf die Worte eines einzigen Mannes.
Doch die Zweifel hielten nur kurz an.
Es war mit Sicherheit keine Sympathie, und falls Respekt, dann nur ein höchst widerwilliger, aber etwas ließ Menrad wissen:
Der Nekromant wird Wort halten. Sie werden kommen.
„Ihr zweifelt nicht?“ kam die erstaunte Gegenfrage.
„Nein.“
Der Pundarkrieger behielt offenkundig für sich, was er dazu dachte, und sah mit wieder gestrafften Zügen in den Nebel. „Seltsames Schicksal“, bemerkte er noch, bevor er wartend verstummte, „das uns von einem Pakhrajünger abhängig macht.“
Das Heer blieb ruhig, nur einzelne, vorsichtige Hauptleute stellten ihre Krieger neu zusammen, hießen sie wachsam sein.
Kaum ein Vogel schreckte die Späher einmal. Die Welt blieb trüb und still.
Nichts, nichts.
Das Warten war mühsam, und das Verstreichen der Zeit nur an einer blassen Sonne erkennbar, die langsam über den Horizont gekrochen kam und den Nebel bald auflösen würde.
Dann hörte Menrad es.
Es kam erst als ein leises Erzittern im Boden, kaum schon ein Geräusch, und verdichtete sich mit dem Umwenden der Wachsamsten in die Ahnung ferner Bewegung, vielleicht Stimmen, vielleicht Aberhunderte von Füßen, und als der gesamte Kriegszug in den Nebel hinter sich sah, rollte die erste Trommel. Ihr folgte eine zweite, leiser. Dann mehrere, ein ganzes Gespräch dumpfer und hellerer Schläge.
Menrad, der sich halb in einem Traum wähnte, hörte Gesang. Er starrte in das ziehende Weiß. Es war das fremdartigste Singen, das er je vernommen hatte. Und mit ihm lösten sich Gestalten aus dem Nebel.
Zügig, aber ohne Hast kamen sie herangeschritten, erst wenige, schattenhafte Umrisse, die sich bald zu einer Menge verdichteten. Das Auge konnte kaum mehr erkennen als Körper, Stäbe, hochgehaltene dünne Banner, einen singenden Geisterzug.
Die Verbündeten. Sie sind gekommen.
Unter erstauntem, leise aufkommendem Reden des Kriegszuges trafen die beiden Gruppen aufeinander. Jetzt, wo sie bei ihnen angelangt waren, konnte man die ungefähre Zahl der Hinzugekommenen schätzen. Es mochten an die fünfhundert sein – mehr, als der alte Zug Köpfe zählte.
Sprachlos sah der Paladin zu, wie sich eine kleine Gruppe aus der Menge löste, die immer noch hier und dort beschwörend mit ihren Instrumenten rasselte.
Es sind so viele. Er erkannte Hadan unter der kleinen Gruppe, einige Schritte dahinter den schwarzen Haarschopf der jungen Assassine, und zwischen diesen Männer sehr unterschiedlichen Aussehens.
Nur zwei von ihnen neigten die Köpfe vor dem Pundarfürsten, der den Verbündeten entgegenschritt. Der Nekromant indes kniete nieder.
Die neblige Luft trug die Stimmen mühelos auf nahe Distanz. Menrad vermochte zu verstehen, was gesprochen wurde. Mit steifen Beinen verließ er den Hügel und näherte sich dem Ort der seltsamen Begegnung.
„Du hast Wort gehalten“, hörte man soeben den Fürsten, der auf den sich aufrichtenden Nekromanten blickte.
Menrad fiel es wie Schuppen von den Augen. Er selbst wurde mit der Höflichkeitsform angeredet – während man zu Hadan sprach wie zu einem niederen Mann, einem Mann der Straße.
’Du’. Und hier bedeutete es keine Vertrautheit.
„Wir sind seit Mitternacht marschiert, um rechtzeitig hier einzutreffen, Hoheit“, antwortete der Angesprochene. Keine Müdigkeit umgab ihn – vielmehr die zwingende Aura einer Unbeugsamkeit, die sich vorbereitet. „Hier seht Ihr die Anführer derer, die aus den Wäldern, von Mandjab und aus der Wüste Sibha gekommen sind, um uns beizustehen.“
Während die Oberen aller Gruppen sich begrüßten – eine Unterredung beträchtlicher Dauer, in welcher zum Ausdruck kam, dass die verschiedenen Menschen sich nur mit Mühe verständigen konnten, auch wenn sie alle dem Osten entstammten – hingen Menrads Augen an den neuen Verbündeten.
Vom Gürtel an aufwärts nackt, nackt bis auf Umhänge oder Schmuck aus Steinen, Federn und anderem, war eine große Menge hochgewachsener, knochiger Männer da. Ihre Haut war das erstaunlichste Kupfer. Weiße Streifen, wirre Muster, bildeten darauf eine Bemalung, eine nicht zu entziffernde Bildschrift. Sie hatten das teils hüftlange Haar in unzähligen Zöpfen eigentümlich hochgesteckt, standen lässig, stolz, mit dem Habitus von Menschen, die sich nie innerhalb beengender Mauern bewegt haben, und stützten sich auf Speere. Was an kürzeren Waffen um ihre Gürtel hing, ließ sich nur erahnen. Ohne diese Männer je auch nur beschrieben gehört zu haben. ahnte Menrad, dass es Bewohner der Sibhawüste waren, dem östlichen, viel kleineren Gegenstück des großen Sandmeers im Westen.
Eine zweite Menge war zahlreicher, aber von sehr niedrig gewachsener Statur: Krieger, die Menrad allesamt nur bis an die Schulter reichen mochten, dunkel, mit ungewöhnlichen, platten Gesichtern unter strähnigem Haar. Einige trugen blassgoldenen Schmuck und riesige Pflöcke in den Ohrläppchen. Man sah auch Frauen unter ihnen. Macheten und Schilde aus lederbespanntem Holz waren ihre Ausrüstung.
Vor Jahren hatte es eine Reise paladinischer Missionare zur Insel Mandjab gegeben, und dieses kleine, doch für seine Unerschrockenheit im Kampf berüchtigte Volk war Menrad aus den Berichten bekannt, Berichten, die erzählten, dass man die Ordensbrüder zwar ohne Gewalt, aber mit unmissverständlichem Nachdruck wieder von der Insel herunterkomplimentiert hatte.
Als letzte zog eine dritte Gruppe die Blicke auf sich, die sich zwischen Haufen halbwegs gut ausgerüsteter Landbewohner mischte. Überwiegend ältere und alte Männer waren es. Man sah sämtliche Haar- und Hautfarben des Ostens bei ihnen, Bemalungen, Amulette, Knochen, Bänder. Viele waren barfuss – abgerissene, abenteuerliche Gestalten, die dennoch etwas verband. Vielleicht würde das Auge ewig suchen und meinen, dass es nicht der fiebrige Blick dieser Männer war, nicht ihre sparsame Bewaffnung, die sie unter Kriegern als Magiekundige auswies, und auch nicht ihr wunderliches Gehabe. Vielleicht war es eine unsichtbare Zusammengehörigkeit.
Die Nekromanten des Ostens waren dem Ruf des Pakhrajüngers gefolgt.
Menrad erreicht seine Gefährten, die sich inmitten der Heere wiedergefunden hatten.
Hadan wandte ihm die stechenden Augen zu, hinter sich die Assassine und die Magierin, die sich in die Arme schlossen.
„Paladin.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. Ironie war darin nicht zu erkennen.
Nach einem Lidschlag des Zurückzuckens, inmitten der überwältigenden Gerüche fremder Körper, erwiderte Menrad die Begrüßung.
„Ihr habt viel Unterstützung aufbringen können“, sagte er in einem halben Versuch, Anerkennung zum Ausdruck zu bringen.
„Sie sind verwendbarere Krieger, als es den Anschein haben kann“, entgegnete der Nekromant mit Blicken auf die langsam zusammenfließenden Heere. „Wenn Kurast obsiegt, wird es sich ihrer Lebensräume bemächtigen. Das wissen sie. Sie haben ihre eigenen Kriege bestanden und werden geben, was sie können. Aber ich weiß nicht, wie sie sich gegen eine bewaffneten Stadt bewähren.“
„Ihr habt Skrupel.“ Menrad sah fest in das bleiche Antlitz. Er war so erstaunt von der Besorgnis im Tonfall seines Gegenübers, dass er es laut aussprach.
Für einen Atemzug gefror die Miene des Nekromanten. Dann löste sie sich. Ein Stück mehr begreifend, erkannte Menrad hinter dem dunklen Magier einen verhärteten, in seinem Stolz gefangenen Mann, den jüngere Ereignisse zwangen, aus seiner Form auszubrechen und der in Bereichen des Lebens blind umhertappte, die ihm nie jemand gezeigt und die er stets gemieden hatte.
„Die habe ich“, kam es zurück. Dass er seine Stimme senkte, war dem Nekromanten vielleicht selbst nicht bewusst, doch Menrad bemerkte es. „Was auch immer ich anfasse, endet im Sterben.“
Die Magierin und die Assassine, die vom Wortwechsel der Männer nichts mitbekommen hatten, beendet dazwischenplatzend die seltsame Situation, zwei Frauen, die einfach froh waren, sich wiederzusehen – selbst im Angesicht des Krieges. Bevor Hadan zurücktrat, sichtlich erleichtert, wurde Menrad Zeuge zweier Blicke.
Einer hing kurz an ihm, frei von Hass, in Verwirrung darüber vielleicht, was man sich unabsichtlich anvertraut hatte. Der andere streifte die junge Assassine, verborgen, gleitend wie eine Schlange, und voller Schuldbewusstsein.
Viel Zeit für das Wiedersehen blieb ihnen nicht.
Die Hauptleute und Einzelkämpfer um sich scharend, erklärte ein Begleiter des Pundarfürsten den Plan für die kommende Schlacht.
Das Heer würde in breiter Front vorrücken und in die Stadt zu gelangen versuchen, wie es schon in Shanghar getan worden war. An den Tempeln, den Stützpfeilern der neuen kurastischen Ordnung, erwartete man den größten Widerstand. Sie überwindend, sollte sich das Heer langsam um Travincal, das Herz der Stadt, zusammenziehen, doch erst, nachdem jede andere Gefahr gebannt war.
Der Nebel begann sich zu lichten.
Es mochte die sechste Stunde des Tages sein.
Von einer Erhebung aus richtete der Fürst letzte Worte an die Männer des nun fast tausendköpfigen Kriegszuges. Seine Worte wurden weitergegeben, wo die hinten Stehenden sie nicht mehr hören konnten.
Denn der Fürst sprach rasch und tastend. Auch er konnte nicht wissen, was sich in Travincal verbarg, welche Macht sich dem Aufstand letztlich entgegenstellte. Er musste anspornen, wo es in Wahrheit Anlass zu ernster Sorge gab.
Zäh war der Marsch über den Kontinent gewesen, mühsam, aber fast zu leicht, was Widerstand betraf. Die Taktik Kurasts, besetzte Städte vorerst wieder aufzugeben, bedeutete keine Schwäche – solch ein Narr war er nicht. Sie bedeutete, dass sich die ganze Schlagkraft der Alten Stadt nun in ihr gesammelt hatte, wartend auf eigenem Boden.
Die Angst mied er.
Wenn er Kraft verleihen konnte, indem er aufhetzte – untere Kasten gegen obere, lange nicht Gefragte gegen Regierende, Arm gegen Reich – dann tat er es. Dieser Krieg bediente sich der vergessenen Völker. In einem von finsteren Ahnungen und von Furcht gelähmten, in sich selbst verstrickten Land waren sie Jene, die aufbegehrten. Und der Fürst, von seinem uralten Geschlecht verwöhnt, hochmütig und eigen, aber nicht dumm, stieg von seiner Erhebung hinunter, unter das sich langsam in Bewegung setzende Heer, und ließ sich von einem seiner Diener seine Kriegslanze reichen.
Mit der Bewegung eines riesigen Schwarms formierte sich ein Heereskopf, verteilte sich die bunte Menge in große Farbflecken, schlug ihre Trommeln, und durch den schwindenden Dunst traten sie das letzte Stück Wegs nach Kurast an.
„Eya!“
Zwischen dem leisen Anruf von hinten, der die Assassine verharren und sich fragenden Blicks umwenden ließ, und dem Moment ihres Aufeinandertreffens lief die Welt langsamer.
Arglos, dunkel und klar, ohne mehr darin als mit Sorge gemischte Konzentration, schauten ihre Augen.
Hadan beschleunigte seinen Schritt. Ringsum strebte das Heer vorwärts, Dutzende um Dutzende bewaffneter Menschen, und es war kein Leichtes, hier Gedanken zu ordnen.
Aber es ist die letzte Gelegenheit. Er ballte unwillkürlich die Rechte.
Diesmal mag es sein, dass wir den Kampf nicht lebend überstehen. Nein, verbesserte er sich,
jeder Kampf trug das mögliche Ende in sich, den drohenden Verlust. Nur haben wir immer Glück gehabt.
Nicht wahr, Shatryindjah? Glück, wenn man es in all dem Irrsinn so hat nennen können.
Sie stand da und sah ihm entgegen.
Klein und schmal wirkte ihre lederumschlossene Gestalt inmitten einer großen Menge. Unbegreiflich war es eigentlich, dass sie bis hierher überlebt hatte, immer dicht an des Feindes zahllosen Waffen, ohne Schild, ohne Magie, geschützt nur durch ihre Schnelligkeit und ihr Geschick. In jeden Schrecken musste sie sich unmittelbar hineinbohren, um ihm schaden zu können, und war doch noch da.
Ich bin der Liebe dieser Frau vielleicht gar nicht würdig. In diesen Schritten, unbewegten Gesichts weitergehend, bedachte Hadan sein Alter. Seine Unzugänglichkeit. Seine oftmalige Härte und all das, was für eine Gefährtin eine Last sein musste.
Ich sollte anfangen, sie mir zu verdienen.
Vor dem drohenden Kampf wollte er die Assassine wenigstens wissen lassen, dass er zu begreifen begann. Ihrer beider Schicksal, Wege vormaliger Einzelgänger, hatte sich miteinander verschränkt, und nicht jeder Antrieb, dessentwegen ausgerechnet sie beide einander liebten und sie nach allem Zurückliegenden bei ihm blieb, musste gut sein oder gesund. Es mochte auch kränkliche, heimliche Gründe geben. Hier endete das Begreifen und ließ nur die Einsicht zurück, dass die kurze Zeit der Nähe all dem Unbekannten im Anderen noch lange nicht gerecht geworden war.
„Was gibt es?“ fragte Eya, als er zu ihr aufgeschlossen hatte.
Flüchtig hätten die glatten Züge, die sich aufsehend ihm zukehrten, haargenau das Antlitz derselben Eya sein können, die im Tal der Magier zum ersten Mal am Lagerfeuer gesessen hatte. In Wahrheit aber hatte sie sich verändert. Eine nachdenklichere, allmählich festere Persönlichkeit trat hinter dem scheuen Wesen hervor, das zuviel erduldete und ihn immer aufs Neue die Angst kennen lernen ließ, sie beuge sich lieber der Qual eines unguten Verhältnisses, als allein zu sein. Da er dies von ihrer ersten Begegnung an geahnt hatte, war die Wahl, vor die er sie gestellt hatte, doppelt grausam gewesen.
„Die Wochen der Reise, diese letzten“, begann er endlich mit halb erstickter Stimme, „waren sicher die besten meines Lebens.“ Spürend, dass er ihr etwas Besonderes zu sagen versuchte, stand sie jetzt mit halb geöffneten Lippen angespannt vor ihm. „Bevor wir weitergehen, sollst du noch Eines wissen, Shatryindjah – dass ich dich nicht genug um Verzeihung bitten kann für das, was ich am Fluss zu dir sagte. Ich habe dir sehr weh getan.“
Das immer so zarte, oft etwas erstaunt blickende Gesicht wurde ernst.
„Ja, das hast du.“
Innerlich zusammenzuckend, aber zufrieden gewahrte er ihre Antwort, den Vorwurf ohne Bitterkeit. Dies bewies, dass sie nicht urteilslos hingenommen hatte, was geschehen war.
„Ich bitte dich nochmals um Vergebung“, fuhr er fort. „Ich möchte dir sagen, wie sehr ich dich liebe. Dazu gehört auch die Einsicht, dass nicht unantastbar sein darf, was ich bin, nur... weil es ein Relikt aus einer Zeit vor dir ist und lange alles war, was es gab.“
Sie schwieg eine Weile und sah an ihm vorbei auf die Reihen marschierender Männer.
„Du kennst meine Geschichte nicht... noch nicht“, kam es dann leise von ihr. „Das Schlimmste daran sind nicht die Einzelheiten meiner Ausbildung, sondern es ist die Einsamkeit.“ Mit einer eigentümlichen Klarheit darin, durchdringend und vertraulich zugleich, fanden die schwarzen Augen zu seinen zurück. „Aber du kannst dir sicher sein, dass ich nicht nur deshalb bei dir geblieben bin, Nâkyshat. Und ich werde auch weiter bei dir bleiben, wenn... „ Sie stockte kurz. „Du bist ein besserer Mann als dieser am Fluss, vor Wochen. Und ich werde auf meine Freiheit achten, immer zu bewachen, dass du das nie wieder vergisst.“
Hadan wollte erwidern,
ich werde es nicht vergessen, aber ihm war, als habe er eine Handvoll Sand geschluckt.
Mit einem Lächeln, bei dem ihre Augen ernst blieben, langte Eya nach seiner Hand, stärker, fordernder als früher.
Keine innigere Geste, keine Vertraulichkeit gab es sonst mehr innerhalb des Heeres zwischen ihnen.
Dann gingen sie weiter, die Assassine dem Nekromanten nur bis an die Schulter reichend, eine noch nicht befestigte Großkralle an den Schnallen in einer Hand, der Nekromant mit einem Gesicht, in dem hundert Gedankenströme nur allmählich kühler Entschlossenheit wichen.
Das Heer hatte die kleine Ebene vor Kurast beinahe überquert.
Schräg und dunstverhangen blickte die Sonne auf den eigenartigen Kriegszug.
Einige hundert Schritte vor den ersten Häusern hielt er an. Dort rannten schon Wachen – man hatte sie längst bemerkt, es gab keine Heimlichkeit mehr und nur noch kurzen Aufschub. Rufend ordneten die Führer ihre Einheiten ein letztes Mal, über Dickichte sich erhebender Speere blickend, über Greise, die beschwörend in die Hände klatschten, Götter anriefen, einen heiseren Singsang ausstoßend. Gebete schwangen über das Heer hin – uneinheitlich wie die Abstammung seiner Mitglieder, vermischten sie sich zu einem chaotischen Lied ohne Anfang und Ende.
Durch ein Pandämonium fremden Glaubens schritt Menrad die Reihe seiner Männer ab, verließ sie dann kurz, um sich der Gruppen an ihren Flanken zu versichern. Sein Kopf war leer, aber er fühlte keine Leere in der Brust.
Die Paladine standen weit links im Heer, fast an dessen Rand. Dort, hinter einem ungeordneten Haufen der kleinen Menschen von Mandjab, unter einem alleinstehenden Baum, gewahrte er eine kniende, mattgoldene Gestalt.
Ifrah. Sie kehrte ihm den Rücken zu und war so versunken, dass sie ihn nicht bemerkte, als er näher heranging.
Von einem eigentümlichen Antrieb bestärkt, hielt er weiter auf sie zu. Deutlich, trotz ihrer Rüstung, zeichnete sich ihre Körperform vor seinen Augen ab: das ausladende Becken und Gesäß unter einer schmalen Taille, die in schmalen Fesseln endenden kräftigen Beine, der Schwung ihrer Nackenlinie. An ihr waren die Ideale uralter Göttinnen verlorengegangen, aber er sah es, wie er ein schönes Standbild betrachtet hätte, und jetzt ganz ohne Verlangen.
Sie betete.
Es offenbarte sich ihm nicht erst, als er ihre murmelnde Stimme vernahm und sie das erste Mal Worte in ihrer eigenen Sprache gebrauchen hörte, dem kehligen Djaddh, das er selber nur schlecht beherrschte.
“...Badr, du Leuchtender, und Junah, die du alles und auch die Elemente gebierst, Element, meine Dienerin und meine Herrin, meine Kraft und meine Verpflichtung, steht mir alle bei. Lasst mich zu ihr zurückkehren, die ohne mich allein und schuldlos bestraft sein wird. Lasst mich zurückkehren...“
Eigenartig berührt, kaum noch von einem alten Anflug des Ärgers beim Miterleben fremder –
frevlerischer – Gebetshandlungen gestreift, verhielt Menrad. Eine unerklärliche Scheu hatte ihn heimgesucht. Vor Monaten noch hätte er sie absichtlich und rüde unterbrochen, ganz gleich auf welchem Boden.
Jetzt stand er betreten. Sie sprach von ihrem Kind, begriff er. Nicht ihrer eigenen Unversehrtheit wegen war sie besorgt, sondern um des kleinen Mädchens willen, das tief unten im Süden in einem Tempel auf sie wartete.
Leise zurücktretend, wandte er sich ab.
Das Heer glich von hier aus einer sonderlichen Volksmenge, die sämtlich in eine Richtung sah. Spitze, lange Gegenstände überragten sie, und Rauch drehte sich an zwei Stellen aus dem Meer der Köpfe.
Es war eine bittere Übung, sich vorzustellen, wie viele diesen Tag nicht überleben würden.
Sie konnten nur ihre Waffen umkrallen, auf die Linie der Bebauung starrend, und in sich genug Feindseligkeit und Angriffslust suchen, um der riesigen Stadt entgegenzutreten.
„Menrad“, ließ ihn eine Stimme zusammenschrecken.
Die Magierin stand neben ihm. „Was tut Ihr hier? Solltet Ihr nicht bei Euren Brüdern sein?“
„Ich vertrat mir die Beine“, gab er ungelenk zurück.
Die ältere Frau blinzelte gegen die niedrige Sonne. „Die Ruhe vor dem Sturm“, sagte sie. „Das kann einen wahrlich ängstigen.“ Wie viel ihrer Gelassenheit echt und wie viel davon vorgetäuscht war, ließ sich nicht erraten.
Menrad spürte plötzlichen Ernst, und ehe er sich versah, hatte ihn dies über alle verbliebenen Vorbehalte weggetragen. „Hört, Ifrah, unabsichtlich fing ich ein paar Eurer Worte auf. Verzeiht, wenn ich Euer... Gebet gestört habe. Und verzeiht auch, wenn ich mir zu vermuten erlaube, dass Ihr fürchtet, Eure Tochter als Waise zurückzulassen.“
Leiser Schmerz wusch das Erstaunen in ihren seltsamen Augen weg. Dann senkte sie den Kopf. „Maysan musste ohne Vater aufwachsen. Auch ließ ich sie zu oft allein. Falle ich im Kampf, wird sie niemanden mehr haben. Früher hat mich das nicht zurückgehalten, aber jetzt ist mir der Gedanke unerträglich.“
Eine Welle des Mitgefühls überkam den Paladin, heftig genug, um ihm die Brauen zusammenzuziehen. Die Frau aus der Wüste zu berühren, wagte er nicht, wusste nicht wie, selber ungeschickt mit solchen Dingen, und sie mochte es auch unpassend finden. Daher sagte er nur, die schon halb ausgestreckte Rechte stattdessen um den Griff des Kampfhammers schließend: „Eure Tochter wird Euch nicht verlieren, Ifrah.“
Er konnte kein Versprechen abgeben – ebenso wenig wie jeder andere Sterbliche auf Erden – nur die Angst fortschieben, für einen Augenblick, mehr nicht. Ihr Lächeln, dass nur ihre Augen, nicht aber ihren Mund belebte, zeigte, dass sie es verstand.
„Ich danke Euch, Menrad.“
Bevor er etwas erwidern konnte, ging gleich einer Windböe ein Erschauern durch das Heer, und die so verschiedenartigen Kämpfer sahen alarmiert auf. Eine Trommel rollte.
Der Angriff naht. Mit einem hastigen Segenswunsch verließ Menrad die Magierin und eilte zu seiner Einheit. Sie war nur ein paar Schritte entfernt. Er würde Ifrah eine Weile im Blick behalten können.
Aus weiter hinten stehenden Reihen, die jetzt mit den Füßen scharrten, riefen, ihre Waffen aneinander schabten, kamen die Assassine und der Nekromant näher.
Das Licht steh uns bei.
Mit einem Schlag, einem Schrei aus vielen Kehlen, der einem einzigen Hornstoß folgte, brach die Attacke los. Staub aufwirbelnd, setzte die tausendköpfige Schar sich in Bewegung, rannte dann, fegte gegen die ersten Häuser der großen Stadt.
Der Angriff auf Kurast hatte begonnen.
Gleich einer Welle, die Felsen auf einem flachen Strand umspült und an ihnen vorbei weiter aufs Land vordringt, ergoss sich das Heer der Angreifer in die Alte Stadt.
Kurast war zuletzt den unmenschlichen Schrecken der Großen Übel ausgesetzt gewesen – eine in ihrem Zusammenhalt ausgehöhlte Stadt, deren Bewohner sie fluchtartig hatten aufgeben müssen, verlassen und hintergangen von ihrer Obrigkeit. Die anders gearteten Schrecken eines Krieges jedoch lagen weit länger zurück.
Zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder überrannte ein Heer die gepflasterten Straßen, mussten die Menschen sich verzweifelt vor in ihren Höfen und vor ihren Türen entbrennenden Kämpfen in Sicherheit bringen.
Niemand hatte Kurast verlassen dürfen. In den Tagen des Wartens auf das Heer der Verräter aus dem Süden, wie der naherückende Gegner von den Küstern bezeichnet wurde, hatten Bewaffnete jeden Ausgang der Stadt bewacht, Häuser besetzt, Posten bezogen. Travincal wollte keine leeren Straßen, die leichter einzunehmen waren.
Sicher auf seiner steinernen Insel inmitten der Stadt, stützte es sich auf Massen aus Menschen und Häusern.
Der attackierende Kriegszug quoll in ein Meer von Leben.
Zwischen den ersten Behausungen der Vorstadt blieb Hadan stehen.
Inmitten an ihm vorbeirennender Männer breitete der Nekromant, schweigend in allem Lärm, den Gefechte ringsum aufwarfen, die Arme aus. Die Straße wurde dämmerig, als er die Augen halb schloss. Vor seinem Geist erstand sie als Band voller Seelenlichter, schwärmend, hier und dort Klumpen bildend, und es galt jene zu erfassen, die der Fluch treffen sollte.
Er musste sie herauslösen aus dem schönen, entsetzlichen Gemisch arbeitenden Blutes, schlagender Herzen, und sein Inneres gegen sie aufbringen. Den Rest übernahm die Magie des Fleisches. Er brauchte sie dazu nicht einmal zu sehen. Aber sie zu hassen, ohne sie zu kennen, war schwer genug.
Lähmende Angst ließ die Bewegungen der Umstehenden ermatten, plötzlich Nachbarn eines Sogs, der mit einem fahlen Leuchten in seinem Zentrum begann und mit einem lautlosen Aufstöhnen der Luft endete. Eine düstere Wolke senkte sich über die Szenerie der Straße, bis in die Hinterhöfe – ein herabregnendes Unheil. Die Kuraster mussten sich vornüber beugen. Vielen stürzte Schweiß und Wasser aus den Gesichtern und unverständliches Gestammel, und wo die Verbündeten sich vom Schreck der Gegenwart des Fluches am schnellsten erholten, rollten Kuraster Köpfe im Sand.
Asmah manas buthaga, kavynan,
Möge dich Schwäche befallen, Gehasster,
ay sundva bhajandra,
Schwerfälligkeit dich fesseln,
ay evda siddhva,
Alter dich verzehren,
divam paura athmasta taal.
Falle vor meiner Macht.
Die farblosen Augen öffnend, setzte sich der Nekromant wieder in Bewegung, eben noch rechtzeitig, um am Ende dieser ersten Straße, die in die Stadt hineinstieß, die Begegnung des Heeres mit den dortigen Feinden zu sehen.
Orange und Rot sprangen aufeinander los, dazwischen Braunes, Halbnacktes, und das Geschrei aus den umkämpften Ecken stieg hoch über die Dächer. Es waren die Stimmen vieler Gruppen, einander fremd, obgleich geboren im selben Land, die hier gegen die Angst vor Unterwerfung fochten.
Er hatte auf sie vertraut. Sie jetzt durch Straßenschatten hasten und in den Kampf stürzen zu sehen, lieber für ein Fortdauern jetziger Ungerechtigkeiten sterbend, als noch tiefer zu fallen, presste ihm das störrische Herz zusammen. Ihnen fehlte es nicht an Mut, aber hinter den Gegnern stand das Versprechen eines aufstrebenden neuen Reiches, das Feuer des Fanatismus – Dinge, die den federnd laufenden Sibhakriegern, den geschwinden Männern von Mandjab unbekannt waren. Vor den Augen des Nekromanten, der hastig seine Kraft sammelte und in den Moloch des Kampfes schritt, fielen die ersten.
Die Stadt wimmelte vor starken kurastischen Einheiten, und je tiefer man drang, desto erbitterter verteidigt würde sie sein.
Hadan riss das Crismesser und einen kleineren Dolch aus dem Gürtel.
In einem zur Straße halb offenen Hof, rechts von ihm, wehrte sich ein Pundarkrieger verzweifelt gegen zwei Kuraster. Bevor der Nekromant die Beschwörungsworte für einen Knochengeist auf den Lippen hatte, schwemmte eine Schar Mandjabmänner hinter ihm vorbei an den Ort des Geschehens. Eile und Zorn hatte ihre Gesichter, um die ihr glattes schwarzes Haar flog, blass und feucht überstrichen. Dennoch verzogen sie im Kampf kaum eine Miene. Ihre Münder klafften auf, als sie die Kuraster überrannten, gegen Mauern drängten und nieder hackten, aber noch im hochspritzenden Blut der Überwältigten rührten sich die flächigen Gesichter kaum.
Wenn ihr weit nach unten auf die südliche Insel geht, Wanderer, so wisset: Die dort leben, haben kein Wort für Furcht.
Um ihn herum, öliges Rot auf ihren Macheten, schwemmte ihre kleine Schar wieder zurück auf die Straße. Er roch ihre schwitzenden Leiber. Den geretteten Pundarkrieger und ihn selbst rissen sie mit. In allem Gerenne aber achteten sie sorgfältig darauf, ihn nicht zu streifen, um sich nicht mit seiner Magie zu vergiften. Weder Hass noch Verachtung steckten dahinter, und in dieser Sekunde geschah es, dass im einfachen Aberglauben der Mandjabmänner, in ihrer eigenen Weisheit, der Nekromant sich selber erkannte.
Deutlicher als in den ungezählten Versen heiliger Texte, die seine Kaste beschrieben.
Deutlicher als in der Abneigung der Menschen anderer Weltgegenden, und sogar deutlicher noch als in der Angst seiner Geliebten.
Helligkeit, Klarheit, sprang kurz und so heftig in ihm auf, dass er um ein Haar strauchelte.
Unter anderen, durchgebrochenen Gruppen kam die kleine Schar, und er mit ihnen, auf einem Platz aus. Hier, auf der sandigen Fläche inmitten noch flacher Bebauung, bohrten sich die Angreifer wie Arme in die ihnen entgegenrennende Masse Kuraster.
Ein Markt. Sie waren inmitten der neuen, südlichen Stadt.
Das Heer der Angreifer, hätten sie mit den Augen eines Vogels sehen können, zersplitterte sich in den Vororten, gelangte in Flecken mit den Schnellsten und Stärksten unter die Feinde, die sich hier und dort sammelten oder ihnen in lockerer Flut entgegenkamen. Erst hinter diesen Flecken drängte der Hauptteil des Heeres nach. Und immer noch waren Einheiten außerhalb der Stadt. Es gab nicht genug Platz. Einige, von geschickteren Anführern zusammengesammelte, rannten außen herum, um weiter östlich oder westlich andere Eingänge in die Stadt zu suchen als das halbe Dutzend umkämpfter Straßen.
Vielleicht fünfzig Schritte links von ihm gewahrte Hadan plötzlich Eya.
Das schwache Glühen, das sich ihm genähert hatte, war also doch das Licht ihrer Seele gewesen – kaum noch herauszugreifen unter der schieren Masse pulsierenden Lebens. Die wogenden Scharen schreiender, verwundeter Geister ringsum betäubten ihn fast, schlechter zu ertragen, seitdem er an Macht gewonnen hatte.
Seitdem etwas in dir mit den Ohren zuckt und alles Bedrängende nieder rennen will, und Schweiß brach ihm aus wie Wasser.
Vor Harrogath noch hatte er von seinen Söldnerjahren gezehrt, abgestumpft gegen Schlachten und ihren Wahnsinn. Diese Schlacht aber beutelte ihn, und zum ersten Mal wünschte er nicht nur, dass sie ende, sondern auch, dass sie die letzte sei.
Vielleicht ist es, weil wir gegen Menschen kämpfen.
Aber Eya war in seiner Nähe.
Um sie zu unterstützen, die leichtfüßig zwischen den Pundarkriegern lief, sandte er gegen einen leisen Widerstand einen Fluch über eine Fläche, groß wie ein ganzer Acker.
Ihre pechschwarze Gestalt tauchte durch den herabsinkenden, feurigen Hauch. Er konnte gar nicht anders als ihr zusehen. Selbst auf die Gefahr hin, dass eine Waffe oder sonst ein Angriff ihn traf, wollte er sich ihr Bild noch einmal einprägen, und in diesem Augenblick begann sie zu tanzen.
In zwei Umdrehungen, mitten darin ein blitzendes, genau messendes Auge, das die Fehlgriffe und Fehltritte gewöhnlicher Menschen kaum noch kannte und für das die Welt ein geordnetes Labyrinth der Entfernungen und das Hindurchgehen fast ein Spiel sein musste, streckte die junge Frau zwei Gegner nieder. Ohne einen Stoß oder einen Ruck, nur durch eine sachte Berührung.
Staubwolken verdeckten ihre Stiefel, aber Hadan wusste, dass ihre Füße kaum den Boden aufrissen.
Eine Reihe Verbündeter, eingekesselt zwischen Marktständen, war ihr im Weg und trennte sie von den nächsten ausgesuchten Opfern. Mit einem Wechselschritt aus dem Rennen heraus nahm sie Anlauf, und abgestützt mit nur einer Hand, die ihre Waffe blitzschnell in eine Beinschiene gestoßen hatte, setzte sie über den Holztresen des Hindernisses hinweg. Sie sprang nicht, sie flog. Mit unbegreiflicher Leichtigkeit, scheinbar unbeladen durch die alles Lebende nach unten reißende Kraft der Erde.
Ihr schlanker Leib war ein Bogen ohne Knochen und dennoch starr im Sprung, eine Feder, eine perfekt ausbalancierte Klinge aus Fleisch und Blut. Artisten hätten jeden ihrer Sprünge in Gold aufgewogen. In einem Wirrwarr durcheinandergeworfener Bretter, Leinwände und Rahmen, Kästen und Zäune, war sie dreimal so schnell wie alle Menschen auf diesem Platz.
Als er sich losreißen konnte, mochte sie eben mit ausgefahrenen Klingen unter den überraschten Kurastern landen.
Ihr Anblick war Antrieb genug – seine Zähne knirschten unter dem Druck seines Leibes und der Quelle der Macht darin, die gewaltsam Energie heranzerrte, ein heranbrandendes Meer davon, das den Mahlstrom der Kämpfenden durchraste und die Krieger zusammenschrecken ließ.
Das Ausatmen, das Loslassen der Macht senkte einen weiteren Fluch über alle nahen Gegner.
Schwertkämpfer im Rot Kurasts taumelten in einer Giftwolke. Das aufplatzende Seidensäckchen, von der hohen schwarzen Gestalt in ihrer Nähe zu ihnen geschleudert, hatte einen von ihnen direkt im Gesicht getroffen.
Satyarparthma, ein Bann, bewirkte, dass Verbündeten das Gift kaum Schlimmeres brachte als Schreck und ein Brennen der Atemwege, aber er, der Getroffene, gellte mit sich auflösendem Antlitz. Das Kreischen verstummte im Grün des Todes, als das Gift seine Stimme zerfraß.
Der Markt verwandelte sich mehr und mehr in ein makabres Zerrbild des Ortes, der sonst von Leben und Lachen übergeschäumt hatte.
An seinem anderen Rand trafen die Gefährten zusammen, zufällig durch die Gruppen, die sie jeweils begleiteten, in dieselbe Richtung gespült. In der Luft tobte der Lärm der kämpfenden Stadt. Ruhe würde es bis auf kurze Momente in geschützten Buchten des Schlachtenmeers nicht wieder geben.
Sie atmeten schwer und tauschten rasche, versichernde Blicke.
„Folgt uns!“ Einer der Hauptleute des Pundarfürsten eilte an ihnen vorbei, aufscheuchend, winkend. „Wir stoßen weiter vor!“ Seinem Wink leisteten bereits über hundert Krieger Folge, Pundarkrieger und einige Paladine, doch auch eigenständige Einheiten aus bewaffneten Zivilisten, Mandjabmänner und noch unverletzte Asketen, ein bunter Haufen, zusammengewürfelt vom Schicksal.
Das Auge konnte die Bilder gar nicht mehr fassen.
Bewaffnete aus dem Süden und Lichtkrieger riefen einander Wichtiges zu, genötigt zu hastigen Gesten und Berührungen, wo ihre Herkunft Verständigung erschwerte.
Knorrige Stöcke in hageren, klauenartigen Händen ragten über die voranflutenden Häupter, dazwischen blinkten hochgehaltene Säbel.
Ein Pundarkrieger warf einem blutenden Paladin seine eigene Wasserflasche zu.
Eya war auf eine umgestürzte Marktbude geklettert und spähte über die Menge. „Einen Straßenzug weiter“, rief sie, hinabspringend, während Menrad nach einem Segenswunsch mit seinen Brüdern schon weitereilte, „sieht man den ersten Tempel und die innere Stadt.“
„Das ist unsere Richtung.“ Ifrah fiel wieder in Trab, sich umsehend, dann in Rennenden untertauchend. Einen Herzschlag später folgten die beiden Anderen.
Der Tross des Vorstoßes bohrte sich in eine breite Straße. Die zweistöckige, schönen grauen Häuser Kurasts mit ihren Säulengängen, Balustraden und Höfen fassten sie ein. Doch genau wie die Hütten der langsam zurückfallenden Vorstadt, wo jetzt das nachrückende Heer den Markt erreichte, durchdrang diese Bauten der Krieg. Im Vorbeihasten sah man angstverzerrte Gesichter in den oberen Fenstern. Die Bevölkerung, angehalten, sich den Gegnern des Kindgottes entgegenzustellen, geriet zwischen die streitenden Fronten.
Man musste sich zum Geschrei in den unsichtbaren Höfen, zu dem Aufheulen von Frauen und dem Gepolter des Mobiliars, zu den schlecht bewaffneten, furchtsamen Männern, die den Kriegszug nur halbherzig attackierten, nicht viel hinzudenken. Viele warfen ihre Waffen fort und stellten sich lieber vor ihre Familien, weder der einen noch der anderen Seite wirklich feind, aber auch von ihnen wurden nicht wenige niedergemacht, oft vor den Augen ihrer Familien. Es gab in Eile und Irrsinn niemanden, der auf Gerechtigkeit achtete.
„Achtung!“ Hadan wandte sich nach der Stimme um.
Neben sich gewahrte er den Paladin, halb verdeckt von seinem Schild. Blut hatte die Oberfläche des Schildes verunziert, und Blut stäubte über den Boden, wo er seinen Kampfhammer hielt, aber das schmale Gesicht war straff, wach, ungetrübt die Augen.
Sichtbar ragte jetzt der erste Tempel auf – der Platz um ihn herum war ihr nächstes Ziel.
Menrad war über die Wahrscheinlichkeit, dort auf noch stärkere Gegenwehr, auf Küster oder auf besondere Attacken zu stoßen, so gut unterrichtet wie alle.
„Was meint Ihr?“ Ausspuckend hielt Hadan neben dem Lichtkrieger inne. Kein Blut. Kein Schmerz in der linke Brustseite, und sein Inneres hielt der Magie stand, anders als früher.
„In Shanghar wurden wir in einen Hinterhalt gelockt“, rief Menrad über den Kampfeslärm. Obwohl sie dicht beieinander standen, mussten sie fast schreien, um sich zu verständigen. „Ifrah mag noch keine Gelegenheit gehabt haben, davon zu berichten.“ Der Paladin wies mit dem besudelten Hammer zum Platz, der am Ende der Straße seiner Eroberung harrte. „Was, wenn es dort wieder so ist?“
„Lasst uns wachsam sein.“ Hadan rief zwei Pundarhauptleuten in Jabrah zu, was Menrad geäußert hatte. Er vertraute der Einschätzung des Westmarscheners. Die jahrelange Ausbildung, die jeden höheren Lichtkrieger notfalls dazu befähigte, ein ganzes Heer zu führen, trug auch Menrad im Blut.
Für die Assassine genügten ein Zeichen und ein Blick. Sie fegte auf der anderen Straßenseite wie ein Derwisch durch säbelstarrende Feinde, sah das Zeichen und nickte.
Ifrah konnten sie nicht erreichen. Sie mussten auf den Instinkt der Magierin vertrauen, und für Sorge blieb nur wenig Zeit.
Lass sie alle leben, Pakrah, bat der Nekromant, weiterhastend. Die Eile würde das Unverblümte des Stoßgebets als Not entschuldigen. Übermächtig, ungesehen, pulsierte die Welt um ihn herum, warf zurück, dass das Band zu seinem Gott noch existierte.
Lass sie den Kampf überstehen, damit diese Länder sich mit dem Leben füllen, das diese Frauen und Männer hüten und hervorbringen können.
Dunkel und wuchtig überragte der Tempel den Platz, auf den sich der Vorstoß hinauskämpfte.
Die Angreifer rechneten mit dem Schlimmsten. Doch der Widerstand war weniger grausam als befürchtet.
Überschaubar, wenn auch vielköpfig und stark bewaffnet, jagten die Gegner auf sie zu, und auf den Tempelstufen wartete ein Küster, wie es aussah. Rotgewandete verbargen sich in Gruppen hinter dem Bauwerk, das auf einem Erdhügel errichtet war, den man mit Treppen und Platten aus Stein gefestigt hatte. Der Platz war nicht groß. Überwanden sie die Gegenwehr und die Feinde am Tempel, so konnte er in ihre Hände fallen.
Während aber die Verbündeten sich schon über den Platz verteilten, hielt etwas den Nekromanten fest. Es mochte Menrads Warnung oder ein anderer Verdacht sein. Oder die flüchtige Beobachtung, dass der Bereich um den Tempel seltsam frei blieb. Nur ihre Mitstreiter überquerten ihn, um auf die Gegner loszugehen.
Ein merkwürdiger Ort, flüsterte sein Instinkt.
Merkwürdig – aber warum? Die Zahl der Gegner, ihre Verteilung? Ein Missklang im Geschrei, ein Hinweis auf eine verborgene Magie?
In diesem Augenblick war der Paladin an seiner Seite. Graue und farblose Augen trafen sich.
Ferner, bemerkte Hadan mit einem Zucken in den Gliedern, sprang Eya die Steinplatten des Tempelsockels empor, um den Küster und die auf der anderen Seite wartenden Feinde zu attackieren. Vorsicht klang in ihren Bewegungen. Noch zwei, drei Sätze, dann würde sie oben sein.
„Beim Abgrund“, knirschte der Paladin, wie Hadan selbst ein Mann zwischen Zweifeln, im Zaudern, aus dem rasch eine Entscheidung erwachsen musste. Es war das erste Mal, dass der Nekromant den Anderen fluchen hörte.
Ein Herzschlag. Vorbeirennende Männer. Hunderte Gesichter, Gewandfarben, festgefroren in einem Hinsehen.
„Hier stimmt etwas nicht.“ In den grauen Augen funkelte es. „Riecht Ihr das?“
Angewurzelt standen sie da, reglos inmitten des Kessels aus Häusern und Menschen.
Und Hadan roch es. „Pulver.“
Mitten in einer Stadt. Es war ein sehr neuer Geruch auf Sanktuario, vielleicht wenige Jahre alt, und schwer zu erkennen.
Hinter dem Küster, im Dunkel des Tempels, leuchtete es auf.
Eisig fasste das Entsetzen nach dem Nekromanten. Vielleicht hatte der Ort und wie sie empfangen wurden, die Verbündeten in allem Rausch doch stutzig zu machen begonnen. Vielleicht brüllte jemand anderes, der zum selben Schluss gekommen war wie er, Befehle.
Doch das Letzte, was Hadan sah, bevor es finster wurde und er in der Finsternis noch nach Eya schrie, war nur die Menge. Ein Mahlstrom. Ihre Bewegung, die einer Viehherde glich.
Über dem Entsetzen ein Zischen, lauter als die Schlacht.
Und alles ringsum zerbarst in Stücke.