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[Story] Saqqara

Reeba schrieb:
Zu den Ereignissen auf Sanktuario: wird sich alles aufklären. Ich habe mir die Mühe mit den verschiedenen Polen von 'Gut' und/oder 'Böse' nicht just for fun gemacht, ein (hoffentlich) nachvollziehbares und logisches Ende bzw. Auflösung kommt beizeiten.

Ich hab das Gefühl, dass es eine zentrale Macht gibt, die die Völker bzw. Rassen gegeneinander aufbringt.

Die Barbaren wurden ja von den Paladinen aufgestachelt, aber wer lenkt die Paladine? Das Lichtwesen aus dem letzten Kapitel kommt mir nicht ganz geheuer vor, ich musste komischerweise an die Szene aus dem D2-Intro denken, wo Marius in seiner Zelle Baal für Tyrael hält. Vielleicht das selbe Wesen, dass in Kurast seine Spielchen treibt?

Kann aber sein, dass ich einfach spinne. ;)

Zu Hadan: auch ich habe mittlerweile eine gewisse Abneigung, nein, besser Misstrauen, ihm gegenüber. Aus dem Streit erkennt man, dass ihm seine Macht und sein Glaube sehr wichtig ist, vielleicht wichtiger als die Beziehung zu Eya. Und um seine Macht noch zu steigern, riskiert er ihre Beziehung. Was wird er noch tun, wenn er sich dadurch mehr Macht erhofft?

Reeba schrieb:
Der Streit erschien mir lange überfällig.

Da möchte ich Dir widersprechen. :) Mein Zeitgefühl sagt mir, dass sich Eya und Hadan erst vor kurzem gefunden haben. Wie lange mag seit der ersten Nacht vergangen sein? Ein Monat? Dass sie sich als "Frischverliebte" jetzt schon streiten, kann natürlich sein, da sie doch sehr verschiedene Charaktere sind. Aber wenn sie so verschieden sind, hätten sie eigentlich garnicht zu einander finden können.

Reeba schrieb:
... Nur ein paar Bemerkungen von meiner Seite.

Das gleiche gilt für mich, also bitte nicht missverstehen. :) Das Ganze entwickelt sich zu einer grossartigen Geschichte und ich warte sehnsüchtig auf Updates.

So, keep up the great work! :)

Gruss

Enjaxx
 
Ich finde die Eure Sicht von Hadan sehr interessant... Ich habe ihn immer noch als meine Lieblingsfigur ins Herz geschlossen.
Nicht, dass ich die anderen nicht mögen würde, aber der Pala ist mir zu arrogant, zu Ifrah habe ich noch gar keine Beziehung aufbauen können (wie konte sie es nur wagen ein KIND mitzubringen!?!?), ok Maysan is echt niedlich - glaub ich - ...
Imo hat Eya wirklich nichts, aber auch rein gar nichts für die Beziehung zu Hadan getan; sie beobachtete, sammelte Informationen und sonst? Er hat das erste Mal nach ihrer Hand gegriffen und die Erlebnisse am Fluss forciert :D
Außerdem hat sie nie die Klappe aufgemacht.
REDEN ist das elementare Fundament einer Beziehung. Außerdem: Klar hatte Eya ein schweres Leben, aber ich glaube, was Hadan durchmachen musste ist ungleich fieser gewesen... Geprügelter Hund = bissiger Hund.

So, und wenn jetzt noch einer meinen Liebling beleidigt, bekommt er es mit mir zu tun :fight:

quote:
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Originally posted by Reeba
... Nur ein paar Bemerkungen von meiner Seite.

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hey - das gilt auch für mich...


:hy: Insidias
 
Dass mal Anteile meiner Geschichten so lebhaft besprochen würden (hier wie anderswo auch), hätte ich nie gedacht. Das ist sehr erfreulich :)

@enjaxx: das Thema des Streits (der ja eigentlich eher eine einseitige Reihe von Aussagen ist als ein wirklich langer Wortwechsel) ist weit älter als Hadans und Eyas Beziehung, und ich glaube, sie denken darüber nach, seitdem sie sich füreinander erwärmt haben.
Daher meinte ich 'überfällig' - zudem zwischen Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen, wenn man so sagen kann... Bei regem sprachlichem Austausch und der gehörigen Portion Angst auf beiden Seiten kann (nicht: muss) es dann sehr schnell zu intensiven Auseinandersetzungen kommen. Da spreche ich aus Erfahrung.
Zu deinen Vermutungen bezüglich Hintergründe kann ich nichts sagen, ohne mich zu verraten...


Danke wie immer für euer Interesse und Lob :hy:
 
XXIII. Das Ende der Unschuld





Nacht lag über dem Wald, und er fand sich seit geraumer Weile durch die ständig wechselnden Höhlen und Flure der Vegetation streifen. Körper und Geist hatten sich wieder sehr leicht aus dem Schlaf gelöst, der neuerdings mehr einem Dahindämmern glich.
Nur unter den Bäumen war es finster.
Aus dem Rest der Welt machte das Mondlicht einen silbriggrauen, fahlgrünen Platz voller beruhigender Schatten. Als er das Gestirn mit den Augen suchte, war er überrascht von seiner Helligkeit. Sie wisperte leise in die Nacht, die sich in großer Stille unter dem Mond ausbreitete. Nichts kam ihm gleich. Alle anderen Mächte und Götter, alle Herren, waren zweitrangig neben ihm.
Sachte Schritte, die sich von hinten näherten, holten ihn aus der Versunkenheit. Mit einem Atemzug der Ungeduld wandte er sich vom Nachthimmel ab, während sich tief in seinen Eingeweiden etwas herumwälzte, lässig erschauernd.
Eya stand da und sah ihn an. Ihr weißes Gesicht war scharf umrissen, schmal vor Kummer, und der heiße Geruch eben vergossener Tränen umhing sie.
Wortlos betrachtete er die sichtbare Zerrüttung ihrer Verfassung, ohne eine tiefere Regung, eher aus der Erinnerung an Gepflogenheiten menschlichen Miteinanders. Bei der Vorstellung ihrer Berührung, da sie den Wunsch danach ebenso wenig wie ihr Leid verbergen konnte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf.
Der Widerwille war eine eigenartige Empfindung, neu und doch wieder nicht, als verschaffe er sich lediglich Gehör nach einer langen Zeit geduldigen Wartens. Die Assassine schien mit einem Mal sehr klein, winzig, und ihr Gesicht, so scharf er es sah, war seltsam flach. Er drehte den Kopf zum Mond.
Eyas Augen waren trocken, als sie wieder in sein Blickfeld rückten.
„Ich verstehe jetzt“, sagte sie. Die Ergebenheit in ihrer Stimme war kaum zu ertragen, und noch weniger, wie sie in dieser Maske der Anklage den Mund zu einem Lächeln verzog.
Er schüttelte den Kopf, um sich der Bewegung seines Inneren zu entziehen. Doch unbeeindruckt arbeitete sie sich durch seinen Körper voran, in ansteigender Hitze, strich an seinen Ohren vorbei und presste ihm die Zähne aufeinander. Die blasse Frau vor ihm im Mondlicht mochte das Kopfschütteln missverstehen. Durch das Rauschen des Blutes konnte er ihre Stimme noch hören, dünn, aber deutlich.
„Ich habe nicht die Macht zu einer Änderung“, kam es. „Aber ich kann dich vernichten.“
Er machte einen Schritt auf sie zu.
„Ich vermag es“, fuhr sie fort, ruhig bei aller Angst in ihren sich erweiternden Augen. „Ich vermag es, indem ich dich verlasse. Ich fliege aus deinem Fenster wieder fort, hörst du?“
Zu einer Erwiderung, stellte er fest, als seine Rechte sie an der Kehle packte, fehlte ihm die Stimme. Sein Hals aber bebte unter dem roten Brüllen, mit dem sich die Wut aus der verlogenen Hülle seines Körpers losriss, alle Reste von Ruhe abwarf, rasend, triumphierend. Den Leib in seiner Hand fegte es um.
Im Fall, in plötzlicher Stille, schwebte ihr Gesicht vor Dunkelheit und heranstürzendem Gras. Es lächelte nicht länger. Die Gewissheit des Friedens und der Wahrheit darin schürten die Raserei noch, und sie überdeckte das langsam herandrängende Entsetzen.
Ihr Körper krachte auf die Erde.
Ich vernichte dich, indem ich dich verlasse.
Vorwärtsgezogen vom Sog der Wut, durch den Schock plötzlichen Erwachens hindurch, setzte er das rechte Bein auf ihren Leib. Sein Blick zuckte nach unten. Es endete in einem Huf.
Mit einem Krachen sank er ein, zertrat sie, ohne es aufhalten zu können, ohne es aufhalten zu wollen, und als das Grauen über ihm zusammenschlug, zeigte die Welt sich gnädig und zerbarst in Stücke.





Sein eigenes Keuchen riss Hadan hoch.
Er saß kurz da und atmete gequält, arbeitete sich dann weiter auf die Knie, weil das Stillsitzen unerträglich war. Die Dunkelheit gab kein Echo zurück. Unbewegt lagen die Anderen um das Feuer herum, das die Umgebung schwach gelb beleuchtete.
Aghna padhvarde, Pakhra, sudya. Nimm die Täuschungen von mir, Pakhra. Seine Haut war schweißnass. Er musste die linke Hand in die weiche Erde graben, das Erdreich zwischen den Fingern zusammendrücken, um nicht doch noch aufzuschreien.. Schlagartig setzte der altvertraute Schmerz in der linken Brusthälfte ein, der Fleisch und Knochen zu zermalmen schien. Halb besinnungslos griff er nach dem Anhänger auf seiner Brust.
Der Schmerz ebbte ab. Das Zucken unter dem Narbenwulst aber blieb.
An seiner Seite regte sich etwas.
Eyas Gesicht tauchte aus den Schatten. Sie hatte sich nur einen Schritt entfernt zum Schlafen niedergelegt. Die Verheerungen ihrer Auseinandersetzung lasteten unverändert auf ihnen, aber so weit, dass sie einander wie Aussätzige behandelten, war es nicht gekommen.
Rascher als bei gewöhnlichen Menschen klärten sich die Augen der Assassine, und eben noch rechtzeitig wandte er das Gesicht ab, damit sie die Starre des Entsetzens darauf nicht sah.
„Was...“ Sie setzte sich auf. Zu verwirrt noch, um sich hinter ihrer Verkrustung zu verbergen, die sie seit dem Streit umgab, streckte sie instinktiv die Hand nach ihm aus.
Das Bedürfnis, ihr durch das Haar zu fahren und in einer der endlosen Umarmungen glücklicherer Tage zu enden, streifte ihn kurz und heftig. Krachende Knochen, Erinnerungsfetzen kamen herüber, aus der Zwischenwelt der schwarzen Träume.
Die Schuld versteinerte ihn. Für einen furchtbaren Moment existierten nur die Angst und ihr Ursprung.
Ohne zu wissen wie, kam er auf die Beine. Aus der Finsternis fanden sie langsam zu ihm zurück – Wille, Substanz, der Mittelpunkt der Welt, der neben ihm atmete.
„Ich hatte einen schrecklichen Traum“, sagte er. Seine Stimme klang hölzern. „Er ist vorbei. Sorge dich nicht, schlaf weiter.“
Behutsam gestattete er sich einen Blick auf ihr Gesicht, halb erwartend, dass der Anblick ihn einfach zerriss. Sie zögerte. „Ich muss eine Weile allein sein“, fügte er hinzu. Mit etwas Glück würde sie annehmen, dass er sich für eine rituelle Handlung zurückzog, und ihn nicht stören.
Unter ihrem Schweigen wandte er sich ab und verließ den Lichtkreis. Erst, als er sicher außer Sicht- und Hörweite war, lehnte er sich in einen Baumschatten und erbrach sich.
Am Fluss war es von Mondlicht beinahe taghell.
Der Nekromant ging am Wasser entlang. Nichts war ihm vertrauter als dieses Bild, das ewige, wuchernde, stickige Land, aus dem die Götter hervorsahen. Doch selbst das Wissen um ihre verborgene Gegenwart wurde klein neben der Last des Geschehenen.
Nach einiger Zeit blieb er stehen, wo sich am Ufer ein Grasplatz öffnete. Er ähnelte der fünf Tage zurückliegenden Stelle des Streits.
Flach atmend, lehnte er sich gegen einen rankenüberwucherten Stumpf. Die allgegenwärtigen Spuren fremden Lebens in seinem Geist, die seine Gabe waren und seine Bürde, traten zurück, als er sich öffnete. Pakhra musste er dazu ausklammern, weil der Gott ihn schützte, und so ließ er den Widerschein des obersten Prinzips seiner Kaste in sich verblassen.
Die Kreatur kam, als jener Widerschein nur noch ein fernes Licht war. Sie kam herrisch, brutal, Platz fordernd. Ihr Raum zu geben, war bei allem Wahnsinn für einen furchtbaren Moment Erleichterung. Wie lange hatte er unentwegt gegen ihre Anwesenheit gekämpft?
Ewig schon, schien es – fast so, als sei die geraubte Essenz inmitten seiner eigenen seit jeher Teil seines Bewusstseins gewesen, das fremde, widerspenstige Fleisch Teil seines Hasses gegen sich selbst.
Und endlich kniete er wieder auf dem Boden der roten Kammer. Für dich habe ich keine Gabe, Totenbeschwörer. Mit dem gestohlenen Fleisch meiner Schöpfung hast du dir schon genommen, was dir gebührt.
Es war eine Strafe. Gerechte Strafe für einen begangenen Frevel war es, selbst mit den Augen seiner Kaste besehen, die wenig Schwarz oder Weiß kannte. Das Andauern des Zustandes trotz aller Versenkung und geistigen Öffnung sprach dafür, dass er in den Lehren seiner Heimat keine Antworten finden würde.
Ich trage es mit mir, weil ich weitergelebt habe, wo ich hätte sterben sollen.
Er sah auf, als der Schmerz sich wieder meldete. Schneller als er selbst hatten die Augen des Engels seine unbedachte – und darum wahrhaftige – Reaktion erfasst, damals. Den Instinkt, das Fremde zu schützen.
Du bist mein. In nachlassender Angst legte er die Rechte auf die Brust. Du gehörst jetzt zu mir.
Ohne eine klarere Vorhersage für alles Kommende, ohne ein Gefühl geminderter Schuld oder geringerer Ratlosigkeit, aber innerlich gefestigter, versuchte er sich aufzurichten und spürte den ingrimmigen Überlebenswillen zurückkehren.
Die Nacht war klar, mondhell, aber er sah das Gestirn immer noch mit Menschenaugen, erinnerte sich an jedes Wort der Weisungen aus schattigen Tempeltagen, und wie ihm, seiner Herkunft zum Trotz, das Unfassbare, das einzig Wichtige zuteil geworden war: menschliche Gemeinschaft.
Das Zucken der Kreatur war das Gift der Vergangenheit und der Gegenwart, vielleicht nicht einmal tödlich. Er konnte es bezwingen. Er wollte und musste – der Menschen wegen, die zwei Bogenschüsse entfernt um ein Feuer lagen und schliefen.
Als seine Gedanken den unter ihnen streiften, der ihm am meisten wert war, kehrte der Nachtmahr zurück. Die Vorbereitung auf seinen Schrecken verhinderte das Erstarren, den bis zur Atemnot gesteigerten Ekel, aber ruhiger ertragen, war er dennoch nicht weniger schlimm.
Seine Rechte tastete nach dem kleinen Tongefäß in seinem Gürtel. Es noch ein letztes Mal zu sehen, würde nur noch eine notwendige Warnung sein.
Der Verschluss war festgebacken. Aufgebrochen, verströmte die kleine dunkle Öffnung den Dunst gestockten Blutes und kalter, feuchter Asche.
Unweit raschelte es im Gebüsch.
Den Kopf wendend, sah der Nekromant die schmale, schwarze Gestalt aus dem Wald treten. Sie kam mit der ihr ganz eigenen Vorsicht, an der jede Faser die Gewohnheit in sich trug, auf einen Wink hin wieder zu verschwinden, unsichtbar zu werden. Forschend, spürend, suchten die kohlfarbenen Augen sein Gesicht.
In keinem Atemzug waren Schuld und Verpflichtung greifbarer gewesen.
Sie blickte auf seine rechte Hand, vielleicht zu nah an den Grenzen des Tragbaren, als dass Trauer noch ihre totenblassen, angespannten Züge erreicht hätte.
„Du wolltest es noch einmal tun, nicht wahr?“ Ihre Stimme klang leise und hell vor dem Wispern der Nacht. „Einen Golem rufen.“
Er fand sich außerstande, zu antworten, das Herz gleich einem Schmiedehammer in der Brust. Zu sehen, würde ihr noch weit mehr weh tun als die halbe Offenbarung seiner Worte.
Da er zögerte, machte sie einen Schritt nach vorn. „Dann tu es doch.“ Mehr als ein Flüstern war es nicht, doch sehr entschlossen. Einem Teil seines Bewusststeins fiel auf, dass sie in voller Rüstung war, alle Schnallen daran geschlossen und festgezurrt, wie für einen Kampf. Oder eine lange Reise.
„Nein.“ Es klang endgültig, obwohl er sich in ihrem Angesicht über nichts mehr endgültig sicher war und es gern bittender ausgestoßen hätte. Das willst du nicht sehen.
Im kurzen Schweigen jedoch sammelte sich mehr Bestimmtheit in seiner vielleicht schon verlorenen Geliebten, und plötzlich sah er sie ihm eine Faust entgegenstrecken. „Tu es, verdammt.“ Unsichtbare Tränen zerkratzten ihre Stimme. „Das bist du mir schuldig!“
Noch nie hatte er sie derart zornig gesehen, und alles Freiere an der stillen jungen Frau, das ihre heimlichen geteilten Stunden offenbarten, kam darin an die Oberfläche. Der kalte Griff der Angst allein ließ ihn langsam den Kopf schütteln.
„Der Berg und die Götter und die Geheimnisse unserer Klassen, deine und meine Vergangenheit“, sagte sie zitternd, nah herangetreten und viel kleiner als er, „sind eine zu schwere Last für die Entscheidung eines Augenblicks. Aber ich weiß, wen ich vor mir sehe. Ich habe es immer gewusst.“ Dann brach sie los, lauter und wütend. „Ich bin zu dir gekommen, oder nicht? Das hier –„, sie zog die Kette aus ihrem Ausschnitt, „hat sein Versprechen gehalten. Und du warst Derselbe, der du jetzt bist, als du es mir gegeben hast!“
Dann, endend mit einem schrecklichen Anklang an ihren Streit vor Tagen, wiederholte sie die Frage: „Warum rufst du den Feuergolem nicht mehr?“
Er ließ einen Klumpen aus dem Gefäß in seine Hand fallen.
Ein letztes Zögern, mit dem Rücken zur Wand – dann holte er das Messer hervor. Der Schmerz des Schnittes erreichte ihn nicht einmal, und seine Gedanken kreisten dumpf. Du bist im Recht, kristallisierte sich eine einzige Empfindung heraus, du, mein Leben, Geliebte.
Unter Beschwörungsworten fiel der blutnasse Klumpen ins Ufergras.
Sie sahen schweigend zu, wie der Golem entstand, Nacht, Dunkelheit und Kühle verdrängte. Aus dem Augenwinkel forschte Hadan in Eyas Gesicht. Es wurde rötlich beleuchtet, als die Flammengestalt sich aus dem scheinbaren Nichts erhob, fest wurde, dann stand – Abbild der Essenz ihres Schöpfers. Er sah ihre Augen an dem in Form gegossenen Feuer empor wandern. Sie zuckten nicht, als sie die rauchenden, flackernden Hörner erreichten. Weit geöffnet blickten sie hin. Es war still.
Nein, das Feuer knisterte leise. Träge wandte die Kreatur den Kopf mit den Hörnern hin und her. In der Nacht mussten alle Lebewesen sie sehen, wie sie am Flussufer stand, weithin leuchtend – lebendiges Standbild übertretener Grenzen.
„Nun siehst du ihn.“ Der Nekromant verstand seine eigene Stimme kaum, so heiser war sie, dicht vor dem Versagen. „Seine Menschenähnlichkeit ist geschwunden. Egal, was ich will – er zeigt, was Wirklichkeit ist.“ Flüssiges Feuer rann dem Golem unablässig über ein unförmiges Antlitz. „Du wirst die Letzte sein, die ihn sieht.“
Verstehst du jetzt?
In der wabernden Beleuchtung wäre er gern vor ihr auf die Knie gesunken, nackt und ohne weitere Ausflüchte, im Licht dieser Kreatur, von der er nicht wusste, ob sie ihr nicht eines Tages schaden würde. Matt hob er die Hand, und mit einem Laut zusammensackender Lava verlosch der Golem. Nichts blieb zurück als Rauch und das Nachglimmen der Umrisse in den Augen für eine Weile.
Hadan riss sich vom Stumpf los, der ihn gestützt hatte.
Mit der Rechten holte er aus. Das Tongefäß, das über zwei Jahrzehnte in seinem Gürtel gesteckt hatte, beschrieb einen flachen Bogen über das dunkle Wasser und verschwand.
Eya starrte ihn stumm an. Begreifender Schrecken malte sich in ihrem Gesicht, doch auch plötzlich ruhigere Traurigkeit, etwas wie Mitleid dazu, und die Straffheit des Mutes hatte es nicht verlassen. So steif stand sie da mit ihren schmalen Gliedern und dem von Schweiß glattgestrichenen Haar, dass jede weitere Vergrößerung der Last sie zerbrechen musste, dachte er.
„Du hast Recht“, sprach er sie leise an, zu müde fast von der Endgültigkeit der Offenbarung, um Worte zu formen. „Das war ich dir schuldig.“ Ihr dunkler Blick zerrte an seinem Herzen. „Ich habe dir Unrecht getan. Niemand kann mit der halben Wahrheit Entscheidungen treffen, und wenn ich dir vor Tagen schon Wunden schlagen musste, habe ich meine Schuld vergrößert mit der Art, wie ich es tat.“ Ein Zucken ging durch ihre Züge. „Ich kann nichts des Gesagten zurücknehmen“, fuhr er fort. „Der Frevel ist begangen, mein Inneres kenne ich, und was ich nicht kenne, fürchte ich, und an unserer Liebe habe ich mich vielleicht ebenfalls versündigt.“
Ihre Brust hob und senkte sich sichtbar unter der Rüstung. Es war fast vorüber. Viele Worte mussten nicht mehr fallen.
„Ich liebe dich“, sagte er direkt in ihre Augen. Der schwarze Panzer hielt nicht länger, bei allen Versuchen und Resten von Unnahbarkeit. „Wenn Liebe das Einzige wäre, das meine Handlungen bestimmt, wäre ich es zufrieden.“ Er hielt kurz inne. „Dich zu quälen, war nie meine Absicht. Du sollst nur... frei sein... frei entscheiden... weil Freiheit ist, was dir zusteht.“ Der Weltensteinturm rief sich wieder in Erinnerung. „Ich bin kein bescheidener Mann, Eya. Nicht in Bezug auf meine Kaste, und noch weniger in Bezug auf dich, aber dich weiter gezwungen von Angst neben mir sehen? Nein.“
Es blieb eine Weile still.
„Das hier sind die Folgen meiner Entscheidung unter dem Arreat“, sagte er noch. „Ich bin weit in die Mysterien meiner Kaste vorgedrungen – darauf bieten sie keine Antwort. Vielleicht ist dies das Ende der Verhältnisse, in denen wir uns kennen gelernt haben... Shatryindjah.“ Der Kosename zauderte zwischen ihnen in der Nacht. „Ich kann nicht erwarten, dass du weiter bei mir bleibst.“
Reglosigkeit, Ewigkeiten dauernde Augenblicke.
Entblößt und zusammengeschrumpft auf den Kern der eigenen Existenz – so mochte sie sich in Lhabarnah gefühlt haben. Er spürte ein Schneiden in der Kehle. Einmal bereits war sie ihm fast weggestorben. Einmal bereits war sie an Bord eines Schiffes gegangen und entschwunden. Dieses Mal würde es ihn mehr kosten als eine Silberkette und die Hälfte seiner Selbst.
Mit einem Mal ging ein Erschauern durch ihren Leib. Er konnte nicht ahnen, dass sie bereits viele Wochen zuvor, am Rande ihrer verlorenen Heimat, den ersten Schritt zu einem größeren Erwachen getan hatte. Er hörte sie nur sprechen.
„Ich weiß nicht viel... von der Welt deiner Kaste.“ Ihre Stimme bebte. „Aber was ich mit meinen Augen sehe, reicht mir. Für den Wunsch der Freiheit für mich danke ich dir.“ Dann richtete sie sich ein wenig auf. „Doch ich brauche ihn längst nicht mehr.“
Er sah sie zwei unendlich vorsichtige Schritte auf ihn zu machen und wagte nicht zu atmen.
„Was du in dir trägst...“ Stockend hatte sie angesetzt.
„Den Minotaur.“ Den Mondfürst.
„Ja... den Minotaur...“ Ihre Züge klärten sich, und er wusste, was sie fühlte. Es auszusprechen, war seltsam erleichternd. „Das ist kein Ende.“ Sie verschränkte den Blick mit seinem, und ohne eine sichtbare Erschütterung begann sie zu weinen. „Ich weigere mich, es als ein Ende anzuerkennen. Lass es uns doch... eine Veränderung nennen... oder einen Anfang...“
„Uns?“
In das eine Wort, und jetzt auch in sein Gesicht, legte Hadan sein ganzes Flehen.
Lass mich nicht allein.
Im Dunkel der Umarmung, ohne zu wissen, wie sie die Schwelle überschritten hatten, drückten sie sich die Furcht ab, fester zupackend, bis das Flüstern der Unterschiede und alles Vergangenen und Dräuenden für diesen Augenblick schwieg.
Hadan hörte Eya unter der Wucht eines Ausbruchs von angesammeltem Schmerz mit den Zähnen knirschen. Sie stöhnte leise und schluckte an ihren Tränen, die Arme um ihn geschlungen, den Kopf an seiner Brust. Was immer darin war, war jetzt still.
„Verzeih mir“, sagte er in das schwarze Haar an seinem Mund. Sie machte eine Bewegung, um zu ihm hochzusehen, aber er ließ es nicht zu, und mit einem verwunderten Zucken fügte sie sich. „Ich hatte Angst, dich anzurühren“, setzte er noch hinzu. „Dir Kinder zu schenken, wäre das Paradies auf Erden. Aber was wird geschehen...“
Als Antwort verstärkte sie die Umklammerung. Ihrer Bewegung war anzumerken, dass sie seine Angst begriffen hatte, ganz gleich, was sie beide unterschied und vielleicht nie verschwinden würde.
„Es wird sich finden“, sagte sie leise, im Tonfall festen Glaubens an eine Hoffnung.
Grenzenlos dankbar stand er und hielt sie fest.
Dir fehlt es an Demut. Der Nâkyshat von Linqqva, der hassenswerte Abschaum, der Bastard, hatte hierin Recht behalten.
Dankbarkeit würde ihn Demut lehren, spürte der Nekromant. Dankbarkeit und die Bürde seiner Fehler.
Und kurz, an diesem Flussufer, streifte ihn Frieden.






Der Urwald begann sich zusammenzuziehen.
Schon um Kurast musste er Reisenden aus anderen Weltgegenden uferlos verschlingend und undurchdringlich erscheinen. Die dort aber in Wahrheit zahlreichen Wasserwege mit den vielen verborgenen Siedlungen verwandelten sich hier, südlich von Shanghar, teils in riesige Ströme, teils in sumpfige, stehende Gewässer, die sich nur noch wie in Tunneln Wege durch die Vegetation bahnten.
Hadan mochte übervorsichtig sein, doch solange sie Baraidha nicht hinter sich wussten, eröffnete er der Gruppe, wollte er den Arivati meiden. Noch zwischen den beiden Städten konnte der Hauptstrom des Ostens unter feindlicher Beobachtung stehen.
So folgten sie einem kleineren Fluss, der einige Tagesreisen entfernt parallel zum Arivati verlief.
Müde schlug Ifrah mit ihrem Stab nach im Wege hängenden, klebrigen Lianen.
Der Fluss war hier ein braunes, flaches Gewässer, ringsum eingeschlossen von Wald, durch den man den Himmel selten sah. In einer oder zwei Stunden wird er wieder zwischen festeren und offeneren Ufern laufen, hatte Hadan gesagt.
Sie hoffte, dass er Recht behielt.
Die Luft in diesem dämmerigen Grün war kaum zu atmen, und schwerlich fünfzig Schritt weit sehen zu können, bedrückte sie. Ich vermisse den Himmel über der Wüste, dachte die Magierin. Ihr Reisekleid klebte feucht an ihr, nassgeschwitzt und bis zur Hüfte hinauf schlammgesprenkelt. Das Gepäck wog schwer.
Sie blieb kurz stehen, erfolglos nach frischerer Luft schnappend, und sah sich um.
Hadan ging vornweg, trotz der Hitze in halber Rüstung, hinter ihm kam Eya, dann der Paladin. Sie selbst bildete das Schlusslicht. Maysan lief abwechselnd neben ihr und der Assassine her, wortkarg wie stets und für Ifrahs Begriffe viel zu mager und schmutzig, aber eigenartigerweise unermüdlich, oft sogar lebhaft. Gelegentlich scheute sie vor ihr, Ifrah, stark zurück, ließ sich nicht trösten und wollte nichts erklären, aber das geschah nur selten.
Die Gesellschaft tut ihr gut. Im Weitergehen hängte sie die Augen voller Liebe an das Kind, sein langes Haar, seine hellbraunen, dünnen Beine, die unter der weit hochgekrempelten Hose hervorsahen.
Maysan hielt sich viel an Eya. Und Ifrah begann die eigene, im Stillen oft mit etwas Eifersucht vermischte Besorgnis einer Mutter zu begreifen und beiseite zu legen. Diese Strapaze bekommt ihr besser als das Umfeld in Selthe, sieh es ein. In Eya hat sie eine junge Frau um sich, die ihr interessanter sein muss als die betagten Bauern unserer Nachbarschaft. Sie schlug die dichten Wimpern im Weitergehen nieder. Ich wollte sie vor allem schützen, das mit meinem Weg zu tun hat. Vielleicht war das ein Fehler, vielleicht hat sie sich darum so weit von mir entfernt.
Wieder sah sie nach Maysan, die jetzt zu Hadan aufgeschlossen hatte. Wo der große Mann einen Schritt machte, musste das Mädchen zwei oder drei tun. Sie ist das Kind von Abenteurern. Ich kann es nicht ändern.
Eben als ein Gefühl des Versagens sie heimsuchte, öffnete sich der Wald, als wolle er eine freundlichere Seite zeigen.
Aufatmend traten die Gefährten ins Licht.
Sie waren an einem Zusammenfluss ihres flachen Gewässers mit einem weiteren herausgekommen. Die vereinigten Flüsse zogen sich von hier aus hellgrau zwischen luftigeren Ufern südwärts.
„Der Fluss ist nicht breit, wie ihr seht.“ Der Nekromant drehte sich nach den Gefährten um. Sie sammelten sich um ihn. Ifrah sah die Assassine kurz seine Hand streifen und lächelte verstohlen. Die schlimmsten Wogen des Streits schienen zwischen den Liebenden geglättet, und in ihre Blicke aufeinander hatte sich wieder Vertrauen eingefunden und bisweilen ein derartiges Verlangen, dass Ifrah wegsehen musste.
„Er ist sogar schiffbar“, fuhr Hadan fort. „Mit etwas Glück finden wir ein Transportmittel, das uns die Reise erleichtert. Der Wald wird hinunter nach Süden immer schwerer zu durchqueren sein.“
Nachdenklich folgte die Magierin der Gruppe, die sich wieder in Bewegung setzte.
Hadans Worte hatten sie daran gemahnt, dass ihnen nicht nur von Seiten der Menschen Gefahr drohen konnte.
Ein- oder zweimal hatten sie tief im Walddunkel kleine Hütten gesehen. Hastig und möglichst leise waren sie weitergezogen. Die Pygmäen mochten den Bann der Erzdämonen abgeworfen haben. Dennoch blieben sie, so der Nekromant, ein geisterhaftes kleines Volk mit unverständlichen und eigenen Zielen, die Menschen meist nicht betrafen, ihnen aber ebenso unvorhergesehen schaden konnten.
An Getier sahen sie nur handgroße Spinnen, Schwärme von Schmetterlingen, Vögeln und Fledermäusen und seltener Spuren größerer Waldbewohner. Abseits der Städte aber lebten durchaus gefährliche Kreaturen, die nicht mit den Übeln verschwunden waren.
Wacher, sich aufmerksamer umsehend, schloss Ifrah zur Gruppe auf.
Das Glück schien ihnen gewogen.
Sehr bald fanden sie an der gegenüberliegenden Uferseite ein Floß. Es war länger nicht gebraucht worden, überwachsen von dünnen Ranken, aber in gutem Zustand.
Die Anderen sahen zu, wie Hadan und Eya hinüberschwammen und das Floß über den Fluss brachten. Sobald nah genug, warfen sie Ifrah ein Tau zu. Menrad packte einhändig mit an.
Ein abgebrochener Ast musste als Stakstange reichen, um das Floß von den Ufern abzustoßen.
„Vielleicht eine günstige Fügung“, sagte Hadan, als sie das leicht schwankende Gefährt betraten. „Aber wir sollten wachsam bleiben. Bis nach Pundar und zu unseren zukünftigen Verbündeten ist es noch weit.“






Sie wechselten sich mit dem Staken ab.
Es galt meist nur, das Floß in Flussmitte zu halten – das Wasser trug sie langsam, aber stetig südwärts.
Um die Mittagszeit hing die Hitze schwer über dem Wald. An einem hellgrauen Himmel begannen sich riesige Wolkentürme zusammenzuballen.
Ifrah ließ den Ast locker aufgestützt hinter sich durchs Wasser schleifen und blinzelte an einem Arm vorbei in die matte, stechende Sonne.
Als sie wieder geradeaus sah, kam Hadan auf sie zu. Der Paladin saß mit unterschlagenen Beinen weit vorn am Floß und spähte den schmalen Strom hinab. Eya und Maysan dösten.
„Lass mich die Stange nehmen“, sprach der Nekromant sie leise an. Sie gab ihm den Ast und beobachtete von unten her sein farbloses Gesicht. Sie waren schon durch zu viele Gefahren gemeinsam gegangen, als dass die scheinbare Ruhe des Mannes sie hätte täuschen können.
Sich alarmiert umsehend, bemerkte sie, dass er das Floß bremste. Der auf den Flussgrund hinuntergestoßene Ast zog Schlingpflanzen hinter ihnen her. „Was ist los?“
„Vor uns.“ Er wies auf eine allmählich herangleitende leichte Biegung des Flusses.
Sie vermochte wenig zu erkennen, nur sehr dichtes, blühendes Gestrüpp aus Wasserdolden und faulig riechenden Schilfgräsern, öliges Wasser, das Blasen warf.
Blasen...?
Hadan rammte den Ast ins Wasser.
Der Körper des Nekromanten spannte sich, als er das Floß festzuhalten versuchte, gleichzeitig hart auf die zusammengebundenen Stämme tretend.
Die Erschütterung katapultierte Eya in die Höhe. Weiter vorn kam Menrad schwankend auf die Beine, und das war das Letzte, das Ifrah sah, bevor der Fluss zum Leben erwachte.
Von unten gab es einen Stoß, dann hob eine zunächst unkenntliche Form den rechten Rand des Floßes in die Höhe. Nur Eya gelang es rechtzeitig, ans Ufer zu kommen – Ifrah sah sie schwalbengleich die hochkippende Fläche aus Baumstämmen verlassen – dann schlug das Wasser nach ihr und riss sie hinunter.
Wild vor Angst kam sie aus grauem Gewirbel und Luftblasen wieder hoch. Verzweifelt schrie sie nach Maysan, blind im kochenden Wasser, aber ein Brüllen aus älteren Zeiten der Welt übertönte ihre Stimme.
Aus triefenden Augen erspähte sie die grüne Uferlinie. Hinter ihr hob sich eine lange, dunkle Form aus dem Toben von Wasser und Körpern, krachte hinunter auf die Stelle, von der die Kraft der Panik sie wegtrug, schleuderte ihr den Fluss hinterher. Keuchend kroch sie ans Ufer.
Schreie. Ifrah warf sich herum, halb eine verängstigte Frau in nassen Kleidern und Furcht um ihr Kind, halb kampferfahrenste Magierin ihres Elements.
Dann sah sie, was das Floß attackiert hatte.
Drei Wasserwächter, bis zu fünfzehn Schritt lange, entfernt an Schlangen erinnernde Kreaturen, wälzten sich an der Biegung durch aufgebrachtes Wasser. Das Brüllen war nicht ohrenbetäubend, doch ein böses, nasses Gurgeln aus den Tiefen der Wasserwege, das jedes Opfer Entsetzen lehrte.
Nichts hatte die riesigen Geschöpfe verraten als Blasen im öligen Wasser, still hatten sie auf dem Flussgrund gelegen, wartend, vielleicht langsam dahintreibend.
Ihre feuchte Haut spannte sich, als Ifrah aus der Atmosphäre Energie abzog und in einen Blitz verwandelte. Wasser – das Wasser wird meine Kraft mindern. Der Blitz fraß sich durch die sprühende Luft und traf das Geschöpf, das sich über das gekenterte Floß schob und nach dem Nekromanten hieb, der im Durcheinander der baumstammdicken Leiber und spritzenden Wogen kaum auszumachen war. Der dicke Schädel pendelte fauchend herum, für eine kurze Zeitspanne geblendet.
Mit hochschlagendem Herzen sah die Magierin Eya Schritte entfernt auf derselben Uferseite, noch weiter entfernt Menrad, der sich aus dem Wasser ans Land zog, und zwischen ihnen eine kleine, zusammengekauerte Gestalt.
Ein zweiter Wasserwächter stieß seinen rot und grün gemusterten Leib gegen die Assassine, die federnd zurücksprang, jedoch im Bestreben, das wehrloseste Mitglied ihrer Gruppe zu schützen, nicht floh.
Irr vor Angst näherte sich Ifrah der gefährlichen Zone. Aus den Augenwinkeln sah sie das feurige Flackern eines Fluchs. Das dort sich aufbäumende Tier stand eine Weile still in der Luft, grollend, triefend – sie sah eine Faust mit einem Messer - dann ließ es sich fallen und drückte den Nekromanten unter Wasser.
Ich kann nicht überall zugleich sein. Ihr Herz machte einen Satz. Er weiß sich zu helfen. Er muss.
Sie war fast bei Eya. Maysan kroch todbleich rückwärts in Richtung Waldborte, doch viel zu langsam. Sie war so klein, ein Haufen zarter Glieder nur.
Blitzend stießen die Klingen der Assassine nach dem Kopf des Wächters, und ein pfeifendes Grollen quittierte das Eindringen der Schneiden durch Knorpel und Horn. Doch Ifrah sah das kaum merkliche Zögern in den gedankenschnellen Bewegungen ihrer Waffengefährtin, und kurz auch ihre riesigen Augen. Sie musste gesehen haben, was mit Hadan geschehen war, und hinter ihren schwarzen, schlanken Beinen war das Kind – zwei Menschen, die ihre Schnelligkeit minderten, zwei Gewichte, die sie langsamer machten.
Und mit reptilienartiger Geschwindigkeit, starren Auges, reagierte die Kreatur auf die winzige Unbedachtheit des vorderen und lästigeren Opfers.
Der sich ruckartig drehende Schädel klappte auf.
„Eya!“ In den letzten Schritten warf die Magierin ungezielt einen Funkenteppich über die groteske Szene vor ihren Augen. Es war zu spät.
Sie konnte nur noch entgeistert mit ansehen, wie bleiche Zähne den rechten Arm der Assassine packten, wie ein Ruck widerwärtiger Kraft durch den Schlangenleib ging. Der Leib warf sich herum und riss sein Opfer mit. Eya wurde durch die Luft geschleudert. Ifrah hörte sie aufschreien.
Dann kehrte der Kopf des Wächters zurück.
Von weiter hinten rannte Menrad heran, den dritten Wächter im Wasser neben sich. Sein Gesicht war zu einem Brüllen aufgerissen, zornig, seltsam hell beleuchtet. In seiner Linken lag der Kampfhammer.
Doch er war zu weit entfernt.
Die bösen, glasigen Augen schienen so nah, dass Ifrah sie berühren konnte. Der letzte Schritt trug sie vor ihr Kind.
Ohne nachzudenken, ohne Bedauern oder Zögern, ohne die schützende Rüstung, warf sie sich dem knorpeligen Schädel in den Weg, gebar ein Wetterleuchten von Blitzen, gleißend hell. Sah durch das Gleißen hindurch sich spaltende Zahnreihen, einsinkende, verschmorende Augen, wusste Maysan hinter sich, sah als letzten Angriff des Wächters seinen schlenkernden Kopf und eine grünliche Masse. Es zischte, als das Grün durch ihre Funken herabgeregnet kam.
Sie fühlte die Wucht einer dicklichen Flüssigkeit am Leib.
Das Licht erlosch nicht, es flackerte. Der Schmerz war zu irrsinnig für einen Schrei, aber jemand stöhnte mit ihrem Mund. Schatten sprangen sie an, und einer davon, sehr groß, kam schräg – dann schlug sie auf. Ob sie gestürzt oder die Welt gegen sie gefallen war, wusste sie nicht.
Das Licht ging aus.






Wasser erbrechend, kroch Eya an Land.
Der rechte Arm ließ sich nicht richtig gebrauchen, aber sie musste schnell sein, schnell, rollte hustend über Schlingpflanzen, ein Tosen in den Ohren. Neben ihr, hinter ihr irgendwo, war der Kampf, und in den Eingeweiden spürte sie Hadans Präsenz.
Das Ufer erstreckte sich plötzlich vor ihr, der Paladin war da, der mit seinem Kampfhammer auf den längs von ihnen auftauchenden, fahlgrünen, rotgemusterten Leib losging. Eyas Blick klärte sich. Der verwundete Lichtkrieger hielt den Hammer in der linken, der falschen Hand.
Dennoch verschlug sein erster Angriff, den sie sah, ihr den Atem.
Aus seiner in geballter Kraft erstarrten Gestalt kam der Hammer mit einer Bewegung geschwungen, die den Meisterkämpfer verriet, und traf die fremde Kreatur, als handele es sich um die Strohpuppe in einer Übungsstunde. Der Hammerkopf samt Eisendorn drang ein und riss den Leib des Wächters auf.
Kaum dass die Kreatur knurrend ins Flachwasser zurücksank, sprang Eya auf die Füße.
Etwas hatte sich wieder in ihren umnebelten Geist gedrängt, etwas, das sie nicht hatte aufhalten können. Maysan. Ifrah.
Die Magierin lag nahe des Ufers auf dem Rücken.
Gleichzeitig mit dem Paladin kam Eya bei ihr an. Neben der Reglosen hockte das Mädchen, versteinert vor Entsetzen, und wagte sie nicht zu berühren. „Grundgütiger Himmel“, stieß der Paladin aus. Eine grünliche, dickflüssige Substanz bedeckte in großen Fladen und Spritzern Rumpf, Arme und Hals der Magierin, und übergraust gewahrte die Assassine, dass, wo der Schleim die Haut berührte, diese sich von Braun zu Grau verfärbt hatte.
Bevor sie oder Menrad in Hilflosigkeit zu einer Reaktion Zeit hatten, lenkte das Herannahen des Nekromanten sie ab.
So hatte Eya ihn das letzte Mal im Nachtschatten des Nari-Tempels und in Kurast gesehen.
Sein weißes Gesicht war unerbittlich, finster von der Wut verrauchender Flüche, und er kam von der anderen Flussseite herüber und die Böschung mit langen, raschen Schritten herauf. Wasser troff in Bächen aus seiner durchweichten Kleidung, der Brustharnisch war mit halb abgewaschenem Blut verschmiert, das nicht seins zu sein schien. Der Wasserwächter, der ihm zugesetzt hatte, trieb halb im Fluss, halb hing sein zerfetzter Körper am Ufer. Gallert schwamm auf der Wasseroberfläche.
Sie zuckte zusammen, als Hadan sie und Menrad anherrschte. „Rasch! Ins Wasser mit ihr, das ist Gift. Fasst nicht hinein!“ Sein Ton war grob, aber seine Augen zeigten Sorge und drängende Eile.
Maysan schrie herzzerreißend auf, als sie die Magierin bewegten. In ihrem Entsetzen musste nur zu ihr durchdringen, dass ihre Mutter wieder in die Nähe der Monster gebracht wurde, die aus dem Nichts aufgetaucht waren. Doch sie ließ sich sacht beruhigen und hängte sich an Eyas Arme, die nach einem Blickwechsel mit Hadan zu ihr hinübergesprungen war.
Die Männer wateten mit Ifrah in den Fluss.
Das Wasser mochte das Gift fortspülen. Dennoch presste das Bild Eya das Herz zusammen.
Die Haltung der Männer, ihre todernsten Gesichter, Ifrahs unter dunkler Haut bleiches Antlitz, ihr Haar, das wie eine sonderbare Wasserpflanze in der seichten Bewegung des Stromes trieb – es sah aus wie eine Totenwaschung.
Hastig richteten sie das Floß abseits der Stelle des Kampfes wieder auf und suchten das Gepäck zusammen. Zwei Wächter waren tot, der dritte verschwunden, untergetaucht, um an der Wunde des Hammers irgendwo zugrunde zu gehen.
Leise miteinander redend, legten sie Ifrah behutsam auf Kleidungsstücke.
Das Mädchen wollte Eya nicht loslassen, und so, unablässig das lange Haar streichelnd, setzte die Assassine sich mit ihr neben Ifrahs Lager. Hadan war finster und besorgt ob des Zwischenfalls, spürte die junge Frau, aber mehr erstaunte sie das Verhalten des Paladins.
Begann er sich in die Gruppe einzufügen, erklärte dies seine ruhige, schnelle Hilfe und dass er zwar wortkarg und schmallippig blieb, aber ohne Auflehnung das Nötige tat? Sie beobachtete, wie er Hadan die Stakstange abnahm. Die beiden Männer redeten kaum miteinander und wichen sich mit den Blicken aus, arbeiteten aber in dieser Not fast reibungslos zusammen, wie es Krieger taten. War es vielleicht die Situation, die des Paladins Hilfe erstmals verzweifelt erforderlich gemacht hatte, und er ein Mann, der im Ernstfall über Abneigung und Zwist hinwegzusehen imstande war?
Er hatte zuletzt eine schwache Aura unterschiedslos auf sie alle übertragen, die beruhigte und leichte Heilkraft zu besitzen schien. Das Leuchten war wieder verschwunden, doch hing die Erinnerung daran seitdem um den hageren Lichtkrieger.
Hadan kam über das wieder an Fahrt gewinnende Floß zu ihr hinüber.
Seine Hände bewegten sich sicher und mit der Übung eines Heilers, als er Ifrah die Oberbekleidung bis auf das Leibstück, das die schweren Brüste schützte, vom Körper schnitt und die Haut mit einer gelben Paste aus einem seiner Beutel bestrich. Dann öffnete er vorsichtig eine von Maysans Fäusten und schloss die kleine Hand um den Beutel. „Halt das gut fest“, sagte er. „Das wird deiner Mutter helfen.“
Der große Mann ließ sich neben ihnen nieder. „Bist du verwundet worden, Shatryindjah?“
Eya schüttelte den Kopf. Erst jetzt bemerkte sie die Druckstellen und Wunden auf Hadans rechtem Arm – Schürfwunden, Bisse vielleicht. „Der Wächter hat mich hochgerissen und herumgeworfen wie nichts“, sagte sie. „Ich dachte, er kugelt mir den Arm aus, aber dazu kam es nicht.“ Sie sah auf das zerschrammte Leder ihrer Rüstung, das die Zähne abgehalten hatte.
„Ifrah wird bald fiebern“, entgegnete Hadan. Seine Hand strich der Assassine über das feuchte Haar. „Baraidha liegt nur eine Nacht entfernt. Abseits der Stadt kenne ich Menschen, sie werden uns helfen, uns unterstützen, besonders wenn sie erfahren, was wir in Kurast erlebt haben. Dort können wir rasten.“
„Gut.“ Sie legte beide Arme um Maysan, das so rasch vertraut gewordene, fremde Kind, und ließ nur ihre Augen seinen alles sagen, was in diesen Stunden sonst keinen Ausdruck fand – unerschütterliche Liebe und Bereitschaft zum Kampf gegen alles, was sie anfocht, mochte es nun von außen kommen oder aus ihnen Beiden selbst.
Donner grollte.
Das Gewitter hatte sich unbemerkt entfaltet, und es begann mit warmen, fetten Tropfen zu regnen. Um im Wald Schutz zu suchen, fehlte ihnen Zeit. So schützten sie Ifrah notdürftig mit Rüstungsteilen und abgerissenen Bananenblättern vor dem Regen und trieben flussabwärts.
Mit dem Staken wechselten sie sich ab.
Doch jetzt fehlten zwei Hände, und hoffend, dass die kommende Nacht schnell verstreichen und der Morgen eine Verbesserung ihrer Lage bringen würde, glitten sie durch den verhangenen Wald, der jetzt ein Regenwald war.
 
Hi Reeba!
Ganze 15 Tage hast Du uns darben lassen, dafür sollte ich eigentlich böse sein, naja lassen wir das... :) Halloween ist doch ein ganz passender Tag für eine Fortsetzung!

Insidias schrieb:
..., ob die beiden Turteltäubchen sich wieder finden... :cry: wenn nicht, bin ich Dir wirklich böse! Jawohl!! ...
Braves Mädchen! :D

In Deinem ersten Absatz habe ich mich richtig erschrocken... aber ich dachte mir schon, dass Du nicht so gemein sein kannst. :flame:


"Unter Beschwörungsworten der blutnasse Klumpen ins Ufergras." -> Ungewöhnliche Stilmittel in allen Ehren, aber da fehlte meinem Lesefluss ein Verb.

"Einem Teil seines Bewusststeins fiel auf, dass sie in voller Rüstung war, alle Schnallen daran geschlossen und festgezurrt, wie für einen Kampf. Oder eine lange Reise." -> da fuhr mir echt ein Schauer über den Rücken!

"Der Kosename zauderte zwischen ihnen in der Nacht" -> schöner Stellvertreter, (um Dame Venusias frühere Worte zu gebrauchen)

"...in einen Blitz verwandelte. Wasser – das Wasser wird meine Kraft mindern..." Mindern? Müsste sie nicht eher beschäftigen, dass das Wasser die Energie auch an ihre Gefährten weiterleitet?

"...Ifrahs unter dunkler Haut bleiches Antlitz..." -> "...Ifrahs bleiches Antlitz unter ihrer dunklen Haut..." -> so würde ich nicht mehr über den Satz stolpern

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Es war wieder einmal gigantisch! Ich hatte mich grade mit einem guten 2003er Rhein-Riesling an meinen Rechner gesetzt, als ich die Neuerung in Deiner Story bemerkte. Was für ein schöner Abschluss für ein Wochenende!
Der erste Teil hat mich echt berührt und der zweite Teil hat mich dann so gefesselt, dass ich nicht einmal nachschenken konnte - die Flasche schwebte geschlagene 10 Minuten über dem Glas... ok, das war übertrieben, ich hatte nach 2 Minuten nen Kramof und hab die Buddel weggestellt :D


Bitte, bitte - lass uns auf das nächste Kapitel nicht so lange warten!


:hy: Insidias
 
Am besten haben mir Ifrahs Beobachtungen und die damit verbundenen Gedanken über Maysan gefallen. Es wirkt sehr real und glaubwürdig, wie sie die Erkenntnis gewinnt, daß sie ein abenteuerlustiges Kind hat.
 
Insidias schrieb:
Hi Reeba!
Ganze 15 Tage hast Du uns darben lassen, dafür sollte ich eigentlich böse sein, naja lassen wir das... :)


Ich werde zusehen, dass das neue Up etwas schneller kommt, wobei ich sagen muss, dass der Mangel an Replies nicht gerade motivierend ist *g*.

Danke für die Fehleraufspürung übrigens, das fehlende Verb habe ich eingefügt.

Gruß, Reeba
 
Hi!

Hier meldet sich mal wieder ein stiller Mitleser, ich kann ja nicht verantworten, dass diese echt geniale Geschichte zu lange ins stocken gerät => Motivtion :D

Ich habe eigentlich echt nichts zu bemängeln außer ein paar vorhandenen Längen, aber dieser halten sich doch sehr stark in Grenzen und fallen nicht weiter negativ ins Gewicht. Vorallem da du sie nutzt, um eine wiklich geniale Atmosphere zu erschaffen. Ich habe diese Geschichte durch zufall entdeckt, hab sie dann in einem Rutsch gelesen und danach direkt den Gipfel der Welt gelesen.
Echt super :top: :top: :top:
Freue mich schon aufs nächste update

JD
 
Eigentlich war es so naheliegend, was Hadans Problem war ... Brilliant gemacht!

Wir schreiben nur darum so wenig, weil wir auf ein baldiges Update warten.
 
Hab den Thread grad erst gefunden und in den letzten 3 Tagen alles nachgelesen weils so spannend war :P
Was mich aber intressieren würde ist ob die Geschichte: "Zum Gipfel der Welt" noch irgendwo aufzutreiben ist? Hab im Forum gesucht aber die Links stimmen alle nichmehr :(
 
Huhu und willkommen an @John_Doe und @doedl.
@doedl: 'Der Gipfel der Welt' findest du in der Storysektion der Hautpseite (noch nicht überarbeitete Version), oder auch unter dem Link in meiner Sig. Der Originalthread ist wohl weg, denke ich.
 
Ah danke :D
btw ich hab mal alle kapitel in ein dokument gefasst, bei größe 12 sind das ~186 seiten :|
das is keine kurzgeschichte mehr das wird n roman :P
So jez geh ich den Gipfel der Welt lesen (ich komm schon nichmehr zu Hausaufgaben weilich nur die geschichten lese \0/

EDIT:
diese story steht schon gebunden bei mir im bücherregal, ich kann nur jedem ans herz legen sie zu lesen
gibts das auch in buchform?
 
doedl schrieb:
Ah danke :D
btw ich hab mal alle kapitel in ein dokument gefasst, bei größe 12 sind das ~186 seiten :|
das is keine kurzgeschichte mehr das wird n roman :P

gibts das auch in buchform?

Wenn ja, würde ich es sofort kaufen - aber nur, wenn auch die passenden Zeichnungen mit drin wären. :kiss:


:hy: Insidias
 
hehe :D
Ich hab jez Gipfel der Welt und die Geschichte durch, die Zeit bis zum Update vertreib ich mir mit Essen und Trinken \0/
 
hi reeba,

nachdem ich nun seit gestern wieder einen funktionierenden rechner habe, müßte ich erstmal alles nachlesen wae ich verpasst hatte. ich muss heute um 6 aufstehen alo mache ich es kurz:

ICH FINDE DEINE STORY EINFACH GENIAL!!!!!!!!!

Gruß, Helldog

p.s.: eya ist meine persönliche lieblingsperson. ich hatte mir zwischenzeitlich schon schwere sorgen um sie gemacht. das hat sic aber nun fürs erste wieder etwas eigerenkt. ich hoffe bloß, dass es Ifrah nicht so schnell wie malena geht. ich würde ungern wieder einen der liebgewonnenen hauptcharaktere verlieren auch wenn es sich vermutlich nicht auf dauer vermeiden läßt. ich freu mich auf jeden fall auf das nächste update. bis dann werde ich wohl notgedrungen was anderes :read: müssen.
 
Huhu Sebalon :)
Hm, welches 'Vieh' meinst du? In Kapitel 22 war es gegen Ende eine Schlange, die Maysan angriff und die das Mädchen unabsichtlich verschmort hat, im letzten Kapitel war es einer der Wasserwächter - insofern ist mir deine Frage nicht ganz klar.

Zu den Besuchen bei den Heimatorten der gefallenen Gefährten (Malena, Calypso, Kilian) aus GdW existiert ein Kapitel, das ich hundertprozentig irgendwo einbauen werde - ich habe die Gefallenen nicht vergessen, keine Sorge. Nur tendiert solch ein Kapitel stark zu einem Eya-Hadan-Kapitel, und ich möchte die Leser nicht mit unserem schwierigen Liebespaar 'überfordern'.
Aber die Sache ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Urel und die Druiden kommen dann wieder vor, wenn die Story weider auf den Westkontinent hinüberschwenkt - es gibt immer vier, fünf Kapitel aus einer Region an einem Stück, das sollte eigentlich mittlerweile deutlich sein;)

Gruß und thx für die Gemahnung an die Toten,
Reeba
 
Wie es der Zufall so will, hat gerade mein 2. Betaleser das neue Kapitel freigegeben. Voilá! Es ist ein eher ruhiges, fast schon ein Zwischenstück. Trotzdem hoffentlich viel Spaß beim Lesen.

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XXIV. Rast ohne Ruhe




Licht weckte sie, oder auch eine spürbare Abbremsung des Floßes.
Eya schlug die Augen auf.
Zunächst sah sie wenig, nur vage die Fläche des Gefährts in dichtem Dunst, jemanden, der sich bewegte, und Hadans Beine. Er stand weiter vorn am Floß und ließ die Stakstange sich seitlich davon immer wieder am Grund verfangen. Träge blickte sie zwischen seinen Beinen hindurch, schaute, und in diesem Augenblick glitten sie wie aus einem Nebelpfuhl heraus, und sie setzte sich auf. Die Müdigkeit war vergessen.
Vor ihnen öffnete sich der schmale Fluss in einen weiten, kaum noch bewegten Strom, nein, beinahe ein See war es schon. Die Ufer traten zurück, weniger undurchdringlich jetzt, und die Enge des Waldes schien fern unter dem plötzlich triumphal wiedergekehrten Himmel. Es war noch früh am Morgen, das Licht kaum von dieser Welt, obwohl die Sonne schon niedrig am Himmel stand. Blasse, aber unerwartete Farben gab es, Silber, Weiß, schüchternes Gelb und Rosa. Ein Plätschern fiel in die Stille. Aus dem Irgendwo flog eine Schar langhalsiger Schattenfischer auf.
Ein Seitenblick zeigte Eya das schmal gewordene Gesicht des Paladins, der in einigem Abstand da kniete. Das Licht offenbarte, dass er struppig und verhärmt aussah, doch auch den staunenden, fast verklärten Ausdruck auf seinen Zügen. Er war bewegt, so wie sie.
Wie schön es hier ist.
Ruhig glitt das Floß in die Öffnung des Waldes hinaus, und erst nach einer Weile bemerkte die Assassine, dass es sich leicht nach rechts hielt.
Als ihr Gefährt im ufernahen Flachwasser Grund berührte, gingen sie an Land.
Maysan watete neben Hadan, der die schlafende oder bis zur Bewusstlosigkeit geschwächte Magierin auf den Armen ans Ufer trug, durch die Wasserpflanzen. Das Floß zogen sie ein Stück die Böschung hinauf. Dann machten sie sich daran, eine Bahre aus Ästen zu fertigen, denn ihr vorläufiges Ziel lag einige Stunden landeinwärts, und keiner von ihnen konnte Ifrah so weit allein tragen, die nicht groß, aber keine leichte Frau war. Mit dem Mantel des Nekromanten und den zähen Lianen der Umgebung brachten sie schnell eine einfache Konstruktion zustande.
Als der Paladin hinzutreten wollte, um das hintere Ende der Trage aufzunehmen, stellte sich Eya dazwischen.
„Erlaubt“, sagte sie. Hadan, der bereits das Kopfende hielt, wandte sich um, aber sie fixierte die grauen Augen des Lichtkriegers. „Ihr tragt an Euren Sachen schwer genug, und ich habe hier etwas zu vergelten.“
Der Paladin konnte nicht wissen, dass die Erfahrung einer langen Reise im Wundfieber sie mit der älteren Frau verband. Aber nach einem Blinzeln trat er beiseite, die Ruhe der Duldung in seinem äußerlich unbewegten Gesicht. Er akzeptierte ihre Bitte.
Der Uferwald war weniger dicht und dämmerig, und selbst mit der Trage kamen sie gut voran. Eya blickte immer wieder auf das Gesicht der Magierin. Gelegentlich hoben sich die dichten schwarzen Wimpern, aber sie lag vollkommen unbeweglich. Schweiß perlte ihr über die wächsern glänzende Haut.
Beinahe ebensoviel Sorge bereitete der Assassine jedoch Maysan. Seit dem Vorfall ohne ein Wort, war sie abwechselnd düsteren und verzweifelten Gesichts in Ifrahs Nähe geblieben. Indes war es keine Nähe unbeschwerter Zuneigung und einfacher Sorge.
Eines sah Eya deutlich: Maysan fürchtete die Magie. Sie fürchtet sie nicht nur, sie hasst sie geradezu. Magie ist, was Ifrah zum Kämpfen befähigt, und als Kämpferin ist sie in die Welt hinausgezogen. Sie streifte das neben ihnen hertrottende Kind mit einem mitleidigen Blick. Magie hat ihr die Mutter weggenommen.
Der Assassine wollte es jedoch so vorkommen, als ob des Mädchens Angst einen noch tieferen Ursprung hatte, dem sie, Eya, als Magieunbegabte schwerlich nachspüren konnte.
Während sie dachte, dass sie immer noch zu wenig von ihren Nächsten wusste, öffnete sich vor ihnen das Grün.
Überrascht weiteten sich Eyas Augen. Hier, mitten im Wald, lebten Menschen.
Sie sah ein halb aus Stein, halb aus Holz errichtetes Haus, das ebenso gut in eine der Städte gepasst hätte, einen lehmigen Hof unter Salbäumen davor, Umzäunungen, die den Urwald zurückhielten. Stimmen, Gestalten tauchten auf.
Dem Ort haftete eine solche Friedlichkeit alltäglichen Lebens an, dass sie nicht länger als einen Atemzug an Vorsicht dachte.
Als Erster kam ihnen ein älterer Mann sehr dunkler Hautfarbe entgegen. Aufleuchtende Augen hefteten sich auf Hadan, und mit sich hebenden Händen ging er auf den Nekromanten zu. Hinter ihm folgte in offenkundiger, erstaunter Erregung, was Ehefrauen, Kinder und andere Familienmitglieder sein konnten.
Tiefer, als Eya es bisher je gesehen hatte, bückte sich alles mit vor der Stirn zusammengelegten Händen. Es war eine Ehrbezeugung, ein Segenswunsch, und er galt eindeutig Hadan.
Verwundert versuchte sie das stark abgewandelte Jabhra zu verstehen und hörte ihn etwas erwidern. Sein Tonfall verriet, dass die Szene ihm unangenehm war und ihn beschämte.
Dann wandte er sich um. „Dies sind die Leute, von denen ich sprach. Sie gewähren uns gern ihre Gastfreundschaft, bis es Ifrah besser geht.“
Vorsichtig nahmen sie die Trage wieder auf und folgten den einladenden Gesten des Familienoberhauptes. Mittlerweile umstand sie mehr als ein Dutzend Personen. Unsichere, aber wohlwollende Blicke begegneten ihnen, zwei Frauen liefen schon zu einer Feuerstelle, man redete auf sie ein, Hände fassten helfend an Ifrahs Trage mit an. Betroffen von so viel plötzlicher Nähe, ließen die Gefährten sich zum Haus führen.
Ein Halbwüchsiger nahm Eya ihren Teil der Trage aus den Händen, bevor sie es abwehren konnte. Das Durcheinander aus Menschen und Stimmen war nach der Einsamkeit des Urwalds beinahe zuviel, man schob sie freundlich hierhin und dorthin, und auch wenn es respektvoll geschah – sie war fremde Berührungen nicht gewohnt.
Wie müssen wir für diese Leute aussehen, der abgerissene Haufen unbekannter Sonderlinge, der wir sind. Dass es hier, tiefer im Süden, sehr wohl einzelne Menschen oder auch Gruppen geben musste, die Kurast nicht hörig waren, und dass Kurast nicht das einzige Machtzentrum war, begann sie zu begreifen. Dennoch verwunderte sie das Verhalten der Familie.
Warum helfen sie uns, ohne auch nur zu zögern? Die Gefahren, die sie damit auf sich nehmen, scheinen sie nicht zu kümmern.
Eine junge Frau fiel der Assassine auf, die sich etwas abseits der Geschäftigkeit hielt. In den Händen trug sie eine Schüssel mit Wasser, und ihre Augen verfolgten jede von Hadans Bewegungen. Etwas Unterwürfiges, Ergebenes sprach aus ihrer ganzen Haltung. Als der Nekromant zufällig in ihre Richtung blickte, wechselten beide einen eigenartig bedeutungsvollen Blick.
Beunruhigung legte sich schwer auf Eyas Brust – Hadan und diese Frau kannten sich. Gewiss, er schien mit der gesamten Familie vertraut, aber hier las ihr Gespür mehr aus der eben beobachteten Begegnung als gute Bekanntschaft.
Abwesend betrat sie mit den Anderen das Haus.
Erst als die Familie, nachdem die Gäste versorgt und bedient worden waren, zurück an ihr Tagewerk ging, wurde es ruhiger. Hin und wieder kam jemand und brachte Tee oder andere bescheidene Aufmerksamkeiten, doch ansonsten blieben sie sich selbst überlassen. Ifrah ruhte in einem zum Hof offenen Zimmer.
Im üblichen Bedürfnis einer Assassine nach Überblick umging Eya das Haus einmal.
Der Versuch, sich einzureden, es sei die Harmlosigkeit des Ortes und die Nähe zu Baraidha, die sie beunruhigten, schlug indes fehl.
Sie lenkte ihre Schritte zum Haus zurück. Bevor sie es erreichte, sah sie den Paladin im Schatten einiger Bäume. Ohne Schild, den Kampfhammer in der Hand des verwundeten Arms, von dem er die Schiene abgenommen hatte, übte er. Kurz erhaschte sie einen Blick auf sein schmales, ruhig konzentriertes Gesicht, auf seine hohe Gestalt, die zwischen den Hausbäumen eines fremden Volkes mehr denn je wie gestrandet wirkte.
Sein Üben gemahnte sie an ihre eigene harte Zeit der Genesung, und dann, unwillkürlich, ging ihre Erinnerung weiter zurück, in die Einsamkeit und durch die Monate der Wanderung mit den damaligen Gefährten hindurch bis in die Zeit ihrer Ausbildung.
Ich bin immer allein gewesen. Mein Orden hat mich das Alleinsein noch gelehrt, hat es absichtlich verstärkt – Einsamkeit in Vollendung. Erst unter anderen Menschen, die meist ebenso allein waren wie sie, Abtrünnige, rastlose Krieger, Randexistenzen, hatte es geendet. Ich will nie wieder allein sein.
Entschlosseneren Schrittes ging sie weiter.
Hadan saß in einer der zahlreichen Türen des Hauses, die zum Lehmplatz hinausgingen, der es von zwei Seiten umrahmte. Er lehnte im Türrahmen und hatte seinen Mantel über die langen Beine gebreitet, mit einer Nadel dabei, das Gewebe zu flicken.
Der Schritt der Assassine stockte, denn unweit, an einem offenen Feuerplatz, kniete die junge Frau, die ihr bei der Ankunft aufgefallen war. Für die Dauer eines Gedankens mahnte eine innere Stimme sie, verschwinde. Geh einfach, zieh dich zurück. Fast so stark wie ein Instinkt war es.
Dann aber fragte sie sich, was sie eigentlich fürchtete. Sie hatte Nächte mit diesem Mann verbracht und kannte und sah Seiten, die allen anderen Menschen verborgen blieben.
Eben, als sie auf ihn zutrat, blickte er auf. Wenn seine unnatürlichen Augen, weiß, ohne die Wärme einer Farbe, zu lächeln imstande waren, taten sie es jetzt.
Eine Weile hockte sie neben ihm in der Tür, wusste nicht, wo sie ihre Hände lassen sollte, und schaute wirr seiner Arbeit zu. Der Mantel war kaum noch zu retten, fadenscheinig und zerrissen, der Saum verkohlt vom Feuer zahlloser Feinde.
Die junge Frau am Feuer formte mit den Händen Ballen aus Kichererbsen. Schlank und still sah sie aus in ihrem gelben Wickelkleid, schlicht und grazil, ein Tuch über dem Haar und im Nasenflügel einen kleinen Ring.
„Woher kennst du diese Leute?“ hörte Eya sich fragen.
„Ich bin jahrelang in diesem Teil des Ostens gewesen“, antwortete der Nekromant. „Der Tempel im Süden wegen, aber es hat hier auch Krieg gegeben. Es war ein Krieg zwischen Kasten. Eine schlimme Zeit.“ Er blinzelte in den grauhellen Mittag. „Nanda Varmas Frau – er ist unser Gastgeber - war eine der Vielen vor zwei Jahren, die durch eine Verwundung erkrankten. Dazu kam noch das von Heeren und siechen Verletzten verunreinigte Wasser. Sie baten mich um Hilfe, und ich konnte sie retten. Das ist alles.“
„Und... diese junge Frau?“ kam es der Assassine über die Lippen, während sie vorsichtig hinüberschaute, ob diese es auch nicht hörte.
Hadan folgte ihrem Blick. „Du kannst getrost lauter sprechen“, sagte er „sie versteht die gemeinsame Sprache kaum.“ Eya begegnete dem Perlmutt seiner Augen und fühlte sich ertappt. „Sie ist eine von Varmas Töchtern.“ Ein beinahe unmerkliches Zögern entstand, bevor er fortfuhr. „Sie wurde mir damals als Entgelt angeboten.“
Nicht ein Wort für eine Erwiderung fiel ihr ein, aber Hadans Ausdruck bezeugte, dass ihr Gesicht Bände sprach.
„Diese Leute sind arm, Shatryindjah“, sagte er. „Sie gehören einer Kaste an, die noch niedriger ist als die meinige. Einem Nekromanten gegenüber, der ihnen als Heiler oder als Vermittler mit Göttern erscheint, entsteht eine Schuld. Verstehst du das? Es ist eines der Gefängnisse dieser Kultur. Sie stehen weder Pakhra noch einem anderen höheren Gott des Lebens oder des Todes nah genug, um mich mit Gebeten entlohnen zu können. Sie haben keine Mittel, weder weltliche noch geistige, um mich zu entschädigen, und so boten sie mir etwas von dem Einzigen, über das sie verfügen: ein Menschenleben – eine zukünftige Gattin für mich, da sie sahen, dass ich allein war. Ich habe es ihnen auszureden versucht, aber ich kann es ihnen nicht vorschreiben.“
„Eine Lebensschuld“, murmelte Eya. Ihre Wangen glühten. „Das ähnelt einem System, das ich mühsam zu vergessen gelernt habe, aber ich erinnere mich und verstehe noch, was das bedeutet.“ Innerlich gespalten hörte sie sich selber zu, wie sie, Welten vergleichend, zu begreifen versuchte, während dies für ihr Herz gerade doch eigentlich nicht das Dringlichste war. „Und du hast...“, sie verschluckte den Rest des Satzes, um kläglich neu anzufangen: „Was war mit ihr, wäre sie... gern darauf eingegangen?“
Warum begann er zu lächeln? Er legte den Mantel weg.
„Du bist eifersüchtig“, stellte er fest, und unter seiner Belustigung klangen ein Erstaunen und eine ernste innerliche Bewegung an, die Erstere als nur oberflächlich enttarnten. Zwischen Furcht und, dank seiner Reaktion, zögerlicher Erleichterung schoss sie einen schrägen kohlschwarzen Blick nach ihm.
„Sie hatte Angst“, er sah kurz zu der jungen Frau hinüber. „Die Rettung ihrer Mutter, die Lage, in der ihre Leute waren, und dann ein Fremder, vor den sie hingestellt wurde... Als sei das nicht genug, wurde sie zurückgewiesen und konnte in ihrer vermutlichen Verzweiflung nicht einmal der Ehre ihrer Familie, so wie diese dies sah, dienlich sein. Sie sollte dir leid tun, Shatryindjah, anstatt dich zu beunruhigen.“
Nachdenklich, erleichtert, saß sie da und versuchte sich in ein Dasein hineinzudenken, in dem selbst die Zurückweisung durch einen beängstigenden Fremden nicht zuerst Anlass war, sich über die wiedergewonnene Freiheit zu freuen, sondern Scham einer Herabwürdigung, einer Nutzlosigkeit, zu empfinden.
„Deine Welt ist grausam“, sagte sie, ohne zu überlegen.
Mit derselben Aufmerksamkeit, die er ihr stets entgegengebracht hatte, schaute er sie an. Mittlerweile wusste sie, dass er ihren Blick auf alles sie Beide Umgebende schätzte und ihn selbst dort duldete, wo er sich vor anderen verschloss. Im Streit hatte sie dies vergessen.
„Ja“, sagte er. „Das Jahrtausende alte System ist unerbittlich.“
Überrascht blinzelte sie. Wie konnte er das über eine Welt sagen, die er ganz augenscheinlich verehrte? „Und trotzdem ist es dir heilig?“
„Die Götter sind mir heilig“, antwortete der große Mann. „Du warst erstaunt, zu bemerken, dass ich wirklich an sie glaube. Ich habe meine Gründe, vertraue mir. Aber die Kasten sind von Menschen ersonnen. Vielleicht würde ich sie ändern – aber selbst den Fürsten in Baraidha, den hochgeborenen, würde das mehr als ein Lebensalter kosten, und dazu womöglich noch seinen Kopf.“
Prüfend, die abgekühlte Schläfe seitlich auf die überm Knie verschränkten Arme gelegt, schaute sie ihn an.
Sie unterhielten sich lange, bis es sie drängte, nach Ifrah zu sehen.






In ihrer Nähe gackerte es.
Hühner, kam ein Wort aus dem Nichts.
Die sachte Verwunderung hob ihr Bewusstsein in ein Stadium, in dem sich ein umgebendes Außen vom Innern ihres Kopfes zu trennen begann. Es ging langsam.
Sie wusste nicht, wo sie war, und nichts ließ sich in einen Zusammenhang bringen. Wenn sie nur eines der Bruchstücke aus Bildern und Klängen zu fassen bekäme!
Als es ihr endlich gelang, die Augen zu öffnen, hing dort eine Zimmerdecke aus blassgelb gestrichenem Holz. Ächzend, weil ihr Nacken steif und der Schädel selbst schwer wie ein Stein war, drehte sie den Kopf. Ein Hof tauchte auf, hellbraun bis zu schattigem Wald, und da waren auch Perlhühner. Nach einer Weile begriff sie, dass sie in einem Raum ohne vierte Wand lag.
Ein Luftzug strich ihr angenehm lau um das glühende Gesicht, doch sie verspürte entsetzlichen Durst.
Schmerz brannte sich unvorbereitet in ihren Körper, blendete sie, als sie sich aufrichten wollte, von der Mattigkeit beinahe in eine Ohnmacht zurückgeworfen.
„Nein, nein“, ereiferte sich eine Stimme.
„Ihr müsst liegen bleiben“, sagte jemand anderes. Ifrah fühlte harte, kühle Hände, die ihren Kopf wieder auf eine weiche Unterlage betteten. Zwischen flatternden Lidern sah sie ein dunkles, rundes Antlitz mit zart faltigen Mundwinkeln, ergrauendes Haar. Die fremde Frau lächelte und murmelte etwas von Suthvaa, der stärker sei als die Flussdrachen.
Fieber. Ich hätte mich nicht bewegen dürfen. Flussdrachen. Ich erinnere mich.
Störrisch drehte sie den Kopf erneut, diesmal nach links.
Sie hatte seine Stimme, die zweite, nicht erkannt, da er selten sprach, und sah jetzt mit Erstaunen in sein bärtiges Gesicht. Menrad hockte neben ihrem Lager auf einem Sitzkissen, ein winziges Buch in der Hand.
Ihr seid der Letzte, den ich erwartet hätte, hätte sie sagen mögen, aber ihre Stimme litt noch zu sehr unter der lähmenden Mattigkeit, und so krächzte sie nur nach Wasser.
Die fremde Frau half ihr trinken, dann ging sie.
In Ifrahs Augen mochten sich langsames Erinnern und damit einhergehende Unruhe abzeichnen, denn der Paladin machte eine beruhigende Geste. „Euer Kind ist wohlauf“, beantwortete er die ungestellte Frage. „Ebenso eure Gefährten. Beunruhigt Euch also nicht“, fügte er dann steif hinzu.
Zurücksinkend, gab sie den Kampf gegen den Boden auf, der sie hartnäckig nach unten zog. Was allerdings der Paladin, ihr unfreiwillig hinzugekommener Gefährte, nun tat, hielt ihr die Augen offen.
Wie um sich eine Formel oder Ähnliches noch einmal einzuprägen, las er murmelnd einige Zeilen aus dem kaum handgroßen Buch, um es dann behutsam beiseite zu legen. Mit geschlossenen Augen kam er aus der Sitzhaltung auf die Knie herunter. Seine Rechte berührte die Stirn, dann die Brust dort, wo sich das Herz befand.
Eben wollte die Magierin bedenken, dass sie die Himmelsgeste der Lichtkrieger nie zuvor aus solcher Nähe gesehen hatte – da begann das Licht.
Beginnendes Licht.
Anders ließ es sich nicht beschreiben. Zunächst nur als Schein, ähnlich der schwachen Reflexion sonnenbeleuchteter Wasseroberfläche, trat es aus dem Nirgendwo und erhellte die Züge des Mannes. Dann aber begann es sich auszubreiten, sich sichtbar um die kniende Gestalt herum abzuzeichnen, das zurückhaltendste, denkbar klarste Glimmen. Flüchtig von ferner in den Raum Sehende hätten es vielleicht nicht einmal bemerkt. Es ähnelte einem Sonnenfleck auf einer Wand, nur dass es schwebte. Und seine Quelle war ein Mensch.
Eine Weile sah sie nur in Ergriffenheit hin, auch in Verwunderung, weil die Lichterscheinung, magieähnlich und weltfern in ihrer Natur, zu dem steifen, mürrischen Mann nicht recht passen wollte.
Dann spürte sie, wie sich die Beklemmung des Fiebers von ihrer Brust hob. Irritiert nahm sie die Erleichterung wahr. Der Paladin heilte sie. Er betete und übertrug, was auch immer seine Kraft war, auf ihren Leib.
Ihr müsst das nicht für mich tun, wollte sie sagen, doch etwas hieß sie schweigen, und die heilende Aura tat unendlich wohl.
„Danke“, flüsterte sie.
Er öffnete die Augen. Unverwandt traf sie ein Blick, nicht feindselig, aber ohne Wärme. Ein weiteres Dankeswort versiegte auf Ifrahs Lippen.
Dem Paladin geboten sein Kodex und sein Glaube, Verwundeten zu helfen, wo er es vermochte. Das wusste sie, und es unterschied sich kaum von ganz unpersönlichen, menschlichen Regungen wie Mitleid oder Barmherzigkeit mit den Schwächeren. Seine grauen Augen waren intelligent, lebendig, doch ihr Ausdruck konnte sehr wohl bedeuten, dass seine Handlung einem leeren Pflichtgefühl entsprang.
Paladine verfolgen uns Magier, seitdem ich denken kann, manchmal weniger, manchmal erbitterter, wie es nun im Westen wieder ist. Bilder kamen, einander finster gegenüberstehende Gruppen, die um die Schließung von Elementarschulen südlich von Fadraîs verhandelten, Bittsteller, zerfurchte Gesichter, greise Männer, voll Stolz und alter Müdigkeit gestikulierend, Blutvergießen in Lut Gholein, Jahrzehnte zurückliegend, getötete Magier und Gelehrte, getötete Paladine in der Wüste. Bilder aus meiner Jugend. Sie klagen uns an, Götzen zu dienen, schädlichen Elementarkräften, die Vergangenheit in den großen Handelsstädten festzuhalten, die Ordnung der Ordensstadt zu verhindern, die allen Menschen zum Vorteil wäre. Sie schloss die Augen, erschöpft plötzlich.
Was an unseren Klassen ist es, das uns so viel Hass aufeinander beschert? Er wird wiedergeboren, sobald gemeinsame Feinde besiegt sind.
Was könnten wir nicht alles erreichen, wenn dieser Hass nicht wäre.

Mit dem letzten Gedanken bei Maysan, mit der Frage, welche Welt ihrer Tochter später begegnen würde, im warmen Mittag und im Halbschatten des offenen Zimmers, schlief Ifrah ein.
Menrad beobachtete, wie das Gesicht der Magierin im Schlaf weicher wurde. Ohne ihren Stab und andere Ausrüstung, die an einer Wand des Zimmers lehnte, sah sie aus wie eine der abertausend Frauen aus der großen Wüste – dunkel, mit vollen, geschwungenen Lippen und ausgeprägten Wangenknochen. Zwei sonderbare Narben, symmetrisch fast, zierten ihre Augen.
Er sollte ihr stärkere Gefühle entgegenbringen, sagte er sich, tiefere Abneigung, Verachtung, Hochmut – Widersprüche zum gebotenen Menschenbild seines Ordens, die dennoch seit Jahrhunderten gang und gäbe waren. Diese Frau verkörperte alles, gegen das seine Brüder seit langem vorgingen. Sie lebte allein, ohne Mann, bediente sich der Elemente und alter, in den fadraîschen Hoheitsgebieten verbotener Magie.
Warum er knien blieb und die zerbrechlichen Kontakte zum Licht beschwor, einer Macht, derer er sich insgeheim nie sicher war, wusste er sich selbst nicht zu beantworten. Je länger er unter diesen Leuten weilte, desto deutlicher zog das Begreifen der unüberbrückbaren Fremdheit dieses Kontinents in ihn ein. Die Mission schien ihm immer mehr ein einziger, fataler Irrtum, auch wenn dies vielleicht Lästerung war. Dutzende Gelegenheiten hatte es gegeben, diese seltsame Gruppe zu verlassen, sich zur Küste durchzuschlagen oder es wenigstens zu versuchen.
Was hielt ihn noch hier?
Er spielte den Gedanken durch. Steh auf und geh. Lass dieses Land doch in seinem Chaos versinken, dieses Land, das Ordnung nicht nur nicht übernehmen kann, sondern sie gar nicht übernehmen will. Überlasse sie ihrem Schicksal und der eigenartigen Bedrohung in Kurast.
Ein Zucken ging durch seine Glieder. Auf dem Flur tappte das Kind der Magierin vorbei, stand kurz mit traurigen Augen in der Tür. Falls es ihn ansah, wollte er ein zuversichtliches Gesicht machen.
Und eigentlich nicht erst jetzt wusste er, dass er nicht gehen würde.






Drei Tage nach ihrer Ankunft begann sich der Zustand Ifrahs merklich zu bessern.
Die Verätzungen des Giftes waren nahezu abgeheilt, und mit dem Verschwinden des hässlichen Graus kehrte gleichzeitig ihre Kraft zurück.
Ich gönne ihr alle Ruhe, dachte Eya, doch es wird Zeit, dass wir weiterziehen.
Die junge Frau saß mit unterschlagenen Beinen neben der dösenden Gefährtin im Abendlicht, das durch die offene Wand fiel. Am dämmernden Himmel huschten Fledermäuse über die Scherenschnitte der Baumwipfel, und das nächtliche Zirpen des Waldes hatte bereits eingesetzt.
Ifrah und Maysan waren die einzigen, denen die Ruhe wirklich zu bekommen schien. Während seine Mutter sich erholte, spielte und radebrechte das Mädchen mit den Kindern des Hauses.
Hadan jedoch wurde zunehmend unruhiger. Er verlor zwar kaum ein Wort, begann aber mit rastloser Vorsicht durch die nahe Umgebung zu streifen oder saß, nicht ansprechbar für ihre Dauer, in Meditationen, die ihn sichtlich angriffen. Nachts fand sie ihn fast jedes Mal schlaflos neben sich, wenn sie erwachte.
Seine Unruhe übertrug sich auf ihr feines Gespür, und alle bösen Ahnungen und Erinnerungen – die Ränke der Viz-Jaq’Taar, die überall bis zum Irrsinn gesteigerte Furcht vieler Menschen, der Kindgott – kehrten allmählich zurück.
Die größte Sorge bereitete ihr jedoch Menrad. Sie selbst, Ifrah und Maysan duldete er mittlerweile und hatte der Verwundeten beigestanden. Aber die beiderseitige Abneigung zwischen ihm und Hadan trat wieder stärker zutage, je länger der Kampf am Fluss zurücklag, und mit wiederhergestellter Kraft würde der Paladin sich immer schwerer tun, den Nekromanten als augenblicklichen Anführer zu akzeptieren.
Ich weiß nicht mehr, welche Fügung uns vor einem Jahr als Gruppe hat handeln und kämpfen lassen, ging es der Assassine durch den Kopf. Doch Hadan taugt nicht zum Anführer. Meine Liebe darf mich hier nicht blind machen. Er ist zu unnahbar, und letztlich sogar hier ein Mann einer niederen Kaste.
Sie dachte an das geheimnisvolle Ziel im Süden. Wie ihr Gefährte dort eine Streitmacht mobilisieren wollte, die es mit Kurast aufnehmen konnte, wusste sie nicht.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu den Männern. Noch hatte die Tatsache, dass sie sich nach Kräften mieden, einen ernsteren Zwist verhindern können, doch die erzwungene Rast und ihrer aller Situation erschwerte jeglichen Abstand. Baraidha war nicht weit. Ihren freundlichen Gastgebern zufolge stritt das dortige Fürstenhaus mit kurastischen Besatzern. Oft kamen Patrouillen und Unbekannte durch den Wald, und die Gefährten mussten sich zähneknirschend verborgen halten, so gut es eben ging.
So blieb ihnen seit vier Nächten wenig, als dicht aufeinander zu sitzen, ohne andere Beschäftigung, als von der Türschwelle aus in den schwülen Tag zu sehen, immer mit halbem Ohr auf eine Gefahr lauschend, den friedlichen Ort um sich wie eine lebende Illusion.
Eya sah aus ihren Gedanken auf, als Hadan das Zimmer betrat.
Der Nekromant kniete sich neben die Magierin und berührte sie leicht an einer der matt daliegenden Hände. Während Ifrah die Schläfrigkeit abschüttelte, wandte er sich an die Assassine: „Nanda hat Neuigkeiten aus Baraidha. Zeit für eine Lagebesprechung, Shatryindjah.“ Dann stand er auf und verschwand im Innern des Hauses, um den Paladin hinzuzubitten.
Besorgt blickte sie ihm nach. Die Spannung in der Luft war beinahe greifbar.
Ein weiteres Mal, sagte ihr die Ahnung, würde eine nahe Stadt, in der es eine paladinische Mission gab, umgangen werden müssen. Ein weiteres Mal würde ihr neuer Begleiter an seine Ohnmacht erinnert werden und sehen, dass er in der Tiefe des Landes gefangen war, an Entscheidungen von Menschen gebunden, denen er womöglich misstraute, die er aber ganz sicher nicht schätzte.
Kaltes Schweigen begleitete die Zurückkehrenden. Menrad blickte finster, den Mund zu einer Linie zusammengepresst.
„Baraidha ist besetzt und augenblicklich zu gefährlich für uns“, begann Hadan ohne Umschweife. „Es gibt keine Paladine mehr in der Stadt, die allem Anschein nach großenteils vertrieben wurden und deren Verbleib unbekannt ist. Unsere Gastgeber haben versucht, über Höhergestellte zum Fürstenhaus vorzudringen, aber dies erfordert Vorsicht und mehr Zeit, als wir haben. Wir müssen weiterziehen, sobald sich Ifrah dazu in der Lage fühlt.“ Er tauschte einen Blick mit der Magierin.
„Wenn es auf dem Floß ist“, sagte sie und richtete sich mit Mühe auf, „kann es von mir aus sofort sein. Ich werde es schon schaffen.“
„Wartet“, fiel Menrad ein.
Eya drehte den Kopf zu ihm, und auch die anderen fassten ihn mit einem Ausdruck ins Auge, der zeigte, dass sein Einwand nicht unerwartet kam. Die Fassung des Paladins war sichtlich nur noch ein Gerüst seiner erlernten Zurückhaltung, ausgehöhlt, und verbarg den darunter schwelenden Ausbruch kaum mehr.
Seine grauen Augen fraßen sich an den farblosen des Nekromanten fest. „Eine weitere Stadt soll nur auf Euer Wort hin, oder das Wort dieser Leute hier, nicht betreten werden?“ Flüchtig stand Zögern in seinem Gesicht – dann war es verschwunden. „Ihr führt uns an jedem Rest von Zivilisation vorbei in eine unbekannte Region, von der außer Euch niemand je etwas gehört zu haben scheint. Das ist Irrsinn!“
Langsam aufstehend, sah Eya Hadans Augen schmal werden und das Nachlassen der Geduld in seiner Mimik. Selbst ohne die, vielleicht nicht einmal beabsichtigte, Herabsetzung ihrer Umgebung und des Ziels stellten Menrads Worte einen offenen Angriff dar.
Der Nekromant atmete hörbar ein. „Es erstaunt mich nicht, dass Ihr mir misstraut, Paladin“, entgegnete er, „allerdings habt Ihr keinen Grund, die Existenz Pundars in Zweifel zu ziehen. Es mag Eurem großen und ruhmreichen Orden“ – die Betonung war nicht mehr weit entfernt von blankem Hohn – „meist nicht beachtenswert erschienen sein, aber es liegt dort, wo ich uns hinführe, und in ihm liegt unsere einzige Hoffnung.“
Feindseligkeit hing jetzt unverhohlen im Raum. Eya streifte Ifrahs Gesicht mit einem Blick. Nun sind wir soweit, sagte es. Das war nur eine Frage der Zeit.
Menrad hatte sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet. „Vor dem Hintergrund der Vertreibung meiner Brüder wirft Eure Häme ein doppelt schlechtes Licht auf Euch, Nekromant“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Er schien sich nur schwer von einer Drohung zurückhalten zu können.
Sein Gegenüber fasste den Lichtkrieger ins Auge wie eine unerfreuliche Kreatur, die man lange übersehen hat. „Die Vertreibung Eurer Brüder ist nicht meine oder meiner Kaste Angelegenheit“, antwortete der Nekromant eisig. „und das Vertrauen meiner Gefährten solltet Ihr besser ebenso wenig beleidigen wie die Gastfreundschaft, die Ihr erfahrt. Niemand hat Euch gezwungen, uns zu begleiten. Überlegt Euch gut, wem in diesem Land Ihr misstraut, und haltet uns nicht auf.“
Nach einem finsteren Blick voller Abneigung, der dann aber, im Abgleiten, etwas verborgen Verzweifeltes bloßlegte, wandte der Paladin sich der offenen Wand zu.
Bislang hatte sie nur dagestanden, ratlos vor dem Konflikt nicht nur zweier Männer, die sich nicht duldeten, sondern auch zweier Klassen ihrer Welt, die sich gegenseitig abstießen wie Wasser und Öl. Jetzt aber trat Eya dem großen, bärtigen Mann in den Weg, als er das Zimmer verlassen wollte.
„Geht nicht“, hörte sie sich sagen. „Ihr könnt doch nirgendwohin.“
Er blieb stehen.
Mit hochschlagendem Herzen wandte sie sich dem Nekromanten zu. „Hadan, bitte...“, stand ihre Stimme flehend und gleichsam entschlossen im Raum. Nie zuvor hatte sie es gewagt, ihn vor anderen zurechtzuweisen, doch jetzt kam von irgendwoher die Empfindung, im Recht zu sein – auch dazu, ihre Beziehung offen als Einfluss zu nutzen.
Er sah sie an, Zorn in den Augen, erwiderte aber nichts.
Ifrah hatte sich inzwischen aufgesetzt. Im Flur des Hauses waren Familienmitglieder aufgetaucht und wieder verschwunden, angelockt und dann eingeschüchtert durch die lauteren Stimmen.
Versteinerten Gesichts nahm Menrad seine vorige Position wieder ein, offenbar bereit, die Besprechung weiter zu verfolgen.
Die Assassine spürte erneut Bedauern, aber es war kein Leichtes, jemandem Mitleid entgegenzubringen, der von ihr und ihren Gefährten so wenig hielt. In einem Anflug verletzten Stolzes fragte sie sich, ob er über seine Abneigung und das gestrenge Urteil seines Ordens, was Menschen wie sie betraf, wohl vergessen haben konnte, dass ihre Entbehrungen vordem alle Länder – auch das seine – von den Erzübeln befreit hatten.
Hadan schien ähnlich zu empfinden, denn ruhiger, aber keineswegs arglos fuhr er in Menrads Richtung fort: „Verschwendet Eure Abneigung nicht auf die Außenseiter, die wir sind – auch dank der unerschütterlichen Einstellung einiger Kräfte im Westen, Paladin. Es wäre das erste Mal, dass unser Fortkommen an Solchem scheiterte. Ihr werdet unseren Weg nicht bestimmen und Euch nicht zwischen ihn und uns stellen – und nehmt dies getrost als Drohung, wenn Ihr so wollt.“
Beherrschung machte aus der Bewegung nur ein kaum merkliches Zucken, aber die Assassine hatte gesehen, dass Menrads Hand dorthin geruckt war, wo sonst seine Waffe hängen mochte. Wut ballte sich im Raum, und sie schluckte, plötzlich sich ausmalend, was geschehen würde, wenn die beiden Männer aufeinander losgingen. Das war unklug, schoss es ihr durch den Kopf. Der Paladin ist kein Mann, dem man drohen sollte.
„Der Lichtorden bemüht sich, die Menschen zu einigen“, antwortete Menrad zornblass auf die versteckte Anschuldigung. „Was Ihr Außenseiter nennt, Ihr und Euresgleichen“ – aus dem Augenwinkel bemerkte Eya, wie sich Ifrahs Züge verdüsterten – „sind Klassen, die dem Licht zuwiderhandeln, die sich unnatürlicher und unheiliger Kräfte bedienen. Dieser Kontinent ist eine Brutstätte des Chaos, und vielleicht ist es kein Zufall, was hier geschieht.“
„Vor einem Jahr“, knurrte Hadan „ist uns längs unseres Weges keine Streitmacht Eures Lichtordens aufgefallen, Paladin. Und was die niederen Methoden angeht, derer Ihr drei Viertel der wehrhafteren Menschen Sanktuarios bezichtigt, so haben diese dazu beigetragen, die Bedrohung zu tilgen.“
Der Lichtkrieger biss die Zähne aufeinander. „Die Länder waren überschwemmt von bösen Kreaturen“, entgegnete er, trotz sichtlicher Wut plötzlich leiser. „Wir verteidigten sie... und die Städte... so gut wir konnten.“
Stille trat ein.
„Alle Menschen haben das Übel bekämpft.“ Ifrah war auf die Beine gekommen. Schwach, aber aufrecht stand sie da. „Wenn die, die an verschiedenen Orten waren - einige hier, andere dort, aber alle, um zu kämpfen – sich sinnlos darüber streiten, dass sie waren, wo sie waren... dann lacht die Hölle.“
Die Assassine sah zuerst zu Hadan.
Er war verstummt, nachdenklich geworden. Blitzartig verrauchte Wut und ein matter Schatten der Beschämung desjenigen, der sich hat hinreißen lassen, hingen kurz um ihn, bevor er wieder in Unnahbarkeit erstarrte.
Menrad sah aus, als habe ihm jemand durch ein atem- und verstandesloses Toben hindurch einen schallenden Schlag versetzt.
Für eine Weile sagte niemand etwas. Das Abendlicht war heimelig, mit den verschwenderischen Farben des Ostens ausgekleidet, und im Haus entstanden die gelben Lichtkreise von entzündeten Windlaternen. In dieser Ruhe, spürte Eya, hing alles – die Ermattung der Vertriebenen, die Verzweiflung immer nur vager Hoffnungen und zerbrechender Ordnungen, die Hitze angesammelter Leidenslasten, und auch die uneingestandene Sehnsucht nach einem sehr fernen Ende aller Unterschiede.
„Berichte, was wir noch wissen müssen“, ließ sich Ifrah schließlich vernehmen. Sie griff nach Hadans Hand, der ihr half, sich auf einen Schemel zu setzen. „Und dann lasst uns aufbrechen.“ Sie sah zu dem blassen Mann hinauf. „Ich müsste noch mit unseren Gastgebern sprechen“, sagte sie. „Ich habe eine Bitte an sie.“






Noch bevor es vollständig dunkel war, waren sie bereit zum Aufbruch.
Die Verabschiedung von der freundlichen Familie nahm einige Zeit in Anspruch, aber als sie im Hof standen, ihre Ausrüstung und den zusätzlichen Proviant überprüfend, verstand Eya den weiteren Grund für die Verzögerung.
Ifrah stand mit Maysan und dem Nekromanten bei der ältesten Frau des Hauses, die Nanda Varmas Gattin war und deren Namen die Assassine sich nicht merken konnte. Neugierig trat sie etwas näher.
Dann begriff sie, und das Herz wurde ihr schwer.
Die Magierin kniete vor Maysan, gelb und silbrig in ihrer Kleidung, und sprach leise auf das steif dastehende Mädchen ein. „Du musst das verstehen, kleiner Stern“, hörte Eya ihre samtige Stimme. „Wo wir hingehen, ist es gefährlich, und die Leute hier nehmen dich gern auf, bis wir zurückkehren. Es wird nicht lange dauern.“
„Nein!“ Schwach wehrte das Mädchen die begütigende Hand der Baraidharin ab, die mitfühlend der ganzen Szene beiwohnte. Um Kummer zu verstehen, brauchte es keine gemeinsame Sprache.
„Aber dir gefällt es doch hier.“ Ifrahs Stimme bekam einen Sprung. „Schau, du spielst doch gern mit den Kindern. Ehe du es merkst, sind wir wieder da.“
„Nein“, Maysan begann zu weinen. Kläglich, einen uralten Schmerz in den Augen, plötzlich ganz ohne ihre übliche mürrische Abwehr der Mutter, hob sie den Blick zu der da knienden Magierin, fasste sogar mit einer Hand nach Hadans Mantel und sah zu ihm hoch. „Ich will bei euch bleiben!“
Obwohl ihre Haltung um kein Jota verrückte, sah Eya, und vielleicht nur vor ihrem inneren Auge, wie das ganze Gewicht der Welt auf die Magierin niederbrach.
„Es geht nicht, Maysan“, betonte sie. „Du hast doch gesehen, was in diesem Land geschieht. Erinnerst du dich an die Soldaten in Kurast und an das Gefängnis?“ Auf das stumme Nicken fuhr sie fort: „Dann wirst du sicher auch finden, genau wie wir, dass das so nicht bleiben darf, dass wir helfen müssen, und dass auch ich meinen Teil dazu beitragen will.“
Eya ging auf, dass Ifrah bereits zuvor mit Hadan besprochen haben musste, das Kind an dem sichersten Ort zu lassen, der ihnen bislang begegnet war. Sie sah Maysans Widerstand ermatten, weil dem Kind vor der Übermacht erwachsener Argumente nichts anderes übrig blieb. Gern hätte sie die sonderbare kleine Gefährtin verabschiedet, wagte aber nicht, sich einzumischen. Gerade jetzt, wo durch die gemeinsame Zeit und die Ereignisse am Fluss die Mauern zwischen Beiden fallen, wiederholt sich, was Maysan schon kennt. Es ist das Stigma ihrer Kindheit.
Ifrah hatte sich unterdessen wieder aufgerichtet und nahm jetzt unsicher das kleine Gesicht zwischen beide Hände, um ihre Tochter auf die Stirn zu küssen. „Hab keine Angst“, sagte sie. „Wir werden uns bald wiedersehen. Ich möchte nie wieder lange von dir getrennt sein.“
Durch das Letzte vielleicht sacht getröstet, ließ sich das Mädchen in die Arme von Varmas Frau ziehen.
Die Gefährten versammelten sich langsam um die Magiern, die zwischen ihnen plötzlich sehr klein wirkte. Um die letzten Blicke der Scheidenden nicht mit ansehen zu müssen, richtete Eya ihre Aufmerksamkeit auf Menrad. Er stand etwas abseits und wartete. Seine feste Haltung verriet seinen wieder guten körperlichen Zustand, und in seinem schwach angeleuchteten Gesicht glaubte sie den ruhigen Ernst bedächtiger innerer Auseinandersetzungen zu erkennen.
Schließlich schien Ifrah bereit.
Sie ging an ihnen allen vorbei, und wenngleich Schatten ihre Züge verbargen, verriet ihre Stimme, dass sie den Tränen nahe war.
„Kommt“, sagte sie. „Lasst uns gehen.“ Jetzt gleich – sonst schaffe ich es nicht.
Leise, heimlich wie sie gekommen waren, verschwand die kleine Gruppe im Wald.
Das erleuchtete Haus und der lehmige, friedliche Hof unter den Salbäumen blieben in der beginnenden Nacht hinter ihnen zurück.
 
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