Kapitel 10 – Ma’hay’tam
Shar'Tel stand an der zu ihrem Lieblingsplatz erklärten Stelle am Bug des Schiffes. Der Fahrtwind wehte ihr durchs Haar und die Sonnenstrahlen streichelten ihr über die Haut. Rechts von ihr maß der Kapitän mit den Kadetten den Stand der Sonne, obwohl ihm auch sein Bauch sagen konnte, dass es Zeit für ein Mittagsmahl war. Der Wind, der letzte Nacht noch recht stürmisch gewesen war, flaute im Verlauf des Tages immer weiter ab. Das hätte, so hatte ihr ein Fähnrich erklärt, daran gelegen, dass sie das Sturmtief, welches für die flotte Abfahrt gesorgt hatte, nun genau über ihnen läge. Im Auge eines Sturms ist es nahezu windstill. Und auch wenn dies nur ein kleines Tiefdruckgebiet war, würde sich die mangelnde Windkraft in seinem Zentrum bemerkbar machen. Gegen Abend hin würde das von der Sonne aufgeheizte Wasser verdunsten und sich als Nebel mit der ohnehin schon relativ feuchten Luft vermischen. Der Sturm '
tanke auf', um sich dann an der Küste mit Starkregen zu entladen. Kein Wetterextrem - '
normal' für diese Breiten. Die Aussicht auf schlechtes Wetter bei ihrer Ankunft beeindruckte Shar'Tel wenig – war sie doch platzregenartigen Niederschlag gewöhnt.
Und der Fähnrich sollte Recht behalten: Warme feuchte Luft und dazu kaum Wind ließen die Sonne hinter einem Dunstschleier untergehen. Keine Gestirne, um sich zu orientieren, '
null Sicht' – Segeln nach Kompass – Der Steuermann blieb auf Kurs, als währ es das normalste der Welt gewesen. Mit dem Schiff, erhellt durch zahlreiche Lampen, die verzweifelt versuchten den Nebel zu durchdringen, und es damit in ein heimliches Licht tauchten, als letzen Eindruck des Tages, verließ Shar'Tel das Deck und legte sich schlafen.
Am nächsten Morgen wachte Shar'Tel früh auf. Die Besatzung schlief noch. Nur die Nachtschicht belebte das Deck. Der Kapitän war ebenfalls schon wach und starrte, an einer Tasse Tee nippend, in die Leere des Nebels. Am Bug spähte der wachhabende Offizier durch ein Fernglas und suchte die Dunstwolke nach Auffälligkeiten ab. Schließlich rief er den Kapitän zu sich:
„
Kaptein, ich glaube ich habe etwas gesehen.“
„
Was denn?“
„
Es sah aus wie ein Drachenkopf.“
„
Wo?“
„
Zwei Strich steuerbord voraus.“
Baldrujan sah durch das Fernglas, erkannte aber nichts.
„
Sind sie sich sicher?“
„
Nein, Sir.“
„
Wollen sie trotzdem Alarm geben, Fähnrich? Noch haben sie das Kommando.“
Dieser überlegte kurz und kam zu dem Schluss, dass die Männer erstens eh bald ausgeschlafen haben müssten und es zweitens besser sei die Mannschaft wegen eines Hirngespinstes geweckt zu haben, als sich von einem Kriegsschiff überraschen zu lassen.
Er gab die Befehle. Leise und schnell ging alles. Und doch bracht Hektik aus, als die Matrosen aus ihren Kojen sprangen, nach den Waffen griffen und mit gezückten Säbeln und geladenen Armbrüsten an Deck strömten.
„
Ihr habt Armbrüste?“
fragte Shar'Tel ganz entgeistert.
Da flogen Fackeln in die Segel und rotznäsiges Gelächter war zu hören. Im Nebel wurde kurz der Umriss eines Schiffes mit eindeutig nicht menschlicher Besatzung sichtbar.
Baldrujan machte ernst:
„
Löscht die Feuer. Schafft die Kanonen nach Backbord. Wenn wir ihr Kielwasser kreuzen, demoliert ihr Ruder. Nachladen und dann gebt ihnen eine volle Breitseite. Schießen in der Aufwärtsbewegung. Ich will die Luf-Stellung ausnutzen, auch, wenn kaum Wind geht.“
„
…Und ihr habt Kanonen? Und ihr habt mich trotzdem gegen diesen Wasserwächter kämpfen lassen?“
„
Ich kenne euch Phillioson gut genug, um zu wissen, dass ihr euch so einen Kampf nicht entgehen lasst.“
Unrecht hatte er damit nicht.
„
...aber ich bin ja nicht immer da, um für euch zu kämpfen.“
Dieser Mann hatte etwas, das faszinierte Shar'Tel – etwas, was ihn geradezu prädestinierte Kapitän eines solchen Schiffes zu sein.
Es flogen Glasflaschen an Bord. Wo sie aufschlugen, explodierten sie. Die Geste war eindeutig. Da war jemand drauf aus, das Handelsschiff zu versenken. Die Steuermänner (denn es waren zwei von Nöten um das große Ruderrad zu bedienen) manövrierten um das Heck des anderen Schiffes herum und die Kanoniere nahmen es unter Beschuss.
Zwei Kugeln trafen, davon eine das Ruder, bevor die Arche wieder im Nebel verschwand. Ob es manövrierunfähig war, konnte man nicht sagen, jedenfalls ließ Baldrujan die Brände löschen, die in zwischen zu einem echten Problem geworden waren. Denn durch das Feuer waren sie für andere besser sichtbar während gleichzeitig der dichte Rauch ihnen die Sicht nahm.
Weitere Elixiere schlugen auf den Planken auf. Ihre Feinde hatten nicht im Geringsten vor zu fliehen.
Die Wurfgeschosse explodierten diesmal nicht, sondern setzten einen übelkeitergenden Gestank frei, der die Männer im ersten Moment kampfunfähig machte. Doch die Wirkung war nur von kurzer Dauer. Lornehead war aus ihrer Kabine getreten. Um sie herum herrschte ein Bereich der frischen Luft, der auf scheinbar magische Weise die giftigen Gase verdrängte.
Aus dem Dunstschleier tauchte wieder das feindliche Schiff auf, auf Kollisionskurs mit dem Frachter. Enterhaken flogen ins Gebälk. Koboldartige Dämonen mit roter Haut schwangen sich daran an Deck und griffen die Besatzung mit ihren abgewetzten Handäxten an. Diese Kreaturen waren selbst mir ihren zwei Hörnern auf dem Kopf und dem langen hochgebundenen Zopf nicht größer als ein Meter und doch metzelten sie mit einer Entschlossenheit, als wär dies ein sportlicher Wettkampf auf einem Kindergeburtstag. Größere Dämonen hatten nun den Weg in den Kampf gefunden. Die beiden Schiffe hatten sich in einander verkeilt und Holzstege überbrückten den Zwischenraum. Diese Wesen erinnerten entfernt an fleischfarbene Wildschweine mit Schildkrötenpanzer. Ihre Waffen sahen aus wie eine Mischung aus Kriegsaxt und Hacksäbel. Ihr Maß an Kraft und Körpermasse machte sie den kleinen Teufelchen überlegen.
Shar'Tel enthauptete zwei Kleine und wandte sich dann einem Großen zu. Dieser parierte ihren Schlag mit einem scharfkantigen abgeflachten Kampfschild. Überall hatte dieses Vieh Dornen – selbst ohne Waffe hätte er ihr noch große Schmerzen zufügen können. Er holte zu einem wuchtigen Schlag aus.
Die Gelegenheit für Shar'Tel zwischen seinen Beinen hindurch zu rutschen –
was für ein widerlicher Anblick! - und ihm in die Kniekehlen zu treten. Der große Kollos knickte ein und die Dornen an seinen Knien verhaken sich im Holz. Shar'Tel schraubte sich hoch und nutzte die Energie um das gepanzerte Schuppentier zu verwunden. Die Klinge fand die Schwachstelle oberhalb des dornenbewehrten Rückenschildes und riss eine Wunde in den Hals. Der Fleischkeiler drehte den Oberkörper nach rechts und schlug mit der Axt nach seiner Angreiferin aus. Diese, als ob sie es geahnt hätte, sprang in die Höhe und stieß sich noch einmal auf seinem Unterarm ab. Das Schwert war zu groß und schwer um nochmal auszuholen. Sie ließ es los, zückte den Dolch und rammte der Höllenbrut auf seiner Schulter landend den Dolch in den Kopf. Ein dumpfes Quieken ertönte und vermischte sich mit dem Ächzen beanspruchter Holzbohlen.
Aus dem Augenwinkel sah Shar'Tel wie Baldrujan einem Fleischkeiler erst die Beine und dann den Kopf abhackte. Ein geübter Schütze bearbeitet eine Höllenbrut mit Bolzen, während ein anderer Matrose diesen blockte. Der Dämon stürzte ins Wasser und der Schütze ludt schon wieder nach - erstaunlich schnell, wie Shar'Tel bemerkte. Der Bolzen traf sein Ziel: ein Teufelchen wurde an den Kreuzmast gepflockt.
Ein weiteres schweinsnasiges Vieh stürmte auf sie zu. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie ihr Schwert um es im Boden zu verkeilen, sodass das Monster ins Messer rannte. Auf den von Salzwasser und Blut schmierigen Planken rutschte sie nach rechts aus seinem Wirkungsbereich, nicht ohne ihn dabei noch an der Fußsehne zu verletzen. Wenn sich das stachelige Biest nach hinten fallen gelassen hätte, hätte es Shar'Tel mit seinem massigen Körper erdrücken können.
Auf genau diese Ideen schien es auch gekommen zu sein und kippte nach hinten. Die Amazone, die links neben ihm lag, wurde unter seinem Arm begraben. Dabei piekste ihr ein Dorn an seinem Ellenbogen in den Bauch. Stehen konnte das Vieh mangels Fußkontrolle nicht mehr, aber das schien es nicht zu stören. Sein linker Arm hielt die Schwertkämpferin zu Boden gedrückt, während er mit seiner Klingenwaffe ausholte. Ein aufmerksamer Matrose trat die herunter sausende Axt weg, sodass diese hinter Shars Füssen im Boden einschlug. Anschließend hackte ihr Retter auf die Rübe des Ungetüms ein. Blut bespritzte sie und schlussendlich landete dessen Kopf in ihrem Schoß.
Auch die Anderen hatten ganze Arbeit geleistet.
Die letzte noch lebende Höllenbrut - sie hatte gerade einem jungen Kadetten den Arm abgerissen - wurde von Baldrujan und einem ebenso starken Matrosen an den Füssen gepackt und über Bord geworfen.
Jetzt rannten nur noch die kleinen Teufelchen herum. Die großen Schlitzer waren einem Menschen zwar an Kraft überlegen, aber nicht so zahlreich, wie die gut hundert Mann starke Besatzung. Die kleinen Schlächter waren dagegen keine wirkliche Bedrohung - gaben sie doch schon beim ersten Anzeichen von Gefahr Fersengeld. Trotzdem hatten sie großes Chaos angerichtet: mehrere Taue waren durchtrennt, Segel hingen herunter.
Neben den Leichen der großen Dämonen und den Opfern aus den eigenen Reihen bemerkte Shar'Tel keine gefallenen Kobolde. Während sie ein Teufelchen erst entwaffnete, dann an seinem dürren Ärmchen packte und an der Tür zur Offiziersmesse bewusstlos prügelte.
Mindestens zwei von ihnen hatte sie enthauptet, einer war vor ihren Augen mit einem Armbrustbolzen durch den Kopf an den Hauptmast gepinnt worden. Wo sind die Leichen also hin? Hatten die Anderen schon mit Aufräumen begonnen? Die kämpften schließlich auch noch.
Das eben noch bewusstlos geschlagene Vieh stand schon wieder auf und warf ihr wüste Gesten zu.
Wenn du eben nicht besiegt bleiben willst...
Sie nahm den Kleinen in den Würgegriff.
„
Da! Am Bug.“
Ein Matrose hatte ihn entdeckt; den Schamanen und vermeintlichen Anführer der Dämonenhorde. Er hatte in rascher Abfolge alle Gefallenen wiederbelebt.
Na wenigstens denken die Anderen auch mit. Dann macht ihn gefälligst fertig!
Shar'Tel bemühte sich das kleine Biest noch solange festzuhalten, doch es strampelte gegen die Wunde in ihrem Bauch.
Der Schamane wehrte sich mit Feuerbällen, doch letzen Endes hatte er einem beherzten Sprungangriff des Kapitäns nichts entgegenzusetzen.
Diese Chance die Teufelchen endgültig loszuwerden nutzte auch Shar'Tel und warf das Wesen, welches sie festgehalten hatte ins Wasser, aber nicht ohne ihm vorher noch das Genick zu brechen.
Warum so brutal?
Erschöpft und schmerzgequält ließ sie sich nieder.
Endlich Ruhe.