Temple Of The Dog - Temple Of The Dog
Der Anlaß war traurig, die Akteure großartig und konsequenterweise ist das Ergebnis überwältigend.
Temple of the Dog war ein Kurzzeitprojekt, initiiert von Chris Cornell (damals Soundgarden) und in Zusammenarbeit mit Jeff Ament & Stone Gossard (Ex-Mother Love Bone, später Pearl Jam), sowie Matt Cameron (auch Soundgarden). Dazu kamen noch Mike McCready und Eddie Vedder (letzterer allerdings nur als Gastmusiker), die wenig später ebenfalls Teil von Pearl Jam werden sollten. Anlaß war der Tod von Andrew Wood (oder "L’Andrew, the Love Child", wie er sich selbst gerne nannte), charismatischer Sänger von Mother Love Bone und Glam Rock Fan, der Freddie Mercury und Marc Bolan zu seinen Idolen zählte und gerne ein Rockstar geworden wäre, jedoch lediglich starb, wie Rockstars gelegentlich sterben: 24jährig, an einer Überdosis Heroin – tragischerweise wenige Tage vor der geplanten Veröffentlichung der ersten (und damit natürlich auch einzigen) LP der Band. Das war im Frühjahr 1990.
Neben seinen Bandkollegen Ament und Gossard war auch Freund und Ex-Mitbewohner Chris Cornell davon schwer getroffen und brachte seinen Schmerz unmittelbar in zwei Songs zum Ausdruck:
"Say Hello To Heaven" ist ein Abschiedssong, in dem Verzweiflung und Hilflosigkeit aus jeder Zeile sprechen ("He hurt so bad like a soul breaking, but he never said nothing to me"/"I never wanted to write these words down for you, with the pages of phrases of things we’ll never do"). In "Reach Down" schildert er einen Traum, in dem ihm Andrew erscheint und mit ihm spricht ("Now I’ve got room to spread my wings and my messages of love, yes love was my drug, but that’s not what I died of") – eine liebevolle Erinnerung an den Freund im langen Mantel, violetten Brillengläsern und Glitzer im Haar, mit einem gospelartigen Engels-Chor im Refrain. (Hendrix-Fan McCready darf auf dem 11-Minuten-Stück fast 5 Minuten lang seiner Gitarre alles entlocken, was drin ist, und gibt damit sein Debüt auf Platte)
Das sollte es ursprünglich dann auch gewesen sein. Cornell’s Wunsch war es, diese beiden Songs zusammen mit Ament/Gossard als Tribut an seinen Freund auf Single zu veröffentlichen.
Dieser Plan scheiterte daran, dass die Beiden erstens zu begeistert waren, zweitens bereits wieder nach vorn schauten und mit Mike McCready schon den ersten neuen Mitstreiter gefunden hatten. Komplettiert durch Matt Cameron wurde aus der Single schliesslich eine kreative Explosion in Moll mit 55 Min. Spielzeit.
Cornell steuerte 5 weitere Songs bei, die heute eher mit seinem viele Jahre später erschienenen Solo-Debüt "Euphoria Morning" vergleichbar sind, als mit dem damaligen metallastigen Soundgarden-Werk. Oder – um chronologisch zu bleiben – die erste Überraschung beim Hören seines Solo-Debüts ("ist ja gar nicht wie Soundgarden....") weicht schnell einem "klar, hätte man eigentlich damit rechnen können!" Die ruhigere Gangart des Albums ermöglicht es ihm auch, seine markante Stimme öfter zum Singen und weniger zum Schreien einzusetzen. Beispielsweise bei dem sehr ruhigen "Call Me A Dog" mit Piano, Akkustik-Gitarre und wunderschönem Refrain ("I call you beautiful, if I call at all"). "Your Saviour" ist eher groovig, während das bluesige "All Night Thing" mit Piano und Orgel fast Bar-Atmosphäre verbreitet und einen gelungenen Abschluss des Albums bildet.
Eine Ausnahmestellung hat der Song "Hunger Strike", und das nicht nur, weil er letztendlich als Single ausgekoppelt wurde: hier betritt Noch-Nobody Eddie Vedder erstmals die Bühne! Kurz vor Beginn der Aufnahmen als Sänger für die neue Band um Ament/Gossard/McCready gefunden, liefert er hier ein imposantes Platten-Debüt. Was als hübsche kleine Melodie beginnt, steigert sich zu einem atemberaubenden Duett (Duell?) der wohl grössten Rock-Stimmen der 90er (und endet unentschieden). – Leider gibt es von diesem doppelten Stimmwunder bis heute keine Neuauflage. Wünschenswert wäre es allemal. Von den drei durch Gossard & Ament beigesteuerten Stücken ist "Pushing Forward Back" das schnellste und energetischste des ganzen Albums und hat (wie auch Four Walled World und Your Saviour) Eddie Vedder im Background, während das ruhige "Times Of Trouble" ein weiteres Zeugnis davon ist, wie sich die Ereignisse damals überschlagen haben: die Instrumentalfassung des Stücks befand sich, zusammen mit anderen, auf jenem Demo-Tape, mit Hilfe dessen Eddie Vedder als Sänger entdeckt wurde. Seine etwa zeitgleich entstandene und "Footsteps" betitelte Version erschien daher auf keinem Pearl Jam Album, sondern wurde lediglich als B-Seite veröffentlicht.
So emotional und traurig die 10 Songs ("Wooden Jesus" und "Four Walled World" habe ich nicht näher erwähnt) auch sind, das Album ist an keiner Stelle depressiv oder morbid, nur herzzerreissend melancholisch, an manchen Stellen fast feierlich. Times Of Trouble etwa ist ein klares NEIN zur Droge und JA zum Leben.
Vergleiche mit Soundgarden und Mother Love Bone oder gar Pearl Jam haben sich meiner Meinung nach mit dem Erscheinen von Cornell’s Solo-Album erübrigt. Er ist es, der das Album prägt, nicht nur wegen seiner unverkennbaren Stimme.
Live gab es Temple Of The Dog nur zwei-, dreimal zu sehen und dass das im Frühjahr 1991 erschienene Album sich zunächst nur 70.000mal verkaufte, interessierte erstens niemanden und war zweitens nicht verwunderlich: Soundgarden’s Durchbruch "Badmotorfinger" wurde erst gegen Ende desselben Jahres veröffentlicht, der Rest des Tempels begann bei Veröffentlichung gerade, unter dem Namen Pearl Jam aufzutreten....Dass die Plattenfirma nach Pearl Jam’s Sensations-Debüt reagierte, war genausowenig verwunderlich: 1992 wurde "Temple..." wiederveröffentlicht, diesmal mit einem (inzwischen veralteten) Sticker "featuring members of Soundgarden & Pearl Jam". Dem Mother Love Bone Album (einst "Apple", heute schlicht "Mother Love Bone" genannt) erging es ähnlich.
Deren Musik ist allerdings weniger mein Fall, von den sehr ruhigen Andy Wood Songs einmal abgesehen. Einem davon, "Man Of Golden Words", entstammt auch der Titel des Projekts:
"I want to show you something, like joy inside my heart. Seems I been living in the temple of the dog. Where would I live if I were a man of golden words? Or would I live at all? Words and music – my only tools..."
Wie es ist, ein Star zu sein, hat Wood nicht mehr erfahren, aber mit dieser Platte hat man ihm ein Denkmal gesetzt, dass eines Stars würdig ist. Das völlig unspektakulär und nebenbei, an ein paar Wochenenden produzierte Album, wird heute als Klassiker des Grunge hochgelobt, zu recht. Es vereint Energie und Stärke verschiedener Grunge Komponente zu einem ganzen. Alles in allem, eines der wichtigsten (und auch besten) Grunge Alben überhaupt.
9/10
Hörproben